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»Willkommen im Zirkus von Chen Wei! Ein Spektakel voller Wunder aus tausend Welten und Dingen, die Sie mit Entzücken erfüllen werden!« Es gibt wenig, das Earl Dumarest überraschen kann. Aber der Zirkus von Chen Wei ist etwas Besonderes. In ihm tritt Melome auf, ein Mädchen, dessen Lied von vergessenen Daten aus den Logbüchern verlorener Raumschiffe und wahren Visionen des mythischen Terra erzählt. Kann es sein, dass sie der Schlüssel ist zu Dumarests nächsten Schritt? Aber dieser Zirkus ist mehr als eine Unterhaltungsshow. Er ist eine tödliche Falle.
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Seitenzahl: 277
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Weitere Atlantis-Titel
Aus dem Englischen von Dirk van den Boom
Dumarest hörte das Schreien eines gequälten Kindes und drehte sich mit suchenden Augen um, entspannte sich dann, als der Schrei erneut ertönte und er die Quelle ausmachte. Hundert Meter zu seiner Rechten saß auf einer erhöhten Plattform aus massivem Eichenholz, getragen von einem Dutzend Männern, eine dick geschminkte Frau auf einem goldbeschlagenen Thron. Die Träger wiederum standen auf einer weiteren Plattform, größer, getragen von der doppelten Anzahl an Männern. Aufseher schlugen mit Peitschen nach ihnen, die rote Streifen auf ihrem nackten, schwitzenden Fleisch hinterließen.
Eine Show so falsch wie die Schreie, unter dem dicken Make-up war eine reife Schönheit und die massiv aussehenden Eichenbretter lagen dünn auf einem Rahmen. Kulissen für die Schauspieler, die ihre Fähigkeiten demonstrierten, die Grimassen, die Erschöpfung, die Schmerzensschreie. Die Peitschen waren dünne Röhren, die Farben enthielten, aber die Männer, die sie führten, waren ebenso geschickt darin wie die Frau mit ihren Schreien.
Sie schrie erneut, als Dumarest sie beobachtete, der Klagelaut war nun begleitet durch das Krachen aufeinanderschlagenden Metalls und den Nachklang kleiner Glockenschläge. Eine Gruppe von Mädchen rannte aus dem Unterschlupf der unteren Plattform. Sie sprangen durch die Zuschauer und eines kam direkt vor Dumarest zum Stillstand.
»Mein Lord, gefalle ich Euch?« Sie war jung, schlank, strahlte schamlose Weiblichkeit aus. Glöckchen zierten ihre Knöchel und Handgelenke, weitere ihren Hals und die schlanke Taille. Der lange Rock, bis zur Hüfte geschlitzt, ließ nackte, schlanke Beine erkennen, die Andeutung unbedeckter Lenden. Schminke akzentuierte ihre Augen, die sanfte Fülle ihrer Lippen. Gewelltes, goldenes Haar zeigte den Schimmer von Metall und Edelsteinen. »Mein Lord?«
Ein Mädchen, das nach Aufmerksamkeit verlangte, als die Schreie der älteren Frau sie antrieben. Er lächelte, als sie ihm zunickte, die Glocken klingelten, als sie sich bewegte, der Schwung ungebundener Brüste voller erregender Einladung.
»Ihr seid gnädig, mein Lord.« Ihre Augen waren offen, als sie ihn einschätzten. »Es wäre mir eine Freude, Euch zu dienen. Beim Zirkus von Chen Wei, einem Spektakel mit den Wundern von tausend Welten. Dinge, die jeden erstaunen, amüsieren, verwirren und mit Verlangen erfüllen. Ein Fest für die Augen und die Ohren und den Verstand, das man nicht verpassen sollte. Der Zirkus von Chen Wei. Und wenn Ihr an einer kleinen Affäre interessiert seid …« Ihr Gesicht wurde zum Abbild eines unausgesprochenen Versprechens. »Mein Name ist Helga. Fragt nach Helga.«
Ein Lächeln noch, und sie war fort, hinterließ nichts anderes als den Geruch ihres Parfums und den nachlassenden Klang ihrer Glöckchen. Diese Dinge gehörten zu Baatz und Dumarest holte tief Luft, als er den Himmel, die Hügel und den Boulevard betrachtete, auf dem er stand. Er verlief schnurgerade vom Raumhafen zum Marktplatz, die Oberfläche verziert mit abstrakten Mustern, Schnörkeln und gebrochenen Regenbögen. Dreistufige Gebäude standen nahe der breiten Straße, Wohnhäuser, Geschäfte, Betriebe, die Veranden voller fröhlicher Girlanden, die Dächer behängt mit großen Laternen. An den Hügeln standen die großen Wohnhäuser der Reichen, verteilt wie hingeworfene Edelsteine.
Eine gute Welt, eine Welt aus Balsam, Wärme und sanften Brisen, goldenem Sonnenlicht und abgerundeten Hügeln. Ein Ort der Ruhe, die Gerüche der massiven Vegetation füllten die Luft mit subtilen Dämpfen, die Gewalt und Aggression abschwächten und eine tolerante Lethargie auslösten.
Eine Gefahr, die er erkannte, aber gegen die er nichts tun konnte, und es war gut, sich zu entspannen, die Sonne zu genießen und eins mit der Menge zu werden, um sich herum weite Ebenen zu spüren anstatt die engen Grenzen eines Schiffsrumpfes. Und Baatz mit seiner umherwandernden Bevölkerung war für ihn ein ebenso guter Ort wie jeder andere.
