Earthborn: Die brennende Welt - Paul Tassi - E-Book

Earthborn: Die brennende Welt E-Book

Paul Tassi

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Beschreibung

Nach einer außerirdischen Invasion steht die Erde kurz vor dem Kollaps. Die überlebenden Menschen fristen ein erbärmliches Dasein. Unter ihnen ist auch Lucas. Als er in einem halb verschütteten Gebäude ein noch funktionsfähiges Raumschiff der feindlichen Xalaner findet, keimt Hoffnung in ihm auf.

Doch um es zu fliegen, muss sich Lucas mit einem Alien und einer Plünderin namens Asha zusammentun. Falls sie nicht in der Lage sind zusammenzuarbeiten, werden sie alle sterben - gestrandet auf einer sterbenden Erde.

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Seitenzahl: 539

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Inhalt

Cover

Über den Autor

Titel

Impressum

Widmung

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

ELF

ZWÖLF

DREIZEHN

VIERZEHN

FÜNFZEHN

SECHZEHN

SIEBZEHN

ACHTZEHN

NEUNZEHN

ZWANZIG

EINUNDZWANZIG

ZWEIUNDZWANZIG

DREIUNDZWANZIG

VIERUNDZWANZIG

FÜNFUNDZWANZIG

Über den Autor

Nach Jahren des Konsums von Science Fiction beschloss Paul Tassi, seine eigenen Geschichten zu verfassen. Zu diesem Zeitpunkt konnte er sich noch nicht vorstellen, jemals ein Buch fertig zu bekommen, geschweige denn einen Verlag dafür zu finden. Inzwischen will er nie wieder mit dem Schreiben aufhören. Er ist zudem als Journalist für Forbes und andere Magazine tätig und lebt mit seiner Frau in New York City.

PAUL TASSI

EARTHBORN

DIE BRENNENDE WELT

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Thomas Schichtel

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:Copyright © 2015 by Paul TassiTitel der amerikanischen Originalausgabe: »The Last Exodus: The Earthborn Trilogy Book 1«Originalverlag: Talos Press, New YorkTalos Press is a registered trademark of Skyhorse Publishing, Inc., a Delaware corporation.

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Dr. Frank Weinreich, BochumTitelillustration: Arndt Drechsler, Regensburg (nach Vorlagen von Paul Tassi)Umschlaggestaltung: Guter Punkt, MünchenE-Book-Produktion: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-3027-4

www.bastei-entertainment.dewww.lesejury.de

Für Doug, den Pionier.Für Mike, den Motivator.Für Nat, den Mentor.Für Michelle, die an mich glaubt.Für Mom, die Herausgeberin.

EINS

Der Krieg war vorüber. Und alle hatten verloren.

Lucas ging etwas entlang, das einmal ein Interstate Highway im nördlichen Kalifornien gewesen war. Es war Januar, glaubte er, und es herrschten drückende dreißig Grad. Die Landschaft war kaum wiederzuerkennen, und als er schließlich das Meer erreichte, blickte er auf einen fünf Kilometer breiten Strand hinaus, der einst nach wenigen Fuß im Pazifischen Ozean geendet hatte. Jedes Mal, wenn er an die Küste zurückkehrte, war das schlammige Wasser in der Ferne schwerer zu erkennen. Vermutlich dauerte es nur noch Wochen, und es war gänzlich verschwunden.

Die Eiskappen waren geschmolzen, aber da die Ozeane zum größten Teil verdampft waren, traten keine Überschwemmungen auf. Wenn er sich die Umgebung ansah, kam er zu dem Schluss, dass die Antarktis derzeit der behaglichste Ort auf Erden sein musste. Vor Kurzem erst hatte er gehört, dass, wenn sich jemand südlich von San Francisco wagte, ihm die Haut gebraten würde wie ein Steak auf dem Grill. Nun, die Kannibalen freuten sich bestimmt darüber.

Er würde den Sommer nicht überleben, das war ihm klar. Aber ihm blieb nichts übrig, als trotzdem weiterzugehen. Nur noch wenige Meilen bis Portland, sagte er sich immer wieder. Nur noch wenige Meilen bis nach Hause.

Seit Wochen hatte es nicht geregnet, aber als das zuletzt geschehen war, konnte er von Glück sagen, dass es ihn nicht im Freien überrascht hatte, oder er hätte dauerhafte Narben zurückbehalten. Der Niederschlag war so säurehaltig, dass er alles pflanzliche Leben umbrachte, das nicht schon in einer der Schlachten oder in den sich anschließenden endlosen Flächenbränden abgefackelt war. Es blieb unklar, wer den Himmel zerstört hatte, die anderen oder die Menschheit selbst, aber die Sonne lag inzwischen hinter einem Dunstschleier aus roten Wolken, der sich bis zum Horizont herabzog. Jeder Donnerschlag kündigte einen weiteren tödlichen Sturm an, doch echter Regen blieb aus. Es war, als wüssten die Wolken, dass ihr Werk für immer vollbracht war. Der Planet starb und versprach, alsbald nur noch eine leere Hülse zu sein.

Wenn es ihm gelang, das Wetter zu ignorieren, dann erwies sich der Hunger als das Schlimmste. Der ständige, durchdringende, verzehrende Hunger. Wilde Tiere fand man keine mehr. Sie waren im Krieg oder in den Stürmen umgekommen oder von den Überlebenden bis auf wenige Exemplare dezimiert worden. Der einzige Grund, warum sie überhaupt eine gewisse Zeit durchgehalten hatten, war der Mangel an Überlebenden gewesen, die Jagd auf sie machen konnten. Lucas ernährte sich von Kakerlaken, der einzigen Lebensform, der die Welt vorhergesagt hatte, sie würde das Ende aller Tage überdauern. Inzwischen waren selbst sie selten geworden, denn die Kakerlaken hatten anscheinend kapiert, dass sie unter den aktuellen Bedingungen einen seltenen Rohstoff darstellten, und sich entsprechend unter die Oberfläche verzogen, um erst zurückzukehren, wenn die Erde und der Rest ihrer früheren Bewohner zu Staub zerfallen waren.

Warum hatte Lucas keine Menschen verzehrt? Die Gelegenheit hatte sich ihm durchaus geboten. Sein hochwertiges Gewehr verlieh ihm bei den meisten Begegnungen mehr als nur eine faire Chance, und er hatte auch reichlich Leichen erzeugt, von denen er hätte kosten können. Aber er kannte das Endergebnis. Wenn eine verzweifelte Seele dazu überging, Menschenfleisch zu essen, hörte sie auf, selbst Mensch zu sein. Und warum sollte man sich an dem Punkt überhaupt noch die Mühe machen, weiterzuleben?

Außer auf Kannibalen stieß er gelegentlich auf sie. Einen von ihnen, der herumstolperte und sich fragte, wohin seine ganzen Brüder verschwunden waren und wie sie so dreist hatten sein können, ihn zurückzulassen. Die Servopanzerung rissig und in Auflösung begriffen, die baumelnden Waffen nutzlos, schon lange jeglicher Ladung beraubt. Vielleicht hätten diese Kreaturen versuchen können, eine Behelfswaffe aus Schrott zu fertigen oder mit ihren unförmigen Händen von Menschen gefertigte Waffen abzufeuern, aber in dem ihnen unbekannten Land waren sie recht leichte Beute, und in den meisten Fällen zudem geistig gebrochen. Lucas sah sie in verzweifeltem Hunger die Toten fressen, also hatte er kein Problem damit, sie zu essen. Der Letzte, den er zur Strecke gebracht hatte, ernährte ihn auf seiner Reise einen ganzen Monat lang. Er empfand dabei nicht die geringste Reue.

Auf seinem endlosen Marsch nach Norden dachte er oft an ihre Ankunft auf der Erde. Sie war vollkommen anders verlaufen, als man prognostiziert hatte. Das erste Schiff tauchte auf, und die Welt flippte aus. Es hing einfach wie ein Gemälde am Himmel – still und reglos – und verfolgte die Reaktionen der Welt. Menschen strömten nach New York, um es sich anzusehen. Der Verkehr in Manhattan brach völlig zusammen, weil jeder versuchte, sich drängelnd und zeternd eine freie Sicht auf das Raumschiff zu sichern. Letztlich mussten die Brücken und Tunnel geschlossen werden und die Menschen sich damit begnügen, es vom Ufer aus oder im Fernsehen zu betrachten.

Viele beteten es natürlich an. Warum auch nicht? Eine Menge Leute hatte zwar vermutet, dass dieser Tag irgendwann eintreten würde – aber nicht in den nächsten Jahrtausenden oder gar Jahrhunderten und sicherlich nicht zu ihren Lebzeiten. Und so war es wie ein Traum.

Das Militär war vorsichtiger. Es ging dazu über, die Menschen aus der Stadt zu drängen und seine Zelte im Central Park aufzuschlagen. Es schickte Jets und Helikopter in die Luft, um einen Kommunikationsversuch zu unternehmen. Im Rückblick war das etwas, das man lieber nicht provoziert hätte. Es wäre klüger gewesen, das Schiff dort geheimnisvoll schweben zu lassen und einfach zu hoffen, dass es irgendwann seine Absichten kundtat.

Nach einer Woche ohne Reaktion – der Behemoth aus Metall hing bewegungslos am Himmel und gab keinen Mucks von sich – schickte die Regierung eine Crew los, um sich die Sache näher anzusehen. Sie landete auf dem Koloss und begann damit, Live-Berichte zur Erde zu schicken. Viel war jedoch nicht zu sehen; das Schiff bestand aus Metall, anscheinend undurchdringlich.

