Ein Grab im Oberharz - Mick Schulz - E-Book
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Ein Grab im Oberharz E-Book

Mick Schulz

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Beschreibung

Was lauert in den Schatten … Der spannende Regio-Krimi »Ein Grab im Oberharz« von Mick Schulz jetzt als eBook bei dotbooks. Nur wenige Tage, nachdem die Leiche eines jungen Mannes in einem Waldstück aufgefunden wird, erschüttert ein zweiter Tod den Oberharz: Helmut Hauke, Ratsherr von Goslar, wird mit gebrochenem Genick in den Wallanlagen der Stadt gefunden. Oberkommissarin Sina Kramer und Jens Niehbur stehen vor einem Rätsel: Gibt es einen Zusammenhang zwischen den beiden Morden? Doch während Hauke weit und breit als korrupter Schürzenjäger bekannt war, scheint niemand den anderen Toten überhaupt zu kennen … Kramer und Niebuhr graben weiter – und stoßen schon bald auf ein Netz aus Lügen und Gewalt, das sich weit über den Harz hinaus zu erstrecken scheint … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Kriminalroman »Ein Grab im Oberharz« von Mick Schulz wird alle Fans von Andreas Gruber und Wolfgang Burger begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 309

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Über dieses Buch:

Nur wenige Tage, nachdem die Leiche eines jungen Mannes in einem Waldstück aufgefunden wird, erschüttert ein zweiter Tod den Oberharz: Helmut Hauke, Ratsherr von Goslar, wird mit gebrochenem Genick in den Wallanlagen der Stadt gefunden. Oberkommissarin Sina Kramer und Jens Niehbur stehen vor einem Rätsel: Gibt es einen Zusammenhang zwischen den beiden Morden? Doch während Hauke weit und breit als korrupter Schürzenjäger bekannt war, scheint niemand den anderen Toten überhaupt zu kennen … Kramer und Niebuhr graben weiter – und stoßen schon bald auf ein Netz aus Lügen und Gewalt, das sich weit über den Harz hinaus zu erstrecken scheint …

Über den Autor:

Mick Schulz, geboren in Bonn, begeisterte sich schon früh für Musik und Literatur. Nach einem Musikstudium am »Mozarteum« in Salzburg ging er zunächst als Kapellmeister zur Bühne, bis ihn schließlich das Schreiben packte. Seine Wahlheimat, der Oberharz bei Goslar, inspirierte ihn zu seinen unverwechselbaren Krimis, die in der Region spielen.

Die Website des Autors: www.mickschulz.de

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine Kriminalromane »Ein Mord im Oberharz« und »Ein Grab im Oberharz«.

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eBook-Neuausgabe Januar 2024

Dieses Buch erschien bereits 2012 unter dem Titel »Pfefferbeißer« bei Emons, Köln.

Copyright © der Originalausgabe 2012 Hermann-Josef Emons Verlag

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Anton_Ivanov, Jochen Baldauf, Ihnatovich Mevryia

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)

ISBN 978-3-98690-898-0

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Mick Schulz

Ein Grab im Oberharz

Kramer und Niebuhr ermitteln

dotbooks.

Widmung

Zwei unbedingt liebenswürdigen Persönlichkeiten gewidmet:

meiner Schwester Astrid und meiner Stadt Goslar am Harz

Prolog

Antonio Foresta war allein im Lokal, doch die Geräusche, die ihn vom späten Vormittag bis in den Abend hinein umgaben, hingen noch im Raum: das Stimmengewirr und Lachen der Gäste, das silbrige Klingen der Gläser, wenn sie gegeneinanderstießen, das Geklapper und Klirren von Geschirr und Besteck beim Abräumen. Allmählich verflüchtigten sie sich jedoch zusammen mit den Gerüchen von eingelegten Meeresfrüchten und geröstetem Teig durch die weit geöffnete Tür des kleinen Ristorante hinaus in die Nacht.

Es war zehn vor zwölf. Foresta hatte die Küche schon vor mehr als einer Stunde geschlossen. Ab halb elf Uhr war meistens nichts mehr los. Vielleicht am Wochenende, aber nicht an einem Mittwoch. Während er aus dem hell erleuchteten Lokal in die Schwärze starrte, spürte er die hereinkriechende Kälte. Tagsüber war es so heiß wie im Sommer, aber abends merkte man, dass es erst Anfang Mai war.

Foresta saß an einem der Tische in der Nähe der Theke, neben sich eine entkorkte Flasche und vor sich ein Glas Rosso, das er soeben bis zur Hälfte gefüllt hatte. Er probierte die Lieferung aus der Heimat, die am Morgen gekommen war. Dafür nahm er sich Zeit, stellte sich die Landschaft aus vulkanischen Bergen und grünen Gärten vor, die sengende Sonne über den kargen alten Häusern mit schattigen Innenhöfen, und glaubte, das alles auf der Zunge schmecken zu können.

Was für ein Wein! Den gab es nur auf Sizilien. Und nur wer Sizilianer war, konnte ihn verstehen. Wein musste man verstehen, sonst war er verschwendet, davon war Antonio Foresta überzeugt. Deshalb trank er meistens allein, spät am Abend, an der Schwelle zur Nacht, wenn er Muße hatte und dem Tag nachhörte. Stolz hielt er sein Glas gegen die Deckenlampe und erfreute sich an der schimmernd roten Farbe seines Inhalts, als blickte er in einen Rubin.

Plötzlich stand ein Mann im Türrahmen. Gut sitzender dunkler Anzug, keine Stangenware, das sah man gleich, glänzend gewienerte schwarze Schuhe aus feinem Leder, mindestens dreihundert Euro das Paar. Foresta kannte diesen Blick aus den eigenartig geweiteten Augen, der ihn jetzt traf. Als hätte der Mann Torturen durchgemacht, und in gewisser Weise stimmte das ja auch.

Obwohl er die Antwort wusste, fragte er: »Helmut, wo kommst du denn her?«

Der Mann schritt auf ihn zu, griff sich einen Stuhl und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch.

