Geheimnis am Sturmfels - Sheyna Jordan - E-Book

Geheimnis am Sturmfels E-Book

Sheyna Jordan

0,0

Beschreibung

Die selbstbewusste Frankfurter Polizistin Mara Schneider gerät durch Zufall in die Vergangenheit - es verschlägt sie zweitausend Jahre in der Zeit zurück, direkt in den Konflikt zwischen Römern und Germanen. Sie trifft auf den Tribun Marcus Caelius Aurelius, der sie anfangs für eine germanische Spionin hält und gefangen nimmt. Um in der fremden Welt zu überleben, muss sie lernen, sich anzupassen. Doch findet sie in dieser archaischen Zeit auch die große Liebe?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 373

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über die Autorin:

Ich heiße Sheyna Jordan, wurde 1968 in Schotten/Hessen geboren, bin verheiratet und dreifache Mutter. Die Ahnen- und Ortsforschung ist eine meiner großen Leidenschaften.

Von Kindesbeinen an liebe ich das Genre Zeitreise und die Romantik. Da ich sehr heimatverbunden bin, reifte in mir die Idee, eine eigene Geschichte zu erzählen, unter Einbezug regionaler Gegebenheiten. Daraus entwickelte sich die Liebesgeschichte zweier aus unterschiedlichen Welten stammenden Menschen vor dem Hintergrund meiner Heimatregion und dem geschichtlichen Ereignis der Varusschlacht.

Inhalt

Kapitel 1 - Korber

Kapitel 2 - Reflektion

Kapitel 3 - Ankunft

Kapitel 4 - Traum oder Albtraum

Kapitel 5 - Ex nihilo

(Aus dem Nichts)

Kapitel 6 - Erkenntnis

Kapitel 7 - Ad interim

(In der Zwischenzeit)

Kapitel 8 - Spannungen

Kapitel 9 - Nolens volens

(Wohl oder übel)

Kapitel 10 - Kelten

(Celtae)

Kapitel 11 - Manus manum lavat

(Eine Hand wäscht die andere)

Kapitel 12 - Sturmfels

Kapitel 13 - Irrweg

Kapitel 14 - Via est finis

(Der Weg ist das Ziel)

Kapitel 15 - Sehnsüchte

Kapitel 16 - Hic et nunc

(Hier und Jetzt)

Kapitel 17 - Ermin

Kapitel 18 - Prudentia potentia est

(Wissen ist Macht)

Kapitel 19 - Befreier Germaniens

Kapitel 20 - Chatti

(Hessen)

Kapitel 21 - Lammas-Fest

Kapitel 22 - Nachtrag

(Herbstäquinox)

Danksagung

KAPITEL 1 - KORBER

Verdammter Regen, verdammter Wald,

verdammter Matsch, verdammter Mistkerl Korber!

Bei jedem hastigen Schritt fluche ich stumm in mich hinein. Warum muss das ausgerechnet mir passieren – mal wieder? Und das heute!

Nun stapfe ich mit meinen brandneuen Stiefeln und Klamotten mitten durch den tiefsten Wald im Vogelsberg, und das nur, weil ich zufällig einen flüchtigen Verbrecher erkannt habe. Und typisch ich: Ich musste natürlich hinterher.

Korber ist nicht dumm. Er hat schnell bemerkt, dass er beobachtet wird – beziehungsweise dass ich ihm folge.

Verbrecher haben ein sehr sensibles Radar, vor allem, wenn sie gerade auf der Flucht sind. Wir Polizisten aber auch. Nur deshalb bin ich auf ihn aufmerksam geworden – ich habe nicht nach ihm gesucht, den Fall bearbeiten Kollegen von mir, außerdem war ich schon auf dem Heimweg. Habe Feierabend und eine Verabredung.

Und verdammt noch mal, schon wieder kommt mir mein Beruf dazwischen. Oder sollte ich mich eher freuen? Immerhin war ich auf dieses Date nicht besonders wild.

Nur durch reinen Zufall habe ich heute auf der Dienststelle ein Foto von Anton Korber gesehen. Nach ihm wird gefahndet. Er soll seine Freundin getötet haben. Nachbarn hörten einen lautstarken Streit und Schreie. Sie schauten nach und fanden die Tote.

Als ich auf dem Nachhauseweg an der Tankstelle in der Harb vorbeikam, stand dort Korber an der Zapfsäule und hat aufgetankt. Vielleicht wäre er mir gar nicht aufgefallen, wenn er sich nicht ständig nervös umgeschaut hätte. Er muss meine Blicke gespürt haben und ist mit seinem Wagen davongebraust, ohne den Sprit zu bezahlen. Um ihn nicht aus den Augen zu verlieren, habe ich es ihm gleichgetan. Dass er mich als Polizistin erkannt hat, glaube ich nicht. Ich bin heute in Zivil und etwas overdressed. Hatte ja schließlich was anderes mit meinem Abend vor.

Meine Frankfurter Kollegen konnte ich während der Verfolgungsjagd leider nicht informieren. Typische Handykrankheit: leerer Akku. Es hing aber während der wilden Fahrt schon an der Ladebuchse.

Die rasante Verfolgungsjagd in den Vogelsberg nahm meine volle Konzentration in Anspruch. Wir passierten die Ortschaften Ulfa und Stornfels, vorbei an meinem Wohnhaus.

Auf der Straße blieb Korber nicht lange. Um mich loszuwerden, bog er in den Waldweg zum Jagdhaus Wolfslauf. Beinahe hätte ich ihn dann auf den verschlungenen Waldwegen zwischen Stornfels und Rainrod verloren. Aber ich kenne mich hier gut aus, und Aufgeben kommt für mich nicht infrage.

Nach kurzer Zeit entdeckte ich sein leeres Auto. Er hat es verlassen müssen, weil sich der Waldweg zu einem engen, matschtriefenden Fußweg verengt. Absolut kein Durchkommen mehr möglich, schon gar nicht mit einem PKW. Das gilt bedauerlicherweise auch für meinen Wagen. Daher bin ich fluchend ausgestiegen, habe mir meinen Rucksack mit den nötigsten Utensilien genommen und bin Korbers Spur gefolgt – ist eine Manie von mir, ohne mein Notfall-Übernachtungs-Equipment nirgendwo hinzugehen: Zahnputzzeug, Taschenlampe, Tabletten und so weiter, eben alles, was eine Frau so braucht.

Natürlich schnappe ich mir auch mein Handy – es ist fast voll geladen. Mehrmals versuche ich zu telefonieren, bekomme jedoch keine Verbindung und schimpfe erneut wild drauflos: »Verdammte Technik! Immer das Gleiche, entweder kein Akku oder kein Netz!« Aber wenigstens hat es aufgehört zu regnen.

Für einen Junitag recht kühl, kommt mir in den Sinn.

Vor lauter Wald sehe ich aber die Bäume nicht, soll heißen: Korber könnte mich jeden Moment aus dem Dickicht angreifen. Wachsamkeit ist geboten.

Nach einer halben Stunde erfolglosen Stapfens durchs Gehölz ist er immer noch nicht auszumachen. Der kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben! Wo ist dieser Kerl nur? Vielleicht habe ich ihn unterschätzt, und er kennt sich hier besser aus, als ich dachte.

