Ein Kessel Böses - Katharina Rosenplenter - E-Book

Ein Kessel Böses E-Book

Katharina Rosenplenter

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Beschreibung

Es gibt zahlreiche Schwierigkeiten im Umgang mit Menschen. Da gibt es Leute, die wollen einfach nicht sehen, was im Leben nicht so gut läuft und reden alles schön. Daneben gibt es auch Menschen, die schon als Person seltsame Käuze sind. Und darüber hinaus kann es Probleme im Alltag geben, die kein menschliches Mitwirken nötig haben und trotzdem zur Stolperfalle werden können.

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Inhalt

Ein Kessel Böses

Unmögliche Tatsachen

Sie kommt doch aus so einem guten Haus

Er ist ja eigentlich ein guter Junge.

Er ist ja nicht dumm

Wir hatten auch schöne Tage

Kein böses Wort

Ich hab doch nur Spaß gemacht

Sie ist ja so sensibel

Diese jungen Dinger!

Unser...

Von seltsamen Zeitgenossen

Adel verpflichtet

Die Unsichtbaren

Der Doktordoktor

Ein böses Ende

High noon oder zwölf Uhr mittags.

Mein Kind sitzt schon...

Mein Kind sitzt schon II

Rabenmutter

Der Schnorrer

Der Vertreter

Das wahrhaft Unmenschliche

Das verflixte Telefon

Der Fluch der modernen Technik oder die verfluchte Technik

Fernsehen bildet

Kaputt

Schummeln, aber richtig

Ein Kessel Böses

Hier wird ein ganzes Sammelsurium von kleinen oder auch größeren Bösartigkeiten geboten. Diese lassen sich scheinbar nicht ordnen, aber haben eins gemeinsam: Sie zeigen die Hilflosigkeit des Menschen gegenüber Tatsachen und Mitmenschen. Dabei gibt es eine literarische Gattung, die genauso dies für sich in Anspruch nimmt: Die Satire. Satire ist sehr bösartig und macht deswegen Vergnügen, ist aber leider sehr der Aktualität unterworfen. Dinge, über die man sich ausgeschüttet hat vor Lachen, sind in der nächsten Woche schon wieder vergessen, ganz gemäß der Redensart, dass da schon wieder eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird. Sie Satire, um die es hier geht, ist da etwas beständiger. Da geht es um Tatsachen, die man einfach nicht wahrhaben will, um seltsame Menschen und um Gegebenheiten des Alltags, die den Menschen oft recht hilflos und dämlich wirken lassen. Diese Form hat aber in der Literatur durchaus ein Vorbild, nämlich die Originalform der Satire. „Die Satire ist ganz und gar unser Eigentum“ pflegten die alten Römer zu sagen. Und sie meinten damit, dass sie alle anderen Formen der Literatur von den Griechen abgekupfert hatten, nur nicht die Satire. Und der Begriff „Satire“ meint ursprünglich eine große Art von Salatschale, in der es leicht ist, die Zutaten zu mixen. Und damit sind wir sehr nahe bei dem Begriff „Ein Kessel Buntes“. Aber während dieser nur fröhlich unterhalten sollte, handelt es sich hier um die schon erwähnten Gemeinheiten. Daher ist die Bezeichnung „Ein Kessel Böses“ hier viel eher angebracht. Und diese bestehen aus unmöglichen Tatsachen, schrulligen Mitmenschen und dem Fluch der alltäglichen Dinge, die einem, ohne dass man etwas dafür kann, das Leben schwer machen.

