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Anne Klesse

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Beschreibung

Das Baby kündigt sich an und die werdenden Mütter genießen ihre Schwangerschaft in vollen Zügen. Wie aufregend, denn nun wächst ein neues Leben heran. Doch bereits nach der Geburt blicken die Mütter selbstkritisch auf den Bauch, der sich nur langsam zurückbildet, sehen die Brüste, die ihre Form verlieren und auch die Augenringe nach durchgemachten Nächten. Damit muss Schluss sein! Die Autorin zeigt, was für ein Wunder der eigene Körper vollbringt und möchte, dass sie ihren Töchtern als Vorbilder dienen, um zu zeigen, dass jeder Körper schön ist.

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CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungEinleitungKapitel 1: Plötzlich MutterNeues Leben, neue Rolle – aber wie damit klarkommen?Schwangerschaft und Geburt – mein unbekannter KörperStillzeit – alles anders als gedachtInterview mit der Hebamme Christiane BorchardKapitel 2: ElternsexFürsorgliche Mutter sein, sexy Partnerin bleiben – nur eine Wunschvorstellung?Verschobene KörperbilderInterview mit der Sexologin Hanna KrohnKapitel 3: Warum es Müttern so schwerfällt, mit sich selbst zufrieden zu seinÜberfrachtete Rollenbilder und überzogene Erwartungen an uns selbstDie Inszenierung perfekter Körper und Leben auf Social Media Interview mit dem Marketingexperten Prof. Dr. Andreas BaetzgenKapitel 4: Die Eltern als Vorbilder ihrer KinderWie unser Verhalten und unsere Haltung unsere Kinder beeinflussenInterview mit der Psychologin Julia Tomuschat Ein realistisches Körperbild entwickeln: Die Bedeutung von Nacktheit(Gemeinsam) essen lernen: Essstörungen und eine gestörte Wahrnehmung des eigenen KörpersKapitel 5: Mutter in den WechseljahrenKind groß, Körper alt – was nun?Interview mit der Journalistin Silke BurmesterKapitel 6: Perfekt unperfektDas Konzept »Gut genug«Die Sicht des Partners: Auch Väter haben SelbstzweifelDas Prinzip der umgekehrten Erziehung: Was wir von unseren Kindern lernen könnenInterview mit dem Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Dr. Michael Schulte-MarkwortSchluss: Die Magie des LoslassensWarum es das Leben leichter macht, wenn wir uns so akzeptieren, wie wir sindDanksagungLiteraturverzeichnis

Über dieses Buch

Das Baby kündigt sich an und die werdenden Mütter genießen ihre Schwangerschaft in vollen Zügen. Wie aufregend, denn nun wächst ein neues Leben heran. Doch bereits nach der Geburt blicken die Mütter selbstkritisch auf den Bauch, der sich nur langsam zurückbildet, sehen die Brüste, die ihre Form verlieren und auch die Augenringe nach durchgemachten Nächten. Damit muss Schluss sein! Die Autorin zeigt, was für ein Wunder der eigene Körper vollbringt und möchte, dass sie ihren Töchtern als Vorbilder dienen, um zu zeigen, dass jeder Körper schön ist.

Über die Autorin

Anne Klesse ist Diplom-Ökonomin und wollte ursprünglich Kriegsberichterstatterin werden. Nach dem journalistischen Volontariat arbeitete sie als Redakteurin bei der Welt, Welt am Sonntag und Berliner Morgenpost in Berlin und schrieb vor allem Reportagen und Porträts. Etliche ihrer Arbeiten wurden mit Journalistenpreisen ausgezeichnet.

A N N E K L E S S E

Warum Mütterperfekt sind,wie sie sind.

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Illustrationen Innenteil: © Josephine Pauluth

Textredaktion: Anne Büntig

Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO, München, unter Verwendung von Illustrationen von © shutterstock: Romanova Ekaterina | Dychkova Natalya

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-1497-6

luebbe.de

lesejury.de

Für meinen SohnUnd für alle Mütter dieser Welt

Mit meinem dreißigsten Geburtstag hatte ich kein Problem gehabt – zusammen mit zwei Freundinnen hatte ich zu einer großen Party in einen Club eingeladen. Meine Dreißiger begannen also super. Ich verdiente genug Geld, um mir ein cooles Leben mit Reisen und Kultur zu finanzieren. Physische Veränderungen bemerkte ich, wenn überhaupt, nur wenige. Im Gegenteil, endlich fühlte ich mich mehr oder weniger wohl in meinem Körper! Nach drei Jahrzehnten wusste ich langsam, wie er funktioniert, was mir guttut, was ich mir nur ausnahmsweise mal gönnen und was ich besser ganz sein lassen sollte. Im neuen Job in einer neuen Stadt lernte ich viele neue Leute kennen. Ich hatte Spaß, ich hatte Sex, ich spürte mich. Es war aufregend, alles war möglich.

Mein vierzigster Geburtstag ging irgendwie im Alltag unter. Vier Jahre zuvor war ich Mutter geworden. In meinem Leben spielte nicht mehr ich selbst die Hauptrolle, sondern mein Kind. Ich liebe meinen Sohn über alles. Durch ihn entdecke ich jeden Tag viele neue Dinge – in der Welt und in mir. Zum Beispiel, dass sich Kellerasseln zu kleinen Kugeln rollen, wenn man sie aufhebt. Oder Pastinake – bis dahin kannte ich die Petersilienwurzel nicht, jetzt gehört sie zu meinem Lieblingsgemüse. Auch, dass ich plötzlich Sätze sage, die ich früher als Kind selbst von meiner Mutter gehört habe (und schrecklich fand): »Hier sieht’s ja aus wie bei Hempels unterm Sofa!«

In den ersten Jahren mit meinem Sohn spielte sich mein Leben hauptsächlich zwischen frühmorgens und frühabends ab, zwischen Babybrei und Sandkiste. Spätestens gegen achtzehn Uhr stellte sich das Gefühl ein, der Tag neige sich dem Ende zu. Ich hatte den Rhythmus meines Kindes angenommen: Wenn es müde wurde, war ich ebenfalls müde. Manchmal schlief ich gleich mit ein, wenn ich es ins Bett brachte.

