Earl Dumarest 29: Angado - E. C. Tubb - E-Book

Earl Dumarest 29: Angado E-Book

E. C. Tubb

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Beschreibung

Auf Angados Heimatwelt lebt ein Mann, der den Standort der in Vergessenheit geratenen Erde kennt. Der dort geborene Earl Dumarest sehnt sich danach, den Weg nach Hause zu finden. Da sie Waffenbrüder waren, würde Angado Earl helfen, diesen Mann zu finden – gegen eine Bedingung. Denn dieser kehrt zurück an einen Ort von Reichtum und Macht, als ein verlorener Sohn, gegen den man eine Verschwörung plant. Aber auch die Cyclans, die einen sagenhaften Preis auf Dumarests Kopf ausgesetzt habe, rücken näher. Dumarest ist jedoch bereit, bis zum bitteren Ende zu bleiben und alles zu tun, um an die für ihn so wichtigen Informationen zu kommen. Deutsche Erstveröffentlichung.  

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Aus dem Englischen von Michael Mühlehner

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg Mai 2024 Die Originalausgabe erschien 1984 unter dem TitelAngado Copyright © 1984 by E. C. Tubb Vermittelt durch Philip Harbottle Titelbild und Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Lektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-939-4 Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

1

Noch bis vor Kurzem war der Ort ein leuchtendes Juwel der Fantasie und Imagination. Kuppeln, Minarette, geschwungene Türme und breite Promenaden, über die das Publikum flanieren konnte, getaucht in bunten Farben und hallenden Klängen. Ein geschicktes Arrangement aus bemaltem Plastik und bunten Zeltbahnen und der Illusion Wirklichkeit gewordener Wunder.

Jetzt war der Zirkus von Chen Wei zwischen den Sternen verschwunden und hinterließ eine Kloake aus stinkendem Müll, Abwässern und Unrat.

Ein Grabmal der menschlichen Verschwendungssucht, sinnierte Cyber Avro, während sein Antigravfloß über dem vermüllten Areal kreiste. Die Natur würde sich davon irgendwann wieder erholen und die Wiesen an den Hügeln wieder blühen. Doch die Frage nach dem Sinn und der Nützlichkeit ging dem Cyber nicht aus dem Kopf.

Wie viele Arbeitsstunden steckten in der Planung, dem Aufbau und der Instandhaltung der Zeltstadt? Und wie viel mehr Zeit wurde von den Besuchern des Zirkus vergeudet bei der Befriedigung ihrer Gier nach Sensationen und Attraktionen?

Verschwendete Energie, die anderweitig sinnvoller eingesetzt hätte werden können.

Eine Organisation wie der Cyclan hätte eine klare Struktur für die aufgewandte Arbeitskraft und den benötigten Ressourcen geschaffen. Verschwendung war keine Option für den Cyclan.

»Meister«, wandte sich der Akoluth an Avro. »Sollen wir tiefer gehen?«

Avro hatte genug gesehen. »Nein«, bestimmte er. »Wann hat der Zirkus den Planeten verlassen?«

»Vor fünf Tagen«, erwiderte Cardor beflissen. »Eine Woche nach dem Unfall.«

Bei dem Cyber Tron, Valaban und Dumarest ums Leben kamen.

Der Cyber blickte nachdenklich auf das verwüstete Areal, die geistige Bitterkeit der Niederlage empfindend.

Zu spät. Um wenige Tage war er zu spät angekommen. Statt Dumarest in Gewahrsam zu nehmen, musste er der Zentralintelligenz Dumarests Tod melden. Und damit den endgültigen Verlust des Geheimnisses, das man einst aus den Labors des Cyclans stahl und von dem nur Dumarest wusste.

Avro ordnete die Rückkehr zur Stadt an.

Hoch über dem Floß schwebten gefiederte Schatten in der Thermik der Hügel. Geistlose, instinktgeleitete Vögel, doch ihr majestätisches Gleiten erfüllte Avro mit Neid. Ein Gefühl, das ein Cyber gar nicht kennen durfte.

Er erinnerte sich an das grenzenlose Gefühl der Freiheit in der Luft, dem Wind, der sich zwischen den Schwingen fing, die fremden, animalischen Emotionen.

Er hatte sie gespürt. Den Hass, die Furcht, den Zorn. Das brennende Feuer der Leidenschaft und letztendlich die Erfahrung des Todes.

Der Akoluth beobachtete den Cyber mit wachsender Beunruhigung. Cardors Ausbildung durch den Cyclan hatte in jungen Jahren begonnen und jetzt stand er kurz davor, selbst die scharlachrote Robe eines Cybers überzustreifen. Womöglich war ihm jetzt dieser Aufstieg verwehrt. Nicht allen Akoluthen war es bestimmt, in die Riege der Cyber aufzusteigen. Für alle anderen blieben nur niedere Arbeiten und Dienste.

Der reglos an der Reling stehende Cyber würde über das Wohl und Wehe von Cardors Zukunft entscheiden.

»Ich habe getan, was mir aufgetragen wurde, Meister Avro. Ich hatte meine Anweisungen.«

Von Tron, dessen Ineffizienz ihn das eigene Leben gekostet hatte.

»Berichte nochmals, was passiert ist.« Eine unnötige Anweisung, sämtliche Details waren Avro bekannt. Eine Prüfung, die Cardors weitere Zukunft bestimmen würde.