»Gib mir was zu trinken, Antonio.«

Er sprach schwer, lallte aber noch nicht. Foresta griff zu einem der bauchigen Gläser, mit denen die neun Tische bereits für die morgigen Gäste eingedeckt waren, und goss ein.

»Ich werde doch meinen Helmut nicht verdursten lassen«, sagte er beinahe zärtlich.

Helmut hob grinsend das Glas. »Prost, du alter Gauner!«

»Salute, mio Helmut, salute!«, antwortete Foresta und stieß mit ihm an. »Warum bist du schon wieder hier?«, fragte er freundlich lächelnd.

»Alte Freunde kann man nicht oft genug sehen«, spöttelte Helmut.

»Du bist mir immer willkommen.« Foresta spürte mit der Zunge dem Aroma des Weines nach. Helmut fingerte eine Schachtel Filterlose aus dem Anzug, stand auf und wollte anscheinend vor der Tür rauchen.

»Bleib sitzen«, sagte Foresta. Müde vom Tag erhob er sich etwas schwerfällig, holte einen Aschenbecher aus poliertem Onyx hinter dem Tresen hervor und stellte ihn vor Helmut hin. Dann setzte er sich wieder zu seinem Wein. Doch der Ausdruck in seinem Gesicht mit den dichten schwarzen Bartstoppeln und den breiten Augenbrauen hatte sich verändert. Die Augen funkelten, der Mund war hart. Er beugte sich leicht vor.

»Was willst du schon wieder hier?«, zischte er, jedes Wort betonend.

»Wieso fragst du? Das kannst du dir doch denken.« Helmut versuchte lässig zu bleiben. Doch seine Stimme zitterte leicht.

Natürlich konnte Foresta sich das denken: Das Arschloch hatte dem Casino in Bad Harzburg wieder einmal einen Besuch abgestattet und war pleite.

»So kann das nicht weitergehen, Helmut.«

»Was heißt das? Das machst du doch mit links!«

Helmuts Gesicht lief gefährlich rot an. Er lockerte seinen Krawattenknoten und riss am oberen Hemdsknopf. Dann schüttete er mit zittrigen Händen den Rest Rosso in sich hinein, packte die Flasche am Hals und füllte sich das Glas fast bis zum Anschlag nach. Einige gierige Schlucke, und er schien sich wieder im Griff zu haben.

Foresta vermied es, ihm in die Augen zu sehen, suchte stoisch die Tischdecke nach nicht vorhandenen Flecken ab. Er ahnte, was kommen würde.

»Du und deine Freunde wollen doch dabei sein, wenn es losgeht, oder sehe ich das falsch?«

Eine unverhohlene Drohung.

»Und dann machst du bei ein‑, zweitausend Euro so einen Aufstand?«

Foresta wischte ungerührt einen imaginären Brotkrümel vom Tisch. Vom einen auf den anderen Augenblick wechselte Helmut den Tonfall wie ein Chamäleon die Farbe: »Es ist das letzte Mal, Toni, glaub mir! Ich weiß selbst, dass ich mit der Spielerei aufhören muss.«

»Natürlich, Helmut, du machst das schon«, antwortete Foresta, als hätte der Ausbruch gar nicht stattgefunden.

»Du kriegst den Zuschlag, das ist ausgemachte Sache. Du kannst dich auf mich verlassen.«

»Natürlich, Helmut, ich kann mich auf dich verlassen.«

Foresta stand wieder auf, ging an die Kasse hinter dem Tresen. Die Tageseinnahmen waren etwas über sechshundert Euro, aber darauf kam es nicht an.

»Hier hast du fünfhundert. Das muss genügen.«

Er hielt Helmut, der auf einmal fahrig und betrunken wirkte, die Scheine wie einen Fächer vors Gesicht. Der stutzte zuerst, grapschte aber dann nach dem Geld und stopfte es sich in die Hosentasche.

»Na also, unter Freunden muss man sich helfen. Warum stellst du dich immer so an?«

Er wird also nicht damit aufhören, dachte Foresta ernüchtert. Aber er brauchte diesen Mann für den ersten nennenswerten Erfolg in Goslar, nach Jahren des Wartens und der mühevollen Kleinarbeit in dieser Stadt. Er war der Schlüssel zu allem Weiteren.

»Schon gut, Helmut.«

»Wir sind doch Freunde, oder?«, lallte der und sah in Forestas unbewegtes Gesicht, als erwarte er darauf im Ernst eine Antwort. Dann stand er endlich auf, richtete umständlich seinen Kragen und setzte sich in Bewegung. Kurz vor der Tür blieb er stehen. Ohne sich noch einmal umzudrehen, sagte er: »Nach der Sitzung ruf ich dich an.«

»Schon gut, Helmut, schon gut«, sagte Foresta, als hätte er nie Zweifel an ihm gehabt.

Kapitel 1

Der Fundort der Leiche befand sich etwa zwanzig Schritte von einem Waldpfad entfernt, der unmittelbar hinter der Stadtausfahrt über die Hänge oberhalb der B 241 führt, der Ausfallstraße von Goslar in den Oberharz. Daran schließen sich auf derselben Seite Pferdewiesen an, gefolgt vom Campingplatz »Sennhütte«, der an dem friedlich wirkenden Flüsschen Gose liegt, von dem die Stadt ihren Namen hat. In lang anhaltenden Regenperioden und während der Schneeschmelze verliert die idyllische Gose allerdings ihre Harmlosigkeit und ist imstande, das ganze Tal zu überfluten.