Erst als die Einsatzkräfte die Plasmabrenner auspackten und in den Schiffsrumpf zu schneiden begannen, gab es eine Reaktion. Die Live-Übertragung wurde unterbrochen, ja, jegliche Kommunikation brach ab. Im Internet tauchte ein Video auf, das angeblich die letzten drei Sekunden der Übertragung zeigte. Zwischen Bildstörungen sah man eine Luke aufgehen, und einen Augenblick später packte eine Gestalt den Kopf, an dem die Kamera montiert war.

Das Militär war sofort einsatzbereit. Nicht nur Amerikas kämpfende Truppe, sondern Armeen auf der ganzen Welt. Die Militärs waren ohnehin schon auf höchster Alarmstufe, erklärten das Ding jetzt als feindselig und bereiteten sich auf entsprechende Maßnahmen vor.

Genau das wollte man an Bord des Schiffs aber. Man prüfte den Planeten. Die Aliens wollten wissen, über welche Feuerkraft die Menschheit verfügte und wie sie sich verhalten würde. Derweil hatten die übrigen Angehörigen der fremden Lebensform die Nachricht erhalten, dass man Leben auf der Erde angetroffen hatte. Verstärkung traf ein und feuerte aus allen Rohren.

Doch der Krieg war weniger einseitig, als man annehmen würde. Die Fremden besaßen keine undurchdringlichen Abwehrschilde, keine alle Moleküle verdampfenden Strahlenkanonen. Sie waren schwer zu töten, aber grundsätzlich ging das schon. Das Problem lag darin, dass es so viele waren. Die Kampfhandlungen tobten über Monate, ohne dass klar wurde, worauf die Aliens hinauswollten, denn auf Zerstörung. Manche behaupteten, sie hätten gesehen, dass Zivilisten einkassiert worden waren. Andere sahen ein Schiff, das einen gewaltigen Schlauch ins Meer abgelassen hatte. Weitere Menschen erzählten, Schiffe mit riesigen Laserbohrern wären gelandet und bahnten sich einen Weg durch die Erdkruste.

Zunächst sah es so aus, als marschierte die Erde auf der Siegerstraße. Obwohl die Streitkräfte der Menschheit schwere Verluste erlitten, schienen die außerirdischen Raumschiffe mit ausreichend Feuerkraft bezwingbar. Für jedes, das abgeschossen wurde, tauchten jedoch zwei neue von jenseits der Sterne auf. Zudem wurden die Schiffe größer, als den Invasoren klar wurde, dass sie mehr Truppen benötigten, als sie zunächst erwartet hatten.

In diesem Stadium ging die Erde dazu über, Atombomben einzusetzen. Das funktionierte zumeist, aber die Fremden legten nun ebenfalls eine härtere Gangart ein und warfen Sprengkörper ab, die ganze Städte auslöschten.

Das war der Zeitpunkt, da die Lichter ausfielen und der Himmel in Brand geriet. Die meiste Elektronik schmorte durch, und Meldungen von den Kampfschauplätzen waren nicht mehr als Hörensagen, da vieler Orts kein Internet, Fernsehen, nicht einmal Radio zur Verfügung stand. Der Himmel war von Beginn des Krieges an voller Rauch und Feuer gewesen, aber etwas hatte sich verändert. Ob das nun an den Atomwaffen der Menschheit lag oder an der Weltuntergangstechnologie der Fremden, das wusste niemand.

Und dann war alles so schnell vorbei, wie es begonnen hatte. Keine Bomben waren mehr abzufeuern und keine Schiffe mehr in der Luft, worauf man sie hätte werfen können. Als sich die Überlebenden aus der Asche ihrer Städte aufrappelten, sahen einige ein paar Nachzüglerschiffe in den Wolken verschwinden, vermutlich um die Meldung zu überbringen, dass sie in ihrem Auftrag gescheitert waren. Oder Erfolg gehabt hatten. Das war völlig offen.

Niemand feierte jedoch, als sich die Fremden zurückzogen. Die Erde selbst war in diesem Krieg tödlich verletzt worden, und alle wussten es. Die wenigen ihrer Bewohner, die noch lebten, stürzten sich auf die Reste. Wie viele Jahre lag das jetzt zurück? Es war schwer, darüber auf dem Laufenden zu bleiben, wenn alle Tage als ewig gleicher trüber Albtraum abliefen. Eine Reise quer über den Kontinent hätte nicht so lange dauern dürfen, nicht einmal zu Fuß. Ohne Karten jedoch, ohne Orientierungspunkte, ohne Sonne und ohne Sterne war es leicht, im Kreis zu laufen. Während die Jahre ins Land gingen, blieben immer weniger Überlebende übrig, und die hatten immer weniger Reste, um die sie sich zanken konnten.

Ursprünglich war Lucas eine Gruppe von Menschen gefolgt: eine klägliche Ansammlung Verlorener, angelockt von der ungewöhnlichen Zielstrebigkeit, die ihn anscheinend auszeichnete. Doch meistens gab es kaum genug Nahrung für eine Person. Wie sollte er da für fünf Menschen sorgen, für sechs oder zehn oder auch nur zwei? Solche Dinge nahmen nie ein gutes Ende.

Er hatte erlebt, wie sich zwei Schwestern wegen einer Flasche Mineralwasser gegenseitig die Augen auskratzten. Er wurde Zeuge, wie ein College-Student lieber von einer Autobahnbrücke sprang, als sich in der Hitze noch einen Schritt weiterzuschleppen. Lucas hatte noch immer eine Narbe am Ellbogen von der Nacht, als Carl, der Mechaniker aus Coral Springs, ihn im Schlaf hatte erschlagen wollen, um sich mit seinen Waffen und der restlichen Nahrung davonzumachen. Zum Glück fing Lucas die Brechstange rechtzeitig mit dem Arm ab und konterte schnell mit dem Messer, fast instinktiv. In seinen letzten Atemzügen schien es Carl leidzutun. Die Gruppe schleppte sich weiter, löste sich aber letztlich auf wie alles andere auch.

Die Wahrheit lautete: Wer jetzt noch lebte, hatte reichlich Menschen umgebracht, um bis hierhin zu kommen. Zu Anfang bewegte der Instinkt die Menschen, sich zusammenzuschließen und so die Verwüstungen zu überwinden. Als jedoch die Hoffnung starb, folgte schnell der Sturz in den Wahnsinn, und nur ein Narr traute noch irgendjemandem, dem er begegnete.

Manche zeigten deutlich, dass man sich von ihnen lieber fernhielt. Lucas stieß einmal auf einen Mann, der etwas am Hals hängen hatte, was ein Kinderschädel sein musste. Der Mann war fast nackt, trug nur Lumpenfetzen, und er brüllte und ruderte mit den Armen, als er Lucas erblickte – ein Urinstinkt der Abwehr, wenn eine Kreatur auf etwas stieß, was sie als überlegen erkannte. Sein Behelfsspeer, gefertigt aus einem Stück Rohr und einem militärischen Bajonett, stellte keine Gefahr für Lucas dar, aber der Mann selbst war eine Vision des Grauens, die Personifizierung dessen, was aus der Welt geworden war. Wer war diese verwünschte Seele einst? Ein Zahnarzt? Ein Lehrer? Ein Hausmeister?

Lucas ließ ihn in die Überreste eines nahen Waldes entkommen. Er war zu gebannt von dem, was er gesehen hatte, um auch nur einen Schuss abzugeben und die Welt von einem Monster zu befreien. Auf der Erde traf man sowieso nur noch Monster an; eine Lektion, die er schnell hatte lernen müssen.

In seine erste Honigfalle tappte er etwa vier Monate nach dem Tod des Himmels, zu einer Zeit, als Emotionen wie Empathie und Mitgefühl noch existierten. Sein Rucksack war mit Wasser und Lebensmittelkonserven noch gut gefüllt, und er hielt es nicht für nötig, mehr als eine einzelne Waffe mitzuführen. Ein Anfängerfehler.

Während er über eine Vorortstraße von Atlanta wanderte, hörte er einen Hilferuf: eine Frauenstimme, schwach, aber vernehmbar. Sie hallte durch die verlassene Trabantenstadt mit ihren Häusergerippen – Miniresidenzen der oberen Mittelschicht, die von frühen Plünderern verwüstet worden waren. Hier sah es weniger schlimm aus als in vielen anderen Bevölkerungszentren, wo Bomben und Brände kaum einen Stein auf dem anderen hatten stehen lassen.

Als er um eine Ecke bog, sah er die Frau. Sie steckte unter der eingestürzten Sektion eines Hauses fest. Er vermutete, dass sie nach Lebensmitteln gestöbert hatte, wie auch er es so oft tat. Das beschädigte Haus hatte ihr dafür offensichtlich einen Preis abverlangt.

»Oh, Gott sei Dank!«, keuchte sie. »Ich liege schon einen Tag hier. Ich hätte nicht gedacht, dass jemand vorbeikommen würde.«

Ihre Beine waren unter einem dicken Stück Holz eingeklemmt, und als Lucas ihr in die Augen blickte, verschlug es ihm den Atem. Die Frau war wirklich wunderschön, eine echte Seltenheit inmitten einer verwüsteten Welt. Im vorangegangenen Leben hatte ihr Anblick auf der Straße bestimmt manchen Mann dazu gebracht stehen zu bleiben, und so wie es aussah, verfügte sie noch immer über diese Macht: Die großen hellgrünen Augen schwammen in Tränen und flehten ihn um Hilfe an.