Aber Vorsicht blieb geboten, und bevor er weiterging, stellte Dumarest sicher, dass keiner ohne ersichtlichen Grund verweilte, dass er nicht Gegenstand verdeckten Interesses war. Alle schienen harmlos zu sein, die meisten waren dem Spektakel gefolgt, das den Zirkus bewarb, andere waren auf ihre eigenen Angelegenheiten bedacht, der Rest ging auf den Markt zu, die Sehenswürdigkeiten, Geräusche und Gerüche, die er enthielt.
»Mein Herr!« Eine Frau in der barbarischen Kleidung einer Krieger-Amazone gestikulierte mit einem gebieterischen Arm. »Feine Gewebe von Kirek, Fäden so zäh wie Stahl und so weich wie Seide – nichts ist nützlicher als diese Stoffe. Ich habe fünfzehn Ballen davon – haben Sie Interesse?«
Ein finsterer Blick trübte das männlich geschnittene Gesicht, als Dumarest weiterging und die Stimme einer anderen Platz machte.
»Hochwertiger Getreideschutz gegen Bakterienschimmel und Virenbefall. Stämme aus den Biolabs von Lengue und Femarre. Fünfzehn Kobold pro Maß. Kaufen! Kaufen! Kaufen!«
Ein Mann trat vor, ein anderer packte ihn am Arm.
»Warte, Krasse. Es könnte weiter drüben im Markt billiger sein.«
»Und weniger vertrauenswürdig. Ich habe mich schon früher mit Chamile befasst und ich kenne dich gut genug, um dich nicht allein durch die Stände laufen zu lassen. Am besten hier und jetzt kaufen und zurück zur Farm gehen, bevor du alles ausgegeben hast, was wir haben.«
Brüder oder Partner – sie fielen zurück, als Dumarest weiterzog. Stände und Verkaufstische waren nach allen Seiten ausgedehnt, einige präsentierten eine Fülle von Gegenständen, andere nur wenige. Viele zeigten Beispiele von Waren aus den Laderäumen der Schiffe, die sie befördert hatten. Andere zeigten Waren, die noch nicht eingetroffen waren oder in zukünftigen Ernten gehandelt wurden. Solche Proben präsentierten Beispiele früherer Erträge. Stände mit echten Edelsteinen standen neben denen, die mit billigem Müllglitzer bedeckt waren.
Geschäftsleute, Händler, Diebe, Unternehmer – der Markt von Baatz war für alle da.
Das Klingeln einer Glocke und das Echo eines Gongs kündigten eine laufende Operation an und Dumarest blieb an der Kabine eines vorübergehenden Heilers stehen. Der Mann war alt, sein Gewand nicht so makellos, wie es hätte sein können, aber er war geschickt und Übung hatte seine Fähigkeiten erweitert. Die Patientin saß mit großen Augen da, die milchigen Pupillen waren bereits betäubt. Eine Frau im mittleren Alter, die von einem jungen Mädchen begleitet wurde, das entsetzt zusah, wie die Nadel angewendet wurde. Innerhalb von Sekunden waren die Katarakte beseitigt und die Augen verbunden. Der Assistent war großzügig mit dem prophylaktischen Spray umgegangen.
»Hier, meine Liebe.« Der Heiler gab dem Mädchen eine Phiole. »Alles erledigt und kein Grund zur Sorge. Geben Sie Ihrer Mutter dieses Mittel, sobald Sie sie nach Hause gebracht haben.«
Ein starkes Beruhigungsmittel mit einem Hauch von Slowtime; die Frau würde schlafen, während ihr beschleunigter Stoffwechsel den Heilungsprozess absolvierte. Sie würde ausgeruht, hungrig und geheilt aufwachen.
In einem anderen Stand befand sich ein Zahnarzt, in einem dritten ein Händler für Schmuck und in einem anderen ein Mann, der eine Heilung für alle Leiden des Herzens versprach.
Eine Wahrsagerin starrte in eine Sandschale und die feinen Körner spritzten in einem zufälligen Muster, das aussah wie Federn.
Ein Mann schluckte Flammen.
Ein Junge lag schreiend auf dem Boden, gehalten von vier Männern, während über seine nackte Brust das Insekt krabbelte, dessen Biss ihn von der Epilepsie heilen würde, die ihn kontrollierte.
»Earl!« Evan Luftman kaute an einem Schluck Fleisch und winkte ihm zu. »Die Sehenswürdigkeiten genießen?«
»Ich schau mich nur um.«
»Baatz hält alles bereit, was ein Mann brauchen könnte.« Luftman wischte sich den Mund und sah auf den Spieß, den er hielt. Daran hingen Fleischfragmente neben saftigem Gemüse, das Ganze gut gewürzt. »Gutes Essen, liebenswürdige Frauen, Ablenkungen aller Art. Wollen wir in den Zirkus gehen?«
»Vielleicht.«
»Man sagt, er sei gut. Etwas Besonderes.« Luftman leckte an seinem Spieß. »Wenn diese Mädchen den Standard ausmachen, haben sie nicht gelogen.«
Dumarest machte keinen Kommentar. Luftman war ein Mitreisender auf der Reise nach Baatz gewesen. Sie hatten die Zeit am Kartentisch totgeschlagen und der Mann hatte mehr geredet, als er zuhören wollte. Ein umherziehender Unternehmer, der sich mit dem befasste, was zur Hand war. Ein Mann jenseits des mittleren Alters mit einem Gesicht, das im Laufe der Zeit und all der Zerstreuung faltig und fleckig geworden war. Auf das erneute Treffen hätte Earl verzichten können.
