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Suzette ist eine reiche Erbin auf der Suche nach einem Ehemann. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Frauen wünscht sie sich einen Mann, der selbst mittellos ist. Daniel Woodrow scheint der ideale Kandidat: Er ist gutaussehend, aus adligem Hause und ... vollkommen verarmt. Suzette ist überglücklich. Aber Daniel spielt nicht mit offenen Karten. In Wahrheit verbirgt er seinen Reichtum, weil er nicht will, dass eine Frau ihn nur seines Vermögens wegen heiratet. Doch wie lange kann er dieses Geheimnis vor Suzette bewahren?
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Seitenzahl: 499
Titel
Zu diesem Buch
Prolog
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Die Autorin
Die Romane von Lynsay Sands bei LYX
Impressum
LYNSAY SANDS
gewissen Vorzügen
Roman
Ins Deutsche übertragen
von Susanne Gerold
Zu diesem Buch
Suzette Madison steckt in einer verzwickten Lage: Als reiche Erbin sollte sie eigentlich keinerlei Probleme haben, die Spielschulden ihres Vaters zu begleichen. Doch ohne eine Heirat bleibt ihr der Zugang zum Vermögen verwehrt. Suzette muss daher schnellstmöglich einen Ehemann finden, am besten einen, der selbst völlig mittellos ist und so dankbar für die Mitgift, dass er ihr den Zugang zu ihrem Erbe ermöglicht. Als sie auf Daniel Woodrow trifft, scheint ihr Wunsch in Erfüllung zu gehen: Daniel sieht nicht nur furchtbar gut aus, er ist auch vollkommen verarmt – der perfekte Heiratskandidat!
Doch Daniels leidenschaftliche Küsse lassen sie schnell erkennen, dass eine Ehe mit ihm mehr bieten könnte als bloß Geschäftliches.
Was sie nicht ahnt, ist, dass Daniel den verarmten Lord nur spielt, weil er nicht will, dass eine Frau ihn nur seines Vermögens wegen heiratet. Nie hätte er damit gerechnet, mit seiner angeblichen Mittellosigkeit bei Suzette Begeisterungsstürme auszulösen. Fasziniert von der reizenden Schönen, die kein Blatt vor den Mund nimmt, beschließt er, das Spiel mitzuspielen. Zumal er bald an nichts anderes mehr als die Hochzeitsnacht denken kann …
Prolog
»Es ist noch nicht einmal richtig Tag, und trotzdem ist hier schon so viel los.«
Suzette nickte zu der Bemerkung ihrer Schwester, sagte aber nichts, sondern blickte weiter durch das Fenster der Kutsche nach draußen. Wohin sie auch fuhren, auf allen Straßen herrschte emsige Betriebsamkeit. Im Gegensatz zu dem schläfrigen Dorf in der Nähe des Anwesens, auf dem sie geboren worden waren und lebten, war London faszinierend und aufregend. Oder hätte es für Suzette sein können, hätte sie sich nicht im Stillen Sorgen um ihren Vater gemacht.
»Glaubst du, dass wir Vater im Stadthaus treffen werden?«, fragte Lisa, als hätte sie ihre Gedanken erraten.
Suzette seufzte, dann lehnte sie sich wieder zurück. Ihr Blick streifte die zwei anderen Frauen in der Kutsche. Ihre eigene Zofe Georgina war zehn Jahre älter als sie, was sich in der stillen Haltung zeigte, mit der sie durch das gegenüberliegende Fenster auf die Gebäude der anderen Straßenseite blickte. Lisas Zofe Bet war dagegen genau so jung wie Lisa; das Mädchen bebte nahezu vor Aufregung. In ihrem sommersprossigen Gesicht stand lebhafte Ehrfurcht, während auch sie nach draußen starrte.
»Ich hoffe es«, sagte Suzette schließlich und sah ihre Schwester wieder an.
Lisa sank ebenfalls müde auf ihren Platz zurück. Suzette runzelte die Stirn, als sie die dunklen Ringe um ihre Augen und die blasse Haut bemerkte. Lisa hatte das herrlich helle Haar und den ebenso hellen Teint ihrer Mutter geerbt, und ihre Haut wirkte immer ein bisschen wie Porzellan – etwas, worum Suzette sie oft beneidet hatte. Allerdings beneidete sie ihre Schwester gar nicht darum, wie ihre Haut reagierte, wenn sie zu wenig geschlafen hatte. Dann verdunkelte sich der Bereich um die Augen, und es entstand der Eindruck, als würden sie tief in den Höhlen liegen. Unglücklicherweise hatten sie in der letzten Zeit vor lauter Sorgen und wegen der anstrengenden Reise beide nicht viel Schlaf bekommen.
»Was tun wir, wenn er nicht da ist?«, fragte Lisa und starrte dabei stumpfsinnig aus dem Fenster.
Suzette spürte, wie sich ihre Lippen bei der Vorstellung strafften. Seit ihr Vater vor einem Monat nach London aufgebrochen war, hatten sie nichts mehr von ihm gehört. Dabei hatte sich Lord Cedrick Madison nur deshalb in die Stadt aufgemacht, um ein paar Geschäftspapiere zu unterschreiben. Er hatte ihnen versichert, dass er zum Wochenende wieder zurück sein würde. Er hätte sogar noch früher zurückkehren können, hatte sich aber vorgenommen, bei ihrer Schwester Christiana vorbeizuschauen, wenn er schon mal in London war. Christiana war die älteste der drei Madison-Töchter; sie hatte ein Jahr zuvor Richard Fairgrave geheiratet, den Earl von Radnor. Danach waren die beiden in Richards Stadthaus in London gezogen.
Suzette vermisste ihre ältere Schwester. Sie machte sich auch leichte Sorgen, denn die Briefe, die sie und Lisa regelmäßig an sie geschrieben hatten, waren nie beantwortet worden. Eine Weile hatten sie sich dabei nicht einmal etwas gedacht. Sie wussten, dass sich Chrissy an viele neue Dinge gewöhnen musste und zweifellos sehr beschäftigt war. Vermutlich, dachten sie, ließ ihr das aufregende Leben in London nur wenig Zeit für irgendwelche Korrespondenz. Als dieser Zustand aber immer länger angedauert hatte und nach wie vor nie eine Antwort kam, hatten sie angefangen, sich ernsthafte Gedanken zu machen. Daher waren sie erleichtert gewesen, dass ihr Vater die Gelegenheit nutzen würde, nach Chrissy zu sehen.
Allerdings war er nicht wie erwartet am Wochenende mit guten Nachrichten über eine glückliche Christiana zurückgekehrt. Er war überhaupt nicht zurückgekehrt. Zwei Wochen später hatte Suzette einen Brief nach London geschickt, in dem sie sich nach seinem Wohlbefinden erkundigte und ihn fragte, ob er etwas von Christiana gehört hatte. Als sie am Ende der dritten Woche immer noch nichts von ihm gehört hatten und auch ein weiterer Brief von ihr und ein zusätzlicher von Lisa keinerlei Reaktion nach sich zogen, hatte Suzette es vor Sorge und Ungewissheit nicht mehr ausgehalten. Fast kam es ihr so vor, als würde London die Familienmitglieder der Madisons nach und nach verschlucken. Sie war zu dem Schluss gekommen, dass sie selbst in die Stadt reisen und herausfinden musste, was los war. Es hatte sie nicht sehr überrascht, als Lisa darauf bestanden hatte, sie zu begleiten.
So hatten sie sich also auf den Weg gemacht, zusammen mit ihren Zofen und vier Dienern, die verhindern sollten, dass sie von irgendwelchen Wegelagerern für leichte Beute gehalten wurden. Das hatte anscheinend auch gut funktioniert, denn sie waren auf ihrem Weg nach London nie behelligt worden und standen kurz davor, das Stadthaus der Familie zu erreichen. Dann würden sie hoffentlich schon bald erfahren, was eigentlich vor sich ging.
»Wenn er nicht da ist, werden wir versuchen, herauszufinden, wo er ist«, antwortete Suzette schließlich. Sie war froh, dass Lisa nicht nachfragte, wie sie das genau bewerkstelligen wollte, denn sie hatte nicht die geringste Ahnung. Sie waren beide zum ersten Mal in London, und sie hatte keinen blassen Schimmer, was sie hier erwartete. Bisher war es nicht sehr beeindruckend. Die Stadt schien aus lauter sich dicht an dicht drängenden Gebäuden zu bestehen, über denen eine dicke Wolkendecke aus Seekohlenrauch hing. Suzette führte es darauf zurück, dass an diesem kalten Morgen zu viele Kamine angezündet worden waren. Sie bevorzugte eindeutig das ruhige, stille Leben auf dem Land, wo sie immerhin den Himmel sehen konnte.
Obwohl sich das Londoner Stadthaus der Madisons seit Generationen im Besitz ihrer Familie befand, hatte Suzette es noch nie zu Gesicht bekommen, und so wurde ihr erst klar, dass sie angekommen waren, als die Kutsche plötzlich anhielt. Neugierig musterte sie es, während sie aus der Kutsche stieg. Es war ziemlich groß und wirkte beeindruckend, aber nun ja, es gehörte immerhin der Familie ihrer Mutter, und die Seftons waren bekanntlich ziemlich wohlhabend gewesen. Ihren Großvater hatte man sogar als »alten Geldsack« bezeichnet, weil er so viel Geld geerbt und gehortet hatte. Geld, das er seinen Enkelinnen vermacht hatte. Jede der Madison-Schwestern hatte ein Drittel der Mitgift erhalten, was genügt hätte, ihnen nach ihrem Debüt sämtliche Mitgiftjäger auf den Hals zu hetzen. Allerdings war es dazu nicht gekommen, da ihr Großvater darauf bestanden hatte, dass diese Angelegenheit ein Geheimnis blieb.