Meinen Fotostream auf dem Smartphone fluteten statt Schnappschüssen vom letzten Partywochenende nun Kinderbilder. Tausende Fotos schoss ich allein in den ersten Monaten: vom schlafenden Baby, vom lachenden Baby, vom Baby mit Kuscheltier, Baby vorm Weihnachtsbaum, Baby voll Brei, Baby beim Baden, Baby am Strand. Zu Weihnachten verschenkte ich an die Großeltern und Onkels einen aus kurzen Handyvideos zusammengeschnittenen Film. Er ist anderthalb Stunden lang. Ich bin nicht sicher, ob alle das Werk jemals bis zum Ende angesehen haben.

Erst fiel es mir gar nicht auf, aber irgendwann wurde mir bewusst, dass ich eigentlich nur noch als Beobachterin vorkam, hinter der Kamera. Fotos oder Filme von mir selbst gab es so gut wie keine mehr.

Zu dem Zeitpunkt war ich darüber allerdings sogar ganz froh, denn Fotos von mir betrachtete ich gerade nicht mehr so gern. Mir fielen sofort die dunklen Schatten unter meinen müden Augen auf. Bei Bildern, auf denen ich lachte, konnte ich die fächerartig fallenden Krähenfüße kaum ertragen. Während ich »Lachfältchen« bei anderen immer sympathisch fand, dachte ich bei mir sofort: Alt! Verbraucht! Unattraktiv!

Ganzkörperfotos von mir fand ich eine Zeitlang kaum zu ertragen, vom Strand zum Beispiel. Auf einem hocke ich neben meinem Sohn, der eifrig im nassen Sand buddelt. Meine Augen sind samt Schatten und Krähenfüßen immerhin hinter einer großen Sonnenbrille versteckt. In voller Gänze zu sehen hingegen ist mein Bauch, der sich in kleinen übereinanderliegenden Speckwürstchen wellt und gleichzeitig um den Nabel herum irgendwie verschrumpelt aussieht. Immerhin: Der Busen wird glücklicherweise vom Bikinioberteil gehalten.

Dass mein Blick überhaupt diese Makel erfasst und nicht glücklich auf meinem Kind ruhen bleibt, hätte ich mir früher nicht vorstellen können. Da hätte ich mich eher darüber gewundert, dass Ü40-Frauen überhaupt Wert darauf legen, attraktiv auszusehen.

In der Zeitschrift Gala schrieb die Kolumnistin Katja Kessler vor ein paar Jahren anlässlich ihres achtundvierzigsten Geburtstags: »Es gibt so herrlich einfache Tricks, jünger auszusehen, ohne dass es einen Cent kosten würde. Ich denke da an BH-Weglassen. Zieht jede Falte aus dem Gesicht ab einem gewissen Alter.« Ich habe mich vor Lachen damals gebogen und den Text sogar abfotografiert. Es war das befreite Lachen einer Schwester im Geiste. Brüste, die so sehr hängen, dass sie die Haut weiter oben glattziehen – herrlich! Kann man dann je nach Tagesform anwenden: Darf’s heute ein dralles Push-up-Dekolleté sein oder stattdessen lieber die glatte Visage? Ich finde, wir alten Schachteln brauchen viel mehr Selbstironie, sonst ist das alles ja nicht zu ertragen.

Abgesehen von diesem Kolumnentext muss man feine Selbstironie, die nicht ins Gehässige abgleitet, allerdings lange suchen. Stattdessen geht es in solchen Magazinen eher um Fragen wie die, ob eine prominente Frau »was hat machen lassen«. Oder es werden Bikinifotos von Schauspielerinnen und weiblichen Popstars aus St. Barth gezeigt, in denen per Lupenfunktion unbarmherzig auf Cellulite-Dellen und Fettpolster hingewiesen wird.

Wenn ich solche Fotostrecken sehe, bin ich einerseits erleichtert, weil offensichtlich nicht einmal diejenigen vermeintlich perfekt aussehen, die sich rund um die Uhr Personal Training und plastische Chirurgie leisten können. Andererseits stellt sich natürlich die Frage: Was genau soll dieses »Perfekt« überhaupt sein? Wenn doch alle Frauen, ob dick oder dünn, irgendwann Cellulite haben, warum wird das nicht einfach als normal wahrgenommen, sondern immer als Makel? Als wäre es eine Krankheit, die es zu vermeiden oder zu bekämpfen gilt. Ebenso wie Speckröllchen, Fettpolster oder Falten. Es ist ja nicht so, als wären wir Menschen genormt, und wer von der Norm abweicht, ist irgendwie falsch. Als würde in jedem Menschen eine schlanke, ebenmäßige Person stecken, die bloß durch eigene Verhaltensfehler Rundungen und Beulen, Falten und Furchen bekommt.

Ich fand es cool und sympathisch, als die Kosmetikmarke Dove vor fünfzehn Jahren einen kleinen Skandal auslöste, indem sie in ihrer Kampagne Frauen in all ihrer Unterschiedlichkeit zeigte. Ich erinnere mich gerne an die großformatigen Anzeigen, in denen Frauen mit unterschiedlichen Hautfarben und Körperformen zu sehen waren. Lediglich die Bekleidungsmarke Benetton hatte zuvor schon ähnlich kontroverse Reaktionen mit politisch inspirierten Werbefotos ausgelöst.

Nur gegenüber meinem eigenen Aussehen konnte ich diese Coolness und Sympathie nicht aufbringen: Was ich bei anderen schön finde, gilt bis heute nicht für mich selbst. Bei meinem eigenen Körper kann ich keine Gnade walten lassen. So wie mein altes Ich mit der Mutterrolle irgendwie in den Hintergrund getreten ist, schien auch die Verbundenheit mit meinem Körper eine Zeitlang wie vernebelt. Und das nicht nur wegen des permanenten Schlafmangels, der einen – vor dem Hintergrund, dass Schlafmangel eine Foltermethode ist, nicht weiter verwunderlich – tatsächlich zu einem anderen Menschen machen kann.

