Echo am Sturmfels - Sheyna Jordan - E-Book

Echo am Sturmfels E-Book

Sheyna Jordan

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Beschreibung

Vor der beeindruckenden Kulisse Schottlands teilen die Archäologin Tasha Schneider und Ermin eine leidenschaftliche Liebe - und ein Geheimnis. Ermin, alias Arminius, ist ein Germane aus einer längst vergangenen Epoche, der sein altes Leben für Tasha aufgegeben hat. Doch nun, während ihrer Arbeit auf einer Ausgrabungsstelle, schlägt das Schicksal erneut zu. Zusammen mit ihren beiden Kollegen gerät Tasha auf eine gefährliche Zeitreise. Ein weiteres Mal entfaltet sich ein nervenaufreibender Kampf ums Überleben im Schatten der Geschichte. Unterdessen ahnt Ermin, dass etwas Außergewöhnliches geschehen ist, und setzt alles daran, einen Weg zu ihr zu finden.

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Über die Autorin

Ich heiße Sheyna Jordan, wurde 1968 in Schotten/Hessen geboren, bin gelernte Bankkauffrau, verheiratet und Mutter von drei Töchtern. Die Ahnen- und Ortsforschung ist eine meiner großen Leidenschaften.

Von Kindesbeinen an liebe ich das Genre Zeitreise und die Romantik. Da ich sehr heimatverbunden bin, entstand früh der Wunsch, eine eigene Geschichte zu erzählen, die regionale Gegebenheiten einbezieht. Aus dieser Idee entwickelte sich die Liebesgeschichte zweier Menschen aus unterschiedlichen Welten vor dem Hintergrund meiner Heimatregion und dem geschichtlichen Ereignis der Varusschlacht. So formte sich die Sturmfels-Reihe, in der Herzen über Jahrhunderte hinweg zueinanderfinden.

CARITAS OMNIA TOLERAT

CARITAS OMNIA POTEST

TEMPUS FUGIT, AMOR MANET

Die Liebe erträgt alles .

Die Liebe vermag alles.

Die Zeit vergeht, die Liebe bleibt .

Inhalt

Prolog

Kapitel 1 - ♀

Kapitel 2 - ♀

Kapitel 3 - ♂

Kapitel 4 - ♀

Kapitel 5 - ♂

Kapitel 6 - ♀

Kapitel 7 - ♂

Kapitel 8 - ♂

Kapitel 9 - ♀

Kapitel 10 - ♀

Kapitel 11 - ♂

Kapitel 12 - ♀

Kapitel 13 - ♂

Kapitel 14 - ♀

Kapitel 15 - ♂

Kapitel 16 - ♀

Genealogie

Personenverzeichnis

Ortsverzeichnis

KIRCHENUHR STORNFELS ALIAS STURMFELS

PROLOG

Die Romane

»Geheimnis am Sturmfels 1«,

»Entscheidung am Sturmfels 2« und »Schicksal am Sturmfels 3« erzählen die fesselnden Liebesgeschichten zweier außergewöhnlicher Paare.

Zwei Schwestern aus der Neuzeit finden getrennt voneinander, aber schicksalhaft verbunden, ihre große Liebe in der Vergangenheit.

Die ersten beiden Bände handeln von Mara Schneider, einer taffen Polizistin, die durch einen unerwarteten Zwischenfall in die Vergangenheit gerät. Plötzlich befindet sie sich zweitausend Jahre in der Zeit zurück, mitten im Konflikt zwischen Römern und Germanen, unmittelbar vor der Varusschlacht.

Auf der Suche nach ihrer verschwundenen Schwester wird auch Tasha in diese archaische Welt katapultiert, wie in Band 3 »Schicksal am Sturmfels« enthüllt wird. Sie trifft auf Ermin alias Arminius.

Die Entwicklung ihrer Liebe zu Ermin und ihre weiteren Abenteuer erfahrt ihr jetzt …

KAPITEL 1 - ♀

Wir haben es gefunden! Mein Gott, wir haben es geschafft! Endlich!«, rufe ich voller Freude aus.

»Ich will verflucht sein, du hattest recht«, sagt Adam, mein schottischer Archäologen-Kollege, perplex, während Eve, ebenfalls eine schottische Archäologin, mit großen Augen staunend zuschaut.

Adam hat es mir nie glauben wollen, aber jetzt tut er es. Wir haben den Zugang zu einer Felsengrotte, vielleicht sogar zu einem Tunnelsystem, unterhalb der Felsklippe von Dunnicaer, entdeckt, einer der ältesten Festungen der Pikten. Persönlich bin ich davon überzeugt, dass es eine Verbindung zum nur wenige Minuten entfernten Dunnottar Castle gibt, was aber noch zu beweisen wäre.

Jetzt muss ich unbedingt Ermin von unserer neuesten Entdeckung berichten. Schnell zücke ich mein Handy. Es klingelt und klingelt. Verdammt, wo steckt er? Endlich! Er geht ran.

»Wir haben es gefunden!«, beginne ich ohne Umschweife. Ermin weiß genau, wovon ich spreche.

»Das ist großartig, warst du schon drin?«, will er sofort wissen.

»Nein, es ist bereits zu dunkel«, erkläre ich frustriert.

»Dann kommst du jetzt nach Hause?«

»Ja, oder vielleicht etwas später. Wir wollen noch auf unseren Erfolg anstoßen.«

Adam und Eve geben mir mitten im Gespräch wilde Zeichen; sie wollen feiern und sie haben recht. Das ist ein wirklich guter Grund, gemeinsam anzustoßen.

Ermin zieht hörbar Luft ein. Das liegt nicht an unserer Absicht, die Entdeckung zu begießen, sondern an Adam. Ermin glaubt, dass mein Kollege etwas zu sehr an mir interessiert ist, und das gefällt meinem Germanen nicht. Natürlich vertraut er mir, aber eben nicht Adam.

Adam Duke ist genauso alt wie ich. Er hat einen gewissen Charme bei Frauen, mit einer Ausnahme: mir! Ich bin nur einem Mann auf dieser Welt verfallen, und das mit Haut und Haaren.

»Ich beeile mich, versprochen! Ich bin einfach glücklich, und nach all den Anstrengungen muss das gefeiert werden. Das verstehst du doch?«

Ich weiß, dass er es mir gönnt, besonders weil ich eine Ablenkung gebrauchen kann. Nach der Fehlgeburt im letzten Jahr ging es mir schlecht, und ich habe mich nur langsam erholt. Ermin war sehr verständnisvoll und bat meine Mom für einige Monate zu uns zu kommen. Sie verlässt nicht gerne ihren Heimatort Stornfels, aber für ihre Kinder tut sie alles. Meine ältere Schwester Jenny wollte mit ihren Töchtern Rebecca und Clara mitkommen, aber das konnte Ermin zum Glück verhindern. Das wäre mir einfach zu viel geworden, selbst wenn ihr dämlicher Gemahl – Simon Seibert, seines Zeichens Großkotz – nicht dabei gewesen wäre.

»Wo wollt ihr feiern?«, will er nun wissen.

»Wir gehen nach Stonehaven in den Pub Seven. Die haben eine gute Auswahl an Bieren«, antworte ich.