Kriminalhauptkommissarin Sina Kramer und ihr Kollege Kriminaloberkommissar Jens Niebuhr von der Kripo Goslar standen vor dem schätzungsweise fünfzehn mal zehn Meter großen rot-weiß markierten Areal. Sie taten nichts weiter, als neugierige Blicke auszusenden, um die Truppe von Kriminaltechnik und Spurensicherung nicht dabei zu behindern, Zentimeter für Zentimeter den unübersichtlichen, buckligen Waldboden abzusuchen. Überall zwischen den tief hängenden Buchenzweigen krochen Männer in weißen Schutzanzügen herum und stellten in transparenten Plastiktüten sicher, was ihnen in die Hände fiel: Stoffreste, einen rechten Schuh und immer wieder über die ganze Fläche verstreute Knochen und Skelettteile. Ein mit dunkler Erde verschmierter, aber ansonsten unversehrter Schädel ohne Unterkiefer und Beckenknochen waren als Erstes gefunden worden. Zwischendurch schnalzte der Auslöser des Fotoapparates.

»Die Natur hat gründliche Arbeit geleistet«, wandte sich einer der Männer von der KT den beiden Ermittlern zu. »Jedenfalls hat sie von dem hier nicht viel übrig gelassen, wer immer es gewesen ist.«

»Mann oder Frau?«, fragte Niebuhr.

»Wenn der Schuh sein Schuh war, dann war es ein Mann. Aber das werden die Untersuchungen noch genauer ergeben. Auf die Identität gibt es leider noch keine Hinweise.«

»Gibt es offensichtliche Anzeichen für einen Mord?«, fragte Sina. Zunächst einmal ging es darum, zu klären, ob ein natürlicher oder ein gewaltsamer Tod vorlag. Davon hing ab, in welche Richtung weitere Ermittlungen folgen würden.

»Bisher konnten wir nichts feststellen. Der Schädel ist bis auf Kratzspuren unversehrt. Eine mögliche Tatwaffe ist auch nicht aufgetaucht.«

»Und wie sieht es mit Kampfspuren aus?«, wollte Niebuhr wissen.

»Wie lange die Leiche hier gelegen hat, lässt sich aus der hohlen Hand nicht sagen. Kann drei Wochen, kann aber auch drei Monate sein«, gab der Kollege Auskunft. »Und wenn hier ein Kampf stattgefunden hat, lässt sich das nur noch äußerst schwer rekonstruieren. Zwischendurch hat es geregnet, und wer weiß, was sich hier alles herumgetrieben hat. Aber wir tun, was wir können.«

Es war Anfang Juni, also war der Mann frühestens Anfang März und spätestens im Mai zu Tode gekommen, dachte Sina.

»Wissen wir doch«, sagte sie zu dem Techniker. »Danke!«

»Dafür nicht«, antwortete der Mann und ging wieder seiner Arbeit nach.

Der Tote war nicht eingegraben worden, jedenfalls ließ sich keine Mulde oder Vertiefung im Waldboden erkennen, aus der die Leiche herausgezogen worden war. Das konnte ein Anzeichen für einen natürlichen Tod sein: Der Mann hatte einen Anfall, Herzinfarkt oder Schock erlitten, war zusammengebrochen, ins Koma gefallen und – weil keine Hilfe kam – gestorben. Aber warum hatte er den Weg verlassen und war in den Wald gekrochen? Pilzsaison war im September, und es war erst Juni. Vielleicht hatte er schlichtweg nur pinkeln müssen, als es ihn erwischte.

Ebenso gut aber konnte er ermordet und ins Gebüsch gezerrt worden sein, und der Täter hatte ihn einfach liegen lassen oder nur flüchtig mit Grünzeug bedeckt. Abgerissene und vertrocknete Äste lagen jedenfalls genug herum. Möglich war auch, dass der Mord woanders stattgefunden hatte und der Tote hier nur abgelegt worden war.

Abgesehen von den Fliegenmaden und Käfern hatte sich vermutlich anderes Getier vom Duft des faulenden Fleisches anlocken lassen. Alle waren sie schließlich auch Aasfresser: Füchse, Dachse, Marder und vor allem die vielen Wildschweine. Wie sich eine Rotte Schweine gierig schmatzend über den ungeschützten Körper hermachte, wollte sich Sina lieber nicht vorstellen.

Sie warf Niebuhr einen eindeutigen Blick zu. Vorerst waren sie hier fertig. Die Antworten auf alle weiteren Fragen mussten sie den Berichten der Kriminaltechnik und der Gerichtsmedizin entnehmen.

Sie kehrten zum Parkplatz an der B 241 zurück, wo ihr Dienstwagen stand. Die beiden Beamten von der Streife, die sich dort im Gespräch mit einem Mittfünfziger befanden, der ziemlich verschreckt aussah, hatten offenbar schon auf sie gewartet.

»Das ist Herr Mayrinck«, stellte einer der Streifenbeamten den Mann vor.

Mayrinck nickte, zog seinen verstaubten Filzhut und gab Sina und Niebuhr die Hand.

»Herr Mayrinck hat den Toten gefunden …«

»Beziehungsweise Liese hat ihn gefunden«, verbesserte Mayrinck mit dünner, hoher Stimme und wies auf die graubraune Promenadenmischung zu seinen Füßen. »Liese lief plötzlich ins Gebüsch – sonst macht sie das nicht, bleibt immer auf dem Weg – und kam mit diesem Stock, wie ich zuerst dachte, wieder heraus. Aber es war kein Stock. Es war ein Knochen, ein ziemlich langer Knochen. Liese wollte ihn zuerst nicht hergeben. Ich musste mit ihr schimpfen und bin hinter ihr her in den Wald, und da habe ich die Stelle gefunden, wo …«

Mayrinck stockte, anscheinend immer noch schockiert von dem, was er gesehen hatte.

»Und dann haben Sie die Polizei gerufen …«, brachte ihn Niebuhr wieder in die Spur.

»Ja, ich bin sofort nach Hause gelaufen. Ich wohne seit fünfundzwanzig Jahren hier unten an der Straße. Ich hab mich sofort ans Telefon gehängt und die Polizei verständigt.«

Er blickte unsicher zu den Uniformierten hinüber, offenbar im Zweifel, ob er alles richtig gemacht hatte.

»Gehen Sie mit Ihrem Hund immer diese Strecke?«, fragte Sina.