Als Mutter war ich plötzlich rund um die Uhr in Aktion für jemand anderen. Ich wickelte, fütterte, badete, spielte. Ich kaufte ein, kochte, hängte Wäsche auf. Es drehte sich alles um die Versorgung des Nachwuchses. Dass es so gar keine Pausen gab, nicht einmal für ein paar Minuten auf der Toilette oder unter der Dusche – denn mein Sohn folgte mir ins Bad, sobald er krabbeln konnte –, konnte ich mir vorher nicht vorstellen. Das ist der große Unterschied zur Erwerbsarbeit, denn dort sind regelmäßige Pausen sogar institutionalisiert und oft vertraglich festgehalten. Ich kenne viele Mütter, die ihren Job im Büro weniger herausfordernd finden als den Alltag zu Hause.

Ich selbst bemerkte lange gar nicht, wie sehr ich mich zwischen all den Fragen rund um das Wohlbefinden meines Kindes verlor und dadurch in eine Art Identitätskrise schlitterte. Danach, was mir selbst guttun würde, fragte ich nicht einmal mich selbst – und jemand anderes erst recht nicht.

Warum war ich als Mensch plötzlich so unsichtbar?

Während der Arbeit an diesem Buch ist mir klar geworden, wie sehr ich in einem Gedankenmuster feststecke. Über Jahrzehnte habe ich gelernt, kritisch meinen eigenen wie auch andere Körper zu betrachten. Als Kleinkind habe ich offensichtlich sehr gerne gegessen. Es gibt zahlreiche pausbäckige Fotos von mir, auf denen ich noch nicht richtig laufen kann, aber schon einen großen Hühnerschenkel oder etwas anderes Essbares in der Hand halte. Die Geschichte, die immer wieder dazu erzählt wurde, ist folgende: Weil ich so gerne gegessen habe, habe man mir keine Süßigkeiten gegeben, sondern stattdessen Gurke oder andere Rohkost. Damit ich nicht dick werde.

Klar, bei kleinen Kindern geht es auch darum, sie von Beginn an gesund zu ernähren und sie vor Mangelerscheinungen, Übergewicht oder gesundheitlichen Problemen zu bewahren. Aber das ist nur die halbe Wahrheit: Dick sein ist etwas Schlechtes, das wird uns hierzulande permanent erzählt. Vor allem Frauen versuchen, einem Schönheitsideal zu entsprechen, das nun einmal nicht der Diversität unserer Körper entspricht. Wie alter Wein, der ständig in neuen Schläuchen daherkommt, gibt es eine regelrechte Diätkultur, die unterstellt, dass wir uns nur genügend anstrengen müssten, um ebenfalls dem gesellschaftlichen Ideal zu entsprechen.

Ich bin mir sicher, dass mein Umfeld es damals mit dem Süßigkeiten-Verbot nur gut meinte. Ich mache niemandem einen Vorwurf. Doch abgespeichert habe ich, dass Schlanksein wichtig ist. Erst jetzt, mit vierundvierzig Jahren, ist mir bewusst geworden, wie sehr ich diesen Glaubenssatz verinnerlicht habe. Bis heute spüre ich tief in mir drin eine Art Geringschätzung gegenüber undiszipliniertem Verhalten – und das nicht nur beim Thema Essen. Dafür schäme ich mich jetzt.

Welch ein Gewinn wäre es, wenn wir Frauen, wir Mütter, wir Eltern, wir Menschen weniger übereinander urteilen und stattdessen versuchen würden, uns mehr wertzuschätzen? Wir müssen es ja nicht »Empowerment« nennen – das klingt für mich zu sehr nach den Großstadtcliquen beruflich erfolgreicher Frauen, die sich zwar gegenseitig auf Panels einladen und in ihren Instagram-Storys verlinken, letztendlich aber doch nur in ihrer elitären Bubble und unter sich bleiben. Und wenn ich selbst versuche, weniger zu bewerten – vielleicht mag ich mich dann auch selbst besser leiden? Es heißt: »Nur wer sich selbst liebt, kann auch andere lieben.« Vielleicht ist das keine Einbahnstraße, sondern gilt auch andersherum: Wer das Liebenswerte im Gegenüber sieht, erkennt eher das Liebenswerte in sich selbst.

Muttersein ist das Faszinierendste und Spannendste, das ich in meinem Leben bisher kennen gelernt habe. Ich liebe mein Kind über alles, und gleichzeitig spüre ich diese permanente Erschöpfung, die selbst nach einmal richtig Ausschlafen nicht verschwindet, und auch die Sehnsucht nach ein bisschen mehr Leben so wie früher. Nach weniger Verantwortung und mehr Leichtigkeit. Nach Tanzen bis in den nächsten Tag hinein. Danach, über die Stränge zu schlagen, mal nicht vernünftig zu sein, nicht so elternmäßig erwachsen.

Ich wünschte, ich könnte jeden Augenblick, jeden Atemzug meines Kindes begleiten, und gleichzeitig wünschte ich, ich hätte mehr Zeit für mich, für meine Interessen, für Kunst und Kultur, dafür, spontan ans Meer zu fahren und nichts zu machen, außer aufs Wasser zu schauen. Mehr Ich in all dem Wir nannten meine Journalistinnen-Kolleginnen und Bloggerinnen Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim ihren zweiten Mama-Mutmacher. Ich finde, die Aussage trifft es ziemlich gut.

Doch das Ich in all dem Wir verblasst, und das hört nicht bei den grauer werdenden Haaren oder den fehlenden Fotos von uns selbst auf. Meine Erfahrung ist, dass der äußere Wandel einhergeht mit einem inneren. Mein Körper verändert sich, und auch mein Leben verändert sich parallel dazu. Nicht nur in dem Sinne, dass es diesen kleinen neuen Menschen gibt, für den ich sorge. Auch Einstellungen mir selbst und anderen gegenüber verändern sich mit ihm. Und sogar der Blick von außen wird mit der Zeit ein anderer.

