Ebersdorfer Lebensläufe Band 4 -  - E-Book

Ebersdorfer Lebensläufe Band 4 E-Book

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Beschreibung

Die Herrnhuter Brüdergemeine ist eine evangelische Kirche mit weltweit mehr als einer Million Mitgliedern. In Deutschland sind es etwa sechstausend. Bekannt wurde die Brüdergemeine durch ihre weltweite Missionstätigkeit sowie durch die seit 1731 jährlich gedruckten Herrnhuter Losungen und den Herrnhuter Adventsstern. Eine mehr als 250 Jahre alte Tradition ist das Schreiben von Lebensläufen der Mitglieder. Der - möglichst selbst verfasste - Lebenslauf wird beim Begräbnis verlesen und anschließend im Archiv aufbewahrt. So gibt es heute im Unitäts-Archiv der Brüdergemeine in Herrnhut eine Sammlung von etwa 30 000 Lebensläufen, einige weitere Tausend liegen in den Archiven der Ortsgemeinen. Das Archiv der Brüdergemeine Ebersdorf besitzt etwa 1300 Lebensläufe der in Ebersdorf verstorbenen Brüder und Schwestern. Diese Lebenslauf-Sammlungen sind in ihrer Art einmalig, denn sie geben Auskunft über das Leben einer großen Gruppe meist einfacher Menschen vergangener Jahrhunderte. Deshalb wurden Teile dieser Sammlungen verschiedentlich wissenschaftlich ausgewertet und auch immer wieder einzelne Lebensläufe veröffentlicht. Im Comeniuszentrum in Ebersdorf gibt es seit Jahren eine Veranstaltungsreihe "Wir lesen Lebensläufe". Dem Wunsch einiger Besucher, den einen oder anderen Lebenslauf schriftlich zu besitzen, soll auch mit diesem Buch entsprochen werden.

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Inhalt:

Vorwort

Einführung: Die „Herrnhuter“

1. Joseph Anton 1705 – 1785

2. Anna Anton 1712 – 1783

3. Anna Krügelstein 1713 –1778

4. Anna Maria Wagler 1717 – 1784

5. Jacob Friedrich Pelletier 1740 - 1822

6. Sophie Kohler 1747 – 1837

7. Agnes Lachenal 1769 - 1844

8. Lucas Wenck 1786 – 1859

9. Christian Samuel Kossog 1786 – 1859

10. Rosine Caroline Jäck 1794 – 1863

11. Andreas Nimschke 1797 - 1858

12. Friedrich Wilhelm Bettermann 1840 – 1913

13. Ida Klara Fuchs 1844 – 1921

14. Emil Rostig 1856 - 1911

15. Hermann Theodor Martin 1859 - 1928

16. Richard Johannes Martin 1859 - 1941

17. Otto Franz Schaffert 1893 – 1980

18. Werner Burckhardt 1901 - 1989

19. Erica Frey 1901 - 1968

20. Anna Funk 1911 – 2000

Vorwort

Eine schöne Tradition der Herrnhuter Brüdergemeine ist bis heute erhalten geblieben: Das Verfassen eines Lebenslaufs für alle Mitglieder dieser Gemeinschaft. Der – möglichst zu Lebzeiten selbst geschriebene - Lebenslauf steht im Mittelpunkt der Begräbnisfeier und wird anschließend im Archiv aufbewahrt. Da diese Tradition schon in den Anfangszeiten der Brüdergemeine begründet wurde, gibt es heute im Unitäts-Archiv in Herrnhut eine Sammlung von etwa 30000 Lebensläufen. Die einzelnen Gemeinen besitzen zum Teil eigene Archive. Im Ebersdorfer Archiv finden sich etwa 1300 Lebensläufe der in Ebersdorf verstorbenen Brüder und Schwestern. Die ältesten sind von 1750.

In früheren Jahrhunderten wurde gewöhnlich nur das Leben gekrönter Häupter und anderer bedeutender Persönlichkeiten schriftlich festgehalten. Die brüderischen Lebensläufe erhalten dadurch eine besondere Bedeutung, weil in ihnen die Lebenswege von vorwiegend einfachen Menschen, Männern ebenso wie Frauen, dargestellt sind. Aus diesem Grund wurden diese Lebensläufe schon mehrfach zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen und in verschiedenen Medien publiziert. In den Periodika der Brüdergemeine (z. B. „Nachrichten aus der Brüdergemeine“) werden seit etwa 200 Jahren regelmäßig ausgewählte Lebensbilder gedruckt. Zwischen 1818 und 1941 wurden auf diesem Wege etwa 1500 Lebensläufe veröffentlicht. In neuerer Zeit wurden von Dietrich Meyer zwei Sammelbände mit interessanten Lebensläufen herausgegeben.1 Wissenschaftliche Untersuchungen finden sich z. B. bei Christine Lost2 und Stephanie Bös3.

Die Ebersdorfer Bestände an Lebensläufen wurden in ihrer Gesamtheit bisher noch nicht erforscht. Lediglich zu bestimmten Themen wurde selektiv recherchiert (z. B. DDR-Geschichte).

Seit einigen Jahren gibt es im Comeniuszentrum Ebersdorf eine Veranstaltungsreihe „Wir lesen Lebensläufe“. An die Lesung schließen sich oft interessante Gespräche an und gelegentlich wird von Teilnehmern der Wunsch geäußert, einen Lebenslauf in schriftlicher Form zu besitzen.

Daraus entstand der Gedanke, die „Ebersdorfer Lebensläufe“ auch gedruckt herauszugeben. 2017 und 2018 erschienen die ersten beiden Sammelbände, denen nunmehr ein dritter folgt.