Unmögliche Tatschen

Irren ist menschlich, das ist ein allgemein bekanntes und oft benutztes Sprichwort. Aber wie es so oft bei der Verwendung von lateinischen Spruchweisheiten typisch ist, das ist nur die halbe Wahrheit. Die zweite Hälfte des Spruches lautet nämlich etwa so, dass das Beharren auf dem Irrtum teuflisch ist. Und damit ist das erste Drittel der hier erzählten Geschichten hinreichend erklärt. Sie beruhen nämlich im Wesentlichen auf irrigen Annahmen, die die Wahrheit verschleiern und die Realität schönreden wollen. Christian Morgenstern verwendet hier in seinen Galgenliedern die Metapher: „Daraus schließt er messerscharf, dass nicht sein kann, was nicht sein darf“. Für derartige Ereignisse wird eine irgendwie geartete Beschönigung angeführt, die die Realität leugnet und dann sogar das genaue Gegenteil meint. Die deutsche Sprache kennt hierfür zahlreiche Redensarten, die zwar alle dem achten Gebot entsprechen, genauer gesagt dem Kleinen Katechismus von Luther, da heißt es nämlich zum Ge- oder Verbot: du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten – man solle ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren. Aber es gibt eine ganze Sammlung von Sprüchen, die eigentlich darauf hinauslaufen, dass sie das genaue Gegenteil meinen von dem, was sie eigentlich ausdrücken wollen. Damit beschäftigt sich der erste Teil des Buches. Die Wahrheit der Aussagen ist im zweiten Teil nicht mehr so schwierig, hier handelt es sich um die Beschreibung von seltsamen Käuzen, die einem einen gewissen Gleichmut abverlangen, aber das Ganze ist dann eher lustig. Und der dritte Teil erzählt dann von den Tücken des Alltags, denen der normale Mensch so ausgesetzt ist. Man wird dabei an die Erlebnisse des Mr. Bean erinnert, aber dessen skurrile Abenteuer werden ganz und gar nicht nacherzählt, sondern die geschilderten Erlebnisse habe sich tatsächlich genauso zugetragen, ehrlich, sie sind alle selbst erlebt, und beruhen auf eigener Erfahrung, da ist nichts abgekupfert. Auch wenn es so scheint, dass die menschliche Fantasie nicht ausreicht, es hat sich alles genauso zugetragen. Zu Bedenken wegen des Urheberrechtes: Die geschilderten Begebenheiten sind samt und sonders selbst erlebt, und nicht irgendwo abgeschrieben. Nur die Namen der beteiligten Personen sind verändert, ebenso die Orte.

Sie kommt doch aus so einem guten Haus...

Aus einem guten Haus? Was ist das eigentlich? War sie adlig, war sie reich, war ihr Vater ein Universitätsprofessor? Und dann so etwas! Die Redensart meint, dass das, was sie getan hat, so gar nicht zu ihrer Herkunft passen will. Da war etwa der Freiherr und Minister, der mit seiner Doktorarbeit massiv geschummelt hat, obwohl viele meinten, als Freiherr von und zu bracht er gar keinen Doktortitel, aber nein, das kann nicht gemeint sein, die Sache mit dem guten Haus bezieht sich immer auf ein weibliches Wesen. Sie hat also massiv gegen das verstoßen, was man als bürgerliche Norm versteht.

Da fiel mir dann eine Nachbarin ein, die schräg über uns gewohnt hat. Wie es dazu gekommen ist, dass sie unsere Nachbarin wurde? Nun, im West-Berlin der 50er Jahre wurde die Stadtautobahn gebaut und dazu viele Häuser abgerissen. Die Bewohner bekamen als Ausgleich eine Neubauwohnung zugewiesen. So ging es auch meinen Eltern und mir, ich war damals etwa zehn Jahre alt, und es war schon ein ganz schön zusammengewürfeltes Häufchen, was da in die Neubaublocks einzog. Wie gesagt, unsere Nachbarin schräg über uns, die trug sogar ein „von“ in ihrem Namen, aber trotzdem wollte meine Mutter nicht, dass wir Kontakt hatten. Sie trug wirklich einen berühmten Namen, ihr Vater war im ersten Weltkrieg ein bekannter Marineoffizier gewesen, dem Kaiser Wilhelm ein größeres Objekt seines Lieblingsspielzeugs Flotte anvertraut hatte, und seine Heldentaten sind in Deutschland weithin bekannt. Sie hingegen hatte irgendwann einen Herrn Theuerkauf geheiratet, die Ehe hatte aber nicht lange gehalten, lediglich eine Tochter war aus dieser Verbindung geblieben. Die war damals etwa sechzehn Jahre alt, also für ein Kind von zehn Jahren uninteressant, aber meine Mutter wies mich immer wieder darauf hin, dass ich der aus dem Weg zu gehen hätte. Bei Frauen dieser Generation war übrigens eine Scheidung unüblich, und sie hätte ohne Probleme angeben können, ihr Mann sei im Krieg gefallen, aber das hatte sie nicht getan, sondern nach der Scheidung ihren Familiennamen wieder angenommen. Nur das Fräulein Theuerkauf passte da nicht so ganz dazu. Unsere Nachbarin hatte das gelernt, was alle höheren Töchter lernen sollten, nämlich Steno und Schreibmaschine, aber sie war offensichtlich nicht in der Lage, sich ihren Lebensunterhalt als Tippse zu verdienen. Warum, das habe ich sehr viel später erfahren. Jedenfalls wohnte sie zunächst standesgemäß in Wilmersdorf in einer noblen Altbauwohnung, und nach dem Krieg war es da üblich, diverse Untermieter zu beherbergen, um die Miete aufzubringen. Aber sie tat noch mehr. Praktisch jeden Abend „ging sie aus“. Damit trug sie nicht unwesentlich zu ihrem Lebensunterhalt bei. Ihre kleine Tochter ließ sie allein zurück und erwartete, dass die den Haushalt schmiss. Das alles habe ich sehr viel später erfahren, und ich konnte mir mit zehn Jahren noch keinen rechten Reim darauf machen, inwieweit abendliches Ausgehen dazu dient, Geld zu beschaffen. Woher man das alles wusste? Nun, unsere Nachbarin Tür an Tür war eine der größten Klatschbasen aller Zeiten, die kannte Gott und die Welt, war aber andererseits auch so hilfsbereit, dass man nicht auf sie verzichten konnte. Und die wusste nun alles. Und sie hatte eine gute Bekannte, die wiederum eine Nachbarin der Frau von und zu gewesen war und über deren Privatleben bestens Bescheid wusste. Frau Von und Zu leugnete übrigens hartnäckig, diese Frau jemals gekannt zu haben.

