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Ein Highlander als Retter in der Not
Als Edith Drummond nach einem Giftanschlag wieder zu sich kommt, findet sie sich umgeben von unbekannten Highlandern, die anscheinend ihr Schloss überrannt haben. Schnell stellt sich jedoch heraus, dass Ediths beste Freundin Saidh ihre Brüder geschickt hat, um nach dem Rechten zu sehen. Der stolze Krieger Niels Buchanan scheint entschlossen, nicht mehr von Ediths Seite zu weichen, bis er weiß, wer es auf ihr Leben abgesehen hat. Und bald schon muss Edith sich eingestehen, dass ihre weichen Knie nichts damit zu tun haben, dass sie soeben dem Tod von der Schippe gesprungen ist ...
"Eine Geschichte, die ebenso aufregend und voller Herz ist wie ihr Held!" Kirkus Reviews
Band 5 der Highlander-Serie
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Seitenzahl: 502
LYNSAY SANDS
Ein Highlander zu Diensten
Roman
Ins Deutsche übertragen von Susanne Gerold
Als Edith Drummond nach einem Giftanschlag wieder zu sich kommt, findet sie sich umgeben von unbekannten Highlandern, die anscheinend ihre Burg überrannt haben. Wie sich jedoch herausstellt, sind es keine Eindringlinge, sondern nur die Brüder ihrer Freundin Saidh Buchanan, die geschickt wurden, um nach dem Rechten zu sehen. Ein Glück für Edith, wäre sie doch sonst vielleicht nicht mehr am Leben. Der stolze Krieger Niels Buchanan erklärt sich kurzerhand zu ihrem Beschützer, fest entschlossen, sie vor jeglichem Unheil zu bewahren, bis der Missetäter gefasst ist … und womöglich auch danach. Edith kann sich der Anziehungskraft ebenfalls nicht entziehen, die der ritterliche Highlander auf sie ausübt. Doch es bleibt den beiden keine Zeit für romantische Stunden, denn die Todesfälle um Edith häufen sich auf erschreckende Weise, und auch sie selbst entkommt nur knapp erneuten Mordversuchen. Dass Niels ihr stets so nahe ist, macht es schier unerträglich für Edith – wünscht sie sich doch nichts sehnlicher, als endlich der Leidenschaft nachzugeben, die sie beide verzehrt …
Niels starrte seinen Schwager einen Moment ungläubig an, dann verlor er die Beherrschung. »Bist du von Sinnen? Wir kommen nicht mal in die Nähe von Drummond. Wir wollen in den Norden zu den McKays. Drummond liegt im Süden.«
»Aye«, bestätigte Geordie neben ihm und warf dem Gemahl seiner Schwester einen finsteren Blick zu. »Wir sind nur hier, weil wir Rory absetzen und unsere Schwester sehen wollten.«
»Das weiß ich«, zischte Greer und wandte sich von den vier Buchanan-Brüdern ab, die mit ihm am Tisch saßen. Er richtete den Blick auf den oberen Treppenabsatz, als erwartete er, dort jeden Moment seine Frau auftauchen zu sehen.
Niels folgte dem Blick, konnte aber niemanden entdecken. Der Treppenabsatz war leer. Er sah seinen Schwager wieder an, der einen Moment lang entschlossen die Lippen zusammenpresste, ehe er weitersprach.
»Ich weiß, dass eure Reise dadurch länger werden wird«, sagte Greer, »und ich bitte euch auch nicht um meinetwillen darum. Es geht um Saidh. Sie macht sich wirklich große Sorgen um ihre Freundin Edith Drummond. In ihrem letzten Brief vor vier Wochen schrieb Edith, dass es ihr schlecht geht. Seither hat Saidh nichts mehr von ihr gehört. Auf die drei Nachrichten, die sie hingeschickt hat, ist nie eine Antwort erfolgt. Deshalb ist sie so besorgt.«
»Dann schick einen verfluchten Boten«, fauchte Niels ungeduldig. »Du meine Güte, Greer. Drummond liegt fast genauso weit südlich wie Buchanan und würde uns einen Tagesritt nach Osten kosten. Und wir müssten den ganzen Weg zurückreiten und hierher zurückkehren, um unsere eigentliche Reise fortsetzen zu können.«
»Wir wären mindestens eine Woche länger unterwegs«, fügte Geordie finster hinzu.
»Wenn nicht sogar noch länger, denn wegen des Wagens kommen wir nur langsam voran«, bemerkte Alick. Seine Miene verriet, dass auch er nicht begeistert von der Idee war. Er schüttelte den Kopf. »Niels hat recht. Du solltest einen Boten nach Drummond schicken.«
»Habt ihr nicht gehört, was ich gerade gesagt habe? Edith hat auf die letzten drei Nachrichten, die wir geschickt haben, nicht geantwortet.« Greer verzog frustriert das Gesicht und blickte jetzt seinerseits finster drein. »Mein letzter Bote ist nicht einmal in den Innenhof von Drummond gelassen worden. Er musste die Nachricht am Tor abgeben und ist ohne jede Antwort von Edith zurückgekehrt. Saidh ist fest entschlossen, selbst nach Drummond zu reiten, um herauszufinden, ob es ihrer Freundin gut geht.«
»Na und?«, fragte Niels verblüfft. »Saidh ist schon öfter gereist und wird es sicher auch weiterhin tun. Also was – ?«
»Sie ist schwanger!«, brüllte Greer, als hätten alle diese kleine Tatsache vergessen.
»Schwanger, aye, aber nicht tot«, entgegnete Niels empört. »Du meine Güte, es dauert noch fünf Monate, bis das Baby kommt. Du hast doch hoffentlich nicht vor, sie in Watte zu packen und davon abzuhalten, überhaupt noch irgendetwas zu tun, nur weil sie – oh Gott!« Er brach bestürzt ab, als er Saidh auf dem Treppenabsatz sah, die sich anschickte, die Stufen hinunterzugehen. Seine geliebte Schwester – für gewöhnlich rank und schlank – sah aus, als hätte sie ein Kalb verschluckt … oder gar zwei. Um Himmels willen, ihr Bauch war so dick und rund, dass sie gut und gerne auch drei Kälber darin tragen mochte. Sie wirkte so unförmig, dass er schon befürchtete, sie könnte das Gleichgewicht verlieren und wie ein Ball die Treppe hinunterrollen.
Offensichtlich war er nicht der Einzige, der das dachte, denn Greer MacDonnell sprang sofort auf und lief seiner Frau entgegen. In stummem Erstaunen sahen sie zu, wie er die Treppe hinaufeilte, Saidh hochhob und die restlichen Stufen nach unten trug.
»Ich hatte doch gesagt, du sollst deine Zofe schicken, wenn du fertig bist und nach unten kommen willst«, rügte Greer seine Frau merklich gereizt, während er sich dem Tisch näherte.
»Ich bin schwanger, nicht verkrüppelt, Gemahl«, murrte Saidh nicht weniger gereizt. »Ich kann sehr gut ohne deine Hilfe gehen.«
»Mag sein, aber ich ertrage es nicht, dir dabei zuzusehen«, knurrte Greer und setzte sie auf den Stuhl neben seinem – mit einer Fürsorge, die seiner Stimme in diesem Moment nicht anzuhören war. »Jedes Mal, wenn du eine Treppe hinuntergehst, fürchte ich, dass du vornüber kippst und hinunterrollst wie ein –« Greer verstummte, und er sah Saidh entschuldigend an, als er deren starre Miene bemerkte. »Ich mache mir einfach Sorgen«, endete er lahm und schenkte ihr dann ein versöhnliches Lächeln. »Ich sage dem Koch Bescheid, dass du unten bist und dein Morgenmahl möchtest.«
»Danke, Gemahl«, murmelte Saidh und lächelte, als er sich zu ihr beugte und ihr einen Kuss auf die Stirn gab. Sie sah ihm nach, als er durch die große Halle zur Küche ging, und in ihrem Gesicht spiegelten sich Liebe und Verbundenheit. Beides verschwand jedoch sofort, als sie sich ihren Brüdern zuwandte. Während sie in deren gaffende Gesichter starrte, machte sie aus ihrer Empörung und ihrem Gekränktsein keinen Hehl. »Und?«, fauchte sie. »Freut ihr euch gar nicht, mich zu sehen?«
Niels zog eine Braue hoch, als er den Missmut in ihrer Stimme hörte, während sein Blick zu ihrem übergroßen Bauch wanderte. »Aye. Wir sind nur alle sehr überrascht, wie viel es zu sehen gibt.«
»Du siehst aus, als würdest du jeden Moment platzen«, sagte Alick ehrfürchtig. »Ich dachte, du bist erst im vierten Monat?«
»Das bin ich auch«, murmelte sie unglücklich und strich mit einer Hand über ihren gerundeten Leib. »Ich vermute, dass ich zwei Kinder in mir trage.«
»Mir kommt es eher vor wie sechs«, erklärte Geordie und heimste dafür einen kräftigen Tritt von seiner Schwester ein.