»Cyber Tron und ich landeten vor fünfzehn Tagen auf Baatz. Wir stiegen im Dubedat-Hotel ab. Cyber Tron war mit einem eingeschleusten Agenten im Zirkus in Kontakt. Angeblich arbeitete Dumarest im Zirkus von Chen Wei und könne in Gewahrsam genommen werden. Cyber Tron suchte den Zirkus auf. Er traf weder den Agenten Valaban noch Dumarest. Bei seinem zweiten Besuch kam er ums Leben.«

»Und deine Aufgabe?«

»Ich hatte Anweisungen. Meister Tron befahl mir, in der Stadt zu bleiben. Ich sollte sofort Kontakt nach Eurer Landung mit Euch aufnehmen, Meister Avro. Als Meister Tron nicht zurückkehrte, habe ich sofort Nachforschungen angestellt und erfuhr von dem tödlichen Unglücksfall.« Cardor machte eine kurze Pause, rief sich alles in Erinnerung.

»Der Besitzer, Toyu Shakira, hat mir erklärt, was passiert ist. Ein Raubtier lief Amok, befreite sich aus seinem Käfig und fiel über die drei Personen her. Die Bestie war ein Klachen, das ist …«

»Ich kenne diese Tiere«, unterbrach Avro. »Berichte weiter!«

»Der Tierwärter Valaban starb zuerst, dann Tron und Dumarest. Es gab Zeugen des Vorfalls.«

»Hast du die Leichen gesehen?«, fragte Avro mit ausdrucksloser Stimme nach.

»Nein, Meister. Aber mit Shakiras Erlaubnis habe ich die Augenzeugen einem Lügendetektortest unterzogen. Er fiel bei allen negativ aus.«

»Aber du hast nicht die Leichen gesehen«, hielt der Cyber fest.

»Sie wurden noch vor meiner Ankunft im Zirkus entsorgt, Meister Avro. Es war eine Notwendigkeit, der Blutgeruch hat die anderen Tiere verrückt gemacht. Und die Toten waren so entsetzlich verstümmelt, dass eine Untersuchung sinnlos gewesen wäre. Lediglich Cyber Trons Armband und seine Waffe wurden sichergestellt.«

Von den beiden Gegenständen hätte sich der Cyber nie freiwillig getrennt. Ein weiteres Indiz für seinen Tod? Und Dumarest?

Avro beobachtete die geflügelten Schatten, die lautlos über dem Areal kreisten. Es fiel dem Cyber schwer, die Tatsachen zu akzeptieren. Fakten, die fast unmöglich zu widerlegen waren.

»Wie viele Zeugen hast du vernommen?«

»Acht, Meister Avro. Drei haben den Unfall beobachtet. Die anderen haben die Leichen gesehen, drei davon halfen bei deren Entsorgung.«

»Und der Besitzer des Zirkus, Shakira?«

»Er war nicht involviert und wusste auch nichts über Meister Trons Anwesenheit. Mein Meister muss den Agenten sofort aufgesucht haben.«

»Hast du Toyu Shakira überprüft?«

»Er stimmte dem Lügendetektortest zu, nachdem ich ihm deutlich gemacht habe, wie unvorteilhaft es wäre, sich den Wünschen des Cyclans zu widersetzen. Der Test hat seine Aussage bestätigt.«

Was hieß, dass Shakira nicht gelogen hatte. Eine erneute Sackgasse? Was gab es noch zu tun?

Hinter der knöchernen Stirn arbeitete der kalte Verstand des Cybers wie ein Uhrwerk.

»Wiederhole die Aussagen der Augenzeugen. Achte auf jedes Detail!«

Unbeweglich lauschte Avro dem Bericht des Gehilfen. Das Licht der Sonne tauchte das skelettartige Gesicht in warme Farben aus Rot, Gold und Amber. Verstärkte das Scharlachrot der Robe und ließ das Siegel des Cyclans auf der Brust glänzen. Ein Schimmer, der die tief in den Höhlen liegenden Augen nicht erreichte. Eine gefühllose Maschine aus Fleisch und Blut, bar jeglicher menschlicher Regung. Die einzige Genugtuung, die ein Cyber empfinden konnte, war der Erfolg einer geistigen Leistung.

Hinter dem Floß blieb das einstige Zirkusareal zurück, eine müllübersäte Kloake. Wo die Überreste der Toten verscharrt wurden und mit ihnen das Ende eines großen Traumes.

In der Nacht wurde Baatz zu einer Welt des Frohsinns. Die glänzenden Lichter der Laternen nahmen den gestuften Gebäuden die Schärfe, der Marktplatz verwandelte sich in eine bunte Spielwiese, wo ausgelassene Fröhlichkeit herrschte.

Verkäufer, Händler, Kaufleute und Unternehmer legten ihre Geschäfte zur Seite und zogen mit Stand- und Ladenbesitzern, Farmern, Hausfrauen und Arbeitern als rastlose Nachtschwärmer durch die Straßen. Eine Zeit des Trinkens und Tanzens, frei von aller Gewalt und Aggression.

Unsichtbare Sporen, die in der Luft schwebten, sorgten dafür. Aufgewirbelt von den Winden in den buschbewachsenen Hügeln, wurden sie von den Bewohnern eingeatmet. Einmal inhaliert, bauten sie negative Spannungen ab und regten eine erhöhte Ausschüttung an Glückshormonen an. Statt zu streiten, lachten die Bewohner lieber miteinander und suchten nach friedlichen Lösungen für ihre Probleme.

Wie ein Geist in Scharlachrot wandelte Avro durch die Stadt. Ein Nasenfilter schützte ihn vor der Wirkung der Sporen.

Er ging einer simplen Aufgabe nach, die Cardor hätte erledigen können. Doch Avro hatte seine Gründe.

Die Frau, die auf sein Klopfen hin die Tür öffnete, wich einen halben Schritt zurück und senkte respektvoll den Kopf. Jeder auf Baatz kannte die scharlachrote Robe der Cyber.

