Ein Privileg für Chenna - Dania Mari Hugo - E-Book

Ein Privileg für Chenna E-Book

Dania Mari Hugo

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Beschreibung

In Salinas Vampir-Gesellschaft ist nichts mehr wie es war. Die neuen Clans im Haus 5 wirbeln einigen Staub auf. Chenna und Sonny haben schwere Entscheidungen zu treffen. Wird es ihnen gelingen, durch ihr Vorhaben wieder ein wenig Normalität in den Alltag zurückzubringen? Wird am Ende die Liebe siegen oder stehen die Sterne schlecht für unsere beiden Heldinnen?

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Buchbeschreibung:

In Salinas Vampir-Gesellschaft ist nichts mehr wie es war. Die neuen Clans im Haus 5 wirbeln einigen Staub auf. Chenna und Sonny haben schwere Entscheidungen zu treffen. Wird es ihnen gelingen, durch ihr Vorhaben wieder ein wenig Normalität in den Alltag zurückzubringen? Wird am Ende die Liebe siegen oder stehen die Sterne schlecht für unsere beiden Heldinnen?

Über die Autorin:

Dania Mari Hugo ist mit Stift und Papier zur Welt gekommen. Schon als Kind hat sie mit größter Fantasie Geschichten erfunden. Die Begeisterung fürs Schreiben hat sie nie im Stich gelassen. Sie lebt allein mit ihren Figuren in einem Penthouse in Salina.

Ein Privileg für Chenna ist der dritte Band der Snappy-Kisses-Reihe.

Hinweis:

Zur Übersicht der Vampire, Clans und Häuser befindet sich am Ende des Buchs eine Liste der in diesem Band vorkommenden Charaktere.

Triggerwarnung:

Folgende Themen kommen in diesem Buch in unterschiedlicher Intensität vor: Trauer, Liebeskummer, sexuelle Handlungen, Blut, Verführung, Gewalt, Androhung von Gewalt, sexuelle Übergriffe, Alkoholkonsum, Tod, gleichgeschlechtliche Liebe.

This is just for me:

Alice, If you Stay MyGirl, I'm IN2U,

You Beauty Choice, please KissMe, Monbebe.

A Hidden Kard with a Wannable Mint Unicorn

Is the Key to the Army of Moodz, IGOT7 Lives,

From Starlight ToMoon, in my Joyful Universe.

The VIP Inspirited by the Innercircle Melody,

Atiny Fantasy, Ikonic Love Perfection.

You're my BestFriend on Earth, my Candy Baby.

My Treasure Maker, my Gem.

The Hottest Carat Angel ever seen.

For Once For X

Inhaltsverzeichnis

Was bisher geschah

Kapitel 1: Niemand kann dich ersetzen

Kapitel 2: Ich brauche keinen Freiwilligen

Kapitel 3: Sie kommt nicht

Kapitel 4: Sie hat mir ein blaues Auge verpasst

Kapitel 5: Du musst wohl mit mir vorliebnehmen

Kapitel 6: Ich weiß wirklich nicht, wieso ich das mache

Kapitel 7: So gehe ich nicht mit dir raus

Kapitel 8: Sie waren so dicht davor

Kapitel 9: Dein Blut ist verseucht

Kapitel 10: Und wonach suchen wir?

Kapitel 11: Bin ich das kleinste Übel?

Kapitel 12: Und ich war nicht dabei

Kapitel 13: Ganz schön schräger Vogel

Kapitel 14: Oh, vergiss es!

Kapitel 15: Starrst du mich an?

Kapitel 16: Ich muss echt was ausziehen

Kapitel 17: Ganz schön hart erkämpfter Drink

Kapitel 18: Wer hat dir das verraten?

Kapitel 19: Das gibt eine Revolution

Kapitel 20: Das will ich auch

Kapitel 21: Mal sehen, ob ich noch einen netten Vampir abbekomme

Kapitel 22: Dann war's das?

Kapitel 23: Komm her, Sherlock!

Kapitel 24: Das erklärt so einiges

Kapitel 25: Da läuft nichts

Kapitel 27: Das wird ein Blindflug

Kapitel 28: Dann war das nur ein Test?

Kapitel 29: Die schmeißen dich raus

Kapitel 30: Das gilt auch für dich, Herzchen!

Kapitel 31: Es ist vorbei

Kapitel 32: Hat das nicht Zeit bis morgen?

Kapitel 33: Das stand nicht auf der Agenda

Kapitel 34: Nein. Willst du nicht!

Kapitel 35: Ich bin tatsächlich zu spät

Kapitel 36: Unter Druck arbeite ich am liebsten

Kapitel 37: Was machen wir denn jetzt?

Kapitel 38: Vergnügt euch woanders

Kapitel 39: Wir werden niemals darüber sprechen

Kapitel 40: Ich kenne meinen Bruder

Kapitel 41: Feiern wir jetzt endlich eine Party?

Kapitel Liste der Charaktere

Kapitel Weitere Informationen

Was bisher geschah:

Die beiden Freundinnen Chenna und Sonny haben sich im letzten Jahr dem Snappy-Kisses-Club angeschlossen. Es handelt sich bei diesem Club um eine Gesellschaft von Vampirclans, die von den Küssen und Bissen ihrer jungen (weiblichen) Mitglieder lebt. Diese Zuwendungen sind für die Mädchen sehr reizvoll und beinahe unwiderstehlich.

Nachdem Kiniah, ein Vampir des Monsuta-Clans aus Haus 4, durch einen verzweifelten Racheakt eine Kettenreaktion von unglücklichen Vorfällen auslöst, nehmen die schlechten Ereignisse kein Ende mehr:

Aus Rache am Tod seiner Geliebten Yuri überfällt Kiniah zunächst das Haus Zero der Ur-Vampire, dann verbrennt er sich selbst im Garten von Haus 4 direkt an dem Pavillon, der der besondere Ort von Yuri und Kiniah war.

Auf der Trauerfeier für Kiniah wird das Haus von einem Clan wilder Vampire überfallen. Viele Mädchen sterben. Der Rat, bestehend aus den Anführern der einzelnen neun Clans, wird zusammengerufen. Für den Rat ist klar: Das fünfte Haus der Stadt, das seit beinahe hundert Jahren leer steht, und die verletzten Ur-Vampire bedeuten eine so große Schwachstelle, dass Salina dringend Hilfe benötigt.

Es gibt zwei Rettungsaktionen: eine für Chenna, die bei einem der folgenden Vorfälle von wilden Vampiren schwer verletzt wird und eine für die Gesellschaft von Salina, die ihren magischen Schutz wieder aufbauen muss.

Eine Gruppe von Vampiren und Mädchen macht sich auf die beschwerliche Reise ins Zentrum des Landes, wo sie in den Wäldern nach freien Clans suchen, die das Haus 5 wieder bewohnen sollen. Sie haben Erfolg und zwei neue Clans vervollständigen endlich wieder das schützende Pentagramm, das durch die fünf Häuser gebildet wird.

Chenna kann gerettet werden, doch Yesse, der für sein Privileg ein großes Risiko eingegangen ist, verliert den Kampf gegen das Virus, das sich zu allem Überfluss auch noch im Land ausgebreitet hat. So muss Chenna ihren Geliebten zu Grabe tragen.