»Ja, jeden Morgen. Wieso?«

»Ich frage mich, warum der Hund den Toten erst heute entdeckt hat. Der liegt nämlich schon einige Zeit hier.«

»Ich war vier Wochen weg. Zwei Wochen bei meiner Schwester in Kassel und danach zwei Wochen im Spreewald bei einem ehemaligen Klassenkamerad. Ich hab mich auf zu Hause gefreut, aber jetzt hab ich schon wieder die Nase voll.«

»Gehen Sie nach Hause.« Sina lächelte Mayrinck verständnisvoll zu. »Und trinken Sie einen guten Tee, das beruhigt. – Und wir tun, was wir müssen«, wandte sie sich an Niebuhr, der mit einem Klack die Wagentür entriegelte.

***

Der Tag war heiß gewesen. Obwohl Sinas Büro im Polizeipräsidium nach hinten heraus lag, nachmittags unerreichbar für die stechende Sonne, hatte sie gegen drei Sehnsucht nach einem Sprung ins kühle Nass bekommen. Doch mittlerweile war es nach Dienstschluss, und bevor sie mit Chao im Oberharz sein würde, hätte das Waldbad in Wildemann schon längst geschlossen.

Sie stellte den gelben Honda vor ihrem kleinen Reihenhaus im Goslarer Siemensviertel ab. Heute hatte sie nicht viel erreicht. Der Anwalt des Verdächtigen, der eine alte Frau wegen dreihundertfünfzig Euro umgebracht haben sollte, dem sie die Tat aber nicht eindeutig nachweisen konnten, hatte erfolgreich verhindert, dass sein Mandant auspackte. Und bei dem Skelettfund an der B 241 ließen die Untersuchungsergebnisse auf sich warten. Was allerdings nicht verwunderte, denn die Techniker hatten einen unüberschaubaren Haufen von Einzelspuren zu prüfen, während die Gerichtsmedizin im Gegenteil verdammt wenig hatte, was sie untersuchen konnte.

Niebuhrs Computer hatte die Namen einer Handvoll vermisster Männer ausgespuckt, darunter den eines Asylanten Mitte dreißig, der schon seit zwei Jahren vermisst wurde, den eines Rentners aus Goslar, der um elf Uhr abends nur frische Luft schnappen wollte, und den eines Touristen aus Hamburg, der während einer Wanderung am Polsterberg seiner Gruppe abhandenkam und trotz Einsatz von Suchhunden nie aufgespürt werden konnte. Aber ohne Rahmendaten nützten die Informationen nur wenig.

Sina kramte in ihrer Jacke nach dem Schlüssel, bevor sie wie jeden Abend einen Blick in den Postkasten warf. Darauf stand jetzt: »Kramer/Köglsperger« – eine der Kleinigkeiten, die sich geändert hatten, seit Chao, Sohn einer Chinesin und eines waschechten Bayern, bei ihr eingezogen war.

Sie fragte sich, was er jetzt wohl gerade machte. In letzter Zeit fragte sie sich das mehrmals am Tag. Obwohl sie es ziemlich krank fand, konnte sie es nicht abstellen. War das Liebe, oder war es Angst, er könnte etwas tun, was sie zutiefst verletzte? Zum Beispiel das, was Bernie, ihr Ex, getan hatte, wenn sie glaubte, er machte Überstunden.

Wahrscheinlich war es der große Altersunterschied – er achtundzwanzig und sie schließlich schon sechsundvierzig –, der sie immer wieder verunsicherte. Auch wenn sie nicht die Absicht hatte, die nächsten Jahre mit der Angst zu leben, Chao könnte sie von heute auf morgen nicht mehr begehren, nur weil sie fast zwanzig Jahre älter war als er. Es gab auch keinen Grund anzunehmen, dass Chao nicht zufrieden war, denn sie hatten reichlich Sex, und er beteuerte immer, wie unwiderstehlich er ihre Speckröllchen fand.

Sie schloss die Haustür auf.

Es roch jetzt anders im Haus. Chao hatte neben seinen Büchern den Restbestand an Tee, den er nach der Pleite seines Ladens »Tee aus aller Welt« im Oberharz nicht mehr losgeworden war, in Sinas Bügel- und Wäschezimmer gelagert, und der Duft der aromatischen Blätter durchdrang allmählich das ganze Haus.

Bevor Chao seinen heißgeliebten Laden schließen musste, hatte er noch einen Räumungsverkauf mit Ramschpreisen veranstaltet. Und auf einmal waren die Leute gekommen. Sina fragte sich, woher und warum sie sich so plötzlich für Tee interessierten, wo sie sich doch vorher nie hatten blicken lassen. Wie die Geier hatten sie kilometerweit gewittert, dass es etwas abzustauben gab. Und natürlich war es ihnen immer noch nicht billig genug, und sie versuchten, die ohnehin lächerlichen Preise noch weiter herunterzuhandeln. Dabei brauchte Chao jeden Cent, schließlich ging es um die Begleichung von Lieferantenrechnungen und anderen Außenständen. Ein demütigendes Spiel.

»Ich habe verloren und muss die Niederlage ertragen.«

Sina hatte Chao ehrlich bewundert. Er hatte es sich nicht anmerken lassen, dass er litt. Am Ende war es noch gut ausgegangen. Er konnte mit den Gläubigern einen Deal machen und das Schlimmste abwenden.

»Chao?«, rief Sina, als sie den Flur betrat. Er antwortete nicht, aber in der Küche brodelte es hörbar in den Töpfen. Sie war beruhigt, er war zu Hause.

Seit Chao hier lebte und noch keinen Job gefunden hatte, hatte er freiwillig die Hausarbeit übernommen und war darin perfekt. Er kochte, putzte, wusch nicht nur für Sina und sich, sondern auch für Torsten, Sinas siebzehnjährigen Sohn aus der Ehe mit Bernie. Machte sogar seine Wäsche, was Torsten allerdings in keiner Weise motivierte, selbst auch mal Hand im Haushalt anzulegen. Ihr Herr Sohn lernte lieber hingebungsvoll mit weiblichen Mitschülern für die Prüfungen. Wie hingebungsvoll, konnte man manchmal bis unten hören.