Die bisher anderenorts veröffentlichten brüderischen Lebensläufe wurden meist gezielt ausgewählt: nach der Bedeutung des Verfassers und des Inhaltes oder nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten. Diese Zielstellung verfolgen wir hier nicht. Das Besondere an der brüderischen Lebenslauf-Sammlung ist ja gerade, dass ganz gewöhnliche einfache Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten zu Wort kommen. Es gibt lange und kurze Lebensläufe, von gebildeten und ungebildeten Menschen verfasst. Manche Verfasser haben viel erlebt. Sie sind z. B. als Missionare bis ans Ende der Welt gereist und können entsprechend viel berichten. Andere, z. B. viele der ledigen Schwestern, haben ihr ganzes Leben in der Abgeschiedenheit des Schwesternhauses verbracht. Ihre Lebensläufe fallen meist kürzer aus und beschreiben vor allem ihre Glaubensentwicklung.

Um dieser Vielfältigkeit der Lebensgeschichten gerecht zu werden, erfolgt für dieses Buch, wie auch für die Leseabende im Comeniuszentrum, keine gezielte Auswahl der Texte. Es wird lediglich angestrebt, dass sowohl beide Geschlechter, als auch die unterschiedlichen Zeitepochen einigermaßen gleich vertreten sind.

Bei den Leseabenden hat sich gezeigt, dass die Zuhörer aus ganz unterschiedlichen Gründen Freude an den Lebensläufen haben: Für manche sind die Lebensverhältnisse in früheren Zeiten und die oft schweren Schicksale der Menschen besonders eindrücklich. Andere Hörer erfreuen sich an authentischen Einblicken in die Zeitgeschichte, gelegentlich auch in die Ortsgeschichte. Andere genießen die altertümliche Sprache und manch einem dienen die Lebensläufe als Stärkung für den eigenen Glauben.

Das Ziel dieser Veröffentlichung ist erreicht, wenn auch der Leser einen ähnlichen Gewinn daraus zieht.

1 Meyer, D.: Lebensbilder aus der Brüdergemeine, Gustav Winter Herrnhut, 2007 und 2014

2 Lost, C.: Das Leben als Lehrtext, Lebensläufe aus der Herrnhuter Brüdergemeine, Herrnhuter Verlag 2007

3 Bös, S.: Gottesacker-Geschichten als Gedächtnis. Eine Ethnographie zur Herrnhuter Erinnerungskultur am Beispiel der Neudietendorfer Lebensläufe. Waxmann Verlag, 2016

Einführung: Die „Herrnhuter“

Die Anfänge der Brüdergemeine reichen in das 15. Jahrhundert zurück und gründen sich auf den tschechischen Reformator Jan Hus. Als dieser 1415 in Konstanz sein Leben für seine Glaubensüberzeugungen lassen musste, begannen große Unruhen in Böhmen und Mähren, die zu den Hussitenkriegen 1419 bis 1434 führten. Große Teile des Volkes trennten sich zunächst von der katholischen Kirche, bevor es dann doch wieder zu einem Kompromiss mit Rom kam. Lediglich eine kleine Gruppe, die sowohl die kriegerische Gewalt der Radikalen als auch die Einigung mit Rom ablehnte, zog sich in die Wälder Ostböhmens zurück, um in einer Gemeinschaft ganz nach dem Evangelium zu leben. Als Geburtsstunde der „Unitas Fratrum“, der „Gemeinschaft von Brüdern“, gilt der 1. März 1457. Die Brüder-Unität breitete sich rasch aus und zählte Anfang des 16. Jahrhunderts in Böhmen und Mähren etwa 100 000 Mitglieder.

Die Bibel wurde ins Tschechische übersetzt, eine vorbildliche Gemeindeordnung wurde entwickelt, und es entstanden viele Lieder, die zum Teil heute noch gesungen werden. Im Zuge der Gegenreformation wurde die Brüder-Unität dann nahezu ausgelöscht; wenige Familien hielten sich im Stillen noch zu ihr, viele waren geflohen, vor allem nach Polen und Ungarn. Der letzte Bischof der Böhmischen Brüder, der vor allem als Pädagoge berühmte Johann Amos Comenius (1592-1670) bemühte sich vergeblich um die gleichberechtigte Anerkennung der Brüder-Unität im Westfälischen Frieden.

Erst Anfang des 18. Jahrhunderts eröffnete sich für einen Teil der heimlich Evangelischen in Böhmen und Mähren der Weg zu einem Neuanfang. Unter dem Einfluss des deutschen Pietismus wanderten kleine Gruppen aus und fanden in Sachsen und Preußen eine neue Heimat. Einige siedelten sich auf einem Landgut des jungen Grafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf an.

1722 wurde der erste Baum zum Anlegen einer Siedlung nahe Berthelsdorf in der Oberlausitz gefällt. Dieser Ort erhielt den Namen Herrnhut, denn die Bewohner wollten sich bewusst „unter des Herrn Hut“ stellen. In wenigen Jahren entstand eine Siedlung, die unter der inspirierenden Leitung des Grafen Zinzendorf stand und zu einer geistlichen Gemeinschaft zusammenwuchs, in der man Glauben und Alltagsleben miteinander verband. Auch Gläubige aus deutschen und anderen europäischen Ländern, die im Konflikt mit ihren Kirchen standen, suchten in Herrnhut eine neue geistliche Heimat. Als eigentlicher Beginn dieser „Erneuerten Brüder-Unität“ gilt der 13.

August 1727. Nachdem die tiefgreifenden Spannungen unter den Siedlern beigelegt werden konnten, wurde bei einer Abendmahlsfeier in der Kirche in Berthelsdorf die geistliche Einheit in überwältigender Weise erlebt. Die Orts-Satzung, die man sich gab, orientierte sich weitgehend an den Statuten der Unitas Fratrum. Die Zahl der Mitglieder wuchs in den darauf folgenden Jahren auf einige Hundert. Es entstanden weitere Ansiedlungen in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Weltweit bekannt wurden die Herrnhuter durch ihre Missionstätigkeit. Bereits 1732 gingen die beiden ersten Missionare aus Herrnhut auf die Karibikinsel St. Thomas.

Weitere Sendboten folgten innerhalb weniger Jahre nach Grönland, Südafrika und Surinam in Südamerika. Herrnhuter Missionare waren mit unterschiedlichem Erfolg auf allen fünf Erdteilen tätig und machten die Brüdergemeine zu einer weltweiten Kirche.

Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf, der schon als Jugendlicher beschlossen hatte, sein Leben ganz in den Dienst Jesus Christus’ zu stellen, fand in der Herrnhuter Brüdergemeine seine Lebensaufgabe und prägte diese Glaubensgemeinschaft maßgeblich. Er nahm große persönliche Entbehrungen auf sich, wurde angefeindet und zeitweise aus Sachsen verbannt. In dieser Zeit zog er mit seinen Getreuen, der „Pilgergemeine“, durch Deutschland und Europa.

Heute sind die Herrnhuter eine ganz „normale“ evangelische Freikirche. Viele der Besonderheiten und das meiste der typischen Lebensform aus den Anfangsjahren sind verloren gegangen. Die Gemeinschaft ist unter dem Namen „Evangelische Brüdergemeine“, aber auch als „Herrnhuter Brüdergemeine“, „Mährische Kirche“ oder „Moravian Church“ bekannt. Die in den Gründungsjahren übliche Schreibweise „Gemeine“ – ohne „d“ – ist heute Bestandteil des amtlichen Namens, im allgemeinen Sprachgebrauch sind beide Formen anzutreffen.

Für das Verständnis der Lebensläufe sind einige Erläuterungen nützlich: Männer und Frauen der Gemeine werden Brüder und Schwestern genannt, ohne dass damit ein besonderer geistlicher Stand verbunden ist. „Bruder“ und „Schwester“ ist auch die heute noch übliche Anrede, gewöhnlich in Verbindung mit dem Familiennamen. In der Schriftform verwendet man meist die Abkürzungen Br. und Schw. Mehrere Mitglieder der Gemeine unterschiedlichen Geschlechts bezeichnet man als Geschwister (Geschw.), auch wenn es sich um ein Ehepaar handelt. (Mit Geschwister Meiers ist also gewöhnlich das Ehepaar Meier gemeint.)

Eine typische Besonderheit der Brüdergemeine ist die Einteilung der Gemein-Mitglieder in die sogenannten „Chöre“. ( „das Chor“ – als Bezeichnung für eine Gruppe Personen mit ähnlichen Bedingungen und Interessen.)

Diese Einteilung gibt es heute noch, sie war früher aber noch sehr viel ausgeprägter. In der Brüdergemeine richtet sich die Chorzugehörigkeit nach Geschlecht, Alter und Familienstand. Es gibt also das Chor der ledigen Schwestern (alle unverheirateten Frauen), das Chor der ledigen Brüder (alle unverheirateten Männer), das Ehechor (verheiratete Männer und Frauen), das Witwenchor und das Witwerchor. Die Kinder und Jugendlichen wurden früher, als es sie noch in größerer Anzahl gab, außer nach dem Geschlecht auch nach dem Alter einem entsprechenden Chor zugeordnet: Knäblein, Knaben, Jünglinge, Mädchen, große Mädchen, Jungfern. Der Gedanke, der dahinter steckt, ist, dass sich Menschen mit ähnlichen Lebensumständen auch am besten verstehen und sich Beistand in weltlichen und geistlichen Dingen geben können. Die Chöre wurden jeweils von einem Chor-Helfer oder einer Chor-Helferin betreut. Die Leitung der Gemeine oder eines Chores war keine abgehobene Stellung.

Man blieb stets „Bruder unter Brüdern“ bzw. „Schwester unter Schwestern“. Das kommt auch in den Bezeichnungen „Helfer“, „Diener“ oder „Arbeiter“ zum Ausdruck.

Die einzelnen Chöre führten früher ein weitestgehend in sich geschlossenes Leben. Sie bildeten eine geistliche Gemeinschaft und einige Chöre auch eine selbständige wirtschaftliche Einheit.

So lebten, wohnten und arbeiteten die unverheirateten Männer und Frauen jeweils in eigenen Häusern: dem Brüderhaus und dem Schwesternhaus. Auch die Witwen lebten separat im Witwenhaus. Das Leben im Chorhaus war durch Arbeit und die täglichen Versammlungen geregelt. Die Brüder waren meistens Handwerker. Die Schwestern verdienten sich ihren Lebensunterhalt hauptsächlich mit Handarbeiten: Spinnen, Weben, Stricken, Sticken...

Bei den Herrnhutern war es über lange Zeit üblich, alle wichtigen Entscheidungen - insbesondere solche, deren Ausgang nicht vorhersehbar war – durch das Los zu treffen, in der Überzeugung, dass Gott auf diese Weise unmittelbar Einfluss nehmen kann.

Das Los wurde vor allem bei Personalentscheidungen zu Rate gezogen: Besetzung von Ämtern, Eheschließungen, Aussendung von Missionaren usw. Auch die in den Lebensläufen häufig erwähnte Aufnahme in die Gemeine und die erstmalige Zulassung zum Abendmahl wurden durch das Los entschieden.

Bei negativem Ausgang konnte in diesen Fällen aber in entsprechenden zeitlichen Abständen die Losbefragung mehrmals wiederholt werden. Deshalb mussten manche Brüder und Schwestern so lange auf die Aufnahme bzw. das erste Abendmahl warten.

Die Wegweisung durch das Los spielte über lange Zeit auch für persönliche Entscheidungen eine wichtige Rolle. Man schlug sich selbst ein Los, indem man z. B. einen durch zufälliges Aufschlagen der Bibel erhaltenen Text entsprechend interpretierte. Eine große Bedeutung wurden auch die mit einem persönlichen Ereignis verbundenen Texte aus dem Losungsbuch der Brüdergemeine zugemessen. Diese in den Lebensläufen häufig erwähnten (Herrnhuter) Losungen gibt es auch heute noch. Sie werden seit 1731 ohne Unterbrechung heraus gegeben, inzwischen in Millionenauflage und in 50 Sprachen übersetzt.

Das Losungsbuch enthält für jeden Tag des Jahres ein ausgelostes Wort aus dem Alten Testament, ergänzt durch ein Wort aus dem Neuen Testament und einen Liedvers oder ein Gebet.

