Effi Briest - Theodor Fontane - E-Book + Hörbuch

Effi Briest Hörbuch

Theodor Fontane

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Beschreibung

Mit einem Vorwort zu Leben und Werk Effi Briest gilt als ein Höhe- und Wendepunkt des poetischen Realismus der deutschen Literatur. Mit seiner schriftstellerischen Eleganz wurde Fontane in dieser Charakterstudie einer unglücklichen und an ihren Gefühlen scheiternden Frau zum bedeutendsten Geburtshelfer des deutschen Gesellschaftsromans. Effi Briest gesellt sich in ihrem Schicksal zu den zwei anderen gefallenen Frauenfiguren der europäischen Literatur des endenden 19. Jahrhunderts: Flauberts Madame Bovary und Tolstois Anna Karenina. Frauen, die ihre Gefühle mit den überkommenen aber noch nicht überwundenen Moralvorstellungen einer unfreien Welt nicht in Einklang bring können. Beschrieben wird das Schicksal Effi Briests, die als siebzehnjähriges Mädchen auf Zureden ihrer Mutter an den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten verheiratet wird. Vereinsamt in dieser Ehe, geht Effi eine flüchtige Liebschaft mit einem Offizier ein. Fortan ist das Schicksal Effis besiegelt, auch sie muss scheitern. Die Gesellschaft – und auch Fontane – findet für sie keinen Ausweg. Null Papier Verlag

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Zeit:5 Std. 12 min

Sprecher:Julia Jentsch
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Theodor Fontane

Effi Briest

Theodor Fontane

Effi Briest

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 2. Auflage, ISBN 978-3-954181-34-6

null-papier.de/137

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Inhaltsverzeichnis

Theo­dor Fon­ta­ne – Le­ben und Werk

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

Zwölf­tes Ka­pi­tel

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Vier­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Fün­f­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Sechs­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Acht­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Neun­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Vierund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Fün­fund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Sechs­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

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Theodor Fontane – Leben und Werk

Als dem Ehe­paar Louis Hen­ry und Emi­lie Fon­ta­ne am 30. De­zem­ber 1819 der Sohn Theo­dor ge­bo­ren wird, ruft das preu­ßi­sche Zeit­ge­sche­hen nur ganz lei­se nach na­tio­nal-de­mo­kra­ti­schen Au­to­ren.

Noch über je­den Zwei­fel er­ha­ben ist die Mon­ar­chie, der Adel be­spie­gelt sich selbst, das Bür­ger­tum strebt nach hö­he­rem ge­sell­schaft­li­chem An­se­hen. Ha­ben nicht Li­te­ra­ten das Odeur des Frei­geis­ti­gen, und sind sie nicht zu un­be­stän­dig, um als re­spek­ta­bel zu gel­ten?

Aus gu­tem Hau­se

Die Mut­ter, stan­des­be­wuss­te Toch­ter ei­nes Sei­den­händ­lers, des­sen Mä­ßig­keit sie rühmt, ist oft in Sor­ge. Va­ter Fon­ta­ne ver­sprach, eine gute Par­tie zu wer­den, im­mer­hin hat Preu­ßen-Kö­ni­gin Lui­se den Groß­va­ter Fon­ta­ne zum Ka­bi­netts­se­kre­tär be­stellt und ihn an­schlie­ßend zum Kas­tel­lan von Schloss Schön­hau­sen er­nannt. Über die zwei­fel­haf­te Eig­nung des Ma­lers zum Ka­bi­netts­se­kre­tär – Scha­dow be­schei­nigt ihm, über gute Kennt­nis der fran­zö­si­schen Spra­che zu ver­fü­gen – spricht man nicht, son­dern freut sich sei­nes ge­sell­schaft­li­chen An­se­hens. Dann gibt es da noch einen ver­wand­ten Rit­ter­gut­be­sit­zer, des­sen lack­schwar­ze Chai­se, aus­ge­stat­tet mit brei­ten ro­ten Samt­pols­tern, aus­ge­spro­chen re­prä­sen­ta­tiv wirkt, wenn Fa­mi­lie Fon­ta­ne zur Land­par­tie ab­ge­holt wird.

Glän­zend könn­te Emi­lie das al­les fin­den, wäre ihr Ge­mahl nicht arg dem Spiel zu­ge­tan. Die gute Par­tie of­fen­bart mensch­li­che Schwä­che, als Louis Hen­ry, um Spiel­schul­den zu be­glei­chen, sei­ne Apo­the­ke in Neu­rup­pin auf­gibt und sich in Swi­ne­mün­de mit ei­nem klei­ne­ren Ge­schäft eta­blie­ren muss.

Sohn Theo­dor ist zu die­sem Zeit­punkt sie­ben Jah­re alt. Als kran­ker, alt ge­wor­de­ner Mann wird er sich, in »Mei­ne Kin­der­jah­re«, rück­bli­ckend mit sei­nen ge­gen­sätz­li­chen El­tern be­fas­sen. Zu­nächst aber ver­lässt er Neu­rup­pin, kehrt je­doch als Gym­na­si­ast für ein Jahr in die Stadt zu­rück, um an­schlie­ßend eine Ge­wer­be­schu­le in Ber­lin zu be­su­chen. Als ihm auch das nicht zu­sagt, tritt er 1836 in vä­ter­li­che Fuß­stap­fen, in­dem er eine Aus­bil­dung zum Apo­the­ker ab­sol­viert. Nun dau­ert es nur noch drei Jah­re, bis er sein ers­tes li­te­ra­ri­sches Werk vollen­det, die No­vel­le »Ge­schwis­ter­lie­be«. Nach­dem er sei­ne Leh­re ab­ge­schlos­sen hat, ver­schlägt es ihn 1840 in die Nähe Mag­de­burgs, wo er sei­ne ers­te An­stel­lung als Apo­the­ker­ge­hil­fe an­tritt.

Bei­de Wege, so­wohl den des Apo­the­kers als auch den des Li­te­ra­ten, setzt Fon­ta­ne vor­erst kon­se­quent fort. In den nächs­ten Jah­ren ar­bei­tet er in Leip­zig und Dres­den, tritt li­te­ra­ri­schen Ve­rei­ni­gun­gen bei, be­vor er in der Apo­the­ke des Va­ters tä­tig wird.

Der li­te­ra­ri­sche Bür­ger

Sei­ne Lehr- und Wan­der­jah­re be­en­det Fon­ta­ne 1845 in Ber­lin, wo er sich po­li­ti­siert, streit­ba­re Schrif­ten ver­fasst und 1848 auf den Bar­ri­ka­den der März-Re­vo­lu­tio­näre zu fin­den ist. Nach­dem er 1850 ge­hei­ra­tet hat, gibt er den Apo­the­ker­be­ruf voll­stän­dig auf, um als Schrift­stel­ler zu le­ben.

Ab dem Jahr 1852 ar­bei­tet er für die Neue Preu­ßi­sche Kreuz-Zei­tung. Dort er­schei­nen Fon­ta­nes kul­tu­rel­le Be­rich­te aus Eng­land, wo er bis 1859 lebt. Nach dem Re­gie­rungs­wech­sel in Preu­ßen kehrt der Au­tor nach Ber­lin zu­rück, auf eine all­ge­mei­ne Li­be­ra­li­sie­rung ver­trau­end. Da er hier zu­nächst kei­ne re­dak­tio­nel­le An­stel­lung fin­det, kommt es ihm ge­le­gen, dass Rei­se­li­te­ra­tur sich au­ßer­or­dent­lich gut ver­kauft. Er ver­fasst zwei Schrif­ten über Eng­land und greift eine Idee auf, die ihm be­reits in Schott­land ge­kom­men war, dass näm­lich das Bran­den­bur­gi­sche ge­nug Schön­heit zu bie­ten hät­te, auf die nur auf­merk­sam ge­macht wer­den müs­se.

Der Som­mer 1859 ist die Ge­burts­stun­de der »Wan­de­run­gen«. Fon­ta­ne streift durch die Mark, be­gin­nend mit Neu­rup­pin und dem Rup­pi­ner Land. Er sich­tet Archi­ve, spricht mit Ein­woh­nern und lässt sich durch land­schaft­li­che Rei­ze an­rüh­ren. Zu­nächst wer­den ein­zel­ne Ar­ti­kel ver­öf­fent­licht, bis 1861 das Büch­lein »Die Graf­schaft Rup­pin« den Auf­takt der Te­tra­lo­gie »Wan­de­run­gen durch die Mark Bran­den­burg« bil­det.

Als er 1889 »Die fünf Sch­lös­ser« fer­tig­stellt, sieht er den Band ei­gent­lich nicht für die »Wan­de­run­gen« vor, weil das Buch vor al­lem his­to­ri­schen Re­cher­chen ent­springt. Post­hum wird es vom Ver­lag je­doch in der­sel­ben Rei­he her­aus­ge­ge­ben.

Sys­tem­kri­ti­sches pu­bli­ziert Fon­ta­ne seit sei­nem En­ga­ge­ment bei der na­tio­na­lis­tisch-re­ak­tio­nären Neu­en Preu­ßi­schen Kreuz-Zei­tung nicht mehr. Bis 1870 ar­bei­tet er für die­ses Blatt, wo­mit er zwar den Le­bens­un­ter­halt sei­ner Fa­mi­lie si­chert, sich aber auch in den öf­fent­li­chen und in den pri­va­ten Men­schen spal­tet. Bei­spiels­wei­se bil­det der Ber­li­ner An­ti­se­mi­tis­muss­treit eine his­to­ri­sche Zä­sur im Kai­ser­reich, zu der Fon­ta­ne erst Stel­lung be­zieht, als sich der ge­sell­schafts­fä­hig ge­wor­de­ne An­ti­se­mi­tis­mus in neu­en Ge­set­zen ma­ni­fes­tiert. Per­sön­lich und ge­schäft­lich ist er ei­ni­gen Ju­den eng ver­bun­den; die oh­ne­hin spät ver­fass­ten Auf­sät­ze aber blei­ben un­voll­en­det in der Schub­la­de.

Ver­mut­lich sieht sich Fon­ta­ne Sach­zwän­gen aus­ge­lie­fert, denn be­reits 1851 wird sein ers­tes Kind ge­bo­ren, dem drei wei­te­re fol­gen wer­den. Bis auf den ers­ten Sohn ster­ben die Kin­der kurz nach der Ge­burt. In den Jah­ren 1856, 1860 und 1864 wer­den wei­te­re Kin­der ge­bo­ren, wes­halb der Au­tor eine sechs­köp­fi­ge Fa­mi­lie zu er­näh­ren hat.

Im Auf­trag der Neu­en Preu­ßi­schen Kreuz-Zei­tung be­gibt sich Fon­ta­ne 1864 nach Ko­pen­ha­gen, um als Kor­re­spon­dent über den Deutsch-Dä­ni­schen Krieg zu be­rich­ten.

Ein Aben­teu­er steht ihm 1870 be­vor: Ei­gent­lich schreibt er mitt­ler­wei­le als Thea­ter­kri­ti­ker für die Vos­si­sche Zei­tung, fährt je­doch we­gen des Deutsch-Fran­zö­si­schen Krie­ges nach Frank­reich. Dort wird er als Spi­on ver­haf­tet und kommt nur durch In­ter­ven­ti­on Bis­marcks frei.

Nach aus­ge­dehn­ten Rei­sen in­ner­halb Eu­ro­pas, un­ter­nom­men in den Jah­ren 1874 bis 1876, be­schließt er, sei­ne jour­na­lis­ti­sche Tä­tig­keit voll­stän­dig ein­zu­stel­len und nur noch als frei­er Schrift­stel­ler zu ar­bei­ten.

Dies ist der Auf­takt zu Fon­ta­nes epi­schem Spät­werk. Nach dem ers­ten Ro­man, dem 1878 ver­öf­fent­lich­ten »Der Sturm«, ver­fasst der Au­tor zahl­rei­che No­vel­len und Ro­ma­ne, die in der heu­ti­gen Re­zep­ti­on sei­ne ei­gent­li­che Be­deu­tung aus­ma­chen.

