Ein Leuchtturmsommer voller Geheimnisse - Maren Graf - E-Book

Ein Leuchtturmsommer voller Geheimnisse E-Book

Maren Graf

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Sommerabenteuer, wir kommen! Die 10-jährige Lucie ist ein echter Wirbelwind, stürmisch wie die Nordsee und ohne neues Abenteuer zappelig wie ein Dorsch auf dem Trockenen. Ein Glück, dass sie mit ihrer Familie die Sommerferien bei ihrer Oma auf einer kleinen Hallig hoch oben im Norden verbringen darf. Denn hier macht sie eine unglaubliche Entdeckung: Besitzt der Leuchtturm ihrer Oma etwa magische Kräfte?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über das Buch

Sommerferien, ein alter Leuchtturm und ein zauberhaft kribbelndes Geheimnis

 

Die 10-jährige Lucie ist ein echter Wirbelwind, stürmisch wie die Nordsee und ohne ein neues Abenteuer zappelig wie ein Fisch auf dem Trockenen. Ein Glück, dass sie mit ihrer Familie die Sommerferien bei ihrer Oma auf einer kleinen Hallig hoch oben im Norden verbringen darf. Denn hier macht sie eine unglaubliche Entdeckung: Besitzt der alte Leuchtturm ihrer Oma geheimnisvolle Kräfte?

 

Willkommen auf der kleinen Hallig: Lustig, spannend und einfach bezaubernd!

 

 

Von Maren Graf ist bei dtv außerdem lieferbar:

Tinka Knitterflügel – Heldin in Ringelsocken (Band 1)

Tinka Knitterflügel – Pleiten, Pech und Feenstaub (Band 2)

Maren Graf

Ein Leuchtturmsommer voller Geheimnisse

Mit Illustrationen von Annabelle von Sperber

Es gibt diese Orte, von denen geht ein Zauber aus.

Manchmal ist es ein wundersames Flüstern, das aus alten Mauern spricht. Manchmal eine Anziehungskraft, die Du Dir nicht erklären kannst. Und manchmal ist es nur ein leichtes, warmes Kribbeln auf Deiner Haut.

Aber was es auch ist – Du spürst es genau:

Das hier ist ein magischer Ort.

Kapitel 1

Ein Klecks im Nordsee-Nirgendwo

Lucie ist wach, noch bevor ihr Wecker überhaupt klingeln kann.

»Erster!«, ruft sie und verpasst ihm einen satten Schlag auf den Schalter. »Da musst du schon früher aufstehen.«

Mit einem Satz springt sie aus dem Bett, greift nach der Gardine und zieht sie mit einem energischen Ratsch zur Seite.

Zack, da ist sie. Die Insel. Genauer gesagt: die Hallig. Ein winziges Stück Land mitten im Nordsee-Nirgendwo. Ihr neues Zuhause für die nächsten zwei Wochen.

Für einen kurzen Moment betrachtet sie dieses ungewöhnlich flache grüne Land mit seinen weiten Wiesen. Platt wie ein Klecks Erbsensuppe liegt es vor ihr. Das Einzige, das man außer Schafen, Vögeln und glitzernden Wassergräben von hier aus sehen kann, ist Omas alter Leuchtturm in einiger Entfernung. Wie ein zu groß geratener Schornstein ragt er neben dem buckeligen Reetdach ihres Häuschens in den Himmel.

Ein eher wunderlicher Turm aus dunkelroten Backsteinen. Ganz oben mit einer rundherum verglasten Fensterfront, um die sich ein schmaler Balkon windet. Darüber sitzt ein schwarzes Kuppeldach und auf dessen Spitze eine Metallflagge, die hinaus aufs Meer zeigt.

»Ich bin mir sicher, dass du ein paar Geheimnisse versteckst«, murmelt Lucie.

Dass der Leuchtturm etwas ganz Besonderes ist, hat sie sofort gespürt.

Und überhaupt. Diese ganze Insel steckt so voller neuer und aufregender Dinge – Lucie hat schon tausend tolle Pläne gemacht. Ihr superduper Hallig-Geheim-Projekt steht bereits in den Startlöchern. Sie kann es kaum erwarten loszulegen.