»Ganz schön prächtig, was?«, murmelte Lisa, als sie neben sie trat. »Wenn es auch ein bisschen heruntergekommen wirkt.«
Suzette nickte schweigend. Die kleinen Anzeichen von Vernachlässigung hier und da überraschten sie nicht sehr. Ihr Vater hatte selbst dafür gesorgt, dass im vergangenen Jahr nicht sehr viel Geld zur Verfügung gestanden hatte. Sie war sich ziemlich sicher, dass er die Dienerschaft des Stadthauses etwas verkleinert und überall dort, wo es irgendwie ging, weitere Einschränkungen vorgenommen hatte, um ein bisschen Geld zu sparen. Nachdem sie den Zofen aufgetragen hatte, das Entladen der Kisten zu überwachen, ging Suzette mit Lisa über den vorderen Zugang zum Hauseingang.
Noch bevor sie dort ankamen, öffnete sich ein Flügel der schweren Doppeltür. Ein Butler mit schläfrigen Augen spähte durch die Tür und ließ den Blick gereizt über Suzette und Lisa schweifen. Es war eindeutig, dass er sich über die Störung zu so früher Stunde ärgerte, bis er zu dem Wagen hinsah und das Familienwappen der Madisons erkannte. Augenblicklich straffte er sich, und seine Miene wurde um einiges freundlicher. Nun ja, so freundlich, wie es bei einem britischen Butler möglich war, vermutete Suzette, da der Mann es gerade mal eben zuließ, dass sich die Mundwinkel eine Spur nach oben verzogen.
»Myladys Madison«, sagte er zur Begrüßung.
Suzette nickte und zwang sich selbst zu einem kleinen Lächeln, während sie mit Lisa an dem Mann vorbei ins Haus ging. In der Eingangshalle blieb sie stehen, zog die Handschuhe aus und drehte sich wieder zu dem Butler um. »Wo ist unser Vater?«
»Äh …« Der Mann schien einen Moment lang verlegen zu sein, ließ den Blick zur Treppe und den Korridor entlangwandern, ehe er sich plötzlich entspannte. »Ich glaube, er ist in seinem Arbeitszimmer, Mylady.«
Suzette folgte seinem Blick und sah einen schmalen Lichtstreifen unter einer der Türen im Korridor. Sie wusste sofort, dass dies das Arbeitszimmer sein musste. »Danke«, sagte sie und ging Lisa voraus. »Unsere Zofen werden gleich hier sein. Bitte sorgen Sie dafür, dass sie in die Zimmer geführt werden, die wir während unseres Aufenthaltes hier benutzen können, und teilen Sie Bedienstete ein, die ihnen helfen, sie für uns vorzubereiten.«
»Natürlich, Mylady.« Der Mann ging rasch den Gang entlang, zweifellos mit der Suche nach den erforderlichen Bediensteten beschäftigt, während Suzette bereits die Tür des Arbeitszimmers erreichte. Ihre Unruhe war so groß, dass sie eintrat, ohne sich die Mühe zu machen anzuklopfen. Angesichts des Anblicks, der sich ihr bot, blieb sie allerdings abrupt stehen. Zuerst war da vor allem der Geruch, der ihr wie ein Fausthieb entgegenschlug – ein beißender Gestank nach abgestandenem Pfeifenrauch und altem Alkohol. Angewidert rümpfte Suzette die Nase, aber ihr Abscheu wurde nur noch größer, als ihr Blick auf die vielen leeren Gläser und Teller fiel, die überall im Zimmer verstreut waren. Die meisten schienen sich um zwei Stühle beim Kamin zu sammeln, aber fast genauso viele bedeckten den Schreibtisch, an dem ihr Vater mit auf die Tischplatte gesunkenem Kopf hing. Im Gegensatz zu den Gläsern, die alle vollkommen leer waren, befanden sich auf den Tellern noch die Reste halb verzehrter oder kaum angerührter Mahlzeiten, die allmählich vor sich hin gammelten. Es war offensichtlich, dass ihr Vater den größten Teil dieses Monats in diesem Zimmer verbracht hatte. Und dem Geruch und dem Zustand des Zimmers nach zu urteilen, hatte er auch den größten Teil der Zeit damit verbracht, zu trinken und Pfeife zu rauchen, aber nur wenig Zeit oder Energie in die Aufnahme von Nahrung gesteckt.
»O je«, sagte Lisa leise. »Hier stimmt irgendetwas aber ganz und gar nicht.«
Suzette verzog das Gesicht bei dieser maßlosen Untertreibung. Das hier sah gar nicht nach dem Cedrick Madison aus, der sie aufgezogen hatte. Ja, hier stimmte etwas ganz und gar nicht. Ihr Vater trug kein Jackett, hatte die Hemdsärmel hochgekrempelt und war ungekämmt. Sein Kopf war auf die Arme gesunken, die auf der Tischplatte lagen. Er schien entweder tief zu schlafen oder hatte das Bewusstsein verloren. Suzette konnte es nicht genau erkennen.
Sie schluckte gegen den Kloß an, der sich vor Sorge in ihrer Kehle bildete, schloss die Tür und trat zum Schreibtisch. »Vater?«, fragte sie leise.
»Er schläft nur, oder?«, fragte Lisa beunruhigt, als sie vor dem Schreibtisch stehen blieben.
Die Frage führte nur dazu, dass Suzette sich noch mehr Sorgen machte. Sie beugte sich nach vorn und berührte ihren Vater am Arm, was sie allerdings augenblicklich bedauerte, da er abrupt hochschoss und auf seinen Stuhl zurücksackte. Der Mann, den sie jetzt vor sich sahen, hatte noch weniger Ähnlichkeit mit dem vertrauten Cedrick Madison, als sie zuerst befürchtet hatten. Die Augen dieses Mannes hier waren blutunterlaufen, seine Gesichtshaut war fahl, und er trug einen Bart, der mehrere Wochen alt sein musste und in dem sich kleine Essensreste verfangen hatten. Er hatte auch sein Hemd offensichtlich eine ganze Weile nicht gewechselt, denn es stellte ein stummes Abbild der Mahlzeiten dar, die er in der letzten Zeit zu sich genommen hatte. Er roch scheußlich.
Suzette zog ein Taschentuch aus ihrem Ärmel und hielt es sich vor die Nase, um sich vor dem Geruch zu schützen.
»Papa?«, flüsterte Lisa ungläubig.
Cedrick Madison blinzelte sie eulenhaft und mit verwirrter Miene an. »Verflucht, was tut ihr hier?«, fragte er. Seine Stimme klang schwach und verwirrt, während sein trüber Blick von Suzette zu Lisa glitt. Dann sah er sich unsicher um. »Wo bin ich? Heißt das, ich bin nach Hause gekommen?«
Suzette presste die Lippen fest zusammen. Jedes Wort, das ihr Vater sprach, wurde von einer Alkoholfahne begleitet, und er saß sehr wackelig auf seinem Stuhl. Es war schließlich Lisa, die freundlich sagte: »Du bist in deinem Arbeitszimmer im Stadthaus in London.«
Cedricks Schultern sackten enttäuscht ein Stück nach unten. »Dann war es kein Traum? Es ist wirklich schon wieder passiert?«
Suzettes Herz stolperte ein paarmal, und Angst stieg in ihr auf. »Was ist schon wieder passiert, Vater? Was zum Teufel geht hier vor?«
»Oh«, seufzte er. Wieder strömte eine Wolke von Whisky-Gestank von ihm aus. Er fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. »Ich fürchte, ich habe uns wieder in Schwierigkeiten gebracht.«
»Du hast aber nicht wieder gespielt, Papa, oder?«, fragte Lisa alarmiert, woraufhin er jämmerlich nickte.
»Wie schlimm ist es diesmal?«, fragte Suzette finster. Beim letzten Mal hatte er sie an den Rand des Ruins getrieben. Nur Christianas Heirat mit Dicky hatten sie es zu verdanken, dass sie nicht dieser traurigen Schmach zum Opfer gefallen waren.
