Durchreise - Monika Elsen - E-Book

Durchreise E-Book

Monika Elsen

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Beschreibung

Eine Fantasie-Reise durch ein reales Leben. Ein Blick von oben, von unten, drei-dimensional und metaphysisch!

Das E-Book Durchreise wird angeboten von BoD - Books on Demand und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Liebe, Spiritualität, innere Reise, Trier, Berlin, Schweiz, Seelenwanderung

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Seitenzahl: 560

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AUTORIN

Monika Elsen

Geboren 14.01.1967 in Wittlich, Deutschland, heute wohnhaft in der Schweiz

Mit einer grossen Portion Neugierde, Lebenserfahrung und Wissen. Immer noch auf der Suche und Reise. Viele Antworten hat sie auf ihre Warums bereits bekommen. Doch je mehr, desto mehr Fragen taten sich wiederum auf. "Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden. Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde. Hermann Hesse"

INHALT

Ein wenig autobiographisch – mit grösstenteils geänderten Namen – eine Zeitspanne von 20 Jahren -beleuchtet aus einer etwas anderen Perspektive – mehrdimensional oder metaphysisch? Eine Theorie, wie es hätte sein können. Wie sich alles zusammenfügen möchte - zu einem grossen Bild. Das Buch ist geflossen – als sollte es so sein.

Für meine Tochter

Ich wünsche dir, dass du immer neugierig bleibst und niemals das Unmögliche ausschliesst – es ist vielleicht einfach noch nicht bewiesen!

„Wenn wir alles erforschen, werden wir die Wahrheit manchmal da finden, wo wir sie am wenigsten erwarten.“ (Quintilian)

Inhalt

1. Anfang

2. Rettung

3. Flucht

4. Versuchung

5. Neue und alte Wunden

6. Himmelhoch Fallen

7. Abschied

8. Haltsuche

Buch II

9. Ankunft

Sie waren ein grosses Volk. Unsterblich. Weit über das Universum verstreut. Manchmal kam es Kay so vor, als würde er nicht mehr dazu gehören. Oder noch nicht. Die Versammlungen waren ihm fremd. Das Reisen machte ihm keinen Spass. Und obwohl er ein umfassendes Wissen hatte, konnte er nichts damit anfangen. So ganz ohne Ziel. Langsam setzte er sich wieder in Bewegung. Löste seinen Blick von den wundervollen Bergen und dem Sonnenuntergang, der seinen rötlichen Schimmer über die Bergspitzen goss. Ein unglaubliches Bild. Nun gut, genug nostalgische Gefühle. Er schwebte über den Gipfel, auf dem er eben noch gesessen hatte und fing an, sich auf Gesch zu konzentrieren. Gesch würde in einer Energiehöhle auf ihn warten. Weit weg, in einem anderen Sonnensystem. Er spürte, wie er sich zu einem einzigen Energiestrich zusammenballte und flog davon.

Gesch begrüsste ihn mit warmen Worten. Ihre Sprache bestand nur aus Gedanken. Gezielte Telepathie. Jeder von ihnen konnte steuern, ob nur das Gegenüber oder auch andere Mitglieder dieses grossartigen Volkes es hören sollten. Jeder von ihnen war für jeden erreichbar. Und sie kannten sich alle. Aber nun sprach Gesch allein zu ihm. Und Kay war ihm dafür dankbar. Er fühlte sich so ein wenig mehr aufgefangen. Sie setzten sich in eine in den Felsen vor Urzeiten von den Einwohnern gehauene Nische. Manche Gepflogenheiten waren ihnen selbst so ans Herz bewachsen, dass sie nicht mehr darauf verzichten wollten und es gerne bei jeder Gelegenheit nachahmten. Sitzen. Gehen. Ruhen. Ja, sogar eine menschliche Gestalt annehmen.

An der Decke und an den Wänden funkelten die wunderschönsten Kristalle. Das Licht fiel durch einen kleinen Tunnel, der nach oben führte und den Blick auf Arius, die zweite Sonne am Himmel, freigab.

Gesch wollte alles wissen. Über den Anfang. Das Ende. Kays Gefühle. Schnell spulten sich die Erinnerungen ab. Ein Gesicht tauchte auf. Ein liebliches Gesicht. Ja, das war Giselle. Seine Giselle. Er spürte immer noch die tiefe Verbundenheit zu ihr. Und kurz flackerte der Schmerz auf, als sie ihn verlassen hatte. Der Gedanke, dass sie nun doch nicht für immer verloren sein würde, tröstete ihn sofort. Aber eigentlich hatte er es auch schon zu Lebzeiten geahnt. ‚Bald, Giselle! Dann wirst du wieder bei mir sein,‘ beendete er seinen Gedankengang. Bald. Gesch fühlte Kays inneren Aufruhr. Und lächelte wissend. „Mein lieber Kay. Lass dir ein wenig Zeit, bis du alles begreifst. Du hast die Aufgabe erfüllt, weisst du das?“ Kay sah ihn verständnislos an. Hatte er etwas vergessen können? Eine Aufgabe? „Nein, du hast nichts vergessen“, grinste Gesch ihn an. „Wir hatten es nie wie eine Aufgabe formuliert. Aber du bist nun eine Einheit mit Giselle – oder besser Romania. Ihr werdet für immer verbunden sein und weiter leuchten als alle nicht transformierten Sonnenkinder. Unangreifbar.“ Er machte eine kurze Pause. „An die Ausgangslage erinnerst du dich noch, oder?“

Kay konzentrierte sich auf den Zeitpunkt vor dem Weggang, und Bilder tauchten vor seinem geistigen Auge auf. Die Äeschs. Ein aufgetauchtes Volk, das Energie verspeiste, als wäre es Benzin für den Motor. Kurz musste er lächeln, als er an das Benzin dachte. Eine so wunderbar begrenzte Welt. Jetzt kam ihm die ganze Bandbreite seiner Existenz wieder ins Bewusstsein. Langsam löste sich der Schleier. Und die Bedrohung der Äeschs wurde erneut spürbar. Sie jagten sein Volk – die Sonnenkinder. Jeder von ihnen war eine kostbare Energiequelle. Und die Äeschs das Pendant dazu. Mit raffinierten Fallen hatten sie schon einige von ihnen eingesogen. Und von Fert, Gigs, Vae und all den anderen kam kein Signal mehr. Die Sonnenkinder mussten davon ausgehen, dass ihre Brüder und Schwestern verloren waren. Ein Zustand, den sie nicht kannten. Kalte Schauer liefen Kay über den Rücken. Er schaute Gesch fragend an. „Ist noch Schlimmeres in der Zwischenzeit passiert?“ Gesch nickte unglücklich. „Die ganze Sippe der Krals ist verschwunden. Sie antworten ebenfalls nicht mehr. Wir müssen von dem Schlimmsten ausgehen.“ Kay spürte einen heftigen Schmerz in seiner Brust, als er an seine alten Begleiter dachte. Es stimmte. Kein Zeichen war zu spüren. Traurig liess er seinen Blick über die Kristalle schweifen. Sie gaben ihm Trost und Stärke und er wandte sich wieder an Gesch. „Ich erinnere mich nun, dass wir über unsere Abwehr gesprochen hatten. Die einzige Waffe, die uns vor den Äeschs schützt.“ Gesch nickte und erwiderte: „Du hast sie für dich mitgebracht.“ Kay suchte in Geschs Gedanken eine Antwort auf seine Frage. Welche Waffe hatte er mitgebracht?! Da blitzte ein weiteres Erinnerungsfenster auf. Der Beginn ihrer heutigen Existenz. Der Beginn ihrer Entwicklung. Gegen die Äeschs. Er sah Greija und Laos. Wie so oft, hatte sein Volk wieder Experimente gemacht. Um noch mehr zu verstehen. Um weitere Horizonte zu beschreiten. Und war auf eine Entdeckung gestossen: Die Verschmelzung. Greija und Laos, die das Experiment begleiteten, hatten sich als Versuchsobjekt zur Verfügung gestellt. Und die anschliessende Kernfusion hatte aus ihnen eine leuchtende Einheit hervorgebracht. Man sah sie nun schon von weitem. Sie bewegten sich elegant und präzise. Ihre Harmonie war überall zu spüren, wo immer sie anschliessend auftauchten. Und ihr Wissen war allumfassend geworden. Kein Äe konnte ihnen etwas anhaben. Und genau diesen Zustand wollten sie für alle Sonnenkinder erreichen. Das Experiment war allerdings heikel gewesen. Das Risiko zu gross, dass andere Sonnenkinder womöglich nicht überleben würden. Oder sie selbst zu einem schwarzen Loch werden liess. Und so kreierte man nach langen Versuchen eine Lernumgebung, die nicht so gefährlich für sie war. Auf bewohnbaren Planeten. Nicht jeder, der an den Lektionen teilnahm, erreichte jedoch das Ziel. Ihre ursprüngliche Neutralität ohne die Ausprägung der Gefühle, ihre Fähigkeiten, alles wahrzunehmen und zu analysieren, aber auch ihre Individualität waren teilweise Hinderungsgründe.

Zu Anbeginn der Zeit waren sie alle eine friedliebende Gesellschaft gewesen. Sie spielten auf den vorhandenen Planeten in den unterschiedlichsten Sonnensystemen. Zeit und Raum waren für sie eine perfekte Spielwiese.

Doch mit der Zeit hatte sich aus ihrem Spieltrieb ein raffiniertes Jagen und gejagt werden herauskristallisiert. Sie hatten es bis zur Perfektion betrieben. Und immer dann, wenn es einen Sieger gab, jubelte das ganze Volk. Das Gefühl von Sieg und Niederlage nahm Besitz von ihnen. Und sie gierten immer mehr danach. Das Gefühl von Macht war eine grosse Energiequelle, die sie zu unvorhergesehener Stärke führte.