Nun lagen diese Neubausiedlungen am Stadtrand. Und das war nun ihr Problem. In einer Neubausiedlung auf der Pampa kann man nicht „ausgehen“, also fiel diese Geldquelle schon mal weg. Und das bedeutete, sie musste sehen, wie sie die Miete bezahlen konnte. Also rückte sie mit ihrer Tochter die inzwischen etwa achtzehn Jahre alt war, in der Zwei-Zimmerwohnung zusammen und vermietete das andere Zimmer an einen Studenten. Das war zwar nicht gestattet im sozialen Wohnungsbau, aber kein Hahn krähte danach. Zunächst wohnte dort ein Student aus Ghana. Der zahlte nun nicht nur Miete, sondern arbeitete offensichtlich das Geld in Naturalien ab, jedenfalls lief die Tochter plötzlich mit einem dicken Bauch herum. Meine Mutter, die mich von diesen Nachbarn schon seit jeher ferngehalten hatte, achtet nun noch mehr darauf, dass ich ja keinen Kontakt hatte, obwohl ich an Studenten aus Ghana nicht das geringste Interesse hatte. Als nun rauskam, was da passiert war, flog dieser achtkantig aus der Wohnung. Aber damit waren ihre Geldsorgen wieder da. Zwar kam das Kind leider tot zur Welt, aber. Die Tochter zog kurz nach dieser Geschichte aus, weil sie es geschafft hatte, einen soliden Mann zu heiraten. Nun war die finanzielle Lage geradezu verzweifelt, weil auch noch das Kindergeld wegfiel, volljährig wurde man damals erst mit 21, und es ging das Gerücht, dass die Räumungsklage so gut wie sicher war. Aber nun passierte ein Wunder.

Es zog ein neuer Student ein, Kurt Müller, der einen Abschluss als Elektroingenieur anstrebte und eine Anstellung bei Siemens schon so gut wie sicher hatte. Der schaffte es, dass erstmal Ordnung in die Finanzen kam. Als Ingenieur war er beispielhaft pingelig, und so ereichte er, dass es auch erstmal so blieb. Und dann heiratete er sie, so dass aus ihr eine Frau Müller wurde. Wobei der Altersunterschied leider sehr deutlich sichtbar war, insbesondere weil Kurti eine lang aufgeschossene Hungerharke war, der man ein Vaterunser durch die Rippen pusten konnte, während sie für eine Walküre oder Germania hätte Modell stehen können.