Es geht also nicht bloß um ein paar Falten hier oder Speckröllchen dort, sondern um ein Leben, das durch die Mutterschaft komplett auf den Kopf gestellt wird. Dinge, die immer selbstverständlich waren, sind plötzlich verschwunden, und das Vorhandene neu zu ordnen ist unsere Aufgabe. In und mit uns selbst. Mit diesem Buch versuche ich, die Dinge für mich zu ordnen.

Dieses Buch ist kein Fachbuch. Es erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder wird in seinen Schilderungen nicht allgemein gültig sein. Ich schreibe über meine eigenen Erfahrungen, Gefühle und Gedanken. Mittlerweile weiß ich, dass ich mit ihnen nicht allein bin. Ich versuche, nicht über andere zu urteilen und niemanden auszuschließen, sondern alle zu inkludieren, die Ähnliches erfahren, fühlen, denken.

Liebe, Beziehung, Partnerschaft, Sex, der Umgang mit dem eigenen Körper, Muttersein – all das hat vielfältige Facetten. Weil ich keine Expertin für Psyche oder Geburt bin oder für das weibliche Geschlecht, habe ich Studien gelesen und Gespräche mit Expertinnen und Experten geführt, die in dieses Buch einfließen.

»Nur eine Mutter weiß allein, was lieben heißt und glücklich sein«, schrieb der Dichter und Naturforscher Adelbert von Chamisso vor gut zweihundert Jahren. Der Satz klingt aus heutiger Sicht einerseits ausgrenzend – für all diejenigen, die nicht Mutter sind (aber vielleicht trotzdem lieben und glücklich sind). Andererseits glaube ich, zu wissen, was er gemeint hat, und das ist universell: Die Liebe zum Kind ist eine andere als die zu Eltern, Geschwistern, Freundinnen und Freunden, Partnerinnen und Partnern. Für mich ist sie bedingungslos. Sie muss nicht auf Gegenseitigkeit beruhen und durch nichts genährt werden. Sie ist einfach da. Und bleibt für immer.

Mutterglück selbst hingegen ist nicht selbstverständlich. Es sagt sich leicht dahin und klingt ein bisschen nach 1950er-Jahre-Kitsch. Wer »Mutterglück« googelt, bekommt zig Ergebnisse ausgespuckt, die ein schräges Bild vermitteln: Hausdekorationsideen auf Pinterest zum Beispiel, schwulstige Sinnsprüche und Fotos von stillenden, selig lächelnden Frauen. Dabei ist das Muttersein begleitet von vielen unterschiedlichen Gefühlen, nicht nur guten. Außer von Glück, unbändiger Freude, Liebe, Neugier, Leichtigkeit und Stolz auch von Sorgen, die ich bis dahin nicht kannte. Von Ängsten, Schmerzen, Unsicherheiten. Von Einsamkeit.

2015 machte der Hashtag #regrettingmotherhood in den sozialen Netzwerken die Runde. Mutterschaft bereuen und offen darüber sprechen? Bis dahin war das ein absoluter Tabubruch. Der Anlass war die Veröffentlichung des gleichnamigen Buches der Soziologin Orna Donath, das auf Interviews mit Müttern in Israel basierte. Diese hatten über die negativen Auswirkungen ihrer Mutterschaft berichtet. Zusammenfassend kann man sagen, sie empfanden einen Verlust an Autonomie und sprachen über mentalen Stress, den die Autorin als Folge widersprüchlicher und unerreichbarer sozialer Normen des Konzepts Mutterschaft interpretierte. Nach Veröffentlichung des Buches auf Deutsch wurden auch hierzulande die Einstellung von Müttern zu ihrer Mutterschaft sowie der gesellschaftliche Entwurf der Mutterrolle und der daraus resultierende Druck diskutiert.

Eine drei Jahre später folgende quantitative Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) bestätigt, dass sich Frauen, sobald sie Mutter werden, tatsächlich schlechter fühlen. Ihr mentales Wohlbefinden nahm innerhalb der ersten sieben Jahre nach der Geburt des Kindes ab. Bei fast der Hälfte der befragten Mütter nahmen die psychischen und gesundheitlichen Belastungssymptome zu, bei dreißig Prozent sogar substanziell. Knapp ein Drittel der Mütter berichtete allerdings auch über eine Verbesserung ihres mentalen Wohlbefindens. Wie sich die Mutterrolle auswirkt, ist laut DIW abhängig vom sozioökonomischen Status: Wenn genug Geld und Unterstützung vorhanden sind, lassen sich Pausen und Selbstverwirklichung eher realisieren. Dann gibt es die Möglichkeit, neben der Care-Arbeit auch noch eigenen Interessen nachzugehen, Freunde zu treffen, Sport zu treiben. In der Folge wird die Belastung als weniger stark empfunden.

Gerade Alleinerziehenden – in Deutschland sind das zu neunzig Prozent Mütter – fehlt jedoch oft der dafür nötige Rückhalt. Sie sind für alles allein zuständig, sowohl für die großen Dinge, wie Lebensunterhalt verdienen und das Kind im Alltag versorgen, als auch für die vielen kleinen – sichtbaren und unsichtbaren – Dinge, die als »Mental Load« zusammengefasst werden können: daran zu denken, Pausenbrote vorzubereiten, Fingernägel zu schneiden, rechtzeitig Geschenkpapier und Geschenke für Kindergeburtstage zu besorgen, an Elternabenden teilzunehmen und so weiter.

Hinzu kommt, dass rund ein Drittel aller Alleinerziehenden in Deutschland von Armut bedroht sind. Das macht zusätzlich Stress und führt dazu, dass noch weniger Pausen vom Alltag genommen werden können, denn Urlaub und Babysitter sind teuer. Gleichzeitig haben Alleinerziehende das größte Risiko, psychisch zu erkranken: Sie sind – und das ist vielleicht der größte Unterschied zu allen anderen Mitgliedern der Gesellschaft – gleichzeitig finanziell, mental und zeitlich be- und manchmal auch überlastet.