»Schlimm. So schlimm wie beim letzten Mal oder sogar noch schlimmer«, gestand er mit beschämter Miene. Dann fügte er, etwas verwirrter klingend, hinzu: »Ich weiß nicht, wie es passiert ist. Ich wollte es nicht tun. Ich habe nur–« Er schüttelte kläglich den Kopf. »Aber ich habe es getan, und dann habe ich versucht, es wieder geradezubiegen. Ich habe mit jedem gesprochen, bei dem ich davon ausgehen konnte, dass er es nicht verraten würde. Ich habe Leute angebettelt, mir das Geld zu leihen. Ich hätte es sogar gestohlen, wenn es mir möglich gewesen wäre. Es sieht so aus, als könnte ich es einfach nicht mehr hinbiegen.«
Suzette starrte ihn entsetzt an. Das Gefühl, verraten worden zu sein, und Angst erhoben sich wie eine finstere Woge, wirbelten eine schäumende Schicht aus Wut auf, die durch sie hindurchraste. Sie ballte die Fäuste und grub die Nägel in die Handflächen, während sie knurrte: »Es hat also gar keine Papiere gegeben, die du hattest unterzeichnen müssen, ja? Du bist schließlich auch früher nie in die Stadt gefahren, um irgendwelche Papiere zu unterschreiben. Es war nur eine Ausrede gewesen, damit du hierher kommen konntest. Die Wahrheit ist, das du wieder nach London gefahren bist, um zu spielen. Deshalb diese plötzliche Reise. Ist es so gewesen?«
»Nein«, protestierte er sofort und erhob sich auf zittrigen Beinen. »Langley hat mir geschrieben. Er macht sich Sorgen um eure Schwester. Wie er schrieb, befürchtet er, dass Dicky sie schlecht behandelt. Er hat schon dreimal versucht, sie zu besuchen, ist aber jedes Mal abgewiesen worden. Deshalb macht er sich Sorgen. Da er weiß, dass Dicky mich nicht ganz so einfach wegschicken kann, hat er mich gebeten, nach ihr zu sehen. Ich schwöre es.«
Suzette starrte ihn nur ungläubig an. Robert Langley war ein Nachbar und Freund der Familie, und gewöhnlich war er auch eine vertrauenswürdige Quelle, was Informationen betraft. Es war allerdings nur schwer vorstellbar, dass Christiana von ihrem Gemahl Richard schlecht behandelt wurde. Als die beiden ein Jahr zuvor geheiratet hatten, hatte er den Eindruck erweckt, als würde er sie abgöttisch lieben.
Lisa, die das Gleiche dachte, sprach es laut und mit fester Stimme aus: »Dicky würde Chrissy nicht schlecht behandeln. Er liebt sie.«
»So hat es ausgesehen«, pflichtete ihr Vater ihr seufzend bei. »Aber warum sollte Robert lügen? Und wenn Dicky sie wirklich schlecht behandelt …« Er schüttelte den Kopf und sank müde auf seinen Stuhl zurück. »Wie auch immer, das war der Grund, warum ich in die Stadt gefahren bin. Ich schwöre, dass ich nie vorgehabt hatte zu spielen. Ich weiß noch nicht einmal so recht, wie es überhaupt passieren konnte«, wiederholte er stirnrunzelnd.
»Und wieso sollten wir dir das glauben?«, frage Suzette. Die Worte schossen vor Wut regelrecht aus ihr heraus. »Wie könnten wir dir überhaupt noch irgendetwas von dem glauben, was du sagst? Du hast versprochen, dass du nie wieder spielen würdest, und trotzdem sieht es so aus, als würden wir jetzt zum zweiten Mal in kaum mehr als einem Jahr vor dem Ruin stehen.«
»Das weiß ich«, stöhnte Cedrick Madison und schlug die Hände vors Gesicht. »Ich verstehe nicht, wie es passiert ist. Ich erinnere mich nicht daran, dass ich gespielt habe. Ich muss zu viel getrunken haben oder so was.«
»Wie praktisch«, fauchte sie kalt. »Und wie genau bist du überhaupt betrunken in der Spielhölle gelandet, wenn du doch eigentlich vorhattest, nach Chrissy zu sehen?«
Er nahm die Hände wieder vom Gesicht und ließ sie nach unten sinken. »Sie war nicht da, als ich an ihrem Stadthaus ankam«, sagte er müde. »Dicky hat mich auf einen Drink mit in den Club genommen. Ich erinnere mich jedenfalls, dass wir dorthin gegangen sind und dass er vorgeschlagen hat, dass wir kurz in der Spielhölle vorbeischauen. Er –«
»Dicky hat dich mit in die Spielhölle genommen?«, fragte Lisa ebenso zweifelnd wie ungläubig.
»Ich glaube, ja.« Er schien sich nicht ganz sicher zu sein. »Ich meine, ich habe seinen Vorschlag abgelehnt, aber ich erinnere mich auch daran, dass ich in der Spielhölle war, daher –«
»Oh, also dann erinnerst du dich also doch daran?«, fragte Suzette grimmig, und dann kreischte sie: »Du hättest überhaupt nicht da sein dürfen! Offensichtlich hast du vorgehabt zu spielen, sonst wärst du gar nicht erst hingegangen. Wie konntest du es nur noch einmal tun?« Sie holte tief Luft und zischte dann: »Du hast deine eigenen Töchter nicht nur einmal, sondern zweimal an den Rand des Ruins gebracht. Ich bin froh, dass Mutter nicht hier ist, um zu sehen, was für ein nutzloser und besoffener Verschwender aus dir geworden ist.«
Suzette wartete nicht ab, wie er auf ihre Worte reagieren würde. Sie machte einfach auf dem Absatz kehrt und stürmte aus dem Zimmer, zu angeekelt von seinem Anblick, als dass sie es dort noch länger ausgehalten hätte.
Lisa folgte ihr rasch, zog die Tür hinter sich zu. »Was sollen wir jetzt tun?«, fragte sie dann besorgt.
»Ich weiß es nicht«, gestand Suzette. Sie blieb stehen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und sie fühlte sich benommen, als würde etwas ihre Brust umklammern und verhindern, dass sie atmen konnte. Sie zwang sich, tiefer Luft zu holen, und versuchte, sich auf diese Weise zu beruhigen, dann begann sie, hin- und herzugehen und murmelte: »Ich muss nachdenken.«
Lisa nickte und schwieg; sie sah einfach nur zu, wie ihre Schwester den Eingangsbereich vom Arbeitszimmer bis zur Vordertür abschritt und dann zurückkehrte.
Suzette musste nicht lange nachdenken, um zu begreifen, was sie zu tun hatte. Sie befanden sich in der gleichen Lage wie vor gerade mal einem Jahr, als ihr Vater schon einmal gespielt hatte. Sie waren damals nur gerettet worden, weil Chrissy geheiratet hatte und so ihre Mitgift beanspruchen konnte, mit der sie die Schulden bezahlt hatte. Es war offensichtlich, dass so etwas wieder geschehen musste. Nur war es diesmal Suzette, die heiraten musste, um ihre Mitgift zu beanspruchen und damit die Schulden zu begleichen. Der Gedanke war ihr gerade gekommen, als sich die Vordertür öffnete und ihre Diener mit den Kisten eintraten.
»Wartet«, sagte sie und trat schnell zu ihnen, um sie am Weitergehen zu hindern. »Packt sie wieder auf den Wagen. Wir bleiben nicht hier.«
»Nicht?«, fragte Lisa überrascht und trat neben sie, als die Männer mit ihrer Last wieder das Haus verließen. »Wohin gehen wir?«
»Zu Christiana und Dicky«, sagte Suzette fest entschlossen. Sie packte Lisas Hand und zog sie mit sich hinter den Männern her. »Ich werde heiraten müssen, wie Chrissy es getan hat, um die Sache zu regeln«, flüsterte sie, denn sie wollte nicht, dass die Bediensteten es mitbekamen. Obwohl sie wahrscheinlich inzwischen schon Bescheid wussten, dachte sie seufzend. »Vater verbringt seine ganze Zeit auf dem Land, aber Christiana und Dicky sind hier in der Stadt, wo es Einladungen zu Bällen und anderen gesellschaftlichen Ereignissen gibt. Sie können uns in die Gesellschaft einführen, was die Voraussetzung ist, wenn ich einen Gemahl finden will.«
»Oh, Suzette«, sagte Lisa und klang beinahe, als würde sie sie bemitleiden. Dann schlug sie vor: »Vielleicht erklärt sich ja Dicky bereit, das Geld noch einmal zu zahlen.«
Suzette lächelte trocken über den Zweifel in Lisas Stimme. Offensichtlich hielt sie es für nicht sehr wahrscheinlich, und Suzette verstand sie nur zu gut. Dicky hatte bereits beim ersten Mal eine riesige Summe gezahlt. Auch wenn er sie über die Mitgift zurückerhalten hatte, war es nicht vernünftig, davon auszugehen, dass er wieder bezahlen würde … ganz besonders dann nicht, wenn er Christiana wirklich schlecht behandelte. Falls das stimmte, bedeutete es, dass er sie nie wirklich geliebt hatte, wie er behauptet hatte. Und das wiederum ließ nur einen Schluss zu, nämlich dass er es auf die Mitgift abgesehen hatte. Wenn das aber so war, würde er wohl kaum Lust haben, davon etwas abzugeben. Deshalb sagte sie einfach nur: »Nein. Christiana hat schon das erste Mal für Vaters kleine Abenteuer in den Spielhöllen von London gezahlt. Dicky wird wahrscheinlich sehr wütend sein, wenn wir von ihm erwarten, dass er wieder zahlt, und er hätte recht. Abgesehen davon sollte auch sie nicht noch einmal zahlen müssen. Jetzt bin ich an der Reihe.«
Sie hatten inzwischen die Kutsche erreicht, und Suzette trat zum Kutscher, um ihm zu sagen, wohin sie als Nächstes fahren würden. Sie schob Lisa wieder in die Kutsche, die sie erst kurz vorher verlassen hatten. Jetzt, da sie nur zu zweit darin saßen, war sie sehr viel geräumiger, und es überraschte Suzette nicht, dass Lisa fragte: »Was ist mit unseren Zofen?«
Sie seufzte und blickte durch das Fenster zum Haus hinüber. Die Zofen waren ganz sicher bereits nach oben gegangen und damit beschäftigt, die Zimmer vorzubereiten, während sie auf die Kisten warteten. Sie überlegte kurz, sie herzuholen, schüttelte aber dann den Kopf. »Vielleicht ist es besser, sie bleiben erst einmal hier. Zumindest so lange, bis wir sicher sein können, dass wir bei Christiana und Dicky willkommen sind.«
»Natürlich werden wir dort willkommen sein. Sie ist unsere Schwester«, sagte Lisa sofort. Die Vorstellung, dass es anders sein könnte, schien sie zu verblüffen.
