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Beschreibung

Die Phasen des Mondes haben ihn in Verruf gebracht: Als ›Gegenstück‹ zur Sonne steht er für das Wechselhafte, Unbeständige und Vergängliche. Darüber hinaus wird er mit dem Unbewussten, mit Phantasie und Kreativität assoziiert – und hat deshalb seit jeher vor allem auf die Dichter und Melancholiker, auf die Sehnsüchtigen und Suchenden eine große Anziehungskraft ausgeübt. Die vorliegende Sammlung folgt dem Mondschein in all seinen Facetten und Wirkungen durch die Literaturgeschichte. Mit Texten von Matthias Claudius, Hans Christian Andersen, Christian Morgenstern und anderen.

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Du bist mein Mond

Geschichten und Gedichte

Herausgegeben von Tilman Spreckelsen

Anthologie

Fischer e-books

I.Glauben und Wissen

Hildegard von Bingen

Der Mond besteht aus Feuer und aus einer dünnen Luft; er steht in der Luft, hat einen Standort in ihr, und sie wird durch ihn gefestigt. Wenn er ganz abnimmt, verschwindet er unter der Sonne. Von ihr breitet sich eine Sphäre aus, die ihn zur Sonne zieht, wie der Achat Eisen an sich zieht. Sie zündet den Mond an, aber auch die übrigen Planeten und Sterne, die Luft und die übrigen Gestirne rings um den Mond strahlen ihn an und helfen

mit, ihn anzuzünden. Wenn er angezündet ist, nimmt er allmählich zu, bis er wieder voll ist, so wie auch ein Holzstoß oder ein Haus, in Brand gesetzt, erst allmählich zu brennen beginnt, bis es schließlich ganz in Flammen steht. Während der Mond zunimmt und voll wird, stärkt inzwischen die Sonne die oberen Bereiche des Firmaments und hört nie damit auf. Die Sonne bringt den Tag mit sich und hat ihn bei sich, weil das Firmament oben hell ist. Der Mond führt die Nacht herauf, weil die Erde dunkel ist. Wenn der Mond voll wird wie eine schwangere Frau, strahlt er sein Licht ab und gibt es an die Sterne weiter. So werden die Sterne heller.

Egidius Groland

Was man vom Mond fabelt

Nichts erhielt sich zäher im Mund der Leute als die uralten Fabeleien über die Einwirkungen des Mondes auf Wind und Wetter. Wissenschaftliche Forschungen mögen noch so gewissenhaft und überzeugend dargetan haben, daß die Änderung der Witterung nicht vom Vollmond abhängig sei, die verworrenen Behauptungen des Gegenteils finden immer wieder Verteidiger und Gläubige. Die Verbreiter solcher Geschichten wissen aber noch von ganz anderen Dingen zu erzählen als über den »selbstverständlichen« Einfluß des nächtlichen Glanzgestirns auf Wärme und Kälte oder Regen und Schnee.

Noch heute glaubt man daran, daß bestimmte Mondzeiten dem Keimen und Gedeihen der Saat oder dem Reifen der Gartengewächse und Feldfrüchte förderlich oder schädlich werden können. In tieferen Schichten des Volkes, wo uraltes Erbgut einstigen Wähnens und Wissens sich dauernd fortpflanzt, kann man noch weit wunderbareren Glauben in unbedingtem Ansehen finden. Geht man weiter in die Vergangenheit zurück, findet sich in alten Schriften der Glaube an alle nur erdenklichen Einflüsse des Mondes immer umfassender und zweifelloser ausgesprochen. Aber auch darüber geben solche Aufzeichnungen Aufschluß, daß es »nichts Neues über den Mond« zu erzählen gibt. Was man heute noch glaubt, vererbte sich aus vergangenen Jahrtausenden, in denen man die Gedanken zuerst aussprach.

