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"Ich bin Ihnen etwas schuldig." Dana meint es aufrichtig. Doch als der attraktive Jared Westmoreland sie kurz darauf bittet, seine Verlobte zu spielen, fragt sie sich, wohin sie dieser "kleine" Gefallen bringt … in sein Bett?
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Seitenzahl: 191
IMPRESSUM
EIN EROTISCHER GEFALLEN erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2005 by Brenda Streater Jackson Originaltitel: „Jared’s Counterfeit Fiancée“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe COLLECTION BACCARABand 338 - 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Anne Herzog
Abbildungen: AS-photo / Thinkstock
Veröffentlicht im ePub Format in 08/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733743352
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Jared Westmoreland schaute von seinem Gesetzestext auf, als er vor seiner Bürotür laute Stimmen vernahm.
„Warten Sie!“, hörte er seine Sekretärin sagen. „Sie können nicht einfach unangemeldet in das Büro von Mr Westmoreland platzen.“
Sekunden später flog die Tür auf und eine hinreißende Frau stürmte herein – vollkommen aufgebracht.
Jareds Pulsschlag beschleunigte sich. Unwillkürlich durchfuhr ihn ein kaum zu unterdrückendes Verlangen, als er aufstand und hinter seinem Schreibtisch hervortrat.
Die Frau war atemberaubend. Ihr offensichtlicher Ärger tat ihrer Schönheit keinen Abbruch. Üppige dunkelbraune Locken umrahmten ihr Gesicht, sie hatte wunderschöne braune Augen, volle, sinnliche Lippen und niedliche Grübchen. Ihr kurvenreicher Körper in eleganter, maßgeschneiderter Kleidung machte ihre Schönheit vollkommen.
„Mr Westmoreland, ich habe versucht, sie aufzuhalten…“
„Schon in Ordnung, Jeannie“, beruhigte Jared seine Sekretärin, die hinter der Fremden in sein Büro gerannt kam.
„Soll ich den Sicherheitsdienst rufen?“
„Nein, das wird nicht nötig sein.“
Jeannie Tillmann, die seit mehr als fünf Jahren für ihn arbeitete, schien nicht überzeugt zu sein. „Sind Sie sicher?“
Er schaute hinüber zu der wütenden Frau, die beide Hände in die Hüften gestemmt hatte, und ihn anfunkelte. „Ja, das bin ich.“
Jeannie nickte zögernd, drehte sich um, verließ das Büro und zog die Tür hinter sich zu.
Jared wandte sich nun seinem hübschen Störenfried zu. Er war sich ziemlich sicher, dass sie nicht zu seinen Klienten zählte. Ein so schönes Gesicht hätte er bestimmt nicht vergessen.
Dana Rollins erwiderte Jareds musternden Blick und bemühte sich, ihre Nervosität vor ihm zu verbergen. Sie hatte schon einiges über Jared Westmoreland, Atlantas millionenschweren Staranwalt, gehört. Jetzt stand er vor ihr und alle Gerüchte schienen sich als wahr zu erweisen.
Er war ein Traum von einem Mann: groß, geschmackvoll gekleidet, mit dunkelbraunen Augen, männlich-markanten, aber empfindsam wirkenden Gesichtszügen und kurzem schwarzem Haar.
Aber sie konnte sich nicht weiter mit seinem anziehenden Äußeren befassen, denn sie war aus quasi geschäftlichen Gründen hier.