»Mein Lord.« Sie verneigte sich tief. »Es ist mir eine Ehre. Wie kann ich Euch behilflich sein?«

»Der Mann namens Earl Dumarest hat hier gewohnt. Ist das richtig?«

»So ist es, mein Lord. Er hat ein Zimmer die Treppe hoch gemietet.« In ihren Augen lag ein sorgenvoller Blick. »Sein tödlicher Unfall tut mir leid.«

»Sie haben davon gehört?«

»Ja, vom Zirkus. Man sagte mir, ich solle seine Sachen verkaufen und das Zimmer wieder freigeben. Nicht dass er es oft benutzt hat.«

»Zeigen Sie es mir.«

Es war ein eckiger Raum mit einem schmalen Bett, einem Schrank, einem kleinen Tisch und zwei Stühlen. Ein abgetragener Läufer lag auf dem Holzboden. Ein Krug enthielt Wasser, die Waschschüssel hatte einen abgeschlagenen Rand.

Avro überflog alles mit abschätzendem Blick.

Die Fächer und Läden des Schranks enthielten nichts. Der Tisch ebenso wenig.

Er ging in die Knie, sah unter das Bett. Nur Staub. Auch die Stühle bargen kein Geheimfach.

Zum Schluss riss er die Matratze aus dem Bettrahmen. Nichts.

Er betrachtete die Gegenstände auf dem Tisch und der Anrichte.

Eine zerknitterte Zeitung, ein Stapel bunter Bilder, getrocknete Früchte, ein Buch, ein Spielkartenset.

Er brauchte nur ein paar Minuten, um alles zu überprüfen.

Avro trat schweigend in die Mitte des Zimmers, konzentrierte sich auf die Wände, die Decke, den Boden unter dem Teppich. Wieder blieb seine Suche erfolglos.

Dumarest hatte zwar den Raum bewohnt, aber hatte er auch einen Hinweis auf das Geheimnis hier zurückgelassen? Irgendein Zeichen, einen Tipp, eine Spur?

Ein Cyber konnte aufgrund einer Handvoll Daten die Entwicklung wichtiger Ereignisse berechnen, doch hier stieß Avro nur auf Annahmen.

Dumarest, ein Reisender, allein auf einer fremden Welt. Würde er nicht irgendwo einen sicheren Platz suchen, um das Geheimnis zu verwahren? Hier, in diesem billigen Zimmer?

Wieder unterzog er den Raum einer Überprüfung, suchte nach den fünfzehn Molekülsymbolen, die die Formel des Affinitätszwillings bildeten. Das Entscheidende dabei war die korrekte Abfolge der fünfzehn Einheiten. Verfügte der Cyclan über dieses Geheimnis, würde die Herrschaft über die Galaxis nur noch eine Frage der Zeit sein.

Wieder durchsuchte er den Raum, weigerte sich, das Offensichtliche zu akzeptieren. Er konnte sich keinen Fehler erlauben. Nicht so wie Tron, der Dumarest fasste und dann scheiterte. Sein Tod war eine zu geringe Strafe für sein Versagen.

Noch einmal blickte er sich um. Ein kleines, verlassenes Zimmer, kalt, ohne persönliche Merkmale. Dumarest hatte den Raum als Mittel zum Zweck benutzt, eine billige Unterkunft für einen einfachen Reisenden auf einer fremden Welt. Kein Ort, mit dem man eine persönliche Bindung aufnahm, an den man gerne zurückkehrte.

Hier würde er nichts finden.

In einem kleinen lokalen Geldinstitut wurde er fündig.

Der Manager zeigte sich anfangs wenig kooperativ, doch Avros Argumente überzeugten ihn letztendlich. Sich gegen den Cyclan zu stellen, würde jede Hoffnung auf Beförderung zunichtemachen.

»Ja«, beantwortete er die Frage des Cybers. »Dumarest hat hier ein Konto eröffnet und Geld transferiert. In der Tat eine ziemlich große Summe.«

»Hat er welches abgehoben?«

»Es wurde nur die Transaktion getätigt.«

»Welches Verfahren wurde angewandt?«

»Das übliche. Ein in den linken Unterarm eingebrannter Code, über den mit speziellen Lesegeräten Abbuchungen getätigt werden können. Baatz hat einen hohen Anteil an Reisenden und Touristen. Das System ist auf allen Welten anerkannt …«

Avro unterbrach den Redefluss des Managers mit einer Handbewegung.

Das galaxisweit gültige Transfersystem des Geldes, ideal für Reisende. Man deponierte irgendwo auf einer Bank Geld und konnte es über den Strichcode im Unterarm auf einer anderen Welt sofort abbuchen. Sofern das Konto gedeckt und das Limit nicht überzogen war. Wurde der eingearbeitete Code manipuliert, würden es die Scanner der Lesegeräte erkennen und eine Stichflamme den Arm verbrennen.

»Ich brauche alle Kontodaten«, forderte Avro mit emotionsloser Stimme. Er bekam die Informationen, sie überraschten ihn nicht. Keine Kontobewegung, keine Abhebungen, keine Umbuchungen.

Tote brauchten kein Geld. Ein weiterer Beweis, dass Dumarest nicht mehr lebte.

»Bei der kleinsten Änderung auf dem Konto möchte ich sofort informiert werden. Sie stehen mir dafür persönlich ein!« Mehr musste Avro nicht sagen.

Der Mann erblasste sichtlich und war froh, als der Cyber sein Büro verließ. Er würde alles tun, um den Unwillen des Scharlachroten nicht auf sich zu ziehen.

Auf dem Landefeld wartete Cardor auf ihn und berichtete von seinem Fehlschlag.

»Die Schiffsbewegungen um Baatz sind zu zahlreich und schlecht dokumentiert. Das trifft auch auf den Transfer der Passagiere zu. Die Ein- und Ausreiselisten werden nur oberflächlich geführt. Es gibt keine detaillierten Aufzeichnungen.«

»Der Zirkus?«, fragte Avro nur.