»Wenn ich dich abholen soll, ruf an.«

Ermin ist sehr stolz auf sich. Seit er den Führerschein hat und Autofahren darf, nutzt er jede Gelegenheit. Das hat ihm anfänglich so manchen Strafzettel eingebracht. Für einen Mann wie ihn völlig unverständlich. Bei dem Gedanken muss ich grinsen. Er – ein alter Germane aus vergangener Zeit – hat sich wirklich schnell an unsere Welt und ihre Besonderheiten gewöhnt. Und doch bleibt er im Herzen ein Krieger, was sich ab und an noch zeigt.

Kaum im Pub angekommen, bestelle ich bei Duncan, dem Wirt: »Drei Bier, auf meine Rechnung!«

»Aye, was gibt's zu feiern?«, will er wissen.

»Wir haben eine Höhle im Steilhang gefunden«, antwortet Eve.

»Ich habe es euch doch gesagt. Das ist alles viel älter, als ihr glauben wolltet«, erwidert er selbstgefällig und meint damit vor allem Adam, der unter den Männern nicht besonders beliebt ist.

Adam übergeht den Unterton und fordert den Wirt auf: »Mach mal Musik!«

Sekunden später hören wir schottische Volksweisen und trinken ein Bier nach dem anderen. Der Abend wird richtig lustig. Nicht nur, weil ich mittlerweile einen im Tee sitzen habe, sondern auch, weil immer mehr Einheimische mit uns anstoßen.

Als wir damals im Örtchen auftauchten, waren die Einwohner uns gegenüber reserviert, da wir vom Festland kamen und dazu noch Deutsche waren. Aber unsere unkonventionelle Art und vor allem Ermins Pferdekenntnisse kamen rasch positiv an. Wir werden inzwischen akzeptiert und respektiert.

Ein junger Mann, ich glaube, er heißt Ian, fordert mich zum Tanz auf. Ich will nicht, aber Eve gibt mir einen Schubser und so lande ich in Ians Armen.

Zögerlich lasse ich mich von ihm über die viel zu kleine Tanzfläche ziehen, während die Anwesenden laut johlen. Mir wird schwindelig, ich bekomme einen Drehwurm. Das war zu viel Bier zu später Stunde und das bei einem anstrengenden Arbeitstag. Also, entweder übergebe ich mich in wenigen Augenblicken, oder ich stürze und bleibe liegen.

Doch bevor eines von beiden geschieht, wird die Tür aufgerissen. Im Eingang erscheint der Umriss eines riesigen Kerls. Die meisten Gäste verstummen augenblicklich. Es würde wohl Totenstille herrschen, wäre da nicht die Musik, die einfach weiterläuft. Trotz meines Alkoholpegels weiß ich sofort, wer es ist: Ermin!

Er zieht mich mit einem Ruck in seine Arme und trägt mich hinaus, ohne auch nur ein Wort mit mir oder den anderen zu wechseln.

»Tut mir leid«, säusele ich ihm ins Ohr. Dennoch freue ich mich, dass er aufgetaucht ist. Dann ergänze ich extrem breit grinsend: »Du bist mein Held, mein Ritter, mein Retter.« Noch immer spricht er nicht. Ob er sauer ist? »Bist du verärgert?«

»Vielleicht«, brummt er leise.

»Nein, bitte nicht. Ich liebe dich doch, mein wilder Barbar«, murmele ich neckend, während ich mir ein Gähnen nicht verkneifen kann. Der Alkohol zeigt Wirkung. Eng schmiege ich mich an seinen muskulösen Körper. Bevor ich aber einnicke, bekomme ich noch mit, wie er mich vorsichtig auf die Rückbank des Wagens legt. Erst als wir am Haus ankommen und er mich aus dem Wagen zieht, werde ich wach. Und wieder ist er ganz Gentleman und trägt mich. Sein herber Männerduft steigt mir in die Nase. Ich beginne an ihm zu schnüffeln. Der Duft ist neu und sehr anziehend. Als ich seinen Adamsapfel küsse, schmecke ich das unbekannte Aroma. Ermin stöhnt auf. Gut, es gefällt ihm! Ich bekomme Lust. Lust auf ihn.

»Tasha, du bist betrunken.«

»Na und, ich weiß genau, was ich jetzt will … dich!«

Unbeirrt mache ich weiter und bedecke sein Kinn, seinen Hals, seine Ohrläppchen mit unzähligen Küssen. Wieder seufzt er auf. Ich weiß, dass ich gewonnen habe. Rasch finde ich meinen Weg zu seinen Lippen und Ermin erwidert den Kuss leidenschaftlich. Mit seiner Zunge nimmt er Besitz von mir. Seine Bartstoppeln kitzeln mich, besonders als er beginnt, meinen Hals abwärts zu liebkosen.

»Ich will nicht warten«, raune ich voller Erregung.

Er versteht genau, was ich meine.

Noch im Flur entkleiden wir uns. Es ist jedes Mal ein überwältigender Anblick, wenn sich dieser braungebrannte und gestählte Körper in seiner ganzen Pracht vor mir darbietet. Dieser Mann ist und bleibt heiß.

Mich hält nichts mehr. Ich springe regelrecht in seine Arme. Er fängt mich auf – einen Arm um meinen Oberkörper geschlungen, mit dem anderen stützt er meinen Po. Seine erstarkte Männlichkeit spüre ich dabei deutlich. Dann drückt er mich mit dem Rücken gegen die Holzvertäfelung der Küchenwand, rückt mich noch etwas zurecht und dringt mit einem fast verzweifelt klingenden Seufzer in mich ein.

Das Gefühl ist unbeschreiblich. Ein wohliges Kribbeln durchströmt meinen Körper und lässt meine Nervenbahnen vibrieren. Ich bewundere seine Kraft und Ausdauer, und das im Stehen. Seine Stöße sind hart und intensiv. Er kostet jeden Millimeter von mir aus.

»O Gott, wie ich dich begehre. Ich will mehr«, höre ich mich vor Wollust stöhnen. Und er gibt mir mehr. Er trägt mich zum Tisch und legt mich sanft ab. Dabei stimuliert er mit seinen Fingern meine hart gewordenen Brustwarzen und dringt wieder und wieder in mein Innerstes ein. Damit er mich vollends ausfüllen kann, lege ich meine Beine über seine Schultern. Ich genieße jeden Stoß, jeden Zentimeter.

Ermin wird immer schneller und heftiger. Ich spüre deutlich das Pulsieren seines Stabes, der kurz vor der Entladung steht. Es dauert nicht lange und wir erbeben gemeinsam. Der Augenblick der Erlösung ist wild, heiß und unendlich befriedigend. Voller Liebe schaut er mich an.

»Du bringst mich immer wieder … zum Staunen«, keucht er atemlos.

»Na, das ist doch nicht das Schlechteste«, erwidere ich schmunzelnd und ziehe ihn mit meinen Schenkeln zu mir heran, sodass unsere Gesichter nah beieinander sind.

Er streicht mir eine lose Strähne aus der Stirn. »Du bedeutest alles für mich«, raunt er leise.

»Ich weiß.«

»Ich kann mein Glück oft nicht fassen«, äußert er nachdenklich.

»Und ich kann kaum glauben, wie schnell du Sprachen beherrschst und Menschen für dich gewinnst. Aber warum auch nicht? Du bist Arminius, ein charismatischer Verführer,«, sage ich und lächle verschmitzt.

Er entgegnet mit einem Augenzwinkern: »Soso, und dich habe ich wohl auch … verführt.«

»Absolut!«, bestätige ich mit gespielter Ernsthaftigkeit.

