Ein bisschen härter ist viel besser - Sabine Deunan - E-Book

Ein bisschen härter ist viel besser E-Book

Sabine Deunan

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Beschreibung

Sadomasochismus hat sich längst vom Schmuddelimage befreit und ist salonfähig geworden. Besonders unter Paaren, die ihr Sexleben aufregender gestalten wollen, erfreut sich diese erotische Spielart zunehmender Beliebtheit. Wenn man die Klischees hinter sich lässt - brüllende Domina, billiger Lederfummel, Lackstiefel mit Endlosabsätzen - und sich traut, genauer hinzuschauen, gibt es einiges zu entdecken. BDSM - kurz SM - steht für Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism und fasst erotische Vorlieben zusammen, die sich um Machtspiele, Dominanz und Unterwerfung, Lustschmerz und Fesselspiele drehen. Mit einem Partner, dem man - notfalls wörtlich - blind vertrauen kann, dem man sich hingeben kann, der auch zu Ausgefallenem nicht Nein sagt, dem man seine Fantasien erzählen kann, lässt sich das am besten ausleben. Wird SM nämlich so praktiziert, wie er sein soll, mit Hingabe und Vertrauen, mit Sinnlichkeit und Lust, eröffnet er in der Partnerschaft ganz neue Welten. Dieses Buch ist eine Einführung in die SM-Kultur. Es vermittelt Wissen und hilft Berührungsängste abzubauen. Es handelt von dem Spiel mit Rollen, von Erotik, von Hingabe und Vertrauen, von sinnlichen Zwängen und liebevoller Machtausübung. Dabei geht es um die Lust, Konventionen abzulegen, um den Spaß, fremde Bereiche der eigenen Sexualität zu erkunden und Vorlieben beim Partner zu entdecken - auch wenn sie ihm vielleicht selbst noch nicht bewusst sind. Die Autoren Sabine und Wolf Deunan erklären die Philosophie sowie die grundsätzlichen Spielarten und Praktiken von SM: Fesselungstechniken und Materialkunde des Bondage, Rollenspiele und ihre Szenerien, die Kunst des Dirty Talk, den Reiz der Öffentlichkeit und Keuschheitsspiele. Weitere Themenbereiche sind die unterschiedlichen Varianten des Fetisch und die Lust am Schmerz (zum Beispiel bei Schlagspielen). Das Buch ist aber nicht trockene Theorie, sondern vor allem anregende Lektüre und eine Einladung zum Entwickeln und Verwirklichen eigener Fantasien.

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Seitenzahl: 189

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Sabine und Wolf Deunan

Ein bißchen härter ist viel besser

Fesseln für Verliebte –  Liebe, Vertrauen, grandioser Sex

EXPLIZIT

INHALT

Haftungsausschluss

Weder die Autoren noch der Verlag haften für Verletzungen oder Folgeschäden, seien sie physischer oder auch psychischer Natur, die nach, wegen oder trotz der Lektüre dieses Buches auftreten können. Die Verantwortung für die Anwendung der hier dargestellten Praktiken bleibt im vollen Umfang bei den Lesern.

Für BAFy und den dicken Mann

1. Haben Sie Spaß am Sex?

Haben Sie einen Partner, mit dem Sie diesen Spaß teilen? Dem Sie – notfalls wörtlich – blind vertrauen, dem Sie sich hingeben können, der auch zu Verrücktheiten und Ausgefallenem nicht nein sagt und dem Sie Ihre Fantasien erzählen können? Selbst die Fantasien, bei denen Sie knallrot anlaufen, sich auf Ihrem Sitz winden und ganz leise werden, wenn Sie davon erzählen? Sind Sie bereit, mit ihm oder ihr Dinge zu tun, die vielleicht ein bisschen verrufen sind, obwohl sie unglaublichen Spaß machen? Auch wenn Ihr Nachbar einen Herzkasper bekommen würde, wenn er jemals davon erfährt? Nun, vielleicht haben wir da etwas für Sie.