Eine alte Melodie und ein paar Verszeilen bieten sich der Erinnerung:

»Ach, es kann ja nicht immer so bleiben

Hier unter dem wechselnden Mond …«

Was will das alte Verschen sagen? Bedeutet das »unter« etwas Besonderes? Es ist später Ausdruck einer Jahrtausende alten Weltauffassung. Die Menschen des alten Orients, die Griechen und Römer, nach ihnen die Araber und das ganze Mittelalter glaubten das »Weltall« durch die Bahn der Sonne in zwei Hälften, in »oben« und »unten« geteilt. Der Erde zunächst lief die Mondbahn und weit über ihr erst die der Sonne. Das Tagesgestirn blieb gleich in seiner Erscheinung, wenn auch seine Ausstrahlungen im Jahresumgang fühlbar genug wechselten. Am Mond nahm man wechselnde Gestalten wahr, und auch die Stellen, wo er ein Mal um das andere stand am Himmelsgewölbe, schwankten auffällig. Das regelmäßig sich wiederholende »Wachsen« und »Schwinden« des größten nächtlichen Gestirns nötigte dem frühesten Denken der Menschen die Vorstellung auf, daß auch seine Einflüsse wechselnder Art sein müßten.

Die ältesten Gedanken darüber entstanden in den Ländern des Orients mit ihrem glühenden subtropischen Klima, wo die Sonne verzehrend brennt und sengt und die kühle Nacht zur heißesten Zeit sehnsüchtig erwartet wird. In den langen regenlosen Monaten ist es der Nachttau, von dessen Stärke dort das Gedeihen der Pflanzenwelt mit abhängig ist. Noch in der südlichen gemäßigten Zone sind die Wirkungen des Nachttaues auf die Natur nicht zu übersehen. Glaubte man schon einmal an den mächtigen Einfluß der Gestirne auf alles Leben, so lag es nahe genug, den Mond, der in der Nacht heraufkam, für die Ursache des Tauens zu halten. Der Mond zog die feuchten Ausdünstungen der irdischen Gewässer – aber nur die »süßen«, nicht die salzigen des Meeres – an; von ihm kehrten sie als gereinigter Tau befruchtend auf die Erde zurück.

Den alten Völkern galt der Mond als weibliches Gestirn, als lebenschaffende weibliche Gottheit. Sie nannten es: »Mutterleib, der alles gebiert« und gaben ihm, ganz im Widerspruch zur »sinnfälligen silbernen weißen« Erscheinung, als symbolische Farbe das Grün der irdischen Vegetation. Uralte Worte sagen vom Mond: »Wenn dein Wort auf Erden sich niederläßt, entsteht das Grüne.« Oder: »Stall und Hürde machst du fest, breitest aus die Lebewesen.« Ein »weibliches, sanftes Gestirn« nennt Plinius die Göttin Luna. »Es sättigt die Erde im Tau, läßt die Körper durch sein Kommen aufschwellen und leert sie bei seinem Scheiden, wenn es wieder abnimmt.« Hier ist der Wechsel der Monderscheinungen deutlich als Ursache des Wandels in den irdischen Dingen ausgesprochen; die alte eilfertige Verwechslung von Ursache und Wirkung. Der Gedanke war so »einleuchtend« durch die wechselnden Monderscheinungen gegeben, daß es keinem Menschen einfiel, jemals genau zu beobachten, ob Tau in mondlosen Nächten nicht ebensowohl fiel, oder gar noch stärker, als wenn das Gestirn als Neumond, in späteren Vierteln oder als volle, runde Scheibe am Himmel erschien. Daß von dem Nachtgestirn keine Wärme ausging, darüber täuschte man sich schon in den ältesten Zeiten nicht und schrieb ihm die »Eigenschaften« der »Kälte« und »Feuchtigkeit« zu. Wie man sich aber die Eigenschaft eines Dinges dachte, so mußte auch seine Wirkung sein. Die Verwechslung einer mondhellen Nacht mit dem unbewölkten Himmel liegt so nah, daß der Irrtum noch heute begangen wird und dem Mondaberglauben sich als Stütze bietet.