Theo­dor Fon­ta­ne stirbt am 20. Sep­tem­ber 1898 in Ber­lin. Die Grab­stät­te der Ehe­leu­te Fon­ta­ne be­fin­det sich auf dem Fried­hof II der Fran­zö­si­schen Ge­mein­de, in Ber­lin-Mit­te.

Der mil­de Beo­b­ach­ter

Als all­wis­sen­der Er­zäh­ler führt der ge­reif­te Ro­man­cier den Le­ser durch Un­ter­hal­tun­gen bei Tisch oder er­läu­tert Mo­ti­va­tio­nen für Ehe­brü­che und kri­mi­nel­le Hand­lun­gen. Da­bei be­ob­ach­tet er sehr ge­nau und er­laubt dem Pub­li­kum, die Pro­tago­nis­ten zu durch­schau­en. Fon­ta­ne übt, vor dem Hin­ter­grund sei­ner ei­ge­nen Le­bens­an­schau­ung, ur­tei­len­de Nach­sicht.

Die­se Heran­ge­hens­wei­se ist be­reits in den »Wan­de­run­gen durch die Mark Bran­den­burg« wahr­zu­neh­men. Berüh­rungs­ängs­te ge­gen­über an­de­ren Stän­den hat Fon­ta­ne nicht, aber er löst sich auch nie­mals vom bür­ger­li­chen Wer­te­sys­tem, an­ders als sein Brief­part­ner Theo­dor Storm. Ob­wohl sich Fon­ta­ne ge­sell­schaft­li­cher Fra­gen durch­aus an­nimmt, sie iro­nisch be­leuch­tet und bis ins De­tail psy­cho­lo­gisch tref­fend schil­dert, wo­mit er Kau­sa­li­tä­ten nach­voll­zieh­bar er­klärt, bleibt der Ein­druck ei­ner un­über­wind­li­chen Di­stanz.

Der bür­ger­li­che be­zie­hungs­wei­se ro­man­ti­sche Rea­lis­mus neigt dazu, Kala­mi­tä­ten zu ver­klä­ren oder zu igno­rie­ren. Storm blen­det sie oft aus, be­nennt je­doch hin und wie­der er­kenn­ba­res Elend.

Bei Fon­ta­ne gibt es das nicht: In al­lem ist ent­we­der »klei­nes Glück« oder großes – rein psy­cho­lo­gisch be­ding­tes – Dra­ma. Er ana­ly­siert per­sön­li­ches Schei­tern vor dem Hin­ter­grund ge­sell­schaft­li­cher Maß­stä­be, wie in »Effi Briest«, ohne Ge­sell­schaft und In­di­vi­du­um tat­säch­lich zu ver­knüp­fen. Wohl mag er wahr­neh­men, dass Kon­ven­ti­on in ur­säch­li­chem Zu­sam­men­hang mit in­di­vi­du­el­lem Ver­sa­gen steht. Doch letzt­end­lich liegt das Ver­schul­den stets bei der Ein­zel­per­son, die in ih­rem So-Sein dem Le­ben nicht ge­wach­sen ist: Der Mensch geht an sich selbst zu­grun­de; der gül­ti­ge Ver­hal­tens­ko­dex bie­tet le­dig­lich den Rah­men ei­nes sol­chen Ge­sche­hens.

Erstes Kapitel

In Front des schon seit Kur­fürst Ge­org Wil­helm von der Fa­mi­lie von Briest be­wohn­ten Her­ren­hau­ses zu Ho­hen-Crem­men fiel hel­ler Son­nen­schein auf die mit­tags­stil­le Dorf­stra­ße, wäh­rend nach der Park- und Gar­ten­sei­te hin ein recht­wink­lig an­ge­bau­ter Sei­ten­flü­gel einen brei­ten Schat­ten erst auf einen weiß und grün qua­drier­ten Flie­sen­gang und dann über die­sen hin­aus auf ein großes, in sei­ner Mit­te mit ei­ner Son­nen­uhr und an sei­nem Ran­de mit Can­na in­di­ca und Rha­bar­ber­stau­den be­setz­tes Ron­dell warf. Ei­ni­ge zwan­zig Schrit­te wei­ter, in Rich­tung und Lage ge­nau dem Sei­ten­flü­gel ent­spre­chend, lief eine ganz in klein­blätt­ri­gem Efeu ste­hen­de, nur an ei­ner Stel­le von ei­ner klei­nen weiß­ge­stri­che­nen Ei­sen­tür un­ter­bro­che­ne Kirch­hofs­mau­er, hin­ter der der Ho­hen-Crem­me­ner Schin­del­turm mit sei­nem blit­zen­den, weil neu­er­dings erst wie­der ver­gol­de­ten Wet­ter­hahn auf­rag­te. Front­haus, Sei­ten­flü­gel und Kirch­hofs­mau­er bil­de­ten ein einen klei­nen Zier­gar­ten um­schlie­ßen­des Huf­ei­sen, an des­sen of­fe­ner Sei­te man ei­nes Tei­ches mit Was­ser­steg und an­ge­ket­tel­tem Boot und dicht da­ne­ben ei­ner Schau­kel ge­wahr wur­de, de­ren ho­ri­zon­tal ge­leg­tes Brett zu Häup­ten und Fü­ßen an je zwei Stri­cken hing – die Pfos­ten der Bal­ken­la­ge schon et­was schief ste­hend. Zwi­schen Teich und Ron­dell aber und die Schau­kel halb ver­ste­ckend stan­den ein paar mäch­ti­ge alte Pla­ta­nen.

Auch die Front des Her­ren­hau­ses – eine mit Aloe­kü­beln und ein paar Gar­ten­stüh­len be­setz­te Ram­pe – ge­währ­te bei be­wölk­tem Him­mel einen an­ge­neh­men und zu­gleich al­ler­lei Zer­streu­ung bie­ten­den Auf­ent­halt; an Ta­gen aber, wo die Son­ne nie­der­brann­te, wur­de die Gar­ten­sei­te ganz ent­schie­den be­vor­zugt, be­son­ders von Frau und Toch­ter des Hau­ses, die denn auch heu­te wie­der auf dem im vol­len Schat­ten lie­gen­den Flie­sen­gang sa­ßen, in ih­rem Rücken ein paar of­fe­ne, von wil­dem Wein um­rank­te Fens­ter, ne­ben sich eine vor­sprin­gen­de klei­ne Trep­pe, de­ren vier Stein­stu­fen vom Gar­ten aus in das Hoch­par­terre des Sei­ten­flü­gels hin­auf­führ­ten. Bei­de, Mut­ter und Toch­ter, wa­ren flei­ßig bei der Ar­beit, die der Her­stel­lung ei­nes aus Ein­zel­qua­dra­ten zu­sam­men­zu­set­zen­den Altar­tep­pichs galt; un­ge­zähl­te Woll­sträh­nen und Sei­den­do­cken la­gen auf ei­nem großen, run­den Tisch bunt durch­ein­an­der, da­zwi­schen, noch vom Lunch her, ein paar Des­sert­tel­ler und eine mit großen, schö­nen Sta­chel­bee­ren ge­füll­te Ma­jo­li­ka­scha­le. Rasch und si­cher ging die Woll­na­del der Da­men hin und her, aber wäh­rend die Mut­ter kein Auge von der Ar­beit ließ, leg­te die Toch­ter, die den Ruf­na­men Effi führ­te, von Zeit zu Zeit die Na­del nie­der und er­hob sich, um un­ter al­ler­lei kunst­ge­rech­ten Beu­gun­gen und Stre­ckun­gen den gan­zen Kur­sus der Heil- und Zim­mer­gym­nas­tik durch­zu­ma­chen. Es war er­sicht­lich, dass sie sich die­sen ab­sicht­lich ein we­nig ins Ko­mi­sche ge­zo­ge­nen Übun­gen mit ganz be­son­de­rer Lie­be hin­gab, und wenn sie dann so da­stand und, lang­sam die Arme he­bend, die Hand­flä­chen hoch über dem Kopf zu­sam­men­leg­te, so sah auch wohl die Mama von ih­rer Hand­ar­beit auf, aber im­mer nur flüch­tig und ver­stoh­len, weil sie nicht zei­gen woll­te, wie ent­zückend sie ihr ei­ge­nes Kind fin­de, zu wel­cher Re­gung müt­ter­li­chen Stol­zes sie voll be­rech­tigt war. Effi trug ein blau und weiß ge­streif­tes, halb kit­tel­ar­ti­ges Lein­wand­kleid, dem erst ein fest zu­sam­men­ge­zo­ge­ner, bron­ze­far­be­ner Le­der­gür­tel die Tail­le gab; der Hals war frei, und über Schul­ter und Na­cken fiel ein brei­ter Ma­tro­sen­kra­gen. In al­lem, was sie tat, paar­te sich Über­mut und Gra­zie, wäh­rend ihre la­chen­den brau­nen Au­gen eine große, na­tür­li­che Klug­heit und viel Le­bens­lust und Her­zens­gü­te ver­rie­ten. Man nann­te sie die »Klei­ne«, was sie sich nur ge­fal­len las­sen muss­te, weil die schö­ne, schlan­ke Mama noch um eine Hand­breit hö­her war.

Eben hat­te sich Effi wie­der er­ho­ben, um ab­wech­selnd nach links und rechts ihre tur­ne­ri­schen Dre­hun­gen zu ma­chen, als die von ih­rer Sti­cke­rei ge­ra­de wie­der auf­bli­cken­de Mama ihr zu­rief: »Effi, ei­gent­lich hät­test du doch wohl Kun­strei­te­rin wer­den müs­sen. Im­mer am Tra­pez, im­mer Toch­ter der Luft. Ich glau­be bei­nah, dass du so was möch­test.«

»Vi­el­leicht, Mama. Aber wenn es so wäre, wer wäre schuld? Von wem hab ich es? Doch nur von dir. Oder meinst du von Papa? Da musst du nun sel­ber la­chen. Und dann, warum steckst du mich in die­sen Hän­ger, in die­sen Jun­gens­kit­tel? Mit­un­ter denk ich, ich kom­me noch wie­der in kur­ze Klei­der. Und wenn ich die erst wie­der habe, dann knicks ich auch wie­der wie ein Back­fisch, und wenn dann die Ra­the­nower her­über­kom­men, set­ze ich mich auf Oberst Goet­zes Schoß und rei­te hopp, hopp. Wa­rum auch nicht? Drei Vier­tel ist er On­kel und nur ein Vier­tel Cour­ma­cher. Du bist schuld. Wa­rum krie­ge ich kei­ne Staats­klei­der? Wa­rum machst du kei­ne Dame aus mir?«

»Möch­test du’s?«

»Nein.« Und da­bei lief sie auf die Mama zu und um­arm­te sie stür­misch und küss­te sie.

»Nicht so wild, Effi, nicht so lei­den­schaft­lich. Ich be­un­ru­hi­ge mich im­mer, wenn ich dich so se­he…« Und die Mama schi­en ernst­lich wil­lens, in Äu­ße­rung ih­rer Sor­gen und Ängs­te fort­zu­fah­ren. Aber sie kam nicht weit da­mit, weil in eben die­sem Au­gen­bli­cke drei jun­ge Mäd­chen aus der klei­nen, in der Kirch­hofs­mau­er an­ge­brach­ten Ei­sen­tür in den Gar­ten ein­tra­ten und einen Kies­weg ent­lang auf das Ron­dell und die Son­nen­uhr zu­schrit­ten. Alle drei grüß­ten mit ih­ren Son­nen­schir­men zu Effi her­über und eil­ten dann auf Frau von Briest zu, um die­ser die Hand zu küs­sen. Die­se tat rasch ein paar Fra­gen und lud dann die Mäd­chen ein, ih­nen oder doch we­nigs­tens Effi auf eine hal­be Stun­de Ge­sell­schaft zu leis­ten, »ich habe oh­ne­hin noch zu tun, und jun­ges Volk ist am liebs­ten un­ter sich. Ge­habt euch wohl.« Und da­bei stieg sie die vom Gar­ten in den Sei­ten­flü­gel füh­ren­de Stein­trep­pe hin­auf.