Er tat sofort, was seine menschliche Natur ihm gebot, und machte sich auf die Suche nach etwas, mit dessen Hilfe er den Schutt von ihr wuchten konnte.

»Vielen, vielen Dank«, stöhnte sie.

Er fand eine Metallstange, die mal ein Verkehrsschild getragen hatte. Er schleppte sie hinüber und schob sie unter die Planke, die quer über den Beinen der Frau lag. Die Planke sah schwer aus, aber als die verkeilte Stange mit Kraft niederdrückte, flog das Holz so schnell hoch, dass Lucas rücklings auf seinen schweren Rucksack fiel. Dosen mit Tomaten und Pfirsichen fielen heraus und verteilten sich auf dem Boden.

Ehe er überhaupt kapierte, was geschah, sah er die Frau über sich aufragen, die Militärversion einer Glock in der Hand.

»Du hast es immer noch nicht kapiert, wie?«, fauchte sie. »Es gibt keine Helden mehr.«

Sie drückte ab.

Lucas rieb sich die Schulter, die nach all der Zeit immer noch schmerzte. Die Kugel mit der Hand herauszubohren war schon qualvoll genug gewesen, aber die sich anschließende Infektion hatte ihn fast das Leben gekostet.

Die Frau hatte ihm nichts gelassen, und er musste sich mühsam wieder zu dem aufrappeln, der er heute war. Die Lektion, die sie ihn gelehrt hatte, stellte sich hingegen als wertvoller als alles heraus, was ihr in die Hände gefallen war.

Er traf später noch auf einige weitere Honigfallen, auf schöne junge Frauen, die Bedrängnis durch Autounfälle oder Kannibalenangriffe vortäuschten. Ihnen allen war gemeinsam, dass sie wohlgenährt aussahen, was in der heutigen Zeit ein erkennbares Warnzeichen darstellte. Ihre Kraft resultierte aus den Vorräten Dutzender Überlebender, die sie mit ihren traurigen Blicken und gezielt zerrissener Kleidung hereingelegt hatten. Lucas ließ sie inzwischen klagend im Dreck liegen, egal wie bedauernswert ihre Rufe klangen, während er sich näherte, oder wie vulgär die ausgestoßenen Obszönitäten, wenn er dann vorüberging. Vertrauen existierte nicht mehr auf der Welt, und Lucas wies mehr als nur ein paar Narben auf, die das belegten.

Er schleppte sich die Straße entlang, während die über den Wolken unsichtbare Sonne mit ihrer unaufhörlichen Hitze dafür sorgte, dass ihm die Sicht vor den Augen verschwamm. Eine Reihe verlassener Autos nach der anderen war auf dem Freeway vom Staub in ein einheitliches Grau getaucht worden.

Die Temperatur war unerträglich, und er musste sich ausruhen. Seine Waffe war eine unverzichtbare Last, aber es fiel ihm schwer, sie durch die drückende Hitze zu schleppen. Er stützte den Lauf auf dem Pflaster ab und fuhr mit dem Daumen eine Inschrift entlang, die unbeholfen in den Schaft geritzt war. NATALIE. Eine schon lange tote Geliebte, aber nicht seine. Zunächst war es nur ein Spitzname für die Waffe gewesen, die er sich angeeignet hatte, aber mit der Zeit hatte der Name für ihn an Bedeutung gewonnen. Natalie war seine Beschützerin, Retterin und Freundin, wie verrückt auch immer ihn das erscheinen lassen mochte. Aber sich an Zurechnungsfähigkeit zu klammern, schien heutzutage kaum noch lohnend.

Er wurde auf sein Spiegelbild im Außenspiegel eines der Fahrzeuge aufmerksam. Er wischte sich den Dreck vom Gesicht und stellte verblüfft fest, dass er den Mann im Spiegel kaum erkannte. Er war vom Hunger ausgemergelt, die Wangen eingefallen, die grauen Augen tief in die Höhlen gesunken. Die sandbraunen Haare waren auf krude Weise kurz geschoren, das Gesicht grob rasiert. Er musste sich mit dem Messer begnügen und schor sich überhaupt nur, weil zu viel Haar noch mehr unerträgliche Hitze bedeutete. Dem Baumwoll-T-Shirt waren die Ärmel schon vor Monaten abhanden gekommen, und es war rissig und fleckig von der Litanei zurückliegender Geschehnisse. Eine digital getarnte Cargohose barg viel von seiner restlichen Munition, und auf den Kampfstiefeln klebten für alle Zeiten Flecken getrockneten Blutes. Er zerschlug den Außenspiegel angewidert mit dem Messer und schleppte sich weiter durch den Autokorridor.

Kraftfahrzeuge hatten sich im Zuge des Krieges als sehr kurzlebig erwiesen. Was an Benzin nicht bei Militäreinsätzen verbraucht worden war, verdampfte während der Luftangriffe. Selbst wenn sie fahrtauglich blieben, waren die meisten Straßen zu beschädigt, um mehr als ein paar Meilen weit unbehindert fahren zu können. Lucas hatte es einige Tage lang mit einem Geländemotorrad versucht, aber schnell festgestellt, dass das Motorjaulen in dieser stummen Welt meilenweit hallte und viel zu viel Aufmerksamkeit bei Menschen wie bei fremden Kreaturen weckte. Hier und da stolperte er über Fahrräder, mit denen er seine Reisezeit verkürzte, bis irgendein Nagel, eine Glasscherbe oder die Wurzel eines menschlichen Zahns die Reifen aufschlitzte.

Es können nur noch wenige Meilen sein. Das sagte er sich jeden Tag aufs Neue, während er sich nach Norden schleppte. Obwohl Gerüchte von Zufluchtsorten in diesem Teil des Landes sprachen, wusste er im Herzen, dass seine Familie tot war. Sie musste es sein. Sobald er sich davon überzeugt hatte, konnte er wie so viele andere seinen inneren Frieden damit machen und von dieser jämmerlichen Welt scheiden. Welchen Sinn hätte es, zurückzubleiben? Um den genauen Augenblick zu erleben, da der Planet seinen letzten Atemzug tat?

Vor der Ankunft der Fremden war er religiös gewesen. Ihr Auftauchen hatte seinen Glauben wie den so vieler anderer zerstört, aber nicht bis an den Punkt, dass er an einem der Massenselbstmorde teilgenommen hätte, zu denen es überall auf der Welt gekommen war. Priester, Rabbis, Geistliche und ihre Gemeinden waren vom physischen Nachweis, dass sie ihr Leben einer Lüge gewidmet hatten, in den Wahnsinn getrieben worden. Manche setzten ihrem Leben schon ein Ende, als das erste Raumschiff erschien; andere warteten, bis die übrigen Schiffe eintrafen. Ungeachtet des Abfalls vom Glauben vermieden sie jedoch mit dem selbst herbeigeführten Tod wenigstens eine bestimmte Hölle, jene nämlich, die derzeit überall rings um Lucas existierte.

Lucas dachte nicht mehr viel über Gott nach. Falls Er existierte, was tat Er dann derzeit? Wusch Er sich die Hände in Unschuld angesichts der Welt, die Er erschaffen hatte und die jetzt nur noch ein kaputtes Spielzeug war, das ersetzt werden musste? Lieber stellte man sich doch vor, dass es Ihn gar nicht gab, denn Lucas fand in sich weder die Kraft noch hatte er die Zeit, Energie auf Hass zu vergeuden. Das bloße Überleben stellte die dringlichere Sorge dar.

Er hatte nur noch eine Flasche Wasser übrig und freute sich nicht auf eine weitere Durststrecke. Sein Rekord lag bei zweieinhalb Tagen ohne einen Tropfen, und er wusste, dass jede längere Zeitspanne den sicheren Tod bedeutete. Zum Glück hatte er gelernt, seinen Vorrat wirkungsvoll zu rationieren, und sich dazu geschult, mit Hochgenuss einen einzelnen Schluck zu nehmen, der ihn für den größeren Teil eines Tages auf den Beinen hielt.

Das Schicksal hatte es eines Tages gut mit ihm gemeint, als er einen Schuss krachen hörte. Er war in Deckung gehastet, hatte aber schnell festgestellt, dass der Schuss ein Stück weiter die Straße hinauf gefallen war. Er näherte sich dem Schauplatz vorsichtig im Sichtschutz der Autowracks. Ein Mann lag vor ihm mitten auf dem Freeway, die schwere Schrotflinte nutzlos an seiner Seite, während sich unter seinem Körper das Blut sammelte. Der Rucksack des Mannes war aufgeplatzt, und vier riesige Flaschen Absopure-Wasser rollten langsam, der Neigung der Straße folgend, auf Lucas zu. Wenn man daran dachte, wie man früher über die bloße Vorstellung gelästert hatte, Wasser in Flaschen zu kaufen! Heute existierte keine andere Möglichkeit mehr, ungefährdet zu trinken.

Lucas’ Blick wanderte forschend den Horizont entlang, um den Schützen zu entdecken, aber er fand nichts. Sicher würden die Leute auftauchen, um ihre Beute einzusammeln, und sobald sie das taten, würde Lucas sie einkassieren.