In den frühen Lebensläufen finden sich oft recht schwärmerische Bezeichnungen für Jesus: „mein bester Freund“, “Geliebter“, „Herzens-Bräutigam“, „mein Mann“. Das entspricht den Gepflogenheiten der damaligen Zeit, zeigt aber auch das innige Verhältnis zum Heiland.

Wenn vom „Heimgehen“ oder dem „Heimgang“ die Rede ist, so ist damit das Sterben gemeint, das für einen gläubigen Christen ja nicht das Ende bedeutet, sondern das Hinübergehen in Gottes Reich, die ewige Heimat.

1. Joseph Anton 1705 – 1785

Lebenslauf von Bruder Joseph Anton, so wie selbiger nach seiner Erzählung ist aufgezeichnet worden.

Ich bin geboren den Februar 1705 zu Stechau in Böhmen. Bei meinen heranwachsenden Jahren lernte ich bei meinem Vater die Stricker-Profession, und wurde in der katholischen Kirche erzogen, wo mir die Sätze in den Büchern, die bei der Messe pflegten gebraucht zu werden, von des Heilands Leiden am liebsten und am eindrücklichsten waren.

In den folgenden Jahren wurde ich unruhig und um meine Seligkeit bekümmert. Zu dem Ende ging ich in meinem 20. Jahr mit meiner Mutter und 2 Schwestern aus Böhmen heraus, und wir kamen auch glücklich durch und nach Zittau. Einige Tage nach uns ging wieder eine Gesellschaft aus, die aber aufgefangen wurde.

In Zittau ging ich in den Unterricht zu dem dortigen böhmischen Prediger, bis dass ich zum Heiligen Abendmahl gelassen wurde.

Ich hatte mir hier das Neue Testament angeschaut, worin ich fleißig las, doch aber bei den Leuten da nicht fand, was ich suchte, weil ich glaubte fromme und gute Christen in Sachsen anzutreffen.

Zu der Zeit fügte sich`s, dass der selige Graf von Zinzendorf zu dem seligen Polycarpus Müller (nachmaligen Bischof der Brüderkirche) auf einen Besuch kam, und als beim Wegfahren ein Auflauf in der Stadt wurde und der Wagen worin der selige Graf war, mit Kot beschmissen wurde, bis derselbe zur Stadt hinaus war, so erkundigte ich mich, was das sei und kriegte zur Antwort, der Graf Zinzendorf wäre ein Piätist und darum wäre er so behandelt worden.

Da ich nun in Zittau das nicht fand, was ich suchte, so dachte ich, vielleicht sind das die Leute, die ich suche, wobei mir der Spruch mit Nachdruck auf mein Herz fiel: Alle die gottselig leben wollen in in Christo Jesu müssen Verfolgung leiden.

Das bewog mich einen Besuch nach Hennersdorf zu machen, wo der selige Liberta als böhmischer Prediger stand, und wo ich nachdem mehrmalen besuchte, da dieser einstmalen des Sonntags Nachmittag die Wiederholungsstunde hielt,so kam der selige Graf hinein, und sagte die Worte: So wie wir im Lichte wandeln, so haben wir Gemeinschaft mit Gott. Und das Blut Jesu Christi macht uns rein von allen Sünden. Dieses machte einen tiefen Eindruck auf mein Herz. Insonderheit aber wurde ich bei einer Predigt des Herrn Lieberta über das Evangelium vom reichen Mann kräftig gerührt und kam gründlich zum Nachdenken über mich, weil er unter anderem sagte: Liebe Seelen! Der Reichtum an irdischen Gütern verdammt niemand, aber die Anhänglichkeit daran und wenn es noch so gering wäre, das führt zur Unordnung. Da ich mir dessen bewusst war, so ging mir dieses tief ins Herz und ich war sehr bekümmert ums Seligwerden. Weil ich einen ziemlich guten Dienst in Zittau hatte, und viel Geld dabei verdiente, so verursachte dieses eben angeführte, dass ich solches wegschenkte, um ganz von dem Irdischen los zu kommen. Zu dieser Zeit fing ich an, in Herrnhut zu besuchen. Der selige Bruder Grasmann war der erste Bruder, der mich über mein Gesuch fragte. Ich gab ihm zur Antwort: Ich will meine Seele retten, das ist mein Anliegen. Der selige Bruder wies mich in herzlicher Liebe zum Heiland.

Hierauf brachte ich meine Mutter zum Wohnen nach Herrnhut, die auch daselbst heimgegangen ist. Im Jahr 1729 im Oktober kam ich ihr nach Herrnhut nach. Nun brachte mich der heilige Geist immer mehr auf mein Herz. Da ich einmal alleine war, und dem lieben Heiland mein Sündenelend klagte, so wurde ich so getröstet, dass es in meinem Herzen hieß: Dir sind deine Sünden vergeben. Ich ging viele Tage mit Weinen hin, so dass ich mich bis jetzo nicht genug über die Barmherzigkeit und Treue des lieben Heilands auszudrücken weiß. Denn von meinem Gang kann ich kein Rühmens machen, sondern seine Gnade um Erbarmung ist es allein, die mich durchgebracht hat, dafür werde ich Ihm noch als ein armer Sünder in der Ewigkeit danken, und Ihm seine durchbohrten Füße küssen. Im Jahr 1731 wurde ich in die Gemeine aufgenommen und gelangte 1732 mit derselben zum Genuss des heiligen Abendmahls.

In den folgenden Jahren wurde ich in dem damaligen Waisenhause als Aufseher bei den Kindern gebraucht, welchen Dienst ich an die 5 Jahre versehen habe, und mich daneben aufs Weberhandwerk legte.

Soweit nach seiner eigenen Erzählung.