Und da war nun die Ju­gend wirk­lich al­lein.

Zwei der jun­gen Mäd­chen – klei­ne, rund­li­che Per­sön­chen, zu de­ren krau­sem, rot­blon­dem Haar ihre Som­mer­spros­sen und ihre gute Lau­ne ganz vor­züg­lich pass­ten – wa­ren Töch­ter des auf Han­sa, Skan­di­na­vi­en und Fritz Reu­ter ein­ge­schwo­re­nen Kan­tors Jahn­ke, der denn auch, un­ter An­leh­nung an sei­nen meck­len­bur­gi­schen Lands­mann und Lieb­lings­dich­ter und nach dem Vor­bil­de von Mi­ning und Li­ning, sei­nen ei­ge­nen Zwil­lin­gen die Na­men Ber­t­ha und Her­t­ha ge­ge­ben hat­te. Die drit­te jun­ge Dame war Hul­da Nie­mey­er, Pas­tor Nie­meyers ein­zi­ges Kind; sie war da­men­haf­ter als die bei­den an­de­ren, da­für aber lang­wei­lig und ein­ge­bil­det, eine lym­pha­ti­sche Blon­di­ne, mit et­was vor­sprin­gen­den, blö­den Au­gen, die trotz­dem be­stän­dig nach was zu su­chen schie­nen, wes­halb denn auch Klit­zing von den Husa­ren ge­sagt hat­te: »Sieht sie nicht aus, als er­war­te sie je­den Au­gen­blick den En­gel Ga­bri­el?« Effi fand, dass der et­was kri­ti­sche Klit­zing nur zu sehr recht habe, ver­mied es aber trotz­dem, einen Un­ter­schied zwi­schen den drei Freun­din­nen zu ma­chen. Am we­nigs­ten war ihr in die­sem Au­gen­bli­cke da­nach zu Sinn, und wäh­rend sie die Arme auf den Tisch stemm­te, sag­te sie: »Die­se lang­wei­li­ge Sti­cke­rei. Gott sei Dank, dass ihr da seid.«

»Aber dei­ne Mama ha­ben wir ver­trie­ben«, sag­te Hul­da.

»Nicht doch. Wie sie euch schon sag­te, sie wäre doch ge­gan­gen; sie er­war­tet näm­lich Be­such, einen al­ten Freund aus ih­ren Mäd­chen­ta­gen her, von dem ich euch nach­her er­zäh­len muss, eine Lie­bes­ge­schich­te mit Held und Hel­din und zu­letzt mit Ent­sa­gung. Ihr wer­det Au­gen ma­chen und euch wun­dern. Üb­ri­gens habe ich Ma­mas al­ten Freund schon drü­ben in Schwan­ti­kow ge­se­hen; er ist Lan­drat, gute Fi­gur und sehr männ­lich.«

»Das ist die Haupt­sa­che«, sag­te Her­t­ha.

»Frei­lich ist das die Haupt­sa­che, ›Wei­ber weib­lich, Män­ner männ­lich‹ – das ist, wie ihr wisst, ei­ner von Pa­pas Lieb­lings­sät­zen. Und nun helft mir erst Ord­nung schaf­fen auf dem Tisch hier, sonst gibt es wie­der eine Straf­pre­digt.«

Im Nu wa­ren die Do­cken in den Korb ge­packt, und als alle wie­der sa­ßen, sag­te Hul­da: »Nun aber, Effi, nun ist es Zeit, nun die Lie­bes­ge­schich­te mit Ent­sa­gung. Oder ist es nicht so schlimm?«

»Eine Ge­schich­te mit Ent­sa­gung ist nie schlimm. Aber ehe Her­t­ha nicht von den Sta­chel­bee­ren ge­nom­men, eh kann ich nicht an­fan­gen – sie lässt ja kein Auge da­von. Üb­ri­gens nimm, so­viel du willst, wir kön­nen ja hin­ter­her neue pflücken; nur wirf die Scha­len weit weg oder, noch bes­ser, lege sie hier auf die Zei­tungs­bei­la­ge, wir ma­chen dann eine Tüte dar­aus und schaf­fen al­les bei­sei­te. Mama kann es nicht lei­den, wenn die Schlu­sen so über­all um­her­lie­gen, und sagt im­mer, man kön­ne da­bei aus­glei­ten und ein Bein bre­chen.«

»Glaub ich nicht«, sag­te Her­t­ha, wäh­rend sie den Sta­chel­bee­ren flei­ßig zu­sprach.

»Ich auch nicht«, be­stä­tig­te Effi. »Denkt doch mal nach, ich fal­le je­den Tag we­nigs­tens zwei-, drei­mal, und noch ist mir nichts ge­bro­chen. Was ein rich­ti­ges Bein ist, das bricht nicht so leicht, mei­nes ge­wiss nicht und dei­nes auch nicht, Her­t­ha. Was meinst du, Hul­da?«

»Man soll sein Schick­sal nicht ver­su­chen: Hoch­mut kommt vor dem Fall.«

»Im­mer Gou­ver­nan­te; du bist doch die ge­bor­ne alte Jung­fer.«

»Und hof­fe mich doch noch zu ver­hei­ra­ten. Und viel­leicht eher als du.«

»Mei­net­we­gen. Denkst du, dass ich dar­auf war­te? Das fehl­te noch. Üb­ri­gens, ich krie­ge schon einen, und viel­leicht bald. Da ist mir nicht ban­ge. Neu­lich erst hat mir der klei­ne Ven­tive­gni von drü­ben ge­sagt: ›Fräu­lein Effi, was gilt die Wet­te, wir sind hier noch in die­sem Jah­re zu Pol­ter­abend und Hoch­zeit.‹«

»Und was sag­test du da?«

»›Wohl mög­lich‹, sagt ich, ›wohl mög­lich: Hul­da ist die äl­tes­te und kann sich je­den Tag ver­hei­ra­ten.‹ Aber er woll­te da­von nichts wis­sen und sag­te: ›Nein, bei ei­ner an­de­ren jun­gen Dame, die ge­ra­de so brü­nett ist, wie Fräu­lein Hul­da blond ist.‹ Und da­bei sah er mich ganz ernst­haft an… Aber ich kom­me vom Hun­derts­ten aufs Tau­sends­te und ver­ges­se die Ge­schich­te.«

»Ja, du brichst im­mer wie­der ab; am Ende willst du nicht.«

»Oh, ich will schon, aber frei­lich, ich bre­che im­mer wie­der ab, weil es al­les ein biss­chen son­der­bar ist, ja, bei­nah ro­man­tisch.«

»Aber du sag­test doch, er sei Lan­drat.«

»Al­ler­dings Lan­drat. Und er heißt Geert von Inns­tet­ten, Baron von Inns­tet­ten.«

Alle drei lach­ten.

»Wa­rum lacht ihr?« sag­te Effi pi­kiert. »Was soll das hei­ßen?«

»Ach, Effi, wir wol­len dich ja nicht be­lei­di­gen und auch den Baron nicht. Inns­tet­ten, sag­test du? Und Geert? So heißt doch hier kein Mensch. Frei­lich, die ade­li­gen Na­men ha­ben oft so was Ko­mi­sches.«

»Ja, mei­ne Lie­be, das ha­ben sie. Da­für sind es eben Ade­li­ge. Die dür­fen sich das gön­nen, und je wei­ter zu­rück, ich mei­ne der Zeit nach, de­sto mehr dür­fen sie sich’s gön­nen. Aber da­von ver­steht ihr nichts, was ihr mir nicht übel­neh­men dürft. Wir blei­ben doch gute Freun­de. Geert von Inns­tet­ten also und Baron. Er ist ge­ra­de­so alt wie Mama, auf den Tag.«

»Und wie alt ist denn ei­gent­lich dei­ne Mama?«

»Achtund­drei­ßig.«

»Ein schö­nes Al­ter.«

»Ist es auch, na­ment­lich wenn man noch so aus­sieht wie die Mama. Sie ist doch ei­gent­lich eine schö­ne Frau, fin­det ihr nicht auch? Und wie sie al­les so weg­hat, im­mer so si­cher und da­bei so fein und nie un­pas­send wie Papa. Wenn ich ein jun­ger Leut­nant wäre, so würd ich mich in die Mama ver­lie­ben.«

»Aber Effi, wie kannst du nur so was sa­gen«, sag­te Hul­da. »Das ist ja ge­gen das vier­te Ge­bot.«

»Un­sinn. Wie kann das ge­gen das vier­te Ge­bot sein? Ich glau­be, Mama wür­de sich freu­en, wenn sie wüss­te, dass ich so was ge­sagt habe.«

»Kann schon sein«, un­ter­brach hier Her­t­ha. »Aber nun end­lich die Ge­schich­te.«

»Nun, gib dich zu­frie­den, ich fan­ge schon an… Also Baron Inns­tet­ten! Als er noch kei­ne zwan­zig war, stand er drü­ben bei den Ra­the­no­wern und ver­kehr­te viel auf den Gü­tern hier­her­um, und am liebs­ten war er in Schwan­ti­kow drü­ben bei mei­nem Groß­va­ter Bel­ling. Na­tür­lich war es nicht des Groß­va­ters we­gen, dass er so oft drü­ben war, und wenn die Mama da­von er­zählt, so kann je­der leicht se­hen, um wen es ei­gent­lich war. Und ich glau­be, es war auch ge­gen­sei­tig.«

»Und wie kam es nach­her?«

»Nun, es kam, wie’s kom­men muss­te, wie’s im­mer kommt. Er war ja noch viel zu jung, und als mein Papa sich ein­fand, der schon Rit­ter­schafts­rat war und Ho­hen-Crem­men hat­te, da war kein lan­ges Be­sin­nen mehr, und sie nahm ihn und wur­de Frau von Briest… Und das an­de­re, was sonst noch kam, nun, das wisst ihr… das an­de­re bin ich.«

»Ja, das an­de­re bist du, Effi«, sag­te Ber­t­ha. »Gott sei Dank; wir hät­ten dich nicht, wenn es an­ders ge­kom­men wäre. Und nun sage, was tat Inns­tet­ten, was wur­de aus ihm? Das Le­ben hat er sich nicht ge­nom­men, sonst könn­tet ihr ihn heu­te nicht er­war­ten.«

»Nein, das Le­ben hat er sich nicht ge­nom­men. Aber ein biss­chen war es doch so was.«

»Hat er einen Ver­such ge­macht?«

»Auch das nicht. Aber er moch­te doch nicht län­ger hier in der Nähe blei­ben, und das gan­ze Sol­da­ten­le­ben über­haupt muss ihm da­mals wie ver­lei­det ge­we­sen sein. Es war ja auch Frie­dens­zeit. Kurz und gut, er nahm den Ab­schied und fing an, Ju­ris­te­rei zu stu­die­ren, wie Papa sagt, mit ei­nem ›wah­ren Bie­rei­fer‹; nur als der sieb­zi­ger Krieg kam, trat er wie­der ein, aber bei den Per­le­ber­gern statt bei sei­nem al­ten Re­gi­ment, und hat auch das Kreuz. Na­tür­lich, denn er ist sehr schnei­dig. Und gleich nach dem Krie­ge saß er wie­der bei sei­nen Ak­ten, und es heißt, Bis­marck hal­te große Stücke von ihm und auch der Kai­ser, und so kam es denn, dass er Lan­drat wur­de, Lan­drat im Kes­si­ner Krei­se.«

»Was ist Kes­sin? Ich ken­ne hier kein Kes­sin.«

»Nein, hier in un­se­rer Ge­gend liegt es auch nicht; es liegt eine hüb­sche Stre­cke von hier fort, in Pom­mern, in Hin­ter­pom­mern so­gar, was aber nichts sa­gen will, weil es ein Ba­de­ort ist (al­les da her­um ist Ba­de­ort), und die Fe­ri­en­rei­se, die Baron Inns­tet­ten jetzt macht, ist ei­gent­lich eine Vet­tern­rei­se oder doch et­was Ähn­li­ches. Er will hier alte Freund­schaft und Ver­wandt­schaft wie­der­sehn.«

»Hat er denn hier Ver­wand­te?«

»Ja und nein, wie man’s neh­men will. Inns­tet­tens gibt es hier nicht, gibt es, glaub ich, über­haupt nicht mehr. Aber er hat hier ent­fern­te Vet­tern von der Mut­ter Sei­te her, und vor al­lem hat er wohl Schwan­ti­kow und das Bel­ling­s­che Haus wie­der­se­hen wol­len, an das ihn so­viel Erin­ne­run­gen knüp­fen. Da war er denn vor­ges­tern drü­ben, und heu­te will er hier in Ho­hen-Crem­men sein.«

»Und was sagt dein Va­ter dazu?«

»Gar nichts. Der ist nicht so. Und dann kennt er ja doch die Mama. Er neckt sie bloß.«

In die­sem Au­gen­blick schlug es Mit­tag, und ehe es noch aus­ge­schla­gen, er­schi­en Wil­ke, das alte Briest­sche Haus- und Fa­mi­li­en­fak­to­tum, um an Fräu­lein Effi zu be­stel­len: »Die gnä­di­ge Frau lie­ße bit­ten, dass das gnä­di­ge Fräu­lein zu rech­ter Zeit auch Toi­let­te ma­che; gleich nach eins wür­de der Herr Baron wohl vor­fah­ren.« Und wäh­rend Wil­ke dies noch ver­mel­de­te, be­gann er auch schon auf dem Ar­beit­s­tisch der Da­men ab­zuräu­men und griff da­bei zu­nächst nach dem Zei­tungs­blatt, auf dem die Sta­chel­beer­scha­len la­gen.