»Wo bist du?«, flötete Sina.

Chao saß im Schneidersitz mit geschlossenen Augen auf der Couch im Wohnzimmer, die Arme verschränkt, der Oberkörper frei. Wie Buddha auf dem Thron, nur viel schöner. Sie setzte sich neben ihn.

»Wie war dein Tag?«, fragte er, ohne die Augen zu öffnen.

»Wir wissen noch nicht, ob wir einen neuen Fall haben.« Sie streichelte ihm über die makellose Haut seiner unbehaarten Brust und hatte das Verlangen, ihn zu umarmen und abzuküssen. Aber sie spürte, dass er es gerade nicht wollte. »Und wie war’s bei dir?«

Es war ihr ein Rätsel, dass sich im Raum Goslar kein Job für einen intelligenten jungen Halbchinesen mit tadellosem Deutsch und dem abgeschlossenen Studium des Bergbauwesens fand.

»Alle passenden Stellen sind besetzt«, war die immer gleiche Antwort.

Seit Wochen ging das so. Sina hatte Chao vorgeschlagen, sich etwas in Braunschweig zu suchen. Mit dem Wagen nur ein Katzensprung entfernt. Er könne ihren Honda nehmen, hatte sie ihm angeboten. Das Stück zum Präsidium würde sie zu Fuß gehen, und darüber hinaus gab es Dienstwagen. Aber bisher war auch die Suche dort erfolglos geblieben.

Chao öffnete die Augen. Sein Blick war ernst, fast traurig. Seit er regelmäßig zum Arbeitsamt musste, kannte sie diesen Blick an ihm.

»Das Essen ist gleich fertig. Reis mit Huhn und chinesischen Pilzen.« Endlich löste er sich aus seiner Meditationsstarre und faltete die Beine auseinander, um von der Couch zu rutschen.

»Wunderbar, mein Schatz«, versuchte Sina ihn aufzuheitern und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »Weißt du, ob Torsten kommt?«

»Er hat es jedenfalls gesagt.«

Es war schön, wenn Torsten auch mit ihnen aß. Es ist schön, eine kleine Familie zu sein, dachte Sina. Doch Chao machte ihr Sorgen.

Kapitel 2

Dr. G. Fehlinger – G wie Gerald und wie Gerichtsmediziner – war ein kleiner, schmächtiger Mann mit rasiertem Schädel, der sich abwechselnd auf die rechte und die linke Seite legte, während er redete, als wäre er für den dünnen Hals zu schwer. Seine glänzend schwarzen Augen waren das einzig Spannende in einem Gesicht, das ansonsten unbewegt blieb und dessen Teint die Farbe seiner Klientel angenommen hatte: leichenblass. Fehlinger sprach mit kraftloser Stimme, schnell und nicht besonders deutlich, sodass er sich damit absolute Ruhe erzwang, wollte man ihn verstehen.

»Ich fange von vorne an«, sagte der Doktor und warf einen kurzen Blick in Richtung der Ermittler, Kriminalrat Keilberth sowie Staatsanwalt Mörtenkötter, ohne sie wirklich anzusehen. Dann begann er, entlang der sargförmigen Edelstahlwanne zu schreiten.

»Bei dem Toten handelt es sich um einen etwa fünfundzwanzig- bis dreißigjährigen Mann, eins neunundsiebzig groß. Hautpartikel weisen unzweifelhaft darauf hin, dass es sich um einen Weißen handelt, Nordeuropäer, möchte ich meinen.«

»Und wie lange lag er schon da?«, fragte Niebuhr voreilig, wofür er von Fehlinger einen mitleidigen Blick kassierte.

»Wir haben keinen Aufwand gescheut, um das herauszufinden, Herr Oberkommissar«, gab er spitz zurück. »Nach dem, was uns der Verwesungszustand, Maden und Insekten verraten, lag der Tote etwa drei bis vier Wochen an der Stelle. Die für die Jahreszeit ungewöhnlich hohen Temperaturen haben dabei neben anderen Faktoren die Zersetzung der Leiche begünstigt …«

»… ist also Anfang bis Mitte Mai zu Tode gekommen«, dachte Sina laut.

»So sieht es aus.«

»Die entscheidende Frage ist: Handelt es sich um Mord oder einen natürlichen Tod?«, mischte sich jetzt Kriminalrat Keilberth ein.

»Die Antwort, die wir auf diese Frage gefunden haben«, dozierte Fehlinger, »wird Sie wahrscheinlich nicht sonderlich befriedigen. Sie lautet: Wir können es nicht mit Gewissheit sagen.«

Er blieb stehen, stellte sich hinter die Edelstahlwanne und wies mit beiden Händen auf die Sammlung zusammenhängend angeordneter, aber längst nicht vollständiger Knochen, Gewebeteile und Reste der Kopfbehaarung in Form einiger dunkelblonder Haarbüschel an Stücken verwester Kopfhaut.

»Wie Sie sicher ahnen, hat sich der Leichnam nicht ausschließlich in einem normalen Verwesungsprozess zersetzt, sondern es ist nachgeholfen worden, wenn ich so sagen darf.«

Der Doktor schürzte die Lippen zu einem unappetitlichen Lächeln, das eine Reihe brauner Zähne freilegte, den starken Raucher verratend.

»Genau gesagt: Es hat Wildverbiss gegeben. Anscheinend hat sich jeder Waldbewohner seinen Teil vom Festmahl geholt.«

Wieder das Fäulnislächeln.

»Was spricht für einen Mord?«, fragte Sina ungeduldig. Sie wollte nach draußen, wo die Sonne schien und es von Menschen wimmelte – lebendigen, fröhlichen Menschen.