Bald wird es dunkel. Ich muss überlegen, ob ich die Suche abbreche oder bis zur Dämmerung weitermache. Zwar geht die Sonne spät unter, wir haben den längsten Tag im Jahr, doch hier im Wald wird das Restlicht schnell geschluckt.

Es fuchst mich zusehends, dass er mir entwischt sein könnte. Stellt sich die Frage: Wo würde ich mich an seiner Stelle verstecken? Ich hab´s! Ganz in der Nähe sind die Reste einer Burgruine aus dem 13. Jahrhundert. Dort gibt es unterirdische Tunnel, einigermaßen intakt, die ihm gut als Versteck dienen könnten. Zwar ist die Ruine nicht allzu bekannt und auch nicht leicht zu finden, und es gibt nur einen schmalen Zugang, aber Korber könnte zufällig darauf gestoßen sein.

Als Kind war ich oft dort und habe mir vorgestellt, dass Dornröschen darin schläft. Nun, um ehrlich zu sein wohl eher, dass ich Dornröschen wäre. Auf den Kuss und den Prinzen warte ich noch immer.

Mein heutiges Date ist leider nicht mit einem Prinzen zu verwechseln. Aber er soll nett und anständig sein, laut meiner Mutter, die das Ganze arrangiert hat. Sie hat mir ein Foto von ihm gezeigt, auf ihrem Handy.

Na ja - ich habe ihr versprochen, ihm eine Chance zu geben. Sonst lässt sie nie locker.

Keine Ahnung, warum kein Mann es lange bei mir aushält. Gerd, mein letzter fester Freund, fand mich zu tough. Ich würde mich zu unweiblich benehmen. Mein Beruf würde sich in meiner Haltung widerspiegeln. Er hat mich doch glatt mit einer unscheinbaren, kleinen, an einigen Stellen recht üppig ausgestatteten Hausfrau betrogen. Darüber bin ich noch nicht hinweg. Andere Beziehungen scheiterten, weil ich für die jeweiligen Männer eher eine Trophäe, als eine echte Partnerin war.

Ein Model bin ich nicht, aber mir sind die Blicke der Männer schon bewusst. Ich bin laut meinem Umfeld eine auffällige Erscheinung, wenn auch mit meinen ein Meter siebzig nicht überdurchschnittlich groß, aber ich bin schlank und durchtrainiert, und meine stets selbstbewusste Haltung fällt ebenso ins Auge wie die blonde Lockenmähne – wenn ich mein Haar denn offen trage und nicht, wie mein Ex es auszudrücken pflegte, unweiblich zusammengeknotet.

Menschen vergessen nur allzu schnell, dass auch in einer Uniform ein Mensch mit Gefühlen steckt. In meinem Fall ein sehr loyaler Mensch. Loyalität ist, wie ich finde, eine ausgesprochen wertvolle Eigenschaft, aber nicht jeder weiß sie heutzutage noch zu schätzen. Es verletzt mich, dass meine bisherigen Weggefährten so wenig daran interessiert waren, mich wirklich kennenzulernen. Das hat mich reserviert gemacht, worauf ich mich immer mehr zurückzog. Auf diese Weise findet man natürlich keinen Partner.

Wer nicht Lotto spielt, darf auch nicht lamentieren, wenn er nicht gewinnt, so meine Mutter.

Vermutlich mache ich den meisten Männern Angst, und meinem heutigen Date wird es wohl nicht anders ergehen.

Wo nur sind die Männer aus alten Zeiten?

Oje, ich schweife wieder ab.

Reiß dich endlich zusammen!

Du musst Korber finden!

Es ist jedenfalls einen Versuch wert, in der Ruine nach ihm zu suchen. Wenn er dort nicht ist, geht’s halt heim. Dann gebe ich auf. Mache meiner Dienststelle zähneknirschend Meldung und kann endlich zu meiner Verabredung.

Guter Plan! Immerhin irgendein Plan.

Eile ist geboten, schon aufgrund der späten Stunde. Bald wird es auch für mich schwer, wieder aus dem Wald rauszufinden. Und der Gedanke, die Nacht hier zu verbringen, behagt mir gar nicht.

Endlich sehe ich die Spitze eines Turms aus dem Dickicht ragen. Schon komisch, wie sich Mutter Natur innerhalb kürzester Zeit alles zurückerobert. Vor ein paar Jahren sah man von der Ruine noch mehr. Nun ist sie von einer mächtigen Dornenhecke umgeben.

Es ist nicht leicht, den ehemaligen Zugang zu finden, aber ich kenne meine Orientierungsmarke noch aus alten Tagen: Eine Eiche rechts vorm Zugang, die einzige weit und breit. Die dichte Hecke, die die Eiche umgibt, verdeckt den schmalen Zugang. Bei näherem Hinsehen entdecke ich einige abgeknickte Äste. Mein Instinkt hat mich nicht getrogen. Jetzt heißt es: wachsam bleiben!

Meine Walther-P99 habe ich vorsorglich entsichert und halte sie im Anschlag. Immerhin ist Korber ein Tatverdächtiger in einem Mordfall und vermutlich bewaffnet, und ich bin ganz allein hier.

Bisher habe ich nur ein einziges Mal meine Waffe ziehen müssen. Als Neuling, noch grün hinter den Ohren, wurden wir eines Abends zu einem Streit unter einigen jungen Männern gerufen. Die Lage spitzte sich schnell zu. Die zuvor zerstrittenen Parteien verbündeten sich plötzlich und gingen mit Messern auf uns los. Mein Kollege wurde verletzt, notgedrungen zog ich meine Waffe.

Bedauerlicherweise kommt es immer häufiger vor, dass sich Feind und Feind miteinander verbünden, wenn sich die Staatsgewalt einzumischen droht.

Mein Vater hat mich schon als Kind in diverse Selbstverteidigungskurse gesteckt, mit mäßigem Erfolg. Erst dieses Erlebnis hat mich dem Kampfsport näher gebracht. Heute weiß ich mich gut zu verteidigen, denn ich besitze den schwarzen Gürtel in Krav Maga. In meiner Freizeit renne ich schon fast manisch ins Dojo, sooft ich dafür Zeit finde. Aber töten will ich niemanden, maximal außer Gefecht setzen. Da fällt mir ein: Morgen habe ich wieder Trainingsstunde mit jungen Polizeianwärtern.

Verdammt, konzentriere dich endlich auf Korber, denn wenn er dich hier überrumpelt, findet man dich vermutlich erst nach Monaten.

Ich habe schon Leichen mit langen Liegezeiten gesehen. Das vergisst man nicht so schnell, schon gar nicht den Geruch. Daran gewöhnt man sich nie.

Zielstrebig betrete ich die unterirdische Anlage. Langes überirdisches Suchen bringt nichts. Wenn, dann ist er im Tunnel. Auch hier entdecke ich Indizien für die Anwesenheit eines Menschen: Fußspuren! Um genauer zu sein: tiefe Rillen, vermutlich von Stiefeln. Seine?