»Nein, Wil­ke, nicht so; das mit den Schlu­sen, das ist un­se­re Sa­che… Her­t­ha, du musst nun die Tüte ma­chen und einen Stein hin­ein­tun, dass al­les bes­ser ver­sin­ken kann. Und dann wol­len wir in ei­nem lan­gen Trau­er­zug auf­bre­chen und die Tüte auf of­fe­ner See be­gra­ben.«

Wil­ke schmun­zel­te. »Is doch ein Daus, un­ser Fräu­lein«, so etwa gin­gen sei­ne Ge­dan­ken; Effi aber, wäh­rend sie die Tüte mit­ten auf die rasch zu­sam­men­ge­raff­te Tisch­de­cke leg­te, sag­te: »Nun fas­sen wir alle vier an, je­der an ei­nem Zip­fel, und sin­gen was Trau­ri­ges.«

»Ja, das sagst du wohl, Effi. Aber was sol­len wir denn sin­gen?«

»Ir­gend­was; es ist ganz gleich, es muss nur einen Reim auf ›u‹ ha­ben; ›u‹ ist im­mer Trau­er­vo­kal. Also sin­gen wir:

Flut, Flut, Mach al­les wie­der gut…«,

und wäh­rend Effi die­se Li­ta­nei fei­er­lich an­stimm­te, setz­ten sich alle vier auf den Steg hin in Be­we­gung, stie­gen in das dort an­ge­ket­tel­te Boot und lie­ßen von die­sem aus die mit ei­nem Kie­sel be­schwer­te Tüte lang­sam in den Teich nie­der­glei­ten.

»Her­t­ha, nun ist dei­ne Schuld ver­senkt«, sag­te Effi, »wo­bei mir üb­ri­gens ein­fällt, so vom Boot aus sol­len frü­her auch arme un­glück­li­che Frau­en ver­senkt wor­den sein, na­tür­lich we­gen Un­treue.«

»Aber doch nicht hier.«

»Nein, nicht hier«, lach­te Effi, »hier kommt so was nicht vor. Aber in Kon­stan­ti­no­pel, und du musst ja, wie mir eben ein­fällt, auch da­von wis­sen, so gut wie ich, du bist ja mit da­bei­ge­we­sen, als uns Kan­di­dat Holz­ap­fel in der Geo­gra­fie­stun­de da­von er­zähl­te.«

»Ja«, sag­te Hul­da, »der er­zähl­te im­mer so was. Aber so was ver­gisst man doch wie­der.«

»Ich nicht. Ich be­hal­te so was.«

Zweites Kapitel

Sie spra­chen noch eine Wei­le so wei­ter, wo­bei sie sich ih­rer ge­mein­schaft­li­chen Schul­stun­den und ei­ner gan­zen Rei­he Holz­ap­fel­scher Un­pas­send­hei­ten mit Em­pö­rung und Be­ha­gen er­in­ner­ten. Ja, man konn­te sich nicht ge­nug­tun da­mit, bis Hul­da mit ei­nem Male sag­te: »Nun aber ist es höchs­te Zeit, Effi; du siehst ja aus, ja, wie sag ich nur, du siehst ja aus, wie wenn du vom Kir­schen­pflücken kämst, al­les zer­knit­tert und zer­knautscht; das Lei­nen­zeug macht im­mer so vie­le Fal­ten, und der große, wei­ße Klapp­kra­gen… ja, wahr­haf­tig, jetzt hab ich es, du siehst aus wie ein Schiffs­jun­ge.«

»Mid­ship­man, wenn ich bit­ten darf. Et­was muss ich doch von mei­nem Adel ha­ben. Üb­ri­gens Mid­ship­man oder Schiffs­jun­ge. Papa hat mir erst neu­lich wie­der einen Mast­baum ver­spro­chen, hier dicht ne­ben der Schau­kel, mit Ra­hen und ei­ner Strick­lei­ter. Wahr­haf­tig, das soll­te mir ge­fal­len, und den Wim­pel oben selbst an­zu­ma­chen, das ließ’ ich mir nicht neh­men. Und du, Hul­da, du kämst dann von der an­de­ren Sei­te her her­auf, und oben in der Luft woll­ten wir Hur­ra ru­fen und uns einen Kuss ge­ben. Alle Wet­ter, das soll­te schme­cken.«

»›Al­le Wet­ter…‹, wie das nun wie­der kling­t… Du sprichst wirk­lich wie ein Mid­ship­man. Ich wer­de mich aber hü­ten, dir nach­zu­klet­tern, ich bin nicht so wag­hal­sig. Jahn­ke hat ganz recht, wenn er im­mer sagt, du hät­test zu­viel von dem Bel­ling­s­chen in dir, von dei­ner Mama her. Ich bin bloß ein Pas­tors­kind.«

»Ach, geh mir. Stil­le Was­ser sind tief. Weißt du noch, wie du da­mals, als Vet­ter Briest als Ka­dett hier war, aber doch schon groß ge­nug, wie du da­mals auf dem Scheu­nen­dach ent­langrutsch­test. Und warum? Nun, ich will es nicht ver­ra­ten. Aber kommt, wir wol­len uns schau­keln, auf je­der Sei­te zwei; rei­ßen wird es ja­wohl nicht, oder wenn ihr nicht Lust habt, denn ihr macht wie­der lan­ge Ge­sich­ter, dann wol­len wir An­schlag spie­len. Eine Vier­tel­stun­de hab ich noch. Ich mag noch nicht hin­ein­ge­hen, und al­les bloß, um ei­nem Lan­drat gu­ten Tag zu sa­gen, noch dazu ei­nem Lan­drat aus Hin­ter­pom­mern. Ält­lich ist er auch, er könn­te ja bei­nah mein Va­ter sein, und wenn er wirk­lich in ei­ner See­stadt wohnt, Kes­sin soll ja so was sein, nun, da muss ich ihm in die­sem Ma­tro­sen­ko­stüm ei­gent­lich am bes­ten ge­fal­len und muss ihm bei­nah wie eine große Auf­merk­sam­keit vor­kom­men. Fürs­ten, wenn sie wen emp­fan­gen, so­viel weiß ich von mei­nem Papa her, le­gen auch im­mer die Uni­form aus der Ge­gend des an­de­ren an. Also nur nicht ängst­lich… rasch, rasch, ich flie­ge aus, und ne­ben der Bank hier ist frei.«

Hul­da woll­te noch ein paar Ein­schrän­kun­gen ma­chen, aber Effi war schon den nächs­ten Kies­weg hin­auf, links hin, rechts hin, bis sie mit ei­nem Male ver­schwun­den war. »Effi, das gilt nicht; wo bist du? Wir spie­len nicht Ver­steck, wir spie­len An­schlag«, un­ter die­sen und ähn­li­chen Vor­wür­fen eil­ten die Freun­din­nen ihr nach, weit über das Ron­dell und die bei­den seit­wärts ste­hen­den Pla­ta­nen hin­aus, bis die Ver­schwun­de­ne mit ei­nem Male aus ih­rem Ver­ste­cke her­vor­brach und mü­he­los, weil sie schon im Rücken ih­rer Ver­fol­ger war, mit »eins, zwei, drei« den Frei­platz ne­ben der Bank er­reich­te.

»Wo warst du?«

»Hin­ter den Rha­bar­ber­stau­den; die ha­ben so große Blät­ter, noch grö­ßer als ein Fei­gen­blat­t…«

»Pfui…«

»Nein, pfui für euch, weil ihr ver­spielt habt. Hul­da, mit ih­ren großen Au­gen, sah wie­der nichts, im­mer un­ge­schickt.« Und da­bei flog Effi von neu­em über das Ron­dell hin, auf den Teich zu, viel­leicht weil sie vor­hat­te, sich erst hin­ter ei­ner dort auf­wach­sen­den dich­ten Ha­sel­nuss­he­cke zu ver­ste­cken, um dann, von die­ser aus, mit ei­nem wei­ten Um­weg um Kirch­hof und Front­haus, wie­der bis an den Sei­ten­flü­gel und sei­nen Frei­platz zu kom­men. Al­les war gut be­rech­net; aber frei­lich, ehe sie noch halb um den Teich her­um war, hör­te sie schon vom Hau­se her ih­ren Na­men ru­fen und sah, wäh­rend sie sich um­wand­te, die Mama, die, von der Stein­trep­pe her, mit ih­rem Ta­schen­tu­che wink­te. Noch einen Au­gen­blick, und Effi stand vor ihr.

»Nun bist du doch noch in dei­nem Kit­tel, und der Be­such ist da. Nie hältst du Zeit.«

»Ich hal­te schon Zeit, aber der Be­such hat nicht Zeit ge­hal­ten. Es ist noch nicht eins; noch lan­ge nicht«, und sich nach den Zwil­lin­gen hin um­wen­dend (Hul­da war noch wei­ter zu­rück), rief sie die­sen zu: »Spielt nur wei­ter; ich bin gleich wie­der da.«

Schon im nächs­ten Au­gen­bli­cke trat Effi mit der Mama in den großen Gar­ten­saal, der fast den gan­zen Raum des Sei­ten­flü­gels füll­te.