»Ja, nun, aber sie hat uns nie geschrieben, seit sie weggezogen ist, oder?«, erklärte Suzette sanft.
»Ich bin sicher, dass die Briefe einfach nur verloren gegangen sind«, sagte Lisa sofort.
»Oder Dicky erlaubt ihr nicht, dass sie uns schreibt«, murmelte Suzette und biss sich auf die Lippe.
Lisa runzelte die Stirn und fügte dann zögernd hinzu: »Das könnte tatsächlich sein. Immerhin hat Vater gesagt, dass Robert behauptet, Dicky würde Chrissy schrecklich behandeln.«
»Genau.« Suzette runzelte die Stirn und schüttelte verwirrt den Kopf. »Ich kann das kaum glauben. Es ist erst ein Jahr her, seit er ihr den Hof gemacht hat.« Und er war wirklich der perfekte strahlende Held gewesen, der genau im richtigen Augenblick aufgetaucht war, um sie vor dem Ruin zu retten. Ganz der Romantiker, hatte er Christiana seine unsterbliche Liebe geschworen und sie mit solcher Inbrunst und solchem Charme umworben, dass sich gleich alle drei Madison-Mädchen halb in ihn verliebt hatten.
»Robert würde nicht lügen«, stellte Lisa unglücklich klar.
»Nein«, stimmte Suzette ihr mit einem Seufzer zu. »Was bedeutet, dass all der Charme und die Inbrunst, die er bei seinem Werben um Chrissy gezeigt hat, wahrscheinlich nur Schau waren, um die Falle aufzustellen und sie dazu zu bringen, sich in ihn zu verlieben und ihn zu heiraten.«
»Aber warum?«, fragte Lisa stirnrunzelnd.
»Warum wohl? Natürlich, um an die Mitgift zu kommen«, sagte Suzette trocken. »Wenn er sie eigentlich gar nicht geliebt hat, kann nur das der Grund sein, warum er sie heiraten wollte.«
»Aber es weiß doch niemand etwas von unserer Mitgift«, wandte Lisa sofort ein. »Großvater hat darauf bestanden, damit wir nicht von Mitgiftjägern bestürmt werden.«
»Nun, Dicky muss es irgendwie rausgefunden haben«, sagte Suzette nachdenklich. »Abgesehen davon bleibt nichts ewig ein Geheimnis. Das weißt du doch. Die Bediensteten reden, und Geheimnisse werden weitergetratscht.«
»Wahrscheinlich hast du recht«, sagte Lisa zögernd. Sie verzog das Gesicht. »Und es ging auch alles ziemlich schnell, fast schon stürmisch, genau genommen. Von Vaters Rückkehr nach Hause mit der Nachricht über unseren bevorstehenden Ruin bis zur Heirat von Christiana und Dicky hat es nur ein paar Wochen gedauert. Ich schätze, es ist Dicky nicht schwergefallen, ein paar Wochen lang so zu tun, als würde er sie bewundern.«
»Ja, das kann gut sein«, pflichtete Suzette ihr grimmig bei.
»Was ist, wenn du auch an so einen schlimmen Ehemann gerätst?«, fragte Lisa unglücklich.
Suzette presste die Lippen zusammen. Die Chance, dass sie in nur zwei Wochen einen Gemahl fand, den sie lieben konnte und von dem sie sicher wusste, dass er sie auch liebte, war nicht sehr groß. Und sie wollte verdammt sein, wenn sie zuließ, dass sie ihr restliches Leben von ihrem eigenen Mann schäbig behandelt wurde. Deshalb würde sie gar nicht erst versuchen, nach jemandem Ausschau zu halten, mit dem sie Liebe verband, beschloss Suzette. »Ich werde einen Gemahl suchen, den ich kontrollieren kann«, verkündete sie. »Oder zumindest einen, von dem ich sicher sein kann, dass er mich nicht kontrollieren wird.«
»Und wie willst du das anstellen?«, fragte Lisa unsicher.
»Ich werde einen Gemahl suchen, der Geld braucht«, sagte Suzette grimmig. »Einen mit viel Land, der aber verzweifelt Geld für die Bewirtschaftung dieses Lands braucht, sodass er bereit ist, einem Ehevertrag zuzustimmen, der mir die Hälfte der Mitgift lässt und das Recht gewährt, mein eigenes Leben zu leben.«
»Oh, das ist –« Lisa hielt inne und starrte aus dem Fenster, als die Kutsche sich mit einem Ruck in Bewegung setzte. Dann sah sie Suzette wieder an und fragte unsicher: »Ist so etwas überhaupt möglich?«
»Wenn wir beide damit einverstanden sind«, antwortete Suzette. Allerdings war sie sich nicht ganz so sicher, wie sie geklungen hatte. Das Einzige, das sie ganz genau wusste, war, dass sie alles versuchen würde, um dieses Ziel zu erreichen.
»Was dauert das denn so lange?«
Daniel Woodrow wölbte die Brauen, als er seinen Freund so ungehalten sprechen hörte. Es kam nur selten vor, dass Richard Fairgrave, der Earl von Radnor, so ungeduldig war, aber es war natürlich auch eine sehr außergewöhnliche Situation. Genau genommen war es wohl eine einmalige Situation. Ganz sicher hatte Daniel noch nie zuvor gehört, dass irgendwelche Ereignisse dazu geführt hätten, dass jemand sich selbst wegen der eigenen Ermordung zur Rede stellte.
Ein ironisches Lächeln ließ seine Mundwinkel nach oben wandern, als er darüber nachdachte. Die Beschreibung traf nicht ganz das, was ihnen bevorstand, aber es war genau das, was alle anderen auf dem Ball erleben würden. Die Gesellschaft wusste nur, dass George Fairgrave, der um wenige Augenblicke jüngere Zwillingsbruder von Richard Fairgrave, auf tragische Weise bei einem Brand ums Leben gekommen war. George war allerdings gar nicht gestorben. Es war Richard gewesen, der in der Feuersbrunst hatte sterben sollen – einer Feuersbrunst, die George selbst arrangiert hatte, um Richards Platz in der Welt einnehmen und seinen Titel und seinen Reichtum übernehmen zu können. Aber auch Richard war in dieser Nacht nicht gestorben. Er hatte es geschafft, seine Möchtegern-Mörder zu bestechen, sodass sie ihn am Leben ließen, und war stattdessen in Amerika gelandet, ohne einen Penny und halb verhungert, dem Tode nahe und doch noch am Leben. Allmählich hatte Richard sich mit der Hilfe zweier freundlicher Siedler wieder erholt, und dann hatte er Daniel einen Brief geschickt, in dem er ihn bat, ihm zu helfen, nach England zurückzukehren und seinen Titel und seine Position wiederzuerlangen.
Daniel ging davon aus, dass Richard ausgerechnet ihm geschrieben hatte, weil jeder andere ihrer Freunde wahrscheinlich – und verständlicherweise – die Warnung ignoriert hätte, nicht mit alldem zu dem Mann zu gehen, der sich als Richard Fairgrave ausgab, um die Situation zu klären. Aber die meisten ihrer anderen Freunde hatten auch kein Geheimnis, das er nur Richard erzählt hatte und das dieser in seinem Brief erwähnt hatte. Zumindest vermutete Daniel, dass die anderen es nicht kannten. Wie auch immer, er hatte sofort gewusst, dass es Richards Handschrift war, und er hatte keinen Moment verstreichen lassen, sondern sofort eine Schiffspassage nach Amerika gebucht, um seinen Freund zu suchen und nach Hause zu holen.
»Warum zum Teufel werden wir schon wieder aufgehalten?«, ärgerte sich Richard erneut. Er sah aus, als wollte er jeden Moment aus der Kutsche stürzen und den Rest des Wegs zu Fuß zurücklegen.