Dann sah Lucas, wie sich etwas an der Seite einer Plakatwand ein Stück weiter die Straße hinaufbewegte. Die Werbetafel buhlte um Aufmerksamkeit für die erste Staffel einer TV-Actionserie, der von der Apokalypse ein vorzeitiges Ende bereitet worden war. Die Gestalt huschte an dem Plakat entlang auf die Stelle zu, wo der Mann lag. Lucas blieb hinter einem Auto kauern, etwas entfernt von der Leiche, und überlegte sich, wie er vorgehen sollte. Er konnte zusehen, wie der Heckenschütze das Wasser einsammelte und sich davonmachte, und auf diese Weise eine möglicherweise gefährliche Auseinandersetzung vermeiden. Es war jedoch einfach zu lange her, dass er zuletzt etwas getrunken hatte, und jede Unze seines eigenen Körpers brannte und lechzte nach dem Wasser, das dort lag. Eine Flasche rollte weiter langsam auf ihn zu.

Der Heckenschütze hatte die Leiche inzwischen fast erreicht und näherte sich ihr vorsichtig, für den Fall, dass der Reisende auf wundersame Weise noch lebte, nachdem ihm das Kaliber-.50-Geschoss den Brustkorb eingeschlagen hatte. Der Schütze war dürr und tätowiert. Lucas fragte sich, ob er vor dem Krieg vielleicht ein Bandenmitglied gewesen war, aber beim Näherkommen deuteten das zerfetzte Black-Flag-Shirt und die gepiercten Ohren eher auf ein musikalisches Milieu hin. Das Scharfschützengewehr war ein militärisches Modell, vermutlich einem der Millionen gefallener Soldaten abgenommen, die im Land verstreut herumlagen. Das Ding war sicherlich eine echte Last, sodass nicht verwundern konnte, wenn der Mann im Schatten einer Reklametafel kampierte und durch das Zielfernrohr Ausschau hielt.

Als er sich vom Ableben seiner Beute überzeugt hatte, packte er eine der Wasserflaschen und nahm schnell einen Schluck. Wie auch Lucas hatte er die derzeit letzte Phase des Spiels erreicht: Er war ein professioneller Überlebender, der wusste, wie man das bisschen Feuchtigkeit genoss, das noch in der Welt existierte. Der Drang, den ganzen Flascheninhalt förmlich einzusaugen, war fast unwiderstehlich, aber Veteranen der Apokalypse waren zu schlau, so etwas zu tun.

Der Heckenschütze sammelte rasch die Flaschen in der Nähe ein und durchstöberte die Taschen des Opfers. Er holte ein paar Schrotpatronen hervor und warf sie weg. Nicht nötig, in der Hitze eine weitere schwere Waffe mitzuschleppen. Sein Blick wanderte dann zu der Wasserflasche, die ein paar Meter weiter auf Lucas zugerollt war.

Unter dem Auto hatte sich Lucas etwas erholt. Der Schatten kühlte ihn, und er hatte schon oft an ähnlichen Stellen geschlafen, wie es eine Eidechse vielleicht tat. Unterschlupf war oft schwer zu finden, hatten Druckwellen doch die meisten Bauten flachgewalzt. Lucas sah die Flasche und die Füße des Mannes, wie sie sich ihr näherten. Der Typ trug Kampfstiefel, auch sie einem Soldaten abgenommen. Sie waren abgewetzt und klebrig von Blut.

Einen Warnschuss abzugeben plante Lucas nicht, auch kein Ultimatum wie: »Wenn du sofort gehst, lasse ich dich leben.« Diese Zeit lag schon lange zurück. Lucas blickte durch Natalies Zielfernrohr und feuerte einen Schuss ab. Das Echo unter dem Auto ließ ihn fast taub zurück. Der Heckenschütze stürzte, umklammerte das zerschmetterte Schienbein. Der Rest von ihm war jetzt aus Lucas’ Behelfsbunker heraus erkennbar. Ein weiteres Geschoss jagte direkt durch die Stirn des Mannes und beendete effektiv die Schmerzen in dessen Bein. Die Erdbevölkerung war um eine Seele näher auf die Null zugesunken.

Lucas trank den letzten Tropfen und steckte die übriggebliebene leere Flasche in den Rucksack zurück. Wer wusste schon, ob der Regen eines Tages nicht wieder in anderer Form fiel denn als brennende Pisse des Teufels? Lucas zweifelte jedoch daran. Und er hatte das Gefühl, dass er inzwischen dicht genug an Portland sein musste, damit dieser Schluck der letzte war, den er jemals brauchen würde. Das letzte intakte Straßenschild, das er gesehen hatte, sprach von achtzig Meilen. Wie viele Tage lag das inzwischen zurück? Oder waren es Wochen? Er hatte den Überblick verloren, aber er musste sein Ziel bald erreichen, selbst wenn er nur noch im Kriechtempo vorankam.

Er bewegte sich jetzt im Binnenland, hatte sich von der Küste abgewandt, um den Weg zur Stadt einzuschlagen. Die trockenen Strände boten manchmal Nachschub an Vorräten, versteckt in den Wracks von Jachten oder gestrandeten Flugzeugträgern, aber zum größten Teil waren die natürlich längst leergeräumt. Jetzt war er zurück auf dem wichtigsten Freeway nach Nordosten – ein endloser Autofriedhof, umgeben von den niedergebrannten Stümpfen eines ehemaligen Kiefernwaldes.

Während er sich dahinschleppte, spürte Lucas die vertraute Qual des Hungers an seinen Eingeweiden nagen. Im Idealfall stolperte er über eine weitere Kreatur und konnte nach kurzem Kampf einen Festschmaus genießen, aber an diesem Punkt waren solche Vorstellungen reine Fantasie. Die fremden Kreaturen waren meist noch schlechter darin, sich an die neuen Lebensumstände anzupassen als die Menschen, sodass kaum noch welche umherstreiften.

Ein Stück voraus entdeckte er die Reste eines Überführungsschildes. Er ließ den Blick forschend über den Boden streifen, bis er sah, wonach er suchte: ein verblasstes grünes Schild mit der Aufschrift AUSFAHRT PORTLAND-ZENTRUM IN ZWEI MEILEN, daneben ein diagonaler Pfeil. Endlich, dachte er und ging die Biegung entlang. Das Gefälle der Straße wurde steiler.

Als er um die Biegung kam, ließ ihn das, was er sah, vor Staunen innehalten. Die Straße endete. Und zwar in einem riesigen Erdwall, der Straße und Autos unter sich begraben hatte. Ein Erdrutsch? Nein. Dann ist es … Nein, das kann nicht sein! Aber natürlich war es das.

Lucas raffte die letzten Kraftreserven zusammen und rannte die Klippe aus Schutt hinauf, während lose Erde unter seinen Füßen nachgab. Er begriff, was dieser Behelfsberg war, und ihn graute vor dem Anblick auf der anderen Seite. Er musste es jedoch sehen. Das musste er einfach.

Über ihm krachte Donner über den roten Himmel, und Blitze sprangen von einer Wolke zur nächsten. Der Berg wurde steiler, und er sah sich gezwungen, auf die Knie zu sinken und auf allen vieren weiterzuklettern. Er krabbelte immer höher und warf keinen Blick hinter sich auf die Reste des Freeways in der Tiefe. Seine Muskeln brannten, und der stechende Schweiß raubte ihm fast die Sicht, aber nichts davon scherte ihn. Es kam nur darauf an, den Gipfel zu erreichen.

Und endlich hatte er es geschafft. Was er sah, war ein vertrauter Anblick, aber er zerbrach dabei trotzdem innerlich. Er stand am Rand eines gigantischen Kraters und blickte auf die Ruinen einer Metropole hinab, die inmitten einer Wüste zu Staub pulverisiert worden war.

Die Stadt war verschwunden. Die Zerstörung ging auf eine Bombe der Kreaturen zurück, denn wäre es eine der eigenen gewesen, hätte seine Haut aufgrund der Strahlung schon vor Tagen zu kochen begonnen. Die Landschaft vor ihm war über Meilen völlig kahl, bis sie vom gegenüberliegenden Kraterrand eingerahmt wurde. In einer Stadt der Wolkenkratzer ragte nichts mehr über einige wenige Stockwerke hinaus auf, und wo sich noch etwas erhob, da war es nur eine Fassade, eine oder zwei Wände als Denkmal für das Gebäude, das einst dort gestanden hatte.

Seine Familie existierte nicht mehr, so wenig wie alles andere. Es war vergebliche Mühe gewesen, das gesamte Land zu durchqueren, um hierher zurückzukehren. Er fuhr mit einer Hand durch die Erde und Asche auf dem Kraterrand. Sie sind jetzt nichts weiter als das hier, dachte er, während ihm der Staub durch die Finger rann. Er hätte geweint, hätte der Körper noch über die nötige Flüssigkeit verfügt. Stattdessen verschwamm ihm erst die Sicht vor Augen und verschwand dann ganz. Sein Körper erschlaffte, und er stürzte die Kraterwand hinab, rollte über die glatte Staubfläche, bis er am Grund landete. Dunkelheit umhüllte ihn gänzlich.

