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Diverse

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Beschreibung

Jenny Behnisch, die Leiterin der gleichnamigen Klinik, kann einfach nicht mehr. Sie weiß, dass nur einer berufen ist, die Klinik in Zukunft mit seinem umfassenden, exzellenten Wissen zu lenken: Dr. Daniel Norden! So kommt eine neue große Herausforderung auf den sympathischen, begnadeten Mediziner zu. Das Gute an dieser neuen Entwicklung: Dr. Nordens eigene, bestens etablierte Praxis kann ab sofort Sohn Dr. Danny Norden in Eigenregie weiterführen. Die Familie Norden startet in eine neue Epoche! E-Book 1: Der Mann ihrer Schwester E-Book 2: Liebe im Advent E-Book 3: Du hast die Liebe nicht verdient! E-Book 4: Der Räuber und die schöne Gräfin E-Book 5: Ihre zweite Chance E-Book 6: Baby auf der Flucht! - Unveröffentlichter Roman E-Book 7: Filmstar Isabell E-Book 8: Gefahr in der Toskana E-Book 9: Verfolgt von einem Fremden E-Book 10: Geiselnahme in der Ambulanz

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Inhalt

Der Mann ihrer Schwester

Liebe im Advent

Du hast die Liebe nicht verdient!

Der Räuber und die schöne Gräfin

Ihre zweite Chance

Baby auf der Flucht! - Unveröffentlichter Roman

Filmstar Isabell

Gefahr in der Toskana

Verfolgt von einem Fremden

Geiselnahme in der Ambulanz

Chefarzt Dr. Norden – Staffel 13 –

E-Book 1231-1240

Diverse

Der Mann ihrer Schwester

Aus blinder Leidenschaft zerstört Annika fast ihr Leben

Roman von Perkins, Helen

»Du kannst sagen, was du willst, aber mehr November geht nicht.« Dr. Daniel Norden, Chefarzt und Leiter der renommierten Münchner Behnisch-Klinik, blickte bekümmert aus dem Küchenfenster, während seine bessere Hälfte Fee die Kanne mit dem frischen Kaffee aus der Maschine nahm.

»Nur keine Winterdepression, mein Schatz«, bat sie lächelnd, und ihre erstaunlich blauen Augen blitzten. »Am Wochenende fahren wir in die Berge und genießen die Natur. Auf der Höhe scheint bestimmt die Sonne.«

Der hoch gewachsene, attraktive Arzt seufzte. »Ein paar Strahlen wären jetzt auch nicht schlecht …«

Seit Tagen hing grauer Nebel über der Weltstadt mit Herz, es nieselte permanent und nach Einbruch der Dunkelheit sank das Thermometer bereits unter Null, sodass sich der Heimweg zumeist als Rutschpartie gestaltete. Daniel Norden war Mediziner mit Leib und Seele, ein ausgeglichener Familienmensch, der mit ganzem Herzen an seinen fünf mittlerweile erwachsenen Kindern hing und glücklich verheiratet war. Doch das graue Winterwetter fing trotz allem an, auch ihm auf die Nerven zu gehen.

»Morgen allerseits!« Dési und Janni, die Zwillinge und jüngsten Sprösslinge der Nordens, erschienen munter und gut gelaunt zum Frühstück. Daniel staunte.

»Warum seid ihr so fröhlich? Gestern habt ihr euch noch beide über das miese Wetter beschwert.«

»Gestern war ich ein bisschen abgespannt«, gab das hübsche Mädchen offen zu. »Nach der Uni noch Wahlkampf, das ist schon happig. Heute kann ich mich ganz darauf konzentrieren, Gloria in den Münchner Stadtrat zu befördern.«

»Du allein? Das wird was werden«, spöttelte Janni. Der schlaksige Junge mit der Nerd-Brille war ein Computerfreak und lebte in seiner eigenen Welt von Bits und Bytes. Er beobachtete das vielfältige Engagement seiner Schwester meist skeptisch. Dési war umtriebig, streitbar, leicht zu begeistern und engagierte sich gern für andere.

Als die junge Anwältin Gloria Sundermann sich für das Amt der Stadträtin als jüngste und noch dazu grüne Kandidatin beworben hatte, waren Dési und einige ihrer Freundinnen von der Uni begeistert gewesen und hatten sich spontan entschlossen, als Wahlkampfhelferinnen anzuheuern. Mittlerweile war nur noch Dési aktiv, denn sie mochte Gloria und war von deren politischen Ansichten vollkommen überzeugt.

»Natürlich nicht ich allein, Idi«, stellte Janni klar. »Aber ich kann heute den ganzen Tag Leute anrufen und Handzettel verteilen. Es macht Spaß, wenn man mit jemandem ins Gespräch kommt, der eine Meinung hat und diese auch vertritt. Und manchmal schafft man es sogar, Leute zu überzeugen und neue Wähler zu gewinnen. Das ist ein tolles Erfolgserlebnis.«

»Hoffen wir, dass deine Gloria auch hält, was sie jetzt verspricht«, merkte Janni an und erhob sich, als geklingelt wurde. »Das ist Lucy, wir haben heute das Labor an der Uni für uns und können an unserem neuen Projekt arbeiten. Bis dann.«

»Bis dann, Professor Frankenstein«, scherzte Dési.

Als die Haustür klappte, warf Fee ihrer Tochter einen fragenden Blick zu. »Was meinst du damit? Was ist denn das für ein Projekt, an dem die beiden arbeiten?«

»Irgendwas mit künstlicher Intelligenz. Vielleicht bauen sie einen Roboter, der Janni alles abnimmt, wozu er keine Lust hat. Zum Beispiel, sein Zimmer aufzuräumen …«

Fee seufzte. »Den würde ich mir dann aber ausleihen.«

»Aber, Liebes, ich dachte, du magst Hausarbeit …«

Sie lächelte ihrem Mann etwas vage zu. »Ich mache sie, weil sie gemacht werden muss. Das bedeutet aber nicht, dass sie mir sonderlich viel Spaß macht …«

»Na, wenn das so ist, kannst du dich am Wochenende mal so richtig verwöhnen lassen«, meinte Daniel.

»Ihr fahrt in die Berge?« Dési bekam sehnsüchtige Augen. »Dazu hätte ich auch mal wieder Lust …«

»Dann komm doch mit«, schlug ihre Mutter spontan vor, was Daniel Norden gar nicht passte. Schließlich hatte er sich ein romantisches Wochenende zu zweit vorgestellt. Doch Dési winkte sowieso ab.

»Leider keine Zeit. Samstag ist Wahlveranstaltung im Rathaus. Da muss noch eine ganze Menge vorbereitet werden. Gloria verlässt sich auf uns freiwillige Helfer. Ich will sie nicht im Stich lassen.«

»Ist sie wirklich so gut, wie es aussieht?«, fragte ihr Vater.

»Und ob! Sie ist einfach toll. Eine engagierte Anwältin, der es echt darum geht, Leuten zu helfen, die sonst keine Lobby haben. Sie setzt sich total für Integrationspolitik ein. Und ihre umweltpolitischen Ziele sind machbar und würden München ein großes Stück näher an die Klimaneutralität bringen.«

»Du bist eine wirklich gute Werbetrommlerin«, lobte Daniel beeindruckt. »Mich hast du schon überzeugt, sie zu wählen.«

»Hoffentlich nicht nur, weil ich deine Tochter bin …«

Fee lachte. »Dein Vater kann dir nichts abschlagen, das war schon immer so. Aber ich finde deine Argumente auch gut. Es braucht einfach frisches Blut im Stadtrat. Mit den alten Hüten kommen wir nicht mehr weiter.«

»Genau, Mama. Kann es sein, dass ich heute schon beim Frühstück zwei Stimmen für Gloria gewonnen habe?«

»Durchaus möglich«, erwiderte Fee schmunzelnd.

»So anregend unsere Diskussion auch ist, ich fürchte, wir müssen los«, mahnte Daniel da mit einem Blick auf die Uhr.

Dési erhob sich ebenfalls. »Auf in den Kampf! Bis heute Abend!«, rief sie munter und eilte davon.

Der Chefarzt der Behnisch-Klinik blickte ihr wohlwollend hinterher, während Fee noch rasch den Tisch abräumte.

»Wie wär’s mit einer Haushaltshilfe?«, fragte er und trug ihr das volle Tablett in die Küche. »Die könnte dir die ungeliebte Hausarbeit abnehmen, mein Schatz.«

Fee hob die Schultern. »Bewirbst du dich?«

»Ich hatte eher an eine qualifizierte Kraft gedacht.«

»Och, ich finde, du trägst das Tablett schon sehr geschickt.«

»Ich meine das ganz ernst.« Daniel fühlte sich auf den Arm genommen. »Bisher dachte ich immer, du erledigst diese Arbeiten gern, denn alles, was mit unserer Familie zu tun hat, liegt dir doch, Supermutti.«

Sie lachte. »Ja, ich koche gern für alle, wenn wir mal ein Familienfest haben. Und ich bin auch sehr froh, dass die Zwillinge noch bei uns wohnen. Es ging mir eher so um den täglichen Kleinkram, der kann schon nervig sein. Aber das schaffe ich schon noch allein. Das Geld können wir sparen.«

»Also gut, mein sparsamer Schatz, dann sag Bescheid, falls du deine Meinung doch mal ändern solltest. Eine Haushaltshilfe ist schließlich kein Luxus, sondern rein praktisch.«

»Luxus ist für mich das Wochenende in den Bergen. Nur du und ich und die Natur. Das wird herrlich!«

»Ganz deine Meinung.« Er schenkte ihr einen zarten Kuss, und sie schauten sich tief in die Augen. In solchen Momenten waren die Nordens trotz vieler gemeinsamer Ehejahre und erwachsener Kinder wieder das junge, verliebte Paar, das vom ersten Moment an nur Augen füreinander gehabt hatte. Vielleicht war das ja das Geheimnis ihrer harmonischen und überaus glücklichen Ehe; sich die erste Zeit der Verliebtheit durch alle Zeiten hindurch zu bewahren. Es war ein Kunststück. Aber eines, das sich lohnte.