Schliesslich hatte Äe, der mehrere Niederlagen einstecken musste, zu einem neuen Experiment gegriffen, das ihn verändert hatte. Ein heftiges Experiment, das ihn umkehrte in ein schwarzes Loch. Er zog einige seiner engen Umgebenden mit hinein und war ab da, zusammen mit den anderen, nicht mehr greifbar. Und seitdem jagten die Äeschs die Sonnenkinder. Ein noch grösseres Machtspiel begann. Es wurden immer mehr und vor allem grössere schwarze Löscher. Und jedes Sonnenkind musste nun extrem aufpassen, um nicht in eine der vielen Fallen zu geraten. Äe war mächtiger geworden als sie. Sie hatten händeringend nach Gegenmassnahmen gesucht. Sie waren Sonnenkinder und mussten wieder stark werden, um der Nacht ein Gegengewicht zu bleiben und um zu verhindern, dass auch ihre Sonnen als ihr primärer Lebensraum eines Tages von den Schwarzen Löchern aufgesogen wurden. Also formten sie weitere bewohnbare Planeten zu ihrer eigenen Lernumgebung. Dort schufen sie Spannungsfelder, die letztendlich zu einer vergleichbaren Verschmelzung führen konnten, wie die anfängliche Kernfusion von Greija und Laos. Auf der Erde entdeckten sie perfekte Bedingungen. Nur dass die Verschmelzung weiterhin zwei Individuen entliess, die bereits einzeln heller leuchteten als jedes andere Sonnenkind. Waren sie jedoch zusammen, konnten sie durch ihre Macht noch andere Sonnenkinder beschützen. Seit dieser Entdeckung scharten sich reihenweise nicht transformierte Sonnenkinder um die transformierten. Doch seit der Entdeckung strebten von nun an alle nach Transformation. Nach Sicherheit. Nach dem Gegengewicht zu den schwarzen Löchern. Der Weg war langwierig und stand nicht jedem Sonnenkind offen. Sie waren einfach zu viele. Und waren Sonnenkinder auf der Erde, war jeglicher Kontakt und damit die Kontrolle unterbunden. Bis…

Gesch fragte ihn, ob er sich an die letzte Zeitspanne erinnern könne. Kay überlegte. Giselle war ihm sehr präsent. Sie hatten im Erdenjahr 1959 bis 1966 ihr Leben zusammen verbracht. Mehr oder weniger… Doch dann öffnete sich erneut ein Fenster. Er sah sich 1791 in Frankreich. Ja, dort hatte er Giselle das erste Mal gesehen. 1517 – hier war er auch. 1326. 1140. … Ihm wurde plötzlich bewusst, dass er viele Leben auf der Erde gelebt hatte. Hunderte? Und dann erinnerte er sich an noch etwas: Er war vorher schon einmal dort gewesen. Als Einzeller, Fisch, Dinosaurier. Bis die meisten von ihnen zurückgerufen wurden. Für einen kurzen Moment. Dann war er als Mensch zurückgekehrt. Und hatte sich weiterentwickelt. Gesch blickte ihn liebevoll an. ‚Du hast die Ausbildung erfolgreich gemeistert! Du bist verschmolzen. Du strahlst heller als die meisten von uns. Romania und du – ihr seid nun gewappnet gegen unseren grössten Feind!‘ ‚Aber warum ist Romania nicht bei mir?‘ Ein starkes Ziehen meldete sich in seiner Herzgegend. ‚Sie wartet bereits auf dich. Sie kam etwas früher als du zurück. Lass deine Ängste los und fühle hinein!‘. Tatsächlich. Sobald er sich auf sie konzentrierte, war sie bereits da. Ihre Wärme umfing ihn sofort. Gesch lächelte, als er sie so sah. Kays und Romanias Schönheit strahlte und brachte alle Steine noch mehr zum Funkeln. Ihre Lichter verwoben wie ein farbiges Muster. Sie brauchten nicht mehr zu reden. Sie waren eins. Gesch liess sie gewähren, wusste er doch, dass sie die Hürde der erdgebundenen Ängste durch ihren dortigen Tod erst einmal verarbeiten mussten. Ihr helles Strahlen änderte sich von vereinzelt aufflackernden Regenbogenfarben in ein konstantes helles, warmes Licht. Dabei wurden ihre Konturen wieder deutlicher. Romania verabschiedete sich wieder. Sie wusste, das Gespräch mit Gesch war noch nicht vorbei. Und Kay setzte sich nun erneut Gesch in menschlicher Gestalt gegenüber –doch in sich ruhend und strahlend – und allwissend.

Kay runzelte die Stirn. Irgendetwas kam ihm in den Sinn. Etwas Wichtiges. Er hatte etwas gespürt. Dort auf der Erde. ‚Gesch. Kann ich dich etwas fragen?‘ ‚Ja, natürlich.‘ ‚Weisst du, was auf der Erde falsch läuft?‘ Jetzt schaute Gesch ihn erstaunt an. ‚Etwas falsch laufen? Was denn?‘ ‚Das Gleichgewicht. Es stimmt nicht mehr.‘ Gesch überlegte. ‚Meinst du die Kriege und Unterdrückungen? Morde und sonstige Gewalttaten? Die gehören zu dem System dazu. Erinnere dich. Wir waren früher schon immer auf der Jagd. Wir sind perfekt darin. Und dieser Zug ist nicht immer abzustellen. Wir nehmen ihn mit. Und treiben dadurch auch andere, ohne diese Eigenschaft, in leidvolle Situationen hinein. Wir benötigen diese Dualität. Sie ist Grundlage unserer Ausbildung.

Ohne diese schwarze Seite, wird die uns wichtige Seite nicht geformt. Ohne Überlebensinstinkt und Gruppenbzw. Gesellschaftsbildung erhalten wir keine weiterreichenden positiven Gefühle. Dazu gehört sogar die Rebellion.

Ohne schlimme Erlebnisse weiss man die Guten nicht zu schätzen. Auf lange Sicht. Über die vielen Leben hinweg. Wir brauchen diese Kräfte für die Verschmelzung. Als Voraussetzung.‘

‚Das weiss ich.‘ hob Kay an. ‚Wir haben alle unsere dunkle Seite ausleben müssen. Aber die Gemeinschaften bröckeln. Und die Ausbildung der Gefühle für das Gegenüber mit ihnen. Es herrscht immer mehr Gier, Egoismus und Gleichgültigkeit. Nicht ausserhalb der eigenen Gesellschaftsgrenzen, wie es teilweise früher war, sondern ganz individuell. Bei immer mehr einzelnen Menschen. Ich habe das Gefühl, dass das, was wir für die Verschmelzung benötigen, immer mehr absinkt. Dass die Entwicklung irgendwie rückläufig ist. Bei vielen. Es gibt irgendwie nicht mehr den Gegner „Goliath“, sondern viele kleine „Goliathe“ in den Menschen selbst.

Vielleicht bilde ich mir das nur ein. Aber wenn nicht… Was kann das sein?‘, fragte Kay vorsichtig. Gesch verharrte einen Moment. ‚Kann ich diesen Gedanken teilen?‘, fragte er. ‚Natürlich. Ich wäre auch gerne dabei.‘ Und so öffneten sie ihre Gedanken und hielten spontan Zwiesprache mit allen, die offen dafür waren. Unruhe machte sich unter den Zuhörern breit. Alle dachten nur an denselben: Äe. Hatte er es geschafft, sich in ihr Zentrum zu infiltrieren? Heimlich Einfluss zu nehmen, um den weiteren Erfolg zu verhindern? Sie waren schon so weit gekommen. Etliche trugen den Samen der Liebe in sich. Viele waren schon dauerhaft zurückgekehrt, verschmolzen und als kleine Sterne am Firmament zu bestaunen. Und ihr ganzes zukünftiges Potential steckte in diesem einen übriggebliebenen Planeten. Nach und nach hatten sich immer mehr von ihnen entschieden, zu diesem gemeinsamen Ziel geführt zu werden. Durch diese harte Schule. Und bereits sehr viele waren zurückgekehrt. So wie Kay. Oder auch Gesch.

Man entschloss sich noch im selben Moment für ein Treffen. Denn nur so konnten sie ihre Energie vereinen und Antworten finden, die sie auf telepathischem Weg nicht erhalten würden.

Und so machten sich die Sonnenkinder auf zu Arius, der zweiten Sonne. Beobachter sahen Arius fast aus den Fugen quellen, soviel Energie musste sie aufnehmen. Scheinbare Eruptionen waren die Folge, die von den Sonnenkindern als angenehme und unterstützende Windstösse empfunden wurden. Und Äe schaute zu.

***

Sie nickten sich zu. Einvernehmlich. „Wir zählen auf dich, Romania. Du wirst einen weiteren Auftrag erfüllen. Für unser Volk.“ Romania sah ihre Freunde voller Zuversicht an. „Ich werde es schaffen. Diese kleinen Pflänzchen werden wieder stark und die Schleusen werden sich öffnen. Für unser Fortbestehen.“ „Du weisst, dass du mächtige Gegenspieler hast?“ „Ich weiss“, nickte Romania. „Und du kennst deine Stärke und die Verbindung zu Kay, die dir helfen wird?“ „Ja, ich denke. Noch…“ „Du wirst sie spüren, wenn es soweit ist. Das wissen wir.“ Romania nickte. „Und nun, geh hin in Liebe. Der richtige Zeitpunkt ist jetzt gekommen. Wir können nichts mehr für dich tun. Ab jetzt bist du auf dich alleine gestellt.“ Sie nahmen Romania in ihre Mitte. Umarmten sie noch einmal, hielten einen Teil der leuchtenden Energie zurück und schauten ihr nach, wie sie sich langsam durch den Bauch in das winzige sie erwartende Menschenkind senkte. Diese Hülle würde jetzt ihre sein. Vorgesehen für eine Geburt im Zeichen des Pferdes und des Steinbocks. Januar 1967. Stark und ehrgeizig würde sie sein. Freiheitsliebend und empfindsam.