Rasch schlüpft sie in frische Klamotten. Eine kurze Hose und das knallrote Shirt. Sie schnappt sich ein Haargummi vom Nachttisch und fummelt die vorderen Strähnen ihrer schulterlangen Haare zu einem Zopf zusammen. Dann nimmt sie ihr Skateboard aus der Reisetasche und wirft es sich vor die Füße. Tür auf und schon saust Lucie durch den Flur, rüber ins Wohnzimmer der Ferienwohnung und … geradewegs in ihre kleine Schwester hinein. Die Fünfjährige plumpst mit dem Po auf das rollende Brett und wird von Lucie mitgeschoben.

»Achtung, gefährliche Lieferung!«, ruft Lucie und fährt Florine einmal um den Esstisch. Ihre Schwester lacht und gibt laute Piep-Töne von sich. Wie ein Lkw beim Rückwärtsfahren.

»Lucilla Magdalena Holmberg!« Mamas Stimme dröhnt aus der Küche. »Ich habe dir schon hundertmal gesagt, dass Skateboards in der Wohnung nichts zu suchen haben. Sonst bau ich dir bald die Räder ab.«

Oh, oh, denkt Lucie. Ein »Lucilla Magdalena Holmberg« schon am frühen Morgen. Mamas Laune scheint die lange Anreise nicht gut überstanden zu haben. Papa sitzt am Frühstückstisch und verzieht das Gesicht zu einer warnenden Miene. Lucie versteht sofort und bremst lieber ab.

»Na komm, Florinchen. Erst mal Müsli essen«, sagt Lucie, lädt ihre Schwester ab und stellt ihr Gefährt neben den Tisch. Die Müslischalen stehen bereits auf ihren Plätzen. Papa schiebt ihnen die Dose mit den Haferflocken rüber. Dazu mischt Lucie Rosinen, Kokosflocken und ihre Lieblings-Krachmacher-Brocken. Ohne die ist ein Müsli kein Müsli. Richtig laut knuspern muss es. Bis es zwischen den Ohren scheppert.

»Und, Lucie, was hast du heute vor? Am ersten richtigen Tag der Sommerferien?«, fragt Papa und sieht sie über seine Zeitung hinweg an. In seinem Bart hängen ein paar Krümel Toastbrot.

»Oooch«, macht Lucie. Sie braucht unbedingt noch eine gute Tarnung für ihr geheimes Projekt. Auf keinen Fall dürfen ihre Eltern davon Wind bekommen! Vor allem Mama nicht. Die würde das sofort verbieten. So viel steht fest. Wenn es nach ihr ginge, würde Lucie die nächsten zwei Wochen lang still auf einem Stuhl sitzen. Damit sie bloß nichts anstellt.

»Ich … schau mich ein bisschen auf der Insel um. Dieser Jonne will mir alles zeigen.« Das hat der Junge aus der Nachbarschaft zumindest gestern angeboten, als er frische Milch und ein Willkommensgeschenk vorbeigebracht hat. »Aber vorher gehe ich noch kurz zu Oma rüber.«

»Zu Oma muss ich auch noch«, verkündet Mama. »Später.«

Sie wirft Papa einen dieser Erwachsenen-Blicke zu. Aber Lucie weiß genau, worum es geht.

Oma Friedel ist nämlich der wahre Grund, warum sie hier auf der Hallig sind. Nicht wegen Mamas Forschungsprojekt in der Vogelwarte. Und auch nicht, weil Papa sich mal von der Arbeit erholen muss. Nein. Der eigentliche Grund ist, dass Mama Oma überreden will, aufs Festland zu ziehen. Zu ihnen nach Frankfurt.

Aber so wie es aussieht, hat Oma Friedel darauf gar keine Lust. Und solange Mama damit beschäftigt ist, eine Oma-Lösung zu finden, hat Lucie genug Zeit für ihre eigenen Pläne und kann sich vor allem ein wenig vor den Augen und Ohren ihrer Mutter verstecken.