Ermin grinst wissend. Er weiß, dass er mein Herz besitzt. Er weiß aber auch, dass ich störrisch wie ein Esel sein kann, wenn ich meinen Willen nicht bekomme. Dann hilft ihm auch seine schiere Männlichkeit nichts.

Mein Germane reißt mich aus meinem Wohlgefühl. »Wir sollten jetzt schlafen gehen. Wie ich dich kenne, wirst du als Erste an der Grabungsstelle sein wollen.«

Damit liegt er richtig.

»Begleitest du mich morgen früh?«, will ich wissen.

»Ich würde gerne, aber Ian kommt. Er hat Probleme mit seinem Hengst«, entgegnet er bedauernd.

»Das ist nicht schlimm. Du kannst unsere Entdeckung auch noch an einem anderen Tag bestaunen.«

Das Bier und der Sex haben mich müde gemacht. Ich gähne unkontrolliert. Fürs Duschen reicht meine Energie nicht mehr, eine Katzenwäsche muss ausreichen.

Ermin ist noch unter der Brause, als ich mich ins Bett fallen lasse. Kurz überlege ich, ob ich mich zu ihm gesellen sollte, aber ich bin zu erschöpft. Außerdem werden wir noch viele Nächte miteinander verbringen. Mit diesem Gedanken schlafe ich ein.

Als ich erwache, dämmert es bereits. Ermin schläft noch. Er sieht süß aus, wie er das Kissen umschlingt und seine Mundwinkel ein Grinsen zeigen. Ich überlasse ihn seinen Träumen. Die warme Dusche ruft, danach gibt es heißen Kaffee – beides meine besten Muntermacher.

Während ich unter der Brause stehe, kommen Erinnerungen an die Vergangenheit hoch, an die Zeit in Ermins Welt. Es ist erstaunlich, wie anpassungsfähig dieser Mann ist. Seit gut drei Jahren lebt er in meinem Jahrhundert und hat kaum mehr Probleme mit den alltäglichen Dingen. Nur im Bereich des Allgemeinwissens, besonders in politischer und historischer Hinsicht, gibt es Defizite, was nicht verwunderlich ist, aber niemanden stört.

Verdammt, jetzt muss ich mich aber beeilen. Ich will doch eine der Ersten an der Ausgrabungsstelle sein.

Ich bin schon auf dem Weg nach draußen, als Ermin auftaucht. »Warum hast du mich nicht geweckt?«, fragt er.

»Ich wollte dich schlafen lassen. Du musstest gestern wegen mir lange genug aufbleiben«, sage ich und gebe ihm schnell einen Kuss.

Ermin grinst provokativ und zieht mich zu sich heran. »Betrunkene Frauen zu verführen liegt mir.«

Oh, er spielt auf unseren ersten gemeinsamen Beischlaf an – am See in seiner Zeit, als es mich auf der Suche nach meiner Schwester in seine Welt verschlagen hatte.

»Ich muss jetzt wirklich gehen. Auch wenn ich lieber bei dir bleiben würde«, seufze ich.

Ermin lacht. »Ach, meine Blume, heute könnte dich doch nichts von Dunnicaer fernhalten. Nicht einmal ich.«

»So würde ich das nicht sagen«, reagiere ich düpiert.

»Schmoll nicht, sonst lasse ich dich nicht gehen«, droht er scherzhaft.

Wie zur Bestätigung zieht er mich noch näher zu sich heran und küsst mich fordernd. Das ist fies. Er kämpft mit unfairen Mitteln. Im nächsten Augenblick gibt er mich aber frei. Der verdammte Kerl weiß, dass er mich sehr wohl verführen kann und ich ihm erliege.

Schnell nutze ich die gewonnene Freiheit und sprinte zu meinem Wagen – auch weil es zu regnen beginnt. Hinter mir höre ich ihn lachen. Manchmal könnte ich ihm den Hintern versohlen, und schon male ich es mir spielerisch aus.

Schluss damit! Heute steht mir ein spannender Tag bevor. Wir werden die Grotte untersuchen. Ich hoffe dabei nicht nur auf ein Tunnelsystem zu stoßen, sondern auch durch Altersbestimmung nachzuweisen, dass diese neue Entdeckung älter ist als die piktische Siedlung von Dunnicaer. Wenn ich Pech habe, existiert sie aber erst seit ein paar Jahrhunderten. Womöglich ein Piratenversteck aus jüngerer Vergangenheit? Aber nein, die Zeichen stehen gut, dass dem nicht so ist und wir etwas Großartiges entdeckt haben.

Als ich an der Grabungsstelle ankomme, ist überraschenderweise Adam bereits vor Ort.

»So früh? Das bin ich von dir gar nicht gewohnt.«

»Nun, ich bin eben genauso gespannt wie du. War dein Muskelprotz eigentlich sauer?«

»Nein, wieso sollte er?«

Während wir uns unterhalten, bewegen wir uns in Richtung der Felsen. Es erstaunt mich jedes Mal, mit welcher Hingabe Menschen in früheren Zeiten enorme Kraftanstrengungen auf sich genommen haben, um solche Bauwerke zu erschaffen. Man denke nur an Stonehenge, wo der Großteil des Baumaterials für das imposante Megalith-Bauwerk aus dreihundert Kilometer entfernten Steinbrüchen herbeigeschafft worden war. Das ist in meinem Fall hier anders. Jetzt gilt es zu klären, von wem und aus welchem Grund die Felsengrotte angelegt wurde. Diente sie als Zuflucht oder wurde sie für kultische Zwecke genutzt? Vielleicht hatte sie auch eine ganz andere Funktion? Und ich bin schon sehr gespannt darauf, ob es Gänge gibt, und wohin sie führen könnten.

Adam unterbricht meine Gedanken und antwortet auf meine zuvor rhetorisch gestellte Frage: »Er schien ziemlich wütend zu sein. Also, manchmal erinnert mich Ermin an einen Wikinger.«

»Hä? Was? Nein, Germane«, erwidere ich spontan, ohne groß darüber nachzudenken.

»Ja, das passt auch«, erklärt er und fügt grübelnd hinzu: »Er mag mich nicht.«

»So kann man das nicht sagen«, widerspreche ich halbherzig.

»Nenn es doch beim Namen, er ist eifersüchtig«, bringt Adam es auf den Punkt.

Ich muss das nicht mehr kommentieren, denn plötzlich rempelt uns Eve von hinten an.

»Guten Morgen, ihr beiden.« Und mit Blick auf Adam ergänzt sie überrascht: »Du bist aber früh dran.«

»Oh, hört doch auf! Ich bin nicht immer unpünktlich«, reagiert er beleidigt und eilt voran.

Eve und ich rufen ihm hinterher: »Aber meistens«, und lachen über unsere gleichzeitigen Bemerkungen.

Aber schnell werden wir ernst, denn jetzt ist Konzentration gefragt. Der Zugang zur Anlage ist gefährlich. Wir müssen ein Stück die Klippen hinabklettern.

Die Menschen haben damals einen schmalen Weg in den Felsen gehauen. Doch im Laufe der Jahre hat die Erosion ihn stark verwittert und nun ist er steiler und enger als in früheren Zeiten. Deshalb haben unsere Bergsteiger-Helfer Kletterhaken und Seile angebracht, an denen wir uns nun entlanghangeln. Gefährlich bleibt es dennoch.

Adam hat zwischenzeitlich den Eingang der Grotte erreicht und geht als Erster geduckt hinein. Wir Mädels folgen ihm, ohne den Kopf einziehen zu müssen. Bewaffnet mit einer Taschenlampe fühle ich mich zusammen mit den anderen beiden sicher. Oder doch nicht?