Während sie die vollkommene Geborgenheit spürte, die sie soeben verlassen hatte und die sie nun wieder empfing, wurde sie ganz sanft von ihrem Gedächtnis verlassen. Das kümmerte sie jedoch kaum, wusste sie doch, dass sie bald alle Erinnerungen wieder miteinander vereinen würde.

1. Anfang

Voller Freude verliessen wir das Haus. Ein Haus! So billig wie unsere Drei-Zimmer-Wohnung! Einziger Wermutstropfen: Eine Ofenheizung. Aber dafür auf dem Land, nicht weit von unserer Stadt entfernt und vor allem: Ein Garten! Wir sagten dem Vermieter sofort zu – falls er uns haben wollte. Er würde es sich noch überlegen, sich aber auf jeden Fall in den nächsten zwei Wochen melden.

Rachel hatte die Neuankömmlinge teilnahmslos beobachtet. Schon wieder welche. Die siebten für diese Woche. Vielleicht besser als die jetzigen Mieter, aber eigentlich war es auch egal. Was änderte es… Doch plötzlich hatte diese Lisa etwas gesagt, was sie aufhorchen liess: „… wir würden hier zusammen mit meinem Sohn einziehen. Er ist allerdings heute nicht dabei.“ … ‚mein Sohn?’ Also war es nicht ihr gemeinsamer, sonst hätte sie es nicht so betont! Rachel verspürte ein leises Ziehen in ihrer Magengrube. Parallelen? Dann hatte sie Lisa genauer betrachtet. Die Unbekannte schien ein liebes Wesen zu sein. Lachte oft und herzlich. Und sie war nicht nur hübsch sondern strahlte auch bei näherem Hinsehen eine zart spürbare Lebensweisheit aus. Und ihr Mann oder Freund? In den heutigen Zeiten wusste man das ja nie so genau. Der war eher distanziert. Selbstbewusst schien er aussagen zu wollen: ‚Ich habe hier sowieso alles im Griff’. Gut sah er aus, fand sie. Ja, ein nettes Paar. So wie sie damals. Und dann wusste sie es: Sie würde es wollen, die beiden hier einziehen zu lassen. Sie spürte eine Verbindung. Und vielleicht ergab sich doch eine Lösung für ihr eigenes Problem.

Bereits eine Woche später hatten wir die Zusage. Endlich. Endlich gab es auch eine gemeinsame Zukunft. Bisher hatte Volker bei mir gewohnt. Bei mir und meinem fast dreijährigem Sohn. Seit einem halben Jahr. Das war nicht dasselbe. Hier in der Wohnung war ich zuerst gewesen. Hatte alles geprägt. Und dort hätten wir einen gemeinsamen Start.

Nachdem wir den Mietvertrag unterschrieben hatten, gingen wir noch einmal in das nun leere neue Zuhause. Ein muffiger Geruch strömte uns entgegen. Na ja, das Haus war uralt und schon lange nicht mehr gelüftet worden. Aber da, was war das? Die halbe Wand im Treppenhaus kam uns entgegen. „Das ist kein Problem“, meinte Volker. „Das kann ich verputzen.“ Jetzt, wo keine Möbel mehr herumstanden, konnte man aber auch noch etwas anderes sehen: feuchte Wände mit Schimmelflecken. Mir wurde ganz flau im Magen. Der Geruch nistete sich in meinem Kopf fest. „Lass uns vom Vertrag zurücktreten“, bat ich spontan. Ein Gefühl machte sich breit, als ob wir hier falsch wären, das Ganze nicht sein sollte. Volker beschwichtigte. „Das kriegen wir schon alles hin. Wir müssen eben eine Menge renovieren.“ „Und der Schimmel?“ „Da gibt es Mittel…“ „Und diese Ofenheizung? Vielleicht ist sie daran schuld, dass es immer wieder schimmelt.“ „Ach, das wird schon klappen. Ich werde dafür sorgen, dass genug geheizt wird. Werde Holz im Wald machen gehen, bis der Schuppen überquillt.“ Ich liess mich beruhigen.

Wie sehr wollte Rachel, dass sie einziehen! Aber es war wirklich beeindruckend. Diese Frau liess sich nicht einfach beeinflussen. Legte ihr Steine in den Weg. Wie machte sie das? Er hingegen war leicht zu steuern. Tröstlich. Es war gelungen! Und für die Zukunft bedeutete es eben: Wenn schon nicht auf dem direkten Weg, konnte sie diese Frau zumindest so erreichen!

Die nächsten zwei Wochen schufteten wir wie die Irren. Tapete runter, Mittel drauf, neue Tapete. Dielen abschleifen. Versiegeln. Der eine Fensterladen war kaputt. Erste zähe Verhandlungen mit dem Vermieter. Aber wir würden neue Fenster bekommen. Der kleine Sven durfte jetzt öfter mit. Meistens beschäftigte er sich in dem neuen Garten. Aber die Versorgung war schwierig. Wir hatten ja noch keine Möbel, geschweige denn eine Küche. Und Sven hatte, wie jedes kleine Kind, pünktlich Hunger und kein Verständnis für unsere Notlösungen. Eigentlich war es ein stressiges und auch finanzielles Desaster. Aber Volker liess sich nicht aus der Ruhe bringen. Sonst war doch immer ich der Optimist! Vielleicht war aber auch meine persönliche Verfassung daran schuld. Ich hatte gerade meinen Job verloren und wusste nicht, wovon mein Sohn und ich zukünftig leben sollten. Wie viel ich beisteuern konnte zu unserem jetzt gemeinsamen Leben. Für Volker kein Problem, er konnte sich darauf verlassen, dass ich einen Weg finden würde. Er hatte zwar einen festen Job, aber für drei würde es nicht reichen. Und ich würde auch niemals auf seiner Tasche liegen, das wusste er. Zu stolz, zu unabhängig. Umso mehr belastete es mich. Nach dem Umzug waren meine Reserven ins Minus gerutscht. Ich schwankte noch, ob das Haus wirklich die richtige Entscheidung war. Wenn ich nicht schnell einen Job finden würde, müsste ich nach einer billigeren Variante suchen.

Die Reise in die Stadt war ziemlich anstrengend gewesen, doch zufrieden liess sich Rachel in ihren Sessel gleiten. Jetzt würde es Lisa bald besser gehen.

Und dann würde es Lisa auch in ihrem neuen Zuhause besser gefallen. Und dann würde sie auch bleiben wollen. Das war doch logisch.

Schon bald nach unserem Einzug erhielt ich unerwartet eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Mitten im Umzugsstress hatte ich noch schnell eine Bewerbung geschrieben und jetzt das! Ich freute mich wie ein kleines Kind. Der erste Schritt für einen neuen Job war gemacht. Und der Rest, ihn dann auch zu bekommen? Der ist nur noch ein Klacks. Ich wusste, dass ich überzeugen konnte, wenn ich wollte. Es ging aufwärts, Lisa.

„Hör auf, Schicksal zu spielen“, kam es mit dunkler Stimme aus der Ecke. Rachel wusste genau, wer das war, und wütend fuhr sie hoch. „Das sagt ja genau der richtige! Wie wäre es, wenn du dich ausnahmsweise mal raushalten würdest!“ Er kam aus dem Schatten und grinste sie schief an. „Immer noch böse?“ „Natürlich! Wie könnte ich denn anders. Immerhin bist du an allem schuld!“ „Moment mal.“, fuhr er sie an. „Zu unseren Problemen gehören immer noch zwei.“ „Wenn ich das nur höre“, ereiferte sie sich. „Zwei! Wenn überhaupt, dann gilt das für zwei menschliche Wesen im Hier und Jetzt. Also rede dich nicht raus.“ „Na ja. Vielleicht hast du Recht. Ich wusste mit mir halt nichts anzufangen. Und du hast mir wirklich gefallen.“ „Toll.“, antwortete sie ironisch. „Aber du hast mich heute trotzdem nicht.“ „Das stimmt. Sehr zu meinem Bedauern“, bekräftigte er. Schweigen. Er fuhr fort: „Und wie ich zu meinem Leidwesen feststelle, möchtest du mich auch noch hier alleine lassen. So, wie du dich um die neue Mieterin bemühst!“ Genervt verdrehte sie die Augen. „Jetzt hör aber auf! Hast du es immer noch nicht begriffen? Hier geht es überhaupt nicht um uns! Ausserdem kannst du ja mitkommen. … Wenn du es schaffst.“ „Wenn du es schaffst“, äffte er sie nach. „Sehr lustig. Mir reicht’s für heute. Ich gehe wieder zurück.“ „Ja, mach das.“ Rachel atmete auf, kaum war er weg. Wie sehr sie ihn verabscheute! Sie kuschelte sich in ihre Decke vor den warmen, lodernden Kamin und dachte über ihre Pläne mit Lisa nach.