„Sie haben sicherlich einen Grund, warum Sie in mein Büro eingedrungen sind, Miss…?“
„Rollins“, erwiderte sie kurz angebunden. Seine Worte brachten sie auf den Boden der Tatsachen zurück. „Ja, es gibt einen Grund. Diesen hier!“ Sie zog einen Umschlag aus ihrer Handtasche. „Vor knapp einer Stunde habe ich dieses Einschreiben von Ihnen erhalten, in dem Sie mich auffordern, Luthers Verlobungsring zurückzugeben. Ich habe versucht, ihn anzurufen, aber mir wurde mitgeteilt, dass er nicht in der Stadt sei. Sie können mir das sicher erklären.“
Jared nahm ihr den Brief aus der Hand und überflog den Inhalt. Rasch war ihm klar, worum es ging. Er schaute sie an. „Ich vermute, Sie wollen den Ring nicht zurückgeben, Miss Rollins?“
„So ist es. Luther hat mir eröffnet, dass er noch nicht bereit sei, sein Leben als Single aufzugeben, und unsere Hochzeit abgesagt – eine Woche vor dem offiziellen Termin! Neben der peinlichen Demütigung, dies meinen Freunden zu erklären und die Verlobungsgeschenke zurückzugeben, habe ich alle Kosten für die Hochzeit am Hals. Und um Salz in die Wunde zu streuen, erhielt ich dieses Schreiben von Ihrer Kanzlei.“
Jared seufzte. Offensichtlich hatte sie noch nicht erkannt, dass Luther Cord ihr einen Gefallen getan hatte.
„Miss Rollins, ich schlage vor, dass Sie Ihren eigenen Anwalt konsultieren, der Ihnen die Richtigkeit meiner Worte bestätigen wird. Mein Klient hat das Recht, Sie um die Rückgabe des Verlobungsrings zu bitten. Ein Verlobungsring ist ein Geschenk unter Vorbehalt. Wird die Verlobung gelöst – aus welchem Grund auch immer –, rechnet man mit der Rückgabe des Ringes, so wie Sie die Hochzeits- und Verlobungsgeschenke zurückgegeben haben.“
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schaute ihn rebellisch an. „Ich weigere mich, den Ring zurückzugeben. Es geht einfach ums Prinzip.“
Jared schüttelte den Kopf. Damit hatte es am allerwenigsten zu tun. Gesetz war Gesetz. „Miss Rollins, leider wäre das ein aussichtsloser und teurer Kampf für Sie. Wollen Sie wirklich zusätzlich noch Anwaltskosten zahlen?“
Er wusste, dass die Erwähnung von Kosten sie wieder klar denken lassen würde, daher fügte er noch hinzu. „Ich weiß, dass das alles sehr schmerzhaft für Sie ist, aber ich rate Ihnen, diese Geschichte hinter sich zu lassen und nach vorn zu schauen. Sie sind eine schöne Frau und ich bin überzeugt davon, dass es da draußen einen Mann gibt, der Ihrer wert ist. Luther Cord ist es offensichtlich nicht. Vielleicht haben Sie einfach noch mal Glück gehabt.“
Jared war sich im Klaren darüber, dass sie das nicht hören wollte, aber es war ihm ein Bedürfnis, ehrlich zu ihr zu sein. Mehr konnte er in dieser Angelegenheit nicht tun, schließlich war Luther Cord sein Klient. Eigentlich hatte er bereits zu viel gesagt. Aber aus irgendeinem Grund wollte er, dass sie ihren Liebeskummer so rasch wie möglich überwand.
Eine Weile sagte Dana Rollins kein Wort, aber Jared sah, dass sie über seine Worte nachdachte. Dann zog sie eine kleine weiße Schachtel aus ihrer Handtasche und händigte sie ihm aus.
Sie schaute ihn ernst an und sagte freundlich: „Ich bedanke mich für Ihren Ratschlag, auch wenn er eine bittere Pille ist. Hiermit gebe ich den Ring zurück.“
Er öffnete die Schachtel und betrachtete den glitzernden Diamantring, bevor er das Kästchen auf seinen Schreibtisch stellte. „Sie tun das Richtige, Miss Rollins.“
Sie nickte und reichte ihm die Hand. „Weitere Schulden zu machen, ist das Letzte, was ich momentan gebrauchen kann. Luther ist es nicht wert.“
Er ergriff die ihm dargebotene Hand. Es gefiel ihm, wie sie sich in seiner anfühlte. „Ich hoffe, dass sich alles zum Guten für Sie wendet“, meinte er aufrichtig.
Dana schaute ihm in die Augen und lächelte. Obwohl ihr seine Worte nicht behagt hatten, war sie ihm dankbar für seine Ehrlichkeit.