Gott sei Dank habe ich meinen Rucksack dabei. Die Taschenlampe darin wird mir eine große Hilfe sein, obwohl Korber mich dadurch natürlich auch schneller wahrnehmen wird. Ich muss es riskieren. Im Dunkeln herumzutapsen ist gefährlich, und der Gedanke gefällt mir ehrlich gesagt auch gar nicht. Auch Korber ist quasi blind, wenn er nicht zufällig gut ausgerüstet ist. Ein Handylicht wäre da nur eine Notlösung. Das Wichtigste im Moment wird sein, dass ich auf meine Sinne achte. Besonders auf das, was ich höre.

Bisher war da aber noch nichts. Außerdem klopft mein Herz bis zum Anschlag. Das Hämmern hallt in meinem Kopf wider und behindert meinen Gehörsinn.

Verdammt, ich bin doch kein Anfänger! Meine eigene Nervosität macht mich ärgerlich. Natürlich lässt es niemanden kalt, im Dunkeln allein auf einen gewaltbereiten Verbrecher zu treffen. Adrenalin ist Fluch und Segen zugleich, hat mein ehemaliger Ausbilder immer gesagt.

Meine Gefühle fahren Achterbahn. Vermutlich ist das hier das Blödeste, was ich je gemacht habe. Ganz allein einen Verdächtigen zu verfolgen, und das in diesen Katakomben. Ich hätte nie gedacht, dass ich einen so ausgeprägten Fluchtinstinkt besitze. Im Moment schreit wirklich jede Faser meines Körpers: Hau hier schnellstens ab!

Und da! Ein Geräusch! Zu spät für den Rückzug!

Mit einem Mal bin ich wieder durch und durch Polizistin. Angespannt und langsam gehe ich in die Richtung, aus der ich etwas gehört habe. Meine Taschenlampe habe ich vorsorglich ausgeschaltet und verlasse mich allein auf mein Gehör.

Da – das sind eindeutig Schritte. Sie kommen näher, dann ist es plötzlich totenstill. Wie nah er herangekommen ist, kann ich kaum einschätzen. In meinem Kopf kreisen irrsinnig viele Gedanken auf einmal. Was soll ich tun?

Licht an?

Licht aus?

Vorsichtig weitergehen?

Sich zu erkennen geben?

Oder gar ins Blinde schießen?

Wer würde mir das verübeln?

Na, ich mir selbst!

Das Beste wird sein, in die Offensive zu gehen.

Gerade will ich meine Taschenlampe einschalten, da verspüre ich nah an meinem Hinterkopf einen Atemhauch. Erschrocken wirble ich herum. Die Lampe in der einen Hand, die Waffe in der anderen, ziele ich auf den vermeintlichen Gegner. Aber – da ist niemand. Ruckartig drehe ich mich wieder um, in meine Ausgangsposition. Aber auch da ist keine Menschenseele zu sehen. Ich leuchte meine Umgebung aus. Nichts! Rein gar nichts.

Das gibt es doch gar nicht! Kann das Zugluft vom Tunneleingang sein? Nein, nein, nein! Ich bin doch nicht blöd. Das waren Schritte. Ganz sicher!

Während ich verunsichert nach einer logischen Erklärung suche, poltert es um mich herum. Alles beginnt zu wackeln.

Stürzt der Tunnel ein?

Dies ist mein letzter Gedanke, bevor etwas hart gegen meinen Kopf knallt und ich zu Boden gehe.

Licht aus!

KAPITEL 2 - REFLEKTION

Boah, mir dröhnt der Kopf. Der Kater nach einer durchzechten Nacht ist nichts dagegen.

Dunkelheit umgibt mich. Und während ich mit beiden Händen meinen schmerzenden Schädel umfasse, frage ich mich, was eigentlich passiert ist. Gleichzeitig versuche ich aufzustehen, aber meine Knie sind wie Wackelpudding. Wenigstens scheine ich nicht ernsthaft verletzt zu sein.

Es dauert einen Moment, bis die Erinnerung zurückkehrt, und die Erkenntnis mich trifft, dass der Tunnel eingestürzt sein muss. Ich will hier sofort raus, denke ich beunruhigt, aber die vermaledeite Dunkelheit behindert mich.

Verdammt, wo ist meine Taschenlampe?

Zu allem Überfluss kriecht die Vorstellung in mir hoch, dass jede Sekunde kleine ungebetene Gäste über meine Haut krabbeln könnten. Meine Mutter würde mir jetzt sicher einen Vortrag über die Nützlichkeit dieser Achtbeiner halten.

Igitt ...

Licht! Ich brauche schnellstens Licht!

Im direkten Umkreis ist die Lampe nicht zu ertasten, aber ich habe noch mein Handy. Hoffentlich ist es nicht kaputtgegangen. Mit seiner Hilfe könnte ich mir wenigstens einen groben Überblick verschaffen. Gott sei Dank funktioniert es noch. Meine restlichen Utensilien sind schnell gefunden, auch mein Rucksack liegt ganz in der Nähe. Ich schalte die Taschenlampe ein, und in ihrem Lichtkegel ist deutlich zu erkennen, dass der Weg zum Ausgang versperrt ist. Mir ist nicht klar, wie das geschehen konnte. Ist aber auch egal. Ich muss hier raus!

Als Kind und auch noch als Teenie war ich oft hier, habe die Tunnel allerdings nie in Gänze durchlaufen. Da war meine Angst dann doch zu groß. Und bei meinem letzten Besuch hier unten, erinnere ich mich auf einmal, hat der Tunnel ebenfalls eigenartig vibriert. Damals hatte ich Alex mit in mein Reich genommen. Wir waren verliebt und suchten ein Kuschelplätzchen. Als ich ihm die Ruine beziehungsweise den Tunnel vorschlug, hat er zwar entgeistert dreingeblickt, aber verliebte Jungs machen viel mit. Jedenfalls bekamen wir beide bei den seltsamen Erschütterungen eine Heidenangst. Wir nahmen die Füße in die Hand und verließen das Gelände fluchtartig. Bei dieser Erinnerung muss ich grinsen. Alex hat mich danach nie wieder gedatet.

Ach, das hatte ich alles ganz vergessen. Seither bin ich auch nicht mehr hier gewesen. Wie lange ist das jetzt her – fünfzehn Jahre?

Eine verpasste Chance war Alex jedenfalls nicht. Letztes Jahr habe ich ihn bei der Hochzeit meiner Schwester wiedergesehen. Mittlerweile hat er eine Glatze, einen Bauchansatz und drei Kinder, ist Buchhalter im hiesigen Papierverarbeitungswerk, verheiratet und kleiner als in meiner Erinnerung. Wirklich eklig fand ich, als er mich auf der Hochzeit angebaggert hat. Klar, er hatte ordentlich was intus. Aber trotzdem – das macht man nicht!

Jetzt hör endlich auf, in alten Erinnerungen zu schwelgen. Verhalte dich erwachsen! Kontrolle ist alles. Du kommst hier schon wieder raus. Du bist doch ein Sonntagskind.

Während ich versuche, mir Mut einzureden, bete ich zugleich im Stillen: Lieber Gott, bitte hilf mir! Es muss doch noch andere Ein- und Ausgänge geben!