»Versprich mir, dass du keinen Blödsinn anstellst, Lucie, hörst du?«, mahnt sie, als hätte sie ihre Gedanken gelesen. »Keine wilden Abenteuer. Keine Experimente. Und lass bitte die anderen Bewohner in Ruhe. Wir sind hier nur zu Gast und ich will nicht …«

»Ja, ja, alles klar«, murrt Lucie. Mama macht sich immer viel zu viele Sorgen.

»Na, das klingt doch prima«, sagt Papa und schlägt knisternd die Zeitung zu.

Lucie schiebt noch einen Löffel Krachmacher-Brocken-Müsli nach. Krrscht, krrrrrscht, krrrscht, macht es in ihrem Mund. Ungeduldig schaut sie aus dem Fenster hinüber zum Leuchtturm. Ihr rechtes Bein hibbelt aufgeregt unterm Tisch.

Rasch löffelt sie ihre Schüssel leer und schlürft den letzten Rest Milch heraus. Dann klemmt sie sich ihr Skateboard unter den Arm und flitzt los.

»Tschüss, Mama, viel Spaß, Papa, bis später, Flo«, ruft sie noch und ist im nächsten Moment durch den Flur geflitzt, in ihre Turnschuhe gesprungen und nach draußen gestürmt. Nichts und niemand kann sie aufhalten. Die Vorfreude kitzelt und zwickt in ihrem Bauch. Denn Lucie ist sicher: Das wird ein riesiges Super-Spezial-Abenteuer. Keine Frage.

Kapitel 2

Oma Friedel

Lucie hopst den schmalen Plattenweg zu Omas Haus hinauf. Wie alle Häuser der Hallig steht es auf einer Warft – einem Hügel aus leuchtend grünem Gras. Der soll es bei Sturmflut vor dem Wasser schützen. Wenn das Meer die ganze Insel überschwemmt.

Mama hat erzählt, dass bei solchen Fluten nur noch die Kuppen der Warften aus dem Wasser schauen. Und dass die Wellen dann bis an den Gartenzaun schlagen. Das muss man sich mal vorstellen!

So eine Sturmflut würde Lucie zu gerne mal miterleben. So richtig »Land unter«. Mit Überschwemmung und Schafsrettung und allem Drum und Dran.

Wer weiß, vielleicht hat sie ja Glück und es passiert genau in der Zeit, in der sie hier auf Lüchtermoor ist. Dann hätte sie in der Schule mal ordentlich was zu erzählen.

Heute allerdings sieht es nicht danach aus. Das Meer liegt blau und ruhig um die Hallig. Die Sonne wirft ein Glitzern über die seichten Wellen und über den Wiesen lassen sich die Vögel treiben. Oma Friedels Häuschen liegt gemütlich auf seinem Hügel und genießt die Aussicht.

Lucie stellt ihr Skateboard neben die Tür und klopft an.

»Ist offen«, kommt es von drinnen.

Lucie wirft noch rasch einen Blick hinüber zum Leuchtturm, der nur ein paar Meter weiter an der Uferkante steht. Neugierig schaut er aus seinen kleinen Fenstern zu ihr herunter. Neugierig? Oder eher warnend? Als wüsste er genau, was sie vorhat ...

»Wart’s ab«, flüstert sie und schlüpft ins Haus.

»Du kommst gerade recht«, flötet Oma aus der Küche. Gleichzeitig strömen Lucie hunderttausend interessante Gerüche entgegen. Es duftet nach Kräutern und Früchten und Gewürzen. »Ich habe frischen Tee aufgegossen. Geh doch schon mal in die Stube.«

Lucie läuft geradewegs rüber ins kleine Wohnzimmer.

Bei Oma Friedel ist alles irgendwie winzig. Die Zimmerdecke hängt tief über den kleinen Fenstern mit den kurzen, gehäkelten Gardinchen. In der Mitte des Raumes stehen ein paar muckelige Sessel um einen niedrigen Tisch. Und auf dem Tisch warten Mini-Teetassen mit putzigen Henkeln.