In wolkenlosen Nächten vollzieht sich die Bildung des für regenarme Länder so wichtigen Taues; auch die vor allem in wärmeren Gegenden auffallend plötzliche, der Vegetation schädliche Abkühlung der unteren Luftschichten geschieht bei wolkenlosem Himmel. Das Vorurteil: der Mond mache kalt und feucht, ist daraus entstanden. Der Trugschluß, der Mond sei selbst kalt und feucht, ist nicht weniger abenteuerlich zu nennen.

Man fand Tiere, die kaltes Blut haben, und nahm darum besondere Mondeinwirkungen auf diese Geschöpfe an. Plinius schrieb im ersten Jahrhundert nach Christus: »Wenn der Mond zunimmt, wachsen die Wassermuscheln, und alle Wesen, die kein Blut oder kaltes haben, fühlen besonders die belebende Kraft dieses Gestirns. Mit seinem zunehmenden Lichte mehrt sich nicht nur das Blut der Menschen, so wie es durch sein Abnehmen sich verringert, sogar das Laub und die Futterkräuter spüren seinen alles durchdringenden Einfluß.«

Die Grundlagen aller weiteren, durch lange Jahrhunderte fortwirkenden Irrtümer liegen hier bloß. Einmal war es die Annahme: das gestaltwechselnde Gestirn müsse auch wechselnde Einwirkungen auf Temperatur, auf Lebewesen und die Pflanzenwelt haben; damit vermengte man die zweite ebenso unbegründete Idee: das Gestirn verursache Feuchtigkeit und Kälte. Man teilte die Gradstärken dieser Einwirkungen sogar nach den vier Vierteln seiner Erscheinung. Am schwächsten sollten sie zur Neumondzeit sein, ihre stärkste Macht aber im Vollmond erreichen.

Noch heute glaubt man, mit dem Vollmond ändere sich das Wetter; und auch dies, daß bis dahin stürmische und regnerische Perioden sich abschwächen oder mit dem »schwachen Neumond« sich wenigstens mildern müßten. Das ist die letzte Nachwirkung uralter falscher Vorstellungen, wonach einst die Grenze des Wandelbaren und Vergänglichen die Mondbahn bildete. »Alles in der niederen Welt unter dem Mond ist wechselnd, veränderlich und vergänglich,« lautet ein alter Lehrsatz.

Der »feuchte Mond« leitet alle »Säfte und Flüssigkeiten«, also auch das Blut im Menschen, besonders das der Frauen, deren »Monatliches« völlig unter seinem Machtbereich sich vollziehend gedacht und geglaubt wurde. Stehen die Mondhörner aufwärts gerichtet, so wird auch das Blut gezwungen, in die Brust und den Kopf zu steigen, wodurch schmerzhafte Zustände entstehen. Schien den Ärzten ein Aderlaß notwendig, so mußten die Mondphasen genau berücksichtigt werden; bei abnehmendem Mond geschah es nie ohne die größte Gefahr. Noch 1787 schildert der damals berühmteste Arzt Zimmermann die Verfassung abergläubischer Gemüter seiner Zeit: »Ich sehe, daß ein abergläubischer Mensch nichts unternimmt, ohne vorher den Kalender um Rat zu fragen. Hat er einen Seitenstich, so stürzt er sich lieber in Todesgefahr, als daß er sich an einem Tage eine Ader öffnen ließe, an welchem dem Mond zufolge nicht gut Ader zu lassen ist. Er glaubt, alles steige aufwärts, wenn der Mond im Aufnehmen ist, darum schluckt er in dieser Zeit kein Laxiermittel, aus Furcht, es werde als ein Brechmittel nach oben durch den Mund ausgehen, statt den gewünschten Weg abwärts zu nehmen. Er glaubt unbedingt und unbelehrbar, alles werde voll, wenn der Mond voll ist, darum trinkt er in dieser Zeit auch bei der hinfälligsten Mattigkeit keinen Schluck Wein. Er glaubt, alles in der Welt eile niederwärts, wenn der Mond abnimmt, darum hofft er, jedes Mittel und jede Speise werde ihm in dieser Zeit Durchfall verursachen.«