Sonny, die sich noch immer um ihre große Liebe Jacco bemüht, kann inzwischen den Insiderstatus erreichen und mit Jacco Frieden schließen. Dennoch ist er weiterhin nicht zu mehr als einer schlichten Freundschaft mit Sonny bereit.

Chenna und Sonny freunden sich mit zwei Mädchen aus Taola an, die die Gesellschaft in der schweren Zeit unterstützt haben, Lexi und Madeline. Die Ärztin Isabella, ebenfalls aus Taola, ist auch zu Hilfe geeilt, stellt sich aber sehr schnell als blasierte Nervensäge heraus, die niemand wirklich um sich haben will. Die drei sind am Ende nach Taola zurückgekehrt. Eine weitere Freundin finden sie in Eva, einer schüchternen Anfängerin. Die Maknaes haben derweil alle Hände voll mit Debby zu tun, einem jungen Mädchen, dem sie einmal das Leben gerettet haben, und die im Geheimen bei ihnen Unterschlupf gefunden hat.

1

Niemand kann dich ersetzen

Sonny zog sich ihre Bluse über die Schultern und schloss die Knöpfe, während sie versuchte, Danil davon abzuhalten, ihr weiter von hinten auf den Hals zu küssen.

»Ich muss gehen«, flüsterte sie.

»Geh noch nicht! Es ist doch noch gar nicht so spät.«

»Ich muss aber morgen früh aufstehen.« Sie drehte sich in seinem Arm. »Im Gegensatz zu dir hab ich einen Job.«

Seine dunklen Augen blickten enttäuscht auf sie herab.

»Nein, bitte nicht dieser Blick«, flehte sie.

»Warum nicht? Wirkt er?«, fragte er siegesgewiss.

»Du weißt genau, dass ich dem nichts entgegenzusetzen habe.«

»So hatte ich es geplant.« Er beugte sich zu ihr und küsste sie innig.

Ihre Hände legten sich auf seine Brust. Ihr Verstand wollte ihn wegdrücken, wollte vernünftig sein, doch die Hände hörten nicht darauf und schoben sich hinauf zu seinem Nacken, wo sie sich festhielten und seinen Körper noch ein wenig näherzogen.

»Du wirst es nicht bereuen«, versprach er zwischen zwei Küssen und hob sie auf den Arm, um sie zurück zu seinem Bett zu tragen.

Mit kleinen Augen öffnete Sonny am nächsten Morgen die Tür zu dem Friseurstudio, das im Erdgeschoss von Haus 4 eingerichtet war.

»Guten Morgen«, grüßte Anna, die Chefin des Studios, und konnte sich ein schadenfreudiges Grinsen nicht verkneifen. »Na, lange Nacht gehabt? Wer war denn der Glückliche?«

Sonny seufzte. »Frag nicht. Ich muss noch an meinem 'Nein' arbeiten.«

»Das scheint mir aber auch so. Du weißt, dass wir heute volles Haus haben? Es ist Freitagmorgen, da kommen die ganzen Anfängerinnen.«

Sie nickte. »Ich mach mir erstmal einen Kaffee. Bin gleich voll da. Versprochen!« Sonny begab sich in den hinteren Bereich, wo sie sich umziehen konnte. Mit einem Knopfdruck brühte der Vollautomat ihr einen schwarzen Kaffee, den sie nur mit etwas Zucker verfeinerte. Der erste Schluck tat gut. Mit dem Becher in der Hand kam sie wieder nach vorne. Anna stand am Tresen und überflog das Terminbuch.

»Womit fangen wir an?«, wollte Sonny wissen und legte ihre Hände um die Tasse.

»Dein erstes Herzchen ist Jacco. Kannst du das schon ertragen?«

Sonny riss die Augen auf. »Kein Scherz?« Sie blickte selbst auf die Eintragung. »Seit wann kommen die Vampire tagsüber rausgekrochen?«

»Ist doch klar: Er steht auf dich.«

»Aber ich hab mich gestern Abend mit Danil getroffen. Du kannst mir nicht erzählen, dass das ein Zufall ist.«

»Oh oh! In deinen Schuhen möchte ich nicht stecken. Er hat den Termin auch gestern Abend erst gemacht.«

»War ja klar.« Sonny schüttelte den Kopf. »Was für ein Kindergarten.« Doch die beiden hatten keine Zeit mehr, das weiter auszudiskutieren. Die Tür ging auf und Annas erste Kundin kam herein. Kurz darauf erschien auch Jacco in der Tür. Er kam auf Sonny zu und begrüßte sie mit einem Kuss rechts und links auf die Wange.

Und obwohl sie nicht wusste, was sie von seinem Gebaren halten sollte, spürte sie sofort die Schmetterlinge in ihrem Bauch tanzen. Er setzte sich direkt ans Waschbecken. »Nur waschen heute. Ich will sie mal wieder etwas länger tragen.«

Sie wusste es doch. Und obwohl sie das kindische Verhalten der beiden albern fand, freute sie sich dennoch, ihn zu sehen.

Die beiden Vampire Danil und Jacco bemühten sich seit Monaten auf eine Art um Sonny, die nur schwer zu ertragen war. Wenn der eine sie auf ein Date einlud, war der andere schon wieder in den Startlöchern, seinen Konkurrenten zu übertrumpfen, auszubooten oder auf irgendeine Art dazwischenzufunken. Ihrer Fantasie waren dabei keinerlei Grenzen gesetzt.

Für Sonny war es nur anstrengend. Sie konnte das Zusammensein weder mit dem einen noch dem anderen richtig genießen. Sie war es langsam leid und dachte bereits seit längerem darüber nach, ob sie nicht einfach aus diesem Dilemma aussteigen sollte.

Sie mochte beide wirklich gerne. Ihr Herz schlug aber insgeheim nur für einen. Jacco. Wenn er sich endlich dazu entscheiden würde, eine feste Beziehung mit ihr einzugehen, könnte alles perfekt sein. Doch er lehnte genau das rigoros ab. Zu ihrem großen Bedauern.

Während sie nun hinter ihm stand und sanft mit ihren Fingerspitzen seine Kopfhaut massierte, musste sie sich sehr zusammenreißen, professionell zu bleiben.

Er hatte seinen Kopf auf die Kuhle im Waschbecken zurückgelegt und die Augen geschlossen. Sie betrachtete liebevoll seine Züge, die nicht ganz so ebenmäßig und makellos waren, wie bei den anderen Vampiren. Dennoch war er für sie der Schönste von allen. Er war besonders. Und sie war sehr froh, dass er sich inzwischen nicht mehr verstecken musste, wie er es getan hatte, als sie noch Anfängerin gewesen war. Die Salbe von Harlan, dem Wunderheiler der Gesellschaft, hatte nur noch einen Hauch der alten Verletzung zurückgelassen. Er würde diese Salbe weiterhin verwenden müssen, doch sie hatte ihm eine ganz neue Freiheit beschert. Früher war Jacco immer nur vermummt herumgelaufen und hatte sich auf den Partys meist gar nicht erst blicken lassen.

Anna kam gerade vorbei, als sie mit dem Waschen fertig waren und Sonny ihn bat, zum Frisierplatz zu wechseln.

»Hey Sexy! Ganz schön früh heute, hm?«, neckte Anna ihn.

Er lachte auf und schlug angedeutet nach ihr. »Keine unangebrachten Kommentare aus der zweiten Reihe, wenn ich bitten darf. Du bist ja nur verstimmt, weil ich gestern nicht zu dir gekommen bin.«

»Ach, träum weiter, Liebchen«, gab sie frech zurück und verschwand im Lager.