Da fällt mir ein: Was ist eigentlich mit Korber? Der wird hier doch ebenso wie ich feststecken – oder wurde er verschüttet? Vielleicht hat er es aber auch nach draußen geschafft? Möglicherweise ist er für den ganzen Mist verantwortlich? Ärger breitet sich in mir aus. Wehe ihm, wenn ich ihn erwische!

Müßig, darüber nachzudenken. Ich muss hier schnellstens raus! Wer weiß, wie viel Sauerstoff mir zur Verfügung steht. Essen und Trinken wären kein größeres Problem, da habe ich noch etwas im Rucksack. Allerdings, wenn ich recht überlege, nicht viel Flüssigkeit. Wie lautete die Überlebens-Faustregel?

Drei Tage ohne Wasser und drei Wochen ohne Nahrung.

Okay, so lange habe ich garantiert nicht vor zu bleiben. Und langsam werde ich müde. Hoffentlich ist das kein Zeichen von Sauerstoffmangel, sondern liegt nur daran, dass ich seit fünf Uhr morgens auf den Beinen bin. Gegen neunzehn Uhr wollte ich daheim sein, um mich für mein Date frischzumachen. An meinem ersten freien Abend seit zehn Tagen.

Ach herrje, der arme Kerl denkt bestimmt, dass ich ihn versetzt habe.

Wenn meine Mutter das erfährt, wird sie mir die Hölle heiß machen und mir Absicht unterstellen. Mütter und Töchter. Eine Hassliebe. Ach Quatsch, für meine Mom würde ich durchs Feuer gehen.

Aber mit ihrem ewigen Nörgeln, wann ich endlich eine Familie zu gründen gedenke, geht sie mir schon auf den Geist. Sie hat doch noch zwei weitere Töchter. Außerdem ist sie bereits Doppel-Omi, dank meiner ältesten Schwester Jenny. Wieso soll ausgerechnet ich sie nun zur Dreifach-Omi küren? Soll sie damit doch ihre Jüngste quälen, Tasha. Und mich endlich in Ruhe lassen. Wenn ich hier raus bin, werde ich ihr das auch deutlich sagen. Punkt!

Komisch, was man sich für Gedanken macht, wenn man ganz allein ist.

Ich weiß nicht, wie viele Gänge ich inzwischen ausprobiert habe, bisher endeten sie alle in einer Sackgasse. Die vielen Abzweigungen überraschen mich. Wozu wurden sie angelegt? Was haben die Erbauer seinerzeit damit bezweckt? Nach Lagerräumen sehen mir die Sackgassen nicht aus, auch nicht nach Fluchttunneln, denn da fehlt das Wichtigste: ein Notausgang.

Mein Vater hat mir erzählt, dass die Tunnel älter seien als die Burg, nur wüsste niemand, wie alt genau, oder auch, von wem oder wozu sie angelegt wurden. Ich fand das faszinierend und beschloss sofort, Archäologin zu werden, und hoffte in meiner Naivität, bei späteren Ausgrabungen Dino-Knochen zu finden. Der Traum hat sich lange gehalten und war auch der Grund dafür, dass ich mich im Gymnasium durch Latein gequält habe, doch wenigstens half es mir, als ich Italienisch lernte. Polizistin zu werden, war ganz sicher nicht meine erste Wahl. Aber bei wem ist das schon der Fall?

Jetzt bin ich schon seit mehr als fünf Stunden hier unten und unendlich müde. Nach meiner Uhr ist es bereits nach Mitternacht. Ich brauche eine Pause und setze mich auf einen Vorsprung. Auf ein paar Minuten mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an.

Und zack, geht es auch schon los mit dem Kopfkino: Wenn ich hier nicht bald rauskomme, wird mich niemand finden. Klar, man könnte eine Handyortung vornehmen – falls das Erdreich über mir dies überhaupt zulässt –, außerdem steht mein Auto nicht weit entfernt. Aber dass die Suchmannschaft zeitig genug auf die versteckte Ruine stößt und dann auch noch den Tunnel findet, wage ich zu bezweifeln. Zudem ist der mir bekannte Haupteingang versperrt.

Zu allem Überfluss fange ich jetzt auch noch an, mich selbst zu bedauern ...

Was habe ich eigentlich im Leben erreicht?

Was hätte ich gern noch getan?

Wem hätte ich zu gern mal die Meinung gegeigt?

Und bei wem mich aufrichtig entschuldigt?

So viel, was ich noch zu tun habe!

So viel, was ich hätte noch bewirken können!

Was für ein Scheiß!

Von allem, was ich zu bedauern glaubte, kommt mir jetzt im dunklen Tunnel einzig und allein die verpasste Chance auf eine Beziehung wichtig vor. Eine echte, leidenschaftliche Liebe. O Gott, wie kitschig, aber leider wahr.

Welche Frau wünscht sich denn nicht einen starken Partner an ihrer Seite, dem sie vertrauen kann, der sie auf Händen trägt, der sie leidenschaftlich liebt und versorgt?

Die Frauenbewegung hat uns weiblichen Wesen Freiheit und Selbstbestimmtheit gebracht. Aber zugleich auch viel Verantwortung, bei doch recht gleichbleibender Arbeit. Denn in aller Regel liegen Kindererziehung und Haushalt auch heute noch im Aufgabenbereich der Frau. Und das neben dem Beruf.

Zwar übernehmen viele moderne Männer immer mehr Aufgaben im Haushalt, aber den Müll rausbringen, Einkäufe erledigen oder die Spülmaschine ausräumen sind keine echten Entlastungen. Einige wenige Männer bleiben zu Hause und kümmern sich um Haushalt und Familie. Leider geht dies meiner Erfahrung nach zulasten des Mannseins.

Ich kenne jedenfalls nur Machos oder Weicheier, eine gesunde Mischung ist mir selten begegnet.

Im Laufe der Jahre bin ich auf viele Herren der Schöpfung getroffen, die meinten, wir Damen hätten nur auf sie gewartet, und sie wären ein Gewinn für jede Frau. Während eine Frau eine andere Frau aufrichtig bewundern kann, kommt bei Männern immer gleich Konkurrenzdenken auf: Was soll der andere denn haben, was ich nicht habe?

Meine Schwester Jenny würde jetzt sagen: Du hast zu viele Kitschromane gelesen. Du bist voreingenommen. Deine Ansprüche sind zu hoch. Wir leben nicht mehr in der Steinzeit oder im Mittelalter. Den Mann deiner Träume gibt es nicht, und backen kannst du ihn dir auch nicht.

Sie hat vermutlich recht. Alles kann man nicht haben.

Diese dämliche Philosophiererei kommt wohl vom Sauerstoffmangel, versuche ich mir meine Gefühlsduselei zu erklären. Mir ist elend zumute. Was bin ich nur für ein Mensch. Gerd hatte recht, ich bin zu voreingenommen, lasse mich nicht fallen und will stets gewinnen. Unwillkürlich muss ich an mein verpasstes Date denken. Wer weiß, vielleicht wäre er es gewesen.

Jetzt fange ich auch noch an zu weinen.

Was macht dieser verflixte Tunnel bloß mit mir?

Es ist fünf Jahre her, dass ich geweint habe. Das weiß ich so genau, weil es auf der Beerdigung meines Vaters war.

Er fehlt mir so unglaublich! Mir wird das Herz schwer. Er war der Einzige, der mich je richtig verstanden hat. Er würde wissen, was zu tun wäre, um hier rauszukommen.