Ihrer Erfahrung nach zeichneten sich die wenigsten Anwälte durch Mitgefühl und Freundlichkeit aus. „Es wird schon werden. Ich habe Sie durch meinen Überfall bei Ihrer Arbeit gestört. Das tut mir leid.“
„Sie haben mich nicht gestört“, entgegnete Jared. „Und betrachten Sie meinen Ratschlag einfach als Gefälligkeit.“
Sie lächelte. „Danke. Vielleicht kann ich mich eines Tages dafür revanchieren. Sie haben etwas gut bei mir.“
Als sie sich umdrehte und sein Büro verließ, dachte Jared bei sich, dass Dana Rollins eine der sinnlichsten Frauen war, die er je getroffen hatte.
Ein Monat später
Jared Westmoreland hatte einen nervenaufreibenden Vormittag. Angefangen hatte alles mit der Nachricht, die seine Mutter Sarah ihm am Vorabend auf dem Anrufbeantworter hinterlassen hatte.
Er sollte seinen fünf Brüdern mit gutem Beispiel vorangehen und in weiblicher Begleitung zum Abendessen erscheinen, das sie und seine Tante Evelyn anlässlich der Geburtstage seines Vaters und seines Onkels am Ostersonntag ausrichteten.
Sein Cousin Storm hatte vor Kurzem geheiratet, und dabei war Jareds Mutter wieder einmal schmerzlich bewusst geworden, dass ihre sechs Söhne bisher noch kein ernsthaftes Interesse an festen Bindungen gezeigt hatten. Als ältester war er nun an der Reihe und sie war entschlossen, ihn in die richtige Richtung zu lenken.
Es spielte keine Rolle, dass er und seine Brüder erfolgreich waren und ihr Singleleben genossen. Sarah Westmoreland war überzeugt davon, dass sie nur wirklich glücklich werden konnten, wenn sie die Frau fürs Leben fanden und heirateten. Sein Bruder Spencer war der Einzige, den sie nicht mit diesem Thema nervte, da seine Verlobte vor drei Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen war.
Jared erhob sich von seinem Stuhl und ging hinüber zum Fenster. Neben der Verstimmung über den Anruf seiner Mutter hatte er sich auf dem Weg zur Arbeit über den dichten Verkehr aufgeregt. Er war viel zu spät gekommen.
Und als ob dies nicht schon reichen würde, hatte ihm gerade der Entertainer Sylvester Brewster telefonisch mitgeteilt, dass er sich von seiner dritten Ehefrau scheiden lassen wollte. Sylvester war gut fürs Geschäft, aber Jared konnte einfach nicht begreifen, warum sich sein Klient immer wieder auf Beziehungen einließ, die nicht von Dauer waren.
Das Telefon klingelte. Kann es noch schlimmer kommen? fragte er sich resigniert, ging zum Schreibtisch zurück und nahm den Hörer ab. „Was gibt es, Jeannie?“
„Mr Westmoreland, Ihre Mutter ist am Apparat.“
Jared schüttelte den Kopf. Ja, es konnte noch schlimmer kommen. „Stellen Sie durch. … Hi, Mom.“
„Hast du meine Nachricht abgehört, Jared?“
Jared verdrehte die Augen. „Ja, Mom.“
„Schön. Dann lege ich nächsten Sonntag noch ein Gedeck mehr auf.“
Jared hätte ihr gerne respektvoll, aber bestimmt erklärt, dass der Platz neben ihm vermutlich leer bleiben würde. Doch bevor er überhaupt dazu kam, fuhr seine Mutter bereits fort: „Vergiss nicht, du bist der Älteste und solltest mit gutem Beispiel vorangehen. Außerdem bist du auch nicht mehr der Jüngste.“
Sie tat so, als sei er bereits siebenundfünfzig und nicht erst siebenunddreißig. Davon abgesehen wusste seine Mutter, wie er über die Institution Ehe dachte. Himmel, er war schließlich Scheidungsanwalt!