*

Dési radelte schwungvoll zum Wahlkampfbüro in der Nähe des Rathauses. Morgens waren nur wenige Helfer da, denn die meisten hatten entweder einen Job oder studierten noch, so wie die Tochter der Nordens.

»Dési, du bist schon da!« Gloria Sundermann lächelte ihr erfreut zu. Sie war eine hübsche, junge Frau Ende der Zwanzig mit dunklen Locken und tiefblauen Augen. »Kaffee?«

»Nein, danke, ich habe gerade gefrühstückt. Wenn ich zu viel Koffein zu mir nehme, rotiere ich noch schneller«, scherzte sie und ließ sich an ihrem Schreibtisch nieder. »Meine Eltern wollen dich übrigens auch wählen. Ich habe sie beim Frühstück überzeugt.«

»Du bist unschlagbar, Dési«, stellte Gloria bewundernd fest. »Mit deiner Hilfe kann ich ja nur gewinnen …«

»Gehts dir gut?«, fragte Dési nun. »Du bist ziemlich blass.«

»Ja, die dumme alte Allergie macht mir mal wieder zu schaffen.«

»Hast du Beschwerden?«

»Gestern Abend ging es mir gar nicht gut. Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, das volle Programm.«

»Hast du was gegessen, das du nicht vertragen kannst?«

»Nein, das ist es ja. Ich weiß ganz genau, was ich darf und was nicht. Seit meinem fünften Lebensjahr werde ich regelmäßig getestet. Es hat sich nicht viel verändert. Eiweiß ist mein Hauptfeind. Es steckt in vielen Lebensmitteln, aber hoch konzentriert wie in Eiern, Mandeln und Erdnüssen ist es richtig gefährlich für mich. Als Kind hatte ich einen allergischen Schock. Es war knapp, so was kann tödlich enden. Seitdem meide ich alles, was ich nicht vertrage. Das ist bislang immer gut gegangen. Aber in letzter Zeit …«

»Was sagt Bernd dazu?«

»Er rät mir immer, mich zu schonen. Aber das bringt nicht wirklich was. Ich sage dir, Dési, irgendwas stimmt da nicht.«

»Was meinst du genau?«

»Na, es kommt mir fast so vor, als würde jemand Lebensmittel in meinen Kühlschrank schmuggeln, die ich nicht vertragen kann. Anders lassen sich all die seltsamen Beschwerden nicht erklären.«

»Wer würde denn so was machen?«

»Keine Ahnung. Und eigentlich ist es auch gar nicht möglich. Aber es muss ja schließlich irgendeinen Grund dafür geben, dass ich in letzter Zeit wieder ständig Beschwerden habe …«

»Vielleicht die politische Konkurrenz?«

Gloria lachte leise. »Und an wen denkst du da so? Vielleicht tauscht der behäbige Kurt Wangermaier meine Kuhmilch gegen Mandelmilch aus?«

Dési musste bei dieser Vorstellung schmunzeln. »Möglich ist alles … Aber im Ernst. Du musst sehr aufpassen bei allem, was du isst.« Sie blickte auf, als Annika Gerber, Glorias Schwester, erschien. »Vielleicht sollte Annika Vorkosterin spielen …«

»Das habe ich ihr schon angeboten«, meinte die rot gelockte Friseurmeisterin. »Aber sie will nichts davon wissen.«

»Weil es nichts bringen würde.«

»Und warum nicht?«, forschte Dési nach.

»Weil für einen Menschen, der keine Allergie hat, diese Stoffe ganz normal schmecken. Annika wäre mir da keine Hilfe.«

»Wenn du deine Meinung änderst, ich stehe zur Verfügung«, bekräftigte die Schwester.

Dési widmete sich nun wieder ihrer eigentlichen Aufgabe, dem Wahlkampf. Bei dem schlechten Wetter waren nur wenige Passanten unterwegs, weshalb sie im Wahlkampfbüro blieb und darauf verzichtete, draußen Handzettel zu verteilen. Stattdessen rief sie potenzielle Wähler an, um für Gloria Sundermann Werbung zu machen. Dési konnte sehr überzeugend sein und war bei ihren Anrufen entsprechend erfolgreich. So verging der Vormittag im Handumdrehen.

Annika holte zu Mittag Pizza, die sich alle Anwesenden schmecken ließen. Danach ging es Gloria gut, sie hatte keine Beschwerden. Gegen Abend schaute dann Bernd Sundermann, Glorias Mann, vorbei. Er war ebenfalls Anwalt, sie arbeiteten zusammen in einer Kanzlei. Nachdem sie die aktuellen Fälle besprochen hatten, rief Gloria alle Helfer zusammen, bedankte sich für die gute Arbeit, die diese so unermüdlich leisteten, und hatte eine positive Ankündigung zu machen.

»Nach den aktuellen Umfragen liegen wir gut im Rennen. Wenn dieser Trend bis zum Wahlsonntag so bleibt, werde ich mit etwas Glück ins Rathaus einziehen können.«

Begeisterter Applaus antwortete ihr, alle waren sehr motiviert, sich weiter zu engagieren. Man besprach noch einige Details, nun da man sich allmählich dem Endspurt der Wahlkampagne näherte und ging dann bester Dinge auseinander.

Dési berichtete beim gemeinsamen Abendessen mit ihren Eltern von dem erfolgreichen Wahlkampf, aber auch von den rätselhaften Beschwerden, unter denen Gloria Sundermann ständig zu leiden hatte. Ihr Vater dachte eine Weile nach und meinte schließlich: »Sie sollte sich mal wieder testen lassen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Allergiker im Laufe seines Lebens auf neue Stoffe reagiert, die er vielleicht vorher toleriert hat. Immerhin handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung. Das Immunsystem läuft ständig auf Hochtouren und attackiert eigentlich harmlose Stoffe. Es erkennt nicht, wer Freund und wer Feind ist. Und so eine Fehlleitung kann sich nicht nur etablieren, sie kann sich leider auch intensivieren.«

»Gloria ist sehr vorsichtig. Sie isst normalerweise nur, was sie wirklich vertragen kann. Damit ist sie bis jetzt auf der sicheren Seite gewesen. Aber seit sie Stadträtin werden will, scheint das nicht mehr zu klappen.«

»Was meinst du?«, fragte Fee ihre Tochter. »Dass ihr jemand absichtlich Lebensmittel gibt, die sie nicht vertragen kann?«

»Es wäre doch möglich.«

Daniel schüttelte den Kopf. »Das erscheint mir ebenso perfide wie sinnlos. Gloria hat Beschwerden, es geht ihr nicht gut. Aber auf diese Weise schaltet man doch keinen politischen Gegner aus.

Es muss andere Gründe für ihre Beschwerden geben.«

»Du meinst, eine Hochsensibilisierung auf weitere Allergene«, merkte Fee an. »Ja, das erscheint mir auch möglich.«

»Rede mal mit Gloria. Sie sollte einen umfassenden Test machen lassen, um das abzuklären«, riet Dr. Norden seiner Tochter.

Dési versprach es, ohne ahnen zu können, wie schnell die Dinge sich für Gloria Sundermann zum Schlechten wenden sollten …

*

Am Freitagabend brachen die Nordens Richtung Alpen auf.

Beide hatten noch bis zum letzten Moment befürchtet, dass ihnen etwas dazwischen kommen könnte, denn gemeinsame Wochenenden waren für die Klinikärzte fast so schwierig zu erreichen wie ein Sechser im Lotto.

Doch kein Notfall machte ihnen einen Strich durch die Rechnung, und so konnten sie ihren lange gehegten Wunsch endlich in die Tat umsetzen.

Während Janni in seinem Zimmer am Computer saß, war seine Schwester das ganze Wochenende in Sachen Wahlkampf unterwegs.

Gloria hielt mehrere Reden auf verschiedenen Veranstaltungen und war auch im Regionalfernsehen bei einem Rededuell mit ihrem direkten Konkurrenten um den Einzug ins Rathaus zu sehen. Es ging ihr gut, sie hatte keine Beschwerden, und es schien, als gehörten die seltsamen Zwischenfälle der letzten Zeit endlich der Vergangenheit an.

Die Nordens kehrten am Sonntagabend erholt und bester Dinge heim. Janni freute sich über ein »anständiges« Abendessen, denn wenn er allein war, ernährte er sich meist von Pizza und Pommes. Als Dési heimkam, hatte sie viel zu erzählen.

»Gloria war einfach umwerfend! Sie hat ihre Position klar und deutlich umrissen, hat die Schwachpunkte ihrer Konkurrenten aufgezeigt, aber immer sachlich, nie persönlich beleidigend. Die Wähler müssten schon taub und blind sein, um nicht zu erkennen, dass sie die beste Wahl für dieses Amt ist!«

»Nun übertreibst du aber«, warf Janni ihr genervt vor. »Deine Begeisterung lässt dich unsachlich werden.«

»Wieso? Ich sage nur das, was ich denke.«

»Aber diese Gloria ist doch keine Heilige. Man könnte meinen, sie wäre perfekt, hätte keine Fehler.«

»Die hat sie auch nicht!«

»Dann ist sie absolut unmenschlich.«

»Was soll das nun wieder heißen? Man wird doch noch von etwas überzeugt sein dürfen. Ich bin einfach der Meinung, dass Gloria eine unglaublich gute Stadträtin wäre.«

»Na, meinetwegen«, brummte Janni, gähnte und erhob sich. »Ich geh’ schlafen, hab’ morgen einen langen Tag an der Uni. Und du wirst vermutlich wieder die Werbetrommel rühren für dein Idol.«

»Hast du vielleicht was dagegen?«

Janni winkte ab. »Lass gut sein, Schwesterherz. Ich bin einfach zu müde zum Streiten.«

»So ein Ignorant«, knurrte Dési verärgert. »Was nicht mit Computern zusammenhängt, ist ihm schlichtweg egal.«

»Er wird bestimmt zur Wahl gehen und sein Kreuzchen an der richtigen Stelle machen«, war Fee überzeugt.