Das einzig Große in Oma Friedels Haus ist der breite Holzschrank an der hinteren Wohnzimmerwand. Der macht sich so dick und breit, dass für mehr Möbel gar kein Platz ist.

»Wie schön, dass du da bist, Lucie.« Oma kommt mit einer Kanne Tee herein. »Ich freue mich sehr, dass ihr endlich mal alle auf der Hallig seid.«

Sie setzt sich schwungvoll in einen der Sessel und stellt den Tee ab. Fast gleichzeitig springt sie wieder auf und läuft zurück in die Küche.

»Hab ich doch glatt das Wichtigste vergessen, ich Schusselchen«, lacht sie. Lucie schaut ihr nach und überlegt, ob sie sofort die Gelegenheit ergreifen sollte, um … Aber da ist Oma auch schon wieder da. In ihren Händen hält sie eine weiße Porzellandose, die sie in der Mitte des Tisches platziert. Mit ihren 75 Jahren flitzt sie durchs Haus, als hätte sie sich Lucies Skateboard unter die Füße geschnallt. Komisch, dass Mama behauptet, Oma könne nicht mehr alleine wohnen. Lucie hat den Eindruck, als wäre sie fit wie ein junger Hamster.

»Wie geht es deiner Schulter?«, fragt Lucie und deutet auf Omas linken Arm, der gestern Abend bei ihrem ersten Besuch noch in einem Verband gesteckt hat.

»Ach, alles halb so schlimm«, winkt Oma ab. »Das heilt schon wieder.«

Als Mama vor ein paar Tagen erzählt hat, dass Oma die Treppe runtergestürzt ist, klang es ziemlich schlimm. Aber jetzt sieht es fast so aus, als wäre nichts gewesen. Schon seltsam.

»Erzähl doch mal!«, sagt Oma. »Was hast du denn schon alles gesehen?«

Lucie lässt sich in einen der Sessel plumpsen. Nah genug an dem großen Schrank und dieser einen bestimmten Schublade.

»Schafe, Vögel, Wiesen …«, zählt sie auf und guckt Oma dabei zu, wie sie zuerst ein paar Stückchen Kandiszucker aus der Dose in die Tassen klirren lässt und anschließend den duftenden Tee hineingießt. Es dampft und knistert geheimnisvoll.

»Schafe, Vögel und Wiesen … soso«, schmunzelt Oma.

Lucie schüttelt den Kopf. Kurz war sie abgelenkt. Sie muss sich dringend etwas einfallen lassen, damit sie Oma Friedel aus dem Raum locken kann. Allerdings steht alles, was sie für stundenlanges Teetrinken brauchen, bereits auf dem Tisch.

»Was machst du eigentlich den ganzen Tag?«, fragt Lucie deshalb, um ein bisschen Zeit zum Nachdenken zu gewinnen.

»Ach, so dies und das«, sagt Oma und schlürft vorsichtig von ihrem Tee. »Ich kümmere mich um den Garten und die Kräuter. Halte das Haus in Ordnung …«

»Auch den Leuchtturm?«, platzt es aus Lucie heraus.

So ein Mist. Genau danach wollte sie eigentlich nicht fragen.

»Den Leuchtturm?« Oma sieht sie überrascht an. Lucie versteckt sich schnell hinter ihrer Tasse und pustet in den Dampf.

»Nein«, erwidert Oma knapp. »Da gibt es nichts mehr zu tun.«

»Ach so«, sagt Lucie. Auch wenn sie am liebsten noch weitergefragt hätte.

Über ihren Tassenrand hinweg sieht sie, wie Oma die Lippen zusammenkneift. Aber um keinen Verdacht zu erwecken, lässt Lucie ihren Blick durchs Zimmer schweifen.

An den Wänden hängen kleine Bilderrahmen mit getrockneten Pflanzenblättern. Und ein paar Fotos. Auf einem ist auch der Leuchtturm zu sehen. Zusammen mit Oma Friedel, als sie noch jünger war. So ganz genau kann man das vom Sessel aus aber nicht erkennen. Das Bild ist schon ziemlich alt und unscharf.

»Und was hast du heute noch so vor?«, fragt Oma in das Schweigen hinein.