Er lachte in sich hinein und setzte sich dann auf den angewiesenen Platz. Sonny stellte sich hinter ihn. Und obwohl sie nicht hinsah, spürte sie, dass er sie im Spiegel beobachtete. Sie knetete sein langes Haar vorsichtig trocken, dann legte sie ihm das Handtuch um die Schultern.

»Und du willst wirklich nichts gekürzt haben?«, fragte sie und griff nach der Schere, um sie hochzuhalten.

»Wirklich nicht.« Diesmal trafen sich ihre Blicke im Spiegel und beide hielten kurz inne.

»Okay«, zuckte sie mit den Schultern, »du traust mir also immer noch nicht.«

»Das ist es nicht«, versicherte er ihr. »Ich würde sie mir von dir schneiden lassen, wenn ich es wollte.«

Sie nickte bedächtig. Dann packte sie die Schere wieder weg. Sie nahm Bürste und Föhn und begann, seine dunklen Wellen zu stylen.

»Wie war deine Woche?«, fragte er beiläufig.

»Gut«, antwortete sie knapp.

»Warst du in Haus 3?«

»Japp.« Sie schluckte. Was erwartete er von ihr? Dass sie ihm in allen Einzelheiten von ihrem Date mit Danil berichtete?

»Sehen wir uns heute Abend?«, wollte er jetzt wissen.

»Ich habe mich noch nicht entschieden.«

»Wovon hängt denn deine Entscheidung ab?« Seine Hand legte sich ganz sanft von hinten auf ihren Oberschenkel, während sie neben ihm stand. Und obwohl sie, nein, gerade weil sie diese Geste sehr genoss, blies sie ihm mit dem Föhn einmal kurz direkt ins Gesicht und er zog die Hand zurück.

»Hey!«

»Von deinem Benehmen womöglich?«

»Ist das so unangemessen?«

»Ich arbeite hier. Was soll denn mein Chef denken?«, gab sie trocken von sich.

»Der ja ich bin.«

Sie räusperte sich. »Ich hatte eher von Anna gesprochen, aber okay.«

»Ach, Anna hat damit kein Problem.« Er hielt ihren Arm fest und sah ihr direkt in die Augen. Sie wusste, was dieser Blick bedeutete. Doch so lange er ihr nicht wenigstens ein kleines bisschen entgegenkam, würde es ihr nur das Herz brechen, wenn sie dem nachgab.

Daher hatte sie sich vor dieser Art von Annäherung verschlossen und erwiderte den Blick nur kühl. »Aber ich vielleicht.«

Er ließ sie los und wandte sich wieder nach vorn. Trotz der leichten Spannung in der Luft ließ sie sich so viel Zeit, wie nur möglich. Doch irgendwann war auch die letzte Strähne trocken und wenn sie sie nicht grillen wollte, musste sie leider aufhören.

Die Zeit verging viel zu schnell. Wenn sie sich auch im ersten Moment über sein typisch eifersüchtiges Auftauchen geärgert hatte, wollte sie seine Gegenwart jetzt doch am liebsten noch ein wenig in die Länge ziehen. Aber es gab keinen Grund. Sein Haar saß perfekt und er betrachtete kritisch sein Spiegelbild. Dann erhob er sich langsam.

»Danke, Sonny.« Er umarmte sie flüchtig und drückte ihr einen Kuss aufs Haar. »Wir sehen uns.« Noch bevor sie etwas sagen konnte, war er hinaus. Sie blickte ihm bedauernd nach. Trotzdem würde sie sich heute Abend nicht in seinem Haus anmelden, nahm sie sich fest vor. Wohin sie gehen würde, wusste sie wirklich noch nicht. Sie würde später eine Entscheidung fällen.

Im benachbarten Stadtteil Sobona stand das Haus 2. Chenna trug eine dicke Jogginghose, zwei Schichten Shirts, dadrüber einen alten Hoodie und schwarze Springerstiefel. Es waren Yesses Sachen, die sie sich nach seinem Tod heimlich aus seinem Zimmer geholt hatte. Alles war ruhig, als sie jetzt das Haus, in dem er gelebt hatte, leise durch den Seiteneingang betrat. Die Kapuze des Hoodies hatte sie sich bis ins Gesicht gezogen. Es steckte noch immer sein Geruch darin, wie sie mit einem Stich ins Herz wahrnahm. Sie hatte sich einen Rucksack mit ein paar Wasserflaschen, einer Decke, einem Kissen und einer Campingunterlage gepackt. So ausgestattet schlich sie sich eilig an der Küche vorbei zur Kellertür und schlüpfte hindurch, noch bevor jemand sie dabei erwischen konnte.

Im Dunkeln tastete sie sich die robuste Steintreppe hinab, folgte dem Gang an mehreren Türen vorbei bis zum Ende und benutzte auf den letzten Metern die Taschenlampe ihres Handys. Sie leuchtete die Wand ab und fand den Hebel. Nachdem sie ihn nach unten gedrückt hatte, wurde ein Mechanismus in Gang gesetzt, der ein modernes Display freigab. Sie schob sich die Kapuze vom Kopf, um besser sehen zu können. Die Zahlenfolge einzugeben, bereitete ihr keine Mühe. Die Zahlen könnte sie nie vergessen. Die Erinnerung an den Moment, als sie sie erfahren hatte, überkam sie nicht zum ersten Mal. Die aufkommende Traurigkeit schluckte sie mit Gewalt hinunter.

Die Wand vor ihr schob sich beiseite und gab einen weiteren Gang frei. Eine angenehme Kühle schlug ihr entgegen. Hier leuchtete ein sanftes blaues Licht. Es war gerade so hell, dass sie sah, wohin sie trat und sie konnte ihre Handylampe ausschalten. Sie ging hinein. Als sich die Wand automatisch wieder hinter ihr schloss, konnte sie fast seine Stimme dicht an ihrem Ohr hören: »Was ist? Hast du Angst?«

Wie schon einmal pustete sie mit einem leisen Geräusch Luft durch die Lippen. »Nein!«, antwortete sie halblaut.

Wie bei ihrem allerersten Besuch ging sie an den ersten Räumen achtlos vorbei. Sie war in den letzten Monaten schon oft hier gewesen, um den Raum mit Yesses letzter Ruhestätte aufzusuchen. Erst nach mehreren Anläufen hatte sie ihn im weitläufigen Labyrinth der Gruft gefunden. Der Raum lag nicht weit entfernt von dem seines Bruders Luis. Inzwischen hätte sie den Weg blind finden können. Sie hatte jede Biegung im Kopf. Vor der Glastür blieb sie stehen. Sie öffnete sie mit einem Knopfdruck. Die Tür glitt geräuschlos beiseite. Ein wenig ehrfürchtig zögerte sie, bevor sie eintrat. Dann machte sie einen Schritt nach vorn und schloss die Tür hinter sich. Mit ihrem Handabdruck auf dem inneren Display verschloss sie den Raum. Es gab einen zusätzlichen schwarzen Vorhang, den sie zuzog, um unerwünschte Blicke durch die Glastür ebenfalls zu vermeiden. Es war ja nicht so, dass ständig Vampire hier vorbeiliefen. Die Gruft war keine Bahnhofshalle, aber sie wusste, dass sie früher oder später vermisst werden würde, und hier würden sie auf jeden Fall auch nachsehen.