Zu Zimmermanns Zeit mühten sich der Naturforscher Buffon und Réaumur, der Verbesserer des Thermometers, vergeblich um den Nachweis, daß der Mond keinen fühlbaren Einfluß auf die Erde haben könne. Immer wieder glaubte man daran und tut es bis zur Stunde. Fast möchte man für wahr halten, daß nach alter Lehre die Gehirne der Menschen mit zunehmendem Mond wachsen, um sich mit dem abnehmenden zu verringern, so daß sie nur kurze Zeit des Jahres eigentlich normal beschaffen sind.

Drei Jahre nach Zimmermann klagte ein anderer Gelehrter über den Mondaberglauben: »Man meint, der volle Mond mache Krebse, Austern und Schnecken feister, glaubt, daß die um diese Zeit versetzten Blumen voller werden, daß Holz im zunehmenden Mond mehr Feuchtigkeit habe als im abnehmenden und darum leichter faule. Im vollen Mond geschlachtete Tiere sollen fetter sein und schmackhafteres Fleisch haben, als es im abnehmenden sein könnte. Die im Vollmond entwöhnten Kälber sollen bessere Milchkühe werden und strotzendere Euter bekommen. Man glaubt, daß Mohrrübensamen und alle anderen Gewächse, deren Wurzeln man gebraucht, bei abnehmendem Mond gesät werden müssen, weil sie sonst ins Kraut schießen; ja die Leute sind überzeugt davon, daß aus den Eiern, welche Gänsen, Enten und Hühnern um diese Zeit zum Brüten untergelegt werden, blinde und elende Nachkommenschaft hervorkomme. Sie sagen, wer kein Geld hat, müsse sich hüten, daß ihm der Neumond in den Beutel scheine, weil er sonst, solange der Monat dauert, nichts darin haben werde. Helle Christnacht, finstere Scheunen; finstere, mondlose Christnacht, helle Scheunen, sagen sie und halten daran fest: wenn in dieser Nacht der Mond scheine, werde im künftigen Jahr das Getreide fruchtbar sein, so daß die Scheunen voll und finster werden; trifft das Gegenteil ein, dann sollen sie licht und leer bleiben.« Der alte Schriftsteller klagte über diese unsinnigen Dinge, die überall in Kalendern gedruckt würden, und meint, die Obrigkeiten müßten die Schreiber, Drucker und Händler strafen, wie es für jede Art anderen Betrugs geschähe.

Diese Regeln haben das ehrwürdige Alter von Jahrtausenden. Von dem Griechen Hesiod bis zu dem Römer Varro knüpfen sich die Regeln des Landbaues an den Mond, fast alle Geschäfte wurden nach seinem geglaubten Einfluß unternommen. »Alles, was geschnitten, gepflügt, geschoren wird, geschieht besser bei abnehmendem als zunehmendem Mond,« schrieb Plinius, »nur was wieder wachsen soll, muß im zunehmenden Mond geschnitten werden.« Und Agrasius sagt: »Ich befolge diese Regel nicht nur bei der Schafschur, sondern auch wenn ich mir selbst die Haare schneiden lasse, damit ich nicht, bei abnehmendem Monde sie scherend, kahlköpfig werde.« Noch jetzt, nach zweitausend Jahren, ist dieser Aberglaube ein Glaubenssatz unserer Ammen, Kindermädchen und – Bauern. Nicht einmal Windeln dürfen im Mondschein trocknen, sonst weint das Kind, dem man sie unterlegt, die ganze Nacht hindurch; oder es erkrankt und wird allmählich blaß wie der Mond. Kein Neugeborenes darf man dem Mondschein aussetzen; der Mond »trinkt sonst alle guten Säfte des Kindes aus«, es siecht dahin und nimmt immer mehr ab, bis es lautlos stirbt. Treffen die Strahlen des verhängnisvollen Gestirns, das abwechselnd gut und böse wirkt, während des Schlafes einen Säugling, noch ehe die Knochenlücken zwischen den Schadelnähten verwachsen sind, dann geschieht das Ungeheuerlichste von allem: das Kind wird ein »Schlafwandler«, ein »Mondsüchtiger«, und höchst ehrbare, solide Bürger verführt der trügerische Mond trotz aller Würden und Ämter zu abenteuerlichen nächtlichen Spaziergängen auf den steilsten Dachgraten.