Anno 1738 verheiratete er sich mit seiner seligen Frau, geborene Haberlandin, die im Jahr 1783 allhier selig entschlafen ist,welche Ehe mit 8 Kindern gesegnet worden, wovon nur noch 1 Sohn am Leben ist, und sich in hiesiger Gemeine befindet. Nach einem halben Jahr zogen sie miteinander nach Pilgerruh im Hollsteinischen, und blieben ungefähr 3 Jahre da, bis sie wieder nach Herrnhut kamen. Sie wohnten daselbst etliche Jahre bis in ihrem Gange solche Umstände vorkamen, dass sie sich des Wohnens in der Gemeine verlustig machten. Sie zogen darauf miteinander nach Berlin, woselbst sie 4 Jahre wohnten, und hielten sich zu den dortigen Geschwistern, besuchten auch die Versammlungen fleißig, aber dass sie nicht als Gemeinglieder anzusehen waren, und das heilige Abendmahl in der Gemeine nicht mit genießen durften, wurde ihnen unausstehlich. Er schrieb dafür nach Herrnhut, und bat flehentlich um Wiederannahme, die ihnen auch zu ihrer großen Freude gewährt wurde.

Sie kamen also wieder nach Herrnhut zum Wohnen, wurden nach 2 Jahren anno 1749 auf den Herrnhaag versetzt, wo sie bis anno 1751 geblieben sind, als die dortige Gemeine auseinander ging, so bekamen sie ein Plätzchen hier in Ebersdorf.

Von dem hiesigen Gange des Bruders kann man sagen, dass der Heiland sein Hirt und sein Anliegen war, mit ihm in ununterbrochener Gemeinschaft zu sein. Die Versammlungen besuchte er fleißig, und sie waren ihm immer zum besonderen Segen. Er handelte treu nach seiner Erkenntnis, und war auch sehr besorgt, dass sein Sohn für den Heiland gedeihen möchte.

Den vorigen Winter hindurch griff ihn ein anhaltender Husten so an, dass seine Kräfte sehr geschwächt wurden, und man schon an Ostern sein Ende vermutete. Seit 14 Tagen nahm seine Schwäche immer mehr zu. Er war dabei geduldig, mit seinem Herzen auf den Heiland gerichtet, und voll Verlangen, bald zu ihm zu kommen. Sein letztes Chorabendmahl, das er am 31.

August genoss, war ihm sehr gesegnet. Er dankte dem Heiland dafür, dass ihm seine Schmerzen erträglich waren. Den 15.

September abends empfing er auf sein Verlangen den Segen zum Heimgang, und den 16. nach 2 Uhr nachmittags nahm ihn der Heiland durch ein sanftes Ende zu sich, nachdem er 80 Jahre, 6 Monate und 23 Tage in diesem Leben zugebracht hatte. ( 1785)

2. Anna Anton 1712 – 1783

Unsere selige Schwester Anna Antonin geborene Haberlandin hat von ihrem Gang durch diese Zeit nichts Eigenhändiges hinterlassen, daher man nur folgendes Wenige von ihr ausführen kann:

Sie ist geboren zu Senftleben in Mähren den 25. Januar 1712 und in der katholischen Religion erzogen. Sie verließ anno 1728 zu Ostern mit ihren lieben Eltern ihr Vaterland und kam mit denselben nach Herrnhut. Sie ging viele Jahre ohne ein wahres Gefühl von ihrem Sündenelend und vom Heiland zu haben, hin.

Sie war eine von den 18 Schwestern, welche 1730 den ersten Jungfrauenbund miteinander machten. 1738 trat sie in Herrnhut mit ihrem lieben Mann, dem nunmehrigen Witwer, Bruder Joseph Anton, in die heilige Ehe, welche Gott mit 8 Kindern segnete, davon nur noch 1 Sohn am Leben und in hiesiger Gemeine ist. 1738 gelangte sie mit der Gemeine zum Heiligen Abendmahl, von welcher Zeit an die Gnadenarbeit des heiligen Geistes an ihrem Herzen merklicher wurde. Nach einem halben Jahr zog sie mit ihrem lieben Mann nach Pilgerruh, wo sie ungefähr 3 Jahre blieben, und dann wieder nach Herrnhut kamen. Sie wohnten daselbst etliche Jahre, bis in ihrem Gang solche Umstände vorkamen, die sie der Gemeine verlustig machten, worauf sie miteinander nach Berlin zogen, und 4 Jahre daselbst wohnten. Sie hielten sich zwar zu den dortigen Geschwistern, und besuchten fleißig die Versammlungen, aber dass sie sich nicht als Gemeinmitglieder ansehen konnten, und das Heilige Abendmahl in der Gemeine nicht mit genießen durften, wurde ihnen unausstehlich.

Ihr Mann schrieb daher nach Herrnhut und bat flehentlich um Wiederannahme daselbst, die ihnen auch zu ihrer großen Freude gewährt wurde. Sie kamen also wieder nach Herrnhut zum Wohnen, wurden aber nach 2 Jahren 1749 auf den Herrnhaag versetzt, wo sie bis 1751 blieben. Als die dortige Gemeine auseinander ging, wurde ihnen hier in Ebersdorf ihr Wohnplätzchen angewiesen.

Von ihrem beiderseitigen Ehegang bezeugt ihr lieber Mann, dass Mangel an wahrer Herzensharmonie denselben zwar öfters schwer gemacht, und dass sie das Vergnügen miteinander nicht gehabt, das ihnen der Heiland zugedacht hatte, indessen habe er doch immer durchgeholfen, und die letzte Zeit, besonders in ihrer Krankheit wären sie so in Liebe zusammengeflossen, als vorher noch nie. Der Heiland habe ihnen beiden vergeben und ihre Herzen reichlich getröstet.

Von ihrer Chorhelferin wird noch folgendes hinzugetan: Man muss ihr das Zeugnis geben, ob sie gleich eine raue Naturart hatte, sie doch im Herzen eine arme Sünderin war, und den Heiland zärtlich liebte. Den Geschwistern diente sie gern, wo sie konnte, liebte und wurde wieder geliebt. Seit etlichen Monaten klagte sie über große Schwäche, weshalb sie auch nicht mehr ausging, doch war sie am 14. Juni noch beim Heiligen Abendmahl auf dem Saal. Ihr munterer Geist erhielt sie noch immer außer dem Bette, aber am 15. Juli merkte sie eine merkliche Abnahme ihrer Kräfte, und wünschte, dass sich ihr lieber Heiland erbarmen und ihrer Not ein Ende machen möchte.