Oh Mann, schon wieder diese Frage. Lucie braucht endlich eine gute Ausrede.

Aber zum Glück klopft es in genau diesem Moment an der Tür. Lucie entfährt fast ein Seufzer der Erleichterung. Und noch ein zweiter, als Oma sich erhebt und im Flur verschwindet.

Blitzschnell schießt Lucie von ihrem Platz hoch. Sie springt zu dem großen Schrank rüber. Welche Schublade war es noch mal? Die zweite von links? Oder die dritte?

Bei ihrem gestrigen Besuch war sie nur zufällig draufgestoßen. Kurz bevor Mama sie ermahnt hatte, nicht immer alles anzufassen.

Lucie zieht eine der beiden Schubladen auf. Doch die ist leer. So ein Obermist.

Aus dem Flur hört sie, wie die Haustür geöffnet wird.

Eilig versucht sie die andere Schublade. Aber auch die ist leer.

Verflixt!

Hat Oma den Inhalt etwa weggeräumt? Lucie stutzt. Ihre Augen suchen den ganzen Schrank ab. Wo könnte er nur …

»Hallo, Jonne«, dringt Omas Stimme in die Stube.

Lucie stellt sich auf die Zehenspitzen. Und da entdeckt sie ihn endlich! Versteckt hinter einem kleinen Milchkännchen liegt er – der silberne Schlüssel mit dem verzierten Griff. Mit seinen hübschen Ornamenten und dem geheimnisvollen Glanz erinnert er beinahe an einen alten Schatzschlüssel. Und als Lucie ihn hervorzieht, erscheint an seiner Spitze sogar ein kleiner funkelnder Kristall. Wunderschön sieht er aus, denkt Lucie und streicht mit den Fingern darüber.

Als sich aber Schritte nähern, nimmt sie den Schlüssel rasch an sich und stopft ihn in die Hosentasche. Gerade noch rechtzeitig macht sie einen Schritt vom Wandschrank weg, bevor Oma mit Jonne in die Stube kommt.

»Möchtest du eine Tasse Tee, Jonne?«, fragt Oma.

Doch Lucie fährt schnell dazwischen: »Also eigentlich müssen wir jetzt los.«

Sie schiebt ihre Hand in die Tasche, damit Oma die Umrisse des Schlüssels nicht sieht. Das kalte Metall prickelt in ihren Fingern. Das schlechte Gewissen auch.

»Was habt ihr denn so Dringendes vor?«

»Äh …«

»Ich zeige Lucie ein bisschen die Hallig. Den Bootsanleger, die Kirche, den Strand«, sagt Jonne. Er tippt mit seiner Hand auf eine Karte, die in seiner Hosentasche steckt. Daneben baumeln eine kleine Taschenlampe und ein Kompass. Als wolle er zu einer großen Expedition aufbrechen.

»Ja, genau«, bestätigt Lucie. »Wir wollen nach Muscheln suchen und … äh, Bernstein. Je schneller wir da sind, desto mehr gibt es noch. Man weiß ja nie, wer sich morgens so am Strand rumtreibt«, schnattert sie drauflos, während sie sich schon an Oma vorbei in den Flur drängelt.

Oma Friedel schaut verwundert. Jonne zieht eine Augenbraue hoch. Wahrscheinlich erzählt Lucie gerade den größten Blödsinn. Aber wenn sie aufgeregt ist und erst einmal den Mund aufgemacht hat, dann kann sie ihn so schnell nicht wieder schließen.

»Danke für den Tee, Oma. Wir bringen dir einen besonders großen Bernstein mit. Einen richtig schönen. Also nachher. Wenn wir vom Strand wiederkommen. Den ganzen langen, weiten Weg …«

Lucie schnappt Jonne bei der Hand und zieht ihn mit zur Tür.

»Zappelig wie ein Aal auf dem Trockenen.« Oma Friedel schüttelt lachend den Kopf. »Genau wie ich in deinem Alter.«

Sie winkt zum Abschied und schaut ihnen nach. Wie sie den Hügel runterlaufen, nach links abbiegen und am Zaun entlang den Weg zum Strand einschlagen.