»Die Zielwelt heißt Lapakhin.«

Aber schon vorher würden sich Mitglieder des Zirkusensembles trennen, neue Wege suchen, neue Verträge mit anderen Shows eingehen. Ebenso würden sich neue Artisten beim Zirkus von Chen Wei einfinden. Ein Unternehmen wie das von Toyu Shakira unterlag einer großen Fluktuation an Arbeitern, Artisten und Darstellern.

Ein großes Pensum an Arbeit wartete auf Avro, wollte er den Weg eines jeden einzelnen Zirkusangehörigen verfolgen. Trotzdem war es machbar, doch lohnten die Zeit und die Mühen den Aufwand?

Dumarest war tot, dachte der Cyber. Alle Ergebnisse der Ermittlungen und Untersuchungen sprachen dafür. Die Fakten zu leugnen, wäre ein Eingeständnis der Inkompetenz. Und trotzdem musste alles unternommen werden, um auch den letzten Zweifel eines Täuschungsmanövers auszuschließen.

Das Geheimnis des Affinitätszwillings war zu wichtig.

»Schicke Leute zum Standort des Zirkus. Lass sie graben. Wenn sie die Leichen finden, sollen sie in Kühlsäcke für eine spätere Obduktion verpackt werden. Knochen gleichfalls. Es darf nichts übersehen werden.«

»Wie Ihr befehlt, Meister Avro.« Cardor zögerte kurz und brachte dann einen Einwand vor.

»Aller Abfall und Unrat wurden vorher geschreddert. Auch die Leichen.«

»Tu, was ich sage.«

Avros Stimme hatte sich nicht verändert, aber Cardor zuckte zusammen, verbeugte sich und eilte davon.

Ein weiteres Fehlverhalten. Annahmen durften nicht als gesichert gelten. Das sollte Cardor wissen. Tron war ihm ein schlechter Lehrer gewesen, was er durch sein Versagen nur bewiesen hatte.

Auf dem Weg zum Dubedat-Hotel dachte er über den Gehilfen nach. Der Cyclan hatte Zeit und Mittel in Cardor investiert. Um aus ihm eine nützliche Ressource im Sinne der Zentralintelligenz zu machen. Mit speziellen Schulungsprogrammen konnten Defizite getilgt werden und Cardor noch ein wertvolles Mitglied des Cyclan werden.

Er stellte diese Überlegungen zur Seite, als er seine Suite betrat und seine eigenen Akoluthen ihn mit einer Verbeugung begrüßten.

»Totale Versiegelung«, ordnete Cyber Avro an und betrat seinen persönlichen Raum. Er schloss die Tür hinter sich, Byrne und Tupou würden den Zugang mit ihren Leben verteidigen.

Avro aktivierte das Metallarmband an seinem Handgelenk. Das gleiche, das auch Cyber Tron getragen hatte.

Ein Störfeld baute sich auf, das jegliche Art von elektronischer Überwachung verhinderte. Avro streckte sich auf die schmale Liege und schloss die Augen. Blendete die luxuriöse Inneneinrichtung aus, auf die Cyber sowieso keinen Wert legten. Trotzdem war es wichtig, als Vertreter des Cyclans einen gewissen Standard zu wahren.

Avro verbannte alle Gedanken und konzentrierte sich auf die Samatchazi-Formel, um die Homochon-Elemente in seinem Gehirn zu aktivieren. Einhergehend war der totale Verlust der Sinneswahrnehmungen. Hätte er jetzt die Augen geöffnet, wäre Avro blind gewesen.

Sein Bewusstsein löste sich vom Körper, wurde zum reinen Intellekt. Die Verbindung zur Zentralintelligenz des Cyclans kam sofort zustande. Der Rest war Chaos.

Ein mentaler Schlag traf Avro, der wie ein glühender Peitschenhieb durch seinen Verstand fuhr. Er hätte geschrien, wenn er dazu in der Lage gewesen wäre. Aber so lag er taub und stumm und bewegungslos, während sein Geist in Agonie tobte.

Eine psionische Welle aus Licht und Farben baute sich vor dem Cyber auf, gewaltig und allumfassend, der Wahnsinn ritt auf den messerscharfen Schaumkronen. Und dahinter lauerten Konfusion, Chaos und lähmende Lobotomie.

Wie eine Nussschale hüpfte Avros Verstand auf dieser Woge, unfähig, etwas dagegen zu unternehmen oder ihr zu widerstehen. Er konnte nur warten und ausharren, während er wie ein Blatt im Wind herumgeschleudert wurde. In seinem Schädel grollte urweltlicher Donner. Ein Rumoren, das nach einer Ewigkeit leiser wurde und körperlosen, greinenden Stimmen wich. Das blendende Licht zerriss in einen glitzernden Scherbenregen. Eine bizarre Landschaft aus Kristallstrukturen schälte sich aus dem Nichts. Formlose Schatten huschten über den zerklüfteten Boden, mächtige Säulen aus Glas und kristallisierten Sand wuchsen in den buntscheckigen Himmel. Avro hörte sich schreien, wollte davonlaufen. Stattdessen starrte er in einen mannsgroßen Spiegel, aus dem ihn ein konturloser Schatten anstarrte. Ein Schatten, der langsam Form und Gestalt annahm.

Groß, hager mit skelettartigen Gesichtszügen und tief in den Höhlen liegenden Augen. Die scharlachrote Robe umfloss ihn wie Elmsfeuer. Zuerst dachte Avro, er würde sein Spiegelbild sehen, dann erkannte er seinen Irrtum.

Aus dem Spiegel blickte ihm Meister Marle entgegen, das Oberhaupt des Cyclans.

Aber wie war das möglich?