»Wir konnten viele Spuren an den Knochen finden, dort, wo Fleisch abgenagt oder herausgerissen und wo fest zugebissen wurde. Das sind eher gröbere Beschädigungen, von besagten Waldbewohnern vermutlich. Bei genauerem Hinsehen fand sich an einer Rippe in der Herzgegend allerdings eine glatte, schnittartige Verletzung, die mit den Bissverletzungen nicht kompatibel ist. Wir können nicht ausschließen, dass diese Verletzung von einer Messerklinge stammt, die durch die Brust ins Herz gestoßen wurde und so den Tod des jungen Mannes verursachte. Aber mit Sicherheit kann ich das nicht sagen, die Interpretation liegt bei Ihnen.«

»Das passt zum Bericht der Techniker«, sagte Keilberth.

Offenbar stand das in dem Hefter, der unter seinem Arm klemmte und den er ihnen noch nicht weitergereicht hatte. So konnte er vor dem Staatsanwalt den Überlegenen mimen. Typisch Keilberth, dachte Sina.

»Die Kollegen von der Spurensicherung haben Blut auf den Überresten des blauen Poloshirts gefunden, das der Tote trug«, führte er an. »Nachdem sie wussten, an welche Stelle der blutbefleckte Fetzen gehört, stellte sich heraus, dass er direkt über der Herzgegend liegt.«

»Und das Blut stammt zweifelsfrei von dem Toten?«, fragte Sina den Gerichtsmediziner.

»Ja. Alle Blutproben, die wir erhalten haben, sind von dem Toten.«

»Das heißt noch nicht, dass es sich um einen Mord handelt«, folgerte Sina. »Er kann sich genauso gut an anderer Stelle verletzt haben und damit in Kontakt mit seinem Shirt gekommen sein.«

»Dann müsste die Verletzung sehr groß gewesen sein. Der Stofffetzen war blutdurchtränkt, sie haben ihn mir gezeigt, Sina«, gab Keilberth in rechthaberischem Ton zurück. Ohne sich weiter mit ihrem Einwand zu beschäftigen, wandte er sich an den Staatsanwalt. Mörtenkötter nickte.

»Wir gehen von Mord aus«, verkündete Keilberth darauf. »Ab jetzt ist es unsere Sache. Die Ermittlungen werden eingeleitet.« Er drückte Sina wortlos den Bericht der Kriminaltechnik in die Hand, sandte ein knappes Lächeln an die Adresse des Gerichtsmediziners und zog mit dem Staatsanwalt ab.

Das Spiel der Sonnenstrahlen in den Blättern des Ahornbaumes, der den Hof des Präsidiums beschirmte, lenkte Sina ab. Sie saß an ihrem Schreibtisch und versuchte, sich ein Bild von dem Toten zu machen, immer den elendigen Haufen Überreste vor Augen. Laut den Berichten der Kriminaltechnik und der Spurensicherung hatte er zur Tatzeit Sneakers, eine abgewetzte blaue Jeans, darunter einen weißen Slip und ein blaues Poloshirt getragen. Offenbar keine Strümpfe und kein Unterhemd. Sämtliche Kleider stellten sich als Billigware heraus, die es in jedem Bekleidungsdiscounter zu kaufen gab. Geldbörse und Schlüssel fehlten. Darüber war also auch keine Identifizierung möglich. Alles, was sie von dem Ermordeten wussten, war, dass er vermutlich nicht viel Geld hatte, Europäer war und jung.

Niebuhr kam herein. »Niemand vermisst ihn. Ich hab den Computer deutschlandweit angesetzt. Einfach nichts, was passt.«

Er lümmelte seine lange Gestalt auf einen der herumstehenden Schalenstühle. Sina schob den Bericht, in den sie sich eben noch vertieft hatte, von sich weg, legte die Arme in den Nacken und seufzte.

»Vielleicht vermisst ihn ja niemand, auch wenn er sich vier Wochen nicht gemeldet hat«, ließ sie ihren Gedanken freien Lauf. »Er lebt vielleicht allein, und die Angehörigen sind es gewöhnt, dass er länger nichts von sich hören lässt.«

»Könnte ein Fremdarbeiter sein, der seine Familie im Ausland hat«, sagte Niebuhr.

»Oder jemand vermisst ihn, meldet sich aber nicht aus wichtigem Grund …«

»Und der wäre?«

»Wenn ich das wüsste.«

Sie schwiegen, starrten jetzt beide ratlos in das flimmernde Blätterdach des Ahornbaumes.

»Ich finde es echt gut, dass du jetzt hier unten arbeitest, Jens«, sagte Sina nach einer Weile und lächelte ihm zu. Nachdem sie und Niebuhr fast zur gleichen Zeit eine Stufe auf dem Beförderungstreppchen hochgefallen waren, hatte sich Niebuhr aus dem Oberharz nach Goslar versetzen lassen. Das hatte Sina geschmeichelt, denn sie hatte Grund zu der Annahme, dass Jens es auch ein bisschen wegen ihr getan hatte. Sie waren eben ein unschlagbares Team.

»Wenn mir Keilberth auf dem Gang begegnet und ein Gesicht zieht, frage ich mich, ob die Entscheidung wirklich richtig war. Mit Rosenberg im Oberharz lief es besser.« Niebuhr klang, als würde er den Schritt ernsthaft bedauern.

»Immerhin hat Keilberth deine Versetzung nicht torpediert, vergiss das nicht.«

»Hm.«

»Also bleibt uns nichts weiter, als zusammen mit der Presse eine Suchaktion zu starten …«, kam Sina auf den Fall zurück.

»… und abzuwarten«, sagte Niebuhr.

Kapitel 3

»De Groot ist in der Leitung …«

In der Tür zum Büro stand Maren Brandstätter, seine Sekretärin, deren Aufgabe es unter anderem war, ihn vor ungebetenen Anrufen zu schützen. Sie wartete wie immer geduldig, bis er sich bequemte zu antworten, denn er hasste jede Art von Störung, wenn er nachdachte.

»Danke, Maren, sagen Sie ihm, ich rufe später zurück.«

»In einer halben Stunde steht der Termin mit der IHK an«, schob sie noch trocken hinterher.

»Soll sein, Maren, soll sein, nur lassen Sie mich bis dahin bitte in Ruhe.«

Sie nickte stumm und schloss unhörbar die Tür von außen.