Eigentlich habe mich nur seinetwegen von meinem ursprünglichen Traumberuf verabschiedet und bin Polizistin geworden. Paps war mein Vorbild.

Er selbst war lange Jahre bei einer Sondereinheit der Polizei. Hat aber nie viel erzählt. Durfte er nicht. Als ich noch recht klein war, brachte er mich zum Kampfsport. Meine Mutter war darüber anfangs ganz froh. Nur nicht darüber, dass ich in die Fußstapfen meines Vaters getreten bin. Vermutlich will sie mich deshalb in eine Beziehung drängen, damit ich Ehefrau und Mutter werde und den Polizeidienst aufgebe oder wenigstens im Innendienst arbeite. Das kann sie sich jedoch abschminken!

Mein Vater war immer mein Mentor. Als sich herauskristallisierte, dass ich zur Polizei wollte, war er sehr stolz und hat mich auf ganzer Linie unterstützt. Da habe ich meine Eltern das erste Mal richtig böse streiten hören. Das kam sehr selten vor. Mein Vater vergötterte meine Mutter, die beiden liebten sich sehr. Und sie waren ein schönes Paar – mein Vater war auch mit sechzig noch eine stattliche Erscheinung, durchtrainiert, ein Meter neunzig groß und mit einem dunklen Teint, mit dem er zu jeder Jahreszeit braungebrannt aussah. Obwohl er in diesem Alter längst kahl war, schwärmten einige meiner Freundinnen heimlich für ihn. Meine Schwestern kommen ganz nach ihm, einschließlich der herrlich tiefbraunen Augen, sie wirken fast südländisch; ich hingegen komme bis auf meine Größe eher nach unserer Mutter – sie ist klein, blond und blauäugig, gute dreißig Zentimeter kleiner als Paps, aber quirlig und tüchtig. Vor Papas Tod hat sie immer viel gelacht.

Jedenfalls waren sie so gut wie immer einer Meinung, aber in diesem Fall hat Paps seine Beziehungen spielen lassen, gegen Mamas Willen, und so kam ich nach meiner Frischlingszeit für ein Jahr nach Israel, in eine Spezialeinheit namens Jamam. Als junge, unerfahrene Deutsche hatte ich dort anfangs keinen leichten Stand. Zugute kamen mir mein Ehrgeiz, mein Geschick und meine Begabung, mich anzupassen. Und natürlich war mein zweiter Mentor Zohar mir eine wertvolle Stütze. Er verlangte nicht wenig von mir, nahm mich dafür aber auch unter seine Fittiche und lehrte mich vieles. In Israel vertiefte ich meine Fähigkeiten im Kampfsport Krav Maga.

Eigenlob soll bekanntlich stinken, doch bin ich wirklich gut sowohl im Nahkampf als auch im Umgang mit verschiedenen Waffen beziehungsweise allen möglichen Gegenständen, die man so zur Verteidigung nutzen kann. Besonders der Stockkampf hat es mir angetan. Mit Schusswaffen kann ich umgehen, mag sie aber nicht sonderlich.

Die Ausbildung bei Jamam und die Zeit danach hat mich stark geprägt. Ich wurde selbstbewusster und sehr souverän. Daher ist es mir ein Rätsel, dass ich hier unten im Tunnel so nervös geworden bin. Ich habe schon brenzligere Situationen erlebt. Dennoch hat mein Herz bis zum Anschlag geklopft, und meine übliche Coolness ist mir zeitweilig völlig abhandengekommen. Vielleicht liegt es daran, dass hier so viele Erinnerungen eines früheren Ichs auf mich gewartet haben? Und ich muss zugeben: So sehr mich diese Anlage schon immer fasziniert hat, es ist und bleibt eine unheimliche Umgebung.

Seit dem Vorfall mit Alex, als der Tunnel zu vibrieren begann, bin ich nicht mehr hier gewesen. Möglicherweise haben sich die Erinnerungen von damals einfach mit meiner heutigen Anspannung verbunden, und beides hat sich gegenseitig verstärkt. Diese einsamen Gänge mit ihrer Dunkelheit, Stille und klaustrophobischen Enge zwingen mich geradezu, in mich zu gehen – nachzudenken. Etwas, zu dem ich selten komme, da keine Zeit. Oft bin ich zu erschöpft, und ehrlich gesagt, lasse ich es nicht gern zu. Beispielsweise will ich nicht über Gerds Behauptung nachdenken, ich hätte eine weibliche Form des Ödipus-Komplexes entwickelt, einen Elektrakomplex. Das war nur eine von vielen Gemeinheiten, die er mir am Schluss unserer Beziehung entgegengeschleudert hat. Aber manchmal jammerte er auch: Er hätte nie eine echte Chance gehabt. Würde nicht dem Paps-Standard genügen.

Nicht unwahr, Gerd. Ich kann mir keinen Mann vorstellen, der in Paps’ Fußstapfen treten könnte – dir jedenfalls waren seine Schuhe viel zu groß ...

Ich schüttele mich kräftig, um diese Flut an unerfreulichen Gefühlen loszuwerden. Und da, ganz plötzlich, kommt mir eine Idee: Manchmal sieht man im Film, wie ein Streichholz angesteckt wird, um zu schauen, ob von irgendwoher ein Luftzug weht. Ich habe zwar keine Streichhölzer, aber ein Feuerzeug. Einen Versuch ist es allemal wert.

Langsam trage ich die kleine Flamme durch die Enge der rechten Tunnelabzweigung. Aber nichts tut sich. Oder vielleicht doch? Nein, es ist nur der Hauch meines Atems oder die Bewegung, die die Flamme zum Flackern bringt. Enttäuschung macht sich in mir breit.

Bloß nicht aufgeben!

Unvermittelt flackert sie nun doch noch ungewöhnlich stark. Keine Fehlinterpretation möglich! Hoffnung steigt in mir auf. Immer wieder muss ich das Feuerzeug neu justieren, um den richtigen Luftzug zu erfassen. Nur geht es jetzt nicht mehr weiter. Auch dieser Tunnelabzweig scheint eine Sackgasse zu sein.

»Verdammt! Das kann doch jetzt nicht wahr sein!«, fluche ich laut.

Die Flamme zuckt noch immer kräftig. Hier muss es einen anderen Durchgang geben, da bin ich mir ganz sicher. Es gilt die Stelle in der Wand zu finden, durch die Luft einströmt. Vielleicht habe ich Glück, und die Mauer ist nicht massiv?

Da! Eindeutig! Der Windhauch kommt durch eine Ritze links in der Wand.

Anfänglich versuche ich mit bloßen Händen, Steine und Erde zu entfernen. Da dies nicht fruchtet, beginne ich mit den Füßen, genauer gesagt den Stiefelabsätzen, auf die Wand einzutreten. Mir tut zwar alles weh, aber die Hoffnung auf Freiheit mobilisiert meine Kräfte. Und welch Freude: Teile der Wand geben nach und stürzen nach außen. Ich habe es geschafft und zwänge mich durch die schmale Öffnung.

