DSA 152: Kors Kodex - Christian Lange - E-Book

DSA 152: Kors Kodex E-Book

Christian Lange

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Beschreibung

Mit seinem Namen auf den Lippen stürzen sich die Jünger des blutigen Kriegsgottes Kor in die Schlacht, doch er gilt auch als Verfasser des Khunchomer Kodex, der von Alters her als Grundlage für Soldverhandlungen herangezogen wird. Die Großtat aber, die Ghorio in der Überlieferung seiner Kirche unsterblich machte, ist nichts im Vergleich zu dem, was im Exil auf ihn wartete. Vom besten Freund als Mörder angeklagt, verbannt die Kirche der Rondra den jungen Ghorio in den hohen Norden, wo er im Dienste der Theaterritter für seine Tat Buße tun muss. Immer weiter entfernt er sich von den Idealen seiner Göttin, und es dauert nicht lange, bis eine Stimme in seinem Kopf zu ihm spricht, die nach Blut und Kampf verlangt.

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Biografie

Christian Lange wurde 1974 in Magdeburg geboren. Nach seiner Ausbildung zum Fachinformatiker arbeitet er an einem Magdeburger Forschungsinstitut.

In seiner Freizeit beschäftigt er sich vor allem mit Lesen, Schreiben und Fotografieren. Mit Das Schwarze Auge kam er 1993 in Berührung. Seitdem hat er vor allem für das Briefspiel der Region Garetien geschrieben. Mit Caldaia erschien 2010 seine erste Roman­veröffentlichung in Aventurien.

Autorenfoto: Copyright © Mitlichtmaler

Christian Lange

Kors Kodex

Ein Roman in der Welt von Das Schwarze Auge©

Originalausgabe

Impressum

Ulisses SpieleBand 11089

Titelbild: Christian Schob Kartenentwurf: Ralf Hlawatsch Lektorat: Michael Fehrenschild, Eevie Demirtel Buchlayout: Ralf Berszuck E-Book-Gestaltung: Michael Mingers

Copyright © 2014 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems.DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN, DERE,MYRANOR, RIESLAND, THARUN und UTHURIA sind eingetragene Marken der Significant GbR.

Titel und Inhalte dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt. Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Bearbeitung, Verarbeitung, Verbreitung und Vervielfältigung des Werkes in jedweder Form, insbesondere die Vervielfältigung auf photomechanischem, elektronischem oder ähnlichem Weg, sind nur mit schriftlicher Genehmigung der Ulisses Spiele GmbH, Waldems, gestattet.

Print-ISBN - 9783868893007

Danksagung

Neun Personen möchte ich für ihre Unterstützung besonders danken.

Zuerst meinen Freunden und Kollegen vom Akzwanzig13, Marco Findeisen, Mike Krzywik-Groß, Henning Mützlitz, Stefan Schweikert, Judith & Christian Vogt. Ihr seid immer eine Quelle der Inspiration und ein toller Rückhalt. Ich danke meinen Eltern, die mich immer unterstützen und natürlich meiner Frau.

Christian Lange, im März 2014

Kapitel 1

In der Gegend von Khunchom, 291 BF

Der Heilige war einst Geweihter der Korsmutter. Seine Weihe erhielt er im Tempel zu Khunchom.

—aus dem Khunchomer Kodex, auf einer alten Tierhaut notiert

»Für Rondra!«

Ghorios Ruf schallte laut über den Innenhof der alten Herberge. Gemeinsam stürmten sie durch das Tor, Ghorio auf der linken Seite, neben ihm seinZâhdsalKarmal. Den rechten Flügel deckten Surkan und, an seiner Seite, Sahil. Die Räuber, die noch mit dem Plündern der Leichen beschäftigt waren, sprangen verwirrt auf. Einige suchten sofort ihr Heil in der Flucht, doch etliche zögerten und schauten sich hastig um. Ghorio ahnte, was in den Köpfen der Männer vorging. Nur zwei Geweihte der Löwin und derenZâhdsalimwar alles, was man geschickt hatte um die gefürchtete Bande des Ali Bey zur Rechenschaft zu ziehen?

Während er auf die Männer zurannte, sah Ghorio, wie die Unsicherheit aus den Gesichtern wich. Auf einigen konnte er schon ein siegessicheres Lächeln sehen. Ein Streiter der Göttin gegen jeweils drei Wegelagerer, das war tatsächlich eine Prüfung für den Glauben.

»Für Rondra!«

Nun rief auch Surkan laut den Namen der Göttin. Ghorio und die beidenZhâdsalimstimmten ein, während sie weiter vorwärts stürmten. Nur noch wenige Schritte ...

Wie vereinbart schwenkten Ghorio und Karmal nach links, während Surkan und Sahil die Gegner rechts umliefen. Ein schneller Streich und der erste Räuber ließ seine rostige Klinge fallen, hielt sich eine klaffende Wunde am Bauch und ging in die Knie. Das Lachen der Gegner verstummte, wütende Schreie übertönten den Sterbenden. Ghorio und Karmal liefen weiter, versuchten, in den Rücken der Truppe zu kommen. Nur nicht stehen bleiben, auf keinen Fall durften sie sich einkesseln lassen!

Ghorio parierte einen schlecht geführten Hieb, drückte die Waffe des Mannes nach unten und trat auf die rostige Klinge. Während sein Gegner noch überlegte, ob er die Waffe fahren lassen sollte, rammte Ghorio ihm mit der Linken seinen Parierdolch in den Hals. Gurgelnd stolperte der Mann rückwärts, das Blut aus seiner Wunde bespritzte die Umstehenden.

»Für Rondra!«

Ghorio bemerkte, dass der Ruf inzwischen eine andere Wirkung auf seine Gegner hatte. Deren scheinbare Überlegenheit schien zu schmelzen wie die wächsernen Duftkegelchen, die sich reiche Khunchomer Frauen in die Haare stecken, um einen angenehmen Wohlgeruch zu verbreiten. Er duckte sich unter einem Hieb weg, wehrte einen weiteren Schlag ab. Aus den Augenwinkeln heraus sah er, dass Surkan ebenfalls zwei der Räuber zu Krüppeln geschlagen hatte. Auch Sahil hatte bereits einen Gegner überwältigt.

Inzwischen hatten sie die Gruppe halb umrundet. Der Plan sah vor, nun wieder die Richtung zu wechseln. Die Wegelagerer sollten sie nie alle im Blick haben. Wenn der Gegner so überlegen war wie hier, musste man seine Kräfte teilen. Ghorio griff den ihm am nächsten Stehenden an und täuschte eine Attacke gegen dessen linken Arm an. Als der Mann sein Schwert hob, um den Angriff abzuwehren, nahm Ghorio Kraft aus dem Hieb und trat dem Verbrecher stattdessen kräftig gegen das linke Knie. Zufrieden hörte er das Krachen des Gelenks, bevor sein Gegner losbrüllte, seine Waffe fallen ließ, und zu Boden sank.

»Für Rondra!«

Wenn es weiter so lief, war die Überzahl der Wegelagerer bald vergessen. Nur schade, dass Ali Bey nicht unter den Räubern war. Sein Kopf wäre eine gute Trophäe für den Khunchomer Tempel gewesen. Ghorios Augen blieben an einer Bewegung hängen. Einer der Räuber hatte einen Wurfdolch gezogen und wog ihn nun in der Hand, während seine Augen etwas neben Ghorio fixierten.