ZWEI

Er wurde Minuten oder Stunden später wach; er hatte keine klare Vorstellung von der Zeit. Es donnerte nicht mehr, und eine heiße Brise fegte über das sandige Ödland rings um ihn. Er rappelte sich auf und stellte fest, dass sein Kopf übel pochte und der Arm schmerzte. Er machte eine Bestandsaufnahme seines Zustands, fand aber kein Blut. Er saß da, die Arme um die Knie geschlungen, und starrte über den wandernden Sand hinweg. Nichts war mehr übrig. Hinter ihm ragte die Kraterwand an die siebzig Meter hoch auf. Selbst wenn er noch die Kraft aufgebracht hätte, wäre ein Aufstieg unmöglich gewesen. Aber wohin sollte er sich wenden? Wohin sollte sich irgendjemand wenden, wenn die Welt in diesem Zustand war? Er stand auf und sah sich um. Bruchstücke verformten Metalls ragten aus der schwarzen Erde auf, aber nicht einer war in einem Zustand, der noch Rückschlüsse auf das erlaubt hätte, was er mal gewesen war.

Seine Reise war beendet. Er zog das Foto von Frau und Sohn aus dem Stiefel. Es war sein einziger Besitz, den er nicht einer Leiche abgenommen hatte. Das Foto war rissig und verblasst, aber er konnte so eben noch das Lächeln beider erkennen. Es wurde Zeit, sich ihnen anzuschließen.

Er nahm Natalie von der Schulter und prüfte kurz das Magazin. Dies würde Natalies finale Aufgabe sein: ihn wieder mit seiner Familie zu vereinen. Er hatte von Anfang an gewusst, dass das letztlich ihr Zweck sein würde. Er drückte sich die Mündung unters Kinn, legte beide Daumen an den Abzug und blickte zum Himmel hinauf.

Er entdeckte eine Stelle in den Wolken, die inmitten des zornigen Rots irgendwie blau geworden waren.

Er stockte, senkte den Blick. Er hatte den Abzug noch nicht gedrückt. Das da oben war kein Tor ins Leben nach dem Tode; die Wolken waren tatsächlich blau. Der Sand wirbelte um ihn herum, während er zu der geheimnisvollen Erscheinung hinaufstarrte. Befand sich etwas unmittelbar über den Wolken, oder schien das Licht von unten herauf? Er sah genauer hin und konnte schließlich Lichtspuren ausmachen, die der Sand reflektierte. Sie liefen auf einen Punkt zu, der nicht in Lucas’ Blickfeld lag.

Er nahm Natalie vom Kinn und hängte sie sich über die Schulter. Er marschierte durch die bis an die Schienbeine reichenden Asche- und Sandverwehungen und folgte dabei dem Weg des Lichts. Es flackerte kurz und fiel dann aus. Die Landschaft zeigte sich aufs Neue leblos, die Wolken waren rot wie immer. Lucas blieb stehen, setzte dann seinen Weg fort, und das Licht ging für eine oder zwei Sekunden lang wieder an, ehe es erneut ausfiel.

Während er weiterstapfte, erstarb der Wind. Sand und Ruß wirbelten nicht mehr, und er konnte jetzt mehr als nur ein paar Fuß weit blicken. Jedoch war nichts außer verkohltem Schutt zu sehen. Die Wolken leuchteten auf, als das Licht abermals erschien. Er konnte jetzt genau erkennen, woher es stammte.

In der Kraterwand klaffte nur wenige Fuß über dem Grund ein Loch. Ein kraftvoller Lichtstrahl drang daraus hervor, ging dann wieder aus. Lucas hörte Geräusche, die an elektrisches Zischen erinnerten. Er scannte kurz seine Umgebung und näherte sich dann der Öffnung. Das Licht brannte nicht mehr, aber er hörte in der Tiefe ein mechanisches Surren. Als er direkt vor dem Loch stand, blickte er über dessen Unterkante, wobei das Gewehr die Vorhut bildete. Er hatte seit Monaten nichts Elektrisches mehr in Betrieb gesehen. Was zum Teufel war das wohl? Da er nichts zu verlieren hatte, kletterte er ins Loch hinein, Natalie schussbereit in der Vorhalte, um auf jede Schlange gefasst zu sein, die vielleicht hier lauerte.

Das Licht sprang erneut an und hüllte ihn ein. Er musste die Augen vor der blendenden weißen Helligkeit abschirmen, und die Netzhäute fühlten sich an, als stünden sie in Flammen. Als das Licht wieder abnahm, sah er nichts als rote Kleckse, bis seine Sicht langsam zurückkehrte. Er blickte nach links und entdeckte einen abzweigenden Tunnel. Das Zischen und Jaulen schwoll ein weiteres Mal an, und er sprang in die Abzweigung. Das Licht schoss unbehindert an ihm vorbei zum Himmel hinauf. Dort kann ich nicht hineingehen, dachte er, zumindest nicht ohne meine Sonnenbrille.

Er lachte. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal diesen Laut ausgestoßen hatte. Dieses seltsame neue Geheimnis hatte ihm neue Kraft gegeben. Lucas vergaß, wie hungrig er war und wie sehr die Muskeln schmerzten, er vergaß sogar seine Familie, die jetzt einen Teil des umgebenden Erdreichs bildete. Das Licht hatte ihn völlig in seinen Bann gezogen.

Er ging tiefer in den abzweigenden Tunnel und wurde nach wenigen Augenblicken Dunkelheit auf einen blauen Schimmer aufmerksam. Dieser war matt, verglichen mit der blendenden Helligkeit wenige Augenblicke zuvor, ermöglichte ihm aber immerhin, etwas zu sehen. Am Ende des Tunnels näherte er sich einem offen stehenden, metallgerahmten Durchgang, und er wusste sofort, was er entdeckt hatte.

Der Raum, den er betrat, war ein Maschinendom, und keiner von diesem Planeten. Vor ihm ragten zwei riesige Objekte auf, von deren Spitze ein vertrautes blaues Leuchten ausging. Sie wiesen in einem nach oben führenden Winkel in den Sand. Das Leuchten wurde stärker. Diese beiden Objekte waren es, die das strahlende Licht erzeugten.

Er hätte dieses Licht eigentlich wiedererkennen müssen. Auch die Triebwerksgeräusche der Alienschiffe waren oft genug über ihn hinweggezogen, allerdings stets mit Überschallgeschwindigkeit. Bei seinem Marsch durchs Ödland war er auf viele abgestürzte Schiffe der Kreaturen gestoßen, keines davon mehr einsatzfähig. Was normalerweise, in Millionen Stücke an einer Klippe zerplatzt, nicht mehr zu erkennen war, das fand er hier in vollständiger Form vor und anscheinend voll einsatzfähig.

Neben den beiden Hecktriebwerken erblickte er Konsolen entlang der Wände. Die Schnittstellen waren holografischer Natur, und Lucas führte die Hand durch das ihm nächste Hologramm. Er rechnete schon halb damit, dass eine Rakete abgefeuert oder die Selbstzerstörung eingeleitet würde, aber das Schiff schien seine Anwesenheit nicht zu erkennen. Es surrte weiter vor sich hin und spuckte gelegentliche Lichtblitze aus den Triebwerken.

Lucas näherte sich der Treppe zum Oberdeck. Er entdeckte eine Tür zu etwas, das nach einem Maschinenraum aussah und an dessen Decke eine rote Lampe blinkte. Da das Schiff anscheinend in Betrieb war, musste sich jemand oder etwas darin aufhalten. War wirklich noch eine Crew der Kreaturen am Leben, um diesen Behemoth wieder zum Leben zu erwecken? Mit fiebriger Nervosität schlossen sich seine Hände fester um Natalie. Sicher, sie beide hatten schon zurückgebliebene Kreaturen niedergestreckt, aber das waren zumeist ausgehungerte, phantasierende Kreaturen ohne Ausrüstung gewesen. Aber hier? Auf heimatlichem Gelände und mit Panzerungen und Waffensystemen ausgestattet, die möglicherweise ebenso einsatzbereit waren wie das Schiff? Er war nicht bereit, ein Risiko einzugehen. Auf einem Schiff dieser Größe konnte man Dutzende von denen antreffen. Aber wie hatten sie so lange überlebt?

Augen und Gewehrlauf huschten fortwährend umher, angelockt von jedem Knarren und Piepen aus dem Maschinenraum. Dann hörte er etwas, das er sofort erkannte. Es wurde geschossen. Berücksichtigte man die Schussfrequenz, konnte das Knallen nur von einer automatischen Waffe stammen. Er steckte den Kopf wieder in den dunklen Tunnel und glaubte, nun auch Stimmen hören zu können. Als er durch den blauen Schimmer im Gang zurückkroch, sah er den hellen Blitz des Triebwerkslichts im Hauptgang voraus aufleuchten. Er wandte ihm den Rücken zu und hoffte, dass niemand seine Umrisse ausmachen konnte.

Kurz vor dem Tunnelausgang legte er sich auf den Bauch und blickte in den Krater hinaus. Ein Szenario wie das da draußen hatte er schon lange nicht mehr erlebt. Drei koordiniert vorrückende Menschen, die einander nicht in Stücke rissen, sondern vielmehr als Einheit gegenüber einem gemeinsamen Feind handelten. Einem Feind in Gestalt der nahezu zweieinhalb Meter großen Kreatur, die langsam den Hang hinauf in Richtung des Lochs zurückwich, in dem Lucas flach am Boden lag.

Die Kreatur drehte den Kopf panisch von einer Richtung in die andere und duckte sich, als eine weitere Salve über ihren Kopf jagte.

»Was ist denn, Froschmann? Wo sind deine ganzen Kumpel?«, rief ein Mann mit Schutzbrille und leichtem Maschinengewehr der Kreatur zu.