Niels verbiss sich ein Lachen und wandte sich an Rory. »Sollte sie jetzt schon so dick sein?«
Rory stand auf und stellte sich neben Saidh. Er legte seine Hand an ihren Ellbogen, um sie zum Aufstehen zu bewegen. »Wir sollten uns für ein paar Augenblicke nach oben zurückziehen.«
»Nach oben?« Saidh runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. Dann schüttelte sie seine Hand ab. »Nein. Ich bin gerade erst heruntergekommen. Abgesehen davon habe ich Hunger und –«
»Ich muss dich untersuchen«, unterbrach Rory sie entschlossen. »Danach kannst du dann etwas essen.«
»Oder«, schlug Saidh genauso entschlossen vor, »du untersuchst mich, nachdem ich gegessen habe.«
»Nun, ich könnte dich auch gleich hier vor allen Anwesenden untersuchen«, verkündete ihr Bruder in einem fröhlichen Tonfall, der die darin mitschwingende Drohung allerdings nicht ganz zu überdecken vermochte.
Saidh kniff die Augen zusammen, und ihre Hand wanderte zu dem Sgian Dubh an ihrer Taille. »Wenn du das versuchst, werde ich dich auf der Stelle erstechen.«
»Saidh«, stöhnte Rory genervt. Dann atmete er tief durch und versuchte, ihr mit vernünftigen Gründen ins Gewissen zu reden. »Du bist sehr viel dicker als du zu diesem Zeitpunkt sein solltest, Mädchen. Es kann gefährlich sein. Ich muss deinen Herzschlag abhören und mich vergewissern, dass er normal ist. Außerdem möchte ich –«
»Es geht mir gut«, beharrte sie eisern, und als er den Mund öffnete, um weitere Einwände zu erheben, fügte sie hinzu: »Aber ich schlage dir einen Handel vor.«
»Was für einen?«, fragte Rory, und Niels konnte nicht umhin, den Argwohn in der Stimme seines Bruders zu hören. Er wäre ebenfalls misstrauisch gewesen. Wenn ihre Schwester den Mund aufmachte, wusste man nie, was herauskam.
»Wenn du mir versprichst, mit mir zusammen zu Edith zu reiten und nach ihr zu sehen, bin ich bereit, mich von dir untersuchen zu lassen«, sagte sie entschlossen.
Rory machte ein finsteres Gesicht. »Du kannst dich in diesem Zustand nicht auf ein Pferd setzen.«
»Schön. Dann werde ich mich auch nicht untersuchen lassen.« Saidh wehrte seinen Protest mit einer knappen Handbewegung ab und wandte sich zum Tisch.
Rory fluchte, und Niels senkte den Kopf, um seine Erheiterung zu verbergen. Dann hörte er seinen Bruder tief durchatmen. »Also gut. Wenn ich dich untersuchen kann, kümmere ich mich um deine Freundin Edith und sehe nach, was ich für sie tun kann«, sagte er. »Und jetzt … würdest du mir bitte die Gelegenheit geben, dich zu untersuchen und mich zu vergewissern, dass alles in Ordnung ist?«
Saidh entspannte sich, sie lächelte sogar leicht. Dann verzog sie jedoch das Gesicht und sagte: »Aye. Aber gönne mir ein paar Augenblicke, dass ich mich ausruhen kann. Es war ein wenig anstrengend, die Treppe hinunterzugehen.«
Letzteres gab sie fast beschämt zu, was ihren Brüdern verriet, dass sie es ernst meinte. Saidh mochte es nicht, Schwäche zu zeigen.
»Ich kann dich hochtragen«, bot Rory ihr freundlich an.
Sie musste lachen, als sie sich dieses Bild vorstellte, aber als sie sich Rory genauer ansah, verstummte ihr Lachen. Ihre Augen weiteten sich leicht, während sie ihren früher so mageren Bruder betrachtete. »Du hast zugenommen. Und du hast Muskeln an den Armen.«
»Aye.« Niels grinste bei ihrer Bemerkung. »Seit wir Dougall und Murine nach Carmichael begleitet haben, trainiert er mit uns anderen.«
»Aber warum?«, fragte sie überrascht.
Rory verzog das Gesicht und antwortete: »Unsere Brüder haben sich alle Mühe gegeben, mich davon zu überzeugen, dass es nicht reicht zu wissen, wie ich die Verletzungen anderer heile. Dass es vielmehr klug wäre, wenn ich auch lernen würde, mich selbst zu verteidigen, um gesund zu bleiben und mich weiterhin um andere kümmern zu können.« Er lächelte schief und fügte hinzu: »Es kam mir so vor, als hätten sie recht damit – nach all den Schwierigkeiten, die du und Dougall und die anderen in der letzten Zeit erlebt habt.«
»Aye«, bestätigte Saidh ernst. »Natürlich haben sie recht.«
Rory nickte, dann zog er eine Braue hoch. »Soll ich dich jetzt hochtragen?«
Sie seufzte schwer, schüttelte den Kopf und stand auf. »Ich werde gehen. Du kannst aber meinen Arm halten, damit ich nicht das Gleichgewicht verliere und die Stufen rückwärts wieder hinunterfalle.«
Rory nickte und nahm sie am Arm, um sie wegzuführen.
Niels sah den beiden nach, den Blick besorgt auf Saidhs dicken Bauch geheftet.
»Sie sollte doch bestimmt noch nicht so dick sein, oder?«, murmelte Geordie stirnrunzelnd.
Niels schüttelte den Kopf. »Ich habe noch nie jemanden zu diesem frühen Zeitpunkt in diesem Zustand gesehen.«
»Aye, und du weißt, was das heißt«, sagte Alick düster. Als seine Brüder ihn fragend ansahen, verdrehte er die Augen und erklärte: »Wir werden nach Drummond gehen müssen, das heißt es. Wir können schließlich nicht zulassen, dass Saidh in diesem Zustand dorthin reitet. Zur Hölle, sie ist nur die Treppe runtergegangen und war schon davon außer Puste und erschöpft. Und das, obwohl Greer sie den größten Teil sogar getragen hat.«
Niels atmete seufzend aus, aber er nickte. »Wir machen einen Schlenker, wenn wir auf dem Rückweg von McKay sind, und –«
»So lange könnt ihr nicht warten.«
Diese entschieden gesprochenen Worte veranlassten Niels, sich umzudrehen, und er sah, dass sein Schwager zurückgekehrt war. Er presste die Lippen einen Moment zusammen und meinte dann: »Wir müssen dort etwas abliefern, Greer. Die McKays rechnen damit, dass sie Ende nächster Woche ihre Stoffe bekommen. Wir können sie nicht einfach –«
»Sechs von meinen Männern werden die Waren an eurer statt ausliefern«, erklärte Greer fest. »Aber sofern ihr nicht wollt, dass Saidh doch noch darauf besteht, selbst nach Drummond zu reiten, müsst ihr euch unverzüglich auf den Weg dorthin machen.«
Niels schürzte die Lippen, während er über Greers Angebot nachdachte. »Zwölf Männer«, forderte er.
»Zwölf?« Greer runzelte die Stirn. »Aber ihr wäret doch auch nur zu dritt gewesen.«
»Aye, aber es handelt sich bei der Ware um teures Tuch, und ein Buchanan ist so viel wert wie vier deiner durchschnittlichen Recken«, erklärte er. »Es sei denn, du reitest selbst mit, dann genügen acht.«
Die unausgesprochene Aussage, dass er ein genauso guter Krieger war wie sein Schwager, schien Greer zu beschwichtigen, denn er nickte. »Abgemacht. Zwölf Männer bringen die Stoffe nach McKay.«
Niels lächelte. Er hatte es geschafft, die lange, unbequeme zweiwöchige Reise zu den McKays und wieder zurück gegen einen sehr viel kürzeren Zweitagesritt zu den Drummonds einzutauschen. Das Leben war gut, wenn der Himmel auf einen herablächelte.
»Ihr verdammten Hurenböcke! Öffnet endlich dieses verfluchte Tor und führt uns zu Lady Edith, oder wir werden es in Brand setzen und es aufbrechen.«
Alicks Drohung veranlasste Niels, den Kopf zu schütteln, denn Drohungen waren alles, was sie hatten. Die Tore der Drummonds in Brand zu setzen und aufzubrechen war das Letzte, was sie tun würden. Verdammt, er wusste ja nicht einmal, ob ihnen das gelingen würde, schließlich waren sie nur zu viert. Obwohl es sicherlich Spaß gemacht hätte, es zu versuchen, wie er sich eingestand.
Dennoch, sie waren nicht hier, um mit den Drummonds einen Krieg anzufangen. Ihre einzige Aufgabe bestand darin, nach der Freundin ihrer Schwester zu sehen und Saidh zu berichten, wie es ihr ging. Und wenn sie verhindern wollten, dass Saidh doch noch versuchte, zu den Drummonds zu reiten und sich selbst vom Zustand ihrer Freundin zu überzeugen, mussten sie leider darauf bestehen, Lady Edith persönlich zu sprechen. Wobei Niels vermutete, dass nicht einmal das genügen würde. Nachdem die vier sich bereit erklärt hatten, Lady Edith aufzusuchen, hatte Saidh anfangs weiter darauf bestanden, sie zu begleiten. Nur Rorys Warnung, dass die Reise ihren ungeborenen Babys schaden könnte, hatte sie schließlich davon absehen lassen. Das und Greers Drohung, Saidh ans Bett zu fesseln und bewachen zu lassen, bis die Babys auf der Welt waren, sollte sie auch nur versuchen, auf ein Pferd zu steigen.