Auf all diese neuen Herausforderungen war ich nicht vorbereitet. Inzwischen glaube ich, die Annahme der Mutterrolle ist vielleicht die größte Anpassungsleistung im Leben einer Frau. Auch ist sie abhängig von vielen Dingen – dem Umfeld zum Beispiel oder der eigenen physischen und psychischen Verfassung, der eigenen Sozialisation, dem Alter und dem sozialen Status der Gebärenden.

Dieses Buch ist deshalb auch eine Reise zu mir selbst. Zurück in meine eigene Kindheit, zurück zu mir als Schwangere, in den Kreißsaal zur Entbindung meines Sohnes, zu den Anfangsjahren meiner Mutterschaft, zu den Unzulänglichkeiten meines Körpers. In der Retrospektive würde ich meinen Körper und das, was er jeden einzelnen Tag in den vergangenen vierundvierzig Jahren geleistet hat, gerne mehr schätzen.

Die mexikanische Künstlerin Frida Kahlo, bekannt für ihre Selbstbildnisse, auf denen sie sich mit kräftigen Brauen und Damenbart malte, schrieb über ihren eigenen Körper: »Ich mag an meinem Gesicht meine Augenbrauen und die Augen. Ansonsten mag ich nichts. Mein Kopf ist zu klein. Meine Brüste und Genitalien sind normal. Vom anderen Geschlecht habe ich einen Schnurrbart und überhaupt die Gesichtszüge.« Nach meinem Empfinden war Frida Kahlo eine wunderschöne Frau. Sie selbst konnte das offenbar nicht immer so sehen.

Und wie sehe ich mich selbst? An meinem Gesicht mag ich meine Augen. Ich versuche, die Krähenfüße als Beweis dafür zu sehen, dass ich viel zu lachen habe. Über die Größe meines Kopfes habe ich noch nie nachgedacht. Ich mag meine Brüste und Genitalien. Ohne Letztere wäre ich immerhin nicht Mutter. Ich habe glücklicherweise keinen Schnurrbart, und falls mir mal einer wachsen sollte, fände ich es legitim, ihn zu entfernen. Und abgesehen davon: Die Künstlerin schrieb auch, »der wichtigste Teil des Körpers ist das Gehirn«. Wie Recht sie hat!

Ich habe beschlossen, mich von nun an zu mögen. Und ich möchte dankbar sein: Jeden Abend, wenn ich meinen Sohn ins Bett bringe, sehe ich ein sattes, gesundes, glückliches Kind dort liegen, in einem – zugegeben – meist ziemlich unaufgeräumten, aber sicheren, trockenen Zuhause. Angesichts des vielen Leids in der Welt ist das schon ein ordentliches Pfund, das ich viel zu oft nicht beachte. So vieles liegt nicht in meiner Macht. Das fängt schon dabei an, wie dieser kleine Mensch entstanden ist. Die Empfängnis folgt keinem Plan, keiner Kontrolle. Umso wichtiger ist es, immer wieder zu reflektieren und gleichzeitig den Blick zu schärfen für die vielen tollen Dinge, die gut sind im Leben und die noch kommen werden: annehmen, was ist. Zumindest das ist eine bewusste Entscheidung.

Plötzlich Mutter

Neues Leben, neue Rolle – aber wie damit klarkommen?

Wer bin ich? Bin ich noch die Alte? Oder bin ich eine andere? Bin ich eine Art erweiterte Version von meinem früheren Ich? Was macht mich überhaupt aus? Inwiefern verändern mich das Kind und das Muttersein, was macht das alles mit meinem Leben? Wie will ich weitermachen? Was wünsche ich mir? Diese und andere Fragen stellten sich mir – ziemlich plötzlich –, nachdem ich Mutter geworden war.

Als Sechsunddreißigjährige galt ich als sogenannte Spätgebärende, was irgendwie nach »zu spät« klingt. Zu spät, um zu gebären und Mutter zu werden. Und das war es – zumindest der Statistik nach – ja auch fast. Denn bei Frauen nimmt die Fruchtbarkeit bekanntlich schon ab Mitte dreißig stark ab, mit Mitte vierzig ist der Eizellvorrat nahezu erschöpft. Auch die Gebärmutter wird im Laufe der Jahre, wie der ganze Körper, nicht unbedingt fitter und besser, um einem heranwachsenden Embryo die Umgebung zu bieten, die er braucht.

Bis zu dem Zeitpunkt war ich mit mir und meinem Leben zufrieden gewesen, mir fehlte nichts. Ich lebte in Berlin, führte eine stabile Partnerschaft, hatte tolle Freundinnen und Freunde, mit denen ich Zeit verbrachte. Mein Job machte mir Spaß, ich arbeitete viel. Meine Freizeit verbrachte ich in Restaurants und Bars, Kinos und Clubs oder auf Reisen. Es war das Leben, das ich wollte. Ich musste mir über nichts Gedanken machen als darüber, wie ich das nächste Wochenende verbringen wollte, vor allem nicht über die Zukunft. Es gab immer etwas zu tun. Und wenn das nicht so war, verbrachte ich den Vormittag einfach im Bett. Mein Leben plätscherte angenehm vor sich hin. Verantwortung hatte ich ausschließlich für mich selbst. Und genau das genoss ich.

Mein Kinderwunsch war die Jahre zuvor nicht so stark ausgeprägt, wie ich es bei mancher Freundin erlebte. Ich war zwar immer davon ausgegangen, dass ich irgendwann Kinder haben würde. In meiner Vorstellung gab es in Zukunft irgendwann ebenso große Familienfeiern mit Großeltern, Eltern und Kindern, wie ich sie selbst als Kind erlebt hatte. Mit vielen Cousinen und Cousins, die am Kindertisch Blödsinn treiben. Jedoch mit dem Unterschied, dass ich meinen Platz am Erwachsenentisch haben würde. Ich fand Kinder süß, immer mehr Freunde und Freundinnen gründeten ihre eigene Familie. Dann wurde ich selbst schwanger.