»Mama, du darfst mich nicht schel­ten. Es ist wirk­lich erst halb. Wa­rum kommt er so früh? Ka­va­lie­re kom­men nicht zu spät, aber noch we­ni­ger zu früh.«

Frau von Briest war in sicht­li­cher Ver­le­gen­heit; Effi aber schmieg­te sich lieb­ko­send an sie und sag­te: »Ver­zeih, ich will mich nun ei­len; du weißt, ich kann auch rasch sein, und in fünf Mi­nu­ten ist Aschen­pud­del in eine Prin­zes­sin ver­wan­delt. So lan­ge kann er war­ten oder mit dem Papa plau­dern.«

Und der Mama zu­ni­ckend, woll­te sie leich­ten Fu­ßes eine klei­ne ei­ser­ne Stie­ge hin­auf, die aus dem Saal in den Ober­stock hin­auf­führ­te. Frau von Briest aber, die un­ter Um­stän­den auch un­kon­ven­tio­nell sein konn­te, hielt plötz­lich die schon for­tei­len­de Effi zu­rück, warf einen Blick auf das ju­gend­lich rei­zen­de Ge­schöpf, das, noch er­hitzt von der Auf­re­gung des Spiels, wie ein Bild fri­sche­s­ten Le­bens vor ihr stand, und sag­te bei­na­he ver­trau­lich: »Es ist am Ende das bes­te, du bleibst, wie du bist. Ja, blei­be so. Du siehst ge­ra­de sehr gut aus. Und wenn es auch nicht wäre, du siehst so un­vor­be­rei­tet aus, so gar nicht zu­recht­ge­macht, und dar­auf kommt es in die­sem Au­gen­bli­cke an. Ich muss dir näm­lich sa­gen, mei­ne süße Ef­fi…«, und sie nahm ih­res Kin­des bei­de Hän­de, »… ich muss dir näm­lich sa­gen…«

»Aber Mama, was hast du nur? Mir wird ja ganz angst und ban­ge.«

»… Ich muss dir näm­lich sa­gen, Effi, dass Baron Inns­tet­ten eben um dei­ne Hand an­ge­hal­ten hat.«

»Um mei­ne Hand an­ge­hal­ten? Und im Ernst?«

»Es ist kei­ne Sa­che, um einen Scherz dar­aus zu ma­chen. Du hast ihn vor­ges­tern ge­se­hen, und ich glau­be, er hat dir auch gut ge­fal­len. Er ist frei­lich äl­ter als du, was al­les in al­lem ein Glück ist, dazu ein Mann von Cha­rak­ter, von Stel­lung und gu­ten Sit­ten, und wenn du nicht ›n­ein‹ sagst, was ich mir von mei­ner klu­gen Effi kaum den­ken kann, so stehst du mit zwan­zig Jah­ren da, wo an­de­re mit vier­zig ste­hen. Du wirst dei­ne Mama weit über­ho­len.«

Effi schwieg und such­te nach ei­ner Ant­wort. Aber ehe sie die­se fin­den konn­te, hör­te sie schon des Va­ters Stim­me von dem an­gren­zen­den, noch im Front­hau­se ge­le­ge­nen Hin­ter­zim­mer her, und gleich da­nach über­schritt Rit­ter­schafts­rat von Briest, ein wohl­kon­ser­vier­ter Fünf­zi­ger von aus­ge­spro­che­ner Bon­ho­mie, die Gar­ten­sa­lon­schwel­le – mit ihm Baron Inns­tet­ten, schlank, brü­nett und von mi­li­tä­ri­scher Hal­tung.

Effi, als sie sei­ner an­sich­tig wur­de, kam in ein ner­vö­ses Zit­tern; aber nicht auf lan­ge, denn im sel­ben Au­gen­bli­cke fast, wo sich Inns­tet­ten un­ter freund­li­cher Ver­nei­gung ihr nä­her­te, wur­den an dem mitt­le­ren der weit of­fen­ste­hen­den und von wil­dem Wein halb über­wach­se­nen Fens­ter die rot­blon­den Köp­fe der Zwil­lin­ge sicht­bar, und Her­t­ha, die Aus­ge­las­sens­te, rief in den Saal hin­ein: »Effi, komm.«

Dann duck­te sie sich, und bei­de Schwes­tern spran­gen von der Ban­kleh­ne, dar­auf sie ge­stan­den, wie­der in den Gar­ten hin­ab, und man hör­te nur noch ihr lei­ses Ki­chern und La­chen.

Drittes Kapitel

Noch an dem­sel­ben Tage hat­te sich Baron Inns­tet­ten mit Effi Briest ver­lobt. Der jo­via­le Braut­va­ter, der sich nicht leicht in sei­ner Fei­er­lich­keits­rol­le zu­recht­fand, hat­te bei dem Ver­lo­bungs­mahl, das folg­te, das jun­ge Paar le­ben las­sen, was auf Frau von Briest, die da­bei der nun um kaum acht­zehn Jah­re zu­rück­lie­gen­den Zeit ge­den­ken moch­te, nicht ohne herz­be­weg­li­chen Ein­druck ge­blie­ben war. Aber nicht auf lan­ge;* sie* hat­te es nicht sein kön­nen, nun war es statt ih­rer die Toch­ter – al­les in al­lem eben­so gut oder viel­leicht noch bes­ser. Denn mit Briest ließ sich le­ben, trotz­dem er ein we­nig pro­sa­isch war und dann und wann einen klei­nen fri­vo­len Zug hat­te. Ge­gen Ende der Ta­fel, das Eis wur­de schon her­um­ge­reicht, nahm der alte Rit­ter­schafts­rat noch ein­mal das Wort, um in ei­ner zwei­ten An­spra­che das all­ge­mei­ne Fa­mi­li­en-Du zu pro­po­nie­ren. Er um­arm­te da­bei Inns­tet­ten und gab ihm einen Kuss auf die lin­ke Ba­cke. Hier­mit war aber die Sa­che für ihn noch nicht ab­ge­schlos­sen, viel­mehr fuhr er fort, au­ßer dem »Du« zu­gleich in­ti­me­re Na­men und Ti­tel für den Haus­ver­kehr zu emp­feh­len, eine Art Ge­müt­lich­keits­ranglis­te auf­zu­stel­len, na­tür­lich un­ter Wah­rung be­rech­tig­ter, weil wohl­er­wor­be­ner Ei­gen­tüm­lich­kei­ten. Für sei­ne Frau, so hieß es, wür­de der Fort­be­stand von »Mama« (denn es gäbe auch jun­ge Ma­mas) wohl das bes­te sein, wäh­rend er für sei­ne Per­son, un­ter Ver­zicht auf den Ehren­ti­tel »Papa«, das ein­fa­che Briest ent­schie­den be­vor­zu­gen müs­se, schon weil es so hübsch kurz sei. Und was nun die Kin­der an­ge­he – bei wel­chem Wort er sich, Aug in Auge mit dem nur etwa um ein Dut­zend Jah­re jün­ge­ren Inns­tet­ten, einen Ruck ge­ben muss­te –, nun, so sei Effi eben Effi und Geert Geert. Geert, wenn er nicht irre, habe die Be­deu­tung von ei­nem schlank auf­ge­schos­se­nen Stamm, und Effi sei dann also der Efeu, der sich dar­um zu ran­ken habe. Das Braut­paar sah sich bei die­sen Wor­ten et­was ver­le­gen an, Effi zu­gleich mit ei­nem Aus­druck kind­li­cher Hei­ter­keit, Frau von Briest aber sag­te: »Briest, sprich, was du willst, und for­mu­lie­re dei­ne Toas­te nach Ge­fal­len, nur poe­ti­sche Bil­der, wenn ich dich bit­ten darf, lass bei­sei­te, das liegt jen­seits dei­ner Sphä­re.« Zu­recht­wei­sen­de Wor­te, die bei Briest mehr Zu­stim­mung als Ab­leh­nung ge­fun­den hat­ten. »Es ist mög­lich, dass du recht hast, Lui­se.«

Gleich nach Auf­he­bung der Ta­fel be­ur­laub­te sich Effi, um einen Be­such drü­ben bei Pas­tors zu ma­chen. Un­ter­wegs sag­te sie sich: »Ich glau­be, Hul­da wird sich är­gern. Nun bin ich ihr doch zu­vor­ge­kom­men – sie war im­mer zu ei­tel und ein­ge­bil­det.« Aber Effi traf es mit ih­rer Er­war­tung nicht ganz; Hul­da, durch­aus Hal­tung be­wah­rend, be­nahm sich sehr gut und über­ließ die Be­zeu­gung von Un­mut und Är­ger ih­rer Mut­ter, der Frau Pas­to­rin, die denn auch sehr son­der­ba­re Be­mer­kun­gen mach­te. »Ja, ja, so geht es. Na­tür­lich. Wenn’s die Mut­ter nicht sein konn­te, muss es die Toch­ter sein. Das kennt man. Alte Fa­mi­li­en hal­ten im­mer zu­sam­men, und wo was is, kommt was dazu.« Der alte Nie­mey­er kam in arge Ver­le­gen­heit über die­se fort­ge­setz­ten spit­zen Re­dens­ar­ten ohne Bil­dung und An­stand und be­klag­te mal wie­der, eine Wirt­schaf­te­rin ge­hei­ra­tet zu ha­ben.

Von Pas­tors ging Effi na­tür­lich auch zu Kan­tor Jahn­kes; die Zwil­lin­ge hat­ten schon nach ihr aus­ge­schaut und emp­fin­gen sie im Vor­gar­ten.

»Nun, Effi«, sag­te Her­t­ha, wäh­rend alle drei zwi­schen den rechts und links blü­hen­den Stu­den­ten­blu­men auf und ab schrit­ten, »nun, Effi, wie ist dir ei­gent­lich?«

»Wie mir ist? Oh, ganz gut. Wir nen­nen uns auch schon du und bei Vor­na­men. Er heißt näm­lich Geert, was ich euch, wie mir ein­fällt, auch schon ge­sagt habe.«

»Ja, das hast du. Mir ist aber doch so ban­ge da­bei. Ist es denn auch der Rich­ti­ge?«

»Ge­wiss ist es der Rich­ti­ge. Das ver­stehst du nicht, Her­t­ha. Je­der ist der Rich­ti­ge. Na­tür­lich muss er von Adel sein und eine Stel­lung ha­ben und gut aus­se­hen.«

»Gott, Effi, wie du nur sprichst. Sonst sprachst du doch ganz an­ders.«

»Ja, sonst.«

»Und bist auch schon ganz glück­lich?«

»Wenn man zwei Stun­den ver­lobt ist, ist man im­mer ganz glück­lich. We­nigs­tens denk ich es mir so.«

»Und ist es dir denn gar nicht, ja, wie sag ich nur, ein biss­chen ge­nant?«

»Ja, ein biss­chen ge­nant ist es mir, aber doch nicht sehr. Und ich den­ke, ich wer­de dar­über weg­kom­men.«

Nach die­sem im Pfarr- und Kan­tor­hau­se ge­mach­ten Be­su­che, der kei­ne hal­be Stun­de ge­dau­ert hat­te, war Effi wie­der nach drü­ben zu­rück­ge­kehrt, wo man auf der Gar­ten­ve­ran­da eben den Kaf­fee neh­men woll­te. Schwie­ger­va­ter und Schwie­ger­sohn gin­gen auf dem Kies­we­ge zwi­schen den zwei Pla­ta­nen auf und ab. Briest sprach von dem Schwie­ri­gen ei­ner land­rät­li­chen Stel­lung; sie sei ihm ver­schie­dent­lich an­ge­tra­gen wor­den, aber er habe je­des Mal ge­dankt. »So nach mei­nem ei­ge­nen Wil­len schal­ten und wal­ten zu kön­nen ist mir im­mer das liebs­te ge­we­sen, je­den­falls lie­ber – Par­don, Inns­tet­ten –, als so die Bli­cke be­stän­dig nach oben rich­ten zu müs­sen. Man hat dann bloß im­mer Sinn und Merk für hohe und höchs­te Vor­ge­setz­te. Das ist nichts für mich. Hier leb ich so frei­weg und freue mich über je­des grü­ne Blatt und über den wil­den Wein, der da drü­ben in die Fens­ter wächst.«

Er sprach noch mehr der­glei­chen, al­ler­hand An­ti­be­amt­li­ches, und ent­schul­dig­te sich von Zeit zu Zeit mit ei­nem kur­z­en, ver­schie­dent­lich wie­der­keh­ren­den »Par­don, Inns­tet­ten«. Die­ser nick­te me­cha­nisch zu­stim­mend, war aber ei­gent­lich we­nig bei der Sa­che, sah viel­mehr, wie ge­bannt, im­mer aufs neue nach dem drü­ben am Fens­ter ran­ken­den wil­den Wein hin­über, von dem Briest eben ge­spro­chen, und wäh­rend er dem nach­hing, war es ihm, als säh er wie­der die rot­blon­den Mäd­chen­köp­fe zwi­schen den Wein­ran­ken und höre da­bei den über­mü­ti­gen Zu­ruf: »Effi, komm.«

Er glaub­te nicht an Zei­chen und ähn­li­ches, im Ge­gen­teil, wies al­les Aber­gläu­bi­sche weit zu­rück. Aber er konn­te trotz­dem von den zwei Wor­ten nicht los, und wäh­rend Briest im­mer wei­ter per­o­rier­te, war es ihm be­stän­dig, als wäre der klei­ne Her­gang doch mehr als ein blo­ßer Zu­fall ge­we­sen.