Auch die Epilepsie, die »hinfallende Sucht« nach dem Volksmund, soll nach dem antiken Arzt Claudius Galen durch den Mond bedingt sein. Moreau zeigte nach genauester fünfjähriger Beobachtung an über hundert Epileptikern, daß insgesamt alle Mondphasen ohne jeden Einfluß auf ihre Anfälle waren.

An allen Küsten findet sich der Glaube, daß die Menschen nur zur Zeit der Ebbe schwer erkrankten und auch meist um diese Zeit stürben. Die französische Akademie ließ schon vor fünfzig Jahren Tabellen herstellen; das Ergebnis war, daß auf Ebbe und Flut gleich viel Todesfälle kamen, ja ein Überschuß fiel noch auf die Flutzeit. Der Glaube ist aber bei der Seebevölkerung dadurch nicht erschüttert worden. Dort liest man keine wissenschaftlichen Nachrichten und stirbt beharrlich nach altväterlicher Überlieferung angeblich um die Zeit der Ebbe bei abnehmendem Mond weiter.

Wie ist es nun mit dem Mondeinfluß auf das Wetter? Auch da sind es vor allem naturnotwendig wieder Seeleute, die am überlieferten Erbgut festhalten und Dinge behaupten, die wörtlich durch antike Schriftsteller zu belegen wären. So soll um die Zeit des Neumondes regelmäßig Nordwind zu erwarten sein. Sieben Jahre hindurch wurden an der Sternwarte zu Greenwich die genauesten Beobachtungen durch eigene Beamte gemacht; von 1840 bis 1847 reichen die Aufzeichnungen. Das Ergebnis war, daß durchaus keine Abhängigkeit der Windrichtungen von irgendwelchen Mondphasen ableitbar ist. Aberglaube war es, was die Fischer und Seefahrer behaupteten. Aber es geschah noch mehr. Der Astronom und Meteorologe Eisenlohr machte sich die ungeheure Arbeit, alle als sogenannte »Erfahrungssätze« gültigen Wetterregeln mit sehr sorgfältig geführten Witterungstabellen zu vergleichen. Es stellte sich heraus, daß unter 100 höchstens 52 Falle für die behaupteten Regeln sprachen; meist zeugte sogar die größere Zahl der Fälle völlig dagegen. Und immer wieder beharren Menschen, die nicht einmal ahnen, wie schwierig die einfachsten Beobachtungen zu machen sind, bei ihren Glaubenssätzen, ohne zu wissen, daß sie nur alten grundlosen Annahmen folgen.

In Deutschland war seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts die »Mondfrage« durch umfassende Arbeiten von Dove, Kämtz und Schübler von den Meteorologen abgetan; sie hatten genug von dem ewigen Treiben und Drehen in Irrtümern. Auch in Frankreich bewies der Astronom Henry Faye der Akademie durch Untersuchungen über die Einflüsse des »wandelbaren« Trabanten der Erde auf die Witterung und über seine besondere Einwirkung auf Ebbe und Flut des Luftmeeres die Unhaltbarkeit aller Behauptungen. Das geschah am 25. Oktober 1877. Seitdem hat sich nichts ereignet, wodurch alter Aberglaube sich bestätigt sehen könnte. Wer aber weiß sich auch nur der Namen jener Männer zu erinnern? Jäger, Dorfbader und Bauern müssen es doch besser wissen, wie diese Dinge sind.