Schon der Zustand Schwangerschaft an sich führte dazu, dass sich mein Alltag von heute auf morgen komplett änderte. Wegen ständiger Müdigkeit ging ich seltener aus. Statt neuer Party-Outfits kaufte ich winzige Wolle-Seide-Bodys. Auf Reisen ging ich zwar trotzdem weiterhin – die waren schon gebucht –, aber Fliegen und Sightseeing strengten mich sehr viel mehr an als vorher. Kurz nach dem Schwangerschaftstest, aber noch ohne Babybauch und deshalb nicht als schwanger geoutet, befand ich mich auf einer Nordirland-Reise – als Einzige dauerfröstelnd und weder Zigaretten rauchend noch Whiskey trinkend, stattdessen in der ungewohnten Rolle der Spaßbremse.

Mir war ununterbrochen übel, und ich hielt die Reisegruppe ständig auf, weil ich auf die Toilette musste. Zurück im Büro, legte ich mich öfter für ein kurzes Nickerchen auf den Fußboden. Mein Körper und das, was in ihm passierte, diktierten mir seltsame Dinge.

Was mit Müdigkeit und morgendlicher Übelkeit anfing, mündete in einem wunderbaren kleinen neuen Menschen, der seinen eigenen Platz auch in meinem Leben beanspruchte. Es heißt, im Kreißsaal wird nicht nur ein Kind geboren, sondern auch eine Mutter. Und so kam es: Sobald dieser kleine Mensch in meinen Armen lag, war die Welt eine andere. All das, was vorher war, war zwar noch da, aber vernebelt. Zusätzlich war noch ganz viel hinzugekommen. Auch ich war zwar dieselbe, hatte sogar noch das T-Shirt vom Vorabend an, mit dem ich in der Klinik angekommen war. Aber zusätzlich war ich jetzt auch noch Mutter.

Diese Rolle anzunehmen und sie auszufüllen fiel mir schwerer als gedacht. Ich fühlte mich überraschenderweise emotional nicht darauf vorbereitet. Und so dauerte es einige Zeit, die neue Rolle in mein vorhandenes Ich und in mein Leben zu integrieren. Ich war mir unsicher: Wie konnte dafür etwas anderes, was mich vorher ausgemacht hatte, Platz machen? Musste sich mein Leben an die Rolle anpassen, oder war es andersherum, musste sich die Rolle in mein Leben fügen? Vor meinem inneren Auge baute sich mein persönliches Tortendiagramm auf: Tortenstücke mit in Zuckerschrift geschwungenen Begriffen wie »Tochter«, »Schwester«, »Partnerin«, »Freundin« oder »Kollegin« bildeten einen geschlossenen Kreis. Außerhalb war ein weiteres Tortenstück mit der Bezeichnung »Mutter«. Letzteres musste irgendwie integriert werden – aber wie, ohne die anderen unschön zu quetschen?

Ich war davon ausgegangen, dass sich dieser Raum automatisch findet. Die ganzen Geschichten von der überwältigenden Liebe, die einen angeblich erfasst, sobald man sein Baby das erste Mal anschaut und im Arm hält. Dass dann einfach alles passt, egal, was vorher war. In Wirklichkeit fühlte es sich für mich nach einer Mammutaufgabe an, größer als alles, was ich bis dahin kennen gelernt hatte. Zu lernen, wie man eine übergelaufene Windel auf einer engen Restauranttoilette ohne Wickeltisch wechselt, war ein Witz dagegen.

Eine Frau ist ja nicht unvollständig ohne Kind. Auch wenn ich von Freundinnen, die unfreiwillig kinderlos geblieben sind, weiß, dass sie sich manchmal nicht komplett oder fehlerhaft fühlen, wenn sie trotz aufwändiger Kinderwunschbehandlungen wieder nicht schwanger wurden oder eine Fehlgeburt hatten.

Doch ich hatte sechsunddreißig Jahre Leben mit mir selbst hinter mir. Und jetzt war da plötzlich noch ein Mensch, der abhängig von mir war. Wo sollte ich Platz schaffen, wo sollte sich die Lücke auftun, um das neue Puzzleteil einzufügen? Ich hatte das Gefühl, dass alle anderen Rollen, die mich bis dahin ausgemacht hatten, dafür etwas zur Seite rücken mussten: etwas weniger »Partnerin«, etwas weniger »Freundin«, dafür nun auch noch »Mutter«.

Das war nicht nur für mich eine neue Situation. Ich spürte, wie manche Freundin zwar verständnisvoll, aber auch ein wenig enttäuscht darauf reagierte, dass nun weniger Anne für sie übrig war. Mit mir konnte man ab sofort nicht mehr spontan zum Italiener oder ins Kino. Stattdessen bekam ich zu Hause Besuch, wir saßen zusammen auf dem Sofa und aßen Kuchen. Aber es war trotzdem einfach nicht dasselbe wie vorher.

Auch die Partnerschaft mit meinem Freund änderte sich. Bei den meisten Paaren, die frisch Eltern geworden sind, überwiegt in den ersten Tagen erst einmal die Freude. Solange keiner von beiden parallel zur Versorgung des Kindes auch noch einer Erwerbsarbeit nachgehen muss, sondern sich beide voll auf die neue Situation konzentrieren und auf den verschwommenen Tag-Nacht-Rhythmus einlassen können, ist alles spannend und toll und voller Familienglück. Bis der Alltag zuschlägt.

Auch bei uns war das so. Eben noch fühlte ich mich wie eine Profi-Mutter, die nun langsam wusste, wann ihr Kind warum weinte und was es beruhigte. Die mit geübten Bewegungen in wenigen Sekunden Windeln wechselte und Fläschchen aufwärmte. Die auf dem einen Arm ihr Kind trug und mit dem anderen die Wäsche aus dem Trockner holte. Im nächsten Moment aber war alles zu viel. Zu viel Neues, zu viel Schlafdefizit, zu viele Hormone. Zu viel Verantwortung. Damit kam die Ernüchterung.