Dieses Buch handelt von dem Spiel mit Rollen, von Erotik, von Hingabe und Vertrauen, von sinnlichen Zwängen und liebevoller Machtausübung. Dabei geht es um die Lust, Konventionen abzulegen, um den Spaß daran, fremde Gefilde der eigenen Sexualität zu erkunden und Vorlieben beim Partner zu entdecken – auch wenn sie ihm vielleicht noch nicht bewusst sind. In diesem Buch finden Sie Anregungen für Paare, die selbstsicher genug sind, um geben zu können, ohne sofort zu nehmen; die aber auch einfühlsam genug sind, um etwas zu geben, wenn sie nehmen.

Das Thema dieses Buchs ist – jetzt bitte nicht erschrecken – Sadomasochismus (SM). Vielleicht ist Spaß das Letzte, was Sie mit SM in Verbindung bringen, weil Sie sofort brüllende Dominas und billige Lederfummel oder ein anderes Vorurteil im Kopf haben. Solche Bilder haben allerdings mit dem wirklichen SM nichts zu tun. Wird er so praktiziert, wie er sein soll, mit Hingabe und Vertrauen, mit Sinnlichkeit und Lust, macht er Riesenspaß. Erfahren Sie mehr darüber – wenn Sie wollen.

2. Eine Einladung zu Ihren Fantasien

»Sadomasochisten sind die letzten Romantiker.« Matthias T. J. Grimme

SM ist in erster Linie ein Spiel mit unendlich vielen Möglichkeiten, in dem nur Ihre Vorlieben und Fantasien die Grenzen bestimmen. Ob Sie sich durch eine Entführung verführen lassen, Ihrem hilflosen Geliebten einen langsamen Höhepunkt nach dem nächsten bescheren oder einfach nur wissen wollen, ob auch Sie geschickt genug sind, jemanden erotisch und sicher zugleich zu verschnüren – hier sind Sie richtig. Nicht umsonst ist SM auch die Abkürzung für »Sex Magic« – Zaubersex. Um magische Momente heraufzubeschwören, brauchen Sie allerdings mehr als nur ein Handbuch mit Listen von Positionen, Rollen oder Praktiken. Wie jeder gute Sex findet SM zunächst im Kopf statt, aber im Gegensatz zum »normalen« Sex stellt SM darüber hinaus gewisse gesellschaftliche Vorstellungen infrage, wie Spaß im Bett auszusehen hat. Spitzbübisch und frech werden dabei Konventionen ignoriert, verbogen oder ins Gegenteil verkehrt.

Die erste Vorstellung, die es aus dem Weg zu räumen gilt, ist die, dass beide Partner beim Sex immer und ständig gleichberechtigt sein müssen. Nicht, dass wir missverstanden werden: Wir sind glühende Verfechter der Gleichberechtigung in der Beziehung als Ganzes. Wer gerade das stinkende Kind auf dem Arm hat, ist bei uns automatisch Windelbeauftragter, die Wäsche machen wir beide, und auch der Hausputz wird demokratisch zwischen zwei Leuten geteilt, die ihn dann möglichst lange vor sich herschieben. Aber wenn die Kinder im Bett liegen, die Spülmaschine vor sich hinrauscht und man sich ins Schlafzimmer zurückzieht, lassen wir mehr als nur den Alltag hinter uns. Wer zulässt, dass – und sei es auch nur hin und wieder – der Partner ihn wie beim Tanz führt, wer sich ihm einfach hingibt und sich mit Wonne dorthin treiben lässt, wohin er gesteuert wird, dem öffnet sich eine ganz neue Welt der Erlebnisse. In der hat zwar einer die Kontrolle abgegeben, aber damit auch die Verantwortung und die Pflicht, irgendetwas anderes zu tun, als einfach nur zu genießen. Und wer sich traut, das Zepter oder vielleicht sogar die Zügel in die Hand zu nehmen und (fast) ganz allein zu bestimmen, wo es heute Nacht langgeht, dem eröffnen sich ganz neue Arten der Befriedigung – und nicht zuletzt auch das Wissen, dass er selbst die Lust des Partners stimuliert hat.