Die überlichtschnelle Kommunikation mit der Zentralintelligenz lief auf einer völlig anderen Wahrnehmung ab. Für Avro war es die bildliche Assoziation von riesigen Seifenblasen, wie an einer Schnur aufgezogen, ein allumfassendes, tief greifendes Muster bildend. Andere Cyber nahmen den Kontakt wieder anders wahr, doch niemals gab es diesen persönlichen Austausch von Angesicht zu Angesicht.

Der Wissensrapport fand unter abstrakten Eindrücken und zeitverlustfrei statt.

Jetzt nicht. Avro versuchte seine Irritation unter Kontrolle zu halten.

»Avro?« Meister Marle war genauso überrascht. »Bist du das, Avro?«

»Meister Marle«, sagte Avro mit einer Stimme, die leicht vibrierend klang. Trotz der bizarren Umgebung und albtraumhaften Vision musste Avro den Umstand akzeptieren, dass er dem Oberhaupt des Cyclans gegenüberstand.

»Ein unglaublicher Zufall«, überlegte er laut. »Wir müssen zur selben Zeit mit der Zentralintelligenz Kontakt aufgenommen haben. Und sie hat uns sofort miteinander vernetzt. Womöglich eine spezielle Maßnahme für besondere Anlässe.«

»Vielleicht«, stimmte Marle verhalten zu. »Wie weit bist du mit deinen Nachforschungen?«

Auch der oberste Cyber ignorierte die phantasmagorische Umgebung. Es musste für alles eine logische und vernünftige Erklärung geben.

»Dumarest ist tot.«

»Berichte!« Marle hörte sich wortlos den ausführlichen Bericht an. Er wägte Fakten und Schlussfolgerungen ab. »Der verlassene Standort des Zirkus?«

»Wurde genauestens untersucht. Die Auswertung aller Untersuchungen lassen nur einen Schluss zu. Cyber Tron, der Agent Valaban und Dumarest sind tot.«

»Die Augenzeugenberichte wurden durch die Auswertung der Lügendetektoren bestätigt. Und dennoch warst du nicht zufrieden. Erklärung?«

»Ich musste sichergehen«, antwortete Avro. Deshalb die erneute Untersuchung des verwaisten Zirkusareals.

»Wenn du den Beweisen glaubst, war die nochmalige Untersuchung des Areals verschwendete Zeit. Neue Erkenntnisse wurden nicht erbracht«, konstatierte Marle mit kühler Logik. »Ist es möglich, das Cardor gelogen hat?«

»Ich habe seine Aussagen überprüft. Er spricht die Wahrheit.«

»Oder zumindest, was er dafür hält. Das könnte auch auf die anderen zutreffen.«

Avro trat einen Schritt vor, doch die Distanz zu seinem Meister verringerte sich nicht, blieb gleich. Waren sie Gespenster in einem Gespensterreich? Fand das Gespräch wirklich statt oder war es nur eine Einbildung – seine Einbildung?

»Die Möglichkeit, dass jemand lügt, ohne dass ihm dies bewusst ist, darf nicht außer Acht gelassen werden«, hörte er sich sprechen. »Mithilfe von Hypnose oder Drogenpräparaten kann der Geist eines Menschen beeinflusst werden. Dem gegenüber stehen die Ergebnisse der mit Lügendetektor überprüften Aussagen. Es gibt keine signifikanten Abweichungen bei den Augenzeugenberichten. Auch nicht beim Verhör des Zirkusbesitzers. Sie alle haben gesehen, was sie zu Protokoll gaben.«

»Also sind alle drei tot«, sagte Marle mit ausdrucksloser Stimme.

»Zerrissen und zerfetzt von einem Amok laufenden Klachen«, bestätigte Avro.

»Und das Tier selbst?«, fragte der oberste Cyber. »Was ist damit passiert?«

»Ich nehme an, dass es tot ist«, antwortete Avro nach kurzem Zögern. »Es gab keine Notwendigkeit, in diese Richtung zu ermitteln.«

»Der Verbleib des Raubtieres ist also nicht geklärt«, sagte Marle kalt.

Ein Fehler, der vielleicht nicht wiedergutzumachen war. Und er hatte diesen Fehler gemacht.

Ihm kamen seine Überlegungen zu Cardors Zukunft in den Sinn. Plötzlich konnte sein eigenes Schicksal vom Wohlwollen eines anderen abhängen. Eines anderen, der womöglich in diesen Sekunden seinen Tod entschied. Versagen duldete der Cyclan nicht.

Noch während Avro darüber nachdachte, verschwamm die Gestalt des obersten Cybers zu dunstigem Rauch, verschmolz mit der gespenstischen Kristalllandschaft. Illusion wurde zu Illusion. Dann kehrte das Sturmgebrause zurück, das Chaos, der Wahnsinn, der wogend Avros Gedanken füllte. In seinen Ohren gellten die Schreie der Verdammten.

»Meister! Ist alles in Ordnung?« Schläge hämmerten gegen die gesicherte Tür. Byrnes Stimme hatte ihren neutralen Ton verloren.

Avro blinzelte, fand sich unverhofft in der Realität wieder. In seinem Hinterkopf war das verklingende Seufzen eines abziehenden Sturmes.

Mit einem akustischen Befehl löste er die Verriegelung der Kammer. Byrne und Tupou traten in den Raum. Die Sorge zeichnete sich als Blässe auf ihren Gesichtern ab.

Wortlos nahm Avro das mit Rotwein gefüllte Glas, das Tupou ihm reichte, und leerte es in einem Zug. Mit einer Geste schickte er die zwei Gehilfen hinaus und setzte sich auf die Kante der Liege. In einer ungewohnten Bewegung barg er das Gesicht in beide Hände.

Was passierte nur mit ihm?