»Karmal! Runter!«, brüllte er, während er seinen Parierdolch ungezielt in die Richtung des Messerwerfers schleuderte.

Er grinste zufrieden, als er sah, dass sein ungezielter Wurf immerhin den Arm des Messerwerfers traf. Doch der hatte seine Waffe bereits auf ihre tödliche Reise geschickt. Voll dunkler Ahnung folgte Ghorios Blick dem Dolch, während er blind einen Schlag gegen seinen Bauch parierte.

Dann traf der Dolch Karmal. Unterhalb der linken Schulter drang die kleine, scharfe Waffe tief ein. Sofort breitete sich ein dunkler, roter Fleck auf dem hellen Gewand seines Begleiters aus.

Karmal ließ sein Schwert sinken, stolperte rückwärts. Ghorio sah die Überraschung in den Augen des Jungen. Dann kam der Schmerz. Karmals Waffe fiel, er griff fahrig nach dem Messer in seiner Schulter. Ghorio senkte den Kopf, er spürte wie die Geräusche des Kampfes leiser wurden. Dafür wurden andere Töne lauter, etwa das Rauschen des Blutes in seinen Ohren und der Schlag seines Herzens. Kalte Wut erfasste ihn. Ghorio achtete nicht mehr auf seine Deckung, rammte einen Angreifer zur Seite und drang auf den Messerwerfer ein. Völlig überrascht, in zweiter Reihe bedrängt zu werden, ließ dieser seinen blutenden Arm los und griff nach seiner Waffe. Doch Ghorio zögerte nicht und rammte ihm sein Schwert tief in den Bauch. Noch während der Sterbende zu Boden glitt, riss Ghorio die Waffe wieder aus der Wunde. Ohne einen Gedanken an Deckung oder Taktik zu verschwenden, drang er auf den nächsten Gegner ein. Er zählte nicht mehr, wie viele Gegner vor ihm zu Boden sanken und wie viele die Flucht ergriffen hatten. Das Einzige, was Ghorio klar wahrnahm, war Karmal, der leblos in einer dunklen, roten Pfütze aus Blut lag. Seine Hand umfasste noch immer das Messer in seiner Schulter, seine Augen waren offen und starrten leblos gen Himmel.

Kapitel 2

Khunchom, 291 BF

Aus Dorgulawend stammte er, ein Findelkind wohl. Doch Rondra nahm sich seiner an, bis die Zeit reif war.

—aus dem Buch der Schlange des Faruk Al-Alam, um 350 nach Bosparans Fall

Die Zelle war feucht und kalt. Ghorio hatte nicht gewusst, dass es in Khunchom solch ungemütliche Orte gab. Und schon gar nicht hatte er geahnt, dass so etwas in den Katakomben des Feuersturmtempels auf Menschen wie ihn wartete. Das Licht der Fackel, das zitternd durch die kleine vergitterte Öffnung in der Zellentür drang, warf seltsam tanzende Schatten an die feuchten Mauern. Ghorio wusste nicht woran es lag, aber mehr als einmal war da dieses unbestimmte Gefühl, dass die Schatten dabei waren Form anzunehmen und aus der Wand herauszutreten. Es hatte ihn Überwindung gekostet, sich genau in jene dunkle Ecke zu setzen. Den Blick zur Tür gewandt, blendete ihn das tanzende Feuer draußen, sodass er die Schatten nicht mehr sehen konnte.

Zitternd erhob er sich, als er Schritte im Gang hörte. Er vermutete, dass er der einzige Häftling in diesem Teil des Kerkers war. Sie kamen also seinetwegen. Er konzentrierte sich, schloss die Augen. Es waren fünf oder sechs Paar Stiefel, die er hören konnte. Hatten sie Angst vor ihm? Er verzog das Gesicht zu einem schwachen Grinsen und genoss den kurzen Anflug von Überlegenheit.

Dann wurde der Balken vor der Tür zurückgeschoben, scheinbar war die Zelle so alt, dass es nicht einmal ein Schloss gab. Die Tür flog auf.

Aufrecht schaute Ghorio den Männern entgegen. Von den sechs Rondrianern trugen zwei eine Fackel, die anderen standen mit gezogenen Kurzschwertern bereit. Kurz überlegte er, ob er seinem Freiheitsdrang nachgeben sollte, doch seine Ehre als Geweihter der Göttin ließ dies nicht zu. Zudem waren die Männer ihm an Zahl und Ausrüstung überlegen.

Wortlos ging Ghorio aus seiner Zelle und folgte dem ersten Fackelträger, die anderen liefen hinter ihm.

Als sie die Katakomben verließen, musste Ghorio innehalten. Die Zeit im dunklen Kerker – er wusste nicht genau wie lange er dort hatte zubringen müssen – hatte seine Augen empfindlich für das Licht der Sonne gemacht. Er legte die Hand vor die Augen, wurde jedoch unsanft vorwärts gestoßen. Er stolperte, fing sich aber. Langsam gewöhnten sich seine Augen an das Licht. Die Sonne stand hoch am Himmel. Man führte ihn auf den großen Platz vor dem Tempel, wo bereits etliche Schaulustige zusammengekommen waren. Ghorio schaute sich nervös um. Was geschah hier?

Auf den Stufen des Tempels standen drei schlichte Schemel. Roshman, der Vorsteher des Tempels saß im vollen Ornat seines Amtes auf dem mittlerem. Neben ihm zur Linken Manjala, die Waffenmeisterin des Tempels und zur Rechten ein Geweihter des Ingerimm, den Ghorio nicht kannte. Man führte ihn vor das Tribunal, sodass er in der Sonne stehen bleiben musste. Als sich seine Wächter entfernten, blickte Ghorio sich um. Eine Flucht durch die Menschenmenge wäre sicher möglich, aber auch mehr als unwürdig.

Er wusste nicht genau, was das Tribunal ihm vorwerfen würde, aber sicher würde sich alles klären lassen. Zwar fehlten ihm ein paar Tage Erinnerung nach dem Tode Karmals, aber was sollte dort schon geschehen sein?

»Ghorio aus Dorgulawend«, die leise Stimme Roshmans zwang seinen Blick zum Tribunal. Das Gemurmel in den Reihen der Zuschauer verstummte langsam. Der Alte war sicher kein guter Kämpfer mehr, doch seine befehlsgewohnte Stimme zeugte von Autorität.

»Du hast versagt«, stellte Roshman mit ruhiger Stimme fest. »Du solltest den Mörder und Räuber Ali Bey finden und richten. Stattdessen hast du die Deinen in einen aussichtslosen Kampf geführt, der zweiZhâdsalimdas Leben kostete.«

Ghorio keuchte, während Roshmans Stimme leiser wurde. Plötzlich schien ihm die Sonne noch heißer zu brennen als bisher. Zwei Tote? Auch Sahil war gefallen? Wie hatte er das nicht mitbekommen können? Seine Erinnerung war getrübt, aber er dachte, dass Surkan und Sahil den Kampf überlebt hatten.

»Ghorio!«, die Stimme Roshmans war lauter geworden. »Ich habe dir eine Frage gestellt!«

Ghorio schluckte, »Verzeih,Rashtâd! Meine Erinnerung an jenen Kampf ist dunkel, mir war bis eben nicht klar, dass auch Sahil gefallen ist.«

Roshman runzelte die Stirn und sah ihn prüfend an.