Wenn man sie damit tröstete, dass Er dieses zu der von Ihm bestimmten Stunde gewiss tun werde, so war sie wieder still und dem Willen des Heilands überlassen. Noch an demselben Abend bekam sie einen Anfall von einem Stockfluss und dachte, sie würde nun bald heimgehen, weshalb sie sich mit ihrem lieben Mann und Sohn aufs zärtlichste verabschiedete und Letzteren ihren mütterlichen Segen erteilte, mit Bitte, sich ja fest am lieben Heiland zu halten und ihm treu zu bleiben.

Ihr Stündlein war aber noch nicht gekommen. Am folgenden Tag hielt sie mit ihrem lieben Mann manche reelle und bandenmäßige Unterredungen über ihren beiderseitigen Gang miteinander in ihrer Ehe, und sie baten einander unter vielen Tränen über alles, was wider Jesu Sinn gehandelt gewesen, um Vergebung. Und das wiederholte sie in den folgenden Tagen mehrmals, war auch für alle ihr in der Krankheit erwiesene Liebe besonders dankbar. Am 8. in der Nacht bekam sie einen Anfall von Blutspeien und schwerem Atemholen, wobei ihr die Wartezeit in dem Jammertal zu lange dauerte, sie gab sich aber wieder zufrieden und sagte zu den Umstehenden: Helft mir`s nur erbitten, dass ich als ein geduldiges Kind aushalten möge. Ihr kennt ja mein Herz, dass der Heiland meine Hauptsache ist; Er hat mich als eine arme Sünderin aus Gnaden selig gemacht. Es liebt mich mehr mein Jesu Christ, als äußerlich zu sehen ist.

Ihr munterer Geist war immer mit dem lieben Heiland beschäftigt, und ihr Mund ging bei aller Schwäche immer davon über.

In den folgenden Tagen schien es, als wenn es sich mit ihrem Ende noch eine Weile verziehen könnte, aber am 11. in der Nacht wurde man eine Veränderung an ihr gewahr. Sie ließ ihren Mann und Sohn wecken, bat sie eine Liturgie zu halten und stimmte selber mit ein. Sie streckte ihre Hände nach dem Heiland aus, übergab sich Ihm, und verabschiedete sich nochmals unter vielen Tränen mit ihrem Mann und Sohn. Ersterem dankte sie für alles, was er an ihr getan, und ermahnte Letzteren beim Heiland zu bleiben, seinen alten Vater zu pflegen und seinen Brüdern gehorsam zu sein.

Am 12. als am Abendmahlstag der Gemeine, bezeigte sie ein großes Verlangen nach dem sakramentlichen Genuss des Leibes und Blutes Jesu im Heiligen Abendmahl, welchen sie auch nach ihrem Begehren noch denselben Abend bekommen sollte. Sie ließ sich dazu im Bett rein anziehen, und als alles fertig war, sagte sie: Hier liegt die Braut!

Bald darauf wurde die Beängstigung auf der Brust stärker, und während dem Blasen zum Heiligen Abendmahl trat der selige Moment ein, da sie in Jesu Arm und Schoß entfliegt und mit Ihm in den Hochzeitssaal zu dem großen Abendmahl einging. Ihre Wallfahrt durch die Zeit hat gewährt 71 Jahr und 5 Monate (1783).

3. Anna Krügelstein4 1713 -1778

Ich bin geboren den 10. Juli 1713 in Zauchtenthal in Mähren (heute Suchdol nad Odrou), in großer Armut meiner Eltern. Meine Mutter hatte nicht einmal die nötige Handreichung, und weil es ihr sehr hart ging, so war ich ein kränkliches Kind und hatte was Melancholisches, so dass mich niemand achtete, und man mich gerne hätte sterben sehen.

Aus Mangel einer Handreichung musste meine Mutter das Gras für ihr Vieh selber suchen, und mich immer mit tragen, und da traf sich’s Anno 1714 einmal, dass, als ich bei einem Baum lag, ein Wolf kam, sich zu mir stellte und mich beroch. Meiner Mutter wurde auf einmal bange, sich nach ihrem Kinde umzusehen, wurde das Tier bei mir stehend gewahr, lief also herzu, und der Wolf trat ein paar Schritt zurück, dass sie mich nehmen konnte.

Die Eltern nahmen ihr armes Kind als ein neues Geschenk von Gott an, weinten und dankten ihm dafür, denn sie waren beide gottesfürchtig. Und weil sie mich von meiner Geburt an als ein Gnadengeschenk Gottes ansahen, wollten sie mich auch ganz nach seinem Sinn aufziehen, weinten und beteten daher fleißig über mich.

In meinem fünften Jahr hörte ich meinen Vater in der Bibel vom Falle Adams lesen. Das ging mir sehr zu Herzen, dass wir armen Menschen ohne Gott wären, und kam eine große Bekümmernis, wie ich doch wieder mit ihm in Gemeinschaft kommen könnte.

Da nahm der heilige Geist mich, sein armes Kind, in eine besondere Pflege und sprach mir zu, ich sollte mich nicht vor Gott fürchten, sondern getrost zu ihm gehen, ihm mein Anliegen sagen und ihn um alles bitten. Er würde mir’s geben, denn er habe die Menschen sehr lieb und würde mich auch so machen, dass ich ihn lieben und nach seinem Willen leben könnte. Und so würde ich auch gewiss zu ihm kommen.

Von dem an konnte ich recht herzvertraulich mit Gott umgehen und ihm alles klagen. Er war mein lieber Gott, mein bester und treuester Freund, der mich in allem erhörte, und mich bald fühlen ließ, wenn ich nicht auf der rechten Spur war, und so bewahrte er mich vor tausend Gefahren.

Anno 1724 war die Erweckung unter den Kindern in Mähren. Da hörte ich, man müsste ein neues Herz haben, wenn man selig werden wollte und das könnte nur der liebe Gott geben. Da ging ein neuer Kummer an. Ich sah, dass mir das fehlte und ich noch nicht aus Gott geboren sei. Ich weinte sehr darüber und meine Verlegenheit nahm immer mehr zu. Ich kriegte auch wohl Hoffnung, dass ich das neue Leben aus Gott haben sollte, fühlte mich aber zu schlecht dazu.