In letzter Zeit kamen ihm die Pausen zwischen den Terminen immer zu kurz vor. Er spürte, dass sich sein Körper gegen den Stress zu wehren begann, von dem er früher nicht genug kriegen konnte.

Nachher musste er wieder den dynamischen Macher geben. Er, Geert Sandrock, der Oberbürgermeister von Goslar, würde Hände schütteln, jedem, der es von ihm erwartete, verbindlich in die Augen sehen, problembewusst, verständnisvoll, menschlich, kompetent, zukunftsorientiert, vorurteilsfrei …

Ihm entfuhr ein Stoßseufzer. Hatten seine Kritiker womöglich recht, wenn sie sagten, er wäre ausgebrannt? Dass Goslar jetzt einen brauchte, der sie nach vorne brachte. Der die ewige Finanzmisere endlich in den Griff bekam, Investoren nicht nur suchte, sondern auch fand und innovative Projekte auf den Weg brachte für eine Stadt, die ausstarb, weil nicht genug junge Familien in ihr leben wollten.

Fast unmerklich hob er das Kinn und blickte aus dem Fenster, hinter dem eine kraftvolle Sonne die Dächer der alten Gemäuer wärmte, für die er seine Gesundheit ruiniert hatte.

Als er vor sechs Jahren die Finanzen dieser Stadt in die Hand genommen hatte, hatte er noch Hoffnung gehabt, die Schieflage wieder ins Lot zu bringen. Niemand konnte ihm was vormachen. Er hatte jahrelange Erfahrungen in verantwortungsvollen Positionen der Verwaltung mitgebracht. Dann hatte er hilflos mitansehen müssen, wie die Gelder zwischen den einzelnen Posten zerrieben wurden. Überall brauchte es mehr als geplant. Schließlich brachen auch noch die Steuereinnahmen in einem Ausmaß ein, wie es sich vorher niemand hatte vorstellen können.

Er tat sein Bestes, und anfänglich erkannte man seine Arbeit auch an. Die eiserne Konsequenz, mit der er sich gegen das Defizit in der Kasse stemmte. Alle standen ausnahmslos hinter den Maßnahmen, die er ergriff. Doch der Erfolg blieb aus, weil die Krise ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Es wurde sogar noch schlimmer. Am Ende musste ein Schuldiger her. Und lange dauerte es nicht, bis sie ihn gefunden hatten: Geert Sandrock, der als Heilsbringer angefangen hatte, war plötzlich der Sündenbock.

Vor zwei Tagen war dann der tödliche Satz gefallen, den Sandrock erwartet hatte, aber nicht von seinem Freund Ernst-August Klawitter: »Es ist allein deine Entscheidung, Geert!«

Dabei hatte Klawitter so überzeugend jovial gelächelt, dass Sandrock ihm am liebsten eins in die Fresse gehauen hätte.

Der alte Hirsch ist zum Abschuss freigegeben, hieß das. Und das mit achtundfünfzig.

Hatte er wirklich nichts mehr im Beutel, wie die Kollegen ätzten? Vor dem Herzinfarkt hätte es keiner gewagt, sein Stehvermögen in politischen Dingen anzuzweifeln. Er war überall gleichzeitig gewesen, hatte die Übersicht über sämtliche Vorgänge in Verwaltung und Rat gehabt.

Doch dann kam der Zusammenbruch, der ihn fast zwei Monate außer Gefecht gesetzt hatte. Er verlor zwanzig Kilo, musste mit dem Rauchen aufhören. Jetzt fühlte er sich wieder besser, war aber bei Weitem nicht mehr der Kraftmeier, dem auf jede Intrige im Rat sofort die passende Retourkutsche einfiel. Wenn der Kämpfer blutet, wird er eben schnell zum Opfer.

Er fragte sich, ob es sinnvoll wäre, noch einmal durchzustarten, oder ob er besser auf seine Frau Rita hörte, die ihm in ihrer diplomatischen Art gesagt hatte, dass jeder Grenzen habe und man sie respektieren müsse. Was aber letztlich auch nichts anderes hieß als: Hör auf, du bist am Ende!

Sollte er nicht einsichtig sein, bevor er sich lächerlich machte? Die Presse hackte schon jetzt gnadenlos auf seiner angegriffenen Gesundheit herum, und die Meute der Bluthunde aus dem Rat wurde täglich größer. Womöglich würde er ein zweites Mal zusammenbrechen und einen jämmerlichen Abgang haben.

Auf der anderen Seite hatte sein Stellvertreter Ernst-August Klawitter in seiner scheinheiligen Art recht, wenn er sagte, es sei seine Entscheidung, ob er weitermache. Er, Geert Sandrock, bestimmte, wann Schluss für ihn war, zumindest noch bis zu den Wahlen in zwei Jahren, und bis dahin war es fast unmöglich, ihn abzusetzen. Zwei Jahre, in denen seine Konzepte aufgehen und den Goslarern bessere Zeiten bescheren konnten. Aber er musste sich entscheiden, entweder er blieb mit einem neuen Schlachtruf oder er ging. Dann schnell, sonst würden sie ihm lebend die Haut abziehen.

Er erhob sich aus seinem Drehsessel aus büffelbraunem Leder, näherte sich dem Fenster und blieb breitbeinig mit verschränkten Armen davor stehen, das Panorama der Stadt im Blick, bis Maren Brandstätter, seine Sekretärin, hereinkam und ihn an den Termin erinnerte.

***

Die Villa Klawitter stand auf einem gemauerten Sockel aus quadratischen Basaltsteinen, der sie mindestens drei Meter über das Niveau des Claustorwalls hob, einer schmalen Wohnstraße am Fuß des begehrten Steintorviertels. Als repräsentatives Denkmal des Jugendstils wie geschaffen für den Firmensitz und die Wohnung der Rechtsanwalts- und Notardynastie Klawitter.