»Ja, vielleicht. Oder er vergisst es«, seufzte Dési.

Am Montag hatte sie einige Kurse an der Uni und konnte erst gegen Abend zum Wahlkampfbüro fahren. Offenbar war sie zu spät dran, denn es brannte kein Licht mehr.

»Mist«, schimpfte Dési. Sie hatte Gloria noch zu ihrem gelungenen TV-Auftritt gratulieren wollen. Das musste nun wohl oder übel bis zum nächsten Tag warten.

Sie wollte sich eben wieder auf ihr Fahrrad schwingen und heim radeln, als sie von drinnen ein Geräusch hörte. Es klang, als sei etwas umgefallen oder umgeworfen worden. War doch noch jemand da? Aber derjenige saß bestimmt nicht im Dunkeln. Und für Einbrecher gab es in dem Büro nichts zu stehlen.

Dési entschied, der Sache auf den Grund zu gehen. Sie schloss ihr Fahrrad ab und ging zur Tür des Wahlkampfbüros. Diese war nicht abgeschlossen. Also musste noch jemand hier sein!

Etwas mulmig wurde ihr nun doch zumute. Auf leisen Sohlen querte sie den vorderen Raum, wo die Schreibtische der Helfer standen. Dann betrat sie Glorias Büro und drückte auf den Lichtschalter. Zunächst wirkte alles wie immer. Und es schien auch niemand hier zu sein. Doch als Dési sich bereits abwenden wollte, fiel ihr Blick zufällig auf den Boden neben dem Schreibtisch. Und dort sah sie ein Bein!

Der heiße Schreck fuhr ihr in alle Glieder. Hastig umrundete sie den Tisch und blickte dann in Glorias blasses, wie leblos wirkendes Gesicht. Sie lag auf dem Boden, als sei sie vom Schreibtischsessel gerutscht und rührte sich nicht.

Das Mädchen ging neben der Bewusstlosen in die Knie. Ein wenig verstand Dési von erster Hilfe. Sie brachte Gloria in eine entlastende Lage, nachdem sie erleichtert festgestellt hatte, dass diese noch atmete. Ihr Puls war allerdings sehr langsam und ihr Herzschlag kaum zu spüren.

Offenbar ging es der jungen Anwältin sehr schlecht, sie schien sogar in Lebensgefahr zu schweben. Doch warum? Dési hatte darauf keine Antwort und auch keine Zeit, sich nun darüber Gedanken zu machen. Sie musste Gloria möglichst schnell helfen!

Hastig zog sie ihr Handy aus der Tasche und drückte auf den Knopf mit der Nummer der Behnisch-Klinik, die sie natürlich gespeichert hatte. Gleich darauf schilderte sie die Situation und bat darum, einen Krankenwagen zu schicken.

Schwester Anna, die gerade in der Notfallambulanz Dienst hatte, versprach, dass der Notarzt in wenigen Minuten da sein würde. »Beruhige dich nur, Dési, alles wird gut«, meinte sie.

Doch das schaffte das Mädchen nicht. Die Sorge um Gloria, der es so schlecht ging, ließ sie einfach nicht zur Ruhe kommen.

Tatsächlich dauerte es kaum zehn Minuten, bis eine Ambulanz vor dem Wahlkampfbüro anhielt. Dr. Fred Steinbach, der erfahrenste der Notfallmediziner der Behnisch-Klinik, kümmerte sich um die Bewusstlose. Dési fühlte sich schrecklich hilflos, weil sie nichts tun konnte, als abzuwarten. Schließlich wies Dr. Steinbach die beiden Sanis an, die Bewusstlose zum Krankenwagen zu bringen.

»Was hat sie? Können Sie schon was sagen?«, drängte Dési.

»Es sieht nach einem allergischen Schock aus. Du hast sie wirklich im letzten Moment gefunden. Sie ist noch immer nicht stabil, aber wir können nicht länger abwarten. Sie muss in die Klinik und dort auf Intensiv behandelt werden.«

»So schlimm ist es?« Dési erschrak.

»Weißt du, ob sie Allergikerin ist?«

Das Mädchen nickte automatisch. »Sie ist gegen Eiweiß allergisch. Alle Lebensmittel, in denen es hoch konzentriert vorkommt, können ihr schaden. Sie hat es mir erst vor ein paar Tagen erklärt. Und dass sie sehr genau darauf achtet, was sie isst. Ich verstehe nicht, wie es dazu hat kommen können …«

»Das wird sich noch alles klären. Jetzt muss sie erst mal in die Klinik«, ließ Dr. Steinbach Dési wissen.

Gleich darauf fuhr der Krankenwagen mit der Bewusstlosen ab.

Dési blieb bekümmert zurück. Sie war sicher gewesen, dass Glorias ständige Beschwerden ein Ende gefunden hatten. Doch es war wohl nur die Ruhe vor dem Sturm gewesen. Denn so schlecht wie an diesem Tag war es ihr bislang noch nicht gegangen …

»Hallo, Dési, ist meine Frau noch in ihrem Büro?« Sie hatte Bernd Sundermann, der nun vor ihr stand, nicht kommen gehört. »Ich wollte eigentlich früher hier sein, bin aber in der Kanzlei noch aufgehalten worden.«

»Bernd, es ist was passiert«, ließ Dési ihn wissen und fuhr dann bekümmert fort: »Gloria hatte einen allergischen Schock.«

Er schüttelte leicht den Kopf. »Aber wie ist das möglich …«

»Ich weiß es nicht. Als ich herkam, waren die anderen Wahlhelfer schon fort. Ich hatte heute länger an der Uni zu tun, wollte aber trotzdem noch vorbeischauen.« Sie seufzte. »Es war reiner Zufall, dass ich Gloria gefunden habe. Sie lag hinter ihrem Schreibtisch auf dem Boden und war bewusstlos.«

»Mein Gott, ich muss sofort zu ihr. Wohin wurde sie gebracht?«, fragte der junge Anwalt erschüttert.

»In die Behnisch-Klinik. Wenn du willst, komme ich mit.«

Er nickte. »Ja, das ist eine gute Idee. Komm.«

»Moment, wir müssen noch abschließen.«

Bernd, der sonst stets kühlen Kopf bewahrte, seufzte. »Daran habe ich nicht gedacht. Wenn nur Gloria nichts geschieht.« Er war völlig am Boden zerstört. »Ich rufe Annika an, sie kann auch in die Klinik kommen.«

Dési nickte, griff nach dem Schlüssel, der auf Glorias Schreibtisch gelegen hatte, und folgte Bernd dann. Auch sie machte sich die größten Sorgen, wenn sie daran dachte, wie Gloria dort gelegen hatte, fast wie tot …

*

Als Dési und Bernd wenig später die Behnisch-Klinik erreichten, kam ihnen Annika in der Notfallambulanz entgegen. Sie hatte geweint, war noch völlig aufgelöst. Bernd nahm sie in den Arm und strich ihr beruhigend über den Rücken.

»Ich begreife das nicht«, jammerte sie. »Gloria ist doch immer so vorsichtig. Wie konnte es denn nur dazu kommen?«

»Hast du schon was erfahren?«, fragte der junge Anwalt.

»Nein, sie wird noch behandelt.«

»Ich frage mal nach«, beschloss Dési und wandte sich an Schwester Anna, die an der Anmeldung Dienst hatte.

»Dr. Berger kümmert sich um sie«, ließ diese das Mädchen wissen. »Mehr kann ich dir auch noch nicht sagen, tut mir leid.«

»Ist mein Vater noch im Haus?«

Schwester Anna nickte und reichte Dési das Telefon. Die bedankte sich, wählte die Nummer des Chefarztbüros und schilderte, was passiert war. Wenige Minuten später war Daniel Norden zur Stelle.

»Das sind ihr Mann und ihre Schwester«, ließ Dési ihren Vater wissen und deutete auf die beiden, die sich im Wartebereich der Notfallambulanz aufhielten. »Kannst du mal nachschauen, wie es ihr geht, Papa? Ich wäre dir echt dankbar …«

»Klar, mache ich. Warte bitte hier«, bat Dr. Norden seine Tochter, dann betrat er das entsprechende Behandlungszimmer.

Dr. Erik Berger, der Leiter der Notfallambulanz, knurrte: »Keine Störungen jetzt, ich bin beschäftigt!«

»Kann ich etwas helfen, Herr Kollege?«, fragte der Chefarzt.

Dr. Berger warf ihm einen knappen Blick zu. »Ach, Sie sind das. Ich versuche, die Patientin zu stabilisieren. Sie muss auf Intensiv. Wir hatten in den letzten zehn Minuten zweimal einen Herzstillstand. Sie ist weiterhin in Lebensgefahr.«

»Diagnose?«

»Akutes Kreislaufversagen infolge anaphylaktischen Schocks. Die Patientin ist Allergikerin. Sieht aus, als habe sie eine massive Dosis Allergene erhalten.«

Dr. Norden blieb noch, bis es Erik Berger gelungen war, die junge Frau zu stabilisieren. Er begleitete sie zur Intensivstation und verfolgte den weiteren Verlauf der Behandlung, bis Gloria Sundermann auf niedrigem Niveau stabil und die Lebensgefahr gebannt war. Dann fuhr er mit dem Lift wieder zur Notfallambulanz, wo die Familie der Patientin auf den sprichwörtlich heißen Kohlen saß. Dési kam ihrem Vater entgegengelaufen und fragte hastig: »Was ist mit Gloria? Ich habe gesehen, dass sie auf Intensiv gebracht wurde …«

»Komm mal mit«, bat Dr. Norden und steuerte auf Bernd Sundermann und Glorias Schwester zu. »Die Patientin ist außer Lebensgefahr«, ließ er die beiden wissen.