Selbstverständlich ist, dass dabei immer der Respekt vor dem Partner erhalten bleibt, dass die Spiele, die im Schlafzimmer gespielt werden, auch genau das bleiben: Spiele, die beiden Spaß machen. Wenn Sie damit nicht umgehen können oder wenn Vertrauen, Empathie, Respekt vor dem Partner und vor allem Humor bei Ihnen keinen Platz haben, ist dieses Buch vermutlich nichts für Sie. Und wenn Sie bereits Vollzeit-SMler sind, dann können Sie dieses Buch Ihren Verwandten, Freunden, Bekannten, Arbeitskollegen und auch wildfremden Leuten schenken. Die erhalten dann eine bessere Vorstellung davon, woher Ihre Begeisterung kommt.

SM, was ist das überhaupt?

»Fesseln finde ich ja geil, aber SM ist pervers!« Eine nichts ahnende Bekannte im Gespräch

Früher war es einfach zu sagen, was sich im Bett geziemte und was nicht: Wenn der Mann oben lag und bis zum Samenerguss durchratterte wie ein Presslufthammer, während die Frau unter ihm lag und an das Vaterland dachte, dann war alles in Ordnung – vorausgesetzt natürlich, die beiden waren verheiratet und das Ganze dauerte nicht länger als drei Minuten. Vier, wenn man noch verliebt war.

Dann kam die sexuelle Revolution: Nun durfte auch die Frau oben liegen, sitzen oder hocken – vorwärts und sogar rückwärts. Sex konnten Leute haben, die sich nicht gleich für ewig binden wollten, und sogar Spaß war dabei erlaubt. Das Wort »Vorspiel« hielt Einzug in das Vokabular von Paaren, auch wenn die Anwendung noch deutlich hinter den Wünschen einiger Beteiligter hinterherhinkte. Praktiken wie Oral- und Analsex, die seit Jahrhunderten als krankhaft oder »pervers« eingestuft worden waren, wurden gesellschaftsfähig.

Doch gewisse Spielarten der Sexualität galten immer noch als krankhaft, selbst im angeblich aufgeklärten Mitteleuropa: Wenn Frauen Frauen und Männer Männer liebten, wenn man sich im Bett die Augen verbinden oder – Schock! – fesseln, vielleicht sogar Rollenspiele machen oder sich besondere Kleidung dabei anziehen wollte. Alle drei Formen – Homosexualität, Sadomasochismus und Fetischismus – betrachtete die Welt zunächst weiter als das Böse. Nach den Vorstellungen der Psychoanalyse waren sie ein Ticket ohne Rückfahrschein in ein Leben als psychisches Wrack, wenn nicht gleich der Anfang einer aufregenden Karriere als Axtmörder.

Diese finsteren Zeiten sind natürlich vorbei: Den Begriff der »Perversion« gibt es in der Medizin inzwischen nicht mehr. Geblieben sind jedoch einige schwammige Vorstellungen davon, was SM überhaupt ist.

SM kann zunächst einmal als eine Erweiterung des durchschnittlichen Sexlebens betrachtet werden. Die amerikanischen Autorinnen Dossie Easton und Janet Hardy beschreiben SM in The New Bottoming Book und The New Topping Book als »Graduate School Sex«, also die nächsthöhere Ebene nach einem eingehenden Studium des Sex, oder auch als »Gourmet Sex«, also Sex für Feinschmecker. Es bleibt jedem selbst überlassen, wo – wenn überhaupt – er dabei eine Grenze ziehen will. Streng genommen fängt SM bei der Frage an, wer oben liegt, aber das sieht kaum jemand noch so. Wenn aus Knabbern Liebesbisse werden und Kneten ins Kneifen übergeht, wenn Augenbinden dazukommen, spätestens aber wenn Seile oder Handschellen eingesetzt werden, handelt es sich um SM.

Darüber hinaus ist SM ein erotisches Spiel mit der Macht. Die Partner einigen sich darauf, dass der eine im Bett für eine gewisse Zeit mehr davon bekommt als der andere. Welcher Partner was darf und wie lange das Ganze dauert, ist völlig offen – jedes Geschlecht kann jede Rolle annehmen, für eine halbe Stunde, für eine Nacht, für einen Monat oder vielleicht für die ganze Dauer der Partnerschaft.