Seine Erfahrung mit den ganzen Trennungsprozessen hatte ihm gezeigt, dass eine Ehe die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllte. Menschen heirateten, und die meisten ließen sich dann wieder scheiden. Es war ein Teufelskreis. Einerseits verdiente er damit Geld, andererseits machte es ihn krank. Obwohl es in seiner Familie viele glückliche Ehen gab, die schon lange Jahre hielten, waren diese für ihn die Ausnahmen und nicht die Regel.
Bei seinem Glück wäre er sicher der Erste in der Familie, dessen Ehe scheitern würde, und er hatte nicht vor, die Statistik zu bestätigen.
„Jared, hörst du mir zu?“
Er seufzte. Wenn sie diesen Ton anschlug, blieb ihm keine Wahl. „Ja, Mutter, aber ist es dir schon einmal in den Sinn gekommen, dass Durango, Ian, Spencer, Quade, Reggie und ich gerne Singles sind?“, fragte er, um einen höflichen Ton bemüht.
„Ist es einem von euch schon einmal in den Sinn gekommen, dass Vater und ich auch nicht jünger werden? Wir hätten gerne Enkel, solange wir noch geistig fit sind.“
Jared war fassungslos. Erst bedrängte sie ihre Söhne zu heiraten, jetzt war sie bereits bei Enkelkindern. Er war jedoch klug genug, sich nicht mit der dickköpfigen und fürsorglichen Sarah Westmoreland anzulegen. Das hätte ihm heute noch gefehlt. Eher würde er die Konfrontation mit einem uneinsichtigen Richter bei Gericht suchen, als mit seiner Mutter zu streiten. Dies war ein aussichtsloses Unterfangen, für das er momentan nicht genug Energie hatte.
„Mal sehen, was sich machen lässt“, schloss er.
„Danke, Junge. Um mehr bitte ich dich nicht.“
„Mensch Dana, komm doch mit uns.“
Dana Rollins blickte auf. Vor ihrem Schreibtisch stand Cybil Franklin und betrachtete sie entschlossen. Seit der Highschool war Cybil Danas beste Freundin und der Grund, warum sie vor drei Jahren von Tennessee nach Atlanta gezogen war, um eine Stelle als Landschaftsarchitektin bei Kessler Industries anzunehmen.
„Danke, Cybil, aber ich möchte nicht das fünfte Rad am Wagen sein. Mit dir und Ben das Wochenende in North Carolina zu verbringen, halte ich für keine gute Idee.“
Cybil verdrehte die Augen. „Wir machen doch nur einen Campingausflug in die Berge. Ich find’s schrecklich, dass du das Osterwochenende allein verbringen willst.“
Dana lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und lächelte. „Hey, ich bin siebenundzwanzig Jahre alt und komme ganz gut zurecht. Es macht mir nichts aus, Ostern allein zu verbringen.“ Es wird so wie jedes Jahr sein, seitdem Mom und Dad tot sind.
Ihre Eltern waren vor fünf Jahren auf dem Weg zu ihrer College-Abschlussfeier bei einem Autounfall ums Leben gekommen. An diesem Tag hatte sich alles verändert. Da es keine anderen Verwandten gab, war Dana nun völlig auf sich allein gestellt.
Nach der Begegnung mit Luther hatte sie gehofft, dass nun alles anders werden würde. Im Frühjahr hatten sie sich kennengelernt und sechs Monate später hatte er sie gefragt, ob sie ihn heiraten wollte.
„An Tagen wie diesen bin ich versucht, Luther Cord ausfindig zu machen und ihn umzubringen“, bemerkte Cybil ungehalten. „Wenn ich darüber nachdenke, was er dir angetan hat, werde ich richtig sauer.“
Dana lächelte nachsichtig. Der Gedanke an Luther machte sie nicht mehr wütend. Letzte Woche war er unerwartet bei ihr vorbeigekommen, um sie über seinen Umzug nach Kalifornien zu informieren und ihr zu erklären, dass sein Rückzieher von der Hochzeit nichts mit ihrer Person zu tun hatte. Er habe sich mit seinen sexuellen Vorlieben arrangiert und liebe sie auf seine Art, aber nicht so, wie ein Ehemann seine Frau lieben sollte.