In der neuen Familienkonstellation müssen sich die neuen Rollen erst zurechtruckeln. Wer übernimmt wann welche neue Aufgabe, wer ist verantwortlich wofür – und wann hat wer mal Zeit nur für sich oder zu zweit, ohne Wäsche oder Einkauf oder sofort einzuschlafen, weil es gerade mal einen Moment ruhig ist?

So ging es auch meinem Freund und mir. Wir waren plötzlich nicht mehr nur ein Paar, sondern auch Eltern. Vorher waren wir uns sicher gewesen, dass wir unser Leben einfach weiterleben könnten und sich unser Kind darin einfügen würde. Äußerlich hatten wir uns auf den neuen Lebensabschnitt vorbereitet, hatten die Wohnung babygerecht umgestaltet und den Elterngeldantrag ausgefüllt. Wie die Elternschaft jedoch jeden von uns und alles zwischen uns verändern würde, darauf waren wir nicht gefasst.

Anfangs konnte mein Freund, wie die meisten Partnerinnen oder Partner, nicht viel tun, fühlte sich manchmal hilflos oder ausgeschlossen. Als er dann selbst unser Baby mit der Flasche füttern konnte, war er besser eingebunden und konnte aktiv mitwirken.

Studien zeigen: Ein Kind ist eine echte Feuerprobe für eine Beziehung. Männer fühlen sich oft vernachlässigt, sobald ein Kind da ist. Die meisten Beziehungen verschlechtern sich nach der Geburt des ersten Kindes. Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen: Bei etwa der Hälfte aller Scheidungen in Deutschland haben die Paare minderjährige Kinder. Vierzig Prozent der Trennungen passieren im ersten Jahr nach der Geburt des ersten Kindes.

Während die Gründung einer Familie in Geschichten gern als »Krönung der Liebe« überhöht wird, ist sie in Wirklichkeit der Beginn von etwas ganz Neuem und oft genug alles andere als ein Happy End. Nichts ist mehr so, wie es vorher war. Das Leben beginnt neu.

Es gibt zahlreiche Gründe, warum heute mehr Paare als früher trotz gemeinsamer Kinder irgendwann getrennte Wege gehen. Die finanzielle Abhängigkeit voneinander ist nicht mehr so hoch, Alleinerziehende oder Patchworkfamilien sind gesellschaftlich nicht mehr so geächtet wie früher. Auch ist die jetzige Elterngeneration in Freiheit sozialisiert und es gewohnt, einmal getroffene Entscheidungen zu reflektieren und gegebenenfalls auch revidieren zu dürfen.

Wir wollen unser Leben nutzen und bewusst leben – so glücklich und sorgenfrei wie möglich. Unseren Kindern wollen wir das Optimum bieten. Das hat auch der Markt erkannt, und so kaufen wir Kinderwagen zum Preis eines Gebrauchtautos, sündhaft teure Wollwalk-Anzüge, umweltfreundliche Windeln, nachhaltiges Holzspielzeug. Denn all das gibt uns das Gefühl, das Beste für unser Kind zu tun. Unser Baby soll die besten Startvoraussetzungen haben und dabei süß aussehen – und wir Eltern so, als ob nichts geschehen wäre.

Bei Spaziergängen mit meinem Baby freute ich mich, wenn die Leute erst sagten, wie niedlich mein Sohn sei, und dann, dass man mir ja gar nicht ansehen würde, dass ich erst vor kurzem entbunden hätte. Das machte mich stolz.

Umso schwerer war es, akzeptieren zu lernen, was mit der Mutterrolle nun ebenso zu mir gehörte: Zwar brachte ich schon bald dasselbe Gewicht wie vor der Schwangerschaft auf die Waage. Aber was blieb, waren Augenringe, Schwabbelbauch, Falten und Furchen. Mein äußeres Bild entsprach nicht mehr meiner inneren Vorstellung von mir selbst. In die neue Rolle zu finden, meinen veränderten Körper zu akzeptieren, das unvergleichliche Glück und gleichzeitig so viel Unsicherheit zu spüren – und trotzdem ich selbst zu bleiben, das war schwerer als gedacht und noch viel weniger planbar, als es die Empfängnis gewesen war.

Im Rückblick glaube ich, dass das Annehmen und Ausfüllen der Mutterrolle vielleicht die größten Transformationsleistungen im Leben einer Frau sind. Sie dauern Jahrzehnte und sind nie abgeschlossen, denn das Kind wird älter und selbständiger. Mit jeder Phase verändern sich auch die Bedürfnisse und das, was erwartet wird. Und irgendwann ist das Kind, das eben noch in unserem Bauch gelebt hat, erwachsen, zieht aus – und wir sind immer noch Mütter.

Alles begann mit der Schwangerschaft. Beim Verlassen des Kreißsaals war ich ein veränderter Mensch. Seitdem ist die Veränderung zum Dauerzustand geworden: Mit jedem Lebensjahr meines Sohnes verändert sich auch meine Rolle als Mutter.

Ich erlaube mir, Abschiedsschmerz von meinem alten Ich zuzulassen. Mittlerweile merke ich: Je selbständiger mein Sohn wird, desto mehr Platz ist wieder da für die anderen Stücke in meinem persönlichen Tortendiagramm. Es ist mehr Raum da für die anderen Dinge, die mich ausmachen.

Schwangerschaft und Geburt – mein unbekannter Körper

Meine Schwangerschaft war eine Zeit, die ich viel zu wenig genossen habe. Ich bin Mutter eines mittlerweile achtjährigen Sohnes und vierundvierzig Jahre alt. Höchstwahrscheinlich wird es also bei der einen Schwangerschaft bleiben. Und: Würde ich überhaupt eine Schwangere mit grauen Haaren und Krähenfüßen sein wollen, die in der Kita von den anderen Kleinkindern gefragt wird, ob sie die Oma sei?

Natürlich ist das unfair: Entweder sind wir Frauen angeblich zu jung – oder wir sind zu alt. Zumindest in der Wahrnehmung der anderen. Das richtige Alter zum Kinderkriegen gibt es offensichtlich nicht. Denn irgendetwas ist ja immer: Schule, Ausbildung, Studium, Auslandsaufenthalt, erster Job, erste Karriereschritte, verrückte Reisepläne, das nächste Beziehungs-Aus und, zack, schon ist es da, das Alter, in dem die Entscheidung getroffen werden muss: Kind – ja oder nein?