Das Ziel ist dabei, dem anderen und sich selbst mit Liebe – wenn auch vielleicht mit liebevoller Härte – Spaß zu bereiten. Die SM-Praktiken werden nahtlos in das normale Sexualleben eingebettet. In den USA gibt es dafür das Eiskreme-Bild. Der durchschnittliche Geschlechtsverkehr ist so etwas wie Vanilleeis: lecker, aber nach einiger Zeit vielleicht doch etwas langweilig. SM dagegen ist wie Stracciatella. Die Schokoladenstückchen im Vanilleeis geben einen besonderen Kick. Und jetzt sagen Sie bloß, dass Sie keine Schokolade mögen.

Forschung Fatale

»In der Wissenschaft besteht gegenüber dem Sadomasochismus eine schwere Hypothek von Vorurteilen und Unkenntnis, von wenigen punktuellen Schilderungen abgesehen.« Andreas Spengler in »Sadomasochisten und ihre Subkulturen«

SM als Spielart gibt es schon seit Ewigkeiten. In dem vielleicht bekanntesten Sex-Handbuch der Welt, dem Kamasutra, das aus der Zeit um 300 nach Christus stammt, werden Schläge mit der offenen Hand zur Luststeigerung beschrieben. Dabei wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dies nur einvernehmlich geschehen darf.

Dieser unbeschwerte Umgang mit SM ging in den folgenden Jahrhunderten im Westen verloren. Die sich entwickelnde Naturwissenschaft und Medizin nahmen sich des Themas an, was teils zu heute eher belustigenden Ergebnissen führte: Frühe Erklärungsversuche für SM-Vorlieben beruhten wegen mangelnder Anatomiekenntnisse auf wilder Spekulation. 1639 beschrieb der deutsche Arzt Johann Heinrich Meibom der Ältere als Grund für die Erregung durch Rutenschläge, dass diese das Sperma in den Nieren (!) erwärmten, von wo es hinabsteige und die Hoden in Aufruhr versetze. Seine Nachfolger machten später warmes Blut statt Sperma verantwortlich, blieben aber bei dieser Erklärung. Der französische Arzt François Amédée Doppet weitete die Theorie dann 1788 auch auf Frauen aus, deren »Mutterscheide« durch Wärme in Erregung versetzt werde.

Die Begriffe »Sadismus« und »Masochismus« selbst gehen auf den deutschen Psychiater Richard von Krafft-Ebing zurück. Er war es auch, der eine Verbindung zu gefährlichen Geisteskranken herstellte. In seinem erstmals 1886 veröffentlichten Lehrbuch Psychopathia sexualis beschrieb er die »Perversionen«, zu denen für ihn so ungefähr alles zählte, was nicht direkt der Fortpflanzung diente. Den Begriff »Sadismus« prägte er nach seinen lückenhaften Vorstellungen vom Leben des 1814 gestorbenen französischen Schriftstellers Marquis de Sade. Ein Zeitgenosse Krafft-Ebings, der österreichische Schriftsteller Leopold von Sacher-Masoch, musste unter anderem wegen seines 1870 erschienenen Romans Venus im Pelz als unfreiwilliger Namensgeber für den Begriff »Masochismus« herhalten. Sacher-Masoch war durch Krafft-Ebings Namenswahl ruiniert.

Aus heutiger Sicht sind Krafft-Ebings Theorien bestenfalls abenteuerlich. Japanische Männer, so lehrte er zum Beispiel, heiraten nur solche Frauen, die jahrelang in den bordellgleichen »Theehäusern« des Landes gearbeitet haben. Sein Verständnis von der Frau, »dem Weib«, war stark durch Vorurteile geprägt: »Ist es [das Weib] geistig normal entwickelt und wohlerzogen, so ist sein sinnliches Verlangen ein geringes.« Zudem verhalte sie sich passiv. Bei Krafft-Ebing werden Masturbation, Kannibalismus, Analsex, Kindermord und andere Taten »lichtscheuer Gestalten« zu einem Mix zusammengerührt, den die heutige Zeit nur vom Vormittagsfernsehen kennt. Wohl gerade deswegen wurden die zwölf Auflagen der Psychopathia sexualis, an denen er selbst mitarbeitete, zu Bestsellern ihrer Zeit. Sie machten seine Wortschöpfungen zu den vielleicht erfolgreichsten Begriffen der Psychiatrie: »Sadismus« und »Masochismus« gingen in die Alltagssprache über.