»Der Ball der Landons ist der erste dieser Saison. Alle nehmen daran teil, deshalb hat sich eine lange Schlange aus Kutschen gebildet, deren Insassen darauf warten, aussteigen zu dürfen«, erklärte Daniel in aller Ruhe. Er hoffte, Richard so etwas beschwichtigen zu können, und neigte sich aus dem Fenster, um die Anzahl der Kutschen abzuschätzen, die noch vor ihnen waren. Dann seufzte er erleichtert und lehnte sich wieder zurück. »Es sind nur noch zwei Kutschen vor uns. Wir werden jeden Moment aussteigen können.«
Richard brummte nur, und statt sich zu entspannen, wurde er sogar noch verkrampfter. »Ich zähle darauf, dass du mich daran hinderst, meinen verfluchten Bruder zu töten, bevor er alles gestanden hat.«
»Natürlich«, sagte Daniel ernst. Er bezweifelte keinen Moment, dass Richard gegen den Wunsch ankämpfte, seinen Bruder auf der Stelle zu erschlagen, wenn er ihn sah. Und das hatte George angesichts dessen, was er getan hatte, sicher auch verdient. Allerdings würde es nicht gut sein, wenn er ihn tötete, bevor er alles gestanden hatte und Richard sicher sein konnte, dass er seinen Titel und seine Position auch wirklich zurückerhielt. Genau deshalb hatten sie sich entschieden, die Konfrontation hier auf dem wahrscheinlich am besten bewachten Ball der Saison stattfinden zu lassen. Sie mussten George zu einem Geständnis bringen, und zwar vor so vielen Zeugen wie möglich. Glücklicherweise waren sie gerade noch rechtzeitig angekommen. Das Schiff, mit dem sie von Amerika zurückgekehrt waren, hatte erst am Morgen Anker geworfen, und danach hatten sie sich sofort daran gemacht, sich passende Kleidung zu beschaffen, um an dem Ball teilnehmen zu können.
»Endlich«, murmelte Richard erleichtert und lenkte damit Daniels Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass sie vor dem Haus der Landons vorfuhren. Sein Freund wartete gerade lange genug, bis die Kutsche zum Stehen gekommen war, dann konnte er sich nicht mehr zurückhalten; noch bevor irgendjemand die Tür für ihn öffnen konnte, riss er sie selbst auf und sprang hinaus. Daniel folgte ihm, nickte dabei dem Diener entschuldigend zu, den Richard fast umgestoßen hätte. Er beeilte sich, seinem Freund zu folgen.
Im Innern des Hauses standen etliche Leute in einer langen Reihe und warteten darauf, angekündigt zu werden. Es überraschte Daniel nicht sonderlich, dass Richard an all diesen Menschen vorbeiging und geradewegs zum Ballsaal schritt. Sie würden George wohl kaum überraschen können, wenn er die Ankündigung jenes Namens hörte, den er das ganze vergangene Jahr lang benutzt hatte. Ihr Plan hing aber ganz entscheidend davon ab, dass sie bereits vor dem Betrüger standen, wenn er begriff, dass Richard gar nicht tot war und seine großartige Intrige gleich über ihm zusammenstürzen würde. Allerdings hinterließen sie eine Woge von Geflüster, als sie an all den wartenden Leuten vorbeischritten. Der Diener, der die Neuankömmlinge ankündigte, unterbrach sich sogar einen Moment überrascht und geriet fast ins Stocken, als Richard und Daniel an ihm vorbeirauschten. Sie ließen sich dadurch nicht aufhalten, sondern liefen weiter die wenigen Stufen zum Ballsaal hinunter, bevor sie stehen blieben und versuchten, in der Menge nach George Cainan Fairgrave zu suchen, der sich Radnor erschwindelt hatte und des versuchten Mordes schuldig war.
»Die Bälle der Landons sind immer großartig gewesen, und ich muss sagen, dieser hier ist es auch, finden Sie nicht?«
Suzette zwang sich, den Blick wieder auf ihren Tanzpartner zu richten. Sie schaffte es, ein höfliches Lächeln aufzusetzen, und nickte. Dann wandte sie den Kopf wieder ab, denn sie ertrug den Gestank seines Atems keinen Moment länger. Dieser ganze Abend entpuppte sich wirklich als eine einzige Enttäuschung, und sie glaubte allmählich, dass sie die Situation entschieden falsch eingeschätzt hatte. Vermutlich hatte sie sich von ihrer Fantasie mitreißen lassen. Sie war davon ausgegangen, dass Christiana und Lisa etwa ein Dutzend gut aussehender, ehrenhafter und charmanter junger Männer auftreiben würden, die in jeder Hinsicht perfekt waren … bis auf die Tatsache, dass sie in ernsten finanziellen Nöten steckten. Sie hatte sich vorgestellt, dass jeder von ihnen bestrebt sein würde, sie um ihre Hand zu bitten, sie nur zu gern umwerben und glücklich darüber sein würde, sowohl sie selbst als auch eine größere Mitgift als Gegenleistung für die Zusage zu bekommen, dass sie über einen Teil der Mitgift frei verfügen konnte und die Freiheit haben würde, ihr eigenes Leben zu führen.
Sie war so dumm gewesen, begriff Suzette jetzt. Das fing schon damit an, dass es Frauen gar nicht gestattet war, einfach von sich aus auf die Männer zuzugehen. Die Frauen mussten warten, bis die Männer zu ihnen kamen. Der Mann würde dann darum bitten, vorgestellt zu werden, eine Quadrille erbitten oder was auch immer, und die Lady würde seinen Namen auf ihre Tanzkarte schreiben und dann mit jedem Mann tanzen, der sich hatte darauf eintragen lassen. Natürlich war Suzette gezwungen gewesen, sich an diese Rahmenbedingungen zu halten. Sie nahm jede Einladung an, fügte den Namen ihrer Karte hinzu und reichte sie dann Christiana und Lisa, während sie tanzte, sodass diese anfangen konnten, etwas über den jeweiligen Mann auf der Karte in Erfahrung zu bringen. Und während die Männer nacheinander zu ihr traten, um sich den zugewiesenen Tanz abzuholen, pflegte Suzette einen Blick zu Lisa und Christiana zu werfen und auf die entsprechenden Zeichen zu warten. Die Zeichen hatten sie zuvor gemeinsam ausgemacht, sodass Suzette erfahren konnte, ob der infrage kommende Gentleman ein geeigneter Junggeselle mit einem Titel und/oder Landbesitz war und ob er für dessen Erhalt dringend Geld benötigte.
In gewisser Hinsicht hatte Suzette ihre Sache bisher gut gemacht. Ihre Tanzkarte war voll, und sie hatte fast den ganzen Abend nur getanzt. Unglücklicherweise schien es, als gäbe es zwar jede Menge gut aussehender und bezaubernder junger Männer, die mit ihr tanzen wollten, aber nur wenige, die die entscheidende Voraussetzung erfüllten, nämlich eine wohlhabende Frau zu benötigen. Die wenigen, bei denen es so war, waren wiederum keine attraktiven, ehrenhaften und bezaubernden Männer im passenden Alter. Bisher war auch nur einer überhaupt das gewesen, was man jung nennen konnte.
Der erste Mann, bei dem Lisa das Zeichen gegeben hatte, dass er eine reiche Frau suchte, war älter gewesen als ihr Vater, mit rundlicher Statur und einem teigigen Gesicht. Während des ganzen Tanzes hatte er sich über seine Gicht beklagt, während er durch ihr Kleid anzüglich auf ihre Brüste gestarrt hatte. Der zweite Kandidat war jünger gewesen, aber auch groß und besorgniserregend dünn. Und dann hatte er sie allen Ernstes gebeten, ihre Zähne überprüfen zu dürfen, als wäre sie ein zur Auktion stehendes Pferd. Und das, obwohl sie noch nicht einmal erklärt hatte, dass sie überhaupt auf der Suche nach einem Gemahl war. Der dritte war der, der jung war, allerdings war er wiederum deutlich zu jung. Sie vermutete, dass er nicht älter als sechzehn sein konnte, auch wenn er das Gegenteil behauptete. Er hatte ein pickeliges Gesicht und die unangenehme Angewohnheit gehabt, an diesen Pickeln herumzuzupfen, während er sich vor und nach dem Tanz mit ihr unterhalten hatte. Wobei er eigentlich auch gar nicht viel gesagt hatte, abgesehen davon, dass er mit ihr tanzen wollte.
Jetzt tanzte sie mit Lord Willthrop, der zwar ein bisschen jünger war als ihr Vater, aber eine Adlernase hatte, die ihm einige Probleme zu bereiten schien, da er beständig schniefte. Er stank auch aus dem Mund und hatte ein aufgeblasenes Gehabe.
Suzette war schon dabei zu verzweifeln, weil ihr Plan zum Scheitern verurteilt war. Sie würde nämlich nur zu bereitwillig den Skandal und Ruin auf sich nehmen, als auch nur einen der Männer, die sie bisher kennengelernt hatte, zu akzeptieren. Natürlich hatte sie eigentlich gar keine echte Wahl, denn es ging ja nicht nur darum, dass sie allein dem Skandal zum Opfer fallen würde, wenn es ihr nicht gelang, einen Gemahl zu finden und ihre Mitgift zu beanspruchen. Nein, auch ihr Vater wäre betroffen, wenngleich er es eigentlich mehr als verdient hatte; immerhin hatte er sie alle in diese Situation gebracht. Aber auch ihre kleine Schwester Lisa würde darunter leiden und sogar Christiana, ob sie nun bereits verheiratet war oder nicht. Das konnte Suzette nicht zulassen – nicht, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ.
Bei dem Gedanken verzog sie das Gesicht, dann seufzte sie erleichtert, als der Tanz endlich zu Ende war. Es gelang ihr gerade noch, sich so weit wie möglich von Willthrops schlechten Atem zu entfernen, ohne sich allzu unhöflich von ihm abzuwenden. Obwohl sie es gern getan hätte, war sie besser erzogen worden, und so ließ sie sich von ihm von der Tanzfläche führen. Sie nickte steif, als er ihr für den Tanz dankte.
»Ich glaube, der nächste Tanz gehört mir.«
Suzette hielt inne und sah den Mann an, der neben ihr aufgetaucht war, als sie und Willthrop gerade den Rand der Tanzfläche erreichten.