»Ich habe meine Geschäfte beendet«, sagte Luftman. »Ein schneller Gewinn, klein, aber ein Mann sollte nicht zu gierig sein. Jetzt suche ich ein paar Heiler, die bereit sind, nach Jardis zu reisen. Sie haben große Augenprobleme in den Minen und es kostet Geld, regelmäßig Ärzte zu schicken. Ich denke, drei Monate sollten uns alle einen guten Profit bringen.«
»Vielleicht.«
»Es wird so sein, wenn …« Luftman schaute auf seinen Spieß und warf ihn beiseite. »Ich könnte jemanden gebrauchen, der sich um die Dinge kümmert, Earl. Muskeln, falls es nötig ist. Diese Bergleute können manchmal unangenehm werden. Weigern sich, nach der Behandlung zu zahlen, oder schließen sich zusammen und fordern eine Rückerstattung. Sie wissen, wie es sein kann.«
»Sie können sicher damit umgehen.«
»Früher mal, ja, jetzt nicht mehr. Ich kann sie nicht einschüchtern, nicht wie Sie. Ein Fünftel des Gewinns, Earl. Vielleicht drei Monate Arbeit. Haben wir einen Deal?«
»Für ein Fünftel?«
»Sagen wir ein Viertel. Ein gleichmäßiger Anteil, Earl, Sie, ich, die beiden Heiler – natürlich nach den Kosten.«
Welche hoch wären. Dumarest sagte: »Wann reisen Sie?«
»Auf der Yegor. Es geht um Mitternacht los. Seien Sie eine Stunde vorher auf dem Feld.«
Ein Rendezvous, das Dumarest nicht vereinbarte und nicht einhalten würde. Luftmans Plan hatte wenig Reiz und der Einzige, der davon profitieren würde, wäre der Unternehmer selbst. Wenn er willige Heiler finden konnte – selbst auf Baatz waren vertrauensvolle Narren selten.
Auf dem Boden kreischte der sich windende Junge, drehte sich und kreischte erneut, als die Mandibeln des Insekts Heilgift in sein Blut fütterten. Eine krampfhafte Bewegung, und er sackte zusammen. Kopf zur Seite geneigt, Lippen geöffnet, um die Zähne freizulegen, die Stange zwischen ihnen eingeklemmt.
In der eintretenden Stille hörte Dumarest das Rasseln von zusammenstoßender Keramik, das Jammern einer weiblichen Stimme, die durch das brüchige Geräusch unterbrochen wurde.
»… versammelt euch, um zu hören … Scheppern … die alten … Scheppern … Lieder von … Scheppern … Scheppern … Terra.«
Terra?
Die Erde!
Sie stand in einem zerlumpten Kreis halb neugieriger Zuschauer, ein Mädchen, kaum mehr als ein Kind, mit langen, strähnigen Haaren von der Farbe sonnengebleichter Knochen, Augen wie Blutergüsse, einem Mund aus blutleeren Lippen und nach unten gebogenen Winkeln. Ihre Haut passte zur Farbe ihres Haares, blass, wachsartig. Die Glieder waren spröde, Nägel an Händen und nackten Füße von Schmutz umrandet. Ein ausgefranster Rock umarmte knabenhafte Lenden und ein Band schützte die entstehenden Brüste. Ihre nackte Taille war von einem Metallgürtel umgeben, an dem aufgerollte, dünne Metallseile hingen, die in Griffen endeten.
»Melome!« Die Frau, die neben ihr stand, rasselte an ihren Keramikscherben. »Wer wagt es, ihre Kräfte zu testen? Welcher Mann ist mutig genug, sich ihrer Fähigkeit hinzugeben und den sauren Brand von erinnerten Ängsten zu schmecken? Welche Frau hat die Kraft, den Schleier zu zerreißen, der ihre geheimen Ängste verbirgt?« Wieder das Scheppern. »Sie, Herr? Sie? Sie, meine Dame?«
Eine Marktschreierin und eine gute; Aufmerksamkeit erregen, eine Tonhöhe aufbauen, die Noten auswählen, während sie sprach. Ein errötender Junge schaute auf den Griff, den sie in seine Hand drückte. Eine Frau runzelte die Stirn, als ihr ein anderer gegeben wurde. Zwei grinsende Männer nahmen ihre Plätze ein.
»Garantierte Unterhaltung für nur fünf Kobold und Ihr Geld zurück, wenn Sie unzufrieden sind. Sie, Sir? Hier, mein Herr!«
Dumarest spürte, wie der Griff in seine Hand drückte, und er hielt ihn fest, als er die Frau anstarrte. Sie war nicht mehr jung, erschöpft unter ihrem Make-up, der Körper formlos, die Augen hart.