Der österreichische Arzt Sigmund Freud stellte 1905 mit seinen Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie sicher, dass diese Begriffe weiter Verwendung fanden, indem er ihnen eine zentrale Rolle in der Psychoanalyse zuwies. Freud und seine Schüler fügten der Sammlung von Vorurteilen noch weitere hinzu: Die Krankheiten Sadismus und Masochismus seien auf eine gestörte Kindesentwicklung zurückzuführen, und Frauen seien sowieso alle irgendwie masochistisch veranlagt. In einigen Teilen der Gesellschaft haben sich diese und ähnliche Vorstellungen bis heute gehalten, obwohl sich die Psychiatrie inzwischen weiterentwickelt hat.

Und noch etwas hatten diese Mediziner und Psychiater gemeinsam: Keiner von ihnen kam auf die Idee, ihre Krankenhäuser und Praxen zu verlassen und zunächst geistig Gesunde zu fragen, was sie denn im Bett machten. Schließlich war es ein Insektenforscher, der Amerikaner Alfred Kinsey, der ab 1938 durch mehr als 12.000 Interviews als Erster eine Vorstellung davon gewann, was dem Durchschnittsbürger Spaß bereitet. Dabei stieß er auch auf eine ansehnliche Anzahl von Menschen, die SM-Spiele mochte. Doch die Welt war von einem anderen Ergebnis viel zu abgelenkt, um das zu bemerken: Plötzlich waren Homosexuelle nicht mehr einzelne Kranke, sondern machten laut Kinsey einen bis dahin ungeahnt großen Anteil der Bevölkerung aus. Die Folgen sind bekannt. Trotz massiver Proteste von Psychoanalytikern wurde die Homosexualität 1973 aus der Liste der Geisteskrankheiten gestrichen – homosexuelle Sadomasochisten natürlich ausgenommen.

Sadomasochisten mussten bis 1974 auf »ihren Kinsey« warten. Er kam in Gestalt des deutschen Arztes Andreas Spengler daher, der eine Studie mit dem Titel Sadomasochisten und ihre Subkulturen veröffentlichte. Spenglers Ergebnisse waren eindeutig: Sadomasochisten seien überdurchschnittlich selbstbewusst, gut ausgebildet, sozial aktiv und erfolgreich, subkulturell gut organisiert. Die in wissenschaftlichen Darstellungen verbreitete Annahme eines Zusammenhangs zwischen psychischer Krankheit und abweichender Sexualität könne nicht belegt werden, schrieb er weiter. Eine Kurzversion seiner Ergebnisse erschien 1977 auf Englisch und revolutionierte die Forschung. Allerdings änderte die American Psychiatric Association in ihrem weltweit gültigen Diagnosehandbuch Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV) die Kriterien für »sexuellen Sadismus« und »sexuellen Masochismus« erst 1994 so, dass Sadomasochisten nicht mehr davon erfasst werden. Zwischen der Psychopathia sexualis und DSM-IV liegen damit etwas mehr als 100 Jahre, in denen einvernehmliche Sexspiele mit der Macht als krankhaft galten.

Ist der Ruf erst ruiniert …

»Insgesamt kann man aus den Medien ungefähr so viel über SM lernen wie aus dem IKEA-Katalog über Schweden.« Kathrin Passig und Ira Strübel in »Die Wahl der Qual«

Boulevardpresse und Fernsehen zeichnen ihre eigene Version von SM. Obwohl jede größere SM-Gruppe im Internet eine Website hat und nichtkommerzielle Informationsgruppen wie »Datenschlag« seriöse Ansprechpartner für Journalisten anbieten, nützt das oft nichts: Immer wieder sieht man im Fernsehen schlecht geschminkte Dominas jenseits der 50, die übergewichtige Manager an Ketten über den Fußboden eines verdreckten Kellers schleifen; Männer mit Bierbauch, die in Riesenwindeln und mit einem Schnuller im Mund durch das Vormittagsprogramm krabbeln, oder blasse Muttitypen, die nur kommen können, wenn sie sich mit Orangenmarmelade eingeschmiert haben und an Schlüpfern riechen. In Fernsehkrimis haben Butler und Gärtner ausgedient: Der Sadomasochist ist der Mörder! Und in den Gerichts-Shows im Fernsehen wie »Richterin Barbara Salesch« auf Sat.1 ist SM ein Dauerthema: »Ohnmächtig und im Lack- und Leder-Outfit an ein Heizungsrohr gefesselt, wird Lars von seiner Schwiegermutter im Keller gefunden. Ging beim Liebesspiel nur etwas schief oder wollte sich Domina Lisa am tyrannischen Hausmeister rächen?« (Folge vom 22. September 2003)