Bei dem Gedanken daran schüttelte Niels erneut den Kopf. Babys, im Plural. Seine Schwester ging mit mehr als nur einem Baby schwanger. Rory vermutete, dass es Zwillinge waren. Alick und Geordie jedoch waren überzeugt, dass es sogar noch mehr sein könnten; sie schlossen bereits Wetten auf die Größe der zu erwartenden Kinderschar ab. Alick ging von dreien aus, Geordie von vieren. Niels hielt beide für verrückt. Frauen brachten nicht auf einen Schlag drei oder vier Kinder zur Welt. Sogar Zwillinge waren eine Seltenheit. Aber drei oder vier … nun ja … natürlich war auch ihm die Kunde von einer Frau aus einem fernen Land zu Ohren gekommen, die vor langer Zeit angeblich drei Babys geboren hatte, aber er war davon überzeugt, dass diese Altweibergeschichten eben nur genau das waren – Altweibergeschichten. Trotzdem … Saidhs Bauch war so riesig, dass sie tatsächlich drei oder vier Babys in sich tragen mochte.
Er schaute hinauf zu den Männern auf dem Torturm und rief mit ruhiger Stimme: »Wir möchten nur eure Lady sehen. Unsere Schwester, Lady Saidh MacDonnell, ist ihre Freundin. Sie macht sich Sorgen um das Wohlergehen eurer Lady. Wenn ihr das Tor nicht öffnen wollt, dann bittet eure Lady, hierherzukommen, damit wir mit ihr sprechen und unserer Schwester berichten können, dass sie wohlauf ist.«
Die Männer auf der Mauer sahen einander an, und dann sagte einer: »Euch liegt daran, Lady Edith zu sehen und nicht unsere Lady?«
»Aye.« Niels runzelte die Stirn. »Ist denn Edith nicht eure Lady? Ich war der Meinung, dass sie seit dem Tod ihrer Mutter hier die Lady ist.«
»Das war sie auch«, entgegnete der Wachposten. »Aber Brodie, der jüngste Sohn, hat geheiratet, und jetzt ist Lady Victoria die Herrin der Burg. Und der Laird hat befohlen, das Tor für niemanden zu öffnen, solange er und sie abwesend sind.«
Niels zog bei diesen Neuigkeiten die Augenbrauen hoch. Von dieser Heirat hatte er nichts gewusst, und es überraschte ihn ein wenig, dass statt der Tochter des Hauses die Braut des jüngsten Sohnes die Lady geworden war. Hätte die Frau des ältesten Bruders und Erben die Position der zukünftigen Lady des Hauses Drummond eingenommen, das ja, aber … die Frau des jüngsten Sohnes?
Nun, das war jetzt nicht ihr Problem, und deshalb schob er diese Information beiseite. Er würde später darüber nachdenken. »Wir möchten zu Lady Edith«, rief er dem Posten jetzt zu. »Meine Schwester hat ihr drei Nachrichten geschickt, aber keine Antwort erhalten. Sie bat uns, herzukommen und nachzusehen, ob es Lady Edith gut geht.« Er schwieg einen Moment und fügte dann hinzu: »Sie ist davon ausgegangen, dass eingedenk der schottischen Gastfreundschaft adelige Besucher nicht kurzerhand weggeschickt werden wie einfache Boten.«
Die Männer auf dem Turm fingen an zu diskutieren. Anscheinend war einer von ihnen der Meinung, die Besucher einzulassen. Andere schienen dem zu widersprechen, und Niels wartete geduldig, während die Auseinandersetzung weitergeführt wurde. Dann wiederholte er, was er schon einmal vorgeschlagen hatte: »Wir müssen die Burg nicht betreten, um den Wunsch unserer Schwester zu erfüllen. Bittet Lady Edith, zum Tor zu kommen, damit wir uns vergewissern können, dass sie wohlauf ist. Danach machen wir uns sogleich wieder auf den Weg.«
»Sie kann nicht zum Tor kommen«, rief der Posten ihnen zu, der schon zuvor das Wort geführt hatte, und fügte grimmig hinzu: »Sie ist zu schwach dazu.«
»Dann ist sie also immer noch krank?«, fragte Rory besorgt.
»Sie ist sogar sehr krank.« Der Mann klang müde. »Ihr Leben hängt nur noch an einem dünnen Faden, dabei hat sie schon jetzt länger durchgehalten als ihr Vater und ihre beiden ältesten Brüder. Aber sie wird nicht mehr lange auf dieser Welt weilen. Und das ist eine Schande, denn sie kämpft so hart. Sie wäre eine gute Clan-Anführerin geworden.«
Zu erfahren, dass Ronald Drummond und seine beiden ältesten Söhne tot waren, überraschte Niels. Aber diese Tatsache erklärte vermutlich, warum die Frau des jüngsten Drummond-Sohnes jetzt die Lady dieser Burg war.
Rory setzte sich in seinem Sattel zurecht, dann sah er Niels an. »Saidh wird nicht glücklich sein, wenn wir ihr lediglich berichten werden, dass ihre Freundin immer noch krank ist.«
Niels nickte, schaute zum Turm hinauf und rief den Wachposten zu: »Wir werden uns erst zurückziehen, wenn das Mädchen entweder tot oder genesen ist. Unsere Schwester würde nichts anderes akzeptieren.«
»Dann werden wir Euch Bescheid geben, wenn sie tot ist«, rief einer der Männer zurück.
Roy fluchte leise.
Niels ignorierte es. »Oder ihr lasst uns ein«, rief er den Posten zu. »Mein Bruder ist der beste Heiler in ganz Schottland. Er könnte Lady Edith vielleicht retten.« Einen Moment herrschte Stille, dann hörten sie, dass auf dem Turm erneut eine Diskussion ausbrach.
Niels versuchte auch diesmal, geduldig abzuwarten, aber es hatte nicht den Anschein, als würde der Streit jemals zu einem Ende kommen. Kaum hatte er das gedacht, murmelte Alick hinter ihm verärgert: »Das ist alles eine Farce. Kein Schotte lässt seine Verbündeten wie Bettler am Tor stehen und verweigert ihnen den Eintritt.«
»Zumindest nicht, wenn er sie als Verbündete behalten will«, pflichtete Geordie ihm empört bei.
»Geordie und Alick haben recht, Niels. Das hier ist unannehmbar«, erklärte Rory grimmig. »Ich könnte längst in der Burg sein und dem Mädchen helfen, wenn man uns nur –«
Niels hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen, und brüllte nach oben: »Hört endlich auf zu zanken und benutzt euren Verstand! Mein Bruder kann Lady Edith helfen. Macht ihr euch so wenig aus eurem Clan? Was wird euer Laird – ihr Bruder – sagen, wenn ich ihm berichte, dass ihr sie habt sterben lassen? Und das werde ich ganz sicher tun. Öffnet also endlich dieses verfluchte Tor, ihr verdammten Idioten, oder ich werde diese Mauer hochklettern, euch die Kehlen durchschneiden und das Tor selbst –«
Niels hielt mitten in seiner Drohung inne, als das Tor sich zu heben begann. Er zog die Brauen hoch und murmelte: »Hmm. Sieht ganz so aus, als würden sie es endlich öffnen.«
»Woran das wohl liegen könnte«, murmelte Rory und verdrehte die Augen.
»Muss mein natürlicher Charme sein«, erwiderte Niels mit einem Schulterzucken. Er trieb sein Pferd an, bevor die Wachen auf der Mauer es sich anders überlegen und das Tor wieder schließen konnten.
»Oh, aye, ganz sicher. Der Buchanan-Charme setzt sich immer wieder durch«, stimmte Geordie zu und folgte ihm auf die Brücke.
»Brüder«, tadelte Rory, nachdem er sich seinen Brüdern angeschlossen hatte, »wenn das der Charme ist, den ihr auch sonst auf euren Reisen an den Tag legt, ist es nicht verwunderlich, dass ich euch bei eurer Rückkehr jedes Mal wieder zusammenflicken muss.«
»Nein, das hat mit Charme gar nichts zu tun«, versicherte Niels ihm. »Mitleid ist der Grund, warum wir mit Blessuren zurückkehren.«
»Mitleid?«, fragte Rory verblüfft.
»Aye, wir müssen unseren Gegnern doch zumindest ein paar Erfolgserlebnisse gönnen. Sonst werden sie am Ende noch demoralisiert, weil sie so gründlich besiegt werden«, sagte Niels ernst.
»Und dann ist da noch die Sache mit dir«, fügte Geordie hinzu.
»Die Sache mit mir?«, fragte Rory bestürzt. »Was habe ich damit zu tun, wenn ihr euch im Kampf verletzt?«
»Na ja, du musst dich doch im Heilen üben, oder nicht? Wir helfen also nicht nur unserem Gegner, sich im Umgang mit dem Schwert nicht als ganz und gar unfähig zu fühlen. Nein, wenn wir zurückkehren, geben wir dir auch etwas zu tun, sodass du dich wichtig fühlen kannst. Nicht, dass du uns das jemals danken würdest«, fügte Geordie knurrend hinzu.
»Ich soll euch danken?«, fragte Rory ungläubig. »Seid ihr verrückt geworden? Ihr – das meint ihr sicher nicht – ihr könnt das nicht ernst meinen, oder?«
»Nein«, sagte Niels erheitert. »Aber wir haben es geschafft, dass du es einen Moment lang geglaubt hast, oder?«
Rory klappte den offenen Mund wieder zu und starrte finster von einem zum anderen.