Annika begann sofort wieder zu weinen, diesmal aus Erleichterung, während Bernd wissen wollte: »Kann ich zu meiner Frau? Wie lange muss sie hier bleiben?«

»Einige Tage sicher. Wir müssen erst einmal herausfinden, was den allergischen Schock ausgelöst hat.«

Der junge Anwalt wurde noch eine Spur blasser. »War es wirklich so schlimm? Gloria hatte in letzter Zeit öfter Probleme mit ihrer Allergie. Aber ein Antihistaminikum hat sie immer wieder schnell auf die Beine gebracht.«

»Ihre Frau hatte zweimal einen Herzstillstand. Ihr Zustand war über einige Zeit lebensbedrohlich. Sie wird eine Weile brauchen, um sich davon zu erholen.«

»Mein Gott, wie schrecklich«, schniefte Annika.

»Darf ich jetzt zu ihr?«, drängte Bernd.

»Es tut mir leid, das geht nicht, solange sie auf der Intensivstation ist. Sie müssen sich gedulden.«

»Dann sollten wir wohl gehen«, meinte Glorias Schwester. »Vielen Dank, Herr Doktor, dass Sie uns Bescheid gesagt haben.«

»Ich will nicht gehen, ich will hierbleiben«, widersprach Bernd spontan. »Ich kann Gloria doch nicht allein lassen …«

»Du kannst jetzt sowieso nichts für sie tun«, hielt Dési ihm entgegen. »Sie kommt bestimmt bald von der Intensiv runter, dann darfst du sie besuchen.«

»Da hörst du es, sei vernünftig, Bernd«, mahnte Annika.

Der junge Mann gab nur widerwillig nach. Man sah ihm an, wie sehr er sich um seine Frau sorgte und wie ungern er sie in der Klinik zurückließ. Doch er sah schließlich ein, dass ihm nichts anderes übrig blieb.

»Kannst du mich heimfahren?«, fragte Annika ihren Schwager. »Ich bin mit dem Taxi hergekommen.«

»Ja, sicher …«

»Dési, du kannst mit mir kommen. Ich wollte eben Feierabend machen«, ließ Dr. Norden seine Tochter wissen.

Diese nickte. »Okay. Machts gut, ihr zwei. Wir sehen uns.«

»Danke, Dési, du hast Gloria das Leben gerettet. Das werde ich dir nie vergessen«, murmelte Bernd und drückte ihr den Arm.

»Ist schon gut. Es war eher Zufall …«

»Ein glücklicher Zufall«, merkte Annika an und drückte das junge Mädchen kurz an sich. »Das hast du gut gemacht!«

»Ich verstehe das alles nicht«, gab Dési auf dem Heimweg zu. »Wie konnte es denn nur dazu kommen, Papa? Gloria ist doch immer so vorsichtig. Dass sie etwas gegessen hat, das sie fast umgebracht hat, kann ich nicht begreifen.«

»Vielleicht war es einfach ein Versehen«, sinnierte Daniel Norden. »Vielleicht war sie müde und hat nicht so genau darauf geachtet, was sie gegessen hat. Ihr habt doch sicher einen gemeinsamen Kühlschrank im Wahlkampfbüro, aus dem sich alle bedienen, oder?«

»Na ja, das schon, aber …«

»Also, dann war es vermutlich eine Verwechslung.«

»Trotzdem ist mir das Ganze rätselhaft. Wenn man sein Leben lang mit einer Lebensmittelallergie geschlagen ist, weiß man doch ganz genau, was man essen darf und was nicht.«

»Etwas Genaues kann uns nur die Patientin sagen.«

Das Mädchen seufzte. »Hoffentlich geht es ihr bald wieder gut. Der Wahlkampf kommt so langsam in die heiße Phase. Es wäre echt schade, wenn sie wegen ihrer gesundheitlichen Probleme den Einzug ins Rathaus verpasst.«

»Vielleicht will jemand ja genau das erreichen …«

*

Gloria musste noch zwei Tage auf der Intensivstation bleiben und wurde dann auf die Innere verlegt. Der Allergologe Dr. Schüssler übernahm die Recherche nach dem Auslöser ihres Zusammenbruchs, während sich Dr. Norden persönlich um die Patientin kümmerte.

Bernd Sundermann war sehr erleichtert, als er seine Frau endlich besuchen durfte. Gloria lag blass und abgekämpft in ihrem Krankenbett, man sah ihr deutlich an, was sie hinter sich hatte. Der junge Anwalt küsste seine Frau zärtlich und fragte sie behutsam, wie sie sich fühle.

»Es geht so. Dr. Norden kümmert sich rührend um mich. Er ist Désis Vater. Die Empathie scheint in der Familie zu liegen.«

»Weiß er denn schon, wie es dazu kommen konnte?«

»Noch nicht. Ich kann es mir, ehrlich gesagt, auch nicht erklären.«

»Du hast hoffentlich nicht wahllos in den Kühlschrank gegriffen, als du Hunger hattest …«

»Du weißt genau, dass ich das nie tun würde. Deshalb haben wir doch diese bunten Klebepunkte. Annika ist auf die Idee gekommen, alles, was ich essen darf, so zu kennzeichnen. Und bisher hat das ja auch immer gut geklappt.«

»Weißt du noch, was du gegessen hast?«

»Ich habe Kaffee getrunken …«

»Aber das war doch wohl nicht alles, oder?«

Sie überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. »Nein, ich habe mir noch ein Stück von dem Hefezopf genommen. Es hat wirklich gut geschmeckt, besser als sonst. Bevor ich mir darüber Gedanken machen konnte, wurde mir plötzlich schwindlig. Und dann muss ich das Bewusstsein verloren haben. Das Nächste, woran ich mich erinnern kann, ist, dass ich hier aufgewacht bin.«

»Hatte der Kuchen einen Klebepunkt?«

»Natürlich.« Sie verdrehte die Augen. »Bernd, du kennst mich doch. Du weißt, wie gewissenhaft ich bin. Ganz egal, zu welcher Tages- oder Nachtzeit, ich stopfe nie gedankenlos etwas in mich hinein. Ich schaue immer genau hin.«

»Das weiß ich, Liebes. Aber ich suche eben nach einer Erklärung für diese schlimme Geschichte. Und ich möchte, wenn möglich, verhindern, dass noch mal so etwas geschieht.«

Sie seufzte. »Ehrlich gesagt, ich auch …«

Später am Tag schaute Annika nach ihrer Schwester. Sie umarmte Gloria lange und weinte dabei. Gloria mahnte sie, sich ein bisschen zusammen zu reißen.

»Es ist nicht meine Beerdigung, ich lebe noch und werde wieder gesund«, scherzte sie trocken.

»Wie kannst du nur so was sagen«, nuschelte Annika verstört. »Du weißt ganz genau, dass wir uns alle große Sorgen um dich machen. Solange ich denken kann, war da immer diese unsichtbare Gefahr, die dein Leben bedroht hat. Allergie, allein das Wort hat mir als Kind eine Riesenangst gemacht. Ich habe immer versucht, mir keine Sorgen zu machen, weil du das nicht wolltest. Aber das ist gar nicht so leicht …«

»Ich weiß ja, Annika. Aber wir sind mittlerweile erwachsen. Panik hilft uns nicht weiter, wir sollten kühlen Kopf bewahren.«

»Ich mache mir solche Vorwürfe, weil es doch meine Idee war, die Lebensmittel im Wahlkampfbüro mit Klebepunkten zu markieren. Und jetzt ist genau das dir zum Verhängnis geworden!«

Gloria stutzte. »Was meinst du damit?«

»Das ist doch wohl offensichtlich. Ich weiß, wie gewissenhaft du bist, wenn es ums Essen geht. Du hast ganz bestimmt keinen Fehler gemacht. Jemand hat die Lebensmittel ausgetauscht. Und ich kann mir auch denken, wer das gewesen ist …«

»Wen meinst du?«

»Erinnerst du dich noch an diesen Joel Kranz?«

Gloria musste kurz nachdenken, dann fiel es ihr ein. Der Mann, auf den ihre Schwester anspielte, war vor einer Weile ihr Mandant gewesen. Ein Kleinkrimineller, der immer wieder rückfällig wurde. Trickdiebstähle, kleinere Betrügereien, er war auch öfter als Taschendieb unterwegs. Ein eigentlich harmloser Mensch, der erfolglos versuchte, sich durchs Leben zu gaunern.