Im ersten Moment war sie erschüttert gewesen, aber schließlich war ihr klar geworden, dass sie die im Grunde offensichtlichen Anzeichen nicht hatte sehen wollen. Dana behielt Luthers Geständnis für sich, nicht einmal ihrer besten Freundin vertraute sie sich an.
„Es ist alles in Ordnung, Cybil. Es sind weder die ersten noch die letzten Feiertage, die ich allein verbringen werde.“
„Ich weiß, aber …“
„Cybil, lass es gut sein. Du musst dich beeilen, wenn du Ben pünktlich zum Essen treffen willst“, fiel ihr Dana ins Wort und hoffte, sie damit loszuwerden.
„Okay, aber ruf mich an!“
Dana seufzte erleichtert auf, nachdem Cybil das Büro verlassen hatte. Seit der Trennung von Luther steckte Dana ihre ganze Zeit und Energie in den Job. Arbeit war kein Ersatz für eine Familie und ein Privatleben, aber sie lenkte von der Einsamkeit ab. Sie warf einen Blick auf den Kalender, der auf ihrem Schreibtisch stand.
Es war kaum zu glauben, dass nächste Woche bereits Ostern war. Ihre Eltern hatten sich zu Festtagen immer etwas Schönes einfallen lassen. Und auch als sie schon auf dem College studiert hatte, war sie deshalb zu Ostern immer nach Hause gefahren. Beim letzten Mal hatten sie die Messe in der Sunrise Church besucht und anschließend ein köstliches Abendessen genossen, das ihre Mutter zubereitet hatte. Da wussten sie noch nicht, dass es kein Wiedersehen mehr geben würde.
Dana atmete tief durch und versuchte, die Erinnerungen beiseitezuschieben. Irgendwie würde sie auch diese Feiertage ohne ihre Eltern überstehen – es blieb ihr nichts anderes übrig.
„Was möchten Sie essen, Sir?“
Jared studierte die große Speisekarte, die hinter der Kasse an der Wand hing. „Hm, ich nehme ein Vollkorn-Sandwich mit Schinken und Käse, dazu Pommes und ein Glas Eistee.“
„Gerne. Ihre Bestellung ist gleich fertig.“
Jared nickte und schaute sich um. Normalerweise traf er sich mit Klienten zum Essen in einem Feinschmeckerrestaurant. Manchmal ließ er sich auch etwas ins Büro liefern. Heute hatte er jedoch beschlossen, den schönen Tag zu nutzen und den Block vom Büro zum Deli zu laufen. Der Laden war voll und er hoffte, noch einen Platz zu finden. Er konnte sich auch zu jemandem an den Tisch setzen. Als er sich im Raum umsah, fiel sein Blick auf eine vertraute Person, die ein Buch las, während sie genüsslich ihre Pommes aß.
Da saß Dana Rollins.
Es war einen Monat her, seit sie in sein Büro gestürmt war, aber er erinnerte sich noch lebhaft an die Gefühle, die sie in ihm ausgelöst hatte. Nun rauschte das Blut erneut schneller durch seine Adern und ihm wurde schlagartig bewusst, dass er vor lauter Arbeit seit mehr als acht Monaten mit keiner Frau mehr geschlafen hatte. Er stand auf sinnliche Frauen und Dana Rollins war ausnehmend attraktiv. Es war schon eine Ewigkeit her, dass ihn eine Frau so angezogen hatte. Jetzt hieß es, die verlorene Zeit aufzuholen.
„Sir, Ihre Bestellung ist fertig.“
Jared drehte sich um und nahm das Tablett mit seinem Essen in Empfang.
„Danke.“ Rasch traf er eine Entscheidung und ging quer durch den Raum zu Danas Tisch. Sie war so in ihr Buch vertieft, dass sie ihn gar nicht bemerkte. Beide Ellbogen auf den Tisch gestützt, las sie vornübergebeugt und erlaubte ihm einen großzügigen Blick in ihren Ausschnitt. Es gefiel ihm, was er sah: feste, volle Brüste.
Da er nicht länger einfach so dastehen und sie anstarren konnte, räusperte er sich. „Miss Rollins?“
Überrascht schaute sie auf. „Oh, Mr Westmoreland, wie schön, Sie wiederzusehen“, sagte sie lächelnd. Ihre Grübchen verzauberten ihn.