Wie konnte mir das nur passieren! Nicht aufgepasst, natürlich. Ich wollte kein zweites Kind. Nicht jetzt. Aber die Anzeichen waren nicht zu übersehen. Oder zu überspüren? Ich versuchte meinen Verdacht zu ignorieren. Bloss keine Entscheidung. Nicht wie damals. Stattdessen fuhr ich mit einer handfesten Bronchitis auch noch Motorrad. Über so viele Schlaglöcher, wie es ging. Aber nein, nichts passierte. Ich fing nicht an zu bluten und das Ende der gefühlten 12. Woche rückte immer näher. Gut, einerseits wünschte ich mir von Volker ein Kind. Ich liebte ihn. Er war mein Zuhause. Ich schien endlich angekommen. So harmonisch und lebensfroh. Wir unternahmen viel mit anderen. Unser Haus war mittlerweile Anlaufstelle für alle unsere Freunde. Feste bei jeder Gelegenheit. Gemeinsame Essen. Und wenn wir alleine waren, lebten wir immer unsere körperliche Anziehungskraft aus, selbst wenn es nur zärtliches Kuscheln vor dem Fernseher war. Oder wir diskutierten über Gott und die Welt. Nur… ich wollte keine Abhängigkeit. Es sollte so bleiben. Er sein Geld, ich mein Geld. Und gemeinsam bestreiten wir unkompliziert den Rest. Wenn ich noch ein Kind bekäme, wie würde ich dann arbeiten können? Wieder von vorne anfangen? Ganz unten? Ausserdem könnte mich Volker gar nicht versorgen, schliesslich war er bis unter die Halskrause verschuldet. Und ich hatte doch gerade erst einen neuen Job. Und wie sähe das denn dort bei meinem Chef aus? Wie Absicht.

„Tobias, warst du das?“, brüllte Rachel in den Raum. „Wie kommst du denn darauf?“, kam es scheinheilig zurück. Rachel konnte es nicht fassen. Was bildete sich der Kerl ein, ihr einfach dazwischen zu funken. Sie wusste genau, dass er seine Finger im Spiel hatte. „Warum willst du sie unglücklich machen?“, fragte sie ihn verzweifelt. „Unglücklich? Ein Kind ist doch kein Unglück, wie du selbst weisst.“ „Ja wohl. In diesem Fall schon. Es wird sie noch mehr binden und sie wird immer weiter in die Falle tappen. Wie bei mir damals. Aber … du weisst das doch genau.“ „Ich weiss nur, dass sie dieses Kind bekommen musste. Wenn ihr schon so miteinander verbunden seid, dann müsstest du es wissen. Ich war es nicht. Also beruhige dich und höre auf Schicksal zu spielen. Du wirst es sowieso nicht schaffen. Ich lass dich nicht gehen.“

Ich stand stolz meinen „Mann“. Fehlte keinen Tag während meiner Schwangerschaft. Und da ich eine befristete Stelle hatte, nahm ich mir auch gleich vor, direkt nach der Geburt, d. h. nach dem Mutterschutz, wieder arbeiten zu gehen. So lange wie möglich die gute Bezahlung mitnehmen. Sven freute sich auf sein Geschwisterchen. Ich bezog ihn mit ein. Bloss keine späteren Eifersuchtsdramen! Und Volker? Er war nicht begeistert gewesen, aber er gab mir das Gefühl, alles gemeinsam meistern zu können. Die Schwangerschaft war unproblematisch. Die Geburt war für Anfang März vorhergesagt.

Am 31. Dezember feierten wir natürlich wieder eine Party. Wie jedes Jahr seit wir zusammen waren kamen ungefähr 30 Gäste. Wir hatten perfekte Aufgabenteilung: Er war der charmante Unterhalter, während ich die Freunde liebevoll umsorgte. Ich tanzte sehr gern und zu späterer Stunde konnte ich nicht anders, als mich mit meinem dicken Bauch auf die Tanzfläche zu begeben – wir hatten mittlerweile auf dem Dachboden einen Partyraum eingerichtet – und dort wenigstens so zu tun als ob. Ich ahnte, dass das Folgen haben würde, denn ich hatte bereits in den Wochen davor, jedes Mal, wenn ich mich mehr als sonst bewegt hatte, anschliessend höllische Schmerzen in meinem Schambein bekommen, so dass ich kaum noch laufen konnte. Der Arzt meinte, das wäre normal. Ich sollte mich halt schonen. Egal. Heute nicht. Nachdem ich schliesslich total erschöpft war – und ich durfte ja sowieso kein Alkohol trinken oder rauchen, was mich etwas von den Partygästen ausschloss – ging ich um drei Uhr ins Bett. Wohlweisslich, denn um sieben Uhr würde schon Sven nach seinem Frühstück schreien. In unserem Schlafzimmer schliefen schon Karin und Lorena auf ihren mitgebrachten Matten. Karin war die Schwester eines gemeinsamen Freundes, die ich bei einer der letzten Feten erst kennengelernt hatte. Doch sie hatte sich schon in kürzester Zeit als treue und liebe Seele herausgestellt. Ein wenig später kam Volker, legte sich neben mich, gab mir einen rauchgeschwängerten Gutenachtkuss und schlief ein. Eine Stunde später wachte ich auf. Ein Gefühl, als würde ein Messer durch meinen Unterleib bohren, trieb mir die Tränen in die Augen. Es tat so weh, dass ich anfing zu schluchzen. Ein Unterdrücken war zwecklos, je mehr ich es versuchte. Karin wurde wach. „Was hast du?“, fragte sie besorgt. „Warum weinst du?“ Mittlerweile war auch Lorena wach geworden. „Kriegt sie das Kind?“, wollte sie wissen. „Nein“, stammelte ich. „Es tut nur so höllisch weh!“ „Was denn?“, fragten beide wie aus einem Mund. „Mein Schambein! Die beiden Knochen unter dem Bauch. Das Baby drückt sie auseinander und jetzt tut es einfach nur höllisch weh.“, „Ach so… Können wir denn irgendetwas für dich tun? Hilft vielleicht aufstehen?“ „Nein. Ich kann nicht aufstehen.“ Hilflos schauten sich Karin und Lorena an. Langsam wurde der Schmerz etwas schwächer und mein Schluchzen hatte fast aufgehört. Karin bemerkte: „Sagt mal, wird Volker eigentlich gar nicht wach? Der müsste sich doch eigentlich besorgt um Lisa kümmern. Na ja, das ist ja mal wieder typisch Mann!“ Bewusst gemacht, fühlte ich mich in dem Moment von ihm im Stich gelassen.

Sie hatte wie wild an ihm gerüttelt. Warum wachte Volker nicht auf? Nichts. Bis sie Tobias bemerkte. Das gibt es doch nicht! Schon wieder er! Er hatte sich sicherlich in Volkers Träume geschlichen. Ihm einen Traum beschert, der zu schön war, um aufzuwachen. Das hätte sie umgekehrt auch getan. Tobias war wirklich ein ernstzunehmender Gegner. Rachel gab auf. Für den Moment.

Kathi kam etwas früher als geplant auf die Welt. Für mich war es mehr als rechtzeitig, wollte ich doch meine Unförmigkeit und Unbeweglichkeit einfach nicht mehr länger hinnehmen. Eine Woche vorher hatten wir bereits einen Fehlalarm gehabt. Wie lange war Volker mit mir im Krankenhaus treppauf, treppab gegangen, damit die gerade angefangenen Wehen wiederkommen würden. Nichts. Aber jetzt ging alles schnell. Ich war Zuhause, Sven im Kindergarten. Volker auf der Arbeit. Die Fruchtblase platzte nach einer ausgiebigen Badewanne. Jetzt nur keine Panik! Taxi? Nein, lieber nicht. Wo war mein Mutterpass? Ach ja, hier in der Manteltasche. Und Volker? Ich wählte. Keiner ging dran. Noch mal und noch mal… Nichts. Ich fühlte mich verloren. Wer würde sich jetzt um Sven kümmern, wenn der Kindergarten mittags zu machte? Panisch rief ich dort an. „In diesem Fall kümmere ich mich natürlich um ihren Sohn.“, sagte die freundliche Erzieherin. „Machen Sie sich keine Sorgen.“ Eine Last weniger. Und jetzt? Besser Krankenwagen, falls die Wehen anfangen würden. Die Fahrt war jedoch problemlos. Erst im Krankenhaus setzten sie ein. Dort bat ich die Schwester, bei Volker weiter zu probieren. Nichts. Dann endlich, endlich hatten sie ihn erreicht. Die Wehen waren schon weit fortgeschritten. Er kam sofort angestürmt und setzte sich hilflos neben mich. „Was kann ich tun?“, fragte er mich. „Nichts. Halte nur meine Hand.“ Eine halbe Stunde später war Kathi geboren. Erschöpft hielt ich die Kleine in meinem Arm und spürte, wie Volkers Blick gerührt und stolz auf uns ruhte.

Zufrieden wachte sie über Lisa. Gerade noch einmal gut gegangen. Er durfte einfach keinen Erfolg haben. Aber sie merkte, wie anstrengend es wurde, gegen Tobias zu kämpfen und dafür zu sorgen, dass Volker sich kümmerte. Sie musste höllisch aufpassen, damit ihr Plan aufging. Nur noch drei Jahre!