Ein weiterer Mann stand rechts vom ersten und umklammerte eine Schrotflinte. »Sobald du uns erzählt hast, was du in deiner leuchtenden Höhle aufbewahrst, wirst du ein richtig prima Abendessen abgeben.«

Die dritte Gestalt wurde vom Rücken der Kreatur verdeckt. Es war jedoch eine Frauenstimme, die sich zu Wort meldete: »Er versteht euch nicht, ihr Idioten. Erschießt ihn einfach, und wir finden es selbst raus. Ich habe sowieso Hunger, und ich möchte wirklich lieber ihn als euch essen.«

»Och, wir gönnen uns doch nur ein bisschen Spaß, oder?«, hielt ihr Brille entgegen. »Der geht nirgendwo mehr hin.«

Und das tat der Alien tatsächlich nicht. Ungeachtet des funktionsfähigen Schiffs verfügte die Kreatur weder über einen Energiepanzer noch über Schusswaffen. Vielmehr umklammerte sie einen leuchtenden Zylinder, bei dem es sich anscheinend nicht um eine Waffe handelte, sonst hätte sie ihn auch schon längst eingesetzt.

In Lucas überschlugen sich die Gedanken. Wenn dieses Trio die Kreatur ermordete und anschließend ihn im Loch fand, würden sie ihn vermutlich kaum in ihre lustige Truppe aufnehmen. Die beiden, die er sah, zeigten die irre Anspannung von Kannibalen. Die Frau konnte er nach wie vor nicht erkennen.

Lucas traf eine Entscheidung. Verdammt, kam es auf irgendwelche Folgen denn überhaupt noch an?

Während Brille das Gewehr hob, um sein Spiel mit der Kreatur zu beenden, legte Lucas die eigene Waffe an. Er feuerte eine Kugel ab, die den Augapfel des Mannes durchschlug. Als der erste Mann am Boden aufschlug, hatte Lucas bereits den Träger der Schrotflinte ins Visier genommen. Während sich der noch nach rechts herumwarf, um zu sehen, was mit seinem Partner passiert war, feuerte Lucas eine Salve ab, die durch das zerfledderte Outfit peitschte und den Mann zu Boden riss. Dabei fuhr die Schrotflinte hoch und jagte einen Schuss in den Himmel.

An diesem Punkt stolperte die Kreatur, fiel auf den Rücken und blickte hin und her. Sie wusste offensichtlich nicht recht, was hier geschah. Vor sich sah Lucas jetzt die Frau, die eine .45er Magnum im Anschlag hielt. Die Waffe war zunächst auf die Kreatur gerichtet, aber die Frau orientierte sich rasch um, als sie Lucas im Loch hinter dem gestürzten Außerirdischen entdeckte. Lucas schoss, die Frau ebenfalls. Ihre Kugel summte Lucas am Ohr vorbei, aber seine fand ein weiches Ziel in ihrem Fleisch. Sie schrie und taumelte rückwärts, und die Pistole flog aus ihrem Griff.

Lucas stieg aus dem Loch und ging zu ihr hinüber. Die beiden Männer lagen reglos und tödlich verletzt am Boden, aber er hörte die Frau vor ihm unter Schmerzen schwer atmen. Er schritt an der Kreatur vorbei, die zu ihm aufblickte und instinktiv rückwärts krabbelte, fort von dieser zusätzlichen menschlichen Gefahr.

Lucas erreichte die Frau und beförderte die Magnum mit einem Fußtritt weiter weg. Er hatte die Frau am Arm getroffen. Ganz schön weit vom Kopf entfernt, auf den er eigentlich gezielt hatte. Sie trug eine zerrissene schwarze Hose und ein schwarzes, ärmelloses Shirt. Um Nase und Mund hatte sie ein kariertes Tuch gewickelt wie ihre beiden Kumpane auch. Wahrscheinlich diente es nur dem Schutz vor dem wirbelnden Sand in dieser Gegend, aber sie sahen damit aus wie Gesetzlose aus dem wilden Westen von einst. Er hob das Gewehr, um der Frau den Rest zu geben, und sah, wie sie ihn aus weit aufgerissenen Augen anstarrte. Sie wusste, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hatte. Diese glänzenden grünen Augen. Mal langsam! Hatte er …?

Ein heftiger Schlag in den Rücken unterbrach seinen Gedankengang. Die Kreatur war auf den Beinen und hatte ihn von hinten angegriffen. Lucas wälzte sich auf den Rücken und riss Natalie hoch, aber die Waffe wurde ihm aus den Händen geschlagen und flog sich überschlagend über den Sand. Die Kreatur holte mit ihrer Drei-Klauen-Hand aus, und Lucas wälzte sich mal nach links, mal nach rechts, um den Hieben auszuweichen. Es war knapp, und einmal streifte die Klaue sogar sein Gesicht.

Er stieß mit dem Knie nach einer Stelle, die er für so etwas wie einen Solarplexus hielt, und die Kreatur reagierte tatsächlich entsprechend und schrie vor Schmerz auf. Lucas stemmte jetzt die Füße gegen die Brust des Fremden und stieß das Ungeheuer damit über sich hinweg, sodass es mit dumpfem Schlag neben der Frau aufprallte, die sich inzwischen aufgerappelt hatte und in Richtung ihrer Magnum stolperte. Lucas warf sich herum, um sie zu Fall zu bringen, ehe sie die Waffe erreichte, während die Kreatur ächzend auf dem Rücken lag. Er holte mit der Faust aus, traf die Frau und raubte ihr die Besinnung, aber als er aufs Neue ausholte, packte die Klaue der Kreatur zu. Er wurde hoch- und von der Frau weggezerrt und flog erneut in den Sand, während der Alien über ihm aufragte. Er trat ihm in den Bauch und tastete nach der Pistole in seinem Stiefel. Die Kreatur lag mit ausgebreiteten Gliedern am Boden, setzte sich langsam auf und streckte den Arm zu etwas aus, was wie eine Unterwerfungsgeste wirkte. Am linken Arm besaß sie keine Klaue, sondern nur einen Stumpf an der Stelle, wo die Klaue hätte sitzen müssen. Die Wunde war lange verheilt. Lucas sah die Zeichen der Niederlage und zögerte.

»Ist das dein Schiff?«, brüllte er über das Tosen des Windes hinweg.

Die Kreatur blickte nur zu ihm auf und gab keinen Laut von sich.

»Ist das dein Schiff?«, wiederholte Lucas. Er beugte sich zu dem Fremden vor und fuchtelte dabei mit der Knarre. Die Kreatur gab einen kehligen Laut von sich und nickte.

»Verstehst du, was ich sage?«, fragte Lucas mit überschlagender Stimme. Er war noch nie auf die Idee gekommen, mit diesen Dingern zu reden; normalerweise war er zu sehr damit beschäftigt, sie zu braten.

»Sind da noch mehr von euch an Bord?«, fragte er.

Die Kreatur gab erneut einen Laut von sich und schüttelte langsam den Kopf. Sie klopfte sich mit der gesunden Klaue auf die Brust.

Lucas ging langsam im Kreis um die Kreatur herum und hielt die Pistole auf sie gerichtet. Er bückte sich und nahm die noch aufrecht im Sand steckende Natalie wieder an sich.

»Kannst du das Schiff fliegen?«

Der Fremde deutete auf den leuchtenden Zylinder, den er in ein paar Fuß Entfernung fallen gelassen hatte. Lucas wusste nicht recht, was das für ein Ding war, aber er hatte eine Ahnung.

»Du hast also den Schlüssel gefunden … Okay, rein da. Steh auf.«

Die Kreatur rappelte sich unsicher auf, und Lucas wich langsam zu der Stelle zurück, wo die Frau lag. Er zielte mit der Waffe auf ihren Kopf.

Der Fremde stieß eine leise Kakofonie von Lauten aus und streckte die Arme nach Lucas aus. Lucas sprang sofort rückwärts und nahm wieder den Fremden ins Visier.

»Langsam, langsam! Was machst du da? Zurück mit dir!«

Der Fremde hob die Arme und näherte sich der Frau langsam. Er deutete erst auf sie, dann auf das Schiff.

»Du möchtest sie an Bord bringen?« Lucas senkte die Waffe. »Warum?«

Der Fremde hatte darauf keine Antwort, sondern bückte sich und hob die Frau auf, die für die hochgewachsene Kreatur offensichtlich keine nennenswerte Last darstellte. Der Alien warf sie sich über die Schulter und schritt auf das Loch zu. Lucas klaubte ihren Rucksack vom Boden auf und folgte ihm zu der Öffnung, in der nach wie vor periodisch das Licht aufflammte.

Im Innern des Lochs stotterte und surrte das Schiff nach wie vor. Die Kreatur zockelte zu einer Schalttafel am Sockel der beiden Triebwerke, steckte den Zylinder in einen Steckplatz und drückte ein paar der virtuellen Tasten. Sofort hörten die Maschinen auf zu ächzen und gingen zu einem dumpfen Summton über. Das Licht leuchtete jetzt in einem gleichmäßigen Himmelblau, heller als je zuvor. Lucas spürte den Boden unter den Füßen beben.

Dann jedoch brach alles ab. Die Kreatur wirbelte mit ihrer Hand in einem der holografischen Datenfeldern herum, und im gesamten Raum kam die Stromzufuhr zum Erliegen. Der Fremde drehte sich um und stieg die unnatürlich steile Treppe hinauf, wobei er jedoch quasi bergab ging, da das Schiff in einem spitzen Winkel in der Erde feststeckte. Lucas folgte der Kreatur vorsichtig, Natalie im Anschlag, falls es dem Fremden einfallen sollte, ihn erneut anzugreifen. Aber der Alien schien gar nicht mehr auf ihn zu achten.