In seinem Kopf hörte er das Flüstern des Windes, fühlte er den Luftzug, der durch gespreizte Schwingen fuhr. Warme Aufwinde strichen über flaumige Federn.

Wurde er verrückt? Verlor er den Verstand?

Er betrachtete die Einrichtung, die Wände und Decke des Zimmers mit nüchternem Blick. Und musste feststellen, dass ihm neben der Funktionalität auch das Dekor gefiel.

Avro schloss die Augen, versuchte, das Problem mit seinen antrainierten Fähigkeiten zu lösen. Er dachte an Meister Marle – oder die Trugfigur, die er dafür gehalten hatte. Wieso war dieser Kontakt so anders gewesen als sonst?

Hatte die Zentralintelligenz das wirklich beabsichtigt? Bewusst gesteuert von Abertausenden von Gehirnen, die tief unter der Oberfläche eines verwaisten Planeten unter Kuppeln lebten, versorgt von Nährflüssigkeit und Proteinen? Dem Gefängnis körpergebundener Unzulänglichkeit entflohen, richteten sie ihren puren Intellekt auf die Klärung aller Rätsel und Geheimnisse des Universums. Ein gigantischer, organischer Computer, der das Herz des Cyclans bildete. Und der von einem Virus befallen war.

Avro hatte davon gehört, dass einzelne Gehirneinheiten exekutiert werden mussten, weil sie irreversible Verhaltensmuster zeigten. War der Virus nicht besiegt, das Problem immer noch aktuell?

Was würden die anderen Cyber davon halten, wenn sie es erfuhren? Das höchste Streben eines jeden Cybers war es, dass sein Gehirn dem Verbund der Zentralintelligenz beigefügt wurde. Aber wer wollte schon Teil von etwas sein, das wahnsinnig zu werden drohte?

»Meister?« Byrne blickte den Cyber fragend an, als dieser wie ein Schatten ins Vorzimmer trat. »Geht es Euch gut?«

Eine Frage, die Avro ignorierte. »Geh zum Landefeld. Ich möchte alle Aufzeichnungen über sämtliche Schiffsbewegungen seit Trons Ankunft sehen. Jeden Namen der Schiffe, ihre Kapitäne und ihre Flugrouten. Sämtliche Passagierlisten und Frachtpapiere. Die Stärke der Besatzung sowie die Zielhäfen.«

Er drehte sich zu Tupou und gab weitere Anweisungen. »Du überprüfst noch einmal Cardors Ermittlungsarbeiten, einschließlich aller Bestandslisten des Zirkus. Danach schickst du Cardor zu mir.«

Ein Berg an Arbeit und Aufwand, der kaum Aussicht auf Erfolg versprach. Und dennoch musste absolut sichergestellt werden, dass Dumarest wirklich tot war. Denn sollte er sein Ableben nur vorgetäuscht haben, musst dies unbedingt ermittelt werden. Die Zukunft des Cyclans hing davon ab!

2

Von seinem Platz am Spieltisch ließ Helith Lam den Blick durch die Messe schweifen. Die Aussicht auf hohe Gewinne ging gegen null. Die meisten Passagiere waren Arbeiter, Glücksritter und Prospektoren. Männer, die ihre Hoffnung auf den nächsten Planeten setzten und die das wenige Geld, das sie besaßen, nicht am Spieltisch riskieren würden.

Lam hatte Krogstads Drohung noch gut in Erinnerung. »Sieh zu, dass du Umsatz machst, sonst fliegst du von Bord!«

Wer den Kapitän kannte, wusste, dass dieser Mann keine leeren Drohungen ausstieß.

Die Welten im Burdinnion waren hart und primitiv, kaum besiedelt und technisch wenig erschlossen. Raue Welten mit harten Gesetzen. Und Lam war zu alt, um etwas Neues zu beginnen, zu schwach für schwere körperliche Arbeit. In den Minen würde er keine zwei Wochen überleben.

Den Kapitän interessierte das nicht. Er wollte nur seinen Gewinnanteil am Spieltisch. Fünfzig Prozent von allem, was Helith Lam gewann. Also musste Lam dafür sorgen, dass der Spieltisch gut besetzt war.

»Jetzt teil endlich aus!« Lissek, der links von ihm saß, wurde ungeduldig. »Du lässt die Karten ja kalt werden!«

»Keine Sorge«, meinte Cranmer, ein weiterer Mitspieler, zynisch. »Warum die Eile, dein Geld so schnell loszuwerden?«

»Das stimmt«, gab Varinia, die einzige Frau am Spieltisch, ihm recht. »Warum muss es jeder immer so eilig haben? Ich fürchte nicht die Zeit, aber die Langeweile. Na los, Lam, teil schon aus.«

Die Frau war launisch, aber nützlich. »Für ein gutes Spiel sollten wir vollzählig sein«, erklärte er und mischte die Karten in den schlanken Händen. »Höhere Einsätze und größere Gewinnchancen. Das verleiht mehr Anreiz, finden Sie nicht auch?«

»Das hätten Sie mal Deakin sagen sollen, bevor er ausstieg«, brummte Yalin, ein untersetzter Mann, dessen Finger mit den Münzen spielten, die er vor sich aufgestapelt hatte. »Nun machen Sie schon, Lam. Spielen wir eine Runde.«

Der Spieler kam der Aufforderung nach, teilte geschickt die Karten aus und musterte doch die Passagiere in der Messe.

Der Mönch würde niemals spielen; kein Mitglied der Kirche der Universalen Bruderschaft unterstützte das Glücksspiel. Das junge Paar dort drüben hatte andere Interessen. Frisch vermählt, würden sie bald in ihrer Kabine verschwinden. Der hagere Verkäufer von Symbionten war in sein Tablet vertieft. Und die Alte mit dem falschen Perlenschmuck saß in einem Sessel und döste vor sich hin, träumte von besseren Zeiten. Zwei Männer betraten den Salon.