„Wenn du arbeiten gehst, könnte ich doch ein halbes Jahr Erziehungsurlaub nehmen“, schlug Volker eines Tages vor. Mittlerweile war ich schon wieder einige Wochen am Arbeiten. „Wenn du möchtest?“, antwortete ich desinteressiert. Es war mir eigentlich egal. Eigentlich war mir alles egal. „Ich könnte dann bei meinem Stiefvater in seiner Baufirma schwarz arbeiten und wir hätten dann mehr Geld.“ „Dann mach. Meinen Segen hast du.“ Ich fühlte mich ausgebrannt. Geld. Wo war meine Zeit geblieben? Unsere Zeit? Ich hatte einen minutiös durchgeplanten Tagesablauf. 6:00 Uhr aufstehen (nach zwei Stunden durchgängigem Schlaf, weil Kathi um 4 Uhr das Fläschchen bekam). Frühstück für Sven und mich machen. Fläschchen vorkochen. Sven wecken, anziehen, seine Zähne mit ihm putzen. Seine Wutanfälle aushalten. Mich fertig machen, während Sven an meinem Bein klebt. Kathi wecken, wickeln, fertig machen. Alle(s) zusammen packen. Um 7:45 Uhr zum Kindergarten fahren. Sven verabschieden. Um 8:15 Uhr bei Karin, die sich Gott sei Dank als Kathis Tagesmutter angeboten hat. Nicht billig, aber ich wusste, dass Kathi dort gut aufgehoben war. 8:45 im Büro. Entspannen. Hier– im Gegensatz zu meinem Zuhause – nur eine Hochzeit, auf der ich tanzen muss. Nicht viel zu tun. Suche mir Aufgaben und entwickle eigene Ideen. 12:45 Uhr zu Karin fahren. Noch etwas erzählen, Kathi einpacken. 13:30 Uhr Sven vom Kindergarten abholen. „Ich habe Hunger!“ Zuhause Kochen. Wo ist die Dose mit den Früchten, die ich gestern für den Nachtisch gekauft hatte? Kein Nachtisch. Kathi schläft. Ich räume die Küche auf. Sven möchte spielen. Fernsehen? Nein, Spielen. Ich beschäftige mich etwas mit ihm. Dann: Wäscheberge. 20? Ich wühle mich durch. Kathi schreit. Ich füttere sie. Trage sie auf dem Arm herum. Sven zieht an mir herum. Schon Abendessen? Es ist 18:00 Uhr. Volker kommt nach Hause. Wir sitzen am Tisch. Er setzt sich zu uns und erzählt mir vom Ärger auf seiner Arbeit. Sie wollen ihn raus haben. Sven reisst an der Tischdecke und schmeisst einen Teller runter. Volker wird böse. Ich erkläre ihm, dass er Sven noch nicht einmal Hallo gesagt hat und Svens Reaktion kein Wunder wäre. Abends Bügeln vor dem Fernseher. Um 22:00 Uhr hundemüde. „Kommst du mit hoch?“, frage ich. „Nein, ich bleibe noch etwas hier.“ Nachts Schreien von Kathi. Volker wacht nie auf. Ich beruhige sie. Wanke wieder ins Bett. Um 4:00 Uhr erneutes Schreien. Hunger! Danach noch ein bisschen Schlaf bis ich wieder aufstehen muss. Uff.

Rachel bedauerte Lisa. Im Gegensatz zu ihr selbst damals musste Lisa arbeiten. Das war zu viel mit einem so kleinen Kind und noch einem zweiten. Wie sollte man das schaffen.

„Hast du die Dose Pfirsiche gesehen?“ „Na klar, habe sie vorgestern Abend noch gegessen.“ „Ach, so.“ Ich war ungehalten. „Hör mal, wenn du schon nicht einkaufen gehst, wäre es zumindest schön, wenn du mich vorher fragst, ob ich das, was du wegnaschst, vielleicht noch brauche.“ „Jetzt reg dich bitte nicht auf. Ich kann doch wohl mal eine Dose Pfirsiche naschen.“ „Volker, hier geht es ums Prinzip. Und überhaupt. Ich reiss mir hier den Arsch auf, damit alle versorgt sind und du ruhst dich nur darauf aus. Du gehst nicht einkaufen, hilfst nicht im Haushalt und wenn du kommst, dann verschwindest du immer gleich in deinem Bastelzimmer!“ „Jetzt mach aber mal halblang! Erstens arbeite ich Schicht und kann mich nicht regelmässig kümmern. Und ausserdem helfe ich dir in der Küche, koche, wenn ich da bin, räume meinen Kram immer weg. Sogar gestaubsaugt habe ich am Wochenende. Und ausserdem…“ er machte eine Pause. „Was?“ „Ich habe null Motivation dir zu helfen, solange es mit uns nicht wieder so ist wie früher.“ „Wie meinst du das?” „Ich meine, du hast keine Zeit mehr für mich. Du schläfst kaum noch mit mir, behandelst mich wie einen WG-Partner und überhaupt ist einfach gar nichts mehr mit dir los.“ Ich konnte es nicht fassen. Sah er denn nicht, wie es mir ging? Was los war? Dass ich einfach nicht mehr konnte? „Hast du mal gesehen, wie viel übrig bleibt von mir?“, fragte ich ihn verständnislos. „Und wenn du mir nicht hilfst, habe ich logischerweise auch weniger Zeit für dich. Geschweige denn für mich. Und wie, bitte schön, soll ich das hier alles schaffen?“ „Na so wie früher. Da warst du auch arbeiten und hattest ein kleines Kind.“ „Hallo? Siehst du denn nicht, dass wir Zuwachs bekommen haben? Kathi ist auch deine Tochter.“

Oh, oh! Das lief aber gar nicht gut. Merkwürdig war nur, dass sie Tobias gar nicht entdeckte. War es doch alles Volkers eigenes Verhalten? Egozentrisch wie ihr damaliger Mann Matthias? Rachel musste irgendwie eingreifen. Lisa brauchte Unterstützung. Vielleicht würde ein gemeinsames Wochenende Abstand in den Alltag bringen und die beiden zur Besinnung?

Wir fuhren mit der Clique und natürlich unseren Motorrädern in den Elsass. Einfach mal raus. Karin hatte sich für ein Wochenende als Babysitter angeboten. War das nicht traumhaft von ihr? Warum, um Himmelswillen hatten Volker und ich uns eigentlich die letzte Zeit so gezofft? Aus der häuslichen Distanz heraus fand ich ihn wieder attraktiv, witzig und begehrenswert. Er bemühte sich, kümmerte sich um mich, als wäre ich das Wichtigste der Welt. Ich war versöhnt.

Wir hatten nur eine halbe Stunde im Hotelzimmer, bevor wir uns mit den anderen wieder treffen würden. Und die nutzten wir. Vertraut wie früher.

Ein wunderbares Wochenende ging zu Ende und eine rührende Karin erwartete uns mit einem grossen MöhrenEintopf draussen im Garten zurück. Uns ging es doch richtig gut! Volker und ich redeten ab da wieder öfter miteinander und auch der Stress wurde mit Kathis zunehmender Pflegeleichtigkeit immer weniger. Ich versuchte Volker zu erklären, warum ich ab und zu so distanziert war. Wie sollte ich ihm mehr geben, wenn ich für mich selbst keine Zeit hatte? Ohne sein Gefühl, vernachlässigt zu werden, hörte er zu und schien es zu verstehen. Er half zunehmend wieder mehr im Haushalt, zumindest die schweren Getränkekisten brauchte ich nicht mehr zu schleppen. Und er kümmerte sich, jetzt im Herbst, um jede Menge Holz. Leider etwas zu spät, wie wir später im Winter, bei schwelendem Feuer, das nicht richtig brennen wollte, bemerken sollten. Aber immerhin.

Die Zeit seines Erziehungsurlaubs brach an. Er freute sich richtig, von seiner Arbeit wegzukommen und blühte regelrecht auf. Seine alltäglichen Beschwerden fielen weg und auch mir ging es damit besser. Entspannter. Wir hatten eine schöne Zeit und auch das Sexleben kam nicht zu kurz. Zumal er jetzt auch nicht mehr Schicht arbeiten musste, wir also mehr Zeit füreinander hatten. Und vor allem so auch mal gemeinsam zu Bett gehen konnten.

Rachel beobachtete mit Wohlwollen den Rollenwechsel. Wenn auch nicht ganz, schliesslich waren die Zuständigkeiten der Beiden immer noch klar definiert. Aber Volker fühlte sich verantwortlicher, jetzt wo er entspannt war. Das hatte Rachel nicht erlebt. Immer nur Erwartungen zu spüren bekommen. Aber sie hatte auch nicht mit Matthias reden können. Nicht über sich. Zwecklos.

Leider hatte Volker kein Gefühl für Geld. Mittlerweile hatte ich seine Geldangelegenheiten übernommen. Ihm einen Dauerauftrag auf mein Konto eingerichtet, von dem unsere Miete, Telefon, Strom, Essen und seine Schuldenabzahlungen abgingen, die ich Stück für Stück für ihn regelte. Und als am Anfang seines Erziehungsurlaubs sein Gehalt fälschlicherweise überwiesen wurde, freute er sich diebisch - wie gesagt, kein Gefühl für Geld. „Das merken die bestimmt nicht. Ich gebe es einfach aus. Und wenn nichts mehr da ist, können sie auch nichts mehr verlangen. Fass mal einem nackten Mann in die Tasche.“ „Das Geld darfst du auf keinen Fall anrühren!“, beschwor ich ihn. „Sie kürzen sonst deine zukünftigen Bezüge.“ Schon einen Monat später bekam er die Aufforderung, es zurückzuzahlen. Gott sei Dank hatte er auf meinen Rat gehört. Ein halbes Jahr später, als der Erziehungsurlaub vorbei war, bekam er diesmal gar keine Bezüge. Weil sein Arbeitgeber anscheinend immer langsam war. Ich bekam Panik. Die Miete würden wir nicht zahlen können. Und die ganzen Daueraufträge würden platzen. Hatte ich seinen Gläubigern nicht hoch und heilig versprochen, dass wir nun regelmässig zahlten? „Du musst dir einen Vorschuss holen gehen!“, drängte ich. „Ja, ja.“ Eine Woche später nervte ich ihn wieder. „Jetzt wird es verdammt knapp. Ich muss die ganzen Überweisungen per Hand machen. Bring bitte das Geld zumindest diesen Monat noch! Wir schaffen es sonst nicht.“ „Ja, ja.“

Eine paar Tage später: „Warum hast du immer noch kein Geld? Ich weiss schon nicht mehr, wovon ich einkaufen gehen soll.“ „Na ja, ich wollte es dir eigentlich nicht sagen…“ „Was?“ „Ich habe mir von dem Vorschuss Computerteile gekauft. Und wenn ich diese zusammengebaut habe, kann ich den Computer für das Doppelte verkaufen.“ Entsetzt starrte ich ihn an. „Hast du sie noch alle?“ Ich war mittlerweile dunkelrot angelaufen. „Kannst du nicht nachdenken?“ „Ach, du hast so genervt. Wie eine Mutter. Da hatte ich keine Lust, dir meine Pläne zu erzählen.“ Ich war fassungslos. „Verdammt noch mal. Wir sind deine Familie! Und du schaust seelenruhig zu, wie wir hungern müssen?“ „Jetzt dramatisier doch nicht so. Du bekommst dein Geld doch noch.“ „Na toll!“ Rasend vor Wut setzte ich mich ins Auto und fuhr ein paar Runden, um mich abzukühlen. Ich war entsetzt über seine Verantwortungslosigkeit. Wie konnte ich nur an so einen Typ geraten!