Er sagte: »Sie haben von Terra gesprochen.«
»Terror, mein Herr? Ja, das und mehr für diejenigen, die den Mut haben, sich ihm zu stellen. Hier finden Sie die alten und schrecklichen Lieder der Angst und des Hasses und des bösen Terrors. Klagelieder, um das Blut zu kühlen und den Geist zu betäuben. Eine einzigartige Erfahrung und eine, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Sie dort, Sir! Und Sie!«
Ein Fehler, der aus Lärm und Verwirrung entstanden war und natürlich naheliegend genug, um ihn zu begehen. Die Drehung eines Vokals – doch für einen Moment hatte es Hoffnung gegeben. Die Hoffnung starb, als Dumarest das Mädchen, die ältere Frau und die beiden Männer, die an der Seite hockten, erneut ansah. Zerlumpt, beide alt, einer mit einer Trommel, der andere mit einer Flöte. Ihr Jammern stieg an, als die Frau zurückkehrte, um vor ihm anzuhalten.
»Der letzte freie Platz, mein Herr. Nehmen Sie ihn und wir können beginnen.«
Ein Marktspektakel, geboren aus Illusion und den Umständen des Augenblicks; es könnte kaum mehr sein. Aber die Neugier blieb, warum der Gürtel, die Verbindungsstränge? Wie hoffte die Frau, diejenigen, die nicht bezahlt hatten, daran zu hindern, das zu genießen, was sie zu bieten hatte?
»Mein Herr!« Die Frau lächelte, als sie sein Geld nahm und ihm das Ende des Seils mit dem Griff reichte. »Setzen Sie sich. Nehmen Sie bitte alle Platz und lassen Sie uns beginnen!«
Das dünne Seil blieb gespannt, als Dumarest auf dem Boden saß und eine Verbindung zwischen seiner Hand und dem Gürtel herstellte, den das Mädchen an seinem nackten Fleisch trug. Verbindungen, die alle hatten, die bezahlten, um dem Kreis beizutreten. Wie eine Spinne in der Mitte eines schimmernden Netzes stand das Mädchen regungslos da.
Das Klopfen der Trommel verband sich mit dem Heulen der Pfeife, ein pochender, eintöniger Schlag, der für das Instrument zu laut schien, da wiederum auch das Heulen der Pfeife zu laut erklang, und beides ließ normale Geräusche ertrinken. Ein Moment, in dem seine Augen dem glitzernden Seil folgten, sich zu anderen bewegten, zu seinem eigenen zurückkehrten und dann, ohne Vorwarnung, fing das Mädchen an zu singen.
Ein Lied ohne Worte.
Eines, das das Universum füllte.
Dumarest war die Ghenka-Kunst bekannt, die Vokalklänge aufnahm und sie benutzte, um einen hypnotischen Zwang zu erlangen, bei dem der Geist geöffnet wurde, um in einer Fülle von mentalen Bildern zu erblühen. Er hatte das Lied eines lebenden Juwels gehört und würde niemals die großartigen Toneffekte von Gath vergessen. Aber das hier ließ alles verblassen. Ein Lied … nein, ein Klagelied … nein, ein feierlicher Gesang, eine leise Trittfrequenz, ein schluchzendes, seufzendes, herzzerreißendes Murmeln, das aus den dünnen Strängen passende Schwingungen erzeugte, sodass auch sie in metallischer Harmonie sangen. Ein Zittern, das die Luft zu trüben schien und die schlanke Gestalt in sich windenden Strängen aus Licht und Dunkelheit verdeckte. Ein Helldunkel, das verschwamm und sich in ein vor Wut verzogenes Gesicht verwandelte.
Eines, das Dumarest schon einmal gesehen hatte.
Es schwoll an, füllte sein Gesichtsfeld aus und kleine Details wurden deutlich: die Augen mit ihrem Gelbstich, die ausgedünnten, rissigen Lippen, die mit Schleim umrandeten Nasenlöcher, die mit Haaren gefüllten Ohren. Das Gesicht eines Mannes, der töten wollte.
Einer ohne Namen von einer Welt, die in einer längst vergessenen Zeit weit entfernt war, aber Dumarest spürte wieder den Schock, den er damals erlebt hatte. Die plötzliche Erkenntnis, dass er betrogen worden war und das, was er für einen Übungskampf gehalten hatte, tatsächlich die Bühne für seine öffentliche Hinrichtung gewesen war.
Der Schock und der Terror. Die Angst und der Schmerz, wie kantiger Stahl, schnitten einen Kanal durch seinen Oberkörper und ließen Blut den Boden des Rings beflecken. Die Lichter, das Gewicht seiner eigenen Klinge, der Ring eifriger Gesichter, aber vor allem der Schrecken, verstümmelt, verkrüppelt, geblendet zu werden, er verwandelt in ein wimmerndes, hilfloses Ding.
Aus dem Gesicht war all das abzulesen: der Mann, das Messer, das er trug, der Beruf, den er hatte. Ein ausgebildeter und wilder Mörder, der sich mit einem unerfahrenen Jungen amüsierte. Einer, der keine andere Wahl hatte, als schnell zu lernen.
Sich bewegen, ausweichen und beugen, schneiden und zerstückeln und zerreißen und stechen und Geschwindigkeit aufbauen und benutzen. Schnell sein … schnell … schnell …
Aber die Angst blieb und würde immer bleiben, wenn auch nur als flüsterndes Echo in den dunklen Regionen seiner Psyche. Eine Schwäche, die seine eiserne Entschlossenheit zum Überleben stärkte.
Er blinzelte und bemerkte das Seil in seiner Hand. Der Schweiß tränkte sein Gesicht. Zu einer Seite schaukelte ein Mann und jammerte, Tränen liefen ihm über die Wangen. Ein anderer schauderte und zitterte. Eine Frau appellierte an unsichtbare Geister.