»Siehst du, welchen Spaß du immer verpasst, wenn du lieber zu Hause bei deinen verstaubten Büchern und Arzneimitteln bleibst, statt mit uns zu reisen?«, fragte Alick fröhlich. Er lenkte sein Pferd neben Geordies, als sie begannen, den Innenhof zu durchqueren.
Rory warf ihm einen empörten Blick zu. »Du meinst mit Spaß, den Staub zu schlucken, den das Pferd vor mir aufwirbelt, auf kaltem, hartem Boden zu schlafen und bei jeder Gelegenheit gehänselt zu werden?«, fragte er trocken. »Oh, aye, tut mir wirklich leid, dass ich das alles so viele Jahre verpasst habe.«
»Manchmal bin ich davon überzeugt, dass du ein Wechselbalg bist, Rory«, sagte Geordie traurig.
»Nein«, versicherte Niels ihm. »Es ist eher so, dass Gott alles ein bisschen durcheinandergebracht hat, als er Saidh und Rory gemacht hat.«
»Du meinst, er wollte vielleicht aus Saidh einen Jungen machen und aus Rory ein Mädchen?«, schlug Geordie mit breitem Grinsen vor. »Ich glaube, darüber haben wir während unserer Reisen das ein oder andere Mal gesprochen.«
»Aye, das haben wir«, pflichtete Alick ihm bei.
»Was habt ihr?« Rory klang schockiert.
»Na ja, denk doch mal darüber nach«, sagte Alick, während sie sich den Stufen näherten, die zu den Doppeltüren des Wohnturms der Drummonds führten. »Während du am liebsten bei deinen Kräutern in der warmen Burg bleibst, ist Saidh gern auf Reisen und geht keinem Kampf aus dem Weg. Sie würde einen Mann, ohne lange hinzusehen, aufspießen. Es ist, als hätte sie der Mann sein sollen und du die Frau«, erklärte er logisch schlussfolgernd, während sie die Pferde vor den Stufen zügelten.
Niels warf Rory einen Blick zu, um zu sehen, wie der mit dieser Feststellung klarkam. Als er die erschreckte Miene seines Bruders sah, musste er schallend lachen, ebenso wie Geordie und Alick.
»Oh, aye, lacht ihr drei nur«, sagte Rory säuerlich. »Ich schwöre euch, dass ich es nicht vergessen werde, wenn ich mich das nächste Mal um irgendwelche eurer Verletzungen kümmern soll.«
Noch immer kichernd zuckte Niels unbekümmert mit den Schultern und ließ sich von seinem Pferd gleiten. Welch läppische Strafe auch immer Rory ihnen später zuteilwerden ließe, sie war es wert angesichts seiner Reaktion auf ihre Hänselei.
»Werdet Ihr Lady Edith retten?«
Diese leise gestellte Frage veranlasste Niels, sich umzudrehen; er sah sich einem kleinen blonden Jungen gegenüber, der ihn aus ernsten Augen anblickte. Neben ihm stand ein Hirschhund mit rötlich beigem Fell. Das Tier war fast größer und um einiges schwerer als das Kind. Niels hatte noch nie einen so großen Hund gesehen.
»Werdet Ihr es tun?«, wiederholte der Junge seine Frage.
»Wir geben uns alle Mühe«, versprach Niels und sah den Jungen an.
»Großmutter sagt, dass niemand sie retten kann«, sagte der Junge traurig.
»Sagt sie das?«, fragte Niels ruhig.
Er nickte. »Aye. Sie sagt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie genauso davongeht wie der Laird und seine Söhne.«
Niels runzelte die Stirn. »Vielleicht wäre das so geschehen, wenn wir nicht gekommen wären, aber siehst du diesen Mann dort?« Er deutete auf Rory, der jetzt auch aus dem Sattel gestiegen war und um sein Pferd herum zu ihnen trat. »Das ist mein Bruder Rory. Er ist der beste Heiler in ganz Schottland. Wenn es irgendjemanden gibt, der deiner Lady helfen kann, das zu überstehen, was ihr so sehr zusetzt, dann er.«
Der Junge sah Rory ernst an und nickte. »Ich hoffe es, Mylord. Denn ich werde furchtbar traurig sein, wenn sie stirbt. Sie ist immer so freundlich. Nicht so wie Lady Victoria, die Frau von Laird Brodie. Wenn sie damals Lady gewesen wäre, als wir hierhergekommen sind, hätten wir niemals bleiben dürfen.«
»Hmm.« Niels brummte diese Antwort nur, weil er nicht wusste, was er darauf hätte antworten sollen. Dann richtete er sich wieder auf und fragte: »Wie heißt du, Junge?«
»Ronson, Mylord.«
»Du bist kein Drummond, Ronson?«, fragte Rory.
»Nein, Mylord. Wir sind aus dem Süden. Aber als meine Ma gestorben ist, hat der Laird von unserem alten Zuhause uns rausgeworfen. Großmutter und ich, wir sind lange Zeit unterwegs gewesen, um ein neues Zuhause zu finden, aber niemand wollte uns haben. Sie sagten, Großmutter ist zu alt und ich bin zu jung. Aber Lady Edith hat uns aufgenommen und Großmutter Arbeit gegeben. Und mir hat sie auch eine Aufgabe gegeben«, setzte er stolz hinzu.
»Und was für eine Aufgabe ist das?«, fragte Niels, obwohl er glaubte, dass er die Antwort bereits kannte.
»Ich kümmere mich um Laddie«, verkündete der Junge, und seine Brust blähte sich vor Stolz, während er einen dünnen Arm um den riesigen Hund legte. »Er muss gefüttert werden und man muss mit ihm rausgehen und sein Fell kämmen, aber Lady Edith hat dafür nicht die Zeit bei all den anderen Arbeiten, die sie zu tun hat. Es ist ein sehr wichtige Aufgabe«, versicherte er ihnen.
»Aye«, pflichtete Niels ihm bei. »Sehr wichtig. Sie hat Glück, dass du gekommen bist.«
»Aye«, sagte Ronson; dann runzelte er die Stirn und gestand: »Aber vielleicht werde ich die Aufgabe nicht mehr sehr lange haben.«
»Und wieso nicht?«, fragte Rory.
Ronson zögerte; er blickte unglücklich drein, und dann gestand er: »Ich habe gehört, wie einige der Zofen sich unterhalten haben. Sie haben gesagt, dass Lady Edith auch dann, wenn sie überleben sollte, nicht mehr lange auf Drummond bleiben würde. Dass Lady Victoria sie ganz sicher bei der erstbesten Gelegenheit in ein Kloster bringen lassen würde. Wenn das passiert, müssen wir wahrscheinlich von hier weggehen.« Er biss sich auf die Lippen und fragte dann: »Glaubt Ihr, dass sie recht hat? Wird Lady Victoria Lady Edith wegschicken?«
»Das weiß ich nicht, Junge«, räumte Niels ein. »Aber kümmern wir uns um ein Problem nach dem anderen. Sorgen wir erst einmal dafür, dass es Lady Edith wieder gut geht, bevor wir uns über andere Dinge Gedanken machen, ja?«
»Aye«, sagte Ronson und kraulte den Hund zwischen den Ohren. »Lady Edith mag Laddie sehr. Ich glaube, sie würde sich besser fühlen, wenn er zu ihr gehen könnte. Er ist sehr wichtig für sie. Es könnte ihr besser gehen, wenn er sie besuchen würde.«
»Hmm«, sagte Niels und unterdrückte ein Lächeln. »Aye, nun, vielleicht später. Ich denke, erst einmal sollte mein Bruder einen Blick auf sie werfen und sehen, was er für sie tun kann. Einverstanden?«
»Aye«, sagte der Junge enttäuscht, dann blickte er an Niels vorbei und verzog finster die Stirn. »Da kommen Tormod und Cawley.«
Niels warf einen Blick über die Schulter und sah zwei Männer näher kommen. Beide waren alt, der eine groß und schlank und hinkend, der andere kleiner und rundlicher.
»Und wer sind Tormod und Cawley?«, fragte Rory, als Niels sich wieder umdrehte.
»Sie waren der Erste und Zweite Offizier vom alten Laird, und jetzt sind sie der Erste und der Zweite von Brodie. Tormod ist der große. Er ist der Erste – und er mag mich nicht«, fügte Ronson unglücklich hinzu.
»Ich bin sicher, dass das nicht stimmt«, versicherte Rory ihm.
»Doch, das stimmt«, beharrte Ronson. »Er hat zu Lady Edith gesagt, dass sie Großmutter und mich nicht bleiben lassen soll. Er hat gesagt, dass wir nichts als Ärger machen würden und nur zwei weitere Mäuler sind, die gestopft werden müssen.«
»Aha«, sagte Niels und seufzte beinahe. Er bezweifelte nicht, dass der Mann das gesagt hatte. Wahrscheinlich sogar direkt vor dem Jungen und seiner Großmutter. Was ziemlich misslich war.
»Ich bringe Laddie jetzt am besten rein und bürste ihn«, murmelte Ronson.