Inns­tet­ten, der nur einen kur­z­en Ur­laub ge­nom­men, war schon am fol­gen­den Tage wie­der ab­ge­reist, nach­dem er ver­spro­chen hat­te, je­den Tag schrei­ben zu wol­len. »Ja, das musst du«, hat­te Effi ge­sagt, ein Wort, das ihr von Her­zen kam, da sie seit Jah­ren nichts Schö­ne­res kann­te als bei­spiels­wei­se den Empfang vie­ler Ge­burts­tags­brie­fe. Je­der muss­te ihr zu die­sem Tage schrei­ben. In den Brief ein­ge­streu­te Wen­dun­gen, etwa wie »Ger­trud und Kla­ra sen­den Dir mit mir ihre herz­lichs­ten Glück­wün­sche«, wa­ren ver­pönt: Ger­trud und Kla­ra, wenn sie Freun­din­nen sein woll­ten, hat­ten da­für zu sor­gen, dass ein Brief mit selbst­stän­di­ger Mar­ke da­lä­ge, wo­mög­lich – denn ihr Ge­burts­tag fiel noch in die Rei­se­zeit – mit ei­ner frem­den, aus der Schweiz oder Karls­bad.

Inns­tet­ten, wie ver­spro­chen, schrieb wirk­lich je­den Tag; was aber den Empfang sei­ner Brie­fe ganz be­son­ders an­ge­nehm mach­te, war der Um­stand, dass er all­wö­chent­lich nur ein­mal einen ganz klei­nen Ant­wort­brief er­war­te­te. Den er­hielt er denn auch, voll rei­zend nich­ti­gen und ihn je­des Mal ent­zücken­den In­halts. Was es von erns­te­ren Din­gen zu be­spre­chen gab, das ver­han­del­te Frau von Briest mit ih­rem Schwie­ger­soh­ne: Fest­set­zun­gen we­gen der Hoch­zeit, Aus­stat­tungs- und Wirt­schafts- Ein­rich­tungs­fra­gen. Inns­tet­ten, schon an die drei Jah­re im Amt, war in sei­nem Kes­si­ner Hau­se nicht glän­zend, aber doch sehr stan­des­ge­mäß ein­ge­rich­tet, und es emp­fahl sich, in der Kor­re­spon­denz mit ihm, ein Bild von al­lem, was da war, zu ge­win­nen, um nichts Un­nüt­zes an­zu­schaf­fen. Schließ­lich, als Frau von Briest über all die­se Din­ge ge­nug­sam un­ter­rich­tet war, wur­de sei­tens Mut­ter und Toch­ter eine Rei­se nach Ber­lin be­schlos­sen, um, wie Briest sich aus­drück­te, den »Trous­seau« für Prin­zes­sin Effi zu­sam­men­zu­kau­fen. Effi freu­te sich sehr auf den Auf­ent­halt in Ber­lin, umso mehr, als der Va­ter dar­ein ge­wil­ligt hat­te, im Ho­tel du Nord Woh­nung zu neh­men. »Was es kos­te, kön­ne ja von der Aus­stat­tung ab­ge­zo­gen wer­den; Inns­tet­ten habe oh­ne­hin al­les.« Effi – ganz im Ge­gen­sat­ze zu der sol­che »Mes­qui­ne­ri­en« ein für al­le­mal sich ver­bit­ten­den Mama – hat­te dem Va­ter, ohne jede Sor­ge dar­um, ob er’s scherz- oder ernst­haft ge­meint hat­te, freu­dig zu­ge­stimmt und be­schäf­tig­te sich in ih­ren Ge­dan­ken viel, viel mehr mit dem Ein­druck, den sie bei­de, Mut­ter und Toch­ter, bei ih­rem Er­schei­nen an der Ta­ble d’hôte ma­chen wür­den, als mit Spinn und Men­cke, Go­schen­ho­fer und ähn­li­chen Fir­men, die vor­läu­fig no­tiert wor­den wa­ren. Und die­sen ih­ren hei­te­ren Fan­tasi­en ent­sprach denn auch ihre Hal­tung, als die große Ber­li­ner Wo­che nun wirk­lich da war. Vet­ter Briest vom Alex­an­der-Re­gi­ment, ein un­ge­mein aus­ge­las­se­ner, jun­ger Leut­nant, der die »Flie­gen­den Blät­ter« hielt und über die bes­ten Wit­ze Buch führ­te, stell­te sich den Da­men für jede dienst­freie Stun­de zur Ver­fü­gung, und so sa­ßen sie denn mit ihm bei Kranz­ler am Eck­fens­ter oder zu statt­haf­ter Zeit auch wohl im Café Bau­er und fuh­ren nach­mit­tags in den Zoo­lo­gi­schen Gar­ten, um da die Gi­raf­fen zu se­hen, von de­nen Vet­ter Briest, der üb­ri­gens Da­go­bert hieß, mit Vor­lie­be be­haup­te­te: »sie sä­hen aus wie ad­li­ge alte Jung­fern«. Je­der Tag ver­lief pro­gram­mä­ßig, und am drit­ten oder vier­ten Tage gin­gen sie, wie vor­ge­schrie­ben, in die Na­tio­nal­ga­le­rie, weil Vet­ter Da­go­bert sei­ner Cou­si­ne die »In­sel der Se­li­gen« zei­gen woll­te. »Fräu­lein Cou­si­ne ste­he zwar auf dem Punk­te, sich zu ver­hei­ra­ten, es sei aber doch viel­leicht gut, die ›In­sel der Se­li­gen‹ schon vor­her ken­nen­ge­lernt zu ha­ben.« Die Tan­te gab ihm einen Schlag mit dem Fä­cher, be­glei­te­te die­sen Schlag aber mit ei­nem so gnä­di­gen Blick, dass er kei­ne Ver­an­las­sung hat­te, den Ton zu än­dern. Es wa­ren himm­li­sche Tage für alle drei, nicht zum we­nigs­ten für den Vet­ter, der so wun­der­voll zu cha­pe­ro­nie­ren und klei­ne Dif­fe­ren­zen im­mer rasch aus­zu­glei­chen ver­stand. An sol­chen Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten zwi­schen Mut­ter und Toch­ter war nun, wie das so geht, all die Zeit über kein Man­gel, aber sie tra­ten glück­li­cher­wei­se nie bei den zu ma­chen­den Ein­käu­fen her­vor. Ob man von ei­ner Sa­che sechs oder drei Dut­zend er­stand, Effi war mit al­lem gleich­mä­ßig ein­ver­stan­den, und wenn dann auf dem Heim­we­ge von dem Prei­se der eben ein­ge­kauf­ten Ge­gen­stän­de ge­spro­chen wur­de, so ver­wech­sel­te sie re­gel­mä­ßig die Zah­len. Frau von Briest, sonst so kri­tisch, auch ih­rem ei­ge­nen ge­lieb­ten Kin­de ge­gen­über, nahm dies an­schei­nend man­geln­de In­ter­es­se nicht nur von der leich­ten Sei­te, son­dern er­kann­te so­gar einen Vor­zug dar­in. »Alle die­se Din­ge«, so sag­te sie sich, »be­deu­ten Effi nicht viel. Effi ist an­spruchs­los; sie lebt in ih­ren Vor­stel­lun­gen und Träu­men, und wenn die Prin­zes­sin Fried­rich Karl vor­über­fährt und sie von ih­rem Wa­gen aus freund­lich grüßt, so gilt ihr das mehr als eine gan­ze Tru­he voll Weiß­zeug.«

Das al­les war auch rich­tig, aber doch nur halb. An dem Be­sit­ze mehr oder we­ni­ger all­täg­li­cher Din­ge lag Effi nicht viel, aber wenn sie mit der Mama die Lin­den hin­auf und hin­un­ter ging und nach Mus­te­rung der schöns­ten Schau­fens­ter in den De­muth­schen La­den ein­trat, um für die gleich nach der Hoch­zeit ge­plan­te ita­lie­ni­sche Rei­se al­ler­lei Ein­käu­fe zu ma­chen, so zeig­te sich ihr wah­rer Cha­rak­ter. Nur das Ele­gan­tes­te ge­fiel ihr, und wenn sie das Bes­te nicht ha­ben konn­te, so ver­zich­te­te sie auf das Zweit­bes­te, weil ihr dies Zwei­te nun nichts mehr be­deu­te­te. Ja, sie konn­te ver­zich­ten, dar­in hat­te die Mama recht, und in die­sem Ver­zich­ten­kön­nen lag et­was von An­spruchs­lo­sig­keit; wenn es aber aus­nahms­wei­se mal wirk­lich et­was zu be­sit­zen galt, so muss­te dies im­mer was ganz Apar­tes sein. Und da­rin war sie an­spruchs­voll.

Viertes Kapitel

Vet­ter Da­go­bert war am Bahn­hof, als die Da­men ihre Rück­rei­se nach Ho­hen-Crem­men an­tra­ten. Es wa­ren glück­li­che Tage ge­we­sen, vor al­lem auch dar­in, dass man nicht un­ter un­be­que­mer und bei­na­he un­stan­des­ge­mä­ßer Ver­wandt­schaft ge­lit­ten hat­te. »Für Tan­te The­re­se«, so hat­te Effi gleich nach der An­kunft ge­sagt, »müs­sen wir dies­mal in­ko­gni­to blei­ben. Es geht nicht, dass sie hier ins Ho­tel kommt. Ent­we­der Ho­tel du Nord oder Tan­te The­re­se; bei­des zu­sam­men passt nicht.« Die Mama hat­te sich schließ­lich ein­ver­stan­den da­mit er­klärt, ja dem Lieb­lin­ge zur Be­sie­ge­lung des Ein­ver­ständ­nis­ses einen Kuss auf die Stirn ge­ge­ben.

Mit Vet­ter Da­go­bert war das na­tür­lich et­was ganz an­de­res ge­we­sen, der hat­te nicht bloß den Gar­de­p­li, der hat­te vor al­lem auch mit Hil­fe je­ner ei­gen­tüm­lich gu­ten Lau­ne, wie sie bei den Alex­an­de­r­of­fi­zie­ren bei­na­he tra­di­tio­nell ge­wor­den, so­wohl Mut­ter wie Toch­ter von An­fang an an­zu­re­gen und auf­zu­hei­tern ge­wusst, und die­se gute Stim­mung dau­er­te bis zu­letzt. »Da­go­bert«, so hieß es noch beim Ab­schied, »du kommst also zu mei­nem Pol­ter­abend, und na­tür­lich mit Cor­tè­ge. Denn nach den Auf­füh­run­gen (aber kommt mir nicht mit Dienst­mann oder Mau­se­fal­len­händ­ler) ist Ball. Und du musst be­den­ken, mein ers­ter großer Ball ist viel­leicht auch mein letz­ter. Un­ter sechs Ka­me­ra­den – na­tür­lich bes­te Tän­zer wird gar nicht an­ge­nom­men. Und mit dem Früh­zug könnt ihr wie­der zu­rück.« Der Vet­ter ver­sprach al­les, und so trenn­te man sich.