»Nein! Lieber Gott, bitte! Bitte!«
Direkt vor Dumarest sah ein junger Mann krank aus, einer der beiden lachenden Männer starrte verständnislos auf seine geballte Hand, sein Begleiter hatte ein blutverschmiertes Kinn von einer aufgebissenen Lippe.
Nur das Mädchen schien unverändert. Sie stand auf, als Dumarest sich erinnerte, den Kopf ein wenig gesenkt, die Augen leer, die Hände schlaff an ihren Seiten. Eine Sensible, vermutete er. Jemand mit einem ungewöhnlichen Attribut, das sie kaum kannte und mit körperlichen Strafen bezahlt hatte: Schwäche, schlechter körperlicher Entwicklung, Lethargie, Wachstumsstörungen.
»Wein, mein Herr?« Die Frau war neben ihm, ein Tablett mit randvollen Bechern in der Hand. »Nur ein Kobold.«
Ein hoher Preis für schwachen Alkohol, aber von allen war er der Einzige, der sich weigerte. Und keiner hatte um eine Rückgabe seines Geldes gebeten.
Dumarest hörte wieder das Aufeinandertreffen der keramischen Glocken, als er sich entfernte. Unnötige Werbung; das Schauspiel, wie sich das Lied auf die ursprüngliche Gruppe ausgewirkt hatte, würde Anziehungskraft genug sein, aber er vermutete, dass das Mädchen zwischen den Auftritten etwas Zeit brauchen würde, um an Stärke zu gewinnen. Sogar ein normaler Sänger würde dies nötig haben.
Er hörte das Heulen der Flöte, als er Wein an einem Ausschank kaufte, langsam daran nippte und hörte, wie der Puls der Trommel mit dem Heulen verschmolz, die eigentümliche Verzerrung, die das Geräusch zu dämpfen schien. Von dem Lied hörte er nichts.
»Schlau.« Der Verkäufer wischte sich die Hände an seiner Schürze ab, als er in Richtung der Stelle nickte, an der das Mädchen operierte. »Sie singt, aber wenn Sie nicht in Kontakt sind, hören Sie nichts. Eine elektronische Barriere, denke ich.«
»Haben Sie es versucht?«
»Nein. Ich mag Angst nicht und der Anblick derer, die es probiert haben, reicht aus, um mir zu sagen, dass ich recht habe. Trotzdem kann ich mich nicht beschweren, es ist gut fürs Geschäft, wenn nichts anderes.«
Dumarest sah auf sein Glas. »Ich denke, so ist es. Ist sie schon lange hier?«
»Ich würde es nicht wissen. Ich habe meine Partnerin erst vor einer Woche abgelöst. Sie war damals hier.«
»Allein oder …«
»Mit der Frau. Kalama ist hart, aber ich denke, sie ist fair genug. Jemand muss sich um das Mädchen kümmern und Kalama weiß, wie man sich um ein wertvolles Eigentum sorgt. Sie könnte es schlimmer haben.« Der Verkäufer wischte sich erneut die Hände. »Mehr Wein?«
Ein Hinweis, denn auch auf Baatz mussten Informationen bezahlt werden, aber der Wein war gut und half, die Kälte zu zerstreuen, die durch die Erinnerung an die Angst verursacht wurde. Oder war sie durch das Mädchen hervorgerufen worden?
Dumarest erinnerte sich an das Gesicht, die Details, die er erkannt, den Schmerz, den er erfahren hatte. Echter Schmerz, wie die Lichter echt gewesen waren, das Messer in seiner Hand, die begeisterten Gesichter. Eine Montage von Einzelbildern? Eine Möglichkeit, aber er bezweifelte es; irgendwie hatte das Lied eine Tür in seinem Kopf geöffnet, durch das Berühren eines Knotens und Auslösen des vollständigen Rückrufs eines emotionalen Vorfalls. Einer, der einzigartig war.
An einer Seite warf ein Jongleur ein Dutzend glitzernder Bälle in die Luft und ließ sie sich drehen, während er auf einem mit Punkten gespickten Boden tanzte. Neben ihm schwankte ein Mädchen in einem erotischen Rhythmus, während dahinter ein Mann mit einem mit Hacken beladenen Stand missfällig die Stirn runzelte. Dumarest ignorierte sie alle, sah nichts als das Zittern seiner eigenen Hand und fühlte nichts als die Anspannung, die sein Blut erwärmte. Glück – es war immer bei ihm gewesen, aber jetzt fühlte er sich überwältigt.
Das Mädchen Melome konnte ihm weit mehr als ein Lied geben.
Kalama sagte: »Mein Herr, es ist nicht weise. Sie sollten nicht …«
»Hier!« Dumarest schnitt ihr das Wort ab, steckte ihr Geld in eine Hand und riss ein Seil von den Fingern der anderen. »Lassen Sie uns beginnen.«
Ungeduld ritt ihn, angezeigt in dem kleinen Akt der Gewalt, der ihn zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit machte, eine Sache, die er ignorierte, als er saß und den Metallstrang betrachtete, das Mädchen, das in ihrem Netz stand. Eine, die zu verschwimmen schien, als das Pochen der Trommel mit dem Heulen der Flöte verschmolz, um ein Fokus zu werden, ein Instrument, das er benutzen wollte.
Ein Schlüssel, um die Vergangenheit zu erkunden.