Sie bewegte sich behutsam an den Sarg in der Mitte des Raumes heran. Er stand auf einem Podest und besaß feine Verzierungen rund um das glänzende Holz und goldene, verschnörkelte Griffe, genauso wie der Sarg von Luis. Ihre Finger glitten sanft über den gesamten Deckel, der sich beinahe weich anfühlte, so glatt wie er war. Diese Geste war für sie schon zu einer Art Ritual geworden.

Öffnen konnte sie ihn nicht. Diesmal nicht. Ein paar Mal hatte sie es gewagt, einen Blick auf ihn zu werfen. Doch das hatte sie nie lange ertragen. Dennoch hatte es das Verlangen, bei ihm zu sein, weiter gesteigert, bis sie es schließlich nicht mehr aushalten konnte. Sie hatte sich heimlich in der Bibliothek über die Technik der Verliese erkundigt und alles recherchiert, was ihr wichtig erschien. Nun wusste sie, wie sie sich hier verbarrikadieren konnte, ohne dass jemand die Möglichkeit besaß, sie davon abzuhalten.

Jetzt, wo sie alleine in diesem Raum stand, kam ihr alles ein wenig unwirklich vor. Vielleicht war sie auch nur verrückt geworden. Soll schon vorgekommen sein, dass jemand wegen des Todes eines geliebten Menschen durchgedreht ist, dachte sie.

Doch dann spürte sie etwas. Sie war hier nicht ganz allein. Sie blickte auf. Es war nicht das erste Mal, dass er ihr erschien.

»Du weißt schon, dass das lächerlich ist?« Yesse blickte gleichmütig von der anderen Seite des Sarges zurück.

Sie lächelte ihm sehnsüchtig zu. »Ich will nicht wissen, was du an meiner Stelle tun würdest.«

Er richtete sich auf. »Ich habe dir gesagt, du sollst aufhören, mich zu besuchen. Und jetzt willst du hier kampieren?«

Chenna blickte auf ihren Rucksack. Sie antwortete nicht.

»Das hältst du nicht lange durch«, behauptete er.

»Komm doch her und halt mich auf!«

Seine Augen blickten böse. »Hör auf mit dem Quatsch! Was soll das denn bringen?«

»Ich–« Sie hatte keine Antwort.

»Geh wieder nach oben und leb dein Leben, kleine Fee! Was du tust, ist dumm. Wieso quälst du dich selbst?«

»Ich vermisse dich so sehr«, flüsterte sie. Sie senkte den Blick, damit sie nicht vor ihm zu weinen begann. Als sie wieder hochsah, war er verschwunden. Eine Weile starrte sie ins Leere. Dann nahm sie ihre Sachen aus dem Rucksack und baute sich auf dem Boden an der Wand ein Lager.

»So schnell wirst du mich nicht los«, murmelte sie, während sie das tat.

Sie setzte sich und stützte ihre Ellenbogen auf die Knie. Um sich vor der drückenden Stille zu schützen, zog sie sich die Kapuze wieder über den Kopf. Dann hörte sie ein Rascheln neben sich und spürte seine Schulter, die sich an ihre drückte. Sie blickte nicht auf, damit die Illusion nicht sogleich wieder verschwand.

»Was versprichst du dir davon?« Seine Stimme war rau und verursachte ihr eine Gänsehaut.

»In dein Zimmer darf ich nicht mehr.«

»Auch das würde nichts bringen. Warum blickst du nicht einfach nach vorn?«

»Weil dort nichts ist, was auf mich wartet«, betonte sie.

»Und was wartet hier?«

»Ich warte hier. Auf dich.«

»Du musst doch zugeben, dass das keinen Sinn macht.« Seine Schulter drückte sich noch etwas stärker gegen ihre.

»Was erwartest du von mir?«

»Es sind jetzt schon einige Monate vergangen. Ich erwarte, dass du dich nicht aufgibst.«

Nun wagte sie es doch, den Kopf zu wenden. Sein Gesicht war direkt vor ihrem. Sie nahm den Sandelholzduft seiner Haut wahr, spürte seinen Atem. Sie musste vollkommen von Sinnen sein, denn diese Illusionen wurden immer realer.

Eine Träne rann ihr jetzt doch über die Wange. »Niemand kann dich ersetzen.«

»Das will ich doch hoffen«, gab er selbstgefällig zurück. »Ich bin ja auch einmalig.«

Sie gluckste leise.

»Was denn?«

»Bist du gar nicht«, widersprach sie.

Er zog seine Stirn in Falten. »Was willst du damit sagen?«

»Schon vergessen? Du hast einen Zwilling.«

»Ach, der«, entspannte er wieder. »Der zählt nicht. Luis ist völlig anders als ich. Er hat lediglich das gleiche atemberaubende Äußere.«

»Er hat noch etwas mit dir gemeinsam«, behauptete sie matt.

»Und das wäre?«

»Ihr seid beide tot.«

Er sah sie mit einem Seufzen an. »Musst du immer darauf herumreiten?«

Sie schmunzelte wehmütig darüber und sah zu, wie er sich vor ihren Augen erneut in Rauch auflöste. Mit einem lauten Stöhnen ließ sie sich auf ihre Decke fallen und rollte sich zu einem kleinen Bündel zusammen. Dann schloss sie die Augen und versuchte, die Dinge zu vergessen, die er ihr vorwarf. Sie wollte das alles nicht hören. Es gab einfach keinen Grund mehr für sie, weiterzumachen. Sie wollte nur hier liegen und nicht mehr aufstehen. Nie mehr.

2

Ich brauche keinen Freiwilligen

Es war der langersehnte Abend der nächsten Debütfeier. Ivory blickte zum wiederholten Male auf seine Uhr.

»Jetzt entspann dich doch«, stieß Rafal ihn an. »Du machst mich ganz kirre mit deinem Gezappel.«

»Wo bleibt sie denn? Es ist gleich neun.«

»Sie kommt schon noch. Du kennst doch Debby. Wieso sollte sie ihr Debüt verpassen?«

Ivory sah nervös aus. Er schenkte zwei vorbeilaufenden Mädchen, die ihm zuwinkten, ein aufgesetztes Lächeln, dann wandte er sich wieder an Rafal: »Wie konnte ich nur so bescheuert sein, Yoshi als Einweiser zu bestimmen?«

Rafal hob seine Augenbraue und nahm einen Schluck aus seinem Glas. »Das habe ich mich ehrlich gesagt auch schon gefragt.«

»Was? Wieso?« Er riss den Kopf herum.

»Weil ich ein viel besserer Einweiser gewesen wäre«, zuckte Rafal mit den Schultern.

Ivory atmete auf und schüttelte entnervt den Kopf. »Ach so.«

Dann stieß Rafal ihn an. »Da ist sie.«

Ivory blickte auf. Er entdeckte sofort das kleine, dunkelhaarige Mädchen mit dem runden Gesicht und den großen Augen, das ihm so vertraut war wie kein anderes. Sein Herz schlug tatsächlich etwas schneller. Er hatte sie jetzt seit mehreren Monaten nicht gesehen. Die letzten Debütpartys waren wegen Yesses plötzlichem Todesfall ausgesetzt worden und darum hatte Debby sehr lange auf diesen Moment warten müssen, genau wie er selbst.