Einige Sadomasochisten regt so etwas auf, schon allein deshalb, weil nie erklärt wird, warum SM angeblich immer nur im Keller stattfinden darf, obwohl es da meist fürchterlich kalt ist. Und diese Sadomasochisten beschweren sich. Dabei wird schnell klar, warum die Medien an dieser Art der Darstellung festhalten. So antwortete eine Sprecherin der Produktionsfirma »filmpool« auf den Protestbrief eines Sadomasochisten mit dem Hinweis: »Und die hohe Quote, die Richterin Barbara Salesch auch mit den von Ihnen angesprochenen Sendungen erreicht hat, ist ja ein Zeichen dafür, dass die Thematik insgesamt gesellschaftlich relevant ist.«

Das wichtigste Wort in diesem Satz dürfte »Quote« sein: SM als Mischung aus Sex (stimmt) und Crime (stimmt nicht) aufzubereiten ist interessanter als die unspektakuläre Wirklichkeit, in der Leute wie Sie und wir leben. Unser Alltag eignet sich nicht fürs Fernsehen – aber dafür haben wir genialen Sex.

Durchbruch in den Mainstream

»Buffy hat es tatsächlich verstanden. [In der Fernsehserie] wird Sadismus von Feindseligkeit unterschieden und erhält die ihm zustehende Rolle als eine zulässige sexuelle Ausdrucksweise, während Masochismus als solches eine Figur weder schwach noch abnormal oder kaputt macht.« Sampo Syreeni in »Buffy, bound to please«

Zur Ehrenrettung der Ärzte sei festgehalten, dass einer ihrer Zunft als erster SM als lustvolles Sexspiel einem breiteren Publikum vorstellte. Der Amerikaner Alex Comfort brachte 1972 sein Buch Joy of Sex (»Freude am Sex«) heraus, nach dem Kamasutra vermutlich der Klassiker unter den Sex-Handbüchern. Fesselungen (Bondage) und Schläge mit Reisig, wie in der Sauna, wurden detailliert als Mittel der Luststeigerung dargestellt, das auch ganz normale Paare verwenden könnten – für die damalige Zeit eine kleine Sensation. Der endgültige Durchbruch in den Mainstream begann dann während der 1980er Jahre, als Hollywood und die Popmusik SM wiederentdeckten. Der SM-Roman Nine and a Half Weeks: A Memoir of a Love Affair von Elizabeth McNeill wurde unter dem Filmtitel 9 1/2 Wochen mit Kim Basinger und Mickey Rourke zum Kinohit. Der Franzose Just Jaeckin wagte sich mit einem Budget von fünf Millionen Dollar sogar an die Verfilmung des Bondage-Comics Gwendoline von John Willie; der Film floppte. In Robert van Ackerens Film Die flambierte Frau mit Gudrun Landgrebe kommen wie selbstverständlich SM-Szenen vor. Die Amerikanerin Anne Rice, die mit dem Roman Interview mit einem Vampir (verfilmt mit Brad Pitt, Tom Cruise und Antonio Banderas) später zur internationalen Bestsellerautorin werden sollte, setzte bereits unter dem Pseudonym A. N. Roquelaure das Märchen von Dornröschen als SM-Trilogie um.