In eben diesem Jahre war ich in großer Gefahr. Der Feind meiner Seele suchte mich mit List zu verführen durch eine schlechte Magd, die wir im Hause hatten und die in allerlei Versündigungen geraten war. Aber auch das misslang ihm, denn der treue Heiland hielt sein Versprechen, mir durchzuhelfen. Und von da an hatte ich eine Furcht vor der Sünde, und entdeckte meinen Eltern alles. Das neue Herz fehlte aber immer noch und ich weinte und betete solange danach, bis der Heiland mein sehnliches Verlangen erhörte und mir die Gewissheit seiner Gnade und die Vergebung meiner Sünden in seinem Blute ins Herz schenkte. Nun suchte ich mir auch Gespielinnen, denen ich’s erzählen konnte, und der Heiland schenkte mir acht, die meines Sinnes waren. Mit denen hielt ich oft niedliche Gesellschaften und wir weinten und beteten in hohlen Wegen, wo uns niemand störte. Die meisten gingen wohl wieder davon. Sie kamen aber doch zum Teil zur Gemeine. Anno 1727 kam die schon lange wütende Verfolgung aufs höchste, und es mussten in der Marterwoche alle der katholischen Religion zuschwören.

Meine Mutter, die ein treues Herz gegen den Heiland hatte, wollte und konnte nicht schwören, sondern erwartete, was ihr begegnen würde. Weil sie sich eben in gesegneten Umständen befand, so gab man ihr solange Zeit dazu, bis sie entbunden wäre, und ihren Kirchgang gehalten hätte, und glaubten schon, sie gewiss gewonnen zu haben. Sobald das aber geschehen war, dachte sie, nun wäre es Zeit fortzugehen. Und weil sie damals keinen treuen Freund hatte, so überlegte sie alles mit mir, weil sie mich für die Zuverlässigste hielt, und fragte mich zugleich, ob ich mit ihr gehen wollte. Ich war gleich willig dazu. Sie aber machte mir allerlei Bedenken, unter andern auch, dass der Vater nicht mitgehen wolle. Jedoch das Verlangen, selig zu sein, ging über alle Schwierigkeiten, die sie mir in den Weg legte. Und da sie das sah, versprach sie mir, mich mit zu nehmen. Mein sehr liebender Vater fragte mich, ob ich es über mein Herz bringen könnte, ihn zugleich mit der Mutter zu verlassen. Ich sollte sie doch bereden, um noch die Erntezeit abzuwarten, dann wollte er auch mitgehen. Ich antwortete: Wir gehen auf Wasser und Brot aus, und das wird uns der liebe Gott geben. Und Ihr bleibt so lange hier und genießt das Gute, bis es Euch auch so wird, uns nachzufolgen. Da weinte der arme Vater gar sehr und sagte: Ach Gott, da soll ich auf einmal von meiner Frau geschieden werden, die ich, solange wir beisammen sind, so zärtlich geliebt, und sie mich. Und du mein Kind weißt auch, wie sehr ich dich liebe. Ich habe dich 13 Jahre halb tot gehabt, und nun, da du gesund und auf den Beinen bist, willst du mich verlassen. Ich bat ihn aber, zufrieden zu sein, und sagte, das sei alles wahr, und ich wüsste, wie sehr er mich liebe. Ich könnte ihn auch versichern, es geschähe von uns nicht aus Mangel der Liebe, sondern aus Drang des Herzens, unsre Seele zu retten. Und so gingen wir auseinander.

Der Heiland fügte es aber, dass in derselben Nacht meiner Mutter ältester Bruder Johann Nitschmann von Herrnhut kam. Als ihm mein Vater unser Vorhaben erzählte, sagte er: Meine Schwester versteht das nicht, sie kann ohne dich nicht bei uns sein. Und als er das hörte, resolvierte er, mit uns zu gehen, wenn sein Schwager auf der Reise bei uns bleiben wollte. Er baute daher zu diesem Zweck einen großen Frachtwagen, und um allen Verdacht zu vermeiden, sagte er jedermann, er wolle den Wagen auf der Straße halten und sich sein Brot auf die Weise versuchen zu verdienen, weil sein Feld jetzt in gutem Stande sei. Dadurch machte er alle Leute sicher, und auch sogar seine Mutter, die sonst alles würde angewandt haben, unser Vorhaben zu hindern.

Wir gingen also am 23. Juni 1727 abends um 10 Uhr aus unserm Haus und Vaterland fort. Beim Herausfahren sang ich mir den Vers: „Selig ist der Tag, an dem ich scheide und mein Vaterland meide und mich begebe ins Elend. Der Herr wird mein Geleitsmann sein und mich schützen durch seinen Engel, der aller Gläubigen Beschützer ist.“

Vorher aber besuchte ich noch einmal meinen Vetter David Nitschmann, der in Kunwalde gefangen saß, und den ich in der Woche etliche Mal besuchte und ihm brachte, was er nötig hatte.