»Surkan, erhelle Ghorios Geist und berichte was geschehen ist!«

Surkan trat aus dem Schatten des Tempels hinaus ins Licht. Erstaunt stellte Ghorio fest, dass Surkans Kleider sauber waren. Scheinbar hatte man ihn nicht in die Katakomben geworfen.

»Wir waren auf dem Weg Ali Bey zu richten«, begann Surkan. »Die Spur führte zu einer kleinen Herberge. Ghorio schickte Karmal vor, die Lage auszukundschaften. Nach seinem Bericht gab es ein Dutzend Wegelagerer in der Herberge, die wohl kurz zuvor die Bewohner massakriert hatten. Ob Ali Bey dabei war, konnte Karmal nicht sicher sagen. Ghorio befahl den Angriff, obgleich ich ihm abriet.«

»Das ist nicht ...«, rief Ghorio, doch Roshman unterbrach ihn.

»Du wirst dich später rechtfertigen!«

»Wir griffen die Räuber also frontal an, und, wie ich befürchtet hatte, waren bald umringt von ihnen. Wir kämpften tapfer, doch irgendwann tötete einer der Räuber Karmal mit einem Wurfdolch.« Surkan machte eine kurze Pause, als müsse er sich sammeln.

»Dann geschah etwas mit Ghorio. Er griff sich die Waffe eines Toten und schlug brüllend auf die Räuber ein. Dabei achtete er die Regeln des Kampfes nicht, welche uns die göttliche Löwin auferlegte. Er griff die Männer von hinten an, versetzte ihnen schmerzhafte, aber nicht tödliche Wunden, ganz so, als wolle er sie leiden lassen.«

Ghorio starrte Surkan mit offenem Mund an. Das konnte nicht stimmen. Das durfte nicht stimmen. Seine Erinnerung war verschwommen, doch so war es sicher nicht gewesen. Er konnte sich unmöglich gegen die Ideale seiner Kirche, gegen seine Herrin Rondra versündigt haben, die den aufrechten Kampf liebte und Hinterlist verabscheute.

»Natürlich strafte die göttliche Löwin dieses unwürdige Verhalten und versagte uns den Sieg. Irgendwann wurde Ghorio am Kopf getroffen und ging zu Boden. Rondra sei Dank, gelang es Sahil und mir, die verbliebenen Räuber zurückzuschlagen. Doch Sahil hatte zu viele Wunden im Kampf erhalten, er starb noch vor Ort in meinen Armen.«

Ghorio blickte auf den Boden zu seinen Füßen und schüttelte ungläubig den Kopf.

»Als Ghorio wieder erwachte, war er nicht ganz bei sich. Immerhin konnte ich ihn dazu bringen, die Leichname unsererZhâdsalimauf die Pferde zu binden und nach Khunchom zurückzureiten.«

Stille lag über dem Platz, nachdem Surkan seinen Bericht beendet hatte. Ghorio versuchte seine eigenen, trüben Erinnerungen mit den Erzählungen Surkans in Einklang zu bringen. Doch es gelang ihm nicht. Einiges schien zu stimmen, anderes nicht.

»Was hast du dazu zu sagen?«, unterbrach Roshmans ruhige Stimme das Durcheinander seiner Gedanken.

Ghorio hob den Kopf. Er spürte wie Tränen in seine Augen schossen. Er musste einige Male blinzeln, um wieder klar sehen zu können. Wenn das alles stimmte, was Surkan gerade behauptet hatte, dann musste Roshman ihn schwer bestrafen. Vielleicht würde er ihn sogar aus dem Feuersturmtempel verbannen. Sein Leben lag in Roshmans Hand.

Ghorio wollte etwas sagen, doch er spürte, dass seine Stimme versagen würde. Er hustete, dann begann er zögerlich zu sprechen. »Meine Erinnerungen an jenen unseligen Tag sind lückenhaft. Ich weiß, dass wir die Räuber angegriffen haben, doch war es anders als Surkan beschrieb. Niemals hätte ich einen Frontalangriff auf einen zahlenmäßig überlegenen Feind befohlen.«

Grübelnd griff er sich an den Kopf.

»Ich erinnere mich daran, dass Karmal starb. Den Rest von Surkans Bericht kann ich weder bestätigen noch widerlegen.«

Roshmans Blick verweilte prüfend auf ihm. Der Tempelvorsteher war dafür bekannt, gerechte Urteile zu fällen. Er neigte seinen Kopf zu Manjala, beriet sich leise mir ihr. Dann wandte er sich dem Ingerimmgeweihten zu und wechselte auch mit dem Diener des Feuerherren ein paar Worte.

»Surkan, der Diener der Löwin, hat uns glaubhaft berichtet, was geschah. Ghorio, ebenfalls Diener der Löwin, hat dem Bericht nicht widersprechen können. Stimmt Surkans Aussage, so hat sich Ghorio schlimmer Verfehlungen schuldig gemacht. ZweiZhâdsalimwären dann unter seinem Befehl einen sinnlosen Tod gestorben.«

Roshman hielt inne, für Ghorios Geduld beinahe zu lang. Dann erhob sich der alte Mann und trat aus dem Schatten des Feuersturmtempels hinaus auf den Platz in das Licht der Sonne.

»Es mag aber auch sein, dass man im Getümmel eines Kampfes Dinge sieht, die nicht so geschehen sind. Vielleicht hat der Schmerz über den Verlust seinesZhâdsaldas Gedächtnis Ghorios getrübt. Möglicherweise ist Surkans Blick durch die Heftigkeit der Schlacht verklärt.«

Surkan wollte protestieren, doch Roshman zwang ihn mit einer Handbewegung zur Ruhe. Der Alte machte eine kurze Pause, wandte sein Gesicht der Sonne, dem Sinnbild des Herrn Praios, zu, als ob er sich für das nun unweigerlich folgende Urteil sammeln müsste.

»Ghorio aus Dorgulawend, im Namen des Feuersturmtempels, unserer Herrin Rondra und unseres Herren Ingerimm, hiermit verbanne ich dich!«

In Ghorios Ohren rauschte das Blut.

»Deines Amtes für die Göttin seist du enthoben. Du wirst ins ferne Land am Fluss Born reisen und dort dem Heiligen Orden der Herrin Rondra vom Theater in Arivor dienen. Zwölf Jahre mag deine Verbannung dauern. Ist die Göttin dir hold, dann magst du nach dieser Zeit der Buße nach Khunchom zurückkehren und wieder in den Dienst der Löwin treten.«

Ghorio fröstelte. Bis eben noch hatte die heiße Mittagssonne ihn zum Schwitzen gebracht, doch nun spürte er seine Finger vor Kälte kaum. Zwölf Jahre verbannt? Ein Aufschrei unterbrach seine Gedanken.

»Neeeiiiin! Tötet Ihn!«, klang die Stimme einer Frau schrill über den Platz.

Schweigend wichen die Menschen zurück als Maryam auf das Tribunal zuhielt, das Gesicht vor Schmerz verzerrt. Ghorios Augen füllten sich mit Tränen, er spürte wie sein Kinn bebte. Maryam, seine geliebte Gefährtin, die Freude seines Herzens. Was war geschehen, dass er in den letzten Tagen in jener feuchten Zelle nicht einmal an sie gedacht hatte?

»Tötet ihn«, schrie sie erneut mit überschlagener Stimme.