Niels nickte und sah dem Jungen nach, der den großen Hund wegführte. Dann wandte er sich zu Tormod und Cawley um. Die beiden schienen zu streiten, und er fragte sich, ob sie auch für die Auseinandersetzung auf der Mauer verantwortlich waren, während er und seine Brüder darauf gewartet hatten, in die Burg gelassen zu werden. Wenn ja, machten sie jetzt einfach weiter, obwohl die Besucher bereits im Innern der Burg waren.
»Das reicht«, fauchte Tormod, als die beiden vor Niels und seinen Brüdern stehen blieben. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf sie und verkündete grimmig: »Cawley wird sich um Eure Pferde kümmern, während ich Euch zu Lady Edith bringe.«
Die fast schon unhöfliche Begrüßung veranlasste Niels, die Augen zusammenzukneifen. Dann fragte er: »Du bist derjenige, der hier während Laird Drummonds Abwesenheit das Sagen hat?«
»Aye. Unglücklicherweise bin ich das«, bestätigte Tormod. Sein Mund zuckte vor Entrüstung, bevor er sich vorstellte. »Ich bin Tormod Drummond, derjenige, der sich dafür wird rechtfertigen müssen, dass Ihr eingelassen wurdet. Und das ist Cawley Drummond, den man nicht dafür verantwortlich machen wird, obwohl Ihr es seinem Nörgeln und Drängen zu verdanken habt, dass Ihr hier seid.«
»Es war richtig, das zu tun, und das weißt du auch«, widersprach Cawley heftig. »Wenn wir die kleine Edith retten können –«
»Schon gut«, unterbrach Tormod ihn gereizt. »Ich habe sie hereingelassen, oder nicht? Trotz der Tatsache, dass Brodie mich dafür auspeitschen lassen wird.«
Niels zog die Brauen zusammen, sowohl, weil Tormod den Titel des Lairds weggelassen hatte und damit seinen Mangel an Respekt offenbarte, und andererseits, weil er andeutete, dass Brodie ihn dafür bestrafen würde, dass er ihn und seine Brüder in die Burg gelassen hatte.
»Euer Laird wird sich gewiss nicht beklagen, wenn Rory seiner Schwester das Leben rettet«, ergriff Alick ernst das Wort und trat zu Niels.
»Mein Bruder Alick«, stellte Niels ihn vor und fügte dann hinzu: »Und das sind Geordie und Rory. Und ich bin Niels.«
Tormod nickte knapp und wandte sich Alick zu, um dessen Frage zu beantworten. »Falls er ihr wirklich das Leben rettet, habt Ihr vielleicht recht. Unglücklicherweise halte ich das aber nicht für sehr wahrscheinlich.« Nach dieser grimmigen Bemerkung ging er ihnen voraus die Stufen zur Eingangstür hoch.
»Warum nicht? Woran leidet Lady Edith?«, fragte Rory interessiert und folgte dem Mann dicht auf den Fersen.
Tormod schüttelte den Kopf. »Verflucht, wenn ich das wüsste. Niemand weiß es. Es ist ganz plötzlich passiert. Zuerst hat es Laird Drummond und seine ältesten Söhne Roderick und Hamish erwischt. Der alte Laird ist gleich in der ersten Nacht gestorben, aber mit seiner Gesundheit stand es vorher schon nicht mehr zum Besten. Die beiden Jungen allerdings waren gesund und stark, sie haben drei oder vier Tage durchgehalten. Lady Edith hat sie versorgt«, fügte er hinzu, und ihm war anzuhören, dass er nicht glücklich darüber gewesen war. Der Grund dafür wurde klar, als er weitersprach: »Ich habe ihr gesagt, sie soll das lassen, damit sie sich nicht auch noch mit dem ansteckt, was die anderen gehabt hatten. Die Bediensteten hätten sie pflegen können. Aber Lady Edith hat darauf beharrt, sich selbst um ihre Brüder zu kümmern, und natürlich hatte ich recht. Kaum hatten wir ihren zweiten Bruder begraben, wurde sie selbst krank.«
»Und Brodie und seine frisch angetraute Gemahlin?«, fragte Niels und sah, dass die Lippen des Mannes schmaler wurden.
»Brodie ist in Panik geraten, als Lady Ediths Zofe krank wurde. Er fürchtete, die Krankheit würde sich im ganzen Clan ausbreiten und auch ihn und seine Frau befallen. Er hat daher beschlossen, eine Weile von hier zu verschwinden und sich in Sicherheit zu bringen.« Als sie die große Tür zum Turm erreichten, blieb Tormod stehen. Während er einen der Türflügel aufstieß, sah er Niels an und erklärte voller Bitterkeit: »Er konnte gar nicht schnell genug von hier wegkommen. Hat seine Gemahlin, deren Zofe und ein paar Kleidungsstücke gepackt und ist dann mit einer kleinen Eskorte von sechs Mann von hier weg, als wären ihm die Höllenhunde auf den Fersen.«
»Und hat es denen überlassen, die hier geblieben sind, mit dieser Angelegenheit fertig zu werden«, vermutete Niels säuerlich, während er vor seinen Brüdern durch die Tür schritt, die Tormod aufhielt.
»Aye. Genau so war es«, bestätigte der Mann empört. Er folgte ihnen ins Turminnere und ließ die Tür leise ins Schloss fallen.
»Und Lady Edith ist jetzt seit mehr als vier Wochen krank?«, fragte Rory, während sie durch die Halle gingen, in der geschäftiges Treiben herrschte. Wie lange Edith bereits krank war, hatte Saidh ihnen gesagt, und daher überraschte es sie, als Tormod den Kopf schüttelte.
»Seit ungefähr drei Wochen«, berichtigte Tormod.
»Aber unsere Schwester sagte, sie hätte den letzten Brief von Edith vor einem Monat erhalten, und darin hätte sie erwähnt, dass sie sich nicht gut fühlen würde«, sagte Niels.
»Oh, aye.« Tormod winkte ab. »Eine Woche vor dieser neuen Krankheit hat Lady Edith über Magenprobleme geklagt. Sie hatte sie aber überwunden, als die neue Krankheit vor drei Wochen zuschlug.«
»Ah.« Niels nickte. »Und ihre Brüder sind schon wenige Tage nach dem Ausbruch der Krankheit gestorben, während Lady Edith noch am Leben ist, aber sehr leidet?«
»Aye. Sie ist eine Kämpferin. Hätte sich gut als Clan-Anführerin gemacht. Besser als ihr nutzloser Bruder. Aber der hat sich irgendwo in Sicherheit gebracht und lässt es sich gut gehen, während es ihr mit jedem Tag schlechter geht.« Er rieb sich den Nacken mit einer Hand, als sie die Treppe erreichten, die nach oben führte. Während er ihnen voraus nach oben ging, sprach er weiter: »Es wundert mich, dass sie überhaupt so lange durchgehalten hat, aber es kann nicht mehr sehr lange gehen.«
»Welche Symptome zeigt diese Krankheit?«, erkundigte sich Rory.
»Bei ihrem Vater und ihren Brüdern waren es Kopfschmerzen, Benommenheit, Atemprobleme und Wahnvorstellungen. Nach dem, was ich gehört habe, ist es bei Lady Edith ziemlich dasselbe, abgesehen davon, dass ihr zusätzlich auch noch übel ist. Sie kann nichts bei sich behalten und wird von Tag zu Tag schwächer.«
Sie hatten jetzt den obersten Treppenabsatz erreicht und folgten Tormod schweigend, bis dieser vor einer der Türen stehen blieb, sich zu den Brüdern umwandte und sie prüfend ansah. Schließlich blieb sein Blick an Rory hängen. »Ihr seid der Heiler?«
»Aye«, bestätigte Rory.
Tormod nickte. »Ihr könnt jetzt reingehen. Ihr anderen wartet hier draußen.«
Niels beschränkte sich auf ein Nicken. Er verspürte ohnehin nicht den Wunsch, ein Krankenzimmer zu betreten. Verdammt, er hätte es vorgezogen, unten am Tisch zu warten, am liebsten bei etwas Bier oder Met. Aber das hatte man ihm nicht angeboten, und daher würde er vor der Tür warten müssen, bis Rory herauskam und ihnen berichtete, wie es um Edith stand.
Als Tormod die Tür öffnete, die lautlos nach innen schwang, warf Niels dennoch neugierig einen raschen Blick in das Zimmer. Auf der einen Seite des Zimmers stand ein Bett, in dem jemand lag, während auf der gegenüberliegenden Seite eine dünne grauhaarige Frau damit beschäftigt war, aus einer Phiole eine Flüssigkeit in einen großen Zinnbecher zu geben, in dem sich vermutlich Met befand. Jetzt verschloss sie die Phiole, stellte sie auf den Tisch, brachte dann der Frau im Bett den Becher und setzte sich auf die Bettkante.
»Es ist Zeit für Eure Medizin.« Ihre Worte klangen wie ein Summen.
Niels’ Blick wanderte zu der Frau im Bett. Sie hatte auf die Worte der alten Frau nicht reagiert. Reglos und stumm lag sie da, das Gesicht beängstigend blass. Ihre Haut war so weiß wie kalter Schnee im Winter. Fasziniert bemerkte er, dass ihre Haare – rot und golden – ihren Kopf wie Flammen rahmten. Jetzt näherte sich Rory dem Krankenlager und nahm Niels die Sicht.
»Was gibst du ihr?«, fragte Rory die alte Zofe, die überrascht zusammenzuckte und sich zu ihm umblickte.