Über der Kanzlei, im ersten Stock der Villa, saßen Ernst-August und seine Frau Miriam Klawitter in der Küche. Sie nutzten das Frühstück immer für eine kleine Dienstbesprechung und gingen die neuen Fälle durch, die dann unten in der Kanzlei nur noch mit Kollege Dr. Hegenbarth und Assistent Freimut abgestimmt wurden, seit Klawitters Vater nicht mehr aktiv in der Kanzlei tätig war.

An diesem Morgen gab es nicht viel zu besprechen, und als sie damit fertig waren, schwiegen sie sich an. Klawitter biss in eine mit Frischkäse light bestrichene Scheibe Knäckebrot und sah zerstreut aus dem Fenster. Strahlendes Frühsommerwetter mit wildem Vogelgezwitscher.

Seine Frau löffelte Müsli mit Erdbeerjoghurt aus einer weißen Porzellanschale von Rosenthal. »Tritt er nun zurück?«, fragte sie plötzlich mit einer gewissen Schärfe in der Stimme, aber ohne den Blick zu heben, und leckte sich einen Rest Erdbeerjoghurt von den Lippen.

Klawitter schreckte auf, wusste zuerst nicht, was sie meinte. Dann schaltete er. Sie sprach von Geert Sandrock, dem Oberbürgermeister. Klawitter erinnerte sich, ihr von der schwierigen Situation im Rathaus erzählt zu haben. Aber das war so nebenbei gewesen, denn er wusste, dass sie mit ihrer Meinung in diesen Angelegenheiten immer sehr zurückhaltend war. Sie hatte die Informationen dann auch, wie nicht anders zu erwarten, lediglich stumm nickend zur Kenntnis genommen.

»Sandrock entscheidet, wann er geht. Gewählt wird erst in zwei Jahren. Ich habe ihn darauf angesprochen, ihm nahegelegt –«

»Es wäre gut, wenn er zurückträte«, unterbrach sie ihn harsch, was noch nie vorgekommen war.

Nicht nur deshalb blieb Klawitter vor Staunen der Mund offen stehen. Miriam und Politik, das waren zwei Dinge, die bisher nie zusammengegangen waren.

»Wieso? Seit wann interessierst du dich für Politik?«

»Ich interessiere mich nicht für Politik, ich weiß nur, dass du sein Stellvertreter bist.«

Das alles sagte sie in einem vorwurfsvoll spitzen Ton, in dem sie ihm gegenüber nie gesprochen hatte, eher im sachlich kühlen wie vor Gericht.

Seine Verwunderung wuchs. »Was soll das heißen, Miriam?«

Sie hatte es geschafft, ihn zu verblüffen, und er konnte sich nicht erinnern, wann das das letzte Mal vorgekommen war.

»Das heißt«, fuhr sie schneidend fort, »dass du das Amt übernehmen würdest, wenn er ginge …«

»Willst du mir sagen, was ich zu tun habe?«

Sie ließ sich nicht irritieren. »… und dann könntest du dich in Ruhe auf die Wahlen vorbereiten und alle anderen, die geil auf den Posten sind, von innen heraus abwürgen.«

Bei »abwürgen« machte sie mit der rechten Hand eine entsprechende Geste und verzog dabei gespielt grausam das Gesicht.

»Wie redest du denn?«

Was war bloß los mit Miriam? Dieses boshafte Grinsen und der Blick, den sie ihm jetzt zuwarf.

»Spinnst du?«

Sie lachte hell auf. »Geht es etwa nicht so zu in der Politik?«

»Miriam, wenn du mich jetzt auf den Arm nehmen willst …«

»Aber Ernsti …«

Sie zwang ihn, sich zu verteidigen.

»Ich habe Sandrock nach seinem Zusammenbruch meiner Loyalität versichert und ihm gesagt, dass es seine Entscheidung ist, wann er gehen will …«

Das boshaft ironische Lächeln in ihrem Gesicht wich einem beinahe hasserfüllten Ausdruck, der ihn zusammenzucken ließ.

»Beruhige dich. Ich weiß, dass du ihm etwas schuldest, schließlich hat er dich zu seinem Stellvertreter gemacht, und Königsmord kommt nicht gut an.«

Er verstand immer noch nicht, was sie ihm sagen wollte.

»Aber als ob wärst du unabhängig, endlich unabhängig von diesem Bau hier, von dieser miefigen Tradition, von deinem Vater, der mich nach sechsundzwanzig Jahren immer noch ansieht, als wäre ich ein Fremdkörper in diesem Haus.«

»Aber Miriam, ich …«

Entgeistert starrte er seiner Frau hinterher, die aus ihrem Stuhl schoss und in kleinen, energischen Schritten, denn etwas anderes ließ ihr enger Rock nicht zu, aus der Küche hastete und der Wohnungstür zustrebte.

Kapitel 4

Die Suche hatte von Anfang an zwei Handicaps: Es gab nur eine Phantomzeichnung nach dem Totenschädel des Mordopfers, und die Beschreibung der Person passte auf viele junge Männer. Die Radiodurchsagen brachten entsprechend zahlreiche, aber keine zielführenden Hinweise. Auch der Aufruf, auffällige Beobachtungen vor etwa vier bis sechs Wochen der Polizei zu melden – wie zum Beispiel einen eskalierenden Streit, in den ein junger Mann, auf den die Beschreibung passte, verwickelt war –, brachte kein Ergebnis.

»Wir lassen die Technik noch mal ran«, sagte Kriminalrat Keilberth. »Die sollen jeden Zentimeter Waldboden durchsieben, bis er feiner ist als der Sand in der Sanduhr.«

Doch das Ergebnis war gleich null.

Dann ging das Telefon in Sinas Büro.

»Kramer, Kripo Goslar.«

»Hier spricht Mayrinck. Sie erinnern sich, Frau Kommissar? Meine Liese hat den Knochen gefunden.«

»Ja, natürlich. Was gibt’s, Herr Mayrinck?«

»Wir haben noch etwas entdeckt. Ich habe zuerst nicht gedacht, dass es etwas mit dem Toten zu tun haben könnte.«