Ich erzählte ihm unser Vorhaben und nahm in diesem Leben den letzten beweglichen Abschied von ihm. Er empfahl mich mit gerührtem Herzen und unter vielen Tränen dem Herrn, erteilte mir den Segen zu einer Magd Christi und sagte zuletzt: „Ich bin gewiss, es wird geschehen, ich werde dich einmal unter der Zahl beim Herrn finden.“ Das Gefühl dabei kann ich nicht beschreiben. Dieser liebe Mann Gottes, der in prophetischem Geiste vieles voraus gesehen, versicherte mich, er sei es gewiss, wir würden wohlbehalten in Herrnhut ankommen, doch nicht ohne Gefahr und Schwierigkeiten. Er setzte aber hinzu: „Seid nur getrost. Der Heiland ist bei euch und euer Führer!“ Und so ging ich glaubensvoll von ihm. Es trat alles ein, wie er mir gesagt, denn gleich die erste Nacht und den darauf folgenden Tag waren wir dreimal in Lebensgefahr, entweder im Wasser zu ertrinken, oder vor Durst in der schmachtenden Hitze im Röpnitzer Wald zu sterben. Als wir nahe bei Landshut (heute Lanžhot) kamen, ging mein Onkel voraus in die Stadt zu einem Prediger. Weil es aber eben Jahrmarkt war, konnte man ohne Pass nicht hinein kommen. Noch ehe er wieder zurück kam, begegnet uns ein Mann, der uns zu wiederholten Malen recht angelegentlich bat, nicht in die Stadt zu gehen, und sagte zu meinem Vater: „Lieber Schwager, fahren Sie um Gottes Willen nicht mit den Kindern in die Stadt, sie schütten Ihnen alle Sachen auf die Gasse, und Sie sind verloren und werden gefangen gesetzt. Ich will Ihnen einen andern Weg weisen, der in ein Dorf im Tal geht, und da können Sie bei den Bleichen die Nacht bleiben.“ Ich kann nicht sagen, wie mir noch ist, wenn ich mir den Mann vorstelle. Er sah wie ein Engel Gottes aus. Es war auch wirklich so, wie es uns dieser Greis beschrieben hatte, welches wir von meinem Onkel erfuhren, der den andern Morgen früh wieder zu uns kam und sehr geängstet worden. Die Freude über seine Zurückkunft war sehr groß und wir alle dankten dem lieben Gott mit Tränen dafür. In dieser ängstlichen Nacht stellte mein Vater der Mutter vor, er könnte nicht weiter gehen und sie sollte sich resolvieren, mit ihm wieder nach Mähren zurück zu gehen. Ich redete darüber recht vertraulich mit meinem Gott aus, erinnerte mich dabei, was mein Vetter im Gefängnis gesagt hatte, und da wurde mirs im Herzen so: Wenn auch meine Eltern wieder zurück gehen, so will ich mich doch fortbetteln und entweder nach Friedensdorf oder Hirschberg zu fragen. Inzwischen reisten wir weiter und verbrachten die Nacht in Peterswalde bei einem Gärtner. Hier träumte mir, ich wäre in einen Ort gekommen, da Kinder Gottes wären, und dass mir ein Mädchen entgegen käme, das mich fragte, was ich wollte. Ich antwortete: Ich will gerne selig werden und bin doch so voller Sünde. Ach, sagte sie, komm nur mit mir.

Ich will dich zu einem Mann bringen, der wird dir sagen, wie du selig werden kannst. Darüber wachte ich auf und bat den lieben Gott, diesen Traum bei mir wahr zu machen. Den folgenden Morgen setzten wir unsere Reise fort, blieben aber aus Furcht nicht auf der großen Straße. Unweit Steindörfel kam ein Mann vom Felde auf uns zu, er kannte uns gleich an, wer wir wären, redete uns sehr freundlich an und erbot sich unser Bote zu sein, weil er schon manche von unsern Leuten nach Friedensdorf gebracht habe. Er schickte auch unsern bisherigen Boten, der ohnedem den Weg nicht recht wusste und sehr ängstlich war, weil uns die Leute alle erkannten, fort, welcher auch sehr gerne zurück ging. Als uns dieser Mann in seinen Ort gebracht hatte, ging er von Haus zu Haus und wo er nur jemand stehen sah, und besprach sich mit ihnen über uns. Ja, des andern Morgens redete er sogar mit dem Wirte, wo wir fütterten, ab, dass er nach dem Straßen-Bereiter schicke, der uns nachsetzen und gefänglich einbringen sollte. Diese fürchterliche Nachricht sagte er uns mitten in einem Walde, und als ihn mein Vater darüber zur Rede stellte, antwortete er, das sei gleichviel, er habe nicht anders gekonnt und es sagen müssen. Er wies uns auch noch einen hohen Berg, auf den wir hinauf müssten, von welchem wir nachmalen gehört, dass auf demselben ein Kloster sei und dass schon gar mancher, der dahin gebracht worden, sein Grab allda gefunden. In dieser großen Angst, da wir sahen, dass wir in verräterischen und mörderischen Händen waren, mussten wir noch drei ganze Stunden fahren, als auf einmal ein Mann von seiner Wiese auf uns zukam und fragte, wo wir hin wollten. Wir sagten: „Nach Friedensdorf!“ „Ei“, sagte er, „warum fahrt ihn dann hier. Seht, dort liegt es zur linken Hand! Und nun lauft ihr nur alle, was ihr könnt. Den Wagen will ich euch schon nachführen. Und wenn ihr dort über das Bächlein hinüber sein werdet, alsdann setzt euch erst nieder; da ist schon Sächsischer Grund und Boden.“ Und so entkamen wir auch dieser Not, und der Bösewicht hatte seinen Zweck nicht erreicht. Ja, noch in Friedensdorf hatten wir viel Mühe, uns von ihm los zu machen und er wendete alles an, uns zu guter Letzt noch zu bestehlen.

Da er aber sah, dass wir die ganze Nacht durchwachten und dass alle seine angewandte Kunst vergeblich war, so ging er endlich wieder zurück. Unser Schutzengel war der Hofschuster auf Friedensdorf.

Des andern Tages reisten wir froh und dankbar gegen den Heiland, dass er uns so wunderbarlich in Sicherheit gebracht, weiter und kamen am 2. Juli glücklich, gesund und vergnügt in Berthelsdorf an. Wie uns dabei zumute war, ist nicht zu beschreiben.

Noch denselben Abend kam die liebe Anna Helene Nitschmann mit noch etlichen Geschwistern zu uns, bewillkommneten uns, grüßten uns von dem Herrn Grafen (Zinzendorf) und bestellten, dass wir morgen zu Besuch nach Herrnhut kommen sollten. Wir gingen also den 3. Juli nach Herrnhut. Das ganze Gemeinlein kam uns entgegen und alles freute sich, uns, und besonders meine Mutter, die als eine Wöchnerin in der dritten Woche ausgegangen und doch gesund angekommen war, zu sehen.