Ge­gen Mit­tag tra­fen bei­de Da­men an ih­rer ha­vel­län­di­schen Bahn­sta­ti­on ein, mit­ten im Luch, und fuh­ren in ei­ner hal­b­en Stun­de nach Ho­hen-Crem­men hin­über. Briest war sehr froh, Frau und Toch­ter wie­der zu Hau­se zu ha­ben, und stell­te Fra­gen über Fra­gen, de­ren Beant­wor­tung er meist nicht ab­war­te­te. Statt des­sen er­ging er sich in Mit­tei­lung des­sen, was er in­zwi­schen er­lebt. »Ihr habt mir da vor­hin von der Na­tio­nal­ga­le­rie ge­spro­chen und von der ›In­sel der Se­li­gen‹ – nun, wir ha­ben hier, wäh­rend ihr fort wart, auch so was ge­habt: un­ser In­spek­tor Pink und die Gärt­ners­frau. Na­tür­lich habe ich Pink ent­las­sen müs­sen, üb­ri­gens un­gern. Es ist sehr fa­tal, dass sol­che Ge­schich­ten fast im­mer in die Ern­te­zeit fal­len. Und Pink war sonst ein un­ge­wöhn­lich tüch­ti­ger Mann, hier lei­der am un­rech­ten Fleck. Aber las­sen wir das; Wil­ke wird schon un­ru­hig.«

Bei Ti­sche hör­te Briest bes­ser zu; das gute Ein­ver­neh­men mit dem Vet­ter, von dem ihm viel er­zählt wur­de, hat­te sei­nen Bei­fall, we­ni­ger das Ver­hal­ten ge­gen Tan­te The­re­se. Man sah aber deut­lich, dass er in­mit­ten sei­ner Miss­bil­li­gung sich ei­gent­lich dar­über freu­te; denn ein klei­ner Scha­ber­nack ent­sprach ganz sei­nem Ge­schmack, und Tan­te The­re­se war wirk­lich eine lä­cher­li­che Fi­gur. Er hob sein Glas und stieß mit Frau und Toch­ter an. Auch als nach Tisch ein­zel­ne der hüb­sche­s­ten Ein­käu­fe vor ihm aus­ge­packt und sei­ner Be­ur­tei­lung un­ter­brei­tet wur­den, ver­riet er viel In­ter­es­se, das selbst noch an­hielt, oder we­nigs­tens nicht ganz hinstarb, als er die Rech­nung über­flog. »Et­was teu­er, oder sa­gen wir lie­ber sehr teu­er; in­des­sen es tut nichts. Es hat al­les so viel Chic, ich möch­te sa­gen so viel Ani­mie­ren­des, dass ich deut­lich füh­le, wenn du mir sol­chen Kof­fer und sol­che Rei­se­de­cke zu Weih­nach­ten schenkst, so sind wir zu Os­tern auch in Rom und ma­chen nach acht­zehn Jah­ren un­se­re Hoch­zeits­rei­se. Was meinst du, Lui­se? Wol­len wir nach­ex­er­zie­ren? Spät kommt ihr, doch ihr kommt.«

Frau von Briest mach­te eine Hand­be­we­gung, wie wenn sie sa­gen woll­te: »un­ver­bes­ser­lich«, und über­ließ ihn im üb­ri­gen sei­ner ei­ge­nen Be­schä­mung, die aber nicht groß war.

Ende Au­gust war da, der Hoch­zeits­tag (3. Ok­to­ber) rück­te nä­her, und so­wohl im Her­ren­hau­se wie in der Pfar­re und Schu­le war man un­aus­ge­setzt bei den Vor­be­rei­tun­gen zum Pol­ter­abend. Jahn­ke, ge­treu sei­ner Fritz-Reu­ter-Pas­si­on, hat­te sich’s als et­was be­son­ders »Sin­ni­ges« aus­ge­dacht, Ber­t­ha und Her­t­ha als Li­ning und Mi­ning auf­tre­ten zu las­sen, na­tür­lich platt­deutsch, wäh­rend Hul­da das Käth­chen von Heil­bronn in der Ho­lun­der­baum­sze­ne dar­stel­len soll­te, Leut­nant En­gel­brecht von den Husa­ren als Wet­ter vom Strahl. Nie­mey­er, der sich den Va­ter der Idee nen­nen durf­te, hat­te kei­nen Au­gen­blick ge­säumt, auch die ver­schäm­te Nutz­an­wen­dung auf Inns­tet­ten und Effi hin­zu­zu­dich­ten. Er selbst war mit sei­ner Ar­beit zu­frie­den und hör­te, gleich nach der Le­se­pro­be, von al­len Be­tei­lig­ten viel Freund­li­ches dar­über, frei­lich mit Aus­nah­me sei­nes Pa­tro­nats­herrn und al­ten Freun­des Briest, der, als er die Mi­schung von Kleist und Nie­mey­er mit an­ge­hört hat­te, leb­haft pro­tes­tier­te, wenn auch kei­nes­wegs aus li­te­ra­ri­schen Grün­den. »Ho­her Herr und im­mer wie­der ho­her Herr – was soll das? Das lei­tet in die Irre, das ver­schiebt al­les. Inns­tet­ten, un­be­strit­ten, ist ein fa­mo­ses Men­schenexem­plar, Mann von Cha­rak­ter und Schneid, aber die Briests – ver­zeih den Be­ro­li­nis­mus, Lui­se –, die Briests sind schließ­lich auch nicht von schlech­ten El­tern. Wir sind doch nun mal eine his­to­ri­sche Fa­mi­lie, lass mich hin­zu­fü­gen Gott sei Dank, und die Inns­tet­tens sind es nicht; die Inns­tet­tens sind bloß alt, mei­net­we­gen Ura­del, aber was heißt Ura­del? Ich will nicht, dass eine Briest oder doch min­des­tens eine Pol­ter­abend­fi­gur, in der je­der das Wi­der­spiel un­se­rer Effi er­ken­nen muss – ich will nicht, dass eine Briest mit­tel­bar oder un­mit­tel­bar in ei­nem fort von ›ho­her Herr‹ spricht. Da müss­te denn doch Inns­tet­ten we­nigs­tens ein ver­kapp­ter Ho­hen­zol­ler sein, es gibt ja der­glei­chen. Das ist er aber nicht, und so kann ich nur wie­der­ho­len, es ver­schiebt die Si­tua­ti­on.«

Und wirk­lich, Briest hielt mit be­son­de­rer Zä­hig­keit eine gan­ze Zeit lang an die­ser An­schau­ung fest. Erst nach der zwei­ten Pro­be, wo das »Käth­chen«, schon halb im Ko­stüm, ein sehr eng an­lie­gen­des Sam­met­mie­der trug, ließ er sich – der es auch sonst nicht an Hul­di­gun­gen ge­gen Hul­da feh­len ließ -zu der Be­mer­kung hin­rei­ßen, »das Käth­chen lie­ge sehr gut da«, wel­che Wen­dung ei­ner Waf­fen­stre­ckung ziem­lich gleich­kam oder doch zu sol­cher hin­über­lei­te­te. Dass alle die­se Din­ge vor Effi ge­heim­ge­hal­ten wur­den, braucht nicht erst ge­sagt zu wer­den. Bei mehr Neu­gier auf sei­ten die­ser letz­te­ren wäre das nun frei­lich ganz un­mög­lich ge­we­sen, aber Effi hat­te so we­nig Ver­lan­gen, in die Vor­be­rei­tun­gen und ge­plan­ten Über­ra­schun­gen ein­zu­drin­gen, dass sie der Mama mit al­lem Nach­druck er­klär­te, »sie kön­ne es ab­war­ten«, und wenn die­se dann zwei­fel­te, so schloss Effi mit der wie­der­hol­ten Ver­si­che­rung: es wäre wirk­lich so; die Mama kön­ne es glau­ben. Und warum auch nicht? Es sei ja doch al­les nur Thea­ter­auf­füh­rung, und hüb­scher und poe­ti­scher als »Aschen­brö­del«, das sie noch am letz­ten Abend in Ber­lin ge­se­hen hät­te, hüb­scher und poe­ti­scher kön­ne es ja doch nicht sein. Da hät­te sie wirk­lich sel­ber mit­spie­len mö­gen, wenn auch nur, um dem lä­cher­li­chen Pen­si­ons­leh­rer einen Krei­de­strich auf den Rücken zu ma­chen. »Und wie rei­zend im letz­ten Akt ›A­schen­brö­dels Er­wa­chen als Prin­zes­sin‹ oder doch we­nigs­tens als Grä­fin; wirk­lich, es war ganz wie ein Mär­chen.« In die­ser Wei­se sprach sie oft, war meist aus­ge­las­se­ner als vor­dem und är­ger­te sich bloß über das be­stän­di­ge Tu­scheln und Ge­heim­tun der Freun­din­nen. »Ich woll­te, sie hät­ten sich we­ni­ger wich­tig und wä­ren mehr für mich da. Nach­her blei­ben sie doch bloß ste­cken, und ich muss mich um sie ängs­ti­gen und mich schä­men, dass es mei­ne Freun­din­nen sind.«

So gin­gen Ef­fis Spott­re­den, und es war ganz un­ver­kenn­bar, dass sie sich um Pol­ter­abend und Hoch­zeit nicht all­zu­sehr küm­mer­te. Frau von Briest hat­te so ihre Ge­dan­ken dar­über, aber zu Sor­gen kam es nicht, weil sich Effi, was doch ein gu­tes Zei­chen war, ziem­lich viel mit ih­rer Zu­kunft be­schäf­tig­te und sich, fan­ta­sie­reich, wie sie war, vier­tel­stun­den­lang in Schil­de­run­gen ih­res Kes­si­ner Le­bens er­ging, Schil­de­run­gen, in de­nen sich ne­ben­her, und sehr zur Er­hei­te­rung der Mama, eine merk­wür­di­ge Vor­stel­lung von Hin­ter­pom­mern aus­sprach oder viel­leicht auch, mit klu­ger Be­rech­nung, aus­spre­chen soll­te. Sie ge­fiel sich näm­lich dar­in, Kes­sin als einen halb si­bi­ri­schen Ort auf­zu­fas­sen, wo Eis und Schnee nie recht auf­hör­ten.

»Heu­te hat Go­schen­ho­fer das letz­te ge­schickt«, sag­te Frau von Briest, als sie wie ge­wöhn­lich in Front des Sei­ten­flü­gels mit Effi am Ar­beit­s­ti­sche saß, auf dem die Lei­nen- und Wä­sche­vor­rä­te be­stän­dig wuch­sen, wäh­rend der Zei­tun­gen, die bloß Platz weg­nah­men, im­mer we­ni­ger wur­den. »Ich hof­fe, du hast nun al­les, Effi. Wenn du aber noch klei­ne Wün­sche hegst, so musst du sie jetzt aus­spre­chen, wo­mög­lich in die­ser Stun­de noch. Papa hat den Raps vor­teil­haft ver­kauft und ist un­ge­wöhn­lich gu­ter Lau­ne.«

»Un­ge­wöhn­lich? Er ist im­mer in gu­ter Lau­ne.«

»In un­ge­wöhn­lich gu­ter Lau­ne«, wie­der­hol­te die Mama. »Und die muss be­nutzt wer­den. Sprich also. Mehr­mals, als wir noch in Ber­lin wa­ren, war es mir, als ob du doch nach dem einen oder an­de­ren noch ein ganz be­son­de­res Ver­lan­gen ge­habt hät­test.«

»Ja, lie­be Mama, was soll ich da sa­gen. Ei­gent­lich habe ich ja al­les, was man braucht, ich mei­ne, was man hier braucht. Aber da mir’s nun mal be­stimmt ist, so hoch nörd­lich zu kom­men… ich be­mer­ke, dass ich nichts da­ge­gen habe, im Ge­gen­teil, ich freue mich dar­auf, auf die Nord­lich­ter und auf den hel­le­ren Glanz der Ster­ne…, da mir’s nun mal so be­stimmt ist, so hät­te ich wohl gern einen Pelz ge­habt.«

»Aber Effi, Kind, das ist doch al­les bloß lee­re Tor­heit. Du kommst ja nicht nach Pe­ters­burg oder nach Archan­gel.«

»Nein; aber ich bin doch auf dem Wege da­hin…«

»Ge­wiss, Kind. Auf dem Wege da­hin bist du; aber was heißt das? Wenn du von hier nach Nau­en fährst, bist du auch auf dem Wege nach Russ­land. Im üb­ri­gen, wenn du’s wünschst, so sollst du einen Pelz ha­ben. Nur das lass mich im vor­aus sa­gen, ich rate dir da­von ab. Ein Pelz ist für äl­te­re Per­so­nen, selbst dei­ne alte Mama ist noch zu jung da­für, und wenn du mit dei­nen sieb­zehn Jah­ren in Nerz oder Mar­der auf­trittst, so glau­ben die Kes­si­ner, es sei eine Mas­ke­ra­de.«

Das war am 2. Sep­tem­ber, dass sie so spra­chen, ein Ge­spräch, das sich wohl fort­ge­setzt hät­te, wenn nicht ge­ra­de Se­dan­tag ge­we­sen wäre. So aber wur­den sie durch Trom­mel- und Pfei­fen­klang un­ter­bro­chen, und Effi, die schon vor­her von dem be­ab­sich­tig­ten Auf­zu­ge ge­hört, aber es wie­der ver­ges­sen hat­te, stürz­te mit ei­nem Male von dem ge­mein­schaft­li­chen Ar­beit­s­ti­sche fort und an Ron­dell und Teich vor­über auf einen klei­nen, an die Kirch­hofs­mau­er an­ge­bau­ten Bal­kon zu, zu dem sechs Stu­fen, nicht viel brei­ter als Lei­ter­spros­sen, hin­auf­führ­ten. Im Nu war sie oben, und rich­tig, da kam auch schon die gan­ze Schul­ju­gend her­an, Jahn­ke gra­vi­tä­tisch am rech­ten Flü­gel, wäh­rend ein klei­ner Tam­bour­ma­jor, weit vor­an, an der Spit­ze des Zu­ges mar­schier­te, mit ei­nem Ge­sichts­aus­druck, als ob ihm ob­lä­ge, die Schlacht bei Se­dan noch ein­mal zu schla­gen. Effi wink­te mit dem Ta­schen­tuch, und der Be­grüß­te ver­säum­te nicht, mit sei­nem blan­ken Ku­gel­stock zu sa­lu­tie­ren.