»Ja, aber was soll er denn mit dieser Geschichte jetzt zu tun haben? Ich sehe da keinen Zusammenhang.«

»Weil du eben viel zu blauäugig bist. Wieso nimmst du immer solche Mandate an? Leute, mit denen sonst keiner was zu tun haben will. Und das aus gutem Grund …«

»Ich fürchte, ich weiß nicht, worauf du hinaus willst.«

»Dieser Kranz hat dich verehrt, schon vergessen? Er hat dich ständig angerufen und aufgelegt. Er hat dir Liebesgedichte gemailt, dir Blumen geschenkt und kleine Geschenke in eurer Kanzlei deponiert. Er war in dich verliebt. Aber weil das eine aussichtslose Zuneigung war, wurde er zum Stalker.«

»Na ja, also Stalking würde ich das, was er gemacht hat, nicht unbedingt nennen. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass er jetzt irgendwelche Lebensmittel, die mir schaden sollen, in unseren Kühlschrank schmuggelt. Du hast selbst gesagt, er war in mich verliebt. Außerdem wusste er nichts von meiner Allergie.«

»Das lässt sich doch ganz genau herausfinden. Ich sage dir, Gloria, dieser Kerl steckt hinter den Anschlägen auf dich. Er kann dich nicht haben, deshalb soll niemand dich haben. Man hört doch immer wieder, dass solche kranken Typen so denken.«

»Ich weiß nicht …«

»Denk halt mal darüber nach. Mir erscheint das Ganze schlüssig. Ich bin überzeugt, wenn wir diesen Kranz ausfindig machen und die Polizei sich mit ihm beschäftigt, dann werden die Anschläge auf dich endlich aufhören!«

Gloria war von der Theorie ihrer Schwester nicht wirklich überzeugt. Als sie mit ihrem Mann darüber sprach, blieb der ebenfalls skeptisch, riet ihr aber, diese Spur nicht völlig außer Acht zu lassen.

»Es könnte doch sein, dass er wirklich dahinter steckt. Ich finde, du solltest jede Möglichkeit in Betracht ziehen«, meinte er. Und als Daniel Norden dann mit dem Ergebnis von Dr. Schüsslers Recherche aufwarten konnte, tendierte Gloria noch ein wenig mehr dazu, Annika recht zu geben …

»Der Auslöser Ihres allergischen Schocks war ein Stück Mandelkuchen«, ließ Dr. Norden sie wissen.

»Mandelkuchen? Den würde ich nie essen! Außerdem hatten wir keinen im Kühlschrank, da bin ich mir ziemlich sicher.«

»Haben Sie denn so genau im Gedächtnis, was sich in diesem Kühlschrank befindet, der doch von vielen Leuten genutzt wird?«

»Natürlich nicht. Die meisten der Wahlhelfer stellen da aber nur etwas zu trinken rein, belegte Brötchen oder andere Snacks. Vor ein paar Tagen hat jemand einen Hefekranz spendiert. Wer wollte, durfte sich ein Stück nehmen. Ich habe mich zweimal daran bedient. Und beim zweiten Mal war es kein Hefekuchen mehr, sondern ein Mandelkuchen. Das ist schon mehr als seltsam.«

»Allerdings. Jemand hat ihn ausgetauscht. Das ist wohl die einzige, plausible Erklärung.«

Gloria seufzte. »Also doch Joel Kranz …«

»Wer ist denn Joel Kranz?«

»Ein ehemaliger Mandant von mir. Annika brachte seinen Namen ins Spiel, als sie mich besucht hat. Sie meinte, er könnte dahinter stecken, weil er hoffnungslos in mich verliebt war und mich eine Weile verfolgt hat.«

»Ein Stalker?«

»Na ja … man könnte ihn so nennen. Aber ich kann mir immer noch nicht vorstellen, dass er heimlich ins Wahlkampfbüro schleicht, um einen Kuchen auszutauschen. Er wusste auch nichts von meiner Lebensmittelallergie.«

»Dann kommt er wohl nicht infrage«, meinte Dr. Norden.

Gloria nickte, doch wirklich überzeugt war sie nicht mehr. Ihr blieb wohl nichts anderes übrig, als dieser Spur nachzugehen, wenn die seltsamen Vorfälle endlich enden sollten …

*

Gloria blieb eine Woche in der Behnisch-Klinik. Bernd besuchte seine Frau jeden Tag und zeigte sich nach wie vor sehr besorgt. Als er andeutete, dass es vielleicht besser wäre, auf ihre Kandidatur zu verzichten, stieß er allerdings nur auf Unverständnis bei ihr.

»Ich lasse mich doch nicht einschüchtern!«

»Aber, Liebes, da hat es doch offenbar jemand auf dich abgesehen. Ich habe mir eine Menge Gedanken gemacht, aber ich sehe keine Möglichkeit, dich zu schützen. Was, wenn es beim nächsten Mal nicht mehr so glimpflich ausgeht? Ich möchte dich nicht verlieren. Der Sitz im Stadtrat ist das nicht wert!«

»Ich werde eben noch besser aufpassen müssen.«

»Gloria, nun sei doch mal vernünftig. Du kannst dir alles vornehmen, aber wie wird es dann in der Praxis aussehen? So ein Wahlkampf ist stressig. Wie schnell gerätst du wieder in eine ähnliche Situation. Und wenn du dann etwas isst, das eine noch heftigere Reaktion auslöst …«

»Ich werde eben nichts mehr aus dem Kühlschrank im Wahlkampfbüro essen und auch nichts bei Empfängen oder ähnlichen Gelegenheiten. Ich esse nur noch daheim. Dann bin ich auf der sicheren Seite.«

»Glaubst du wirklich, dass das funktionieren kann?«

»Wenn ich konsequent bin, schon. Und ich werde der Spur nachgehen, auf die Annika mich aufmerksam gemacht hat.«

»Dieser Kranz? Das halte ich für Unsinn.«

»Vielleicht. Aber mir war der Fall nicht mehr so präsent. Annika hat mich daran erinnert, dass Joel Kranz mich eine ganze Weile verfolgt hat. Dann hörte es plötzlich auf. Kein typisches Verhalten für einen Stalker, oder?«

»Du meinst, er hat sich nur noch heimlich in deiner Nähe aufgehalten?«

»Könnte doch sein. Ich muss zugeben, das ist keine angenehme Vorstellung. Aber möglich wäre es immerhin. Ich werde Tom Binder mal anrufen. Er schuldet mir noch einen Gefallen.«

»Tom? Ach, nein …«

Gloria musste lächeln. »Immer noch eifersüchtig?«

»Ihr wart in der Schule ein Paar. Solche romantischen Erinnerungen können gefährlich werden …«

»Mir nicht, ich bin schließlich glücklich verheiratet …«

Bernd lächelte schmal. »Wie du meinst, Schatz. Aber ich halte das Ganze für Unsinn. Selbst wenn Kranz dir noch immer nachschleichen sollte, wie kommt er an den Kühlschrank im Wahlbüro? Und woher weiß er von deiner Allergie?«

Gloria hob die Schultern. »Das soll Tom herausfinden …«

Der Privatdetektiv, der mit der jungen Anwältin zur Schule gegangen war, freute sich, wieder von ihr zu hören und suchte sie noch am gleichen Tag auf.

»Gloria, du bist inzwischen ja noch schöner geworden«, schmeichelte er und lächelte ihr jungenhaft zu. »Wie schade, dass du einen anderen geheiratet hast …«

»Aus uns beiden hätte was werden können, wenn du nicht so unstet gewesen wärst«, hielt sie ihm entgegen.

Der hoch gewachsene, blonde Sonnyboy seufzte. »Ich kann dir nicht widersprechen …«

»Wir wollten beide Jura studieren. Aber dir wurde es schon nach einem Semester zu langweilig …«

»Leider. Jetzt bereue ich es.«

Sie lachte. »Das glaube ich dir nicht. Du bist durch die Welt gezogen, hast getan, wozu du Lust hattest. Ich habe all die bunten Ansichtskarten aufgehoben, die du mir geschickt hast.«

»Meine Wanderjahre sind vorbei. Jetzt bin ich ganz seriös als Detektiv unterwegs. Und ich freue mich, für dich arbeiten zu können, meine Schöne. Also, wo liegt das Problem? Da ist doch nicht etwa ein untreuer Ehemann?«

»Ich bin glücklich verheiratet. Nein, es geht um etwas anderes.« Sie schilderte ihm genau, was sich in den vergangenen Wochen ereignet hatte, und kam dann zu dem Schluss: »Ich glaube, Annika könnte recht haben. Wenn Joel Kranz dahinter steckt, dann muss ich dem ein Ende machen, bevor er mir ernstlich schadet.«

»Du warst immerhin im Krankenhaus. Also, das würde ich schon ernstlich nennen«, warf er ein.

»Sicher. Aber du weißt, was ich meine, oder?«

»Klar. Hast du eine Beschreibung dieses Typen? Daten?«

Sie reichte ihm eine Akte. »Er war immerhin mein Mandant. Darin findest du alles, was du wissen musst.«

»Wunderbar. Es sollte nicht schwer sein, ihn ausfindig zu machen. Ich rufe dich an, sobald ich was weiß.«

Gloria lächelte. »Danke, ich wusste doch, das ich auf dich zählen kann.«

»Keine Ursache. Allerdings solltest du etwas bedenken. Falls dieser Kranz nicht hinter den Anschlägen auf dich steckt, stehen wir wieder am Anfang. Dann kann es jeder sein …«

*

»Sag mal, endet dieser Wahlkampf eigentlich nie?« Janni musterte seine Schwester missmutig. »Wie kann man nur für eine solche Sache so endlos viel Elan aufbringen?«

»Weil es Spaß macht. Und weil ich voll dahinter stehe.«

»Eine lobenswerte Einstellung«, meinte ihr Vater.

Die Familie Norden saß zusammen am Abendbrottisch, was nur noch selten vorkam. Umso mehr genoss Fee diesen Zustand.

»Außerdem ist der Wahlkampf doch jetzt schon in der sogenannten heißen Phase, nicht wahr?«, merkte sie an.

Dési nickte. »Noch eine Woche bis zu den Wahlen.«

»Ein Glück«, seufzte Janni. »Dann ist endlich Ruhe.«

»Was hast du nur gegen Gloria?«, wunderte seine Schwester sich. »Sie wird eine Super-Stadträtin!«

»Das will ich ja gar nicht abstreiten. Mir geht nur das Getue hier bei uns daheim auf den Wecker …«

»Hat sich eigentlich noch was ergeben wegen dieser rätselhaften Allergiebeschwerden?«, fragte Daniel, um die Geschwister vom Zanken abzuhalten.