Maryam, die Wunderschöne, die Frau an seiner Seite. Karmals Schwester.

Ghorio sank auf die Knie.

»Verzeih«, flüsterte er, wohl wissend, dass sie ihn nicht hören konnte. Wie ein gnadenloses Sommergewitter kam sie über ihn, trat und prügelte auf ihn ein. Ghorio nahm die Schläge hin. Still rannen Tränen über seine Wangen, bis die Schläge jäh endeten. Jemand griff ihm unter die Arme und zerrte ihn hoch. Schwankend blieb er stehen.

Mit tränenverschleierten Augen sah er, wie Maryam in Surkans Armen lag und er ihr beruhigend über den Rücken strich.

Ungerührt und ohne ein Wort über das entwürdigende Spektakel zu verlieren, fuhr Roshman fort.

»Surkan, auch du hast gefehlt. Auch wenn Ghorio die Unternehmung führte, so war es doch deine Pflicht, ihn in allen Dingen zu beraten und zu unterstützen. Ich mag nicht glauben, dass Ghorio entgegen deines Rates, einen solchen Befehl gegeben hat. Er ist ein guter Kämpfer, besser als die meisten von uns hier. Er ist nicht töricht und du bist es ebenso wenig.«

Ghorio sah, dass Surkan von diesem Urteil überrascht war. Er ließ Maryam los, die kraftlos zu seinen Füßen darnieder sank und starrte Roshman wütend an.

»Darum wirst du Ghorio ins Bornland begleiten. Dies ist keine Verbannung, auch wirst du nicht Deines Amtes enthoben. Du wirst für mindestens 12 Monde dort bleiben.«

Ghorio sah erstaunt, dass Surkan die Fäuste ballte.

»Im Namen unserer Herrin Rondra und des Herrn Praios ist dies mein Urteil!«

Roshman wandte sich auf dem Absatz um und ging gemessenen Schrittes zurück in den Tempel. Ghorio spürte wie Hände nach ihm griffen, ihn irgendwohin zerrten. Maryam lag noch immer zusammengesunken zu Surkans Füßen, der ihm mit hasserfüllten Blicken nachsah.

Kapitel 3

Khunchom, 291 BF

Irgendwas ist damals mächtig in die Hose gegangen. Wie damals bei Drôl,als wir nur noch Zaumzeug zu fressen hatten.

—gehört an einem Lagerfeuer nahe Brig-Lo

»Ich hatte gehofft, du würdest mein Nachfolger werden.«

Als Ghorio die Stimme hörte, fuhr er erschrocken auf, wischte sich die Tränen aus den Augen. Roshman sollte seine Schwäche nicht sehen.

»Ich bin alt und kann den Tempel nicht mehr lange im Sinne der Göttin führen. Und nun sind all meine Hoffnungen zerstört.« Ghorio hatte Roshman noch nie so verzweifelt gehört. Roshman mochte alt sein und sein Waffenarm gehörte schon lange nicht mehr zu den kräftigsten im Khunchomer Tempel. Doch das war auch nie, was ihn ausgemacht hatte.

Ghorio erhob sich langsam von seiner Pritsche und drehte sich zur vergitterten Tür seiner Zelle um. Roshman war nicht zu sehen. Ghorio konnte nur einen Schatten erkennen, der im Licht der Fackeln flackerte.

»Es tut mir leid.«, flüsterte Ghorio.

»Nein«, die Stimme des Alten war wieder laut und stark.

»Du magst verbannt sein, weil du einen Fehler gemacht hast. Aber du bist noch immer einer von uns, und stehst in Diensten der Göttin. Die Menschen mögen nicht mehr zu dir aufschauen, nun da du gestrauchelt bist. Aber das gibt dir nicht das Recht dich gehen zu lassen! Zwölf Götterläufe, Ghorio. Zwölf! Ich werde nicht mehr da sein, um mich an deiner Rückkehr zu erfreuen, mein Junge. Aber andere werden hier sein. Man wird sich deiner Geschichte erinnern. Und wenn du dich in diesen zwölf Götterläufen im Sinne der Göttin verhalten hast, die Zeit der Buße erfolgreich hinter dir gelassen hast, dann wirst du ein größerer Mensch sein als vorher.«

Ghorio starrte zu Boden. Er konnte Roshmans Worten kaum folgen. Er würde nicht mehr da sein, hatte er gesagt. Hielt das Leben für Ghorio denn nichts anderes bereit als Schmerz und Verlust? Nicht nur Karmal hatte er verloren. Auch Maryam war nicht mehr die Seine. Surkan schien er schon vor langer Zeit unbemerkt verloren zu haben und nun würde er auch Roshman nie wiedersehen. Wenn er aus seiner Verbannung zurückkehren sollte, wäre niemand mehr da.

»Ghorio«, Roshmans Stimme war nun wieder leiser.

»Du musst mir etwas versprechen.«

Ghorio schüttelte den Kopf und schluckte. Er war froh, dass Roshman ihnen beiden die Schmach erspart hatte, sich in dieser Situation in die Augen sehen zu müssen.

Ghorio zögerte.

»Versprich mir, Ghorio aus Dorgulawend, dass du deine Verbannung mit Fassung und Ehre tragen und danach zurückkehren wirst.«

Ghorios Blick verschwamm hinter Tränen.

»Versprich es nicht Rondra, oder den Zwölfen, sondern nur mir.«

»Roshman«, Ghorio hatte den alten Mann noch nie ohne seinen Titel angeredet. Aber er fühlte, dass eine weniger vertrauliche Anrede Roshman beleidigt hätte. »Ich weiß nicht ...«

»Versprich es«, die befehlsgewohnte Stimme des Khunchomer Tempelvorstehers klang leise und bittend wie Ghorio es noch nie erlebt hatte.

»Ich verspreche es«, flüsterte er tonlos.

Ghorio meinte, ein leises Aufatmen gehört zu haben, aber der alte Mann schwieg.

Irgendwann, Augenblicke oder Ewigkeiten später, hörte Ghorio, wie sich jemand entfernte. Es waren nicht die kräftigen Schritte eines Anführers. Es waren die müden und kraftlosen Schritte eines alten Mannes.

Kapitel 4

Auf dem Perlenmeer gen Norden, 291 BF

Verbannt wurde der Heilige Ghorio. Über Swafnirs Weiten brachte man ihn ins Land des Born.

—thorwalsche Inschrift an einem Langhaus in Olport

Ächzend setzte Ghorio sich auf und stemmte die Hände in den Rücken. Das ewige Knien und das Geputze auf dem Deck derYasamilwar erniedrigend. Es schien als hätte nicht nur Kapitän Olscheff stets einen Blick für die schlimmsten der niederen Aufgaben an Bord eines Schiffes, sondern zudem hatte auch die Besatzung einen riesigen Spaß dabei, ihm diese Aufgaben noch zu erschweren. Schrubbte er das Deck, trat ihm mit Sicherheit jemandzufälliggegen den Putzeimer, sodass er ihn neu füllen musste. Seinen hölzernen Essnapf hatte er mehr als einmal besudelt vorgefunden und seine Hängematte hatte nur wenige Tage überlebt, dann war sie dank etlicher neuer Löcher endgültig gerissen.