Mit großer Erleichterung sah Ivory zu, wie sein kleines Mädchen – denn das war sie für ihn – sich wie selbstverständlich unter den Partygästen bewegte. Sie war wunderschön, ihr langes Haar glänzte und ihre Augen leuchteten. Sie trug ein schwarzes schulterfreies Top und dazu eine hautenge Jeans und hohe Schuhe. So hatte er sie noch nie gesehen.

Er machte einen Schritt nach vorne, doch Rafal hielt ihn zurück. »Was hast du vor?«

»Ich will sie begrüßen.«

»Gar nichts wirst du!« Er schob seinen Freund ein Stück zurück und brachte ihn dazu, sich auf den Barhocker hinter ihm zu setzen. »Du lässt sie schön in Ruhe, bis sie zu dir kommt, verstanden?«

»Warum sollte ich?«

»Bist du irre?« Er blickte zu ihr, dann wieder zu Ivory. »Willst du, dass alles auffliegt?«

Ivory atmete tief durch. »Ich werde mich schon nicht verplappern.«

»Darauf würde ich mich nicht verlassen. Du hast zwei Jahre mit ihr gelebt. Außerdem ist es nicht das, was du sagst, das dich verraten würde, sondern das, was du ausstrahlst.«

»Was soll schon passieren?«

»Sie könnte Clubverbot auf Lebenszeit bekommen. Willst du das?«

Ivory rückte sich auf dem Hocker zurecht und bestellte neue Drinks. »Okay, schon gut. Ich seh's ja ein.«

»Wir sitzen einfach hier und trinken einen. Mehr nicht.«

»Sie wird sowieso gleich zu mir kommen.«

Die Getränke wurden gebracht und Ivory schob Rafal sein Glas rüber. Rafal blickte missmutig darauf. Dann schüttelte er den Kopf und schob es wieder von sich. »Ach, ich weiß nicht. Die Luft ist so voller Jungfrauenenergie. Mir ist mehr nach frischem Blut.« Er sah Ivory prüfend an, während er sich erhob. »Kann ich mich darauf verlassen, dass du nicht durchdrehst?«

Ivory sah ihn verdutzt an: »Kann ich mich bei dir darauf verlassen?«

Rafal lachte auf. »Ich mach schon keinen Ärger.«

»Ich behalte dich im Auge, mein Freund.«

Rafal knuffte ihn auf den Oberarm, dann ging er auf ein Mädchen zu, das sehr verloren in der Menge stand und sprach sie an.

Ivory hatte kein Interesse an den anderen Mädchen. Er wusste, er hätte sich um die Debütantinnen kümmern sollen, doch er blieb im Hintergrund und versuchte, Debby so unauffällig wie möglich zu beobachten. Sie hatte sich bereits mit einigen der Mädchen unterhalten und auch mit zwei Vampiren, doch geküsst hatte sie noch niemanden. Er wusste, dass er sich zurückhalten musste. Da hatte Rafal schon recht. Aber er machte sich Sorgen um sie. Er wollte so gerne der Erste sein, der sie küsste. Wenn Yoshi als Einweiser seinen Job richtig gemacht hatte, hatte er sie nicht angerührt.

Es war nicht nur, dass Ivory sie sowieso mindestens einmal in ihrem Leben küssen musste, damit sie in der Gesellschaft aufsteigen konnte. Und dass sie das wollte, hatte sie längst klargestellt. Es war auch nicht, dass er diesen Kuss möglichst bald hinter sich bringen wollte, oder dass er wusste, dass sie sich das so sehnlichst wünschte. Er wollte der Erste sein, damit sie nicht in die Privilegfalle tappte. Wenn ein und derselbe Vampir ein Mädchen zum ersten Mal küsste, sie biss und mit ihr schlief, hatte er ein Privileg auf sie, was die beiden auf besondere Art für immer verband. Er wollte selbst nicht dieses Privileg haben, denn es würde ihm niemals möglich sein, mit ihr mehr, als nur einen Kuss auszutauschen – und selbst das war schon sehr grenzwertig für ihn. Aber er wollte verhindern, dass irgendein anderer Vampir das erreichte. Sie sollte ein freies Mädchen sein, das tun und lassen konnte, was immer sie wollte. Mit diesem ersten Kuss würde er das Privileg ein für alle Mal abwenden können.

Es war in der Gesellschaft von Salina bisher nur einmal vorgekommen, doch da das gerade erst vor kurzem gewesen war, konnte es durchaus sein, dass irgendwer auf die Idee kam, das für sich auszunutzen.

Debby kam schließlich durch den Raum auf ihn zugeschlendert und blieb direkt neben ihm an der Theke stehen. Ohne ihn zu beachten, beugte sie sich vor und bestellte bei der Barkeeperin einen Cocktail. Während sie darauf wartete, rutschte sie auf den Barhocker neben ihm und ließ die Beine baumeln.

Sie bekam ihr Getränk und sog einen Schluck des bunten Drinks durch einen Strohhalm. Während sie weiter nach vorne schaute, und in ihrem Drink herumrührte, begann sie, ruhig zu sprechen: »Ich habe mich echt gefragt, ob du wohl heute hier sein würdest.«

»Warum sollte ich nicht?«

»Na ja. Wir sind ja nicht eben im Frieden auseinandergegangen.« Jetzt wandte sie den Kopf und sah ihn an. »Und da dachte ich, du würdest dir lieber mit den erfahrenen Mädchen den Abend vertreiben statt mit diesen Küken.«

»Und dass ich diesen Tag kaum abwarten konnte, kam dir nicht in den Sinn?«

»Wirklich nicht?«, blinzelte sie erstaunt.

»Ich habe dich vermisst, Kätzchen.«

»Nenn mich doch hier nicht so«, murmelte sie und wandte sich wieder ihrem Drink zu.

»Entschuldige.« Er drehte sich ebenfalls nach vorn.

Eine Weile saßen sie stumm nebeneinander. Dann holten beide gleichzeitig Luft, um etwas zu sagen, und unterbrachen sich gegenseitig. Darüber mussten sie lachen.

»Sag du zuerst«, bat er sie.

Sie senkte den Blick. »Ich wollte dich fragen, ob du mich immer noch ablehnst.«

»Aber ich lehne dich doch nicht ab, Debby. Hab ich nie.«

Sie sah ihn schmollend an. »Du weißt genau, was ich meine.«

Dies war der Moment. Er wusste es. Und es bedurfte auch keiner weiteren Erklärung. Er rutschte von seinem Hocker herunter und beugte sich zu ihr. Mit einer ruhigen, unbeirrten Bewegung schob er seine rechte Hand in ihren Nacken und versenkte sie in ihrem vollen Haar. Er zog ihren Kopf sanft nach hinten und seine Lippen fanden ihre. Zum allerersten Mal. Die Erde hätte stehenbleiben müssen für sie. Doch das tat sie nicht. Sie drehte sich immer weiter. Keiner von ihnen verlor den Verstand oder das Bewusstsein, keiner spürte eine kosmische Explosion oder auch nur Schmetterlinge im Bauch.

Sie sahen sich an.

»Ähm«, machte Debby und suchte nach Worten.

»Es ist schlimmer, als ich gedacht hätte«, gab Ivory zu.

»Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber da stimmt doch was nicht.« Sie räusperte sich verlegen. »Ich glaube, du hattest recht.«

»Hatte ich?«

»Wir sollten das nicht wiederholen.«

Ivory nickte. Dann zog er eine Karte aus seiner Tasche und schob sie ihr über den Tresen zu. »Tu mir einen Gefallen und leg die gut weg. Ich werde dir keine zweite geben und eine brauchst du später von jedem Vampir für deine Beförderung.«

»Ich werd's mir merken«, nickte sie und nahm die Karte an sich. Sie sah ihn direkt an. »Woher wusstest du das?«

»Was? Dass wir zwei beim Küssen keinen Spaß haben werden?«

»Ja.«

»Nur so ein Bauchgefühl.«

Sie nickte anerkennend. »Ich werde eine Weile brauchen, darüber hinwegzukommen, das ist dir doch klar?«

»Du hast jetzt endlich, was du wolltest. Du bist ein Snappy-Kisses-Girl.«

»Noch nicht.« Sie griff nach ihrem Glas und blickte durch den Raum. »Ich bin nicht sicher, ob das hier wirklich was für mich ist.« Sie nahm einen Schluck. »Ist ja alles ganz nett, auch die Leute und so, aber so richtig überzeugt bin ich noch nicht, weißt du?«

Er blickte sie entgeistert an, was sie zum Lachen brachte. Sie nahm einen Schluck durch den Strohhalm, dann stellte sie das Glas zurück. »Also, wen kannst du mir empfehlen?«

»Du machst mich echt fertig, weißt du das?«

»Wieso? Wenn ich dich nicht fragen kann, wen denn sonst?«, lachte sie auf. »Soll ich den da mal ansprechen?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nein?«

Dann lachte er in sich hinein. »Nein, schon gut. Such dir deine Vampire selber aus. Ich wollte damit nur sagen, ich gebe dir keine Empfehlungen. Das ist Mark. Der ist okay. Hier sind eigentlich alle okay. Die schlimmen Jungs kennst du ohnehin schon.«

»Ihr drei Maknaes, was?«

Er zog sie in den Arm und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Ich verzieh mich jetzt. Ich glaube nicht, dass du mich noch brauchst. Und wenn doch, ist Rafal ja auch noch da.«

»War nett, dich kennengelernt zu haben«, rief sie ihm demonstrativ hinterher und er winkte lachend ab, als er ging.

Harlan saß schon wieder seit Stunden im Labor an seinem Computer und konnte nicht aufhören, den Fehler zu suchen. Er war sich so sicher gewesen, die Lösung gefunden zu haben: Ein Mittel, das die Schäden, die das Virus in Yesses Körper verursacht hatte, wieder reparieren sollte. Doch es hatte keine Wirkung gezeigt. Er hatte Varianten versucht. Wieder und wieder. Aber Yesse reagierte auch darauf nicht.

Leandro schob sich müde durch die Tür ins Labor. »Hier bist du schon wieder?«

Harlan blickte kurz auf. »Hey, du!«

Leandro trat an ihn heran, umarmte ihn von hinten und sah ihm über die Schulter zu. »Es lässt dir keine Ruhe, oder?«

»Ich kann einfach nicht verstehen, warum es nicht funktioniert. Wie oft ich es schon versucht habe.« Er riss sich die Brille von der Nase und sah seinen Freund an. Der löste sich von ihm und ließ sich in einen zweiten Drehstuhl fallen, in dem er sich jetzt hin und herzuschaukeln begann. »Du hast auch nichts bei der Anwendung übersehen?«

»Was meinst du?«

»Die Dosis, die Art der Medikamentengabe, die richtige Temperatur, die Dauer, der Zeitpunkt, das richtige Blut, ob der Jupiter im richtigen Mond stand?«

Zunächst hatte Harlan genau zugehört, doch bei der letzten Bemerkung schnaufte er leise und versetzte ihm einen liebevollen Tritt gegen den Fuß. Dann nickte er. »Ich bin das wieder und wieder durchgegangen. Bei den Varianten ebenfalls. Ich muss schon vorher irgendwas übersehen haben. Wenn ich doch jemanden hätte, der ein bisschen Ahnung hat.«

»Hey!«, rief Leandro aus und gab den Kick zurück.

Harlan lachte verlegen auf. »Das kam jetzt falsch rüber. Ich meinte, jemanden, der mehr in der Materie steckt.«

»Danke«, nickte er und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich wüsste ja auch niemanden, der sich damit so gut auskennt wie du.«

»Also, ich wüsste schon jemanden«, murmelte Harlan, wandte dabei aber den Kopf ab.

Leandros Blick wurde starr. »Du sprichst doch jetzt hoffentlich nicht von Wulfgang?«

Harlan räusperte sich, erwiderte jedoch nichts.

Leandro versank für einen Moment in dumpfes Schweigen.

»Was soll ich nur machen, um dahinter zu kommen?«, fing Harlan jetzt wieder an, laut zu denken.

»Wann warst du zuletzt bei Yesse?«

»Gestern Abend. Das sind vier Tage seit der Gabe der letzten Variante. Schon wieder alles vergeblich. – Ich bin heute auf die Party gegangen, um einmal an etwas anderes zu denken, doch ich konnte nicht abschalten.«

»Und hast du schon mit Chenna gesprochen?«

»Ich habe sie seit Tagen nicht gesehen.« Harlan schüttelte den Kopf. »Sie ist wirklich am Boden zerstört. Soweit ich weiß, geht sie inzwischen gar nicht mehr aus. Man sollte meinen, dass es über die Zeit besser wird. Aber bei ihr habe ich eher den Eindruck, sie nimmt es jeden Tag nur noch schwerer. Ich will ihr so gerne helfen und damit Yesse natürlich auch.«

»Du solltest eine Testreihe machen. Könnten wir nicht irgendwen als Dummy verwenden?«

»Wer würde sich dafür schon freiwillig melden?«

»Keine Ahnung. Aber erst einmal musst du dem Fehler auf die Spur kommen. Vielleicht liegt es an der Blutgruppe oder an der DNA oder einem fehlenden Enzym? Hat er möglicherweise eine Anämie?«

Harlan sah ihn geduldig an. »Natürlich, Schatz. Wie gut, dass wir nicht darauf angewiesen sind, dass du uns medizinisch versorgst.«

Leandro ignorierte den Spott. Er kam gerade erst in Schwung: »Es könnte ein Mangel an Leukozyten schuld sein oder vielleicht eine Genveränderung. Asperger, das Stockholm-Syndrom, Bronchitis, Borreliose? Hast du ihn schon auf diese nekrotisierende Fasciitis untersucht? Was ist mit Legionellen?«

Jetzt fing Harlan an, zu lachen. »Es ist erstaunlich, was du alles so aufschnappst.«

»Was?«, fragte Leandro mit einem Lächeln und streckte die Hände aus, »du hast das alles noch nicht in Betracht gezogen. Gib's zu!«

»Du hast recht. Das Stockholm-Syndrom hatte ich tatsächlich noch nicht in Betracht gezogen.« Doch dann wurde Harlan plötzlich wieder ernst. »Aber, weißt du was? Du hast mich da auf eine Idee gebracht.«

»Hab ich wirklich?« Jetzt war es an Leandro, erstaunt zu sein.

»Ich brauche keinen Freiwilligen. Ich habe bereits einen.«

Leandro sah zu, wie Harlan sich wieder an seinen Computer setzte und wie wild zu tippen begann. »Und wie es aussieht, habe ich mich damit selbst ins Aus geschossen«, stellte er trocken fest.