»Bis jetzt nicht. Gloria hat einen Privatdetektiv engagiert, der soll herausfinden, wo dieser Joel Kranz sich herumtreibt. Vielleicht steckt der ja wirklich dahinter, hat Wind davon bekommen, dass er gesucht wird, und ist abgetaucht. Jedenfalls war nichts Ungewöhnliches mehr, seit Gloria aus der Klinik gekommen ist.«

»Hoffen wir, dass es so bleibt. Ich finde, es wird Zeit, sich wieder auf politische Inhalte zu konzentrieren«, meinte Dr. Norden. Fee nickte.

»Ich habe mir mal Glorias Wahlprogramm durchgelesen. Das hat wirklich Hand und Fuß. Hoffen wir, dass sie die Wahl gewinnt.«

»Wenn alle wählen gehen, bestimmt«, murmelte Dési mit einem schrägen Blick auf ihren Bruder.

Janni hob die Schultern. »Ich werde da sein und mein Kreuzchen machen, darauf kannst du dich verlassen.«

»Falls du es nicht vergisst, zerstreuter Professor.«

»Wie sollte ich? Hier wird ja seit Wochen von nichts anderem mehr geredet«, seufzte er.

Daniel lachte. »Dann hast du keine Ausrede, wenn du es doch vergessen solltest …«

Als Dési nach der Uni zum Wahlkampfbüro kam, erwartete Annika sie mit schlechten Neuigkeiten.

»Gloria geht es nicht gut, sie musste heimfahren und sich hinlegen. Heute werden wir hier nichts mehr tun.«

»Ist es wieder ihre Allergie?«

»Keine Ahnung. Sie wirkte blass und müde. Könnten auch noch die Nachwirkungen ihres Klinikaufenthalts sein.«

»Aber es ging ihr doch wieder gut.«

»Sie hat weitergemacht wie bisher. Ich habe ihr geraten, sich mehr zu schonen. Der Meinung ist auch Bernd. Aber du kennst ja Gloria, sie kann wirklich sehr stur sein …«

»Mein Vater hätte sie nicht entlassen, wenn ihr Zustand nicht stabil gewesen wäre. Vielleicht sollte ich mal bei ihr vorbeischauen …«

Annika nickte. »Gute Idee. Könnte sein, du kriegst mehr aus ihr heraus als ich. Mir wollte sie jedenfalls nicht verraten, was sie quält.«

Also radelte Dési nach Schwabing, wo Gloria und ihr Mann in einer großzügig geschnittenen Wohnung in einem Appartementhaus lebten. Auf ihr Klingeln erfolgte zunächst mal keine Reaktion. Sie wartete kurz, versuchte es dann noch einmal, doch wieder tat sich nichts. Sie wollte schon aufgeben, als sich die Wohnungstür doch noch öffnete und Gloria erschien. Sie war blass und wirkte sehr niedergeschlagen.

»Dési, hallo, das ist nett. Komm nur herein«, bat sie.

»Sicher? Ich will dich nicht stören. Annika sagte, dass es dir schlecht geht.«

»Ja, das stimmt auch.«

»Wieder die leidige Allergie?«

»Nein, diesmal ists was anderes. Aber komm doch erst mal rein.«

Das Mädchen folgte Gloria in den großzügig bemessenen Wohnraum und ließ sich auf einem der bequemen Sofas nieder.

»Also, was hast du? Oder willst du nicht darüber reden?«

Gloria reichte Dési ein Glas Saft und setzte sich ihr gegenüber auf das zweite Sofa. »Ich habe wirklich Kummer, Dési. Und es hat nichts mit meinem Gesundheitszustand zu tun, sondern mit … Bernd.« Sie griff in ihre Hosentasche, holte einen Zettel heraus und gab ihn Dési. Die machte ein fragendes Gesicht, Gloria ermunterte sie mit einer Geste, die Nachricht zu lesen.

Also faltete das Mädchen den Zettel auseinander und überflog die wenigen Zeilen, die es allerdings in sich hatten.

»Ihr Mann betrügt Sie. Er hat schon lange eine heimliche Affäre. Alle wissen es, nur Sie nicht. Ein Freund.«

Dési wusste nicht, was sie davon halten sollte. Sie betrachtete die Nachricht von allen Seiten und schüttelte dabei leicht den Kopf.

»Was sagst du dazu?«, fragte Gloria sie schließlich.

»Keine Ahnung. So was gabs doch nur in den alten Krimis mit Bogy. ›Ein Freund‹ – wer schreibt denn das heutzutage noch? Ich glaube, das ist ein schlechter Scherz.«

»Dass Bernd mich betrügt?«

»Nein, das nicht. Ich meine das Ganze. Da hat sich jemand was ausgedacht, um dir zu schaden, dich fertigzumachen. Und wenn ich dich anschaue, hat es auch funktioniert, oder?«

»Es kam so plötzlich, so völlig unerwartet, deshalb hatte es wohl auch diese Wirkung auf mich«, sinnierte Gloria. »Bernd und ich, wir sind schon seit Unizeiten zusammen. Wir haben einander immer total vertraut. Es gab nie Lügen zwischen uns. Ich wäre nicht mal im Traum auf die Idee gekommen, dass er mich betrügen könnte.«

»Dann glaubst du tatsächlich, dass was dran ist an dem Wisch?«

»Nein, eigentlich nicht. Aber ich verstehe nicht, wer auf die Idee kommt, so etwas zu schreiben.«

»Vielleicht hat es was mit dem Wahlkampf zu tun.«

»Daran habe ich auch schon gedacht …«

»Hast du was von deinem Detektiv gehört? Hat er diesen Kranz mittlerweile ausfindig machen können?«

»Noch nicht. Du meinst …«

»Es könnte doch sein. Der Typ war in dich verliebt. Als er eingesehen hat, dass er keine Chancen bei dir hat, ist sein Gefühlsleben gekippt. Aus Liebe wurde Hass. Er hat sich eine ganze Weile als Stalker betätigt, stimmt doch, oder?«

Gloria nickte. »Er hat erst damit aufgehört, als ich eine einstweilige Verfügung gegen ihn erwirkt habe.«

»Na siehst du. Da ist er in der Versenkung verschwunden. Aber das bedeutet nicht, dass er keine Gefahr mehr darstellt. Er hat im Untergrund gewühlt, nach Möglichkeiten gesucht, dir zu schaden. Und wie schadet man einem Menschen mehr, als denjenigen, dem er völlig vertraut, in Zweifel zu ziehen?«

»Das klingt leider ziemlich logisch.«

»Also, wirf den Zettel weg und vergiss, was drin steht. Wenn du deinem Mann vertraust, solltest du das Ganze mit keinem Wort erwähnen. Das ist jedenfalls meine Meinung.«

Gloria lächelte Dési zu. »Ich danke dir, du hast mir wirklich sehr geholfen. Ihr Nordens seid schon was Besonderes.«

»Was soll das nun wieder heißen?«

»Als ich in der Behnisch-Klinik war, hat sich dein Vater sehr um mich gekümmert. Und was du so leistest, alles freiwillig und ohne Bezahlung, das ist erstaunlich.«

»Ach, das ist doch nur ein Freundschaftsdienst. Ich mag dich, Gloria. Und ich finde, du und Bernd, ihr seid das ideale Paar. Wäre schade, wenn es irgend so ein Spinner schaffen würde, euch auseinanderzubringen. Wenn ich das verhindern kann, bin ich dabei, darauf kannst du zählen.«

»Du bist eine wirklich gute Freundin, ich danke dir.«

»Schon okay. Also dann sehen wir uns morgen wieder im Wahlkampfbüro, versprochen?«

»Versprochen.« Gloria knüllte den Zettel zusammen und warf ihn in den Papierkorb. Désis Besuch hatte ihr geholfen, die Dinge wieder im richtigen Lot zu sehen. Sie wusste ganz genau, dass sie Bernd vertrauen konnte, dass niemals etwas zwischen sie kommen würde. Es war nur gut, dass Dési sie daran erinnert hatte …

*

In den letzten Tagen vor der Wahl zum Stadtrat gaben alle freiwilligen Helfer noch einmal ihr Bestes. Da das Wetter sich gebessert hatte, war Dési nun öfter mit Handzetteln unterwegs, jederzeit bereit, sich auf ein Gespräch einzulassen, um neue Wähler zu gewinnen.

Gloria trat stets souverän auf, vertrat ihre politischen Ziele in den Medien und machte immer mehr Punkte gut. Bald war ihr schärfster Konkurrent laut Umfragen hoffnungslos abgeschlagen.

Dann kam schließlich der Wahlsonntag. Dési war schon in aller Frühe auf den Beinen. Sie radelte zum Wahlkampfbüro, bereitete mit anderen zusammen die Siegesfeier vor, mit der nun alle fest rechneten, und saß zur ersten Hochrechnung vor dem Fernseher.

Gloria und Bernd gaben ihre Stimme pressewirksam gemeinsam ab, Interviews wurden gemacht, die junge Anwältin stand im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses.

Bereits die erste Hochrechnung zeigte einen deutlichen Vorsprung Glorias vor ihrem Konkurrenten. Allmählich machte sich eine fieberhafte Aufregung breit. Alle drückten fest die Daumen, es wurde viel gejubelt, und man beglückwünschte sich ständig gegenseitig zu seiner Arbeit.

Nachdem die Wahllokale geschlossen waren, ging das Warten auf die erste Auszählung los. Die Spannung stieg.

Gegen einundzwanzig Uhr stand mit Sicherheit fest, dass die nächste Stadträtin Gloria Sundermann heißen würde.