Doch das alles traf Ghorio nicht. Bis auf wenige Ausnahmen, waren die Matrosen einfältige Gesellen, die entweder taten, was ihnen jemand aufgetragen hatte, oder sie waren Typen, die einfach Freude am Leid anderer hatten. Auch die schlechte Behandlung durch den Kapitän störte ihn kaum. Ghorio wusste, dass Roshman dem Mann sicher nicht aufgetragen hatte, ihn auf der Reise ins ferne Bornland derart schlecht zu behandeln.

Nein, was Ghorio traf und was wohl die Ursache seiner Behandlung hier war, war das Verhalten Surkans.

Tagelang hatte Ghorio ihn nicht gesehen. Er hatte nicht einmal geahnt, dass Surkan auf demselben alten Seelenverkäufer ins Bornland reisen musste wie er selbst. Als er ihn dann später hin und wieder auf Deck erblickt hatte, ging dieser ihm aus dem Weg. Auch wenn das Schiff nicht groß war, gelang Surkan dies, schließlich hatte er eine eigene Kabine.

Ghorio verstand noch immer nicht, was vorgefallen war. Die Geschichte die Surkan vor dem Tribunal erzählt hatte, konnte unmöglich wahr sein. Zuviel passte nicht zusammen. Es schien fast, als hätte der Freund gelogen, um ihn vors Tribunal zu bringen. Ghorio hielt inne. Freund? Wie konnte er Surkan noch als einen Freund betrachten?

Sie waren wie Brüder gewesen, seit sie zur gleichen Zeit in den Tempel eingetreten waren. Mehr als einmal hatte man sie sogar für Zwillinge gehalten, so ähnlich waren sie sich. Obwohl Surkan aus einer guten Khunchomer Familie stammte und Ghorio nur ein Findelkind vom Lande war, verstanden sie sich doch. Vieles hatten sie zusammen erlebt, zahlreiche Kämpfe gewonnen, nur wenige verloren. Doch nun hatte ihn Surkan, sein Bruder, sein Freund, verraten.

Ghorio spürte Wut aufsteigen. Dieses Mal schlug er selbst nach dem Putzeimer und fegte ihn mit Schwung über das Deck. Ein Schmerzensschrei verriet ihm, dass der Eimer jemanden getroffen hatte. Ghorio hörte wütende Schritte von hinten und erhob sich langsam. Er drehte sich nicht um, denn bislang hatte noch niemand gewagt, ihn anzugreifen. Zu klar schien den Feiglingen wohl seine körperliche Überlegenheit.

Als er sich langsam umdrehte, traf der Eimer ihn an der Schulter. Überrascht stolperte Ghorio einen Schritt zur Seite. Vor ihm stand der Steuermann derYasamil. Seine schmutzige Joppe troff auf der rechten Seite vor dreckigem Wasser, wo ihn der Eimer getroffen hatte.

»Du stinkendes Schwein hast meine ....«, brüllte der Mann. Speichel sprühte von seinen fleischigen Lippen und traf Ghorio.

Langsam wischte sich Ghorio übers Gesicht und starrte den Kerl stumm an. Er wusste, dass allein sein Blick Männer zum Schweigen bringen konnte. Doch offenbar hatte sich der Kerl in seine Wut hineingesteigert. Er hielt nur kurz inne und griff dann zu der kurzen Peitsche, die er an seinem Gürtel trug. Als Steuermann durfte er die Leute auspeitschen, wenn dem Kapitän danach war, jemanden zu bestrafen.

Ghorio kniff die Augen zusammen und bog den Oberkörper schnell zur Seite, sodass der erste, schlecht gezielte Schlag an ihm vorbeiging. Wütend brüllte der Mann auf und schlug diesmal waagerecht. Ghorio griff mit dem linken Arm nach dem schlagenden Leder. Der Schmerz traf ihn, zuckte wie ein Blitz den Arm hinauf und dann weiter in sein Herz. Er spürte die Wut. Jedoch keine heiße, ungestüm wilde Wut. Nein, er war völlig Herr seiner Sinne. Die schienen schärfer als vorher, sogar die Zeit schien langsamer zu verrinnen. Er umgriff den ledernen Riemen und wickelte ihn mit einer schnellen Drehung um seinen Unterarm, von dem einzelne Tropfen Blut aufs Deck tropften. Fasziniert folgte ein Teil seines Bewusstseins der roten Spur. Er sah wie sich das Rot in dicken Tropfen von der dreckverschmierten Haut seines Armes löste, fiel und schließlich auf den Deckplanken zerplatzte. Zudem zog er den Steuermann mit einem Ruck zu sich. Der Mann war so von der plötzlichen Gegenwehr überrascht, dass er ihm entgegenstolperte und die Peitsche losließ. Ghorio empfing sein Gesicht mit einem Faustschlag. Zufrieden hörte er, wie die Nase des Steuermanns vernehmlich knackte. Noch bevor der Mann vor Schmerzen zu schreien anfing, hatte Ghorio das Leder der Peitsche um seinen Hals geschwungen und zog mit einem Ruck zu. Der Kerl strampelte, schlug wild mit den Armen um sich. Zufrieden sah Ghorio, dass der Rest der Mannschaft erstarrt war. Er hatte schon oft erlebt, wie Angst einen Gegner gelähmt hatte. Obwohl sie ihm mehrfach überlegen waren, wagten sie nicht, ihn zu überwältigen. Nur noch einige Augenblicke und der Steuermann würde seine Reise in die nächste Welt antreten. Plötzlich spürte Ghorio etwas an seinem Hals. Er brauchte nicht hinzusehen, da er fühlte, dass die scharfe Spitze eines Schwertes seinen Hals berührte. Langsam ließ er den ledernen Riemen los. Der Steuermann sackte vor ihm zu Boden und blieb röchelnd liegen.

Eilige Schritte hallten auf den hölzernen Planken. Kapitän Olscheff blieb stehen und Ghorio sah seinem Gesicht an, dass er weder mit einer solchen Situation gerechnet hatte, noch wusste, wie er mit ihr umgehen sollte. Fragend starrte er an Ghorio vorbei. Dann nickte er entschlossen.

»Was schaut ihr Ratten so blöd?«, herrschte er seine Matrosen an.

Zögernd trollten sich die Männer. Ächzend stand der Steuermann auf. Sein Kopf war hochrot, die Adern an den Schläfen pochten unregelmäßig. Ghorio kannte die Art von Wut, die in den Augen des Steuermanns glomm. Doch das wenige an Verstand, was der Mann besaß, behielt die Oberhand.

Dann glitt der Blick an ihm vorbei, vermutlich zu Surkan. Wer sonst würde es auf diesem Schiff wagen, ihm eine Waffe an den Hals zu halten?

Ghorio konnte nicht sehen, was Surkan tat, doch das Gesicht des Steuermanns verzog sich zu einem höhnischen Grinsen. Langsam trat er näher, bis Ghorio den stinkenden Atem des Mannes riechen konnte. Dann schlug der Kerl zu. Ghorio duckte sich zur Seite, um aus der Reichweite von Surkans Schwert zu kommen. Der Steuermann stolperte, als Ghorio so unerwartet nachgab, riss ihn mit sich und landete bäuchlings auf ihm. Wütend grapschte er nach Ghorios Gesicht, erwischte aber nur die langen schwarzen Haare. Ghorio schrie leise auf, als der Kerl kräftig zog, und spürte plötzlich wieder Surkans Klinge im Nacken.

»Aufstehen!«, befahl dieser.

Der Steuermann erhob sich keuchend und wollte wieder auf Ghorio losgehen. Surkan gebot ihm Einhalt.