»Ah, Danvers«, sagte Willthrop zur Begrüßung. Er wandte sich zu Suzette um und nickte, bevor er wegging und in der Menge verschwand.
Suzette sah ihm nach, dann wandte sie sich dem nächsten Tanzpartner zu. Sie erinnerte sich vage daran, dass sie sich irgendwann am Abend einverstanden erklärt hatte, mit ihm zu tanzen. Ihr Blick glitt über sein Gesicht, und sie bemerkte, dass zunächst einmal nichts an ihm falsch zu sein schien. Er sah durchschnittlich gut aus, war sogar attraktiv zu nennen, als er jetzt lächelte. Er konnte auch nur fünf bis zehn Jahre älter sein als sie, und er schniefte weder, noch starrte er gierig auf ihren Körper oder knibbelte an irgendwelchen Pickeln herum. Ganz im Gegenteil, sein Teint war makellos. Natürlich würde er zu den Männern gehören, die kein Geld benötigten, bemerkte sie mit einem müden Zynismus und sah sich nach ihren Schwestern um. Sie fand Lisas Blick zuerst und wölbte fragend eine Braue. Ihre andere Augenbraue wanderte ebenfalls nach oben, als Lisa erst das Zeichen für Land machte, dann das für einen Titel und schließlich dasjenige, das sie für den Fall vereinbart hatten, wenn jemand kein Geld hatte.
Suzette sah sich jetzt sofort wieder zu Danvers um, und ein Lächeln erblühte auf ihren Lippen. Allerdings erstarb es fast augenblicklich wieder; stattdessen fiel ihr fast die Kinnlade herunter, als sie sah, wie sich Dicky durch die Menschen am Rand der Tanzfläche schob. Er ging direkt auf Christiana zu, die von einer Gruppe älterer Frauen umgeben war – zweifellos, um so viel Klatsch wie möglich über mögliche passende Ehemänner für Suzette zu erfahren.
»Das ist unmöglich«, hauchte Suzette bestürzt, als sie auf den Mann starrte, den sie in der Meinung, er wäre tot, zurückgelassen hatten, bevor sie sich auf den Weg zum Ball gemacht hatten.
»Stimmt etwas nicht, Mylady?«, fragte Danvers.
Suzette sah Danvers verwirrt an. Der Anblick ihres anscheinend lebendigen und wohlbehaltenen Schwagers regte sie einen Moment so auf, dass sie sich nicht erinnern konnte, warum dieser andere Mann an ihrer Seite war. Einen Augenblick später fiel es ihr wieder ein, aber sie schüttelte nur den Kopf und lief weg, vergaß sogar, eine Entschuldigung zu murmeln, als sie zu Lisa eilte.
»Was ist los?«, fragte Lisa verwundert, als Suzette sie am Arm packte und durch die Menge zu ihrer älteren Schwester schob. »Er war ein wirklich vielversprechender Kandidat, jedenfalls um einiges vielversprechender als alle anderen. Er –« Die Worte erstarben in einem unterdrückten Aufkeuchen, als Lisa neben Suzette bei Christiana stehen blieb und jetzt auch sehen konnte, wen ihre ältere Schwester gerade anstarrte. Als das Geräusch ihren Schwager veranlasste, sich zu ihnen umzudrehen, flüsterte sie voller Entsetzen: »Aber du bist tot.« Sie wandte sich an Christiana. »War er das nicht, Chrissy? Wir haben ihn doch in Eis gepackt und so weiter.«
»Das Eis muss sein kaltes Herz wiederbelebt haben«, sagte Suzette. Die Wut half ihr, sich rasch von dem Schock zu erholen. Sie starrte den Mann grimmig an und fügte trocken, aber aufrichtig hinzu: »Was für ein Pech.«
Während Dicky sie bei dieser Bemerkung überrascht ansah, wirkte Christiana vollkommen entsetzt.
»Suzette!«, schnappte sie und rückte näher zu ihr, als könnte sie sie körperlich zum Schweigen bringen, falls Suzette noch so eine Bemerkung von sich geben sollte. »Vielleicht sollten wir besser rausgehen und etwas frische Luft schnappen. Lisa sieht aus, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen, und du, Suzie, brauchst offensichtlich Zeit, um dich zu beruhigen. Vielleicht bist du vom vielen Tanzen so erhitzt.«
Suzette wollte schon wütend schnauben, weil das Tanzen für ihre verbitterten Worte verantwortlich sein sollte, als jemand plötzlich ihren Arm packte. Und dann hörte sie die Worte »Gestatten Sie« in ihren Ohren.
Mit einem Ruck fuhr sie herum und runzelte die Stirn, als sie einem Mann gegenüberstand, der wie aus dem Nichts gekommen zu sein schien. Er trat jetzt zwischen sie und Lisa und hakte sie beide unter. Er war schon dabei, sie entschlossen von Christiana und Dicky wegzuführen, fügte aber dann noch hinzu: »Ich werde mit den Ladys nach draußen gehen, damit ihr beiden euch unterhalten könnt.«
Suzette versuchte sofort, ihren Arm von ihm loszureißen und sich aus seinem Griff zu befreien, aber er schien es nicht einmal zu bemerken. Der Mann führte sie nur einfach entschlossen weg und warf einen Blick über die Schulter, um den beiden, von denen er Suzette und Lisa wegzerrte, vielsagend vorzuschlagen: »Vielleicht findet ihr ja einen etwas persönlicheren Rahmen für dieses Gespräch.«
Während Dicky Christianas Arm nahm, um sie in die andere Richtung wegzuführen, starrte Suzette den Mann finster an, der sie und Lisa durch die Menge zog. Sie öffnete schon den Mund, um ihm zu sagen, dass er sie loslassen sollte, hielt dann aber inne, als sie ihn das erste Mal richtig ansah. Er war einen guten Kopf größer als sie, hatte dunkelbraune Haare, die sich an den Enden etwas kringelten, als würde er einen Haarschnitt benötigen. Sein Gesicht wirkte im Profil ziemlich hübsch, er hatte ein starkes Kinn, eine gerade Nase und Augen. Er drehte sich zu ihr um und sah sie fragend an, und sie kam zu dem Schluss, dass er die hübschesten grünen Augen hatte, die sie jemals gesehen hatte – ein richtiges Grün wie von frischem Gras nach einem Regenguss. Er sah eindeutig gut aus … und er schob sie immer noch unsanft in Richtung der doppelflügeligen Tür, durch die man zur Terrasse gelangte.
Sie runzelte wieder finster die Stirn und ahmte den Ton nach, den er gegenüber Dicky und Christiana benutzt hatte. »Vielleicht würden Sie in Erwägung ziehen, uns jetzt loszulassen und sich um Ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern … sonst sehe ich mich gezwungen, Ihnen auf den Fuß zu treten, Sir.«
»Mylord«, berichtigte er sie. Er wirkte amüsiert über ihre Drohung. »Daniel, Lord Woodrow.«
Suzette starrte den Mann finster an und versuchte, herauszufinden, wie sie ihm auf den Fuß treten konnte, während er sie zwang, so schnell zu gehen, als er plötzlich stehen blieb und auch sie und Lisa zwang, anzuhalten. Bevor sie den Vorteil nutzen und ihn wie geplant treten konnte, sagte jemand: »Ich glaube, dies ist mein Tanz.«
Suzette sah sich überrascht um. Ihre Augen wurden noch größer, als sie den gut aussehenden eisblonden Mann vor sich sah. Sie konnte sich nicht erinnern, ihm einen Tanz versprochen zu haben, und sie war sich ziemlich sicher, dass sie sich daran erinnert hätte. Abgesehen davon wusste sie, dass sie den Tanz bereits Danvers versprochen hatte, aber sie hätte sicherlich keine Gewissensbisse, die Gelegenheit zu nutzen und zuzusagen, um diesem Woodrow zu entkommen, der sie und ihre Schwester aus dem Ballsaal drängen wollte. Das Problem war, dass Lisa dann allein der heiklen Gnade von Lord Woodrow ausgeliefert sein würde und sie das einfach nicht zulassen konnte. Sie öffnete also schon den Mund, um dem blonden Mann freundlich zu erklären, dass er sich vertan haben musste und es nicht sein Tanz war, als Lisa fröhlich herausplatzte: »Ja, das stimmt. Danke, Mylord. Ich fürchte allerdings, ich kann meine Schwester in diesem Moment nicht allein lassen, und –«
»Seien Sie nicht albern«, sagte Woodrow leichthin und ließ Lisa los. »Ich kümmere mich um Ihre Schwester. Gehen Sie, und genießen Sie Ihren Tanz.«
»Oh, aber –« Lisa sah Suzette bestürzt an, doch der Blonde hatte bereits ihren Arm genommen und führte sie auf die Tanzfläche.