Der Jubel im Wahlkampfbüro war unbeschreiblich. Man lag sich in den Armen, stieß mit Sekt an und freute sich von Herzen über den wohl verdienten Sieg.

Dési gratulierte Gloria besonders herzlich und plauderte eine Weile mit ihr. Schließlich hielt diese Ausschau nach Bernd, der aber in der Masse verschwunden war.

»Ich schau mich mal um und schicke ihn dir dann«, bot Dési an.

»Das ist lieb von dir«, freute sich die junge Anwältin.

Dési bahnte sich einen Weg durch die Feiernden. Die Siegesfeier war zu einer ausgelassenen Party geworden, bei der man nur fröhliche Gesichter sah. Aber eben nicht das von Bernd Sundermann. Wo mochte er nur stecken?

Dési fragte ein paarmal nach, allerdings hatte niemand den jungen Anwalt gesehen. Als sie gerade an der kleinen Küche vorbeikam, wo Sekt ausgeschenkt und Schnittchen geschmiert wurden, hörte sie jemanden sagen: »So haben wir nicht gewettet. Ich lasse mich nicht länger von dir hinhalten, Bernd!«

Dr. Nordens Tochter blieb stehen und schaute sich um. Da erkannte sie in einer Ecke der Küche Bernd Sundermann, der offenbar mit jemandem Streit hatte. Sie konnte die zweite Person nicht erkennen, erst als der junge Mann sich zur Seite drehte, sah Dési Annika. Glorias Schwester wirkte sehr aufgebracht. Und Bernd machte ebenfalls ein wütendes Gesicht. Was hatte das zu bedeuten? Wieso stritten die beiden? Dies war doch schließlich der Abend, auf den sie alle so lange hingearbeitet hatten. Statt mit seiner Frau deren Wahlsieg und ihren Einzug ins Rathaus zu feiern, zankte Bernd sich hier mit Annika. Da stimmte doch etwas nicht!

Als Dési sah, wie die beiden durch die Hintertür nach draußen verschwanden, folgte sie ihnen spontan. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, denn es war eigentlich nicht ihre Art, andere zu belauschen. Doch diese Situation kam ihr einfach nicht normal vor. Vorsichtig schlich sie ebenfalls zur Hintertür, die bereits wieder ins Schloss gefallen war. Sie öffnete diese nur einen Spaltbreit, gerade so viel, um nach draußen spähen zu können.

Dies war die Rückseite des Gebäudes, hier gelangte man in einen kleinen Hof und zu einem Kellerabgang. Da es bereits dunkel war, brauchte Dési eine Weile, um sich zu orientieren. Sie verließ sich dabei hauptsächlich auf ihr Gehör. Denn noch immer stritten Annika und Bernd, nun sogar noch heftiger. Sie waren wohl nach draußen gegangen, damit niemand etwas mitbekam. Welche Art von Geheimnissen gab es zwischen ihnen, von denen keiner etwas erfahren sollte?

Mit aufgeregt pochendem Herzen schob Dési sich durch die Hintertür nach draußen und betrat den Hof. Sie fror und ärgerte sich, keine Jacke mitgenommen zu haben. Ihre Augen gewöhnten sich allmählich an das fahle Zwielicht, das von einer Laterne an der Vorderseite des Hauses gestreut wurde. Und nun sah sie auch, wo Annika und Bernd waren. Sie standen neben dem Kellerabgang dicht beieinander. Annika redete auf Bernd ein, der immer wieder den Kopf schüttelte und schließlich ein Stück wegging. Er wollte wohl Abstand zwischen sich und Glorias Schwester bringen. Er wirkte sehr aufgeregt und wütend.

»So kannst du mich nicht behandeln!«, beschwerte Annika sich. »Hast du vielleicht vergessen, was zwischen uns ist? Wir lieben uns! Das ist viel mehr als nur eine Affäre. Du hast selbst gesagt, dass du für mich viel mehr empfindest als für Gloria.«

Dési blieb der Mund offen stehen.

»Ich habe das nie gewollt«, wehrte Bernd ab. »Es hat sich so ergeben. Gloria war ja nie mehr zu Hause. Sie hatte nur noch ihren Wahlkampf im Kopf. Ich habe mich eben einsam gefühlt …«

»Soll das heißen, dass ich nur ein Lückenbüßer für dich bin?«

»Natürlich nicht.«

»Dann solltest du jetzt die Konsequenzen ziehen und deine Frau um die Scheidung bitten. Mit mir wirst du sehr viel glücklicher werden, das verspreche ich dir!«

Dési konnte nicht glauben, was sie da hörte. Annika und Bernd hatten eine Affäre hinter Glorias Rücken! Die eigene Schwester hatte ihr den Mann abspenstig gemacht. Das war einfach unfassbar! Dési hatte nie bemerkt, dass etwas zwischen den beiden war. Sie hatten sich perfekt verstellt. Und auch Gloria ahnte wohl nichts.

Nun musste die Studentin an den anonymen Zettel denken, den Gloria ihr gezeigt hatte. »Ihr Mann betrügt sie«, hatte darauf gestanden. Sie hatten es beide nicht geglaubt. Und doch war es die Wahrheit!

»Ich werde Gloria nicht verlassen«, sagte Bernd nun. »Ich liebe sie. Das mit uns …«

»Ja? Was ist es? Also doch nichts weiter als ein Zeitvertreib? Wie kannst du nur so gefühllos sein?«, beschwerte Annika sich bitter. »Glaubst du denn im Ernst, dass euer Leben sich nun ändern wird? Deine Frau ist Stadträtin, sie hat noch viel mehr um die Ohren als während des Wahlkampfs. Eure Ehe geht so oder so den Bach runter. Wieso willst du nicht gleich klare Verhältnisse schaffen? Das wäre für alle das Beste!«

»Du meinst, es wäre für dich das Beste«, ätzte er.

»So schätzt du mich also ein. Dann will ich dir mal was sagen. Gloria ist meine Schwester. Glaubst du im Ernst, es wäre mir leicht gefallen, sie zu betrügen? Ich hätte mich niemals auf dich eingelassen, wenn ich dich nicht lieben würde.«

»Liebe ist ein großes Wort.«

»Aber es trifft meine Gefühle. Ich liebe dich, Bernd. Ich möchte mein Leben mit dir teilen.«

»Und Gloria? Wo bleibt sie bei dieser Liebesoper?«

»Sie wird sich damit abfinden müssen, dass du dich für mich entschieden hast.«

»Wird sie das? Du scheinst mir nicht zugehört zu haben, Annika. Ich werde Gloria nicht verlassen. Wenn du mich dazu zwingst, sage ich ihr die Wahrheit. Ich bin überzeugt, dass unsere Ehe diesen Seitensprung aushält. Was uns verbindet, ist viel mehr, als du dir vorstellen kannst.«

»Ist das dein letztes Wort?«

Dési meinte, etwas Lauerndes in Annikas Frage zu hören. Sie schien wild entschlossen zu sein, Bernd an sich zu binden, und das, wenn nötig, wohl mit allen Mitteln …

»Ja, das ist mein letztes Wort. Und jetzt entschuldige mich, ich will wieder rein, bevor Gloria mich vermisst.« Er strebte zum Hinterausgang zurück, Annika blieb ihm dicht auf den Fersen und beschimpfte ihn auf unflätigste Weise. Dési hatte sich hinter einem Müllcontainer versteckt und wartete, bis die beiden wieder im Haus verschwunden waren. Erst dann folgte sie ihnen.

Dabei fuhren ihre Gefühle Achterbahn, sie wusste nicht, was sie nun tun sollte. Einerseits war sie stinkwütend auf Bernd, der seine Frau betrog. Und sie verachtete Annika, weil die ihrer Schwester den Mann stehlen wollte. Am naheliegendsten war es wohl, Gloria die Augen zu öffnen. Aber Dési brachte das nicht über sich. Sie wusste einfach nicht, was sie tun sollte. Schweigen, sich nicht einmischen? Oder sich in die Nesseln setzen, damit vielleicht sogar Annika in die Hände spielen und dafür sorgen, dass die Ehe der Sundermanns in die Brüche ging? Keine schöne Vorstellung. Dési kam zu keiner Entscheidung. Sie musste mit jemandem über das reden, was sie gerade erfahren hatte. Und da kam eigentlich nur ihre Familie infrage.

*

Die Nordens hatten an diesem Wochenende Dienst gehabt und saßen noch gemütlich im Wohnzimmer zusammen, als Dési heimkam.

»Du bist schon da? Wir dachten, die Siegesfeier dauert bis morgen Früh«, wunderte Daniel Norden sich.

»Stimmt was nicht?«, fragte Fee gleich. »Du siehst nicht wirklich glücklich und zufrieden aus.«

»Bin ich auch nicht mehr. Dass Gloria die Wahl gewonnen hat, ist natürlich super. Aber ich habe heute etwas erfahren, das … ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll.«

»He, Schwesterherz, ist euch der Sekt ausgegangen?« Janni war auf dem Weg zur Küche, um sich etwas Essbares zu besorgen. Als er gleich darauf mit belegten Broten und einer Kanne Kaffee zurückkam, fragte Dési ihn: »Ist Lucy da?«

»Nein, ich hocke allein vor dem Bildschirm. Gibt es etwas zu berichten?«

»Wenn du kurz Zeit hast, setz dich doch zu uns. Ich möchte dir was erzählen.«

Janni ließ sich auf dem Sofa neben seiner Schwester nieder.