Er konzentrierte sich, verengte die Möglichkeiten, fokussierte auf einen einzigen Gedanken und dann kam der Schrecken, die Angst, das kranke und hohle Gefühl in seinen Eingeweiden.
Der Wind wie ein Rasiermesser auf seinen Wangen.
Die Kälte, der Hunger, das Gefühl des kiesigen Bodens, die Verzweiflung.
Die Überzeugung, dass er sterben würde.
Vor ihm ruhte der Großteil eines Schiffes in einer seltsamen und rätselhaften Schönheit. Das erste, das er gesehen hatte, aber obwohl er jung war, wusste er, dass es die Wärme und das Essen enthielt, die er brauchte, um zu überleben. Er ging darauf zu, ein Kind, das älter als seine Jahre war, eines, das getötet hatte und bereit war, erneut zu töten. Die Besatzung war nachlässig und sah nicht die kleine Gestalt, die von Punkt zu Punkt schoss, gefror und sich mit rasender Dringlichkeit wieder bewegte.
Um den Hafen zu erreichen, hineinzutauchen, eine Ecke zu finden, in der man sich ducken konnte. Warten, dösen, wie die ungewohnte Wärme eine falsche Sicherheit gab, ins Bewusstsein zucken, wieder dösen.
Um das Herz zu wecken, das bei Berührung mit einer Hand vor Schrecken pochte, der Anblick eines erschrockenen Gesichts, eines anderen, das finster blickte.
»Bei Gott, schau was wir hier haben! Ein verdammter blinder Passagier.«
»Ein Kind.«
»Immer noch ein blinder Passagier. Das bist du, Junge. Weißt du, wie wir Abschaum wie dich behandeln? In die Schleuse und raus, so. In die Leere geworfen. Deine Augen werden herausspringen und deine Lungen werden zu Luftballons, die aus deinem Mund schäumen. Du wirst aussehen wie rohes Fleisch, ruiniert, aber noch am Leben. Ein verdammt langer Weg in den Tod.«
»Mach keine Mahlzeit daraus.« Der andere Mann war unruhig. »Du musst es nicht ausmalen. Wie auch immer, es liegt am Skipper, sich zu entscheiden.«
Der Kapitän war alt, sein Gesicht faltig, mit buschigen Augenbrauen geschmückt, seine Nase verkniffen über einem festen Mund.
»Wie alt bist du, Junge? Zehn? Elf?«
»Jawohl.«
»Ja, was? Elf?«
»Zwölf, denke ich, Sir. Ich bin nicht sicher.« Das Gesicht vor ihm verschwamm, wurde dann deutlich klarer. »Herr?«
»Ich könnte dich rauswerfen, aber ich werde nicht. Du kannst mit uns fliegen und dir deine Reise verdienen. Ein hartes Leben, aber besser als jenes, das du gekannt hast.« Wieder die Unschärfe. »Essen, Wärme, Sicherheit – aber du wirst alles verdienen müssen.«
»Sir? Ich – Sir?«
Aber das Gesicht war verschwunden und er schaute auf die glitzernde Verbindung und das Mädchen, zu dem sie führte, während aus dem Kreis, zu dem er gehörte, das Stöhnen und Heulen derer kam, die eine böse Frucht gekostet hatten.
»Wein?«
Kalama war mit ihrem Tablett mit Bechern neben ihm und Dumarest kaufte und nippte, während er seinen Platz behielt. Der Moment war zu kurz gewesen; Erinnerungen wurden durch die subjektive Zeit wiederbelebt und beschleunigt, sodass er in wenigen Minuten eine Stunde oder mehr gelebt hatte. Oder war es einfach so? Hat der einmal erlebte Moment des Terrors den gesamten Vorfall geprägt?
Er war wieder ein Junge gewesen, zu Hause auf der Erde, und nur das Schiff und die Freundlichkeit des Kapitäns hatten ihn vor dem Tod gerettet. Aber es hatte andere Momente der Angst gegeben, Zeiten, in denen er aus Unwissenheit die Angst eines gefangenen Tiers gekannt hatte. Eine, die durch die Drohungen sadistischer Besatzungsmitglieder verstärkt wurde, die eine perverse Freude daran hatten, Geschichten über schreckliche Strafen für kleine Fehler zu erzählen.
Von Verbrennungen, Schlägen, Verstümmelungen und Blendungen, Folter, über die ihm seine Erfahrung erzählt hatte, dass sie nur allzu möglich war.
Die Zeit hatte das gerichtet; die Wildheit, die er gekannt hatte, hatte keinen Platz in einer zivilisierten Gemeinschaft, aber bis er das erfahren hatte, war die Angst ein enger Begleiter gewesen.
»Mein Herr?« Wieder Kalama, die seinen kaum berührten Wein betrachtete und die Spule, die er immer noch in seiner freien Hand hielt. »Ist etwas nicht in Ordnung?«
Dumarest erkannte, dass er als Einziger vom Kreis übrig war. Er trank den Wein aus und reichte der Frau den leeren Becher und ließ diesem Münzen folgen.
Kalama lehnte sie mit einem Kopfschütteln ab.