»Oje, Ihr habt mich erschreckt.« Die Frau drückte eine Hand auf ihre Brust und schüttelte den Kopf. Dann runzelte sie leicht die Stirn und sah von Rory zu Tormod, der immer noch mit Niels und den anderen vor der geöffneten Tür stand. Sie musterte sie verwirrt und wandte sich an Tormod. »Wer sind diese Männer? Wieso lässt du sie in das Zimmer der Lady, wenn sie so krank ist?«
»Das sind Buchanans«, erklärte Tormod und nickte dann in Rorys Richtung, der jetzt der Alten den Becher aus der Hand nahm und daran roch. »Er ist ein Heiler. Er denkt, er kann Lady Edith helfen.«
»Nun, dem Himmel sei Dank dafür«, seufzte die Frau und stand auf. »Dann kann ich mich jetzt vielleicht etwas ausruhen. Ich fühle mich selbst nicht sehr gut, nachdem ich mich Tag und Nacht um Lady Edith gekümmert habe –« Ihre Worte brachen ab, sie blieb abrupt stehen, und ihre Augen weiteten sich, während ihr Mund ein erschrockenes »Oh« formte und sie zu schwanken begann. Sie hob die Hände an die Seiten, als könnte sie sich so abstützen, und dann sackte sie in sich zusammen.
Niels hatte schon ein paar Schritte in das Zimmer getan, kaum dass sie zu schwanken begonnen hatte. Er fing die alte Frau gerade noch rechtzeitig auf und hob sie in seine Arme. Ihm entging dabei nicht, wie blass ihr Gesicht war, und fragend sah er Tormod an. Der allerdings hatte sich bereits ängstlich von der Tür entfernt und stand jetzt hinter Alick und Geordie im Korridor.
»Gibt es hier ein anderes Zimmer, in das wir die Zofe bringen können?«, fragte Niels. Er sah zu, als Rory die Frau untersuchte. Sein Bruder hob ihre Lider, um ihre Augen zu betrachten, dann öffnete er ihr den Mund und warf einen kurzen Blick hinein. Schließlich griff er nach ihrer Hand und untersuchte die Fingernägel. Niels wartete stumm, er hatte keine Ahnung, nach was sein Bruder suchte. Es kam ihm so vor, als würde Rory das Gleiche machen wie Dougall, wenn der den Zustand eines Pferdes prüfte.
»Nein. Das hier ist das Krankenzimmer«, entgegnete Tormod schwer. »Sie hat es jetzt auch bekommen, und deshalb wird sie hierbleiben.«
»Leg sie neben Lady Edith«, sagte Rory düster und ließ deren Hand los, die kraftlos nach unten sank.
Niels trug die Zofe zum Bett und legte sie neben Edith Drummond. Als er sich aufrichtete, streifte sein Blick die jüngere Frau und verfing sich in den flammend roten Haaren, die sich über das Kissen ergossen. Sie sieht sehr krank aus, aber ihr Haar ist etwas ganz Besonderes, dachte er. Dann sah er zu, wie Rory Lady Edith auf die gleiche Weise untersuchte, wie er es einen Moment zuvor bei der Zofe getan hatte.
»Weißt du, was für eine Krankheit es ist?«, fragte Niels schließlich, während Rory ihre Lider hob, um die Augen zu betrachten. Die Pupillen waren geweitet, bemerkte Niels. Sie waren so groß, dass sie fast das leuchtende Grün ihrer Augen auslöschten, sodass kaum mehr als eine dünne Linie der Farbe übrig blieb. Er hatte keine Ahnung, was das bedeutete.
Rory antwortete immer noch nicht, sondern nahm sich die Zeit, ihren Mund von innen zu betrachten und dann eine ihrer zarten Hände zu heben und ihre Fingernägel zu untersuchen. Schließlich legte er die Hand wieder auf das Bett. Er griff nach dem Becher, aus dem die alte Zofe ihr hatte zu trinken geben wollen. Seine Lippen strafften sich, und er stellte den Becher zurück. »Es ist keine Krankheit. Es ist Gift.«
»Was?« Tormod machte Anstalten, das Zimmer doch zu betreten, aber dann blieb er zögernd an der Tür stehen. »Seid Ihr sicher? Aber Effie ist auch krank.«
»Es war auch bei ihr Gift«, versicherte Rory ihm und ging zu dem Tisch, um den Inhalt der Phiole zu prüfen, die die Frau benutzt hatte. Mit einem Stirnrunzeln verschloss er die Phiole wieder und stellte sie zurück. »Die Zofe muss etwas von dem zu sich genommen haben, worin sich das Gift befunden hat – was immer es auch gewesen sein mag.«
»Ist es in der Phiole enthalten, aus der sie etwas in das Getränk gegeben hat?«, fragte Niels.
»Ich bin mir nicht sicher«, gestand Rory und kehrte zum Bett zurück. »Es scheinen eine Menge Kräuter darin zu sein. Zu viele, um sagen zu können, ob das die Quelle ist oder nicht.«
»Aber du bist dir sicher, dass es Gift ist?«
»Aye«, sagte Rory bestimmt. »Es sind alle Anzeichen vorhanden.«
»Hmm.« Niels blickte wieder auf die blasse Frau. »Ich vermute, es ist gut, dass Saidh uns dazu gebracht hat, hierherzukommen.«
»Aye«, pflichtete Rory ihm ernst bei.
»Wird sie überleben?«
Niels sah überrascht auf und stellte fest, dass Tormod jetzt doch das Zimmer betreten hatte und neben ihn getreten war – anscheinend hatte er begriffen, dass er keine Angst mehr haben musste, sich mit irgendetwas anzustecken.
»Hoffentlich«, sagte Rory seufzend. »Sofern sie stark genug ist, um gegen die Wirkung von dem anzukämpfen, was sie bereits eingenommen hat. Und wir verhindern können, dass sie noch mehr zu sich nimmt.«
»Ihr glaubt aber nicht, dass der Laird und seine Söhne auch vergiftet wurden?«, fragte Tormod stirnrunzelnd.
»Habt Ihr nicht gesagt, dass sie alle die gleichen Symptome hatten?«, fragte Rory zurück.
»Aye. Aber sie haben nicht ihren ganzen Mageninhalt ausgespuckt wie dieses Mädchen da. Vielleicht waren sie einfach nur krank.«
Rory schüttelte den Kopf. »Sich zu übergeben zählt nicht zu den Symptomen einer Vergiftung. Es ist sogar eher so, dass es ihr wahrscheinlich das Leben gerettet hat. Ich vermute, dass Lady Edith ebenfalls vergiftet wurde wie ihr Vater und ihre Brüder, aber das Gift nicht in ihr bleiben konnte, weil sie noch unter den Wirkungen ihrer Magenverstimmung litt. Sie hat einfach nicht genug im Magen behalten, um daran zu sterben. Es hat gerade gereicht, um sie zu schwächen und krank werden zu lassen.«
»Verdammt«, flüsterte Tormod. »Also hat sich jemand darangemacht, unseren Laird und seine Erben zu töten?«
»So scheint es«, murmelte Rory, den Blick besorgt auf die beiden Frauen im Bett gerichtet.
»Was tun wir jetzt?«, fragte Niels ruhig.
Rory schwieg einen langen Moment, dann erklärte er: »Solange ich nicht weiß, um welches Gift es sich handelt, kann ich nicht viel tun.«
»Sicherlich gibt es doch irgendetwas, das Ihr ihr geben könnt«, sagte Tormod. »Ein Stärkungsmittel, das ihr helfen könnte?«
Rory schüttelte den Kopf. »Ich wage nicht, ihr irgendetwas zu verabreichen, ohne zu wissen, mit was sie vergiftet wurde. Wenn ich ihr das falsche Mittel gebe, könnte es sie umbringen. Wir können nichts anderes für die beiden tun, als ihnen Flüssigkeit einzuflößen, sie im Auge zu behalten und dann abzuwarten, was passieren wird.«
Tormod eilte sofort zur Tür. »Ich lasse eine der Zofen etwas Brühe holen und –«
»Nein«, unterbrach Rory ihn sofort. Als der alte Mann überrascht innehielt und ihn anblickte, sagte er: »Ich werde nicht riskieren, dass noch mehr Gift in ihr Essen oder ihre Getränke gelangt. Ich glaube nicht, dass eine von ihnen das überleben würde.«
Niels zog die Brauen zusammen. »Auch die alte Frau nicht? Ihr wird es sicher gut gehen? Schließlich ist Lady Edith schon seit Wochen krank, und wenn ich mich nicht irre«, fügte er hinzu und schoss Tormod dabei einen fragenden Blick zu, »ist dies das erste Mal, dass die alte Zofe irgendwelche Anzeichen von Vergiftung gezeigt hat?«
»Ihr irrt Euch nicht«, versicherte Tormod ihm. »Dies ist das erste Mal, dass Effie irgendwie krank ist, seit sie sich um das Mädchen kümmert.«
»Aye, aber Effie ist alt, und soweit ich sagen kann, hat sie nicht den Vorteil, dass sie das Gift erbricht, wie Lady Edith es tut. Wenn sie eine genügend hohe Dosis davon einnimmt …« Er musterte die alte Frau. »Sie könnte so schnell sterben wie Laird Drummond.«
Niels sah die Frau ernst an. »Das bedeutet wahrscheinlich, dass sie nicht der Giftmörder ist.«
»Wahrscheinlich nicht«, stimmte Rory ihm zu.