Harlan antwortete nicht darauf. Leandro war nicht einmal sicher, ob er ihn überhaupt gehört hatte. Er kannte diese Eigenart von Harlan nur zu gut und nannte sie den Flow-Zustand. Harlan befand sich dann in einer Art Parallelwelt, aus der er nur schwer herauszulösen war. Darum versuchte er es auch gar nicht erst.

Er seufzte, schenkte Harlans Rücken noch ein letztes Lächeln und zog sich dann leise zurück.

3

Sie kommt nicht

Chenna erwachte mit Kopfschmerzen und nahm einen Schluck Wasser aus ihrer Flasche. Sie setzte sich schwerfällig auf und blickte auf den Sarg vor ihr. Richtig schlafen konnte sie nicht und gegessen hatte sie schon ewig nichts mehr. Sie fühlte sich ausgelaugt und ein wenig betäubt. Sie hatte keine Ahnung, ob es Tag oder Nacht war und wie lange sie hier schon gelegen hatte. Der Akku von ihrem Handy hatte bereits seinen Dienst eingestellt. Dann hörte sie ein Geräusch von der Tür und gleich darauf trat Yuri hinter dem Vorhang hervor.

Chenna blickte unbeeindruckt zu ihr auf. Sie hätte eigentlich erstaunt sein sollen, denn Yuri war schon seit Monaten tot. Aber es überraschte sie schon lange nichts mehr.

»Kommst du auch, um mir Vorwürfe zu machen?«, fragte sie den Geist ihrer alten Freundin.

Yuri setzte sich neben sie auf den Boden. »Warum sollte ausgerechnet ich dir Vorwürfe machen?«

»Weil ich diejenige bin, die in der Gruft ihres verstorbenen Geliebten hockt und aufgegeben hat.«

»Du hast nicht aufgegeben, Schätzchen. Das glaubst du nur.«

Chenna blickte ihrer Mentorin in die traurigen Augen. »Woran soll ich denn noch festhalten? Mir ist doch in dieser Gesellschaft außer Yesse nichts Gutes widerfahren.«

»Du solltest wirklich nicht so schwarzmalen!« Yuri legte ihre Hand auf Chennas Knie. Diese spürte das Gewicht deutlich, betrachtete die frisch lackierten, langen Fingernägel. Yuris Duft drang ihr in die Nase, das blumige Parfum, das ihr innerhalb kürzester Zeit zu ihrem vertrauten Lieblingsduft geworden war.

Yuri lehnte ihren Kopf zurück und drehte ihn dann zu Chenna: »Es gibt etwas, das ich dir nie erzählt habe.«

Chenna sah sie gleichmütig an. Was konnte das schon sein?

»Vor beinahe hundert Jahren, an meinem allerersten Abend, hatte ich ein Erlebnis, das ich keinem anderen Mädchen wünschen würde.« Sie atmete einmal tief durch, bevor sie fortfuhr: »Ein Vampir hat mich angegriffen.«

Jetzt wurde Chenna doch hellhörig.

»Ich wurde gerissen.«

»Genau wie ich?«, flüsterte sie ungläubig.

»Richtig. Ich muss dir nicht erklären, wie ich mich gefühlt habe. Es war die Hölle. Ich dachte, ich muss sterben.«

Chenna nickte und starrte ihr wie gebannt auf die Lippen.

»Zayne hat mich damals geheilt. Gleich vor Ort. Es war auch der Grund, wieso wir dann ein Paar wurden, nehme ich an.« Sie lachte verlegen auf. »Eine jahrelange und sehr leidenschaftliche On-Off-Beziehung habe ich mit ihm geführt.« Dann fügte ihre rauchige Stimme hinzu: »Der Vampir, der mich verletzt hat, war Haywood.«

Chenna sog geräuschvoll die Luft ein. Ihr fehlten die Worte. Ausgerechnet Haywood? »Aber–«

»Ich weiß, was du sagen willst: Warum hab ich es dir nicht gleich gesagt? Damals, als ich dir die Geschichte von Haywood erzählt habe.«

»Ja, das würde ich wirklich gerne wissen.«

»Ich hatte ihm verziehen. Er konnte nichts dafür. Das Virus hatte seine Sinne verwirrt. Er befand sich im Fieberwahn und wusste nicht, was er tat. Außerdem war ich selbst schuld. Ich hab allein den Debütraum verlassen, was aus gutem Grund verboten ist. Wir zwei haben uns vor langer Zeit ausgesöhnt und Haywood ist ein Vampir, den ich sehr schätze.« Sie sah ihr in die Augen. »Ich wollte, dass auch du ihm verzeihst, und ich nahm an, wenn du die Wahrheit gewusst hättest, wäre es dir viel schwerer gefallen.«

»Was treibt ihr zwei da?« Eine ruhige Stimme ließ beide Frauen aufblicken. Kiniah stand vor ihnen, chic angezogen, in einem dunklen Anzug und mit gestylten Haaren. Er hatte die Hände in die Hüften gestemmt und betrachtete die Zwei kopfschüttelnd.

»Wie siehst du denn aus?«, lachte Yuri und erhob sich. »Hast du noch etwas vor?«

Er blickte ihr mit einem milden Lächeln entgegen. »Hallo, meine Göttin. Wieso lässt du mich immer warten?«

»Ich hatte ein paar Dinge mit Chenna zu besprechen.« Yuri blieb dicht vor ihm stehen und strich ihm eine Strähne hinters Ohr. Dann legte sie ihren Arm auf seine Schulter und die beiden blickten nun gemeinsam auf Chenna hinab.

»Alles wird gut, wenn du nur vertraust!«, sagten sie im Chor und zerrannen direkt vor ihren Augen, als wären sie aus Sand.

Chenna sprang auf. Sie stürzte auf die Illusion zu. »Das hast du mir schon mal gesagt!«, schrie sie Kiniah hinterher. »Aber nichts ist gut geworden. Er ist tot, hörst du. Er ist fort, hat mich verlassen. Ihr alle habt mich verlassen und ich stehe hier ganz allein. Mir ist nichts geblieben. Wem soll ich da bitte noch vertrauen?«

Sie waren verschwunden, bevor sie noch ganz bei ihnen war. »Yuri! Kiniah!« Sie sank auf die Knie und brach in Tränen aus. Ein wütender Schrei drang aus ihrer Kehle. Kurz darauf hörte sie, wie sich jemand an der Tür zu schaffen machte. Da der Vorhang immer noch zugezogen war, konnte sie nicht sehen, wer es war. Doch sie erkannte seine Stimme und die war echt: »Hallo? Wieso ist diese Tür verschlossen? Yesse? Bist du das?« Es war Harlan.

Chenna wollte sich damit jetzt nicht befassen. »Geh weg!«, schrie sie ihm zu.

»Chenna?«, seine ungläubige Stimme machte einen Kieks.

Sie ließ einen weiteren wütenden Schrei hören.