In meinem Bauch beginnt es zu grummeln. Und nur einen Moment später fängt mein Herz heftig an zu schlagen, und meine Atmung wird unregelmäßig. Ich muss kurz innehalten, um mich zu sammeln.

Verdammt, ich glaubte, die Angst hinter mir gelassen zu haben. Aber der Gang erinnert mich an den aus meiner Heimat, durch den ich damals unfreiwillig meine Welt verließ und in einer anderen Epoche landete. Das einzig Gute daran: Ich traf auf Ermin!

Und da höre ich schon, wie Eve nach mir ruft: »Tasha? Wo bleibst du? Komm her! Wir haben etwas gefunden.«

Okay, keine Panik! Sagt man nicht: Der Blitz schlägt nicht zweimal an derselben Stelle ein? Jetzt heißt es, tief ein- und ausatmen, dann wird es schon wieder gehen.

»Bin gleich da«, rufe ich zurück.

Ich folge dem leicht abfallenden gebogenen Gang und erreiche eine ovale Kammer. In dieser und im Gang sind Steinplatten an der Decke angebracht. Meiner Meinung nach völlig unnötig, denn die Anlage wurde in massiven Fels gehauen, da hätte es keine Deckenplatten gebraucht, aber natürlich wirkt es so viel imposanter. Und erst das Innere! Dort befinden sich am Rand vier etwa eineinhalb Meter hohe steinerne Säulen. In der Mitte thront ein einzelner mächtiger Menhir. Das alles ist wirklich ungewöhnlich und einzigartig. Ich kenne nichts Vergleichbares.

»Es geht hier nicht weiter«, meldet sich Adam.

»Vielleicht handelt es sich lediglich um einen rituellen Raum«, merkt Eve an und blickt sich fasziniert um, dabei murmelt sie ehrfürchtig: »Bewundernswert, mit welcher Energie die Erbauer das in den felsigen Untergrund gehauen haben.«

»Ja, das stimmt. Wir sollten dennoch die Wände absuchen. Mich würde es nicht überraschen, wenn es weitere Gänge gibt«, schlage ich vor.

Während die beiden das Mauerwerk untersuchen, widme ich mich den äußeren Stelen, die offenbar direkt aus dem Felsen gehauen – oder besser gesagt, geschält – wurden, und deren Oberfläche sauber durch Picken abgearbeitet ist.

Sehr seltsam. Der Stein in der Mitte passt nicht dazu. Er ist eindeutig ein Findling und muss extra hierhertransportiert worden sein. Er weist Gravuren auf wie Axtpflüge und Schildidole, also multiple Bögen. Das ist eher ungewöhnlich, denn die meisten Stelen sind ungraviert. Steine mit dieser alten Symbolik sind vornehmlich in Frankreich zu finden. Hinsichtlich der Deutungen ist sich die Wissenschaft jedoch uneins. Piktisch kann er jedenfalls nicht sein, denn diese beschrifteten ihre Steine erst sehr viel später, und zwar mit ganz eigenen Symbolen. Und überhaupt, wie haben sie nur diesen einzelnen Stein hierher bekommen?

Eve grätscht in meine Überlegungen. »Also ich kann keinen Durchgang finden. Es scheint alles massiv zu sein.«

Adam ergänzt: »Auch ich kann nichts entdecken. Das bedeutet allerdings nicht viel. Er könnte zugemauert worden sein. Die Lichtverhältnisse sind schlecht. Um feinste Veränderungen in der Wandstruktur festzustellen, brauchen wir eine bessere Ausleuchtung.«

»Wartet! Hier ist etwas im Boden«, ruft Eve aufgeregt und beginnt vorsichtig in der Nähe des beschrifteten Menhirs zu graben. Obwohl Funde menschlicher Knochen nicht ungewöhnlich sind, ist der Anblick der freigelegten Schädelkalotte doch unheimlich. Die Atmosphäre mag dieses Gefühl verstärken.

»Vielleicht handelt es sich um eine Begräbnisstätte«, mutmaßt Adam als Erster.

»Ja, aber in Betracht käme auch ein ritueller Tötungskult. Es gibt zahlreiche Gründe, sogar bis hin zum ganz profanen Mord«, gibt Eve zu bedenken.

»Lasst uns nicht vorschnell Schlüsse ziehen. Das müssen wir weiter untersuchen«, mahne ich.

Im Laufe des Tages transportieren wir nach und nach Arbeitsmaterialien in die Höhle, und meine Ängste schwinden mit jedem Arbeitsschritt.

Unsere Hilfskräfte können uns nur begrenzt unterstützen. Der Raum ist für mehr als drei Personen zu eng, daher arbeiten wir abwechselnd dort. Parallel dazu läuft die Ausgrabung am Dunnicaer und die Erforschung der piktischen Siedlung weiter, welche unser eigentlicher Auftrag ist. Wir arbeiten nun gleichzeitig an zwei Orten.

Als ich am Abend nach Hause komme, berichte ich Ermin begeistert von unserem Fund. Für ihn ist das weniger spannend. Er kann mit dem Interesse unserer Gesellschaft an vergangenen Epochen und ihrer wissenschaftlichen Aufarbeitung nichts anfangen. Tote sind für ihn ohnehin nichts Ungewöhnliches. Ich habe ihm erklärt, dass die Archäologie dabei hilft, grundlegende Fragen der Menschheit zu beantworten. Sie kann falsche oder einseitige Darstellungen korrigieren und die Fehler vergangener Zivilisationen untersuchen, um daraus für die Neuzeit zu lernen. Natürlich hat die Archäologie noch vieles mehr zu bieten.

Ermin respektiert meine Ansichten und meine Arbeit, da er weiß, wie wichtig sie mir sind. Seine persönliche Leidenschaft gilt den Pferden – und mir. Letztere Leidenschaft muss heute Nacht pausieren. Ich bin extrem müde und schlafe ein, noch bevor Ermin ins Bett kommt. So geht es uns nun in den nächsten Wochen fast ständig.

Als sein Geburtstag naht, möchte ich etwas Besonderes mit ihm unternehmen. In Unkenntnis seines korrekten Geburtsdatums haben wir den Tag seines Übertritts in meine Welt, den 21. Juni, als Ersatz gewählt. Da die letzten Wochen recht stressig waren, dachte ich, dass gemeinsame Zeit uns guttun würde, und habe eine Übernachtung im Kinnlettes Castle gebucht. Ermin und ich müssen zwar morgens noch arbeiten, aber am Nachmittag können wir los. Das Schloss liegt auch nur eine Stunde entfernt.

Heute ist es so weit. Ermin schläft noch. Leise schleiche ich mich in die Küche und bereite das Frühstück vor. Er liebt schwarzen Kaffee, hart gekochte Eier und ordentlich belegte Wurstbrote. Kaum bin ich mit dem reich gedeckten Tisch fertig, steht er lächelnd in der Küchentür.

»Guten Morgen, meine Blume.«

Ich gebe ihm einen Kuss und begrüße ihn strahlend: »Herzlichen Glückwunsch, mein Schatz.«

»Wofür?«, will er wissen.

»Na, heute ist doch der einundzwanzigste Juni.« »Ach ja, du und deine Bräuche.« Er schmunzelt.