Lam wurde abgelenkt, als einer der Mitspieler fluchend seine Karten hinwarf.

»Verdammt, mir reicht’s! Ich steige aus.« Ein anderer tat dasselbe und erhob sich. »Ich bin auch raus. Kommst du mit, Varinia?«

»Sie bleibt«, sagte Lam scharf, nur um dann mit einem Lächeln fortzufahren: »Varinia ist eine Glücksbringerin. Und sie ist eine Bereicherung für die Runde. Mit ihrer Anmut verleiht sie uns allen Glanz.« Er nickte der Frau freundlich zu. »Geben Sie uns die Ehre und spielen Sie weiter mit.« Er gab schnell die Karten aus, deckte auf und ließ Varinia gewinnen.

»Sehen Sie, meine Dame, Ihre Entscheidung bringt Ihnen Glück.«

»Es scheint so«, lächelte die Frau mit einem vertrauten Glanz in den Augen. »Aber wer ersetzt die anderen zwei?«

»Wie wär’s mit einem Spiel?«, rief Lam den beiden Neuankömmlingen zu. »Setzen Sie sich und probieren Sie Ihr Glück! Wie sonst soll man sich die Zeit angenehmer vertreiben?«

Als der Jüngere der beiden sich umwandte, sagte Helith Lam schnell: »Angado Nossak, nicht wahr? Wir sind uns schon begegnet.«

»Auf der Provost«, nickte Nossak. »Sie haben mir eine harte Lektion erteilt. Vielleicht kann ich mich jetzt revanchieren.«

Beide setzten sich an den Spieltisch. Während Lam die Karten mischte, musterte er Nossaks Begleiter unauffällig.

Groß, breitschultrig, mit einem harten Gesicht und wachen Augen. Er trug graue Kleidung, abgenutzt und geflickt. An einer Stelle schimmerte Metallgewebe durch den Stoff. Ein Söldner oder ein professioneller Leibwächter, womöglich ein Jäger. Jedenfalls machte er nicht den Eindruck, als hätte das Schicksal es gut mit ihm in letzter Zeit gemeint.

Lam machte sich keine Sorgen um die großspurigen Worte des jungen Mannes. Der Berufsspieler verfügte über lebenslange Erfahrung, er wusste, wie man das Spiel manipulieren konnte. Zudem waren die Karten markiert, winzige Einkerbungen an den Rändern, kaum wahrnehmbare Verfärbungen auf den Kartenrückseiten. Lam verstand sein Geschäft.

»Meine Dame, meine Herren, eine neue Runde!«

Das Spiel hieß Starburn, eine Variation von Poker, wie es auf vielen Schiffen gespielt wurde.

Lissek zog scharf die Luft ein, als er seine Karten sortierte. Ein anderer, Salivia, kaute auf den Kräutern, die er gegen seinen Husten und zur Beruhigung der Nerven nahm.

»Gib mir drei«, sagte er leise. »Aber gute!«

Er musste mindestens ein Pärchen haben. Lam blickte zu Cranmer. Wieder flogen zwei Karten über den Tisch. Nossak starrte auf sein Blatt mit angespannter Konzentration.

»Drei – nein, zwei!« Er sortierte neu.

»Earl?«

»Eine«, sagte Dumarest trocken. Er behielt den Spieler im Auge, als dieser der Frau Karten gab.

Schmale Hände, schnelle, flinke Finger. Schmucklos und ohne Narben. Sehr gepflegt. Und vertraut mit allen Tricks und Kniffen des Kartenspiels. Solche Männer brauchten auf das Glück nicht zu vertrauen. Sie sorgten für sich selbst.

Dumarest nahm sich vor, auf der Hut zu sein. Sollte Lam versuchen zu betrügen, würde er die Konsequenzen tragen.

Die Runde ging weiter, die Einsätze wurden erhöht.

Lissek hatte Aussicht auf ein weiteres Pärchen, womöglich sogar auf ein Full House. Cranmer stieg aus, Angado kaufte noch eine Karte und schürzte die Lippen. Dumarest brauchte nichts, wie auch die Frau und der Kartengeber blieb er im Spiel. Drei Runden später holte sich Varinia den Pot.

»So langsam gefällt mir das Spiel, Lam«, freute sich die Frau. Dumarest ahnte, dass Lam eine bestimmte Absicht verfolgte. Schon bald würden die Einsätze nach oben gehen und dann würde nur noch einer gewinnen. Helith Lam. Die niedrigen Einsätze für die Mitspieler, die großen für ihn. Die Frau diente ihm dabei als Ablenkung und als Köder. Ihre Gewinne fielen nicht hoch aus, reizten die anderen aber, mehr zu setzen. Jeder wollte eine Glückssträhne haben.

»Ich erhöhe um zehn«, sagte Angado verbissen. »Diesmal gewinne ich!«

Dumarest bezweifelte es, sagte aber nichts. Der Mann war nur eine Reisebekanntschaft, sie teilten sich gemeinsam eine Kabine, das war auch schon alles. Angados Pläne und Ziele gingen ihn nichts an. Ihm war es wichtig, unauffällig zu bleiben, kein unnötiges Aufsehen zu erregen.

Er hatte Baatz in einer Kiste des Zirkus verlassen. Auf einem Schiff, dessen Kapitän keine allzu neugierigen Fragen stellte. In einem Warenhaus war die Reise zu Ende, er befreite sich aus der Kiste und verließ das Warenhaus, setzte sich ab in jene kosmische Region, die man gemeinhin Burdinnion nannte. Auf Tysa ging er an Bord der Thorn. Ein kleines Handelsschiff, dessen Kurs sich nach dem Wert der Fracht richtete. Kurze Wege, schnelle Gewinne.