Dass Lucie und Jonne allerdings nur so weit laufen, bis sie im Schatten der Vorgartenbüsche verschwinden, kann Oma Friedel nicht sehen. Auch nicht, wie Lucie sich nach allen Seiten umschaut, über den Gartenzaun klettert und Jonne zur Rückseite des Hauses lotst.

Und das ist auch besser so.

Kapitel 3

Der Leuchtturm

»Also genau genommen ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass wir hier bei uns einen Bernstein finden«, erklärt Jonne, als er Lucie hinterher über den Zaun klettert. »Und das hier ist auch nicht der richtige Weg zum Strand …«

Lucie hört ihm nur halb zu und stapft stattdessen zielstrebig den Hügel wieder hinauf und zum Leuchtturm. Mit einem Blick versichert sie sich, dass Oma nicht gerade aus dem einzigen Fenster schaut, das in ihre Richtung zeigt. Als die Luft rein ist, geht sie direkt auf die Tür des Turmes zu.

»Äh …« Jonne bleibt plötzlich stehen. »Du weißt schon, dass der Leuchtturm verboten ist, oder? Und abgeschlossen ist er auch.«

Lucie dreht sich zu ihm um und grinst. Sie zieht den Schlüssel aus ihrer Tasche, steckt ihn ins Schloss und dreht ihn um. Mit einem leisen Quietschen öffnet sich die schwere Holztür.

»Hereinspaziert!«, verkündet sie und winkt ihn herbei.

Doch der Junge schüttelt den Kopf. »Man darf nicht auf den Tu rm. Der ist schon seit Jahren gesperrt.«

Lucie seufzt. Offenbar ist dieser Jonne kein großer Abenteurer. Das hat sie schon befürchtet. Aber da er weit und breit das einzige Kind in ihrem Alter ist und sie für ihren Plan definitiv einen Partner und Ortskundigen braucht, muss sie wohl damit leben. In ein paar Tagen wird sie ihm sicherlich das Wichtigste beigebracht haben.

»Kommst du jetzt mit oder willst du hier draußen stehen bleiben, wo dich jeder sehen kann?«

Jonne tritt unschlüssig von einem Fuß auf den anderen. Erst schaut er sich um, dann zu Lucie und dann ins Innere des Leuchtturmes. Schließlich gibt er sich einen Ruck und schiebt sich mit einem Grummeln an ihr vorbei in den Turm.

Na bitte, denkt Lucie, ein bisschen Neugier steckt also auch in Jonne. Damit kann man arbeiten.

Sie folgt ihm durch die Tür und zieht sie vorsichtig und leise hinter sich zu. Es klickt im Schloss.

Und mit einem Mal ist es ganz still.

Und dunkel.

Nur durch ein kleines Fenster weiter oben fällt ein staubiger Sonnenstrahl. Wie in einen verwunschenen Turm.

Augenblicklich taucht Lucie in eine vollkommen andere Welt ein.

»Wahnsinn.« Sie legt den Kopf in den Nacken und schaut hinauf. Ein Schneckenhaus aus steinernen Stufen windet sich über ihnen in die Höhe, begleitet von einem verschnörkelten Treppengeländer.

»Schau dir das an!«, sagt sie und fährt mit der Hand über das verzierte Metall. Die Stäbe des Geländers verlaufen nicht gerade von oben nach unten, sondern bilden Bögen und geschwungene Muster. An manchen Stellen formen sie sogar Wellen, Schiffe und seltsame Zeichen.

Auch Jonne steht staunend davor und betrachtet die einzelnen Elemente. Um besser sehen zu können, schaltet er sogar seine Taschenlampe an. Scheinbar ist er in seinem ganzen Leben noch nie hier drin gewesen, obwohl der Turm immer genau vor seiner Nase stand.

»Siehst du. Hat sich doch schon gelohnt«, sagt Lucie und nutzt den Augenblick seiner Faszination. »Alles halb so wild. Wir klettern nur kurz hoch, schauen uns ein bisschen um, genießen die tolle Aussicht und schwuppdiwupp sind wir wieder unten.«