Seufzend winkte Suzette sie weiter. Es war nicht nötig, dass Woodrow sie beide grob behandelte und nach draußen schleppte. Abgesehen davon würde sie wohl größere Chancen haben, ihm zu entkommen, wenn sie nicht gleichzeitig darauf achten musste, dass auch Lisa flüchten konnte. Allerdings sah sie den beiden ein bisschen neidisch hinterher, als sie davongingen. Der Mann sah unglaublich gut aus. Unglücklicherweise deutete seine teure Kleidung darauf hin, dass er reich war. Er gehörte also wahrscheinlich nicht zu den Männern, die sie brauchte, um ihre Familie vor den Folgen zu bewahren, die ihr Vater mit seiner Torheit heraufbeschworen hatte. Lisa dagegen hatte die Freiheit, zu heiraten, wen sie wollte, und zwar nur aus Liebe … das war etwas, um das Suzette sie wirklich beneidete, wie sie sich unglücklich eingestand. Es schien wirklich nicht gerecht zu sein, dass sie sich für die Familie opfern musste, aber das Leben war wohl selten gerecht.
Woodrow drängte sie wieder weiter, und Suzette hörte auf, ihrer Schwester nachzusehen, sondern richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die missliche Lage, in der sie sich befand.
»Es ist wirklich nicht schicklich für eine junge Lady, von einem fremden Mann nach draußen geführt zu werden«, sagte sie grimmig, während er sie durch die doppelflügelige Tür auf die von Kerzenlicht erleuchtete Terrasse schob. »Wir sind uns noch nicht einmal richtig vorgestellt worden.«
Daniel sah die Frau an, die er am Arm festhielt. Die Schwester der Frau, die George geheiratet hatte, als er sich für Richard ausgegeben hatte. Es war wirklich ein Schock gewesen, als er und Richard es von ihrem Gastgeber erfahren hatten. Sie waren noch ganz damit beschäftigt gewesen, sich unter den Ballteilnehmern nach George umzusehen, der offensichtlich nicht anwesend war, als Landon sich zu ihnen gestellt hatte. Er hatte sie begrüßt und seine Überraschung darüber gezeigt, dass Richard gekommen war, wo doch seine Frau behauptet hatte, er sei krank.
Seine Frau?
Das war ein Problem, mit dem sie beide nicht gerechnet hatten. Nachdem Landon wieder gegangen war, um sich anderen Gästen zu widmen, hatte Richard sich sofort zu der betreffenden Frau aufgemacht. Als Daniel mit ihm bei der kleinen Blonden angekommen war, wurde sie glücklicherweise von einer der Frauen um sie herum mit dem Namen »Christiana« angesprochen, und sie selbst nannte passenderweise ihre Schwestern beim Namen, als diese ebenfalls zu ihnen getreten waren. Lisa war die jüngere Blonde, die im Ballsaal zurückgeblieben war. Die kleine Furie, die sich so unverschämt über Dickys offensichtliche Auferstehung geäußert hatte und jetzt in seiner Obhut war, hieß Suzette.
Daniel musterte sie genauer. Suzette. Erneut glitt der Name durch seine Gedanken. Ein hübscher Name für eine hübsche Frau. Er schätzte, dass sie sogar wunderschön sein konnte, wenn sie nicht so verärgert aussah. Dabei gefiel ihm der verärgerte Ausdruck auf ihrem Gesicht eigenartigerweise sogar. Die meisten Debütantinnen hätten ihre Verstimmung verborgen, indem sie ein gezwungenes Lächeln aufgesetzt und wild mit dem Fächer gewedelt hätten. Suzette dagegen hatte keine Probleme damit, ihre wahren Gefühle zu zeigen. Sie war erfrischend anders.
»Ich habe mich vorgestellt«, sagte er sanft, während er mit ihr die Terrasse entlang zu den Stufen ging, die in den Garten hinunterführten. Daniel hatte die Schwestern ursprünglich nur auf die Terrasse bringen wollen, damit Richard in Ruhe mit Christiana sprechen und herausfinden konnte, was mit George war. Jetzt dachte er, dass er Richard vielleicht besser helfen könnte, wenn er seinerseits ebenfalls versuchte, so viel wie möglich zu erfahren. Ganz sicher ging eine ganze Menge vor, was diese Sache betraf. Alle drei Frauen waren gleichermaßen schockiert gewesen, als sie bemerkt hatten, dass Dicky auf dem Ball war, und es war mehr als nur einmal erwähnt worden, dass sie ihn für tot gehalten hatten. Wenn George aber tot war, waren Richards Pläne in Gefahr.
»Das war alles andere als eine richtige Vorstellung, und das wissen Sie auch«, fauchte sie und versuchte, ihm ihren Arm zu entziehen.
»Nur zu wahr«, gab er ungezwungen zu, ohne seinen Griff zu lockern. Er drängte sie sogar noch weiter in den Garten hinein, ging mit ihr einen Pfad entlang, der kaum sichtbar zwischen den Bäumen hindurchführte. »Allerdings vermute ich, dass Sie auch keine richtige Lady sind, daher sollte das kein Problem sein.«
Suzette blieb plötzlich abrupt stehen, und dieses Mal schaffte er es nicht, sie weiter mit sich zu ziehen. Zumindest nicht einigermaßen würdevoll. Wenn er nicht stehen blieb, würde er sie noch hinter sich herschleifen wie eine alte Decke.
Daniel blieb also stehen und wölbte fragend eine Braue.
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, das noch einmal zu wiederholen?«, fragte sie kühl.
Daniel zögerte und erklärte dann etwas sanfter: »Ich meinte nur, dass ich den Eindruck habe, Sie verhalten sich nicht unbedingt immer so, wie es für eine Lady angemessen ist. Eine richtige junge Lady hätte sicherlich niemals so etwas gesagt wie Sie vorhin zu Richard.«
Ihre Blicke waren wie Dolche, ihre Lippen verzogen sich ablehnend. »Dicky hat es verdient. Der Mann ist ein Schurke. Er behandelt Christiana grausam und ist ein schrecklicher Gemahl.« Ihre freie Hand schoss vor, und sie stieß ihm einen Finger gegen die Brust. »Und Sie sollten sich dafür schämen, dass Sie sein Freund sind.«
Daniel widerstand dem Drang, den Finger zu nehmen, der so fest gegen seine Brust stach, und sagte grimmig: »Ich versichere Ihnen, dass ich nie mit dem Gemahl Ihrer Schwester befreundet war und es auch nie sein werde.« Er ließ ihr einen Moment Zeit, um diese Worte wirken zu lassen, und fügte dann hinzu: »Genau genommen halte ich ihn für eine verabscheuungswürdige Kreatur, die man auf ein Feld zerren und abknallen sollte.«
»Wirklich?«, fragte Suzette zweifelnd.
»Wirklich«, versicherte Daniel, während er dachte, dass George anscheinend eine ganze Menge zu verantworten hatte, wenn man alles in Betracht zog. Immerhin hatte er Suzettes Schwester Christiana in Richards Namen geheiratet, was bedeutete, dass die Ehe nicht legal war, sodass die arme Frau seit der Zeit, die sie verheiratet waren, in Sünde lebte. Kam die Wahrheit erst heraus und verbreitete sie sich, würden Christiana, Suzette und ihre jüngere Schwester in einen Skandal verwickelt werden, der so groß sein würde, dass sie sich unmöglich jemals wieder daraus befreien könnten.
Richard natürlich auch nicht. Und dann war da noch die Sache, dass George wahrscheinlich tot war. Wenn das stimmte, würde es für Richard noch viel schwerer werden, seinen Namen und seinen Titel zurückzugewinnen. Sie hatten auf Georges Geständnis gesetzt, um Richards Identität zu beweisen. Ohne dieses Geständnis allerdings … nun, Christiana konnte erklären, dass Richard in Wirklichkeit George war, der gar nicht in dem Feuer gestorben war, wie alle glaubten, sondern jetzt, da sein Bruder tot war, einfach nur versuchen wollte, alles an sich zu reißen. Das würden vermutlich viele Leute glauben. Himmel, sie würde es ja wahrscheinlich selbst glauben. Sie und alle anderen mussten sich schließlich fragen, warum er mit seiner Behauptung nicht schon eher aufgetaucht war, vor dem Tod des »Earls«. Sie würden also jedes Wort anzweifeln, das er sagte. Was bedeutete, dass sich die ganze Angelegenheit zu einem ziemlichen Durcheinander entwickelte, dachte Daniel.
»Warum helfen Sie Dicky dann so?«, fragte Suzette mit aufrichtigem Zweifel und zog seine Aufmerksamkeit wieder auf sich.
»Es geht mir nicht um Hilfe für Geo-Dick –« Daniel unterbrach sich abrupt. Statt mit seiner Erklärung fortzufahren, nahm er sich die Zeit, die Situation neu zu überdenken. Seit Richard hier aufgetaucht war, hatten ihn alle für Dicky gehalten – was bedeutete, dass George alle anderen dazu gebracht haben musste, ihn so zu nennen. Richard hätte diesen Spitznamen nie zugelassen. Ganz im Gegenteil, es war ja nur George gewesen, der ihn so genannt hatte, und zwar aus keinem anderen Grunde als deshalb, weil er wusste, dass es Richard nicht gefiel. Aber das Wichtige war, dass alle Richard für Richard hielten. Wenn also George wirklich tot war, würde er diese Angelegenheit sicherlich am besten dadurch lösen, indem er einfach zurück in sein Leben schlüpfte und so tat, als hätte er es nie verlassen. Natürlich ging das nur, wenn George wirklich tot war. Und es bedeutete, dass Richard die Ehe mit Christiana aufrechterhalten musste, aber –
»Also, warum haben Sie es dann getan?«, fragte Suzette ungeduldig. Sie war es offensichtlich leid, darauf zu warten, dass er mit seiner Erklärung fortfuhr.