Deutschlands Sittenwächter kämpften zunächst verzweifelt darum, die Nation in den Bahnen des konventionellen Beischlafs zu halten. Die Bücher von Rice und McNeill wurden indiziert, ebenso die Filmplakate und Plattenhüllen des Gwendoline-Films, die Originalcomics von John Willie sowieso. Die Zeitschrift Tempo musste der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS) versichern, keine »Macho-, Sado-Maso- und ähnliche« Kontaktanzeigen mehr zu schalten. Noch 1991 zwang der Deutsche Werberat die Zigarettenfirma West wegen Verstoßes gegen die »guten Sitten«, ein Werbeplakat vom Markt zu nehmen, das eine Frau in Fetischkleidung zeigte. In Deutschland standen Ende der 1980er Jahre etwa siebzig SM- und Fetisch-Publikationen auf dem Index.

Doch wie bei jeder Zensur waren diese Versuche, die Entwicklung aufzuhalten, vergebens. Nachdem die deutsche Erstausgabe von 1968 bei Melzer nach kürzester Zeit auf den Index gesetzt wurde, veröffentlichte der Ullstein Verlag 1991 ein Interview mit Pauline Réage und hängte als Dokumentation den kompletten Text der Geschichte der O an – der BPjS sind (sozusagen) bei Dokumentationen die Hände gebunden. Endlich wurde der Roman, in Frankreich bereits 1955 mit dem Literaturpreis Prix des Deux Magots ausgezeichnet, dem deutschen Publikum zugänglich. Machtlos blieb die Behörde auch, als sich Sadomasochisten selbst zu Wort meldeten und frei über ihre Neigungen sprachen: Die Autorin Sina-Aline Geißler veröffentlichte ihre Lebensgeschichte unter dem Titel Lust an der Unterwerfung (Rastatt 1990) und wurde von Talkshows und Zeitschriften hofiert. Hunderttausende Zuschauer sahen die RTL-Sendung »Hans Meiser« im November 1992, in der Mitarbeiter der SM-Zeitschrift Schlagzeilen und andere Sadomasochisten zu einem Interview eingeladen waren. In der Redaktion der Zeitschrift standen danach die Telefone nicht mehr still. Die ARD sendete in ihrer Reihe »Unter deutschen Dächern« am 23. Juni 1994 eine insgesamt positive Dokumentation. Für die Zensur ohnehin praktisch unantastbar sind Künstler wie der Fotograf Helmut Newton oder die deutsche Lyrikerin Ulla Hahn, die in ihrem Buch Ein Mann im Haus (München 1991) eine Frau beschreibt, die ausgerechnet einen Küster tagelang ans Bett fesselt und ihn demütigt.

Geradezu lustvoll vorgeführt werden die Sittenwächter von der Musikindustrie. Superstar Madonna lässt sich im Video zum Song Express Yourself ans Bett ketten, bittet in dem Lied Hanky Panky um Popoklatsche und reizt schließlich die SM-Schiene in Erotica voll aus. Guns N’ Roses bringt mit Pretty Tied Up ein Lied über den Spaß an SM heraus. Die in den 1980er Jahren aufkommende Gothic-Musik teilt mit der sadomasochistischen Subkultur den Kleidungs- und Musikgeschmack so sehr, dass es beide Seiten zu nerven beginnt – ganz zu schweigen davon, dass die Boulevardpresse beide Gruppen zusammen mit den Satanisten in einen Topf wirft. Einen Ehrenplatz auf dieser Liste hält die Musikgruppe »Die Ärzte«: Ein Streit mit der BPjS wegen der Comic-Zeichnung einer gefesselten Frau in Fetisch-Kleidung, angelehnt an Gwendoline, endet damit, dass »Die Ärzte« das Logo ändern – zu sehen ist nun ein gefesseltes Skelett, das mittlerweile auch auf Postern, Shirts und anderen Gegenständen prangt. Dank dieses Streits dürfte Gwendoline inzwischen die bekannteste SM-Figur Deutschlands sein – vermutlich eher das Gegenteil von dem, was die Bundesprüfstelle erreichen wollte.

Mitte der 1990er Jahre zieht sich die Prüfstelle aus dieser Materie zurück und konzentriert sich zunehmend auf Rechtsradikale. Auch der Werberat hat gelernt: Eine Serie von Camel-Spots mit einem Kamel als Domina bleibt unkommentiert. Als im Oktober 2000 schließlich die nichtkommerzielle Sadomasochistische Jugendgruppe (SMJG) im Internet ein auf jugendliche SMler zugeschnittenes Informationsangebot herausbringt, sind die Bedenken in der Subkultur über den Kontakt mit Minderjährigen größer als die der Behörden.