Was könnte auch die alte ausgebrannte Schlackenkugel, die sich träge um die Erde bewegt, wirken? Die mittlere Entfernung des Mondes von uns ist etwa 52000 Meilen; die ganze Bahn, die er durchwandert, ist nur 326000 Meilen lang. Er braucht 27 Tage und 8 Stunden, um sie zu durchlaufen, indes unsere Erde in einer Stunde 14000 Meilen durcheilt. Während eines ganzen Mondumlaufes um die Erde dreht er sich nur einmal um sich selbst und kehrt uns darum immer nur eine seiner Seiten zu. Sein von der Sonne erborgtes Licht ist so schwach wie das eines weißen Wölkchens und verschwindet im hellen Licht des Tages völlig. Für den Augenschein steht er dann so gut wie die Sterne gar nicht am Himmel.

Die Rückstrahlung des Sonnenlichtes vom Mond ist so unbedeutend, daß man sie lange gänzlich bestritt; es bedurfte der schönen Versuche eines Melloni, um nur etwas davon nachzuweisen. Selbst die Schwerkraft des Gestirns ist sehr gering; sie beträgt nur etwa den siebenten Teil der Erde. Womit also soll der Mond wirken? Mit seiner Schwerkraft, durch die er nicht das leiseste Flämmchen anziehen, nicht das allerwinzigste Tautröpfchen auf der Erde zum Verdunsten bringen könnte? Oder gar mit seinem »Licht«?

Wo bleibt der Einfluß des Mondes in den Tropengegenden – wo man einst glaubte, er »mache den Tau und die Kälte«. Dort ist das Klima lange Monate hindurch annähernd gleich, und das Wetter ändert sich gar nicht. Aber noch mehr! Die »Wandlungen«, die Phasenerscheinungen des Mondes, treten überall auf der Erde zur gleichen Zeit ein. Könnte der Mond die Witterung irgendwie stark beeinflussen, so müßten Veränderungen des Wetters gleichzeitig auf der Erde erfolgen. Wahrlich, man braucht die Nase nicht gar zu weit aus dem Fenster stecken, um zu wissen, daß dies nie und nirgends der Fall ist. Wo sind die Wirkungen des Mondes und seiner Viertel in einem schlechten Sommer, wie wir ihn 1916 erlebten?

Aber man weiß sich zu helfen. Man sagt in Laienkreisen: der nämliche Mond scheint am gleichen Tage über zwei Orten, in Berlin und München, und es regnet vielleicht in Berlin, während in München heiteres Wetter ist. Aber an manchen Orten, so in St. Helena oder in Lima, gibt es nie ein Gewitter; auf der anderen Seite der Atlantis hört man den Donner nie, indes es auf den Molukken und den Sundainseln fast täglich wettert. Und doch hat der Mond dort seine Phasen geradeso wie bei uns.

Das Mondlicht hat nach den größten Ergebnissen der angestellten Messungen nur ein Zweimalhunderttausendstel der Stärke des Sonnenlichtes, kann also darum, und noch mehr bei der geringen Zeit seiner Dauer, keinen Einfluß ausüben. Das sind nur Messungsergebnisse der Lichtstärke, nicht etwa der Wärmeausstrahlung. Nach Piazzi Smyth beträgt die strahlende Wärme des Mondes nur etwa ein Drittel der Stärke einer Kerze auf fünf Meter Entfernung. Vom Wärmeeinfluß des Mondes reden, hieße glauben, man könne sich auf hundert Schritt Entfernung die Hände an einem brennenden Zündhölzchen wärmen. Daß der Mond »kalt« ist, bleibt also die einzige nicht unsinnige Behauptung der Alten.