Sie erinnerte sich. Rachels eigener Mann hatte ihr überhaupt keine Möglichkeit gegeben, bei Geld mitzureden. Oft hatte Rachel betteln müssen, wenn sie Geld brauchte. Oft hatte sie trotzdem nichts bekommen. Aus der Not heraus hatte sie aus alten Kleidern neue für ihre Kinder genäht. Oft Restesuppen gekocht. Während Matthias allabendlich in die Dorfkneipe einkehrte. So demütigend.

‚Na ja, ein Gutes hat es ja’, dachte Rachel bei sich. ‚Lisa wird stark. Sie fängt an sich zu wehren. Und die Bedingungen sind heutzutage wesentlich besser als damals. Frauen dürfen mehr. Auch wenn sie trotz Kindern arbeiten gehen müssen. Vielleicht ist meine Aufgabe doch nicht, die Beziehung zu retten, sondern Lisa nur so zu stärken, dass sie ihr eigenes Ding dauerhaft durchzieht. Einfach nicht aufgibt! Nicht so wie ich.

Ich beruhigte mich wieder. Letztendlich hatte er mir ziemlich kleinlaut Geld gegeben. Und die Zwischenzeit hatte ich mit einem Überziehungskredit überbrückt. Trotzdem hatte unsere Beziehung ab da einen kleinen Knick, den ich aber nicht sehen wollte. Dann kam es noch dicker. Kurz vor Weihnachten erfuhr ich auf der Arbeit, dass unser Standort geschlossen werden würde. „Ende Januar schon.“ „Und was wird dann aus mir?“ „Du kannst, wenn du möchtest, zu unserem anderen Standort.“ 60 Kilometer von hier? Dann wäre ich ja für vier Stunden am Tag mindestens sieben unterwegs! Und wie sollte ich das dann mit den Kindern hinbekommen? OK, Kathi war jetzt in einer Kindergrippe, die auch Vollzeitplätze anbot. Aber was war mit Sven? In seinem Kindergarten gab es so etwas nicht. Und ausserdem… Wollte ich nicht noch ein bisschen Zeit für die Kinder haben?

Verzweifelt fuhr ich nach Hause. Was sollte nur aus uns werden? Abends sprach ich lange mit Volker darüber. Er tröstete mich. „Mach dir nicht so viele Sorgen. Du kannst doch jetzt einfach in Erziehungsurlaub gehen. Schliesslich hattest du den noch nicht.“ „Und wie sollen wir dann leben? Uns fehlen dann über 2000,- DM!“ „Na ja.“ Er druckste herum. „Wir könnten zum Beispiel heiraten.“ Entsetzt schaute ich ihn an. Sofort lenkte er ein: „Nein, nein, nicht dass ich meine Meinung geändert hätte. Nur, würde dann mein Gehalt weniger gepfändet und ich bekäme auch noch einen Familienzuschlag. Das würde ungefähr zusammen 2000,- DM machen.“ „Ja, kannst du dir denn vorstellen zu heiraten? Wir waren uns doch einig, dass das nichts für uns ist.“ „Doch, dich schon. Ausserdem sind wir sowieso schon zusammen.“ Ich war gerührt. „Wenn, dann aber ohne das übliche Drumherum, OK?“, stellte ich zur Bedingung. „OK.“ „Na, dann überlege ich es mir. Es wäre wirklich eine Möglichkeit. Und ich hätte mehr Zeit.“

Sie rüttelte an ihr, schrie ihr ins Ohr und versuchte sie zur Vernunft zu bringen. Aber diese Lisa war ja so unempfänglich! Keine Regung. Rachel konnte die Folgen geradezu fühlen und sah die Katastrophe auf Lisa zurollen.

Volker hatte sogar Ringe besorgt, die ich aber verweigerte. Es waren Ringe mit einem Auge darauf, das mich anstarrte. Vielleicht nahm er mich nicht ernst? Oder seine Art, sich selbst nicht ernst zu nehmen?

Sein Verhalten noch im Verwaltungstrakt, direkt nach der Hochzeit, machte mich skeptisch. Ihm war ganz feierlich zumute. Mir nur komisch. OK. Ich gebe ja zu, es war etwas Besonderes zu heiraten. Auch wenn wir ‚bis dass der Tod euch scheidet’ nicht hatten hören wollen und dem Beamten untersagten, eine solche Rede zu halten. Zu meiner Überraschung zückte Volker nach der Trauung den Sekt hervor und stiess mit den Trauzeugen und mir an. Fühlte er sich als Gewinner? War das seine Siegesfeier?

Nach der Hochzeit fühlte ich mich eingesperrt. Als ob ich mich selbst aufgegeben hätte. Hatte Volker jetzt mehr Erwartungen an mich? Sollte ich ihm jetzt zu Diensten sein? Er bezahlte mich doch!

Misstrauisch beobachtete ich ihn die nächste Zeit. Hatte sich sein Verhalten geändert? Lauernd? War es nur Einbildung? Zumindest destruktiv. Wenn er mal wieder Sex forderte, ging ich ihm aus dem Weg. Wie würde er darauf reagieren? Doch er nahm es hin. Beschwerte sich zwar andauernd, aber verhalten. Ich beschloss schliesslich, meine Phobie zu bekämpfen und uns wieder als normales Paar zu betrachten. Ich konnte doch immer noch gehen, oder? Wie ein Lamm auf dem Weg zur Schlachtbank fühlend, fügte ich mich meinem Schicksal. So schwer ist es doch gar nicht, Lisa.

Es fängt an, es fängt an. Was soll ich nur tun? Vielleicht ihr eine Idee einpflanzen. Ihr irgendwie Freunde und Freude verschaffen. Ihr neuen Mut geben! Eine Aufgabe. Nur wie? Da erinnerte sie sich.

Ich hatte plötzlich mehr Zeit. Jeden Vormittag ein paar Stunden für mich. Ein Traum. Der Haushalt war OK. Volker brauchte sich jetzt noch weniger zu kümmern. Ich war ja da. Aber die Stunden morgens gönnte ich mir. Meine Freiheit. Und … entwickelte einen Plan. Eine Idee. Sie wuchs. Ich strickte ein Konzept für einen Verein. Einen, der Müttern helfen sollte, irgendwie aus dieser Misere herauszukommen: Armut oder Unterordnung. Autark sollten sie sein. Die Wahl haben können, zwischen einer guten Partnerschaft oder einem würdevollen Leben alleine mit Kind und einem vernünftigen Umgang mit dem Vater. Eine einmal getroffene Entscheidung für den Partner revidieren können. Im Zeichen der Zeit.

Dazu müssten die Frauen aber arbeiten gehen können, um sich selbst zu versorgen. Gute Mütter sollten sie sein. Dazu müssten sie aber auch Beratung, Zeit und Entlastung haben. Einen hohen Ausbildungsgrad müssten sie haben. Um genügend Geld auch in der Hälfte der Zeit verdienen zu können. Schwerpunkte: Betreuung der Kinder (gute!), gegenseitige Unterstützung mit Rat und Tat, Weiterbildung. Eine revolutionäre Idee. Emanzipation neu aufgelegt.

Ich legte los. Volker erzählte ich von meinen Plänen. Er war sprachlos. Warum? Ich erläuterte ihm noch mal meine Situation und die damalige vor ihm. Meine Verzweiflung. Existenzängste. „Kann ich zwar nicht ganz nachvollziehen, schliesslich bin ich ja jetzt finanziell für dich da. Aber ich weiss, dass du so eine Aufgabe brauchst. Sonst fehlt dir was, nicht wahr?“ Dankbar sah ich ihn an. Auch die darauffolgende Zeit zeigte er Verständnis. Doch nach einem weiteren Jahr liess es so langsam nach. Zu politisch. Nicht mehr nachvollziehbar. Und immer, wenn er Spätschicht hatte, und somit vormittags zuhause war, beklagte er sich, dass ich mir dann keine Zeit für ihn nehmen würde. Warum immer dieser Verein? Hatte ich denn jetzt nicht alles, was ich brauchte? Wir stritten uns wieder häufiger.

So ging das nicht weiter. Lisa brauchte Weggefährten. Ohne Unterstützung würde sie nicht durchhalten. Rachel spürte schon ganz zart Lisas Zermürbung, obwohl Lisa an ihrer Aufgabe festhielt.