Ihr Leben änderte sich schlagartig, sie wurde zum Gesundheitsfanatiker und Naturapostel, obwohl man damals das Wort „Grüne“ noch gar nicht schreiben konnte. Beide gingen gemeinsam joggen, damals hieß das noch Waldlauf, und es ist mir ein Rätsel, wie sie es geschafft haben, bei derartig unterschiedlichen Kleidergrößen einheitliche Sportkleidung aufzutreiben. Sie wurde auch zur Vegetarierin und beschwerte sich deswegen bei der Nachbarin, die unter ihr wohnte, wenn diese Fleisch kochte, weil sie den Geruch nicht ertragen konnte. Die schon erwähnte Nachbarin führte nun mild ausgedrückt ein exzentrisches Leben. Sie verdiente ihre Brötchen damit, dass sie Examensarbeiten von Studenten tippte, dass war noch vor dem Computerzeitalter, und da drängte der Abgabetermin oft so, dass sie auch nachts durcharbeitete. Deswegen schlief sie meistens bis Mittag und ging gegen drei Uhr morgens ins Bett. Jedenfalls dachte sie sich nichts dabei, gegen zehn Uhr abends mal einen Apfelkuchen zu backen. Dagegen kann auch niemand etwas haben, denn das macht keinen Lärm und der Duft von frischen Kuchen ist etwas Köstliches. Nicht für Ihre Übermieterin. „Sie Böse sie, sie haben ja schon wieder Fleisch gekocht!“ Unsere Nachbarin schüttelte dazu nur den Kopf. „Ein Rezept für Apfelkuchen mit Fleischeinlage müssen sie mir erst mal geben!“

Auch sonst wurde sie eine frühe Grüne. „Kurti hat schon wieder einen Auftrag für ein Großprojekt in Brasilien.“ Er überlegt, ob er das mit seinem Gewissen vereinbaren kann, weil da die Natur zerstört wird. Sie lehnte übrigens auch die herkömmliche Medizin ab. Die vergiften uns ja nur! Sie schwor auf Tees und Kräuter. Im Übrigen entdeckte sie jetzt die schöngeistig intellektuelle Seite in sich. Sie schaffte es, eine Sonderprüfung abzulegen, die zum Hochschulstudium berechtigte. Und sie studierte dann auch Philosophie. Weil sie wusste, dass ich auch studierte, gab sie mir mal eine Arbeit von sich zum Lesen, wie ich das fände, es ging da über den Philosophen Hegel. Ich verstand gar nichts, aber es las sich ganz toll. Aber weil ich von Philosophie nicht allzu viel verstehe, gab ich das Ding meinem Mann zu lesen, der das Fach immerhin studiert hatte. Er überflog das Werk, fing schallend an zu lachen und sagte, das Ganze wäre absoluter Blödsinn.

Ähnlich war es mit ihren Versuchen der Malerei. Sie malte, abstrakt. Und sie zeigte ihrer Nachbarin, die, wie gesagt, unter ihr wohnte, das Bild, welches sie für ihr Meisterwerk hielt. Diese betrachtet das Bild und sagte dann; Ja schön, aber ist das nicht verkehrt rum gehängt? Also auch das nicht. Diese Nachbarin hat sie übrigens mal als Aushilfe beschäftigen wollen, weil es mit einem Termin für eine Examensarbeit wirklich pressierte, und da stellt sich heraus, dass sie erstens extrem langsam arbeitete, und dann eine Seite mit vielen Tippfehlern äußerst intensiv mit flüssigen Tipp-Ex behandelt hatte, also war die ganze Geschichte unbrauchbar. Als Schreibkraft hätte sie sich nicht ihren Lebensunterhalt verdienen können.

Leider nahm es dann mit ihr ein trauriges Ende. Sie lehnte wie schon erwähnt Medikamente als Gift ab, und obwohl sie beide so gesund lebten, litt sie an hohem Blutdruck, sie bekam vom Arzt Tabletten verschrieben, nahm sie aber nicht, und eines Tages hörten wir die Sirene mit Blaulicht, und sahen wie eine Trage durch Treppenhaus bugsiert wurde. Es stellte sich heraus, dass sie mit den Tabletten hätte alt werden können, aber da sie sie nicht genommen hatte, hat sie das nicht überlebt. Kurti organisierte übrigens eine anonyme Urnenbestattung, löste die Wohnung auf und zog nach Nürnberg, und wir haben nie wieder etwas von ihm gehört.

Dass sie aus einem so guten Haus kam, hat ihr letztendlich also überhaupt nichts genützt.

Er ist ja eigentlich ein guter Junge.

Die Betonung liegt hier auf eigentlich, denn der Junge ist alles andere als gut. Manchmal ist der gute Junge schon mit einem Bein in Gefängnis, aber auf jeden fall hat er ganz schön Dreck am Stecken, und die lieben Angehörigen wollen es nicht wahrhaben. Es gibt zwar auf gut Berlinisch den Spruch: Jut isser ja, bloß toogen tut er nischt. Aber der eigentlich gute Junge ist da ein anderer Fall, taugen tut er sowieso nichts, aber gut ist er nur in den Augen der Angehörigen, die sich da gründliche Illusionen machen. Es ist übrigens immer nur ein guter Junge, nie ein gutes Mädchen. Vielleicht ist er das Gegenstück zu der Frau aus gutem Haus, nur ist er an Lebensalter viel jünger.