Es ist zwar kein richtiger Ausgang, ich lande zunächst nur in einem weiteren Gang, aber ich hoffe, dass dieser mich in die Freiheit führt. Es dauert einige Minuten, dann nehme ich in der Ferne Licht wahr. Kein künstliches, sondern Tageslicht.

Korber fällt mir wieder ein. Ob er draußen auf mich wartet? Egal! Ich will hier nur schnellstens raus.

KAPITEL 3 - ANKUNFT

Grelles, warmes Licht blendet mich. Nur schemenhaft nehme ich meine Umgebung wahr. Ich stehe auf einer kleinen Lichtung. Es dauert eine Weile, bis sich meine Augen ans Tageslicht gewöhnen. Die Sonne steht hoch am Himmel. Nach meiner Uhr müsste aber erst früher Morgen sein.

Seltsam ...

Außerdem ist es wärmer als erwartet. Der Wetterbericht hatte für diese Juniwoche ungewöhnlich kühle Temperaturen und viel Regen vorausgesagt. Doch auch ansonsten ist hier alles anders. Oder, besser gesagt: Es fühlt sich anders an. Ich kann es kaum erklären.

Ich blicke mich um. Die Burgruine ist nirgendwo zu sehen. Die kleine Lichtung ist von Wald umgeben, alles Eichen. Eigenartig – mir ist in unserer Gegend kein Eichenwald bekannt. Es gibt nur noch vereinzelte Eichenbäume, so wie den an der Burgruine. In der Vergangenheit wurden sie wegen ihres robusten Holzes zu Hunderten gefällt.

Links und rechts vom Tunnelausgang, durch den ich ins Tageslicht getreten bin, ragt je ein hoher, schmaler Stein auf. Menhire, denke ich unwillkürlich und staune. In meiner Kindheit war dieser Wald mein zweites Zuhause, aber weder ist mir dieser Eichenwald vertraut noch habe ich je von diesen Menhiren gehört. Aber wer weiß schon, wie weit die unterirdischen Gänge reichen und wo genau ich rausgekommen bin?

Mein Auto finde ich garantiert so schnell nicht wieder.

Und was mache ich nun? Welchen Weg soll ich einschlagen? Ah, ich Dummkopf! Erst mal ausprobieren, ob ich Netz habe. Aber nein, mein Handy bekommt keine Verbindung. Hätte ich mir bei meinem Glück denken können. Nichts kommt rein, nichts geht raus. Verflucht!

Also gut. Ich bin von Süden her in Richtung Wolfslauf gefahren. Die Burgfeste liegt etwas östlich davon. Allerdings stelle ich schnell fest, dass die Ruine mir nicht als Orientierung dienen kann, da sie nicht mehr zu sehen ist.

Okay, wie war das noch mit dem Moos an den Bäumen?

Moos wächst dort, wo es feucht ist, also dort, wo es am längsten schattig bleibt. Da die Sonne nie aus dem Norden scheint, wächst Moos vor allem auf der Nordseite von Bäumen.

Nun gut – diese Bäume hier sind von einer Seite dicht und deutlich erkennbar mit Moos bewachsen, also ist dort Norden.

Dann müsste in entgegengesetzter Richtung Süden sein, und da liegt Stornfels. Ich bin froh, eine Richtung zu haben, und freue mich auf eine warme Dusche, heißen Kaffee und die Schimpftiraden meiner Mutter. An Korber verschwende ich kaum einen Gedanken, der wird sich längst aus dem Staub gemacht haben. Aber natürlich halte ich die Augen offen. Für den Fall der Fälle.

Allzu lange sollte es nicht dauern, bis ich auf einen Weg oder eine Straße stoße. Das hoffe ich jedenfalls. Ich bin groggy und will nur noch ins Bett. Da es außergewöhnlich warm ist, ziehe ich die Jacke aus und packe sie in den Rucksack, ebenso wie die Waffe. Sonst behindert mich das ganze Zeug nur. Ich habe einen strammen Fußmarsch vor mir, und das in diesem hügeligen Gelände. Sicherlich geht es deutlich schneller, sobald ich die Landstraße erreiche.

Ich überschlage grob, wie viele Kilometer es bis nach Hause sein dürften. Wahrscheinlich um die fünf. Das sollte ich in einer guten Stunde geschafft haben.

Ich muss schon sagen, wir leben in einer der schönsten Ecken Deutschlands. Klar, das sagt vermutlich jeder über seine Heimat. Aber unsere Wälder und Mittelgebirge sind wirklich märchenhaft. Hessen ist eben ein Märchenland. Nicht von ungefähr zählen die Gebrüder Grimm zu den berühmtesten Hessen.

Jetzt, mit Anfang dreißig, schätze ich diesen Rückzugsort. Natürlich gab es eine Phase in meinem Leben, da wollte ich die Welt kennenlernen. Aber dauerhaft im Ausland zu leben, ist nichts für mich. Es war aufregend, eine Zeitlang woanders zu sein und auch der Familie zu entrinnen, aber schlussendlich hängt mein Herz an der Heimat, wo meine Wurzeln liegen.

Verflixt! Meine unfreiwillige Wanderung ist mühseliger, als ich mir vorgestellt habe. Teils muss ich klettern. Ich bin bereits seit zwei Stunden unterwegs, und noch immer ist kein Mensch in Sicht, geschweige denn ein Dorf. Auf eine Straße bin ich ebenfalls nicht gestoßen, lediglich auf einen alten, schmalen Trampelpfad. Auf dem gehe ich jetzt weiter. Irgendwann muss ich doch auf irgendein Anzeichen von Zivilisation stoßen.

Eine Netzverbindung bekomme ich auch immer noch nicht, ich habe es unzählige Male vergeblich versucht. Das gehört zu den Dingen auf dem Land, die mich nerven: schlechte Netzanbindung. In solchen Momenten wünsche ich mir den Großstadtluxus zurück.

Bei all dem Frust fällt mir jetzt erst auf, dass ich nichts höre. Also Vögel und anderes Getier schon, aber sonst nichts. Weder Autos noch Flugzeuge noch andere Menschen. Ich habe keinen einzigen Forstarbeiter oder Waldspaziergänger getroffen. So sehr kann ich mich doch gar nicht verlaufen haben? Inzwischen müsste doch der Stornfelser Berg zu sehen sein, oder zumindest hätte mal eine Landstraße meinen Weg kreuzen müssen. Auch fehlen mir die üblichen Geländepunkte und Landmarken.

Ich sehe nur Wald! Bäume über Bäume!

Die meisten scheinen recht alt zu sein, hochgewachsen und mit kräftigen Stämmen. Bin ich vielleicht in der Nähe des Nidda-Stausees? Bei den Mammutbäumen? Nein, das kann nicht sein, da hätte ich definitiv mehrere Waldwege und Straßen kreuzen müssen. Hoffentlich habe ich bei der Sache mit dem Moos an den Baumstämmen nichts verwechselt. Sollte ich mich für die falsche Himmelsrichtung entschieden haben, kann ich noch lange laufen. Da ist viel Wald und der nächste Ort zig Kilometer entfernt.

Während ich darüber nachdenke, dass ich vermutlich auf dem Holzweg bin, nehme ich Geräusche wahr. Stimmen? Ganz in der Nähe scheinen Menschen zu sein. Endlich!