»Also, ich habe mich eben mit Gloria unterhalten. Die Party war super, alle haben begeistert ihren Sieg gefeiert. Die Stimmung war einfach nur gut. Dann hat Gloria nach ihrem Mann Ausschau gehalten, der war nämlich plötzlich weg. Ich habe ihr angeboten, ihn zu suchen, was sich als gar nicht so einfach herausstellte in all dem Trubel. Schließlich habe ich ihn in der Teeküche entdeckt. Er stand da in einer Ecke mit Annika, und die beiden hatten offensichtlich Streit. Sie haben sich nach kurzer Zeit nach draußen in den Hinterhof verzogen, um ungestört zu sein. Ich fand das Ganze ziemlich komisch, deshalb bin ich ihnen auch gefolgt.«

»Hat Glorias Mann vielleicht Wahlkampfspenden veruntreut?«, scherzte Janni und grinste dabei.

Seine Schwester seufzte. »Ich wünschte, es wäre so. Damit könnte ich umgehen. Aber das, was ich da gehört habe, das hat mein ganzes Weltbild auf den Kopf gestellt. Bernd hat eine heimliche Affäre mit Annika. Sie hat ihn gedrängt, sich scheiden zu lassen, was er aber abgelehnt hat. Ich hatte den Eindruck, dass das Ganze mehr von ihr ausgegangen ist. Bernd sagte, Gloria wäre im Wahlkampf nie zu Hause gewesen, sie hätten sich so selten gesehen, dass er sich einsam gefühlt hätte.«

»Was für eine fadenscheinige Ausrede«, merkte Daniel an.

»Ja, das finde ich auch. Aber noch schlimmer ist für mich die Vorstellung, dass Annika ihrer Schwester den Mann ausspannen will. Und sie ist eine perfekte Lügnerin, keiner hat was gemerkt. Ich bin aus allen Wolken gefallen, als ich die beiden hörte.«

»Vielleicht ahnt Gloria ja doch etwas, verschließt nur die Augen vor der Wahrheit, weil sie ihren Mann nicht verlieren will«, meinte Fee.

»Nein, sie weiß nichts. Sonst hätte dieser Zettel neulich sie nicht so völlig umgehauen.«

»Was für ein Zettel?«, fragte Janni.

»Eine anonyme Nachricht. Jemand hat behauptet, dass Bernd eine Affäre hätte. Gloria hielt das für absurd.«

»Wenn niemand etwas von dem Verhältnis zwischen Bernd und Annika wusste, wer hat dann den Zettel geschrieben?«

»Das frage ich mich auch, Papa. Vielleicht war es ja Annika. Sie legt es doch darauf an, dass ihre Schwester die Wahrheit erfährt, damit sie und Bernd sich trennen.«

»Könnte sein. Oder es war dieser Stalker«, warf Janni ein. »Wenn der Gloria noch immer verfolgt, hat er möglicherweise was mitgekriegt und wollte sie informieren.«

»Also, ich glaube nicht an die Story von dem Stalker. Die kommt doch von Annika. Dieser Typ hat schon lange nichts mehr mit Gloria zu tun.«

»Du denkst also, es kommt alles von Annika«, schloss Janni.

Seine Schwester nickte. »Für mich sieht es ganz so aus. Aber ich kann mich natürlich auch irren. Tatsache ist aber, dass sie die Ehe ihrer Schwester zerstören will. Und jetzt weiß ich nicht, was ich tun soll. Deshalb habe ich euch das alles erzählt. Ich brauche euren Rat.«

»Du solltest Gloria sagen, was du gehört hast«, riet Janni ihr. »Dann liegt es an ihr, zu entscheiden, wie es zwischen ihr und ihrem Mann weitergehen soll. Diese Verantwortung kannst du nicht auch noch übernehmen, Schwesterherz.«

»Ich wäre da ein bisschen vorsichtiger«, meinte Fee. »Sich in eine fremde Ehe einzumischen, auch wenn es gut gemeint ist, kann böse ausgehen. Du setzt dich vielleicht in die Nesseln und verlierst eine Freundin.«

»Aber findet ihr nicht, dass Gloria die Wahrheit erfahren sollte? Natürlich wäre es ein schlimmer Schock für sie. Vor allem, weil es ihre eigene Schwester ist. Aber wenn Bernd oder Annika sie vor vollendete Tatsachen stellen, wäre das doch bestimmt noch viel grausamer.«

»Das ist keine leichte Entscheidung«, pflichtete Daniel seiner Frau bei. »Ich tendiere allerdings auch dazu, dass Dési Gloria erzählen sollte, was sie weiß. Sie im Unklaren zu lassen, ist einfach falsch.«

»Wenn Bernd sich von Annika trennt, müsste Gloria nie etwas davon erfahren«, hielt Fee ihm entgegen.

»Seit wann bist du für Geheimnisse in der Ehe, Liebes?«, wunderte Daniel sich. »Wir waren uns doch immer einig, dass Ehrlichkeit das beste Fundament fürs Zusammenleben ist.«

»Normalerweise schon. Aber es sieht doch so aus, als ob Bernd seine Ehe nicht aufgeben will. Und manche Wunden lassen sich einfach vermeiden, wenn du verstehst, was ich meine …«

»Ehrlichkeit ist am wichtigsten«, stellte Janni fest und erhob sich. »Ich finde, Dési sollte ihrer Freundin sagen, was sie gehört hat. Glorias Mann ist ja nun mal untreu, ob man das nun ausspricht oder nicht. Ich glaube nicht, dass man mit einer Lüge auf Dauer glücklich werden kann.«

»Junge, du hast Recht«, kam es spontan von Daniel Norden.

Dési seufzte. »Ehrlich gesagt bin ich der gleichen Meinung. Ich wäre am liebsten gleich zu Gloria gegangen uns hätte ihr erzählt, was ich gehört habe. Aber dann war ich doch unsicher, hatte Angst, sie zu verletzen. Das wollte ich einfach nicht.«

»Du wirst es ihr also sagen?«, fragte Fee.

»Ja, ich denke, das sollte ich tun. Alles andere hat doch keinen Sinn. Ich könnte Bernd und Annika nicht mehr ansehen. Und ich würde mir ewig Vorwürfe machen, wenn ihre Ehe scheitert, weil Gloria ahnungslos gewesen ist und Annika oder Bernd sie vor vollendete Tatsachen stellen. Sie muss Bescheid wissen. Dann kann sie selbst entscheiden, was werden soll. Ich finde, sie hat diese Chance, ihre Ehe zu retten, einfach verdient.«

*

Am nächsten Morgen fuhr Dési noch vor der Uni zur Kanzlei Sundermann, um gleich mit Gloria zu reden. Das Büro war bereits geöffnet, aber der Warteraum für die Mandanten noch leer.

»Tut mir leid, die Sundermanns sind noch nicht da«, ließ die Sekretärin Dési wissen. »Sie haben gestern Glorias Wahlsieg gefeiert. Da wird es heute wohl etwas später werden …«

»Okay, dann warte ich«, beschloss Dési.

»Möchten Sie vielleicht einen Kaffee?«

»Nein, danke. Ich habe gerade gefrühstückt.« Dési schnappte sich eine Illustrierte und blätterte lustlos darin herum. Die Zeit verging. Erst eine, dann waren es schließlich zwei Stunden. Endlich tauchte Bernd Sundermann auf. Er war erstaunt, Dési zu sehen.

»Kann ich was für dich tun?«, fragte er freundlich.

Dési musste sich beherrschen, um ihm leidlich freundlich zu antworten: »Ich wollte zu Gloria.«

»Sie kommt bestimmt bald«, meinte er, lächelte schmal und verschwand in seinem Büro.

Bald erschienen die ersten Mandanten. Wer zu Gloria wollte, wurde vertröstet. Als es bereits auf Mittag zuging, beschloss Dési, zu gehen. Es hatte wohl keinen Sinn, noch länger zu warten. Gloria würde an diesem Vormittag anscheinend nicht mehr in der Kanzlei auftauchen. Sie schien tatsächlich am Vorabend zu viel und zu lange gefeiert zu haben.

Die Studentin wollte gerade die Kanzlei verlassen, als unvermittelt Gloria vor ihr stand. Dési erschrak sehr bei ihrem Anblick. Die junge Anwältin sah aus, als habe sie in ihren Kleidern geschlafen. Ihre Haare waren verwühlt, sie hatte dunkle Schatten unter den Augen und wirkte orientierungslos.

»Gloria, alles in Ordnung?«, fragte Dési besorgt.

»Ich weiß nicht, ich … weiß gar nichts …«

»Komm mal mit.« Dési führte sie in ihr Büro, bat die Sekretärin um schwarzen Kaffee und half Gloria, die nicht sicher auf den Beinen war, sich in ihren Schreibtischsessel zu setzen.

Nach ein paar Schlucken Kaffee klärte sich deren Blick langsam.

»Was machst du eigentlich hier, Dési?«, fragte sie.

»Ich wollte mit dir reden. Ist alles in Ordnung mit dir?«

»Keine Ahnung. Das ist alles wie hinter Nebel. Ich kann mich an nichts mehr erinnern …« Sie starrte wie geistesabwesend in ihre Kaffeetasse und schwieg.

»Was ist denn das Letzte, woran du dich erinnern kannst?«, forschte Dési nach.

Die junge Anwältin dachte eine Weile nach, dann meinte sie: »Die Siegesfeier. Die Party. Wir haben uns doch unterhalten.«

»Und danach?«

»Ich weiß nicht recht …« Sie rieb sich die Stirn. »Ich war noch eine Weile dort. Bernd ist aufgetaucht, wir haben uns gezankt.«

»Worum ging es denn?«

»Nichts Wichtiges. Er meinte, ich solle nicht mehr Auto fahren, weil ich einen Schwips hatte. Er wollte, dass wir zusammen heimfahren. Aber ich wollte lieber noch bleiben. Ich glaube, er ist dann allein gefahren.«

»Und du bist noch geblieben?«