Zu diesem Spruch fällt mir der Neffe von Tante Albertine ein. Die war zwar nicht meine Tante, aber sie wurde von allen so genannt. Wie schon erwähnt, waren meine Eltern mit mir in eine Neubausiedlung gezogen, die am Stadtrand aus der Erde gestampft worden war. Dort herrschten nun eigene Gesetzmäßigkeiten, aber das ist jetzt ein anderes Thema. Die Siedlung grenzte an ein altes Villenviertel, so dass sich auf der anderen Straßenseite wunderschöne Gründerzeitvillen erhoben, in einer dieser Villen wohnte nun Tante Albertine. Sie kam wirklich aus einem guten Haus, aber sehr viel mehr hat sie in ihrem Leben auch nicht getan. Sie hatte die Villa von ihren Eltern geerbt und einen Herrn Becker geheiratet, der Oberpostrat gewesen war, zu meiner Zeit war der schon längst verblichen. Aber Tante Albertine verzehrte nun die schöne Beamtenpension und lebte standesgemäß in ihrem Elternhaus. Kinder hatte sie zwar selbst nie gehabt; aber für die zugegeben wenigen Kinder der Nachbarschaft war sie die gute Tante. Wenn man ihr die Tasche nach Hause trug oder die Wege harkte, dann gab es ein Fünfmarkstück, damals sehr viel Geld. Und so fand sich immer jemand, der ihre Einkäufe besorgte, und ihre Gartenwege waren immer sehr sauber. Meine Eltern duldeten das zwar nicht, aber ich hätte mir gerne mal was zuverdient. Aber: Unsere Tochter macht so was nicht! Hieß es dann. Soweit so gut. Aber das war noch Klaus-Dieter. Der war der Sohn von Tante Albertines Bruder, und er hatte noch eine ältere Schwester, Sabine, die war etwas älter als ich. Als Kinder verstand ich mit ihr gar nicht, erst später, als wir beide studierten, kamen wir uns näher, und da erfuhr ich auch so einiges. Klaus-Dieter war ein sehr kränkliches Kind gewesen, daher waren seine Eltern um ihn maßlos besorgt. Er wurde rundum verwöhnt, wenn er etwas nicht essen wollte, brauchte es das nicht, sondern bekam Leckerbissen, die sich meine Eltern grundsätzlich nicht leisten konnten. Wir Kinder konnten ihn nicht leiden, weil er ständig Sonderrechte forderte. Beim Hopse-Spielen wollte er zwei Übertretungen Vorsprung, beim Versteckspielen sollte man sagen, wo man war, und beim Fangenspielen wollte er zweimal freigestellt werden. Weil er doch so schwächlich war. Und wenn er nicht das bekam, was er wollte, dann warf er sich hin und schrie, bis er blau anlief. Er kriegte auch folgendes fertig: er warf sich hin und heulte los wie ein Nebelhorn, und auf die besorgte Nachfrage seiner Mama greinte er: Sabine hat mich gehauen! Das stimmte gar nicht, aber Sabine wurde trotzdem bestraft. Überhaupt lief Sabine nur so mit, weil sie nur ein Mädchen war. Klaus-Dieter musste aufs Gymnasium, und trotz zahlreicher Nachhilfestunden schaffte er es immer gerade noch so, während Sabine auf ihrem Anschlusszeugnis in der zehnten Klasse als schlechteste Note eine Zwei in Kunst hatte. Aber: Das Mädchen heiratet ja doch, Gymnasium ist rausgeschmissenes Geld, wie ihr Vater meinte. Aber er konnte es nicht verhindern, dass Sabine eine Ausbildung als Rechtsanwaltsgehilfin machte, und so erfolgreich, dass sie die Lehre vorzeitig beenden konnte. Und sie wurde von ihrer Kanzlei übernommen und verdiente auch als Berufsanfängerin nicht schlecht. Und mit dem 21. Geburtstag, das war damals noch das Datum der Volljährigkeit, zog sie aus. Sie hatte ein solides finanzielles Polster im Hintergrund und konnte es sich leisten, das Abitur auf der Abendschule nachzuholen. Auch mit Unterstützung ihres Arbeitgebers, der auf seine bewährte Kraft nicht verzichten wollte. Danach begann sie ein Jurastudium, und da sie das Fachgebiet aus dem FF kannte, legte sie ein Prädikatsexamen hin, ohne wie die meisten Juristenkinder, die in die Fußstapfen ihres Vaters treten sollen, einen Repetitor zu brauchen. Und obwohl sie keinen Anspruch auf ein Stipendium hatte, weil ihre Eltern zu viel verdienten, schaffte sie es, sich ihren Unterhalt mit einer Bilderbuchklage gegen ihre Eltern zu sichern. Ihr Vater war empört. Wir haben keine Tochter mehr, wie konnte sie uns das antun, nach allen, was wir für sie getan haben. Sie trat nun nicht etwa in die Kanzlei ihres Brötchengebers ein, sondern wurde Staatsanwältin, heiratete einen in der Szene gut bekannten Galeristen und gehörte zu den Leuten, die was darstellten. Ihre Eltern, die jetzt versuchten, mit der Tochter, die was geworden war, zu renommieren, hielt sie aber weiter auf Distanz.