Daniel schob seine Gedanken erst einmal beiseite und sagte: »Ich habe es getan, um zu verhindern, dass alle anderen mitbekommen, was Sie sagen. Es klang alles ein bisschen zu sehr nach einem ergötzlichen Skandal«, sagte er trocken und fragte dann vorsichtig: »Haben Sie und Ihre Schwestern wirklich geglaubt, dass Dicky tot ist, und ihn in Eis gepackt?«
Suzette seufzte angewidert. »Ja. Obwohl es offensichtlich etwas voreilig war, angesichts der Tatsache, dass er schließlich gesund und munter zu sein scheint.« Sie schüttelte den Kopf und fügte einigermaßen fassungslos hinzu: »Ich bin mir allerdings sicher, dass er tot war.«
»Vielleicht war er nur bewusstlos«, gab Daniel zu bedenken.
»Er hat nicht mehr geatmet«, entgegnete sie trocken, dann runzelte sie die Stirn. »Zumindest hat es so gewirkt. Und ich hätte schwören können, dass sein Körper bereits ein bisschen kalt geworden war, als wir ihn in Eis gepackt haben. Nun, vielleicht haben sich meine Hände auch nur kalt angefühlt, weil ich das Eis angefasst hatte.«
Daniel räusperte sich und fragte vorsichtig: »Was ist eigentlich vor seinem offensichtlichen Tod genau passiert? Hat er den Eindruck gemacht, als würde er sich nicht wohlfühlen?«
Suzette zog ein finsteres Gesicht, während sie nachzudenken schien. Schließlich sagte sie langsam: »Er hat sicher nicht krank gewirkt, während er heute Morgen versucht hat, uns wie zwei Hausiererinnen abzuwimmeln, als wir bei Christiana aufgetaucht sind. Er wirkte gesund und munter und so aufgeblasen wie ein Hahn.«
»Er hat Sie abgewimmelt wie zwei Hausiererinnen?«, fragte Daniel neugierig.
»Hmm.« Suzettes finstere Miene wurde noch finsterer. »Wir sind hingegangen, um mit Christiana über – na ja, Familienangelegenheiten zu sprechen. Aber der Butler hat uns an der Tür warten lassen, während er Dicky geholt hat. Und dann hat Dicky versucht zu verhindern, dass wir sie sehen können.« Sie wirkte verwundert und fügte hinzu: »Glücklicherweise ist Christiana in dem Moment aufgetaucht und hat sich eingemischt. Es ist ihr gelungen, ihn zu überreden, uns reinzulassen.« Ihre Lippen strafften sich bei der Erinnerung, und sie fügte hinzu: »Aber dann hat der Schurke darauf bestanden, dass wir im Salon auf sie warten, während er mit Christiana gefrühstückt hat. Anscheinend wollte er sie dafür bestrafen, dass wir so unangemeldet aufgetaucht sind«, fügte sie trocken hinzu. »Und er war die ganze Zeit verdammt aufgeblasen.«
Daniel wölbte die Brauen, als er sie so fluchen hörte. Ladys fluchten gewöhnlich nicht so wie Seeleute. Zumindest nicht die Ladys, die er kannte. Suzette entpuppte sich mehr und mehr als eine ziemlich außergewöhnliche Lady.
Sie seufzte unglücklich und sprach dann weiter. »Als Christiana schließlich zu uns kommen durfte, war er anfangs mit dabei. Natürlich wollten wir in seiner Anwesenheit nicht gleich erzählen, was Vater wieder getan hat.«
»Was Ihr Vater wieder getan hat?«, fragte Daniel sanft.
Ihre Miene verschloss sich, und sie ignorierte die Frage, sprach einfach weiter. »Es ist mir jedoch gelungen, ihn mit irgendwelchen Klatschgeschichten zu Tode zu langweilen, sodass er schließlich abgezogen ist. Danach haben wir Christiana alles gesagt.«
»Alles?«, fragte Daniel sofort. Allmählich wurde er richtig neugierig.
Was immer es war, es schien sie eindeutig zu bedrücken, und diesmal ignorierte sie seine Frage nicht, sondern warf ihm einen trockenen Blick zu und sagte: »Das müssen Sie nicht wissen. Niemand darf das wissen außer meinem zukünftigen Gemahl.«
»Sie sind verlobt?«, fragte er scharf. Aus irgendeinem Grund störte ihn dieser Gedanke.
»Nein«, sagte Suzette. Sie sah aus, als wäre die bloße Vorstellung ziemlich lächerlich. »Aber ich muss heiraten. Deshalb sind wir ja zu Christiana gegangen – damit sie dafür sorgen kann, dass Lisa und ich auf die Bälle gehen können und ich die Chance habe, einen zukünftigen Gemahl zu finden.«
»Verstehe«, sagte Daniel enttäuscht. Die Frau steckte offensichtlich in Schwierigkeiten und musste so schnell wie möglich heiraten, damit diese Schwierigkeiten nicht ans Tageslicht kamen, was sie in weniger als neun Monaten tun würden, wie er vermutete. Der Gedanke nahm ihrer Schönheit in seinen Augen ein bisschen den Glanz.
»Wie auch immer, Christiana war natürlich einverstanden. Immerhin musste sie Dicky wegen Vaters letztem Fehler heiraten, deshalb hat sie vollkommen verstanden.«
Was vermutlich gut war, dachte Daniel, aber er war jetzt doch ziemlich verwirrt. Er konnte sich nicht vorstellen, wie ein Mädchen durch den Fehler ihres Vaters in Schwierigkeiten geraten konnte, die es nötig machten, schnell zu heiraten. Zumindest nicht in diejenigen, die sich in neun Monaten offenbarten. Vielleicht hatte er sie an dieser Stelle falsch verstanden, dachte er.
»Also ist Christiana zu Dicky gegangen, um mit ihm darüber zu sprechen, dass sie uns in die Gesellschaft einführen wird, aber als sie ihn in seinem Arbeitszimmer gefunden hat, war der Idiot tot.«
Daniel biss sich auf die Lippe, als er ihren gereizten Tonfall hörte. In ihrer Stimme lag absolut keine Trauer, nur Gereiztheit wegen der unangenehmen Umstände. Aber George war nie jemand gewesen, der in seinen Mitmenschen feinere Gefühle hatte entfachen können. Er räusperte sich und fragte: »Ist er gestürzt und hat sich den Kopf eingeschlagen, oder –«
»Nein. Er saß einfach tot in seinem Sessel«, sagte sie ziemlich verbittert, dann fügte sie empört hinzu: »Offensichtlich ist er ein Opfer seiner eigenen Ausschweifungen geworden. Wir vermuten, dass es sein Herz war. Das Glas und der Whisky-Dekanter neben ihm deuten zumindest darauf hin, dass er nicht besonders auf sich achtgegeben hat. Ich bitte Sie, wer trinkt schon morgens harten Alkohol?«
Daniel schüttelte den Kopf, er wusste nicht, was er sagen sollte. In ihrer Stimme war so viel Wut, als sie von Georges Tod sprach, dass man hätte glauben können, er hätte es mit Absicht getan, um ihre Pläne zu durchkreuzen. Nach einem Moment fragte er: »Und Sie sind sich sicher, dass er tot ist?«
Suzette schenkte ihm einen weiteren bezaubernden Machen-Sie-sich-nicht-lächerlich-Blick. »Nun, ganz offensichtlich ist er es nicht. Er ist ja jetzt hier«, sagte sie, und dann schüttelte sie den Kopf und fügte kaum hörbar hinzu: »Obwohl ich hätte schwören können … er hat sich schließlich nicht im Geringsten gerührt, als er aus dem Sessel gerutscht und mit dem Kopf auf den Boden geknallt ist. Oder als ich ihn fallen gelassen habe und er noch mal mit dem Kopf auf das harte Parkett geprallt ist. Oder als wir ihn in den Teppich eingerollt und nach oben geschafft haben. Oder als wir ihn oben im Korridor fallen gelassen haben und er aus dem Teppich gerollt ist. Oder –«
»Ähm«, unterbrach Daniel sie, dann hüstelte er in seine Hand, um ein Lachen zu verbergen, bevor er fragte: »Wieso genau haben Sie ihn in einem Teppich weggeschafft?«
»Nun tun Sie nicht so dumm«, sagte sie erbittert. »Wir konnten ja wohl kaum zulassen, dass irgendjemand von seinem Tod erfährt, oder?«
»Konnten Sie nicht?«, fragte er unsicher.
Suzette wirkte jetzt gereizt. »Natürlich nicht. Wäre sein Tod bekannt geworden, hätten wir trauern müssen. Wie soll ich aber einen Gemahl finden, wenn wir uns von gesellschaftlichen Ereignissen fernhalten müssen, um zu trauern?«
»Oh. Verstehe«, sagte Daniel, und jetzt verstand er tatsächlich. Allmählich wurden die Dinge etwas klarer. Nach alldem, was mit George passiert war, ohne dass er reagiert hatte, musste er wohl wirklich tot sein.
»Natürlich hatte Christiana eigentlich vorgehabt, die Obrigkeit zu rufen und sie über seinen Tod in Kenntnis zu setzen. Aber ich habe sie daran erinnert, dass wir nur zwei Wochen Zeit haben, in denen ich einen Gemahl finden und meine Mitgift beanspruchen kann.«