Welch bedauerliche Wirkungen durch den Glauben an die alten Fabeleien entstehen können, mag folgender Fall beweisen. Durch einen bayerischen landwirtschaftlichen Wanderlehrer wurde vor einigen Jahren nachgewiesen, daß die Landwirte im Allgäu in ihren Kalendern Aufzeichnungen über die Wirkungen der Düngerarten während bestimmter Monate machen. Sie halten sich dazu an Stellungen des Mondes in besonderen Sternbildern als an die beste Zeit der Frühjahrs- und Spatherbstdüngung. Man weiß, daß der Wert gewisser Dungarten in Bakterien – kleinen Lebewesen – besteht, die bei geringen Frostgraden schon absterben. Nach ihrem Zerfall durch Erfrieren, wozu eine kalte Nacht völlig genügt, wirkt der Dung kaum mehr, als es Sägspane oder Sand tun würden. Durch ihr Abwarten des Mondeintritts in die für »wirksam« gehaltenen Zeichen des Tierkreises geschieht es nun regelmäßig, daß die Bauern zu einer Zeit Dung ausfahren, wo er in kalten Nächten gefriert. So verdirbt ihnen der alte Mondaberglaube bares Geld, und sie düngen im wahren Sinn des Wortes mit wertlosem Mist.

Christian Morgenstern

Der Mondberg-Uhu

Der Mondberg-Uhu hat ein Bein,

sein linkes Bein, im Sonnenschein.

Das rechte Bein jedoch des Vogels

bewohnt das Schattenreich des Kogels.

Bis hundertfunfzig Grad im Licht

gibt Herschel ihm (zwar Langsley nicht),

im Dustern andrerseits desgleichen

dasselbe mit dem Minuszeichen.

Sein Wohl befiehlt ihm (man versteht),

daß er sich stetig ruckweis dreht.

Er funktioniert wie eine Uhr

und ist doch bloß ein Uhu nur.

II.Wie der Mond entstanden ist

Karl Immermann

Mondscheinmärchen

In jener grauen Urzeit, von welcher sich die Menschen die verworrensten Begriffe machen, war es, wie neuere Forschungen lehren, mit der Welt folgendermaßen beschaffen. Die Erde war alles, und außer ihr gab es nichts, nur eine falsche Bescheidenheit späterer Zeiten hat vom Chaos oder Universum gefabelt, aus welchem unser guter Ball nebst vielen andern Ballen und Bällchen hervorgesprungen sei. Die Erde hatte aber dazumal die Form eines Nestes, nämlich in der Mitte war sie einige tausend Meilen vertieft, und die Seitenflächen bogen sich als schützende Ränder hoch und weit über. Es gab weder Gras noch Baum, weder Tiere noch Menschen auf der Erde, auch schien keine Sonne, dennoch war es auf ihr, und in der Höhlung des großen Nestes weder unfein, noch still, noch dunkel. Ihre Oberfläche war glatt und sanft anzufühlen wie der feinste Sammet, sie sang sich selbst ein süßes Lied von jener frohen Ewigkeit vor, und phosphoreszierte dabei im buntesten Lichte.

Dieser selige Zustand hat ziemlich lange gedauert. Endlich aber, wie denn nichts ungestört bleiben kann, regte sich ein gefährlicher Fürwitz in der Erde, und sie sprach so zu sich: »Wozu ein Nest ohne Eier? Meine Bestimmung ist nur halb erreicht.« Flugs empfand sie ihre Einsamkeit und die Sehnsucht nach Eiern, aus denen sich, wie sie meinte, die anmutigsten Gesellschafter und Gespielen für sie entwickeln würden.

Wie froh erstaunte sie, als sie eines Morgens beim Erwachen in ihrem Schoße eine Menge der schönsten Eier fand! Auf welche Art sie dieselben gewonnen, auf welchem geheimnisvollen Wege der Zeugung ihr diese Bescherung geworden, darüber schweigt Geschichte und Märchen. Genug, sie lagen, in Kreisen gereiht, im Grunde des großen Nestes, waren durchsichtig, wie die Edelsteine, herrliche Figuren schmückten die glänzenden Schalen, im Innern pulsierte es, ein eignes, wildkräftiges Leben.