Eine Wo­che spä­ter sa­ßen Mut­ter und Toch­ter wie­der am al­ten Fleck, auch wie­der mit ih­rer Ar­beit be­schäf­tigt. Es war ein wun­der­schö­ner Tag, der in ei­nem zier­li­chen Beet um die Son­nen­uhr her­um ste­hen­de He­lio­trop blüh­te noch, und die lei­se Bri­se, die ging, trug den Duft da­von zu ih­nen her­über.

»Ach, wie wohl ich mich füh­le«, sag­te Effi, »so wohl und so glück­lich; ich kann mir den Him­mel nicht schö­ner den­ken. Und am Ende, wer weiß, ob sie im Him­mel so wun­der­vol­len He­lio­trop ha­ben.«

»Aber Effi, so darfst du nicht spre­chen: das hast du von dei­nem Va­ter, dem nichts hei­lig ist und der neu­lich so­gar sag­te: Nie­mey­er sähe aus wie Lot. Un­er­hört. Und was soll es nur hei­ßen? Erst­lich weiß er nicht, wie Lot aus­ge­se­hen hat, und zwei­tens ist es eine gren­zen­lo­se Rück­sichts­lo­sig­keit ge­gen Hul­da. Ein Glück, dass Nie­mey­er nur die ein­zi­ge Toch­ter hat, da­durch fällt es ei­gent­lich in sich zu­sam­men. In ei­nem frei­lich hat er nur zu sehr recht ge­habt, in all und je­dem, was er über ›Lots Frau‹, un­se­re gute Frau Pas­to­rin, sag­te, die uns denn auch wirk­lich wie­der mit ih­rer Tor­heit und An­ma­ßung den gan­zen Se­dan­tag rui­nier­te. Wo­bei mir üb­ri­gens ein­fällt, dass wir, als Jahn­ke mit der Schu­le vor­bei­kam, in un­se­rem Ge­sprä­che un­ter­bro­chen wur­den – we­nigs­tens kann ich mir nicht den­ken, dass der Pelz, von dem du da­mals sprachst, dein ein­zi­ger Wunsch ge­we­sen sein soll­te. Lass mich also wis­sen, Schatz, was du noch wei­ter auf dem Her­zen hast.«

»Nichts, Mama.«

»Wirk­lich nichts?«

»Nein, wirk­lich nichts; ganz im Erns­te… Wenn es aber doch am Ende was sein soll­te…«

»Nun…«

»… So müsst es ein ja­pa­ni­scher Bett­schirm sein, schwarz und gol­de­ne Vö­gel dar­auf, alle mit ei­nem lan­gen Kra­nich­schna­bel… Und dann viel­leicht auch noch eine Am­pel für un­ser Schlaf­zim­mer, mit ro­tem Schein.«

Frau von Briest schwieg.

»Nun siehst du, Mama, du schweigst und siehst aus, als ob ich et­was be­son­ders Un­pas­sen­des ge­sagt hät­te.«

»Nein, Effi, nichts Un­pas­sen­des. Und vor dei­ner Mut­ter nun schon ge­wiss nicht. Denn ich ken­ne dich ja. Du bist eine fan­tas­ti­sche klei­ne Per­son, malst dir mit Vor­lie­be Zu­kunfts­bil­der aus, und je far­ben­rei­cher sie sind, de­sto schö­ner und be­gehr­li­cher er­schei­nen sie dir. Ich sah das so recht, als wir die Rei­se­sa­chen kauf­ten. Und nun denkst du dir’s ganz wun­der­voll, einen Bett­schirm mit al­ler­hand fa­bel­haf­tem Ge­tier zu ha­ben, al­les im Halb­licht ei­ner ro­ten Am­pel. Es kommt dir vor wie ein Mär­chen, und du möch­test eine Prin­zes­sin sein.«

Effi nahm die Hand der Mama und küss­te sie. »Ja, Mama, so bin ich.«

»Ja, so bist du. Ich weiß es wohl. Aber mei­ne lie­be Effi, wir müs­sen vor­sich­tig im Le­ben sein, und zu­mal wir Frau­en. Und wenn du nun nach Kes­sin kommst, ei­nem klei­nen Ort, wo nachts kaum eine La­ter­ne brennt, so lacht man über der­glei­chen. Und wenn man bloß lach­te. Die, die dir un­ge­wo­gen sind, und sol­che gibt es im­mer, spre­chen von schlech­ter Er­zie­hung, und man­che sa­gen auch wohl noch Schlim­me­res.«

»Also nichts Ja­pa­ni­sches und auch kei­ne Am­pel. Aber ich be­ken­ne dir, ich hat­te es mir so schön und poe­tisch ge­dacht, al­les in ei­nem ro­ten Schim­mer zu se­hen.«

Frau von Briest war be­wegt. Sie stand auf und küss­te Effi. »Du bist ein Kind. Schön und poe­tisch. Das sind so Vor­stel­lun­gen. Die Wirk­lich­keit ist an­ders, und oft ist es gut, dass es statt Licht und Schim­mer ein Dun­kel gibt.«

Effi schi­en ant­wor­ten zu wol­len, aber in die­sem Au­gen­bli­cke kam Wil­ke und brach­te Brie­fe. Der eine war aus Kes­sin von Inns­tet­ten. »Ach, von Geert«, sag­te Effi, und wäh­rend sie den Brief bei­sei­te steck­te, fuhr sie in ru­hi­gem Tone fort: »Aber das wirst du doch ge­stat­ten, dass ich den Flü­gel schräg in die Stu­be stel­le. Da­ran liegt mir mehr als an ei­nem Ka­min, den mir Geert ver­spro­chen hat. Und das Bild von dir, das stell ich dann auf eine Staf­fe­lei; ganz ohne dich kann ich nicht sein. Ach, wie werd ich mich nach euch seh­nen, viel­leicht auf der Rei­se schon und dann in Kes­sin ganz ge­wiss. Es soll ja kei­ne Gar­ni­son ha­ben, nicht ein­mal einen Stabs­arzt, und ein Glück, dass es we­nigs­tens ein Ba­de­ort ist. Vet­ter Briest, und dar­an will ich mich auf­rich­ten, des­sen Mut­ter und Schwes­ter im­mer nach War­ne­mün­de ge­hen – nun, ich sehe doch wirk­lich nicht ein, warum der die lie­ben Ver­wand­ten nicht auch ein­mal nach Kes­sin hin di­ri­gie­ren soll­te. Di­ri­gie­ren, das klingt oh­ne­hin so nach Ge­ne­ral­stab, wor­auf er, glaub ich, am­biert. Und dann kommt er na­tür­lich mit und wohnt bei uns. Üb­ri­gens ha­ben die Kes­si­ner, wie mir neu­lich erst wer er­zählt hat, ein ziem­lich großes Dampf­schiff, das zwei­mal die Wo­che nach Schwe­den hin­über­fährt. Und auf dem Schif­fe ist dann Ball (sie ha­ben da na­tür­lich auch Mu­sik), und er tanzt sehr gut…«

»Wer?«

»Nun, Da­go­bert.«

»Ich dach­te, du mein­test Inns­tet­ten. Aber je­den­falls ist es an der Zeit, end­lich zu wis­sen, was er schreib­t… Du hast ja den Brief noch in der Ta­sche.«

»Rich­tig. Den hätt ich fast ver­ges­sen.« Und sie öff­ne­te den Brief und über­flog ihn.

»Nun, Effi, kein Wort? Du strahlst nicht und lachst nicht ein­mal. Und er schreibt doch im­mer so hei­ter und un­ter­halt­lich und gar nicht vä­ter­lich wei­se.«

»Das würd ich mir auch ver­bit­ten. Er hat sein Al­ter, und ich habe mei­ne Ju­gend. Und ich wür­de ihm mit dem Fin­ger dro­hen und ihm sa­gen: ›Geert, über­le­ge, was bes­ser ist.‹«

»Und dann wür­de er dir ant­wor­ten: ›Was du hast, Effi, das ist das Bes­se­re.‹ Denn er ist nicht nur ein Mann der feins­ten For­men, er ist auch ge­recht und ver­stän­dig und weiß recht gut, was Ju­gend be­deu­tet. Er sagt sich das im­mer und stimmt sich auf das Ju­gend­li­che hin, und wenn er in der Ehe so bleibt, so wer­det ihr eine Mus­ter­ehe füh­ren.«

»Ja, das glau­be ich auch, Mama. Aber kannst du dir vor­stel­len, und ich schä­me mich fast, es zu sa­gen, ich bin nicht so sehr für das, was man eine Mus­ter­ehe nennt.«

»Das sieht dir ähn­lich. Und nun sage mir, wo­für bist du denn ei­gent­lich?«

»Ich bin… nun, ich bin für gleich und gleich und na­tür­lich auch für Zärt­lich­keit und Lie­be. Und wenn es Zärt­lich­keit und Lie­be nicht sein kön­nen, weil Lie­be, wie Papa sagt, doch nur ein Pap­per­la­papp ist (was ich aber nicht glau­be), nun, dann bin ich für Reich­tum und ein vor­neh­mes Haus, ein ganz vor­neh­mes, wo Prinz Fried­rich Karl zur Jagd kommt, auf Elch­wild oder Au­er­hahn, oder wo der alte Kai­ser vor­fährt und für jede Dame, auch für die jun­gen, ein gnä­di­ges Wort hat. Und wenn wir dann in Ber­lin sind, dann bin ich für Hof­ball und Galao­per, im­mer dicht ne­ben der großen Mit­tel­lo­ge.«

»Sagst du das so bloß aus Über­mut und Lau­ne?«

»Nein, Mama, das ist mein völ­li­ger Ernst. Lie­be kommt zu­erst, aber gleich hin­ter­her kommt Glanz und Ehre, und dann kommt Zer­streu­ung – ja, Zer­streu­ung, im­mer was Neu­es, im­mer was, dass ich la­chen oder wei­nen muss. Was ich nicht aus­hal­ten kann, ist Lan­ge­wei­le.«

»Wie bist du da nur mit uns fer­tig ge­wor­den?«

»Ach, Mama, wie du nur so was sa­gen kannst. Frei­lich, wenn im Win­ter die lie­be Ver­wandt­schaft vor­ge­fah­ren kommt und sechs Stun­den bleibt oder wohl auch noch län­ger und Tan­te Gun­del und Tan­te Olga mich mus­tern und mich na­se­weis fin­den – und Tan­te Gun­del hat es mir auch mal ge­sagt –, ja, da macht sich’s mit­un­ter nicht sehr hübsch, das muss ich zu­ge­ben. Aber sonst bin ich hier im­mer glück­lich ge­we­sen, so glück­lich…«

Und wäh­rend sie das sag­te, warf sie sich hef­tig wei­nend vor der Mama auf die Knie und küss­te ihre bei­den Hän­de!