Inzwischen ist es fast unmöglich, SM in den Medien aus dem Weg zu gehen. Der spanische Kultregisseur Pedro Almodóvar zeigte 1990 in seinem Film Fessle mich! eine wahrhaft fesselnde Liebesgeschichte. In der Fantasy-TV-Serie Buffy – Im Bann der Dämonen gibt es ebenfalls keinen Mangel an Anspielungen; unter anderem wird selbstverständlich von Codewörtern gesprochen, die beim Spiel zu beachten sind. Spätestens mit der US-Film-Trilogie Matrix gehört die vermeintliche Lieblingskleidung der Sadomasochisten – Lack, Gummi und schwarzes Leder – endgültig zum Mainstream. In dem Film Drei Engel für Charlie (2000) gibt Lucy Liu vor faszinierten Ingenieuren die in Leder gekleidete Domina, die mit dem Rohrstock auf den Tisch haut. In Mr. & Mrs. Smith (2005) stellt Angelina Jolie eine Domina dar, wie auch Sarah Connor in dem Musikvideo Heat between the sheets. Selbst die Berliner Sparkasse brachte im März 2003 eine Anzeige heraus, in der sich eine Frau mangels Möbeln zum Schmökern auf ihren Mann setzt.

Die Liste von Persönlichkeiten, die an SM interessiert sind oder von denen es vermutet wird, ist lang. Neben den genannten Zeitgenossen gehört auch der Elsässer Künstler Tomi Ungerer dazu. Er hat ganze Serien von Zeichnungen über SM gemacht und schrieb in seinem Großband Erotoscope (Köln 2001): »Stark von Klimt und Schiele beeinflusst liebe ich es, die Frau zu zeichnen, vor allem in Situationen der Unterwerfung … Eine gefesselte Frau hebt sich von der Wirklichkeit ab. Sie wird fließender, und ebenso ergeht es dem Stift, der sie aufs Papier bringt.«

Zu den historischen Persönlichkeiten mit einem derartigen Interesse gehörten mehr oder weniger sicher der britische Forscher Lawrence von Arabien, der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau sowie sein Kollege Michel Foucault. Der britische Premierminister William Ewart Gladstone findet sich auf der Liste, der russische Autor Fjodor M. Dostojewski und dessen britischer Kollege Algernon Charles Swinburne. Die Iren können vermutlich mit dem Schriftsteller James Joyce aufwarten, die Franzosen ziemlich sicher mit dem Autor Jean Genet. Im Werk des deutschen Grafikers Franz von Bayros mangelt es nicht an SM-Motiven, ebenso in dem seines Maler-Kollegen Rudolf Schlichter. Der amerikanische Schriftsteller F. Scott Fitzgerald war möglicherweise ein Fußfetischist. Und auch der australische Komponist Percy Grainger, der Dramaturg Kenneth Tynan, möglicherweise auch der britische Schriftsteller C. S. Lewis gehörten dazu.

Die Unsicherheit bei vielen Namen hat einen guten Grund: Die Mitglieder der sadomasochistischen Subkultur halten nichts davon, ihre sexuellen Vorlieben jedem bekannt zu machen, insbesondere nicht ohne die Zustimmung der Beteiligten – Zwangsoutings sind so gut wie unbekannt.

Die Leute, vor denen Mutti immer gewarnt hat

Wie bei Schachspielern und Hobbygärtnern gibt es unter den Sadomasochisten einige, die ihre Neigung aus Leidenschaft betreiben und diesen Interessen fast als Zweitberuf nachgehen. Diese Leute kommen unweigerlich in Gruppen zusammen oder organisieren sich auf eine andere Art: als die viel zitierte sadomasochistische Subkultur. Oft verbindet sich hiermit die Vorstellung von lichtscheuen, kaum vertrauenswürdigen Gestalten oder von modelähnlichen Sexgöttern mit prallen Muskeln und wogenden Brüsten. Aber die Menschen, die sich dort treffen, neigen dazu, ganz durchschnittlich zu sein – leider oder zum Glück, je nachdem wie man das sehen will.

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