Dass andere sich ständig bemüßigt fühlen, Ratschläge zu geben, macht es nicht einfacher. »Was, jetzt bekommt die ein Kind, das ist doch viel zu früh, die verbaut sich ja ihr ganzes Leben.« Oder aber: »So alt und schwanger? Wie verantwortungslos von ihr, dann ist die ja tot, bevor das Kind die Schule abgeschlossen hat.« So oder so – wie wir es machen, wir machen es falsch. Männer haben es da einfacher. Fruchtbar bis ins hohe Alter, haben sie keinen körperlichen Druck. Und auch Beziehungen älterer Männer mit jüngeren Frauen sind üblicher als andersherum.

Insofern ist das einzig Sinnvolle: sich frei machen von gesellschaftlichen Erwartungen und vermeintlichen Standards. Wir sollten, wie eigentlich in allen Lebenslagen, auch beim Thema Kinderwunsch und Mutterschaft einfach mal machen, was wir wollen. Auf unser Gefühl hören! Am Ende ist Familienplanung ohnehin nicht planbar und der Begriff »Familienplanung« daher an sich schon eine Mogelpackung. Das weiß jede Frau, die gerne schwanger werden würde, aber jeden Monat enttäuscht ihre Periode bekommt. Das weiß jede Frau, die schon einmal eine Fehlgeburt hatte. Und auch jede Frau, die von einer Schwangerschaft überrascht wurde.

Im Schnitt sind Frauen in Deutschland heute 30,1 Jahre alt, wenn sie ihr erstes Kind bekommen. 1989 lag das Durchschnittsalter noch bei 22,9. Väter waren übrigens schon immer ein paar Jahre älter: vor dreißig Jahren im Schnitt Ende zwanzig, heute Mitte dreißig.

Ich selbst war mit fünfunddreißig also älter als der Durchschnitt, als ich schwanger wurde. Mir war klar, dass die Uhr als Frau mit Mitte dreißig langsam lauter und schneller tickt. Männer haben dieses »Fruchtbarkeits-Ablaufdatum« ja unfairerweise nicht. Unfair – oder besser: ungleich –, weil dieses Ungleichgewicht in Beziehungen oft zu Diskussionen führt, bei denen sich eine Seite unter Druck gesetzt fühlt und die andere Seite nicht ernst genommen. Ich kenne einige Beispiele, in denen Männer diese Entscheidung für sich – und damit letztendlich auch für ihre Partnerin – zuerst hinausgezögert, sich dann irgendwann getrennt und mit einer neuen, jüngeren Partnerin Kinder bekommen haben. Das ist bitter für die Ex. Beim Thema Elternwerden gibt es keinen Kompromiss. Ein bisschen schwanger sein ist nicht möglich – entweder man entscheidet sich für Kinder oder dagegen. Ob das dann überhaupt alles so klappt wie gewünscht, ist noch eine ganz andere Frage.

Jedenfalls beschäftigen sich Männer erfahrungsgemäß, wenn überhaupt, erst Jahre später mit der Frage: Möchte ich ein Kind? Mein Freund und ich hatten die Frage aber schlussendlich für uns mit »Ja« beantwortet.

In den ersten drei Schwangerschaftsmonaten war mir an jedem einzelnen Tag übel. Morgens kam ich deswegen kaum aus dem Bett, denn jede Bewegung verursachte Brechreiz. Bei der Arbeit wollte ich mir anfangs nichts anmerken lassen, schließlich wusste ich, dass eine nicht unerhebliche Anzahl der Schwangerschaften innerhalb der ersten Wochen wieder endet. Dann hätte ich keine Fragen oder mitleidigen Blicke gewollt. Über eine Krankschreibung habe ich damals nicht nachgedacht. Für mich sollte die Schwangerschaft etwas Tolles, eine spannende Erfahrung sein – und keine Erkrankung, wegen der ich zu Hause bleiben müsste. Dabei rechnete ich vor allem in den ersten Wochen bei jedem Toilettengang damit, Blut in meiner Unterhose zu haben. Und war jedes Mal erleichtert, dass es nicht so kam.

Im Büro ging ich regelmäßig auf die Toilette – allerdings nicht, um zu pinkeln, sondern, um mich zu übergeben. Es war gar nicht so einfach, das geheim zu halten. Das einzig Gute an der Übelkeit: Solange ich sie spürte, war ich mir sicher, dass auch der stetig wachsende Embryo noch da war. Das sagte ich mir jedenfalls zur Beruhigung. Positives Framing ist alles. Und schließlich gibt es Studien dazu, dass Schwangere, die unter Übelkeit und Erbrechen leiden, ein deutlich niedrigeres Risiko für eine Fehlgeburt haben. Darauf setzte ich also.

Wenn meine Kolleginnen und Kollegen das Haus verließen und ich das Großraumbüro für mich allein hatte, legte ich mich manchmal für ein kleines Nickerchen hinter den Raumteiler. Unter normalen Umständen hätte ich das peinlich gefunden, und natürlich auch unappetitlich, mit meinem Kopf den abgelatschten Teppich zu berühren. In diesen Momenten war es mir vollkommen egal. Die ständige Müdigkeit und der Drang, kurz die Beine hochzulegen, wogen schwerer.

Auch ich wog schon bald sehr viel mehr. Gleich in den ersten Wochen nahm ich viel mehr an Gewicht zu als empfohlen. Die Kurve in meinem Mutterpass sprengte die Standardgrafik. Tatsächlich hatte ich recht schnell herausgefunden, dass ständiges Essen gegen die Übelkeit half. Doch das übermäßige Wachstum in die Breite konnte sich trotzdem niemand so recht erklären. Seit meiner Kindheit bin ich Vegetarierin, esse also viel Obst und Gemüse, aber wenig Fettes und nicht einmal übermäßig viele Süßigkeiten.