Kurz orientiere ich mich und folge dann den immer lauter werdenden Stimmen. Je näher ich komme, umso mehr gewinne ich den Eindruck, dass Aggressionen im Spiel sind. Könnte es Korber sein? Das wäre ein glücklicher Zufall.

Bei dem Gedanken bin ich wieder hellwach und beeile mich. Vielleicht kann ich ihn doch noch dingfest machen. Kurz überlege ich, ob ich meine Waffe aus dem Rucksack holen soll, entscheide mich aber dagegen. Wenn Korber nicht unter ihnen ist, würde ich mit der Waffe in der Hand nur unnötig Aufregung verursachen. Daher suche ich nach einer Alternative. Mein Blick fällt auf einen robusten, abgebrochenen Ast unter einer Eiche. Ich hebe ihn auf. Der wird es für den Anfang tun und eignet sich auch super als Gehstock. Wäre nur blöd, wenn Korber wirklich dort ist und seine Waffe zieht.

Bleib ruhig. Du glaubst doch sowieso nicht, dass er da ist!

Endlich kommen die Leute in Sicht. Sie sind zu dritt, eine Frau und zwei Männer. Sie scheinen zu streiten. Korber ist jedenfalls nicht unter ihnen. Schwups, das war's auch schon mit meinem Adrenalinanstieg, mein Herzschlag beruhigt sich. Der Kerl ist vermutlich schon über alle Berge. Egal!

Mich interessiert jetzt nur noch eines: Ich will endlich wissen, wie ich nach Hause komme oder wenigstens zur nächsten Hauptverkehrsstraße.

Während ich auf die drei zulaufe, rufe ich laut: »Hey, hallo! Kann mir bitte jemand weiterhelfen?«

Doch plötzlich meldet sich mein Instinkt. Nachdem ich eine erneute Begegnung mit Korber ausgeschlossen hatte, bin ich ganz arglos auf die drei zugesteuert. Aber je näher ich komme, umso warnender grummelt es in meiner Magengegend. Die Personen befinden sich mittlerweile auf dem Waldboden. Okay, vielleicht störe ich ein Liebespaar. Nur sind sie zu dritt – eine Ménage á Trois?

Nein! Da stimmt etwas nicht.

Durch ihren lautstarken Disput haben sie mich anfänglich nicht wahrgenommen, aber nun dreht sich einer der Männer zu mir um. Ziemlich ruckartig und fast, als wäre er bei etwas – Verbotenem? – ertappt worden. Mit jedem meiner Schritte wird die Sachlage klarer und mein Adrenalinpegel schießt wieder in die Höhe.

Vor mir ist mindestens der Versuch einer Vergewaltigung im Gange. Eine junge Frau liegt mit dem Rücken auf dem Boden. Ihr Rock ist hochgeschoben, das blonde Haar wirr und verdreckt. Einer der Kerle liegt zwischen ihren Beinen, während der andere ihre Arme festhält. Sie wendet den Kopf in meine Richtung, und ich sehe die blanke Panik in ihrem Gesicht. So laut ich kann, brülle ich: »Lasst sofort die Frau los! Ich bin Polizistin! Ihr seid verhaftet!«

Ich beschleunige meine Schritte, halte zielstrebig auf sie zu. Meine Worte scheinen sie nicht zu beeindrucken. Eher habe ich das Gefühl, dass sie mich nicht verstanden haben. Zugleich registriere ich die merkwürdigen Klamotten der Männer: Sie tragen eine Art Rock oder Kleid mit Gürtel, darüber leichte Brustpanzerung. Alles in allem wirkt die Kleidung römisch. Ja, römisch. Die Männer selbst sind wohl auch eher Südländer. Dunkle Haare, dunkle Haut.

Vielleicht findet in der Nähe gerade wieder ein Mittelalterfest statt?

Ich wiederhole meine Worte. Wieder keine Reaktion. Doch dann starrt mich der Kerl, der das Mädchen festhält, seltsam an. Er lässt sie unvermittelt los und spaziert auf mich zu. Seine Absichten sind eindeutig. Er hat es auf mich abgesehen. Gut, dass ich den Stock in der Hand habe.

Alles geht sehr schnell. Keine fünf Stockschläge und schon liegt er bewusstlos am Boden. Er hatte nicht einmal die Gelegenheit, mich zu berühren.

Ich fand schon immer, dass der Stockkampf ein bisschen wie Tanzen ist. Und ehrlich gesagt, es hat mir Vergnügen bereitet, diesen Mistkerl niederzuschlagen.

Von dem zweiten Mann, der mit dem Mädchen beschäftigt ist, habe ich bisher nur das bloße Hinterteil gesehen. Aber offenbar ist er nicht zu beschäftigt, um mitzubekommen, was mit seinem Kumpel geschehen ist, und er macht Anstalten, aufzustehen. Doch ich bin schneller und setze ihn mit einem gezielten Schlag gegen den Kopf außer Gefecht. Die beiden dachten allen Ernstes, sie würden leichtes Spiel mit mir haben.

Da der Kerl mit seinem Gewicht auf das Mädchen gefallen ist und sie sich des schweren Körpers nicht aus eigener Kraft entledigen kann, helfe ich ihr, ihn von ihr hinunterzuwälzen. Sie ist völlig aufgewühlt, ihre Augen sind feucht. Ich rede sanft auf sie ein: »Es ist alles gut. Sie können dir nichts mehr antun.«

Als ich sie beruhigend in den Arm nehmen will, schreckt sie zurück und blickt mich das erste Mal direkt an.

Sie mustert mich von oben bis unten. Ihre vom Schock glasigen Augen wirken plötzlich lebendiger, fast neugierig.

»Bist du verletzt?«, frage ich.

Keine Antwort.

»Wie heißt du?«

Keine Antwort.

»Woher kommst du?«

Keine Antwort.

»Kennst du diese Männer?«

Keine Antwort.

Ach herrje. Taub ist sie nicht, sie reagiert auf meine Worte, aber vielleicht ist sie stumm? Nein, das glaube ich nicht. Ich habe sie vorhin doch schreien hören.

Urplötzlich springt sie wie von der Tarantel gestochen los, und ehe ich mich versehe, bin ich allein, und sie ist nicht mehr in Sicht. Die beiden Kerle grunzen in ihrer Umnachtung leise vor sich hin. Vielleicht ist es auch ein unterbewusstes Wehklagen.

Was soll ich denn jetzt machen?

Das Opfer ist nicht mehr da, und ich weiß immer noch nicht, wie ich aus dem verfluchten Wald rauskomme. Dazu diese beiden Typen im Gepäck. Mir bleibt nichts anderes übrig, als sie an den nächstbesten halbwegs schmalen Baum zu binden. Ich schleife den einen auf die eine Seite des Baumstamms, den anderen auf die andere, und fessle ihre Handgelenke mit Kabelbindern aneinander. Ich kann ja nicht gemeinsam mit den zweien durch den Wald laufen, ohne zu wissen, wo genau ich bin. Die beiden nach dem Weg zu fragen ist zwecklos, sie werden es mir kaum sagen.

Während ich sie mühsam aneinanderfessle, steigt mir ein strenger Geruch in die Nase. Diese Typen hätten dringend eine Dusche nötig, wenn nicht sogar einen Waschgang bei neunzig Grad. Die zwei stinken wie die Hölle.