Jetzt musste Dumarest eine Entscheidung hinsichtlich seines Reisegefährten treffen.

Wenn Angado weiterhin so spielte, würde er sein Geld bald verloren haben. Vielleicht würde er Lam des Betrugs bezichtigen und gewalttätig werden. Dumarest beabsichtigte keinesfalls, darin verwickelt zu werden. Das Letzte, was er brauchen konnte, war, Aufsehen zu erregen.

Beim Lösen der Passage hatte er gelogen und nur seinen halben Namen genannt. Eine Täuschung, die bei einem Fehlverhalten leicht auffliegen konnte. Was dann zwangsläufig zu weiteren Fragen führen würde.

»Gehen Sie mit?«, forderte Angado den Berufsspieler heraus. Er schwitzte und zerrte mit einer Hand an seinem Hemdkragen. »Gott, ist das heiß hier! Wo ist der Steward? Ich will etwas Kühles!«

»Heiß?« Lam runzelte die Stirn. »Ich habe keine Temperaturveränderung bemerkt.« Er sah Dumarest an. »Sind Sie dabei, Earl, oder steigen Sie aus?«

Dumarest blickte auf den gestapelten Münzberg in der Mitte des Tisches.

»Dabei«, sagte er knapp. Varinia zögerte noch, überlegte und verdoppelte den Einsatz. Lissek und Cranmer waren raus. Nossak zögerte, Schweiß perlte auf seiner Stirn. Er riss sich Hemd und Kragen auf. »Ich verbrenne! Wo bleibt der Steward?«

»Vergessen Sie ihn«, sagte Varinia und starrte den schweißgebadeten Mann an. »Sie sehen nicht gut aus. Fehlt Ihnen was?«

Ihre Stimme wurde plötzlich lauter, Angst schwang darin mit. »Mein Gott, was ist mit Ihrem Gesicht?«

Es war plötzlich mit roten Pusteln bedeckt, ein Vorgang, dessen Schnelligkeit für allgemeines Entsetzen sorgte.

Die Frau sprang schreiend auf und wich vom Tisch zurück. Die anderen folgten kaum langsamer. Karten und Münzen wirbelten hoch, als Nossak nach vorne kippte und auf die Tischplatte prallte. Binnen Sekunden war Dumarest mit dem Kranken alleine, umgeben von einem weitläufigen Ring verschreckter Menschen. Panik stand in ihren Gesichtern.

»Holt den Steward«, rief Lissek. »Er weiß, was zu tun ist.«

»Zur Hölle damit!«, fluchte Cranmer. »Holt lieber den Kapitän. Seht ihr es denn nicht? Der Mann hat die Seuche!«

Ungeduldig schritt Kapitän Krogstad in der leeren Messe hin und her. Fünf Schritte zur Seite, Drehung und zurück.

Außer ihm waren nur sein Erster Offizier und der Mönch von der Universalen Kirche anwesend. Alle anderen Passagiere hielten sich auf Krogstads Anweisung in ihren Kabinen auf, hinter verschlossenen Türen. Zu ihrer eigenen Sicherheit. Nur der Mönch hatte diesen Befehl ignoriert. Kapitän Krogstad wünschte sich, Bruder Jofre hätte es nicht getan. Es hätte zumindest vieles einfacher gemacht.

»Ihr müsst meine Situation verstehen«, wandte sich der Kapitän an den Mönch und stellte seine Wanderung ein. »Als Kapitän bin ich für die Sicherheit der Besatzung und der Passagiere verantwortlich. Der Ausbruch einer Seuche an Bord eines Schiffes ist eine Katastrophe. Ich muss Gegenmaßnahmen ergreifen, ob sie uns nun gefallen oder nicht. Unser aller Leben hängt davon ab, Bruder Jofre. Da werdet Ihr mir sicherlich zustimmen.«

»Falls der Kranke wirklich unter einer ansteckenden Seuche leidet, was keinesfalls bewiesen ist.«

»Mit Verlaub, Bruder Jofre«, sagte Krogstad unverblümt offen, »aber Ihr seid kein Arzt. Ich brauche eine hundertprozentig sichere Diagnose. Wenn Ihr Euch irrt, setze ich das Leben aller unnötig aufs Spiel. Ich bin nicht bereit, dieses Risiko einzugehen.«

»Wenn es sich wirklich um eine Seuche handelt, ist Eure Pflicht ganz klar, Kapitän«, sagte der Mönch mit weicher Stimme. Er blickte Krogstad direkt in die Augen. »Totale Quarantäne für Schiff, Crew und Passagiere. Benachrichtigung an den nächsten Zielhafen, um alle notwendigen Maßnahmen einzuleiten. Überwachung durch andere Schiffe, bis die Seuche eingedämmt beziehungsweise ausgelöscht ist.«

Der Mönch sprach aus, was Krogstad ohnehin wusste. Ein Schiff unter Quarantäne bedeutete nicht nur verlorene Zeit. Die Kosten für die notwendige medizinische Behandlung wären exorbitant hoch. Ganz zu schweigen davon, dass er seine Fracht nicht mehr würde losschlagen können. Sie musste zerstört, das Schiff desinfiziert und gesäubert werden. Hinzu kamen die anstehenden Klagen der Passagiere.

Krogstad sah den Ruin vor Augen. Und doch musste er sich an die Gesetze halten. Wenn er es nicht tat, würde auch dies seinen Ruin bedeuten.

»Es muss doch eine Möglichkeit geben!«, fluchte er leidenschaftlich.

»Vielleicht gibt es die«, räusperte sich Fedotik, der Erste Offizier. »Sie ist etwas ungewöhnlich, aber in unserer Lage durchaus akzeptabel.«

Fedotik war sich der Aufmerksamkeit seiner Zuhörer gewiss.