Ganz anders Klaus-Dieter. Der schummelte sich in der Schule immer gerade so durch und war nicht sehr beliebt, weil seine kleinen Tricksereien auch bei seinen Mitschülern anwenden wollten. Aber dann kam er in die Pubertät. Die ist oft ein Ereignis, bei der sich die Mütter beklagen, man hätte ihr Kind vertauscht. Aus einer grauen Maus wird ein Paradiesvogel, aus dem Zappelphilipp ein absolut ruhiger Bürger, aus dem Gifthaken der sozial engagierte Jugendleiter, aber auch aus dem kleinen Klugscheißer ein ausgesprochener Blödmann. Aus dem kleinen schwächlichen Klaus-Dieter wurde ein Bulle von fast 1, 90 Meter, und der schlechte Schüler wurde politisch. Er lehnte die repressive faschistoide Muffigkeit seines Elternhauses ab, was ihn allerdings nicht daran hinderte, die Vorzüge des Hotel Mama weiterhin genießen, aber er trieb sich mit Gleichgesinnten herum, kam spät, wenn überhaupt nach Haus. Seine verfilzten Haare hingen schulterlang über seinen speckigen Parka, in seinem Zimmer prangte ein Poster von Che Guevara, und er trat dem SKZ bei, das war das Sozialistische Schülerkollektiv Zehlendorf. Das lehnte die Repression durch die Lehrer ab und trieb mehrere von ihnen in den vorzeitigen Ruhestand. Dann lernte er Maja kennen, die war die Tochter eines Bauunternehmers, aber ein Scheidungskind, und bekam von ihrem Vater so viel Geld wie sie wollte. Mit ihr lernte Klaus-Dieter auch solche Dinge wie Hasch oder Preludin kennen, das war damals die Modedroge. Maja lief genauso herum wie Klaus-Dieter, und aus der Ferne waren sie kaum zu unterscheiden. Beide kamen auf die Idee, den Zwängen hierzulande zu entfliehen, und sich auf den Weg nach Indien zu machen. Das dafür notwendige Geld konnte Maja nicht von ihrem Vater einfordern, das wäre ihm doch zu weit gegangen. Aber da war ja noch Tante Albertine. Die war die einzige, zu der Klaus-Dieter nett und zuvorkommend war. Kein Wunder, sie war ja auch eine nicht versiegende Geldquelle. Sie bewunderte alles was er machte, und sie glaubte trotz seiner Eskapaden an ihn. Er ist ja eigentlich doch ein guter Junge. Der gute Junge schaffte nun tatsächlich, ihr das für den Indientrip notwendige Geld aus dem Kreuz zu leiern. Zufällig wurde ich Zeuge der Szene, wie sie mit Klaus-Dieter und Maja zur Bank ging, um ihnen das Geld auszahlen zu lassen. Die beiden trugen ausnahmsweise mal saubere Klamotten, wozu die Haarzotteln einen scharfen Kontrast bildeten. Klaus-Dieter musste seinen Ausweis vorzeigen, ein total zerfleddertes Ding, was es immer bei sich trug, weil das bei Demos wichtig war, wenn man festgenommen wurde. Und genauso sah der Ausweis auch aus. Aber aus dem Indientrip wurde nun