Ich bin fast fertig, als sie langsam wieder wach werden. Mit schmerzverzerrten Gesichtern stöhnen sie jämmerlich. Als sie sich ihrer Situation bewusst werden, starren sie mich voller Zorn und unverhohlener Mordlust an. Natürlich versuchen sie sich mit aller Kraft zu befreien, aber es gelingt ihnen nicht. Dann wird es richtig schräg: Sie schreien mich in einer fremden Sprache an, und anfangs verstehe ich keinen Ton, kann die Sprache nicht gleich zuordnen. Dann glaube ich einzelne Wörter zu erkennen. Am ehesten ähneln sie – Latein? Nettigkeiten kreischen sie mir jedenfalls nicht entgegen. Was aber auch nicht zu erwarten ist angesichts ihrer Lage. Mir fliegt das Wort Amasiuncula um die Ohren. Frei übersetzt bezeichnen sie mich wohl als Flittchen.

So was bleibt also aus dem Lateinunterricht hängen.

Ich fühle mich veralbert und werde ebenfalls laut: »Schluss jetzt! Verarschen kann ich mich allein. Ihr Möchtegern-Römer bleibt jetzt hier, bis ich Hilfe geholt habe. Ihr wollt mir vermutlich nicht sagen, wie ich von hier aus am schnellsten zur Hauptstraße gelange, oder?« Da sie weiter in kaum verständlichem Kauderwelsch auf mich einbrüllen, entgegne ich nur: »Das heißt also: Nein? Ihr wollt diese Posse nicht beenden? Okay, war mir schon klar. Na, dann bis später. Wird ohne eure Hilfe halt etwas dauern.«

Sie starren mich wütend, aber auch offenkundig ratlos an. Verstehen sie mich vielleicht wirklich nicht?

Ich verlasse die beiden und suche mein Glück in der Richtung, in die das Mädchen gerannt ist. Die beiden Laiendarsteller höre ich noch eine Weile schreien. Juckt mich aber nicht!

KAPITEL 4 - TRAUM ODER ALBTRAUM

Ich bin vielleicht eine Viertelstunde querfeldein gelaufen, als ich Lärm höre. Ohrenbetäubenden Lärm.

Keine Maschinen, eher Stimmen von vielen Menschen und andere Geräusche. Metall?

Dort vorn wird der Wald lichter. Endlich komme ich hier raus. Erleichtert sehe ich mich schon in meinem gemütlichen Zuhause. Ich habe Schlaf dringend nötig. An Korber denke ich kaum. Was ich dann zu Gesicht bekomme, habe ich allerdings nicht erwartet.

Vor mir breitet sich auf einer großen freien Fläche eine Art Militärlager aus. Die meisten Teilnehmer dieses Festivals scheinen als römische Soldaten verkleidet zu sein, andere haben lediglich Kleidchen mit Gürtel an – Tuniken.

Ich habe gar nicht mitbekommen, dass in unserer Gegend eine derartige Veranstaltung stattfindet? Meist sind es eher Mittelalter-Events, Ritterspiele und so. Das hier scheint aber etwas anderes zu sein. Außerdem sehe ich nirgends normal gekleidete Leute. Normalerweise treiben sich bei so einem Spektakel auch eine Menge neugierige Besucher herum. Vielleicht bauen sie noch auf, und die Veranstaltung beginnt erst morgen? Komisch ist aber auch, dass nicht eine einzige Frau zu sehen ist. Alles sehr merkwürdig.

Während ich allein am Waldrand stehe, leicht verdeckt von Gestrüpp, und das ganze Treiben beobachte, wird mir immer flauer in der Magengegend. Alles scheint so perfekt aufeinander abgestimmt zu sein. Ich sehe keine Fehler in der Authentizität. Nirgends steht ein Auto oder LKW.

Am rechten Rand des Lagers befindet sich eine Koppel mit bestimmt fünfzig Pferden, eher mehr. Benötigt man für ein Schauspiel eine solche Anzahl?

Die Männer sehen nicht wie Einheimische aus, die meisten wirken südländisch und sind kaum größer als ich. Mein Instinkt rät mir zur schnellen Flucht. Bevor ich aber die Chance dazu erhalte, stehen plötzlich drei Männer um mich herum und bedrohen mich mit Schwertern.

Ja, mit Schwertern! Genauer gesagt, mit Kurzschwertern, und sie sehen wirklich echt aus. Ob sie es auch sind?

»Was soll der Scheiß?«, höre ich mich genervt brüllen und ergänze: »Nehmt die Dinger weg! Damit könntet ihr jemanden verletzen!« Keine Reaktion.

Verdammt, sind denn alle Menschen, auf die ich treffe, stumm?

Sie sehen mich einfach nur blöd an, mustern mich von oben bis unten und bedrohen mich weiterhin mit ihren Waffen. Warum lacht denn jetzt keiner und löst das Ganze auf? Die Situation wirkt extrem ernst, und die Waffen sind nach genauerem Blick wirklich keine Attrappen.

»Legt sofort die Waffen weg! Ich bin Polizistin und verfolge einen Verdächtigen.« Nichts! Null Reaktion, abgesehen von den ratlosen Blicken, die sie miteinander wechseln.

Okay, dann muss jetzt einer von uns handeln!

Zielstrebig nutze ich eine Lücke, die sich zwischen den dreien gebildet hat, und schlüpfe hindurch. Weit komme ich allerdings nicht, denn nicht nur die drei Vollpfosten sind mir dicht auf den Fersen, nein, ich höre auch rasch näherkommende Hufschläge.

Verdammt, was ist hier nur los?

Unvermittelt umringen mich vier Reiter und versperren mir jeden Fluchtweg. »Hey, was soll das? Wer seid ihr?«, schreie ich sie an. »Gebt den Weg frei! Ihr behindert eine polizeiliche Maßnahme!«

Ich hoffe inständig, dass man mir meine Halbwahrheit abkauft und die Worte ihre Wirkung nicht verfehlen. Aber Pech gehabt. Nichts als verwunderte Gesichter. Die Männer mustern mich so unverhohlen und eindringlich, dass ich mich dabei ganz nackt fühle.

Einer der Reiter – möglicherweise der Anführer, jedenfalls scheint mir seine Kleidung und Rüstung prunkvoller und von besserer Qualität zu sein – ergreift schließlich das Wort: »Romanus tribunatus sum calidus Marcus Caelius Aurelius. Qui estis, unde venistis?«

Ich kann es nicht fassen. Schon wieder Latein? Diese Jungs nehmen ihre Kostümparty wirklich ernst. Wenigstens verstehe ich diese Worte etwas besser als die Beleidigungen seiner Kumpels. Anscheinend spielt er einen Tribun namens Marcus und will wissen, wer ich bin und woher ich komme. Ich muss schon sagen, sie bleiben ihrer Rolle treu und gehen darin völlig auf. Dieser hier, der mich bis auf die Knochen mustert, will also ein römischer Tribun sein? Schön und gut, aber meinetwegen könnten sie jetzt endlich mit dem ganzen Nonsens aufhören. Das ist einfach nicht mehr witzig.