»Nun, mein Freund,« Surkan trat neben ihn und betrachtete ihn kalt, »Wenn Roshman zu alt und zu weich ist, ein gerechtes Urteil über dich zu fällen, so werde ich das wohl für ihn übernehmen müssen.«

Der Steuermann hatte sich inzwischen beruhigt und schaute dumpf zwischen beiden hin und her.

»Der gute Kapitän Olscheff hat lediglich die Anweisung erhalten, uns beide nach Festum zu bringen. Wer du bist, hat man ihm nicht gesagt. Bis jetzt warst du ein gutes Geschäft für ihn. Deine Überfahrt wurde bezahlt, und trotzdem schuftest du hier.«

Ghorio kannte Surkan gut genug, um dessen Gedanken weiter zu folgen. Er nickte langsam. »Und jetzt hast du ihm einen Grund geliefert, mich loszuwerden.«

Surkan grinste kalt, »Den Grund hast du selbst geliefert.Du hast seinen Steuermann angegriffen.«

Der Genannte brauchte einen Moment um zu begreifen, dass er gemeint war. Dann nickte er heftig.

»Ja, er hat mich gewürgt ...«

»Halts Maul!«, fiel ihm Surkan ins Wort, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen.

»Ein Angriff auf einen Offizier ist keine Kleinigkeit. Man wird tun, was ich sage. Und mein Urteil wird nicht so halbherzig sein wie das Roshmans.«

»Was habe ich dir getan?« Ghorio verstand langsam was Surkan hier plante. Aber warum er das tat blieb ihm immer noch im Nebel. Surkan hatte wohl vor dem Tribunal gelogen, um ihn tot zu sehen. Aber warum? Sie waren Freunde gewesen, hatten einander Bruder genannt. Zusammen mit Maryam hatten sie das Khunchomer Nachtleben genossen. Maryam. Sein Herz klopfte... Er erinnerte sich an das Tribunal, als Maryam Trost bei Surkan suchte.

»Maryam«, flüsterte er. Surkans Blick wurde hart. Noch bevor Ghorio sich wieder gefasst hatte, holte Surkan aus und traf ihn mit dem Schwertknauf am Kopf.

Kapitel 5

Nördliches Perlenmeer, 291 BF

»Geschwister? Nein! Der Heilige war ein Findelkind.«

»Aber dann kann er doch trotzdem Geschwister gehabt haben!«

»Und du bist der Nachkomme seiner unbekannten Schwester, oder was?«

—gehört an einem Lagerfeuer nahe Wehrheim

Luft. Ghorio riss die Augen auf. Blaue Dunkelheit. Irgendwo war ein leises Leuchten. War es über ihm? Unter ihm? Wo war oben? Wo war Luft?

Schleichend begriff er, dass er unter Wasser war. Instinktiv schwamm er auf das einzige Licht zu, dass er sah. Er schluckte Wasser, das Salz brannte in seiner Kehle. Endlose Zeit später durchbrach er keuchend die Oberfläche des Meeres. Ziellos schlug er um sich, um über Wasser zu bleiben. Doch seine Kraft schwand, die Atemnot hatte ihn geschwächt, und ohnehin war er kein guter Schwimmer. Hilflos sank er mit schwächer werdenden Schlägen wieder tiefer.

Den Kopf weit in den Nacken gedreht, hefteten sich seine Augen auf Mada, die als einziges am Himmel stand und wie unbeteiligt auf ihn herabblickte. Mit letzter Kraft kam er wieder an die Oberfläche, rang keuchend nach Luft.

Neben Mada sah er nun auch Sterne über sich. Immer mehr sah er am Himmel. Gab es tatsächlich so viele dort oben? Ein Schatten bewegte sich am Himmel, verschlang die Sterne. Oder war es eine Welle gewesen, die über sein Gesicht geschwappt war? Für einen Moment spürte Ghorio keine Atemnot. Der Schatten verschlang seine gesamte Aufmerksamkeit. Der Schatten verschlang alles. Ghorio schien es, als würde er völlig einsam im Dunkeln liegen. Niemand war da. Nur das leise Plätschern der Wellen. Doch da war auch mehr. Da war eine Präsenz. Ein Flüstern an seinem Ohr, so leise, dass er es nicht verstehen konnte. Und doch wusste er was es wollte. Es versprach zügellosen Kampf. Ghorio war plötzlich kalt. Selbst als Geweihter hatte er die Anwesenheit der Göttin nie recht gespürt. Wo seine Brüder und Schwestern im Glauben klar das Wirken der Göttlichen sahen, hatte er meist nur Leere in seinem Herzen gespürt.

Doch hier und jetzt, wo auch immer er gerade war, spürte er das Wirken von etwas Mächtigem, wovor man ihn als jungen Novizen gewarnt hatte. Etwas, dass er nie ernst genommen hatte. Etwas ...

Ghorio spürte die Verlockung. Für einen äonenlangen Augenblick war er mächtiger als je zuvor. Er stand auf einem Schlachtfeld, das sich unendlich weit in alle Richtungen erstreckte. Horden von Gegnern liefen auf ihn zu, griffen ihn an, und doch tötete er sie alle. Ihre Waffen prallten an seiner nackten Haut ab, während seine Rechte, die mit einem mächtigen, blutroten Schwert verschmolzen war, im Takt seines Herzschlages pulsierte und die Leiber seiner Gegner mühelos zerfetzte. Ghorio spürte wie die Macht ihn berauschte. Er trank das Blut seiner Gegner und seine Macht wurde größer. Nichts konnte Ihm Einhalt gebieten.

Außer ...

Wie ein Blitzschlag durchfuhr ihn die Erkenntnis. Diese Macht zu bekommen, verlangte eine Gegenleistung. Eine Gegenleistung, die größer nicht sein konnte. Doch er war nicht bereit, sich in ihr zu verlieren, den ultimativen Preis zu zahlen, und stemmte sich verzweifelt und mit aller ihm verbliebenen Kraft gegen den Sog der Macht. Er wusste, dass er sterben würde, wenn er ablehnte.

Auf einmal waren da wieder die Sterne über ihm. Das Gefühl der Macht verblasste und Ghorio spürte ihr Fehlen schmerzlich. Er wollte das Gefühl der Unbesiegbarkeit zurück, wollte die ganze Macht dessen spüren, was ihn berührt hatte.

Schmerz und Atemnot holten seinen Geist wieder ins Jetzt zurück. Keuchend sog sein Mund Luft ein. Der Druck auf seinem Brustkorb war verschwunden. Noch immer war es dunkel um ihn. Noch immer stand Mada am Himmel und schaute ihm beim Ertrinken zu.

Ghorio spürte, wie die Kälte des Wassers seine Glieder lähmte. Er wusste, dass seine Kraft nicht reichen würde, ihn über Wasser zu halten. Er würde im Perlenmeer versinken. Niemand würde sich an ihn erinnern. Der Gedanke gefiel ihm nicht, dass er hier in Vergessenheit versinken sollte. Doch die kalte Schwere, die seinen Körper erfasst hatte, machte ihn müde. So müde ...

Kapitel 6

Nördliches Perlenmeer, 291 BF

Er war der Vater der Zerstörung, kein Heiliger! Ein Wahnsinniger, der den heiligen Glauben unserer Mutter Rondra mit Füßen getreten hat. Die ewige Verdammnis ist ihm sicher.