„Ich freue mich auch, Sie wiederzusehen. Es ist ziemlich voll hier. Ob ich mich zu Ihnen setzen darf?“
„Natürlich“, erwiderte sie freudig und klappte ihr Buch zu.
„Vielen Dank.“ Jared ließ sich auf dem Stuhl ihr gegenüber nieder.
„Wie ist es Ihnen ergangen?“
„Gut. Ich habe Ihren Ratschlag befolgt und nach vorn geschaut.“
„Das freut mich zu hören, Miss Rollins.“
„Bitte nennen Sie mich Dana.“
„Nur wenn Sie Jared zu mir sagen.“
Er begann zu essen, schaute aber rasch wieder zu ihr und fragte.
„Was lesen Sie gerade?“
Sie nahm das Buch in die Hand und zeigte ihm den Einband. „Gedichte von Maya Angelou. Sie ist eine tolle Dichterin, ich mag ihre Werke sehr. Sie sind so erbaulich.“
Er nickte zustimmend, die Schriftstellerin war ihm bekannt.
„Lesen Sie viel, Jared?“
Schulterzuckend antwortete er. „Ich habe nicht viel Zeit dazu, aber wenn, dann lese ich die Romane meines Cousins. Er schreibt unter dem Pseudonym Rock Mason.“
Erstaunt schaute sie ihn an. „Sie sind mit Rock Mason verwandt?“
Jared lachte. „Ja. Sein wirklicher Name ist Stone Westmoreland.“
„Wow. Ich habe all seine Bücher gelesen. Er ist ein begnadeter Autor.“
Jared lächelte erfreut. „Das richte ich ihm gerne aus. Er und seine Frau Madison sind momentan zu Besuch bei unseren Cousins in Texas, aber nächstes Wochenende kommen sie zum Geburtstag unserer Väter zurück.“
„Der Geburtstag Ihrer Väter?“
„Unsere Väter sind Zwillinge und sie werden dieses Jahr sechzig. Da ihr Geburtstag auf Ostersonntag fällt, planen unsere Mütter eine große Feier.“
„Da werden bestimmt alle viel Spaß haben.“
„Den haben wir immer, wenn wir zusammenkommen. Wir sind eine große Familie. Was ist mit Ihnen? Haben Sie viele Angehörige?“
Er sah Traurigkeit in ihren Augen aufblitzen. „Ich habe keine Familie mehr. Ich bin ein Einzelkind und meine Eltern sind vor fünf Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen.“
„Das tut mir sehr leid.“
Sie schaute ihn an und sah die aufrichtige Anteilnahme in seinem Blick.
„Danke. Es war ein harter Schlag für mich, aber ich habe gelernt, damit zu leben. Da meine Eltern keine Geschwister haben und meine Großeltern auch bereits alle tot sind, habe ich keine Verwandten mehr.“
Es entging ihm nicht, wie sie sich auf die Unterlippe biss, um sich nicht von den schmerzlichen Erinnerungen übermannen zu lassen.
„Was machen Sie am Ostersonntag?“, fragte er sie spontan.
„Nichts. Ich gehe morgens in die Kirche und den Rest des Tages werde ich wahrscheinlich zu Hause mit Lesen und Nichtstun verbringen.“
„Und abends?“
Sie zuckte die Schultern. „Mache ich mir etwas in der Mikrowelle warm.“
Jared widmete sich wieder seinem Essen, aber so ganz konnte er sich nicht darauf konzentrieren. Gerade wegen seiner großen Familie hatte er sich immer auf die Feiertage gefreut, auch wenn die Einmischung seiner Mutter in letzter Zeit die Vorfreude etwas gedämpft hatte.
Plötzlich schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. Seine Mutter rechnete fest damit, dass er eine Begleitung zum Abendessen mitbrachte. Warum nicht Dana? Wenn seine Mutter und seine Tante Evelyn sich zusammentaten, wurde das Essen ein Genuss. Weitaus besser als jede aufgewärmte Mahlzeit aus der Mikrowelle.