Zur selben Zeit lernte ich Marion kennen. Eine faszinierende Frau. Dunkelhäutig, fremdländisch. Verheiratet mit einem Deutschen, zwei Kinder. Zwillinge. Unwesentlich älter als meine Tochter. Sie, unwesentlich jünger als ich. Sie kam bald jeden Tag. Und bald wusste ich alles von ihr und sie von mir. Sie war warmherzig und interessiert. Einfach alles wollte sie über mich wissen. Und erzählte mir umgekehrt ungeschminkt alle ihre Geheimnisse. Ich schloss sie in mein Herz. Es tat einfach gut jemanden an der Seite zu haben, der mich wahrnahm, sich für mich interessierte. Und Tiefe besass. Volker sah mich schon lange nicht mehr. Nur seine Interessen standen für ihn im Vordergrund. Wohl die Antwort auf meinen Versuch auf „allen meinen Hochzeiten“ zu tanzen, und damit einem spürbaren Interessensentzug bei ihm.

Er machte mir jetzt noch mehr Vorwürfe, schliesslich war ich emotional durch Marion versorgt. Noch mehr Vernachlässigung für ihn. Und immer diese ganzen anderen Leute, die bei uns ein und ausgingen. Immer Verein, Verein, Verein! Stimmt.

Zufrieden rieb sich Rachel die Hände. ‚Es wird’, sagte sie sich. ‚Und sie wird nicht untergehen!’ Marion war ein einfacher Kandidat gewesen. Aber merkwürdigerweise hatte Rachel das Gefühl, dass nicht sie sie gefunden hatte, sondern, dass es irgendwie umgekehrt gelaufen war. War das möglich? Marion war genau die richtige. Unkonventionell. Interessant. Und sie hatte Zeit, war aus demselben Dorf. Nur noch ein Jahr! In dem sie vorhatte, Lisa zu stärken und zu fördern.

Der Verein war gross geworden. Viel Arbeit lag hinter mir. Die ersten Fördergelder flossen. Wir eröffneten ein Familienzentrum. Ein absoluter Glücksfall! Durch Hörensagen erfuhren wir von einem wundervollen alten Haus in der nächsten Kleinstadt, mit einem grossen Garten, der bis zum nahegelegenen Fluss reichte. Ein Paradies! Die Miete war billig und die Vermieter überzeugt von meinem Projekt. Sie glaubten an mich. Doch immer wieder sah es so aus, als müssten wir aufgeben. Für die Kinderbetreuung benötigten wir eine Genehmigung. Für die Genehmigung benötigten wir die Erfüllung der vielfältigen Auflagen nach dem Gesetz. Das günstigste war noch die Anbringung von Folien an Fenstern und Türen, um im Notfall ein Splittern zu verhindern. Das teuerste die Sicherstellung des Fluchtwegs, d. h. der Einbau neuer Dachgeschossfenster und einer Rauchmeldeanlage. Dann die Auflagen, festes Personal nachzuweisen. Jedes Mal war ich verzweifelt. Wovon bezahlen? Jedes Mal kam von irgendwoher doch Hilfe. Ich wurde fit im Anträge Einreichen bei den Behörden oder in der Öffentlichkeitsarbeit. Sogar in der Spendenakquise, obwohl ich Türklinkenputzen hasse.

Aber ich stand hinter meinem Projekt und das überzeugte. Das Sozialamt stellte uns eine Erzieherin und einen Hausmeister zunächst für ein Jahr Vollzeit zur Verfügung. Und die Spenden flossen schliesslich, obwohl das Thema nicht gerade anrührend war. Das Sprüchlein bestätigte sich immer wieder aufs Neue: Und wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Und es kamen immer mehr Lichtlein in Form von Mitgliedern und Helfern dazu. Ich war auf der Gewinnerseite. Oft in der Zeitung. Eingeladen zu öffentlichen Veranstaltungen und zu guter Letzt gut besucht von Politikern, die sich mit uns brüsten wollten.

Volker war ein bisschen stolz auf mich. Doch dann wieder, während wir stritten, wurde der Verein zu meinem Hobby degradiert. Immer öfter. Nicht wichtig. Schliesslich war der Verein der Grund für meine fehlende Präsenz in der Beziehung. Aber hatte ich nicht ein Recht darauf? „Stell dir vor, ich würde studieren.“, argumentierte ich. „Dann würde ich auch kein Geld verdienen, und könnte es auch nicht einfach hinschmeissen. Aber ich würde für die Zukunft lernen. Und das mache ich hier auch. Ausserdem wird mich der Verein eines Tages bezahlen können.“ Er wollte es mal wieder nicht verstehen. Vernachlässigt. Er war doch der Brötchenverdiener, oder? Wollte doch nur Anerkennung, die ich ihm nicht gab. Ich war zu sehr mit meinen Plänen beschäftigt. Und zu stolz um dankbar zu sein.

Rachel war etwas erschöpft. Ständig war sie gefordert. Musste Einfluss nehmen, neue Wege suchen. Einiges lief zwar wie von selbst. Schliesslich brachte sie eine Menge Erfahrung mit, die sie damals in „ihrem“ Kindergarten gesammelt hatte. Aber viel war auch anders. Die Zeiten hatten sich extrem geändert. Man brauchte nach wie vor Verbündete, musste überall nach Unterstützung betteln. Aber die Wege waren komplizierter. Damals gab es noch keine staatliche Behörde, die sich in dem Masse um Kinder und Erziehung kümmerte, wie heute. Die Kirche hatte einen Grossteil übernommen. Sowohl finanziell als auch moralisch. Das einzige, was gleich blieb, war die Einbeziehung freiwilliger Helfer als Grundstein für eine solche Initiative. Damals wie heute. Aber die Formalitäten hatten sich extrem geändert. Die Auflagen für eine Kinderbetreuung waren riesig. Gruppenstärken, Personalschlüssel, Sicherheitsvorschriften. Immer mehr Geld war erforderlich. Ständig schwang die Angst mit, dass es nicht reichen würde. Sie litt mit Lisa mit. Hatte aber eine Menge bewegen können. Nun, jetzt war es erst einmal wieder an der Zeit Energie aufzutanken.

Für einen Moment liess sie Lisa ausser Acht. Zurücksinken. Zeit verstreicht. Sie legte sich auf ihr altes Bett und liess ihre Gedanken kreisen. Da plötzlich spürte sie Tobias Nähe. „Marion ist ein so dankbarer Geist“, eröffnete er ihr hämisch. Entsetzt setzte sich Rachel auf. „Was meinst du damit?“, stellte sie ihn sofort zur Rede. Tobias schlenderte gleichgültig zu ihr herüber. „Sie ist offen für mich. Und meine Wünsche. Mein Mentor. Du wirst sehen!“ „Was hast du vor?“, schrie Rachel hilflos. Eine Vorahnung beschlich sie. Sie liess Tobias stehen, rappelte sich auf und strebte voller Sorge zurück zu Lisa.

Mittlerweile hatte ich drei Angestellte und zehn ehrenamtliche Betreuerinnen im Verein. Dann noch die vielen Eltern, die Betreuung von 100 Mitgliedern. Die Arbeit frass mich wieder auf. Jeden Tag im Verein. Am Wochenende Veranstaltungen. Delegieren war schwierig. Schliesslich war keiner so motiviert wie ich. Und Geld gab es auch nur wenig. Für die richtig anstrengenden Aufgaben, wo Verantwortung übernommen oder mitgedacht werden musste, war kaum jemand da. Aber am Sommerfest quoll die Küche über mit selbstgebackenem Kuchen. Halt Ehrenamt. Auch Marion gehörte zu besagten „Ehrenamtlichen“. Zwar wollte sie überall mitmachen und versprach viel. Immer an meiner Seite kannte sie sehr genau meine Sorgen und Nöte. Aber sie fing immer etwas an und liess es dann wieder. Oder machte nur die Dinge, die ihr Spass machten. Es hatte keinen Sinn. So flatterhaft konnte ich sie nicht wirklich gebrauchen. Mehr Belastung als Hilfe. Wie motiviert man, wann mahnt man an? Ich war unsicher. Schliesslich entzog ich ihr ein paar Aufgaben. Gab sie jemandem, der zuverlässiger war. Zutiefst beleidigt zog sie sich zurück. Ich versuchte mit ihr zu sprechen, aber sie liess sich durch ihren Mann ständig verleugnen. Wenn ich sie zufällig beim Edeka-Geschäft traf, grüsste sie verhalten und ging sofort in eine andere Richtung. Ich konnte sie ja nicht zwingen, sich mit mir auseinanderzusetzen. Also gab ich irgendwann auf. Traurig, dass ich sie verloren hatte, merkte ich nun, wie sehr sie mir fehlte. Mein emotionaler Halt war weggebrochen. Noch schlimmer, als wenn Marion niemals aufgetaucht wäre.

Rachel wusste jetzt, was Tobias gemeint hatte. Er war doch sehr vorausschauend gewesen. Plötzlich ahnte sie, warum sie damals das Gefühl hatte, dass Marion irgendwie auf sie zugekommen war. Von Tobias geschickt, vervollständigte sie seinen Plan. Freunde gewinnen und dann wieder verlieren schwächt nachhaltiger, als erst gar keine zu haben. Aber doch erstaunlich, wie sehr die Lebenden manchmal nur Werkzeug waren. Für die Toten und ihre unsterbliche Energie. Sie war müde. Immerzu musste sie gegen Tobias intervenieren. Aber sie würde trotzdem nicht aufgeben. Das schwor sie sich. Heute hatte sie andere Mittel, als damals, als sie selbst noch lebte. Es musste einfach ein neuer Freund her. Und diesmal würde sie selbst auswählen, ohne von Tobias gesteuert zu werden!