—Gehört im Rondratempel von Fasar

Ghorio wollte seine Augen öffnen, doch sie waren wie zugeklebt. Durch die Augenlider glomm es rötlich. Er versuchte, seine Rechte zum Gesicht zu heben, doch nur mit Mühe gelang ihm dies.

»Ruhig, du bist erschöpft«, hörte er eine leise Stimme neben seinem Ohr. Ghorio registrierte, dass sie nicht seine Sprache sprach, sondern den harten Zungenschlag der Bosparanier. Roshman hatte immer darauf bestanden, dass die Tempelschule auch die Sprache des alten Bosparans lehrte. Nun war Ghorio zum ersten Mal froh darüber.

»Was…?«, hörte er eine krächzende Stimme. Der Geruch des Meeres schwappte in seine Nase, er schmeckte das Salz auf seinen rissigen Lippen. Erst dann begriff Ghorio, dass es seine eigene Stimme gewesen war. Bei Rondra, was war geschehen? Er versuchte, sich zu erinnern. Da war die Fahrt auf derYasamilund der Streit mit dem Steuermann, Surkan ...

Die Erkenntnis, dass Surkan ihn über Bord hatte werfen lassen, traf ihn und zerstörte den letzten Rest an Zuneigung für seinen Freund. Doch etwas anderes drängte sich in sein Bewusstsein. Nur vage erinnerte er sich daran, im Meer getrieben zu sein. Und er erinnerte sich, was ihm dort begegnet war. Ghorio war sich nicht sicher. Furchtbar war es gewesen in seiner Macht, und doch zugleich verführerisch. Faszinierend und über alle Maßen begehrenswert.

Ghorio keuchte. Plötzlich war da wieder die Erkenntnis, dass er in der Weite des Meeres die Aufmerksamkeit von etwas erregt hatte, das nicht in diese Sphäre gehörte. Und obwohl er das unvergleichliche Angebot abgelehnt hatte, lebte er noch.

»Du wärst da draußen fast gestorben«, hörte er die leise Stimme an seinem Ohr wieder.

»Was … ist … geschehen?«, es bereitete Ghorio Mühe, den Satz über die Lippen zu bringen, so als habe er seit Wochen seine Stimme nicht benutzt.

»Wir haben dich draußen auf dem Meer gefunden. Du triebst auf dem Wasser.«

»Wer bist du?«

Die Stimme blieb stumm. Ghorio wollte seine Frage gerade wiederholen, als sie leise antwortete.

»Antione, man nennt mich Antione.«

Ghorio nickte langsam. Er spürte die Erschöpfung. Der Schlaf drohte, ihn zu übermannen. Aber trotz seiner verbundenen Augen fühlte er sich sicher.

Am nächsten Morgen konnte Ghorio die Augen wieder öffnen. Ächzend setzte er sich auf. Der Geruch des Meeres, den er gestern – war es gestern gewesen? – gerochen hatte. Wie lange hatte er geschlafen? Er schaute sich um. Scheinbar hatte er in einer Fischerhütte geruht. Neben der Nische, in der er noch saß, gab es ein weiteres Bett. Ein Tisch, drei Stühle und einige grobe Kisten vervollständigten die Einrichtung. In der Feuerstelle flackerte ein kleines Feuer, in einem Kessel darüber köchelte etwas. Von der Decke hingen getrocknete oder geräucherte Fische. Es roch nach Salzwasser und Armut.

Ghorio kletterte aus seiner Schlafnische und musste sich prompt festhalten. Er spürte, wie sich die Welt um ihn drehte und seinen Beinen die Kraft ausging. Mühsam hielt er sich fest, schloss die Augen und versuchte bei Bewusstsein zu bleiben.

Die Tür der Hütte öffnete sich, und die plötzliche Helligkeit blendete Ghorio. Er riss eine Hand vors Gesicht, verlor das Gleichgewicht und schlug hart auf den Boden auf.

Ein Schwall kaltes Wasser brachte ihn wieder zu Besinnung. Als er langsam zu sich kam, sah er über sich das Gesicht einer jungen Frau. Dunkle Haare umrahmten ihr Gesicht, das eigentlich ganz hübsch war, wäre da nicht der ernste Ausdruck gewesen.

»Du solltest vorsichtiger sein.«

Sie griff ihm unter die Arme und zog ihn hoch. Wieder drehte sich die Welt kurz, doch gelang es Ghorio, bei Bewusstsein zu bleiben. Es mochte an der Anwesenheit Antiones liegen, vor der er sich keine Blöße geben mochte.

»Danke«, begann er, weil ihm gerade nichts Besseres einfiel. Es war nicht selbstverständlich, dass man einen fremden Mann aus dem Meer zog. Erst recht nicht, wenn man in derart ärmlichen Verhältnissen lebte und jeder unnütze Esser eine Belastung war.

Antione sah ihn prüfend an, dann hellte sich ihr Gesicht für einen Augenblick auf. Sie nickte kurz. Und Ghorio erkannte, dass sie jünger war als er selbst. Doch das Leben als Fischerin hatte ihr bereits harte Linien ins Gesicht gegraben. Ihre Kleider waren ärmlich, graues Leinen, an einigen Stellen bereits geflickt. Ghorio schaute an sich hinunter. Er sah kaum besser aus. Seine einst weißen Kleider waren grau, schmutzig und an vielen Stellen aufgerissen.

»Wo sind wir?«, fragte Ghorio, um den peinlichen Moment zu überspielen.

Antione nickte mit dem Kopf in Richtung Tür und ging dann hinaus. Ghorio folgte ihr mit zusammengekniffenen Augen. Schnell gewöhnten sich seine Augen an das Licht. Was er für strahlende Helligkeit gehalten hatte, war die tiefstehende Sonne. Weder an Helligkeit noch an Wärme konnte es diese Gegend mit seiner Heimat aufnehmen.

Antiones Hütte lag nur wenige Schritte vom Meer entfernt. Am Strand lagen etliche fremd aussehende Fischerboote, die aufs Ufer gezogen und dort vertäut waren. Netze waren an langen Gestängen am Strand aufgehängt. Einige Fischer saßen herum und flickten ihre Netze. Ghorios Blick zog über das Meer. Er verspürte Sehnsucht nach seiner Heimat, nach Khunchom und dem Tempel. Nach Maryam und dem Leben, dass sie vor jenem verhängnisvollen Tag geführt hatten. Er sah zu Antione herüber, die neben ihm stand, und ihn mit nichtssagendem Gesicht musterte. Sie deutete schräg hinter sich. Ghorio folgte ihrem Fingerzeig dorthin, wo sich die großen, dunklen Mauern einer Stadt erhoben. Gerade und schmucklos war die Wand aus Stein, selbst das Tor, durch das etliche Menschen in die Stadt strömten, war eher schlicht und zweckmäßig als schön.

Trotz der Hässlichkeit der Stadtmauer war Ghorio fasziniert. Nie zuvor hatte er Khunchom für mehr als einige Wochen verlassen. Noch nie war er in eine Gegend gekommen, die so anders aussah, als jene Stadt, die seine Heimat war.

Er fröstelte.

Antione ging an ihm vorbei in die Hütte und kam kurz darauf mit einem Umhang heraus, den sie ihm über die Schultern legte. Dankbar zog er das streng nach Fisch und Salz riechende Stück Stoff um sich.