Damit spielt er auf alles an, was in meiner Welt gefeiert wird – nicht nur Geburtstage, sondern auch sämtliche kirchlichen Feiertage wie Ostern und Weihnachten. Seiner Meinung nach braucht man keine festgelegten Tage zum Feiern. Dass es dabei nicht immer ums Feiern geht, habe ich ihm schon oft genug zu erklären versucht.

»Komm schon! Ich habe etwas vorbereitet, das dir gefallen wird. Widerspruch zwecklos! Ich weiß, dass du am Nachmittag frei hast.« Ich blinzele verschwörerisch.

»Na dann, ich habe wohl keine Wahl«, sagt er lachend.

»Nein, hast du nicht!«, entgegne ich bestimmt und köpfe mein Ei.

Mein Wagen ist seit gestern in der Werkstatt, daher bringt mich heute Ermin zur Ausgrabungsstelle. Es ist das erste Mal, dass er hier ist, da er zuvor nie Zeit hatte. Aber auch jetzt kann er nicht bleiben. Schade!

»Nicht mal fünf Minuten?«, bettele ich ihn an und zwinkere verführerisch mit den Augen.

Seufzend nimmt er mich in den Arm und streichelt über meine Wange. »Es tut mir leid, meine Blume, aber wenn deine Überraschung heute Nachmittag klappen soll, muss ich jetzt los.«

Nun gut, dann bekommt er wenigstens einen Vorgeschmack auf die Nacht. Ich ziehe ihn an mich heran und beginne ihn spielerisch zu küssen. Es wird leidenschaftlicher. Ermin erwidert mein Drängen und drückt mich fest an sich. Zwischen uns passt kein Blatt Papier mehr.

Plötzlich dringt eine Stimme an mein Ohr. Es ist Eve, die uns mit einem breiten Grinsen im Gesicht aufzieht: »Mensch, da könnte man ja fast neidisch werden. Ich will auch so einen Mann.«

Ermin schmunzelt und antwortet ehrlich: »Dann müsstest du durch die Zeiten reisen und zahlreiche Gefahren auf dich nehmen.«

Ich zwicke ihn in die Seite. Er soll sich nicht verraten, obwohl die Wahrscheinlichkeit gering ist, denn unsere Geschichte glaubt sowieso keiner.

Eve lacht. »Du mal wieder. Immer so geheimnisvoll.«

Auch Adam ist in der Nähe, meidet aber den Kontakt. Das liegt eindeutig an Ermin.

Nun gut, ich muss mich jetzt von ihm lösen, die Arbeit ruft. »Dann sehen wir uns um drei, sei pünktlich!«, erinnere ich ihn.

Ermin nickt und gibt mir zum Abschied einen Klaps auf den Po. Dann dreht er sich um und fährt mit seinem brandneuen Land Rover Defender davon.

Eve wartet an der Klippe auf mich: »Was habt ihr denn heute noch vor?«

»Ach, nur eine kleine, traute Auszeit«, antworte ich ausweichend.

»Jetzt mal ehrlich, Tasha, wo findet man so einen Mann? Er redet zwar nicht viel, aber das mag ich gerade. Und wie er dich immer ansieht. Ich will das auch.« Sie seufzt tief.

Eve Morgan ist genauso groß wie ich, ein wenig jünger und im Gegensatz zu mir sehr zierlich. Sie hat rotblonde Haare in Form eines Bobs, vorne lang, hinten kurz, und kämpft im Sommer mit ihren Sommersprossen, während ich mit meiner dunklen Lockenmähne, die mir mittlerweile fast bis zum Hintern reicht, zu kämpfen habe. Aber Ermin liebt sie, daher habe ich bisher nicht gewagt, Hand anzulegen.

Eve meint, dass ich wie eine Indianerin oder Römerin aussehe und dass genau das die Männer im Norden anziehend finden würden. Sie hätte jedenfalls nie auf eine deutsche Nationalität bei mir getippt.

Vermutlich ist es wie überall: Wenn jemand auffälliger oder anders als die meisten erscheint, wirkt er interessanter. Wäre Eve in Italien, würde sicherlich so mancher Südländer von ihren roten Haaren und der süßen Art angezogen sein. Aber ich mache mir keine Gedanken – sie ist jung und wird schon ihr Gegenstück finden.

»Ach Eve, der Richtige wird bestimmt noch kommen«, antworte ich nach meiner Gedankenexkursion.

Sie kommentiert es mit einem frustrierten Seufzer, vielleicht auch, weil ich mal wieder verspätet antworte.

So, jetzt heißt es zurück zur Arbeit.

Das gefundene Skelett wurde inzwischen geborgen. Es stammt von einem Mann. Leider ist es nicht mehr vollständig erhalten. Nun übernehmen andere die Arbeit und werden im Labor das Alter bestimmen und möglicherweise die Todesursache ermitteln. Weitere Funde haben wir zu unserer Enttäuschung nicht gemacht. Heute werden wir erneut die Wände absuchen. Adam hat eine vielversprechende Stelle ausgemacht, die seiner Meinung nach auffällig bearbeitet erscheint.

Wir kommen gerade noch rechtzeitig, denn Adam ist in diesem Moment dabei, mit einem Stemmhammer die ausgewählte Wand zu bearbeiten. Plötzlich schreit er auf.

»Was ist?«, ruft Eve besorgt aus.

Adam jammert. »Ein Steinsplitter hat meinen Oberschenkel getroffen … verdammt!«

»Lass mal sehen«, fordere ich ihn auf. Als er sich nicht rührt, füge ich genervt hinzu: »Du musst schon deine Hosen herunterlassen.«

»Was? Nein!«

»Sei nicht so zimperlich. Du trägst doch sicherlich Boxershorts«, versuche ich es erneut.

»Alles gut, nichts passiert«, wiegelt er ab.

»O Mann, Adam.« Sein Blick amüsiert mich. Gewöhnlich ist er ein Frauenheld, aber wenn es darauf ankommt, ein Schisser.

Er beißt die Zähne zusammen und setzt seine Arbeit fort.

Plötzlich horche ich auf. Da ist noch ein anderer Klang im Untergrund. Laut rufe ich: »Stopp!« Aber Adam kann mich wegen des Lärms des Stemmens nicht hören. Ich will ihn gerade am Arm packen, als die Wand einbricht und einen unerwarteten Blick auf einen Gang freigibt. Freudig dreht er sich zu uns um. Sobald der Krach des Stemmhammers verstummt, bemerken auch er und Eve das unterirdische Grollen.

»Was ist das?« Eves Frage bleibt unbeantwortet, denn sofort stürzen einige Deckensteine im Ausgangsbereich herunter. Unser Rückweg ist versperrt. Wir stecken fest. Und zu allem Überfluss werden die Erschütterungen stärker. Noch mehr Gestein löst sich von der Decke und verfehlt uns nur knapp.

Adam brüllt uns an, in Richtung des Durchbruchs zu rennen. Aber ich schaffe es nicht, mich zu bewegen. All das erinnert mich an damals – an meine Reise in die Vergangenheit. Wie gelähmt verharre ich an Ort und Stelle. Adams Geschrei dringt nur dumpf zu mir durch.

Eve zerrt mich nun mit enormer Kraft weg, tiefer in den unbekannten Teil der Anlage hinein. Gerade noch rechtzeitig, denn in der Menhir-Höhle haben sich größere Platten von der Decke gelöst. Ich sehe alles. Ich höre alles. Und ich ahne, was auf uns zukommt. Ich habe fürchterliche Angst.