»Nein, mein Herr, es wäre nicht weise. Ich habe Sie davor gewarnt, das Lied so bald wieder zu hören. Geben Sie sich erneut dem Terror hin, dann …«
»Ich werde nicht verrückt werden.«
»So sagen Sie und es könnte durchaus wahr sein, aber andere haben die gleiche Prahlerei geäußert und es nicht geschafft. Ich will keinen Ärger.«
Dumarest sagte rundheraus: »Ich habe das Geld und bin in der Position. Rasseln Sie Ihr Glockenspiel, Frau, und verschwenden Sie keine Zeit mehr.«
»Nein.«
»Sie wollen eine höhere Gebühr? Dann doppelt. Dreifach. Verdammt, nennen Sie Ihren Preis!«
»Nein!« Sie wich von dem Zorn zurück, der in seinen Augen loderte. Eine Hand hob und stabilisierte sich. Der massive Ring, den sie am Zeigefinger trug, leuchtete metallisch. Eine Waffe, die er erkannte. »Baatz ist eine friedliche Welt«, sagte sie. »Aber eine Frau wäre ein Dummkopf, ohne Schutz zu sein, und, mein Herr, ich bin kein Dummkopf. Es wäre am besten, wenn Sie jetzt gehen.«
Ratschläge, die er nur ungern entgegennahm. Dazu gezwungen, konnte er die Bedrohung durch die Waffe ausschalten, sich bewegen, bevor sie ihre Pfeile entladen konnte, sie erreichen, Hand und Handgelenk drehen, um den Ring abzuziehen. Aber wenn er seine überlegene Geschwindigkeit und Stärke einsetzte, würde er ihre Feindschaft erwecken. Es war besser, seine Ungeduld zu meistern.
»Meine Dame, ich muss mich entschuldigen.« Ein Lächeln ersetzte die Wut, die sie erschreckt hatte. »Ich will nichts Böses und keinen Ärger. Es war nur so – nun, ich bin sicher, Sie verstehen.«
»Sie halten die Verbindung fest.«
»Ist das schlecht?«
»Lassen Sie sie los.«
»Na sicher.« Er ließ sie fallen und sah zu, wie das Kabel sich auf das Mädchen zubewegte, zum Gürtel, wo die Rolle befestigt war. »Ich würde gerne über Geschäfte reden.« Er fügte hinzu, als sie die Stirn runzelte: »Lassen Sie mich wenigstens das Angebot machen.«
»Melome singt heute nicht mehr.« Kalama war unerbittlich. »Sie ist müde und bald wird es dunkel. Nicht einmal für zweihundert Kobold wird sie singen.«
Zweimal, was sie in einer Sitzung verdienen würde; eine entsprechende Anzahl von Leitungen hing an ihrer Taille. Aber sollte er mehr bieten? Dumarest entschied sich dagegen; wie Kalama gesagt hatte, war das Mädchen müde und der Himmel zeigte den Anflug von Dunkelheit. Im mildernden Licht stand Melome wie ein zerbrochenes Tier, das zu hart und zu weit geritten worden war. Das gesenkte Gesicht war grässlich blass, die verletzten Augen hässlich verschmiert.
Er sagte: »Ich verstehe, aber ich möchte, dass sie wieder für mich singt. Eine private Aufführung – kann das arrangiert werden?«
»Vielleicht.« Die angehobene Hand schwankte ein wenig und fiel, als er wieder lächelte. »Sie wollen sie kaufen?«
»Sie engagieren.«
»Für eine Stunde, einen Tag, eine Woche?« Ihre Lippen verzogen sich zu einer zynischen Unanständigkeit. »Es wird nicht so sein, wie Sie es sich erhoffen. Diejenigen, die im Griff der Furcht sind, bleiben schlechte Liebhaber.«
Dumarest sagte geduldig: »Ich möchte, dass sie singt, und das ist alles. Mir allein zu singen und weiter zu singen, wenn ich frage. Einmal kann genug sein. Ein Lied – zweihundertfünfzig?«
»Nicht heute Nacht«, sagte sie schnell. »Ein Lied, haben Sie gesagt. Und wenn Sie mehr wollen?«
»Fünfhundert für so viele, wie ich will. Damit eine Sitzung erst endet, wenn ich es sage.«
»Nur fünf Lieder – und sie hört auf, wenn die Belastung zu groß ist.« Wieder zeigte ihr Mund zynisches Misstrauen. »Sie haben nichts dagegen, dass ich anwesend bin?«
»Keinesfalls.«
»Und meine Musiker?«
»Ich möchte, dass sie singt«, sagte Dumarest. »Nichts anderes.« Er klimperte Münzen von einer Hand zur anderen. »Hier sind fünfzig als Beweis für meine guten Absichten. Im Morgengrauen?«
»Mittags. Seien Sie beim Haus der Gebrochenen – nein, besser, wir besuchen Sie.« Kalama nickte und er gab die Adresse des Zimmers an, das er gemietet hatte. »Dann mittags, mein Herr. Seien Sie geduldig beim Warten.«
Geduldig, aber nicht dumm. Es war dunkel, als Dumarest den Markt verließ. Sogar nachts war der Ort noch am Leben: Lampen, die mit Schwaden von Rot und Gold, Blau und Umbra brannten; der Duft von kochendem Fleisch und Gemüse, der in der Luft hing, zusammen mit sich windenden Weihrauchfahnen, Funken von Fackeln, Strahlen von schimmernden Kugeln mit kaleidoskopischen Farbtönen. Der normale Handel war beendet und die Verkäufer von Hacken, Samen und Haushaltsgegenständen machten anderen Platz, die die Nacht mit einer anderen Anziehungskraft erfüllten. Schlagzeuger und Pfeifer zusammen mit Tänzern, das dünne Jammern der Saiten, das Singen der Flöten. Spieler, die an Tischen mit Karten, Würfeln und hohlen Muscheln spielten. Frauen mit Schlangen, Spinnen, Krabbelkäfern. Die Wahrsager und Künstler, die auf lebender Haut ein strahlendes Bild schufen.