Sie durchquerten die Tür des Maschinenraums und folgten einem langen Gang abwärts, erhellt von einem blassgrünen Lichtschein, der das ganze Schiff zu durchdringen schien. Am Ende des Korridors erwartete sie eine massive Tür, aber die Kreatur wandte sich vorher nach links und einer kleineren Tür zu. Lucas folgte vorsichtig, erwartete jederzeit einen Hinterhalt. Es gab jedoch keinen. Stattdessen fand er sich in einer kleinen leeren Kammer ohne Fenster wieder, die nur von einer einsamen, in der Decke eingelassenen Lampe erhellt wurde. Die Rückwand war voller Metallhandschellen, und auf dem Fußboden klebte überall getrocknetes schwarzes Blut.

Der Außerirdische legte die Frau auf den Boden. Er wich ein paar Schritte von ihr zurück und spielte mit einigen Steuerelementen. Eine weiße Wand aus Licht flackerte auf und verlief quer durch den Raum. Sie blieb einige Sekunden lang bestehen und verschwand wieder. Die Kreatur gab einen bestürzt klingenden Laut von sich. Sie ging wieder zu der Frau, packte sie an der Hand und drückte das schlaffe Handgelenk in eine der Handschellen an der Wand. Die Fessel schloss sich automatisch, sodass die Frau leblos daran baumelte. Die Kreatur wandte sich ab, grunzte und deutete zur Tür. Lucas ging langsam um den Fremden herum, die Waffe nach wie vor im Anschlag, auch wenn ihm die Hände in einer Kombination aus Angst und Erschöpfung zitterten. Seufzend ging die Kreatur langsam zur Tür hinaus. Lucas fiel erst jetzt auf, dass sie leicht humpelte, vermutlich aufgrund einer bei der zurückliegenden Auseinandersetzung erlittenen Verletzung. Auf dem Weg zur Tür warf er einen Blick zurück zu der bewusstlosen Frau und sah eine mumifizierte Hand neben ihr auf dem Boden liegen. Eine Hand, größer als sein Kopf, mit drei Krallen daran.

Er folgte der Kreatur zur Tür hinaus, die hinter ihm weich ins Schloss fuhr. Sie gingen bis zum Ende des Korridors, wo sie ein kleiner runder Raum erwartete. Dieser erwies sich als Fahrstuhl, und Lucas empfand die wenige Stockwerke umfassende Fahrt nach oben als schmerzlich lang. Wie war es nur möglich, dass ein so hoch entwickeltes Schiff einen so langsamen Fahrstuhl besaß?

Vor ihnen öffneten sich zischend zwei Flügel einer riesigen Tür, und beide betraten einen Raum, der die Kommandozentrale des Schiffs sein musste. Ein mächtiger runder Tisch ragte in der Mitte auf, und darüber flackerte ein Hologramm der Erde. Rote Punkte sprenkelten ihre Oberfläche. Diese Zentralkonsole war umgeben von Schalttafeln mit holografischen Schnittstellen, ähnlich denen im Maschinenraum. Manche leuchteten in gleichmäßigem Blau, andere blinkten in zornigem Rot. Lucas sah, dass die Wand gegenüber völlig offen wirkte, und nahm an, dass sie aus einem transparenten Material gefertigt war, das Glas ähnelte, aber sicherlich weitaus haltbarer war. Er hätte erwartet, das dort Bilder von Sternen und Galaxien zu sehen wären, stattdessen erwies sich diese Wand als von Dreck und Asche geschwärzt. Vor diesem Aussichtsschirm stand etwas, das nach einer Art Sitz aussah, wenn auch ausgestattet mit einer Menge technischer und holografischer Zusätze, die unerfindlichen Zwecken dienten.

Die Kreatur ging dort hinüber und führte einige Handbewegungen aus. Das Schiff erwachte tosend zum Leben, und auf dem schrägen Boden rissen die Vibrationen Lucas fast von den Beinen. Ein weiterer Schwenk der Klaue, und das Schiff fuhr wieder herunter. Zufriedenes Grunzen.

Zum ersten Mal drehte sich die Kreatur um und blickte Lucas direkt an. Der Alien war groß, aber Lucas hatte schon größere gesehen. Er wirkte irgendwie kläglich, war seine nackte Gestalt doch viel weniger beeindruckend als die der komplett gepanzerten Artgenossen, auf die Lucas bisher gestoßen war. Der Alien atmete schwer. Lucas fragte sich, ob das die Folge seiner Tritte war; jedenfalls konnte er blaue Flecken an den Stellen erkennen, wo er die Kreatur getroffen hatte.

Diese Dinger besaßen zwei Arme, zwei Beine, zwei Augen und eine lange Schnauze mit messerscharfen Zähnen. Ihre Pupillen waren gänzlich schwarz, durchzogen von einem ungewöhnlichen farbigen Ring. Bei dem hier war der Ring golden, aber Lucas hatte auf seinen Reisen schon das ganze Spektrum gesehen. Die Kniegelenke knickten wie bei einem Vogel nach hinten weg, aber Arme und Hände schienen ganz wie erwartet zu funktionieren. Hände und Füße wiesen jeweils drei klauenartige Finger und Zehen auf. Ihre Hautfarbe trat in allen denkbaren Grauschattierungen auf, und an weiten Bereichen von Brust, Unterleib und Rücken präsentierten sich dunklere Stellen aus natürlicher Panzerung. Diese Wesen hatten weder Schwänze noch Flügel oder Tentakel und auch sonst nichts, was man vielleicht in einem Roman von Lovecraft erwartet hätte, aber sie waren trotzdem ganz gewiss passend gebaut, um der Menschheit Albträume zu bereiten.

Lucas rief über den Holotisch hinweg: »Woher weiß ich, dass ich dir trauen kann?«

Die Kreatur streckte die Arme aus und senkte den Blick, als wollte sie ausdrücken, dass sie nichts Gefährliches bei sich trug.

»Na ja, darauf kommt es im Grunde nicht an, oder?«

Lucas deutete auf den Kratzer über einem Auge, den ihm nur Minuten zuvor eine Kralle der Kreatur gezogen hatte.

Sie grunzte und deutete zur Gefängniskammer, dann auf den Boden.

»Ja doch, du möchtest sie hier haben, ich weiß. Aber wieso?«

Das war eine Antwort, die nicht mit Gesten kommuniziert werden konnte.

»Du verstehst mich, aber du hast keine Möglichkeit, dich mir verständlich zu machen?«

Die Kreatur deutete nach rechts, von ihrem Blickwinkel aus. Lucas wandte sich dorthin um und sah einen gesprungenen Bildschirm mit einem Arsenal rot blinkender Steuerelemente darunter.

»Dieses Ding?«

Die Kreatur nickte. Funken schlugen alle paar Sekunden aus den Steuerelementen hervor; eindeutig würde die Reparatur dieses Geräts einige Zeit in Anspruch nehmen, wenn es überhaupt zu retten war.

»Wo steckt der Rest der Besatzung?«

Die Kreatur grunzte und schwenkte die Klaue vage in Richtung der Dunkelheit auf dem Sichtschirm hinter ihr.

»Ich deute das mal so, dass deine Leute nicht zurückkehren werden.«

Die Kreatur schüttelte den Kopf und ging zum Holotisch. Lucas brachte Natalie erneut in Anschlag. Die Kreatur grunzte verärgert und streckte nochmals die Arme aus, vermutlich um zu signalisieren, dass sie keine üblen Absichten verfolgte.

Der Außerirdische deutete auf Lucas, dann auf das Hologramm der Erde, das über der Mitte des Tischs schwebte.

»Ja, ich weiß, ihr habt meinen Planeten zerstört.«

Ein paar Schnipser mit der gesunden Klaue in der Holosteuerung der Konsole riefen eine dreidimensionale Szene hervor, die in der Mitte aufflackerte und den Globus ersetzte.

DREI

Die holografische Aufzeichnung folgte der Perspektive einer Kreatur, war aus ihrem Blickwinkel aufgenommen – und zwar dieser hier, vermutete Lucas. Inmitten eines Gestöbers eingeblendeter Symbole, die den Steuerungselementen um sie herum glichen, hantierten zwei Klauenhände mit einer technischen Apparatur. Eine der Hände wurde jetzt in eine Art Handschuh gesteckt und begann damit, einen Metallgegenstand vor sich mit einem heißen orangenen Licht zu versengen. Die Umgebung bestand aus komplexen Maschinen, und an der Wand gegenüber waren Tanks voller Flüssigkeit zu erkennen. Hat sich darin gerade etwas bewegt?

Ein lautes Blaffen ertönte links der Kreatur. Sie drehte sich um und sah eine Gestalt vor sich, die deutlich höher aufragte und von Kopf bis Fuß in einer Servopanzerung steckte. Ein Soldat. Der Soldat grunzte die kleinere Kreatur an, und diese grunzte zurück. Der Soldat grunzte daraufhin lauter und warf dem anderen Alien eine Waffe zu. Der fing sie mit den Klauen auf und betrachtete sie wie einen fremdartigen Gegenstand. Sie deutete auf das Labor ringsherum. Ein Wissenschaftler.