»Das ist Festum«, beantwortete sie endlich seine Frage.

Ghorios Augenbrauen gingen in die Höhe. Was spielten die Götter für ein merkwürdiges Spiel mit ihm? Er wurde ans andere Ende der Welt verbannt, ins Meer geworfen und wurde dann ausgerechnet in dem ihm zugedachten Exil an Land gespült?

»Festum«, wiederholte er laut.

Für einen Moment spürte Ghorio die Verlockung, nicht in die Stadt zu gehen. Surkan hatte ihn ins Meer geworfen und hielt ihn sicher für tot. Niemand würde ihn je suchen oder vermissen. Er könnte sich irgendwo auf Dere eine neue Heimat suchen, wo er in Ruhe leben könnte.

Nein! Er zwang sich, diese Gedanken zu verdrängen. Zwar spürte er, dass diese Verlockung nur aus seinen eigenen Wünschen geboren war und keiner unheiligen Macht entstammte, aber sie widersprach seinem Ehrgefühl. Er hatte gefehlt und musste nun mit der Strafe leben.

»Ich danke dir, Antione.« Er verneigte sich und war sich doch sofort bewusst, wie unpassend seine Geste war. »Ich habe momentan leider nichts bei mir, mit dem ich dich für deine Hilfe und Mühen entlohnen könnte. Aber ich denke, ich werde in Festum schnell etwas bekommen.«

Antione runzelte die Stirn, »Hast du Freunde in der Stadt?«

Ghorio zögerte, dann schüttelte er den Kopf. »Ich weiss nicht, ob ich hier Freunde finden werde. Aber ich muss trotzdem in die Stadt. Kannst du mir zeigen, wo die Ritter vom Theaterorden ihren Stützpunkt haben?«

Das Gesicht der jungen Frau verzog sich unwillig.

»Frag am Tor, man wird dir den Weg weisen.« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehte sie sich um und ging zum Strand hinunter.

Ghorio überlegte kurz, ob er ihr folgen sollte, entschied sich aber dagegen. Auch wenn dies ein anderes Land war, würde er hier Frauen ebenso wenig verstehen lernen wie zu Hause.

Kapitel 7

Festum, 291 BF

Als Fremder kam er ins Land des Born. Lange schwarze Haare hatte er, dunkle Haut. Seine Stimme war weich und melodisch. Er war der Göttin ein Wohlgefallen.

—Aufzeichnungen des Rahjageweihten Boril Daginen aus Vallusa, um 730BF

»Name? Woher? Wohin?«

Der Blick der Torwächterin war gelangweilt, doch Ghorio sah, dass die Frau durchaus wachsam war. Dazu die Rüstung, das Schwert in der Hand und im Hintergrund ein kleiner Trupp wartender Wachen. All das sprach dafür, dass die Bewachung des Tores nicht der langweilige Posten war, für den man ihn auf den ersten Blick halten konnte.

»Ghorio aus Dorgulawend«, begann er mit der Antwort auf die ersten beiden der drei Fragen.

Die Frau musterte ihn kurz, dann wanderte der Blick wieder über die Wartenden.

»Und wohin?«, wiederholte sie.

Was sollte er sagen? Roshman hatte ihn verbannt, den Theaterrittern zu dienen. Aber wohin genau er sich wenden sollte, wusste er nicht. Sicher hatte Surkan ein Begleitschreiben dabei gehabt.

»Ich will zum Anführer der Theaterritter«, sagte er kurz entschlossen.

Sofort hatte er die volle Aufmerksamkeit der Wächterin, die ihn noch einmal von oben bis unten musterte.

»Zum Anführer? Soso!«, wiederholte sie, während sie mit der linken Hand nach hinten winkte. Ghorio sah, dass sich zwei der wartenden Wachen auf den Weg zu ihm machten. Er spürte, wie sich die Haare an seinen Armen aufstellten. Offensichtlich fragte man hier nicht so einfach nach dem Anführer der Theaterritter. Allerdings wusste Ghorio bei Rondra nicht, was an seiner Frage falsch gewesen war. Die Feinheiten der Sprache dieses Landstriches waren ihm fremd. Hatte er irgendein Wort verkehrt, vielleicht sogar beleidigend ausgesprochen?

Er musste sich schnell entscheiden. Wollte er seine Verbannung antreten, dann musste er in die Stadt. »Ich bin vom Khunchomer Tempel unserer Herrin Rondra geschickt worden«, versuchte er, seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen.

Die Torwächterin kniff die Augen zusammen und beäugte seine dreckigen Kleider. »Vom Rondratempel also.«

»Macht er Ärger?«, fragte einer der beiden Hinzugekommenen.

Ghorio spürte, wie sich seine Muskeln anspannten.

Die Wächterin schüttelte langsam den Kopf, »Er will zum Anführer der Theaterritter, sagt er.«

Die beiden Wachen lachten, »So sieht er auch aus.«

»Nehmt ihn mal mit. InsAudienzzimmer…«. Wieder lachten die Wachen.

Noch immer konnte Ghorio fliehen. Doch Flucht war keine Alternative, seine Ehre ließ das nicht zu.Er senkte leicht den Kopf, um nicht aggressiv zu wirken und trat zwischen die beiden Männer, um sich eskortieren zu lassen.

Die Straßen Festums wirkten abstoßend auf ihn. Die Häuser waren grau, die Straßen waren grau. Sogar der Himmel und selbst die Menschen wirkten farblos. Hier sollte er es zwölf Götterläufe lang aushalten?

Vor einem offensichtlich vornehmen Haus, es mochte eine Herberge sein, wenn Ghorio das über der Tür baumelnde Schild richtig deutete, kniete ein seltsames Wesen und schrubbte die Treppe.

Der Körper glich dem eines Kindes, aber die Arme waren viel zu lang. Das Wesen trug einen schmutzigen Umhang. Was dieser nicht verdeckte, sah aus als wäre es von struppigem, roten Pelz bedeckt. Es drehte sich zu den Ankommenden um und Ghorio erschrak. Das Gesicht wirkte unförmig, Zähne drangen aus dem geschlossenen Maul, die Augen waren blutunterlaufen. Bei den Niederhöllen, was war das? Eine der Wachen stieß Ghorio vorwärts.

»Noch nie nen Goblin gesehen?«, fragte der andere gelangweilt.

»Goplin?«, fragte Ghorio. »Was sind das für Wesen? Affen?«

Die Wachen lachten, als hätte Ghorio einen guten Scherz gemacht.

»Affen? Klar.«

»Wenn du ne Weile hierbleibst, dann wirst du die schon noch kennenlernen«, meinte der andere.

Dann stießen sie ihn weiter in Richtung eines großen Gebäudes, das sich vor ihnen erhob. Wie alles hier war es grau und grob gebaut. Ein leicht gerüsteter Posten grinste nur, als Ghorio an ihm vorbeigeführt wurde. Wie er befürchtet hatte, ging es in kein Audienzzimmer, sondern hinab in den Keller des Gebäudes. Immerhin war die Zelle in die sie ihn stießen nicht feucht. Sie war nur kalt.

Kapitel 8

Festum, 291 BF

Kämpfen konnte der, sag ich dir. Wie Rondras Blitz fuhr er unter seine Gegner! Genau so müssen wir das morgen auch machen.

—Erzählungen eines alten Kriegers am Vorabend der Schlacht der drei Kaiser, 1028 nach Bosparans Fall