Männer, die mit Messern kämpften.
Übungsklingen nur, Kanten und Spitzen stumpf; daher konnten sie kaum mehr als blaue Flecken und Kratzer verursachen. Und den Kämpfen fehlte die wilde Intensität, die für einen guten Kämpfer normal war – die Magie von Baatz hatte sie der ernsthaften Absicht beraubt, sodass die Menge über schlechtes Spiel lachte, anstatt zu jubeln, und der Verlierer die Niederlage mit einem Grinsen und einem Achselzucken akzeptierte.
»Herr!« Ein Marktschreier hatte Dumarest entdeckt, seine Größe, seine Haltung und den Griff des Messers über seinem rechten Stiefel bemerkt. »Ein Kampf, Sir? Sie sehen aus wie ein Mann, der an die Arena gewöhnt ist. Ein wenig harmloser Sport, um Kunstliebhaber zu unterhalten. Eine Demonstration des Könnens, der Gewinner wird von der Bevölkerung gefeiert. Nein?« Seine Stimme zuckte philosophisch mit den Schultern. »Wie wäre es dann mit Ihnen, Sir? Oder mit Ihnen?«
Dumarest ging weiter. Vor ihnen stimmten die Lichter des Boulevards mit denen der Sterne überein, die jetzt den Himmel beleuchteten. Cluster von leuchtenden Farben, Laken und Vorhänge aus Lumineszenz, Nebel wie Rauch. Zu viele Sterne, und er sehnte sich nach einem leeren Himmel. Einem, der von der geschwollenen Masse eines silbernen Mondes beleuchtet wurde, der wie ein Schädel fleckig war. Von Sternbildern, die Muster bildeten, die das Bild von Männern und Tieren, Frauen und Kreaturen des Meeres wiedergaben. Die Wegweiser der Erde – wo auch immer das sein mochte.
Eine Welt, die in Distanz und Zeit verloren ging, sodass sogar ihr Name zur Legende geworden war.
Aber eine jetzt so nah. So ganz nah!
Dumarest blieb stehen, lehnte sich gegen eine Wand, sah zum Himmel auf und spürte wieder die Welle, die er auf dem Markt empfunden hatte. Eine, die aus der plötzlichen Erkenntnis geboren wurde, dass seine Suche endlich vorbei sein könnte. Dass die Antwort, die er so lange gesucht hatte, zur Hand war.
Melome konnte sie finden.
Sie musste sie finden!
Den Moment aus der Vergangenheit erwecken, als er als Kind in der Kapitänskajüte gestanden und verständnislos auf das Buch auf dem Schreibtisch gestarrt hatte. Ein Buch, das zu der Zeit nichts bedeutet hatte, und er hatte sich in plötzlichem Entsetzen abgewandt, als Schritte aus dem Gang gekommen waren. Wäre er entdeckt worden, hätte man ihn beschuldigt, neugierig zu sein oder zu stehlen; ihm hätte gedroht geschlagen, verstümmelt oder gequält zu werden – seine sadistischen Mentoren hatten ihn gut unterrichtet.
Aber dieser Terror, der durch das Lied angeregt wurde, würde das Buch wieder vor seine Augen bringen, die darin enthaltenen Daten. Er musste nur warten.
Dann verging der Mittag und das Mädchen erschien nicht, und als er auf die Suche ging, erfuhr er, dass sie an den Zirkus von Chen Wei verkauft worden war.
Der Mann war grotesk: ein Wesen aus verlängerten Gliedmaßen, massiven Ohren, Klumpen, Beulen, Vorsprüngen. Ein Clown, der sich auf Stelzen tummelte, das bemalte Gesicht lächerlich über einem gepolsterten Oberkörper. Das Haar war wie eine Bürste, die mit einem Dutzend Farbtönen berührt wurde. Die Stimme war wie eine Orgel.
»Warum zögern? Der Zirkus von Chen Wei wartet darauf, Sie zu unterhalten. Sehen Sie Neuheiten, Wunder, Unmöglichkeiten. Wandern Sie in Bereichen mystischer Verzauberung. Begeistern Sie sich an exotischen Reizen. Die Chance Ihres Lebens. Nicht verpassen. Beeilen Sie sich jetzt! Beeilen Sie sich! Beeilen Sie sich!«
Eine Glocke läutete, drei Akrobaten drehten sich in einer Mischung aus Pailletten und Satin, eine Frau verkaufte Tickets.
»Zehn für den Transport und das Gleiche für den Eintritt. Zwanzig Kobolde – danke, Sir. Behalten Sie die Quittung für Ihre Rückkehr.«
Ein Zwerg führte Dumarest dorthin, wo Schwebeflöße in der Schlange warteten, und drängte ihn auf das erste, wo er dann auf einer Bank neben der Reling saß. Ein Mädchen kam zu ihm, ein anderes an ihrer Seite. Sie war jung, begierig darauf, ihren Tag zu genießen, hoffnungsvoll auf männliche Gesellschaft, aber nach einem Blick auf sein Gesicht wandte sie sich an ihre Freundin und verließ Dumarest, der auf den Boden starrte.