Durch Zufall lernte ich Dominique kennen. Ein Trost. Ich war gerade wieder dabei gewesen, Tagesmütter für die Vermittlung zu suchen. Dominique meldete sich am Telefon. Wir kamen ins Gespräch. Und merkten sehr schnell, dass wir uns noch mehr zu erzählen hatten. Sie bat mich, sie einmal besuchen zu kommen und kurz darauf setzte ich ihre Bitte um. So stand ich also eines Tages vor ihrer Wohnung. Sie öffnete die Tür. Sofort sympathisch. Hübsch. Ein dunkler Typ und irgendwie sinnlich. Sie wohnte mit ihren zwei kleinen Kindern in der Stadt, in einer Altbauwohnung. Ihre Räume waren gemütlich. Strahlten Wärme und liebevolle Aufmerksamkeit für ihre Kinder aus. Kinderbilder überall. Holzspielzeug und Vorlesebücher lagen herum. In der grossen Wohnküche machte sie mir erst einmal einen Kaffee. Wir kamen vom Hundertsten ins Tausendste. Sehr interessiert hörte sie sich meine Geschichte über den Verein an. Wollte mit machen. Und ich verliess sie mit der Gewissheit, einen neuen Weggefährten für den Verein gefunden zu haben. Ab da trafen wir uns öfter. Sie übernahm die Tagesmüttervermittlung. Verantwortung. Und schon bald verliessen wir den offiziellen Pfad und redeten auch privat. Eine neue Freundin? Ein Ausgleich für die mir so fehlende Marion?

Doch dann, nach drei Monaten, erzählte sie mir, dass sie wegziehen würde und nicht mehr mitmachen könnte. Sie habe einen netten Mann kennen gelernt und wollte direkt zu ihm ziehen. Nur leider wohnte er fast 100 km weit weg und sie würde nicht mehr mithelfen können. Ich fand es verrückt. Mischte mich aber nicht ein. Nach ihrem Umzug fehlte sie mir. Und wieder fühlte ich mich sehr einsam.

Es schien Rachel aus den Händen zu gleiten. Sie fühlte sich machtlos. Freunde zu beschaffen, war schon schwer. Aber sie zu halten stellte sich als noch grössere Herausforderung heraus. War es wieder Tobias gewesen, der interveniert hat? Wahrscheinlich. Andererseits war dieser neue Freund von Dominique aus einem entfernt gelegenen Ort. Dieser entsprach nicht wirklich dem Radius von Tobias. Konnte es vielleicht sein, dass sie, die Reisenden, doch nicht alles steuern konnten? Der Zufall ihnen in den Rücken fiel? Oder sie selbst einfach nicht das Zeug hatte, für Lisa jemand richtigen zu finden?

Volker machte mir mittlerweile nichts mehr ausser Vorwürfe. Und je mehr Vorwürfe er mir machte, desto mehr distanzierte ich mich von ihm. Seine Vorwürfe waren aber nicht einfach so, nebenbei. Wenn es wieder einmal soweit war, wollte er das Problem sofort lösen. Und gab nicht auf. Wir redeten. Stundenlang. Immer im Kreis. Am Anfang einer solchen Unterhaltung gab ich mir wie so oft Mühe, ihm zu erklären, was in mir vorging. Ich wollte sein Verständnis für mich und meine Situation. Endlich. Irgendwann. Und sein Unverständnis hinterliess bei mir den faulen Nachgeschmack, nicht so angenommen zu werden, wie ich bin. Also nicht geliebt. Liebte ich ihn? Verstand ich ihn? Theoretisch schon. Nur es half nichts. Ich konnte ihm die körperliche Zuneigung nicht mehr zeigen, obwohl ich wusste, dass es nur darum ging. Und darum, ihm seine Wichtigkeit für mich zu beweisen. Es schnürte mir die Kehle zu, wenn ich an seine Forderungen dachte. Sie verfolgten mich überall hin. Und es ging mir zusehends schlechter, denn erwarten durfte ich nichts mehr von ihm. Die Kinder am Wochenende mal nehmen, wenn ich eine Veranstaltung hatte? „Du musst mich schon darum bitten.“ Ich war so stolz. Bitten? Wäre es nicht selbstverständlich? Schliesslich war ich doch während der Woche schon immer für Haushalt und Kinder zuständig. 24 Stunden. Was denn noch? Aber nach seiner Kalkulation war ich ja selbst schuld. Ich hätte ja mehr Zeit haben können, wenn ich nur mein Hobby wieder aufgeben würde. Manchmal gingen seine Vorwürfe so weit, dass er mich noch nicht einmal mehr schlafen liess. Ich lag hundemüde im Bett und er rüttelte immer wieder an mir. Ich solle ihm zuhören. Sein Problem lösen. Ich schlug ihm schliesslich vor, sich eine Geliebte zu suchen. Der Gedanke gefiel mir nicht, denn ich wollte ihn nicht verlieren. Aber es würde bestimmt den Druck herausnehmen. Wenn er anderswo Bestätigung finden würde. Doch er ging nur achtlos darüber hinweg. Ein kleiner Teil in mir war beruhigt.

Schliesslich machten wir den kläglichen Versuch einer Eheberatung. Das erste Mal war ich dort alleine hingegangen. „Ohne ihren Mann können wir da nichts machen.“ Also gut. Ich bekniete ihn mitzukommen. „Das ist ganz schlecht. Du weisst doch, dass ich bei meinem Schichtdienst keine regelmässigen Termine haben kann.“ „Dann komm wenigstens nächste Woche mit. Dann hast du Spätschicht.“ „Na gut.“ Dienstags morgens fuhren wir also zur Familienberatungsstelle. Und innerhalb von 30 Minuten hatte er die Beraterin auf seiner Seite. Er war der zu Bemitleidende, Unverstandene, im Stich gelassene - mit einer so kaltherzigen Frau. Nichts von dem Druck, den er mir machte, wurde deutlich. Keine konstruktiven Vorschläge, wie man mir vielleicht Brücken bauen könnte, um aus der Misere der Überforderung herauszukommen. Stattdessen nur weitere Vorwürfe. Seine Fehler verpackte er so geschickt, dass es zum Schluss nur eine Schuldige geben konnte. Ich hatte zumindest Parteilosigkeit erwartet. Objektivität. Hilfe. Aber das war hier unmöglich. Er hatte nichts von seinem Charme eingebüsst und dies führte dazu, dass die Beraterin ihn auf ein Podest hob. Oder zumindest andere Massstäbe ansetzte. Vielleicht wusste sie aber auch einfach nur, dass meine Ansicht von Gerechtigkeit oder Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau nicht funktionieren konnte? Männer sowieso in der Familie einen Sonderstatus brauchten, damit eine Ehe Bestand hatte?

Wir gingen nicht noch einmal hin.

„Tobias, du bist so ein Schwein!“, rief Rachel aufgebracht. „Ich bin nicht für alles verantwortlich“, kam es als Antwort. „Marion ist irgendwie zum Selbstläufer geworden.“ „Wie meinst du das? Was hat sie denn damit zu tun?“ „Schau doch selbst hin“, wiegelte Tobias ab.

Ich wurde schwächer. Magerte ab. Hatte keine Kraft mehr. Und fühlte mich zerrissen zwischen all meinen Verantwortlichkeiten, denen ich nicht mehr gerecht wurde: dem Verein, um ihn weiterzubringen, Volker, den ich trotz unserer Probleme immer noch liebte, und meinen Kindern, für die ich kaum noch Zeit hatte. Und auf keinen dieser an mir zerrenden Seiten konnte ich verzichten.

‚Was soll ich nur tun?’, fragte sich Rachel ratlos. ‚Vielleicht noch einmal eine Reise? Volker muss ihr endlich mal wieder ein bisschen Kraft geben, anstatt sie ihr zu entziehen. So geht das nicht weiter. Sie hält sonst nicht durch!’

Überraschend flatterte wieder ein Gutschein für die Betreuung unserer Kinder von meiner Karin ins Haus. War wirklich süss von ihr. Wahrscheinlich spürte sie unsere Krise. Und warum nicht? Volker fand die Idee auch gut. Mal wieder raus. Wann war eigentlich das letzte Mal gewesen? Vor zwei Jahren? Diesmal ein Kurztrip an den Lac du Dér in Frankreich. Wir fuhren wieder mit den Motorrädern. Vollbepackt. Auf dem Campingplatz am See schlugen wir unser kleines Zelt auf, packten aus, stellten unsere Stühle auf und nach einer kleinen Verschnaufpause trieb uns der Hunger ins nächste Städtchen. Dort war gerade ein grosses Fest zugange. Ein Motorradtreffen, mit Ausstellungsständen der verrücktesten Maschinen – meist Harleys -, mit Essenbuden an jeder Ecke und einer Band, die das Ganze mit rockigen Tönen untermalte. Wir schlenderten über den Platz und fühlten uns das erste Mal seit langem wieder verbunden. Die Sonne kam hervor und schien mir sagen zu wollen, dass das Leben doch schön war. Warum sah ich immer alles so schwarz? Hatte ich ihn nicht vor kurzem noch total abstossend gefunden? Und jetzt wieder vertraut? Ich war verunsichert. Warum konnte dieses Gefühl nicht einfach bleiben? Warum frass uns der Alltag so auf? Volker war zuvorkommend. Wieder rührend bemüht. Bestellte mir ein Baguette mit Schaschlik und Pommes. So etwas gab es auch nur in Frankreich, oder? Wir setzten uns auf eine Bank und schauten dem bunten Treiben zu.