Seufzend wandte Niels sich an seinen Bruder. »Sag uns, was du brauchst, um sie zu versorgen, Rory, und wir werden es holen.«
»Frisches Wasser vom Brunnen, und die Zutaten für eine Brühe.« Er wandte sich an Geordie. »Vielleicht dieses Kaninchen, das du heute Morgen auf unserem Weg hierher gefangen hast, Bruder, und etwas Gemüse.«
Geordie nickte und wandte sich zur Tür um. »Ich hole das Kaninchen und die Zutaten aus meiner Satteltasche.«
»Und ich hole das Wasser«, sagte Alick und drehte sich ebenfalls um.
»Sorge dafür, dass das Wasser frisch vom Brunnen ist, Alick, und achte darauf, dass dir auf dem Rückweg niemand zu nahe kommt.«
Alick nickte und verließ mit Geordie das Zimmer.
»Was kann ich tun?«, fragte Niels.
»Wir brauchen auch noch Met oder Apfelwein. Aber ich will ein frisches Fass, um sicher zu sein, dass sich niemand daran zu schaffen gemacht hat.«
»Kommt mit. Ich gebe Euch, was Ihr braucht«, bot Tormod sofort an und führte ihn aus dem Zimmer. Sie gingen schweigend nebeneinander her, bis sie die Stufen erreichten. »Ich kann es kaum glauben«, murmelte der Mann. »Jemand hat unseren Laird und seine Söhne umgebracht.«
Niels brummte zustimmend, und seine Lippen kräuselten sich missbilligend. Hier gab es ein Problem, mit dem er nicht gerechnet hatte, als er sich einverstanden erklärt hatte, hierherzukommen. Und es war ein Problem. Er konnte Rory nicht einfach hierlassen, damit er Edith Drummond gesund pflegte, während ein Mörder auf Drummond frei herumlief und Menschen vergiftete. Er konnte auch Edith nicht einfach einpacken und nach MacDonnell zu Saidh bringen, sodass Rory sich dort in Ruhe um sie kümmern könnte. Wenn Edith es wirklich überlebte, würde sie dennoch hierher zurückkehren müssen … wo ein Mörder sein Unwesen trieb und Menschen vergiftete.
Niels und seine Brüder waren mit der Überzeugung aufgewachsen, dass es ihre Aufgabe war, die Schwachen und Bedürftigen zu beschützen, wenn sie konnten. Edith war ganz eindeutig schwach und bedürftig, und da Greer sich um seine Lieferung kümmerte, konnte er sich die Zeit nehmen, die Angelegenheit hier zu regeln und dafür zu sorgen, dass Edith vor weiteren Angriffen geschützt war.
Er presste die Lippen zusammen, als er über alles nachdachte, was Tormod ihnen bisher berichtet hatte. »Du hast gesagt, dass zuerst der Laird und seine älteren Söhne krank geworden sind?«
»Aye.«
»Und Edith ist erst erkrankt, nachdem der letzte der drei gestorben ist?«, fragte er.
»Aye.«
»Also wurde sie nicht zum selben Zeitpunkt vergiftet wie ihr Vater und ihre Brüder«, schlussfolgerte er nachdenklich.
»Nein, sie kann erst danach vergiftet worden sein«, pflichtete Tormod ihm ernst bei. »Wie auch die Zofen.«
»Aye.« Niels runzelte die Stirn.
»Was denkt Ihr?«, fragte Tormod.
»Ich denke, wenn sie und die Zofen zur selben Zeit vergiftet worden wären wie der Laird und seine älteren Söhne, würde ich Brodie als Erklärung in Betracht ziehen«, gab Niels trocken zu.
»Weil er der Einzige ist, der vom Tod seiner älteren Brüder und seines Vaters profitiert hat, während die Vergiftung Lady Ediths und der Zofen zufällig geschehen sein könnte.« Tormod nickte. »Als die drei Drummonds gestorben sind, dachte ich noch, dass das für Brodie sehr praktisch sein muss. Ohne diese Todesfälle hätte er niemals eine Chance gehabt, Laird zu werden.«
»Aye«, pflichtete Niels ihm bei. Dann schüttelte er den Kopf. »Aber es gab keinen Grund, auch Edith zu vergiften. Sie ist das jüngste Kind, oder?«
»Das ist sie. Also hat er nichts von ihrem Tod«, sagte Tormod, fügte aber sogleich hinzu: »Abgesehen davon, dass sie dann aus dem Weg wäre. Brodies Frau hat sich aus Lady Edith nicht sehr viel gemacht.«
»Nicht?«, fragte Niels interessiert.
»Nein«, versicherte Tormod ihm. »Bevor all dies passiert ist, war ihre Beziehung bestenfalls lauwarm, aber als der alte Mann starb und seine zwei älteren Söhne den gleichen Weg zu gehen schienen, wurde Brodie vorübergehend Laird – bis die Männer sterben oder sich doch noch erholen würden. Lady Victoria betrachtete sich bereits als Herrin der Burg und versuchte, die Bediensteten herumzukommandieren. Die ließen sich das aber nicht gefallen. Seit dem Tod ihrer Mutter war Lady Edith hier die Herrin, und die Bediensteten waren es gewohnt, sich an sie zu wenden und von ihr geleitet zu werden. Wenn also Lady Victoria ihnen einen Befehl gegeben hat, sind sie erst zu Lady Edith gegangen, um von ihr zu hören, ob sie ihn ausführen sollten oder nicht. Und das hat Lady Victoria wütend gemacht.«
»Hmm«, murmelte Niels, dann schüttelte er den Kopf. »Trotzdem hätte Brodie seine Schwester leicht zu den Nonnen schicken können, um sie loszuwerden, wenn seine Frau ihn darum gebeten hätte. Abgesehen davon erklärt das nicht, warum die Zofen vergiftet wurden.«
»Nein.« Tormod runzelte die Stirn. »Und die alte Effie ist auch Lady Victorias Zofe. Lady Victoria mag sie sehr, ich bin sicher, dass sie sie nicht vergiftet hat.«
»Lady Victoria ist ohne ihre Zofe aufgebrochen?«, fragte Niels überrascht. Er wusste zwar, dass seine Schwester das so zu tun pflegte, aber ihm war auch klar, dass die meisten Ladies nicht ohne eine Zofe reisen würden, die ihnen beim Ankleiden und anderen Dingen half.
»Nein, das nicht. Sie hat ihre jüngere Zofe mitgenommen«, antwortete Tormod. »Effie war Lady Victorias Amme, als diese ein Kind war, und wurde später ihre Zofe. Jetzt ist sie eine alte Frau und nicht mehr so schnell wie früher. Deshalb wurde eine zweite Zofe eingestellt, ein junges Mädchen, das Effie zur Hand gehen sollte. Die jüngere Zofe begleitet jetzt Lady Victoria, und Effie blieb hier. Lady Victoria fürchtete, dass die Reise für die alte Frau zu beschwerlich sein könnte, nachdem sie gerade erst angekommen war.«
»Hmm«, murmelte Niels und dachte eine Weile darüber nach, eher er fragte: »Ist Lady Ediths Zofe gestorben?«
»Nein. Sie hat sich erholt.« Tormod blickte ernst drein. »Sie hilft jetzt mit in der Küche.« Sein Mund zuckte, als wäre er über etwas verärgert. Dann fügte er hinzu: »Sie wollte sich unbedingt um ihre Herrin kümmern, aber Lady Edith hat ausdrücklich gesagt, dass Moibeal von ihr ferngehalten werden soll. Sie wollte nicht, dass das Mädchen wieder krank wurde, so wie sie selbst. Sie wusste ja nicht, dass sie alle in Wirklichkeit vergiftet wurden.«
Niels nickte.
»Wisst Ihr«, sprach Tormod weiter, »wenn sich das Gift im Weinfass befunden hat, könnte Lady Ediths Erkrankung auch nur eine unbeabsichtigte Begleiterscheinung sein, während die eigentliche Absicht des Täters gewesen ist, den Laird und seine älteren Söhne zu töten.«
»Aye«, pflichtete Niels ihm bei, aber er hielt dennoch dagegen. »Allerdings würden die Zofen kaum Wein trinken. Zumindest tun sie das nicht auf Buchanan. Dort bleibt der Wein der Familie vorbehalten, während die Bediensteten und Soldaten Bier trinken, Apfelwein oder Wasser.«
»Aye, das ist hier genauso«, bestätigte Tormod. »Und sie hätten sicherlich auch keinen haben sollen, aber das schließt nicht aus, dass sie nicht doch welchen gehabt haben könnten.«
»Hmm«, murmelte Niels und nahm sich vor, mit der Zofe zu reden.
Das Grollen einer gewaltigen Explosion weckte Edith. Sie öffnete die Augen und versuchte, sich zu orientieren. Als das Geräusch erneut erklang, wandte sie den Kopf in die Richtung, aus der es gekommen war – und sah einen Mann, der zusammengesunken auf dem Stuhl gleich neben dem Bett saß. Er war die Ursache des Lärms. Was sie geweckt hatte, war keine Explosion gewesen, sondern sein dröhnendes Schnarchen. Du lieber Gott, noch nie hatte sie ein so lautes und erschreckendes Geräusch gehört.