„Hätten Sie Lust, mich Ostersonntag zum Abendessen bei meinen Eltern zu begleiten?“
„Sie laden mich zum Essen bei Ihren Eltern ein?“, fragte sie perplex zurück.
„Ja.“
Verwirrt schüttelte sie den Kopf. „Warum? Wir kennen uns doch kaum.“
Jared musste mit der Wahrheit rausrücken. „Sie könnten mir aus der Klemme helfen.“
Fragend zog sie eine Augenbraue hoch. „Inwiefern?“
„Meine Mutter hat da so eine fixe Idee. Vor Kurzem haben einige meiner Cousins geheiratet. Da keiner ihrer sechs Söhne Anstalten macht, ihrem Beispiel zu folgen, setzt sie uns nun gehörig unter Druck. Vor allem natürlich mich als Ältesten. Sie erwartet, dass ich mit gutem Beispiel vorangehe und jemanden zum Dinner mitbringe. Und da Sie mir noch einen Gefallen schulden, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, ihn einzufordern.“
Dana blinzelte und stieß einen tiefen Seufzer aus. Jared sah ihr an, dass sie ihr Versprechen vergessen hatte.
„Aber Sie kennen doch sicher eine Menge Frauen, die Sie liebend gern begleiten würden“, wandte sie ein.
„Ja, das stimmt, aber wenn ich eine von ihnen frage, könnte sie denken, dass ich wirklich an einer ernsthaften Beziehung interessiert wäre … Geben Sie sich einen Ruck – meine Mutter und meine Tante sind hervorragende Köchinnen. Alles, was Sie tun müssen, ist, mich zu begleiten, meine Familie zu ertragen und mit uns feiern. Das ist viel verlangt, ich weiß, aber Sie würden mir einen großen Gefallen tun. Und ich hätte mit Sicherheit Ruhe vor meiner Mutter.“
Nervös kaute Dana auf ihrer Unterlippe. Er hatte ihr seine Lage offen und ehrlich erklärt. Aber sie spürte die körperliche Anziehungskraft zwischen ihnen und hielt es daher für keine gute Idee, ihm zu nahe zu kommen. Allerdings schuldete sie ihm einen Gefallen und sie war dazu erzogen worden, ihr Wort zu halten. „Und es geht nur um dieses eine Mal?“
„Ganz bestimmt“, versicherte er ihr. „Aber um das durchzuziehen, brauchen wir eine glaubwürdige Geschichte. Ich rufe Sie diese Woche an und wir gehen die Fragen durch, die Ihnen meine Familie stellen könnte.“
„Was für Fragen?“, erwiderte Dana stirnrunzelnd.
„Ach, die üblichen. Wie lange wir uns schon kennen. Wann und wie wir uns getroffen haben. Wie ernst es uns ist. Und wahrscheinlich wird meine Mutter Sie ohne Umschweife fragen, ob Sie bereits bei mir eingezogen sind, ob Sie Kinder bekommen können und wie viele Sie haben wollen.“
Dana lachte schallend. Jared mochte den Klang.
„Das ist doch nicht Ihr Ernst, oder?“, brachte sie mühsam hervor.
„Leider doch“, antwortete er. „Warten Sie nur, bis Sie meine Mutter persönlich kennenlernen. Einen ihrer Söhne zu verheiraten, ist ihr vorrangiges Anliegen.“
„Und Sie haben anscheinend etwas dagegen?“
„Ja. Ich habe genügend Scheidungsklagen bearbeitet, um zu wissen, dass die meisten Ehen nicht halten.“
Nachdenklich lehnte Dana sich in ihrem Stuhl zurück.
„Kommen Sie mit?“, fragte er erneut.
Sie überlegte und nickte dann zustimmend.
Jared strahlte. „Danke, Dana, dass Sie mir aus der Klemme helfen. Sie wissen gar nicht, wie viel es mir bedeutet, Ruhe vor meiner Mutter zu haben.“
Dana schaute auf die Uhr. Sie war ein Nervenbündel. Jeden Augenblick konnte Jared klingeln.