Ein holografisches Datenpad wurde dem Wissenschaftler hingehalten. Eine Abfolge unverständlicher Symbole lief darüber hinweg, während der Soldat im Hintergrund etwas sagte. Der Wissenschaftler deutete auf das Gerät, das auf dem Tisch lag, und blaffte protestierend, aber die größere Kreatur packte ihn und zerrte ihn zur Tür. Der Bildschirm wurde dunkel.

Fast sofort fuhr die Darstellung wieder hoch, diesmal im Getümmel eines Feuergefechts. Der Wissenschaftler fand sich inmitten eines Trupps anderer Kreaturen wieder, die allesamt voll gepanzert waren. Sie marschierten eine städtische Straße entlang und schossen willkürlich auf alles und jeden, aber die Blickfeldkamera des Wissenschaftlers zeigte, dass er seine Waffe nicht einsetzte, sondern sich jedes Mal duckte, wenn in seiner Nähe geschossen wurde. Die Szene war chaotisch. Kampfflugzeuge beharkten außerirdische Schiffe, und Panzer und Humvees explodierten am Boden. Leichen säumten die Straßen. Beim Anblick der brennenden Wolkenkratzer dachte Lucas, das die Stadt ganz nach Portland aussah. Inmitten des Gemetzels sah sich Lucas von einem einzelnen Aspekt gebannt: der Sonne. Ich hatte vergessen, wie sie aussieht. Das Hologramm fiel erneut aus.

Als die Aufzeichnung weiterging, hielt sich der Kreaturentrupp im Inneren eines Gebäudes auf, das nach einer verlassenen Schule aussah. Von draußen drang der gedämpfte Lärm von Explosionen und Schüssen herein, und gelegentlich donnerte ein Düsenjet oder ein Kampfjäger der Außerirdischen am Himmel vorbei, sodass die Mauern erbebten. Die Flure waren dunkel, und der Trupp war auf vier Wesen geschrumpft, darunter der befehlshabende Offizier, der anfänglich auf den Wissenschaftler zugekommen war. Er war von Schlamm und einer Mischung aus schwarzem und rotem Blut bedeckt. Ein echter Cocktail des Krieges.

Die Kamera schwenkte fieberhaft von links nach rechts und spiegelte so die panische Geistesverfassung des Wissenschaftlers wider, den man gezwungen hatte, hinaus aufs Schlachtfeld zu gehen. Die Schule war ein einziges Chaos, war eindeutig in größter Eile evakuiert worden. Spinde standen offen, unbenotete Klassenarbeiten und Hausaufgaben lagen auf dem Boden verstreut. Nur wenige Lampen brannten noch, und sogar als holografisches Abbild strahlte das Szenario noch eine unübersehbar angespannte Atmosphäre aus.

Auf einmal wurde eine fluktuierende Welle im Display des Wissenschaftlers erkennbar. Ein Herzrhythmus. Die Führungskreatur hob die Hand und ballte die Krallen zur Faust. Die Herzfrequenz beschleunigte. Die Gruppe schlich sich vorsichtig weiter durch den Korridor, und dem einzelnen Herzschlag gesellte sich schnell ein Chor weiterer hinzu, bis die Linien im Raster außer Rand und Band gerieten. Der Kommandeur deutete auf eine geschlossene Tür, was auffällig wirkte, hatten doch alle anderen Türen am Flur weit offen gestanden. Der Kommandeur nahm etwas von seiner Montur ab, das die Türangeln sofort auflöste. Er hängte sich die Waffe über die Schulter, packte die Türkanten und schleuderte die Holztür hinter sich, während die beiden übrigen Soldaten mit angelegten und voll geladenen Waffen vor ihn sprangen. Schreie ertönten im Raum dahinter. Die beiden Kreaturen schoben den Stapel von Tischen und Stühlen an der Tür weg und drängten sich zusammen mit dem Wissenschaftler, der vom befehlshabenden Offizier kräftig geschoben wurde, in den Raum. Vor ihm drängte sich eine kleine Gruppe Kinder um eine junge Frau, anscheinend ihre Lehrerin.

Sie alle drückten sich jetzt an die Wand gegenüber, hätten sich lieber noch weiter vor den Kreaturen verkrochen, fanden dafür aber keinen Platz. Nacktes Entsetzen stand in ihren Augen, und fast alle weinten und schrien. Sie konnten nicht älter als elf oder zwölf sein, Mittelschüler, vermutete Lucas, und die Lehrerin selbst schien das College erst vor wenigen Jahren abgeschlossen zu haben. Die Führungskreatur ging zu den Jalousien hinüber und riss sie mit einer schnellen Bewegung der Klaue von der Wand. Sonnenlicht fiel herein, und die Zerstörungswut draußen wurde sicht- und hörbar.

Der Kommandeur drehte sich zum Wissenschaftler um, blaffte etwas und deutete dann auf die zusammengedrängte Gruppe zitternder Schüler. Der Wissenschaftler blickte sie an, dann wieder seinen Kommandeur, und er stieß einige leise, kehlige Laute aus. Die beiden anderen Soldaten in der Gruppe äußerten jeweils einen Gedanken und traten vor, die Waffen auf die Menschen gerichtet, die kreischten und tiefer in die Wand zu sinken versuchten. Der Anführer knurrte die Soldaten an, und sie senkten die Waffen sofort. Er drehte sich um, griff nach der Waffe des Wissenschaftlers und zwang ihn, sie auf die geduckten Menschen zu richten. Der Wissenschaftler sah sie an, und inzwischen liefen ihnen Tränen über die Wangen. Vor Angst waren die Kinder verstummt. Es war tödlich still, abgesehen von gelegentlichen gedämpft hörbaren Explosionen draußen. Der Wissenschaftler stockte, hob das Gewehr und schwenkte es dann auf seinen befehlshabenden Offizier.

Er überraschte ihn damit, aber der Offizier reagierte schnell. Er packte die Waffe und schleuderte sie hoch, wobei sie sich entlud und ein Loch in die Decke pustete, was den Kindern abermals Schreie entlockte. Der Offizier entriss dem Wissenschaftler die Waffe und rammte ihm den Kolben in den Bauch. Die Kamera kippte nach vorn zum Boden und wandte sich gerade rechtzeitig wieder nach oben, um die Waffe herabfahren zu sehen. Alles wurde für einige wenige Sekunden schwarz, aber dann meldete sich das Bild zurück. Es war unscharf und um fünfundvierzig Grad gekippt, während der Kopf des Wissenschaftlers am Boden lag und zu den Schülern und der Lehrerin an der Wand gegenüber blickte.

Licht und Lärm erfüllten den Raum, dann brachen die Schreie ab. Der Herzmonitor zeigte nur noch flache Linien. Alles wurde schwarz.

Lucas blickte den Wissenschaftler an. Dieser gab ihm mit einem Wink zu verstehen, er solle den Blick wieder aufs Hologramm richten.

Der Wissenschaftler wurde jetzt durch den Schiffskorridor gezerrt, den er und Lucas gerade Augenblicke zuvor entlanggegangen waren. Er wurde durch eine Tür geworfen, und zwei Kreaturen fielen über ihn her und rissen ihm Stück für Stück die Panzerung herunter. Als sie damit fertig waren, schleiften sie ihn über den Boden und stießen dabei Laute aus, die vage nach Hohn klangen. Sie steckten seine Arme in zwei Handschellen an der Wand und zogen sich dann aus der Zelle zurück. Eine weiße Zwischenwand erwachte flackernd zum Leben und stabilisierte sich dann. Die Blickfeldkamera schwenkte zu einer der angeketteten Klauen hinauf und dann wieder zur Tür. Das Bild wurde schwarz.

Das Hologramm sprang erneut an, und diesmal drückte die Szene einen Zustand der Panik aus. Eintönige Sirenen warfen Echos in der Zelle, und alle paar Sekunden blinkten rote Lampen auf. Der Wissenschaftler blickte hin und her, konnte aber durch das durchscheinende Kraftfeld nichts Bedeutsames erkennen, lediglich die geschlossene Tür war eindeutig. Er hörte draußen Schritte und hektische Rufe, und auf einmal rotierte die Kammer.

Alles bebte, und das Sirenengeheul wurde stärker. Als das abstürzende Schiff am Boden aufschlug, fiel das Bild wiederum aus.

Als der Wissenschaftler zu sich kam, war das Kraftfeld abgeschaltet. Die Sirenen schwiegen, und das einzige Licht stammte von der blinkenden Notfallbeleuchtung. Alles andere schien offline. Er blickte nach rechts und sah, dass eine Handschelle aufgeplatzt war und er damit die entsprechende Klaue wieder frei hatte. Der Blick nach links offenbarte, dass die andere Klaue nach wie vor angekettet war. Erneute Schwärze.

Er kam wieder zu sich, die Holografie sprang wieder an. Die Notfallbeleuchtung blinkte nicht mehr, sondern erzeugte eine gleichmäßige Helligkeit. Er streckte den rechten Arm nach vorn aus, und er wirkte tödlich dürr, wie auch die Beine und der Rumpf, wenn er hinabblickte. Sein Blick wanderte aufwärts zu der gefesselten Klaue. Er zerrte an der Handschelle, die jedoch anders als ihr Gegenstück anscheinend nicht beschädigt worden war und auch nicht nachgab.

Der Wissenschaftler atmete schwer und dann in immer kürzeren Zügen, hob die freie Hand und rammte deren Krallen ins andere Handgelenk. Lucas wäre vermutlich zusammengezuckt, hätte er in den zurückliegenden Monaten nicht schon in Blut gebadet, was ihn für den folgenden Anblick abgestumpft hatte.