Vibrationen und tiefe Schallwellen kündigen das drohende Unheil an – wie damals. Eine Warnung an meine beiden Kollegen wäre zwecklos. Sie würden mir nicht glauben. Und was sollten wir auch tun? Wir sind gefangen.

Und dann passiert es! Adam schwankt plötzlich und fällt im nächsten Augenblick um. Er ist bewusstlos. Eve will ihm helfen und liegt Sekunden später ebenfalls auf dem Boden. Auch mir wird schwindelig. Mein Blick ist trüb und meine Beine versagen ihren Dienst. Mein letzter Gedanke gilt Ermin. Schon wieder werden wir getrennt. Er wird vielleicht nie erfahren, was geschehen ist …

KAPITEL 2 - ♀

Adam schüttelt mich. »Wach auf, Tasha! Alles in Ordnung bei dir?«

Überrascht blicke ich ihn an. Für einen winzigen Moment hatte ich gehofft, dass alles nur ein Traum gewesen wäre. Doch die Realität hat mich wieder. Frustriert stöhne ich auf. »Wo … wo ist Eve?«

»Sie sucht nach einem Ausgang«, antwortet er und hilft mir aufzustehen. Und da kehrt sie auch schon zurück.

»Es sieht schlimm aus. Wir können definitiv nicht mehr umkehren, riesige Gesteinsbrocken versperren den Weg, dafür bräuchten wir schweres Gerät.«

»Dann folgen wir weiter dem Gang. Es muss doch einen anderen Ausgang geben«, erwidert Adam.

»Sollten wir nicht lieber hierbleiben? Man wird uns suchen und sicher den Eingang freiräumen«, sagt Eve hoffnungsvoll.

»Vergiss es!«, werfe ich frustriert ein.

»Wieso?«, fragt Eve überrascht.

»Überleg doch mal. Es hat Wochen gedauert, bis die Arbeiter den Höhleneingang freigelegt hatten. Wie lange können wir hier wohl überleben?« Und gedanklich füge ich hinzu: Außerdem werden wir uns sowieso nicht mehr in unserer Zeit befinden.

Adam hat noch eine Idee. »Habt ihr eure Handys schon ausprobiert? Ich habe leider keinen Empfang.«

Natürlich versuchen Eve und ich es, aber auch das bleibt erfolglos. Kein Signal!

»Nun, wir haben keine Wahl. Wir müssen dem Tunnel folgen«, bestimmt unser Gefährte.

Zum Glück sind wir mit Taschenlampen ausgestattet, die zusammen mit weiteren Werkzeugen an unseren Gürteln hängen.

Während wir uns durch die Enge des Tunnels quälen und so gar keinen Sinn mehr für die Fertigkeiten der Erbauer haben, plagt mich der Gedanke an eine erneute Zeitreise. Warum habe ich das nicht schon früher in Betracht gezogen? Habe ich wirklich geglaubt, dass so etwas nur auf dem europäischen Festland möglich ist?

Verdammt! Es kann aber doch nicht jeder verfluchte Tunnel auf diesem Planeten in die Vergangenheit führen? Das wäre im Laufe der Zeit doch mal aufgefallen und nicht unerwähnt geblieben.

Vielleicht liegt es auch an mir? Womöglich spinne ich mir was zusammen und die Situation ist, wie sie ist: Wir sind noch in unserer Zeit und haben einfach nur Pech gehabt.

»Verflucht, es geht nicht mehr weiter!«, schimpft Adam plötzlich, nachdem wir eine Weile dem Gang gefolgt sind.

»Nein, das darf nicht sein!«, wirft Eve entmutigt ein.

Da ich mich wieder gefangen habe und wir alle einen Funken Hoffnung brauchen, sage ich: »Ich könnte mir vorstellen, dass es auch hier einen zugemauerten Bereich gibt, ähnlich wie in der Menhir-Kammer. Die Frage ist nur: Wenn wir ihn finden, wie öffnen wir ihn?« Denn der Stemmhammer wurde von herabstürzendem Geröll begraben.

Adam sieht das genauso. Sofort beginnt er, die Wand auszuleuchten. Schnell wird klar, dass sie künstlich ist. Mit Hammer und Meißel bewaffnet, beginnt er, die Fugen aufzubrechen und auszukratzen. Wir wechseln uns dabei ab.

Es ist eine mühsame und anstrengende Arbeit. Die Freude von Adam und Eve über das Lockern und Entfernen eines einzelnen Füllsteins gleicht der Begeisterung kleiner Kinder. Als wir dahinter einen weiteren Tunnel entdecken, ist ihre Freude noch größer. Das Erweitern der Öffnung dauert jedoch eine Ewigkeit. Am Ende zahlt sich die ganze Plackerei aus und wird zu unserem Ticket ins Freie. Eine letzte Herausforderung liegt aber noch vor uns: Der Ausgang befindet sich direkt an den Klippen. Meiner ersten Einschätzung nach sind wir nicht mehr bei Dunnicaer. Das wäre aber nicht das Schlimmste. Die Frage, die mir auf der Seele brennt, ist: Sind wir überhaupt noch in unserer Zeit?

»Kannst du einen Weg nach oben erkennen?«, fragt Eve Adam ängstlich.

»Ja, es gibt einen Pfad, der sich an den Felsen entlangschlängelt«, antwortet er und wagt sich als Erster hinaus. Nach kurzer Zeit ruft er uns zu: »Es geht, aber ihr müsst vorsichtig sein. Es gibt nicht viel zum Festhalten.«

»Jetzt bist du dran!«, bestimme ich. Als Eve zögert, füge ich hinzu: »Du schaffst das! Versuche, nicht nach unten zu schauen.«

Der Aufstieg ist beschwerlich und an einigen Stellen extrem gefährlich. Nicht nur, weil der aus dem Gestein herausgehauene Pfad sehr schmal ist, manchmal können wir uns nur mit unseren Fingerspitzen festhalten. Dazu weht ein starker Wind, der beinahe den Eindruck erweckt, als würde er uns von der Felswand wegdrücken wollen. Dennoch schaffen wir es ohne größere Blessuren, das Plateau zu erreichen. Eve umarmt mich glücklich und Adam grinst mit stolzgeschwellter Brust, als hätte er uns höchstpersönlich gerettet. Und während die beiden wieder vergeblich versuchen, mit ihren Handys eine Verbindung herzustellen, verschaffe ich mir einen Überblick.

Es dauert nicht lange, bis ich mir sicher bin: Wir sind nicht mehr im 21. Jahrhundert. Denn wir befinden uns eindeutig auf dem Hochplateau, auf dem zu meiner Zeit die Ruine von Dunnottar Castle stehen wird. Deutlich erkennbar ist die schmale Landzunge, die vom Festland zum Plateau führt, sowie die fünfzig Meter steil abfallenden Klippen. Allerdings befindet sich anstelle der Ruine nun ein riesiger Erdhügel, umgeben von Wällen und Palisaden.

Eine Fliehburg, die im Kriegsfall als Rückzugsort für die ansässige Bevölkerung aufgesucht wird, scheint es nicht zu sein. Vielleicht handelt es sich um einen kultischen Bau, denn in der Mitte kann ich zwei aufrechte Menhire ausmachen. Meine beiden Kollegen haben das alles noch nicht bemerkt, es interessiert sie im Moment nicht. Sie rennen wie die Hühner von einer Stelle zur anderen, in der Hoffnung, ein Signal auf ihren Handys hereinzubekommen.