Edith starrte den Mann irritiert an und fragte sich, ob er der Teufel höchstpersönlich war und was er in ihrem Zimmer wollte. Und jetzt bemerkte sie auch die Frau, die neben ihr im Bett lag, und musterte sie in einer Mischung aus Verwirrung und Sorge. Sie erkannte sofort, dass es Victorias Zofe Effie war. Nichtsdestotrotz verwunderte es sie, sie in ihrem Bett vorzufinden. Und dass die alte Frau schrecklich krank aussah, machte es nicht gerade besser. Effie war leichenblass, jede Unze Farbe schien von ihrer dünnen, faltigen Haut gewichen zu sein. Und sie lag so reglos da, dass Edith nicht einmal sicher war, ob sie überhaupt noch atmete. Sie befürchtete schon, Effie könnte tot sein, aber dann sah sie, dass deren Brustkorb sich leicht hob und senkte …
Erleichtert stieß Edith den angehaltenen Atem aus und schaute sich im Zimmer um. Für gewöhnlich war es aufgeräumt und ordentlich, aber im Augenblick sah es aus, als hätte in ihm tatsächlich eine Explosion stattgefunden. Auf dem Nachttisch lag umgekippt ein Becher, daneben standen zwei leere Schüsseln und ein weiterer Becher. Auf dem Nachttisch auf der anderen Bettseite befanden sich eine Brotkruste und noch ein Becher und eine Schüssel. An der ihrem Bett gegenüberliegenden Wand entdeckte Edith ein auf dem Tisch stehendes Fass. Außerdem standen dort weitere Zinnbecher und Schüsseln, dazwischen fanden sich kleine Haufen braun gewordener Gemüsereste. Es lag sogar etwas da, das aussah wie ein frisch abgezogenes Kaninchenfell.
Edith fragte sich, wer in ihrem Zimmer eine Feier veranstaltet hatte, während sie geschlafen hatte. Als sie ihren Blick weiterschweifen ließ, bemerkte sie die Säcke, die gegen eine der Wände gelehnt standen. Es waren vier insgesamt, aus denen verschiedene Dinge ragten: Stoff, Gemüse, Waffen. Und die Binsenmatten auf dem Boden waren zerdrückt oder zur Seite geschoben worden; sie waren eindeutig stark benutzt worden. Gut sichtbare Spuren führten sowohl von der Tür zum Bett und zum Tisch als auch von Tisch und Bett zum Kamin. Über dem kleinen Feuer hing ein ein Topf, in dem irgendetwas köchelte.
Edith wusste nicht, was sie von all dem halten sollte oder davon, dass an ihrem Bett ein Mann saß, der wie ein Schutzengel wirkte, wenn auch wie ein sehr lauter.
Vielleicht war er aber auch nur einer der Wachmänner.
Dieser Gedanke beunruhigte Edith. Sie wusste, dass sie einige Zeit krank gewesen war. Das Durcheinander in ihrem Zimmer deutete darauf hin, dass es sogar eine ganze Weile gewesen war. Was war währenddessen auf Drummond geschehen? Hatte einer der verfeindeten Clans die Burg überfallen, nachdem man vom Tod ihres Vaters und ihrer Brüder erfahren hatte, entschlossen, den Vorteil auszunutzen?
Diese Vermutung war besorgniserregend, besonders, da sie nicht in der Lage gewesen war, sich verteidigen zu können. Ihr Bruder Brodie, sosehr sie ihn auch liebte, war total verzogen und zählte nicht unbedingt zu den tapfersten Männern. In einer solchen Situation würde er nutzlos sein, davon war sie sie überzeugt.
Sie biss sich auf die Lippe und musterte argwöhnisch den Mann, der auf dem Stuhl neben dem Bett kauerte. Er war groß, hatte breite Schultern und ein junges, aber durchaus hübsches Gesicht. Ein völlig Fremder, keiner von den Drummond-Männern. Ihr Blick ging wieder zu Effie, und sie stieß sie mit dem Ellbogen an, hoffte, dass die Frau aufwachen und ihr sagen würde, was während ihrer Krankheit vorgefallen war. Als der erste Stupser nichts bewirkte, versuchte Edith es erneut, fester diesmal, aber auch das führte zu nichts.
Edith beschloss, die Frau schlafen zu lassen, und setzte sich auf, versuchte es zumindest. Es war außerordentlich anstrengend, sich auch nur aufzurichten. Sie fühlte sich so schwach wie ein Säugling und musste sich erst auf die Seite drehen und die Beine aus dem Bett schieben, bis die Füße den Boden berührten. Erst danach gelang es ihr, sich aufzusetzen.
Außer Atem und schweißnass von einer Bewegung, die ihr eigentlich hätte leicht fallen sollen, saß Edith etwas schwankend auf der Bettkante und schaute zur Tür. Ihre Kammer war nicht sehr groß, die Tür nur etwa sechs lange Schritte vom Bett entfernt. Doch nach der Anstrengung musste sie erst einmal eine Weile ausruhen; selbst diese sechs Schritte kamen ihr schrecklich weit vor.
Sicher wäre es leichter gewesen, den schnarchenden Mann zu wecken, aber solange Edith nicht wusste, ob er ein Freund oder ein Feind war, zog sie das besser erst einmal nicht in Betracht. Wenn sie also wissen wollte, was auf Drummond vor sich ging und ob sie in Sicherheit war oder nicht, musste sie das Zimmer verlassen und sich umsehen. Und das wollte sie lieber tun, ohne ihre Wache zu wecken.
Zu allem entschlossen holte Edith tief Luft, dann nahm sie ihre ganze Kraft zusammen, um aufzustehen. Sie stemmte sich mit den Händen vom Bett hoch, erhob sich mühsam und stand einen herrlichen Moment lang aufrecht da – und stürzte mit dem Gesicht voran zu Boden. Just in dem Moment, in dem die Tür geöffnet wurde.
»Verdammt, Alick! Du solltest doch auf sie aufpassen – Laddie! Nein!«
Edith öffnete ein Auge und schloss es sofort wieder, als nur wenige Zoll vor ihrem Gesicht eine große Zunge auftauchte. Im gleichen Moment spürte sie, wie diese ihr sehr feucht über das Gesicht fuhr. Sie rümpfte die Nase, lauschte den Schritten, die eilig das Zimmer durchquerten. Jetzt fiel ihr auch auf, dass das Schnarchen aufgehört hatte, und dann rief eine zweite männliche Stimme erschrocken: »Was? He! Wo ist sie?«
»Idiot«, murmelte der Mann, der sich jetzt neben sie kniete. Edith war sich nicht sicher, wen er meinte, und es interessierte sie auch nicht wirklich. Sie war in diesem Moment einfach nur dankbar, dass Laddie aufhörte, sie liebevoll zu lecken. Als sie die Augen öffnete, zog der Mann den Hund soeben am Halsband zur Tür.
»Ronson!«, brüllte er.
»Ojee! Niels? Wie ist sie aus dem Bett gekommen?« Edith war sich ziemlich sicher, dass diese Frage von dem Mann kam, der eben noch so laut geschnarcht hatte.
»Wie wohl, Alick?«, knurrte der erste Mann und brüllte dann wieder: »Ronson! Oh, da bist du ja. Schaff diesen Köter von hier weg.«
»Entschuldigung, Mylord«, rief Ronson und packte Laddie am Halsband. »Er ist mir einfach weggelaufen. Er kann da ziemlich hinterhältig sein. Aber er hat nur Lady Edith vermisst und – wieso liegt Lady Edith auf dem Boden? Was – ?«
»Raus«, knurrte Niels. »Sofort!«
»Aye, Mylord«, sagte Ronson und zog Laddie mit sich, als er rückwärts zur Tür ging. Dabei strahlte er Edith an. »Es ist wirklich schön zu sehen, dass Ihr wach seid, Mylady. Wirklich schön. Ich bringe Laddie wieder her, wenn es Euch besser geht.«
Die letzten Worte erklangen nur noch gedämpft, weil der Mann, den Alick Niels genannt hatte, die Tür zugeschlagen hatte.
Edith hörte Niels etwas vor sich hin murmeln, als er mit großen Schritten zu ihr zurückkam. Es klang, als würde er sich über Narren, Jungen und Hunde auslassen, die in Wirklichkeit Pferde wären. Dann kniete er sich neben sie, drehte sie herum und hob sie hoch. Sie hatte mit dem Gesicht voran auf den Binsenmatten gelegen. Die Binsen waren schmutzig und begannen zu schimmeln, sie mussten ganz offensichtlich ausgetauscht werden. Edith nahm sich vor, den Bediensteten aufzutragen, die Matten wegzuschaffen und neue auszulegen.
»Das mit dem Hund tut mir leid«, brummte Niels und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Er folgt mir zwar überall hin, aber normalerweise bleibt er auf dem Gang, wenn ich dieses Zimmer betrete.«
»Aye, Laddie folgt Niels überall hin, sobald er dieses Zimmer verlässt«, teilte Alick ihr mit ernster Miene mit. »Genauso wie der kleine Ronson. Die beiden mögen ihn anscheinend.« Er schürzte die Lippen, schüttelte den Kopf und fügte hinzu: »Keiner von uns versteht so richtig, wieso.«
Niels’ Antwort darauf klang wie ein leises Knurren.