Mir ist unwohl. Mein Herz rast und ich habe Angst. Wenn ich richtig liege, und das glaube ich, sind wir nicht nur in der Vergangenheit gelandet, sondern auch in einer Epoche, von der wir nur wenig wissen.

Unser Forschungsauftrag war es, Dunnicaer zu untersuchen, genauer gesagt die Ursprünge der Pikten, über die nicht viel bekannt ist. Wie sie sich selbst nannten, ist nicht überliefert. Ihren Namen erhielten sie von den Römern.

Von ihrer Kultur ist heute nur noch wenig übrig. Es gibt lediglich einige Steinstelen mit einzigartigen Bildern, Ornamenten und Schriftzeichen. Ähnliche Steinsäulen wurden auch auf der Felsklippe von Dunnicaer gefunden, jedoch waren sie im Vergleich zu anderen Bildsteinen sehr grob. Über die Deutung der Symbole wurde viel diskutiert – ob es sich um Aussagen über politische Ehebündnisse handeln könnte, territoriale Grenzen darstellen sollten oder Denkmäler für Würdenträger sind, oder vielleicht auch eine ganz andere Bedeutung innehaben.

Wir hatten auf Funde aus der Zeit um Christi Geburt gehofft. Aus dieser Ära ist der Stamm der Kaledonier bekannt, der einst hier, im östlichen Schottland, lebte. Sie kämpften als letztes freies Volk gegen die Römer. Doch trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit erlitten sie im Jahr 83/84 n. Chr. eine entscheidende Niederlage in der Schlacht am Mons Graupius. Persönlich glaube ich, dass sie zu den Ureinwohnern, den Pikten, gehörten. Im Laufe der Zeit schlossen sie sich mit anderen Stämmen zusammen und wurden unter dem römischen Namen Pictii vereint.

Trotz ihrer Niederlage hatten sie letztendlich Glück. Ungeachtet des römischen Erfolgs wurde eine ernsthafte Okkupation Schottlands von den Römern nicht weiter verfolgt. Möglicherweise lag dies auch daran, dass einige Stämme, darunter die Pikten, den Römern dauerhafte Schwierigkeiten bereiteten.

»Tasha? Geht es dir gut?«

Ich habe Eves Rufe nicht gehört und auch nicht bemerkt, dass sie sich genähert hat. Jetzt steht sie direkt vor mir.

»Ja …«, antworte ich langsam.

»Du bist irgendwie abwesend. Schon im Tunnel warst du so anders. Das kenne ich nicht von dir.« Sie hat ja keine Ahnung. Sie glaubt, mich nun beruhigen zu müssen, und sagt: »Schau doch, wir haben es rausgeschafft. Das Schlimmste liegt hinter uns.«

Innerlich bin ich vor Anspannung fast am Bersten, denn ich weiß es besser. Aber wie soll ich sie darauf vorbereiten? Vielleicht einfach nur ehrlich sein?

»Eve, blick dich um. Was siehst du?«, beginne ich vorsichtig.

Zuerst schaut sie mich fragend an, dann folgt sie meiner Aufforderung. Sie dreht sich in alle Richtungen, sieht dann wieder zu mir und erneut zurück.

»Das ist seltsam. Es sieht aus wie das Plateau von Dunnottar Castle, nur ohne Castle, stattdessen mit einem früheren Bau. Aber was ist das, eine Piktenstätte? Gibt es hier an der Küste noch einen ähnlichen Felsen wie den von Dunnottar? Das wäre aber eigenartig. Ich sollte davon gehört haben«, äußert sie verwundert.

Okay, zumindest fängt sie an, Fragen zu stellen.

Sie ruft nach unserem Kollegen: »Adam!«

»Was?« Er reagiert genervt.

Eve versucht, seinen Blick auf das Konstrukt zu lenken und hat auch eine rationale Frage dazu: »Weißt du von einer rekonstruierten Pikten-Stätte in der Gegend?«

»Nein, das ist Unsinn! Davon wüsste ich«, antwortet er gereizt.

»Aber was hältst du dann von alldem?« Sie breitet dabei demonstrativ ihre Arme aus und deutet nochmals auf das Bauwerk.

Während unseres Gesprächs hatte Adam abseits gestanden und sich auf sein Handy konzentriert. Jetzt ist er plötzlich still geworden. Er schaut sich um, aber dazu fällt ihm offenbar nichts ein.

»Das ist doch wirklich ungewöhnlich. Ich kann mir das jedenfalls nicht erklären«, stellt Eve fest.

Nun reagiert auch Adam: »Mag sein, aber das können wir jetzt nicht klären. Da niemand weiß, dass wir hier sind, wird uns niemand zu Hilfe kommen. Wir werden wohl oder übel bis zur nächsten Ortschaft laufen müssen. Später können wir immer noch recherchieren, was das für eine Anlage ist.«

O Gott, sie begreifen es nicht. Was soll ich nur tun?

»Halt! Ich … ich muss euch etwas sagen«, beginne ich zögerlich.

Adam versucht mich abzuwimmeln: »Hat das nicht Zeit bis später? Ich muss dringend duschen. Außerdem schmerzt mein Bein.«

»Verdammt, nein!«, brülle ich jetzt verärgert.

Eve zuckt zusammen, auch Adam schaut überrascht. Das sind sie von mir nicht gewohnt.

»Ich fürchte, wir sind in Gefahr«, erkläre ich ernst.

»Warum?«, hakt Eve vorsichtig nach.

»Nun, weil … weil diese Welt nicht mehr unsere ist«, stottere ich. Es ist eine Erleichterung, diese Worte endlich auszusprechen. Das Ergebnis ist aber, dass die beiden mitleidige Blicke austauschen. Sie halten mich für irre. Da ich nichts mehr zu verlieren habe, erzähle ich weiter: »Ich weiß, es klingt verrückt, aber es ist wahr. Seht euch doch um. Das ist Dunnottar Castle, beziehungsweise das Plateau, auf dem es einst stehen wird. Es gibt nichts Vergleichbares.«

Adam will es nicht glauben – verständlicherweise. »Und was versuchst du uns damit zu sagen?«

»Ich versuche euch zu erklären, dass wir nicht mehr in unserer Zeit sind.«

Wieder schauen die beiden mich mitleidig, aber auch fragend an.

»Tasha, du hast wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung. Es wird alles wieder gut«, will mich Eve beruhigen.

»Ihr begreift es einfach nicht, vielleicht hatten eure Gehirne ja Sauerstoffmangel im Tunnel …«, entgegne ich verbittert.

»Also bitte!«, entrüstet sich Eve nun.

»Schluss jetzt mit dem Unsinn! Es wird bald dunkel. Wir müssen los«, drängt ihr störrisches Pendant zur Eile. Ich gebe auf. Spätestens wenn wir auf Einheimische treffen, wird es auch dem Dümmsten klar. Die beiden gehen voran, ich folge mit Abstand. Ich brauche Zeit zum Nachdenken. Ob Ermin bereits ahnt, was geschehen ist? Ich wünschte, er wäre bei mir. Verflucht!

Typisch Mann! Adam hat die Führung übernommen und geht dem Küstenverlauf folgend nach Norden. Wir sollten Dunnicaer in fünfzehn Minuten erreichen und von dort aus wären es noch einmal rund dreißig Minuten bis nach Stonehaven – wenn wir denn in unserer Zeit wären, was wir aber nicht sind. Es fällt den beiden nicht einmal auf, dass wir weder Mensch noch Auto noch sonst wem begegnen. Sie laufen einfach nur stur und stumm voran.

Recht schnell erreichen wir eine Siedlung. Sie ist außergewöhnlich gelegen. Dunnicaer?

Diesen Anblick habe ich schon einmal in ähnlicher Form gesehen – in einer animierten Film-Rekonstruktion.

Wir wissen, dass Dunnicaer im Laufe der Zeit durch Erosion schrumpfen wird. Die Landspitze, die später einmal die uns bekannte Form eines Brandungspfeilers annehmen wird, sieht jetzt ganz anders aus. Im Gegensatz zum Gelände unserer Zeit besitzt diese Klippe im Hier noch eine Landverbindung zum Festland, ähnlich wie Dunnottar. Und es sind Gebäude zu erkennen. Es ist also bewohnt. Man hört auch geschäftiges Treiben. Der Zugang wird durch eine Wall-Palisaden-Anlage gesichert.

So, jetzt flattert mein Puls. Es wird heikel. Was wird geschehen, wenn meine zwei Leugner auf die Bewohner treffen? Und was für einen Eindruck werden wir auf die Menschen dieser Zeit machen? Werden sie denken, dass wir Römer sind?

Auch meine Begleiter bemerken die Siedlung und verharren für einen Moment in vollkommener Stille.

»Fangt ihr langsam an zu zweifeln?«, rufe ich spöttisch.

»Was ist das?«, will Eve jetzt wissen.

Was für eine Frage, sie ist doch nicht blind.

»Vielleicht handelt es sich hier um experimentelle Archäologie«, antwortet Adam. Allerdings wirkt er nicht sehr überzeugt von seiner eigenen Idee.

»Stellt euch der Realität!«, erwidere ich hart.

Aus Neugierde laufen die beiden nun direkt darauf zu. Weit kommen sie aber nicht. Wir wurden bereits von einer Gruppe Einheimischer entdeckt: Bauern, bewaffnet mit Speeren und anderen Kampfgeräten, darunter sogar zwei Frauen. Frauen und Männer sind ähnlich gekleidet: lange Hemden, darüber ein Überwurf, der mit Fibeln zusammengehalten wird, und Schuhe aus Tierleder.

Die Männer tragen ihre Haare wesentlich länger als die Frauen. Das und ihre markanten Bärte lassen sie gewöhnungsbedürftig erscheinen und erinnern mich daran, dass auch die Pikten so ausgesehen haben sollen. Allerdings kann ich auf Anhieb keine Tätowierungen erkennen, wovon einige Wissenschaftler überzeugt sind.

Sie rufen uns etwas zu. Ich glaube, sie warnen uns. Ein großer blonder junger Mann mit Bart – vermutlich ihr Anführer, da er an der Spitze der Truppe steht – spricht uns bedrohlich an. Selbst Adam und Eve wirken mit einem Mal ängstlich angesichts dieser Originale.

Ihre Sprache ähnelt dem Gälischen. Das ist aber leider nicht mein Fachgebiet, und so versuche ich es auf Latein: »Tasha est nomen meum. Venimus in pace! Quis vocaris?« Ich nenne ihm meinen Namen, und dass wir in Frieden kommen, und will wissen, wie er heißt.

Er blickt überrascht und antwortet nach einer kurzen Pause mit tiefer Stimme: »Nechtan.«

Das ist gut. Wer kommuniziert, kämpft nicht. Wichtig ist in diesem Augenblick, Vertrauen aufzubauen.

Nacheinander stelle ich meine Begleiter vor. Vor Schock können diese aber kaum mehr als nicken, obwohl sie alles verstehen – Latein gehört zu unserem Studium dazu. Langsam wird auch den beiden bewusst, dass sich etwas Außergewöhnliches ereignet.

Nechtan möchte nun wissen, wer wir sind und woher wir kommen. Legitime Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind. Ich bleibe nahe an der Wahrheit: Wir seien aus dem Süden, vom Festland. Sofort fragt er nach dem Grund unserer Anwesenheit. Jetzt wird es schwierig. Ich eiere mit einer Erklärung herum, spreche von einem Schiffbruch.

Währenddessen wagen sich die anderen aus seiner Gruppe näher an uns heran. Sie umrunden und betrachten uns intensiv. Dann stellt eine der beiden Frauen fragend fest: »Tu Romanus?« Aufgrund meines Aussehens hält sie mich offenbar für eine Römerin.

»No, ego Chatti«, erkläre ich schnell. Und das ist nicht mal gelogen. Der germanische Stamm der Chatten ist Namensgeber und Urvolk meiner Heimat Hessen.

Die junge Frau hegt Zweifel, ihre Augen verraten es, aber zum Glück verfolgt sie das nicht weiter. Sie interessiert sich stattdessen für meine Kleidung, zupft und streicht an meinen Jeans herum, zieht an meinen Haaren und bestaunt meine Schuhe und meinen Schmuck. Um sie abzulenken, frage ich sie nach ihrem Namen.

»Ich bin Nessa«, gibt sie lächelnd zur Antwort.

Inzwischen hat Adam seine Sprache wiedergefunden. Leise will er wissen: »Passiert das gerade wirklich? Ist das alles … real? Ich kann es kaum glauben.« Den letzten Satz hat er gemurmelt.

Ich kann das gut nachvollziehen. Mir ging es in Ermins Welt nicht anders, aber ich hatte wenigstens ihn. Er hat auf mich aufgepasst. Für meine Kollegen muss ich jetzt Ermin sein. Ich antworte: »Es ist real! Je schneller du dich daran gewöhnst, desto leichter werden wir die Situation meistern.«

»Du gehst erstaunlich gelassen damit um«, bemerkt er überrascht.

»Nein! Ich bin keineswegs gelassen, aber jetzt ist wichtig … Ruhe zu bewahren und sich anzupassen«, entgegne ich ihm leicht zeitverzögert, da mir Nessa gerade schmerzhaft an meinen Goldohrringen zieht. Mir kommt lediglich zugute, dass es nicht neu für mich ist. Dennoch bleibt es extrem belastend. Ich habe Angst vor dem, was uns erwarten wird. Im Moment wirken diese Menschen aufgeschlossen, aber so etwas kann sich schnell ändern. Und es bleibt die Sorge, ob wir jemals wieder nach Hause zurückkehren werden. Und wenn ja, dann steht für mich heute schon fest: Ich werde mich nie wieder in einen Tunnel begeben!

Eve ist von den Geschehnissen gleichermaßen schockiert und fragt leise: »Das ist doch verrückt. Wie kann so etwas passieren?«

»Ich habe keine Erklärung dafür. Es ist wohl eine Laune der Natur«, antworte ich mit einem Schulterzucken.

»In welcher Zeit werden wir sein?«, will Adam nun wissen.

»Anhand der Landbrücke von Dunnicaer würde ich vermuten, dass es um Christi Geburt herum ist, vielleicht auch im späten ersten Jahrhundert. Aber das ist nur eine grobe Schätzung meinerseits«, erläutere ich vorsichtig.

Währenddessen wird Eve immer nervöser, möglicherweise auch wegen des neugierigen und aufdringlichen Verhaltens der Einwohner.

»Lasst uns zurück in den Tunnel gehen, das muss der Grund für all dieses Durcheinander sein!«, fordert sie energisch.

Sie ist schon auf dem Weg, als jemand sie aufhält. Aber es ist nicht Adam!