»Was tust du denn da drin?«, rief er jetzt vorwurfsvoll zurück. »Komm sofort da raus! Du dürftest gar nicht hier sein.« Er sprach leise weiter, wie zu sich selbst, doch auch das konnte sie verstehen: »Wie ist sie nur hier reingekommen? Und wie hat sie es geschafft, die Tür zu verriegeln? Dieses Mädchen ist erstaunlich. Auch ein bisschen lästig, aber doch irgendwie genial.«

»Lass mich allein, Harlan!«

»Das kann ich nicht tun. Du musst sofort da rauskommen.«

»Nein!«

Er schnappte nach Luft. Chenna hörte ihn mit irgendwas hantieren, aber sie verkniff sich, nachzusehen, was er tat. Vielleicht wollte er sie ohnehin nur dazu bringen, an die Tür zu kommen. Doch den Gefallen tat sie ihm nicht. Schließlich sagte er: »Also schön, ich komme wieder. Mach es dir nicht allzu bequem da drin.«

Dann wurde es wieder ruhig. Chenna sank erschöpft zurück auf ihr Lager. Ihr war schwindelig, selbst im Liegen. Der Raum drehte sich leicht hin und her, so als befände sie sich auf einem Schiff. Sie dachte an Harlan. Er konnte gar nichts tun. Das war ganz sicher. Sie musste sich keine Sorgen machen. Sie durfte hier so lange bleiben, wie sie wollte.

Ihr fielen die Augen zu. Immer wieder blinzelte sie und versuchte, den Sarg im Auge zu behalten. Aber es war sehr anstrengend, so weit nach oben zu schauen. Sie lag auf der Seite und als sie jetzt wieder die Augen öffnete, war er neben ihr. Er lag ebenfalls auf der Seite und seine dunklen Augen blickten sie sanft an.

»Yesse«, hauchte sie selig. »Du bist wieder da.«

»Und du bist immer noch hier?«

»Ich warte auf dich.« Es war kaum noch ein Flüstern. Ihr Gespräch ging fließend in den Gedankenübertragungsmodus über.

»Deine Sinne spielen dir einen Streich.«

»Ja, ich weiß. Aber ich werde nicht aufgeben.«

»Im Grunde könntest du auch gleich in den Sarg steigen und dich zu mir legen. Ist eigentlich ganz gemütlich da drin.«

»Glaubst du, dass ich einen Hirntumor habe?«

»Weil du tote Menschen siehst?«

»Ja.«

»Nein. Ich glaube, du bist einfach nur sehr traurig.«

»Wirst du zu mir zurückkommen?«

»Ja, das werde ich.«

»Wirklich?«

»Ja, aber du musst dich gedulden. Ich bin nicht mehr der, den du kanntest.«

»Was meinst du damit?«, murmelte sie noch, dann schloss sie endgültig die Augen und sank in einen unruhigen Schlaf.

Sonny blickte auf, als Jacco wie am Vortag durch die Tür des Salons hereinkam, doch hatte er heute keinen Termin. Er sah sich suchend im Raum um, dann entdeckte er Sonny und kam direkt auf sie zu.

»Komm mit!«, befahl er ohne Begrüßung.

Sie riss die Augen auf. »Was soll das denn?« Sie zeigte auf die Kundin, die vor ihr saß. »Ich bin beschäftigt.«

»Ich brauche dich aber. Jetzt sofort!« Er sprach mit gedämpfter Stimme und etwas in seinem Blick alarmierte sie. Irgendetwas musste geschehen sein. Etwas, was er hier nicht herumposaunen wollte. Sie entschied, ihm zu vertrauen, und entschuldigte sich bei ihrer Kundin. Gleichzeitig schnippte Jacco eine Kollegin heran. »Mach du hier weiter! Sonny wird woanders gebraucht.«

Dann stürmte er hinaus. Sonny folgte ihm. Er eilte zur Haustür. »Wir müssen zu Haus 2«, erklärte er knapp.

Sonny fragte nicht. Sie hatte schon eine Ahnung. Es konnte nur um Chenna gehen. Sie war so fragil und unberechenbar seit Yesses Tod. In letzter Zeit mehr denn je. Eine tickende Zeitbombe.

Jacco brachte sie in Vampirgeschwindigkeit ins benachbarte Stadtviertel. Als sie die Eingangshalle betraten, war ihr noch ein wenig schwindelig und sie musste sich kurz an einer Kommode festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

»Wo bleibst du denn?«, zickte Jacco, der schon an der Kellertür angelangt war.

»Gib mir eine Minute, okay?« Sonny schloss kurz die Augen, damit das Drehen aufhörte. Sie hörte ihn ungeduldig schnaufen und riss sich zusammen. Dann folgte sie ihm nach.

Als er die Kellertreppe hinabging, wurde sie stutzig. »Was wird das denn? Wohin bringst du mich?«

Er nahm ihre Hand und zog sie mit sich. »Niemand weiß, wie sie da reingekommen ist. Eigentlich dürfte sie von diesem Ort gar nichts wissen. Aber jetzt bekommen wir sie nicht mehr heraus. Sie hat sogar die Tür blockiert. Woher hat sie nur diese Kenntnis?«

Sonny zog die Mundwinkel nach unten und schüttelte noch im Laufen den Kopf. »Ich habe absolut keine Ahnung, wovon du sprichst.« Das war eine glatte Lüge. Natürlich hatte Chenna ihr von ihrem ersten kleinen Ausflug mit Yesse in die Gruft berichtet. In allen unanständigen Einzelheiten. Aber das würde sie Jacco sicher nicht auf die Nase binden.

Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um. Er tat es so abrupt, dass sie nicht rechtzeitig stoppen konnte und in ihn hineinrannte.

Sein Zeigefinger erhob sich direkt vor ihrer Nase: »Du bist zur absoluten Verschwiegenheit verpflichtet! Hast du das verstanden?«

Sie zog die Stirn kraus. »Wieso bist du denn so schlecht gelaunt?«

»Weil Samuel und Zayne mir beide aufs Dach steigen, wenn irgendwas davon nach außen dringt.«

Sie hob abwehrend die freie Hand. »Meine Lippen sind versiegelt. Großes Indianerehrenwort!« Sie streckte zwei Finger aus, küsste sie und legte sie sich dann auf die Brust.

Er sah sie verständnislos an.

»Kennst du das nicht?«

Er seufzte. Dann drehte er sich wieder um und zog sie weiter den Gang entlang. Am Ende blieben sie vor einer Wand stehen. Jacco zog an einem Hebel, gab einen Zahlencode in das erscheinende Display ein und die Wand fuhr zur Seite.

»Wow!«, staunte Sonny. »Wie cool ist das denn? Begeben wir uns jetzt ins geheime Vampir-Hauptquartier?«

»Es ist unsere Gruft. Aber ich warne dich! Versuche nicht, dich hier unten alleine zurechtzufinden. Es ist ein ziemlich kompliziertes Labyrinth. Weitaus größer als das Haus.«

»Gruselig!«, sagte Sonny schnippisch.

Er ging vor. Sonny folgte ihm in die Kühle des dunklen Kellerbereichs, der tatsächlich etwas unheimlich auf sie wirkte. Sie wusste ja genau, dass hier die Toten aufbewahrt wurden. Wieso war Chenna überhaupt hier? Sie konnte sich doch nicht mit Yesses Überresten eingesperrt haben, oder doch? Andererseits, verrückt genug war sie dafür und auch verzweifelt genug. Sonny machte sich auf alles gefasst.

Jacco führte sie rechts, dann links, nochmal links, wieder rechts, bis er feststellte, dass er sich geirrt hatte. So gingen sie zurück nach links, geradeaus und dann nach rechts. Schließlich blieb er stehen.

»Hier ist es. Bitte tu mir einen Gefallen und bringe sie zur Vernunft. Kannst du das?«

Sonny verharrte kurz. Sie blickte zu ihm auf. »Es würde mir besser gehen, wenn ich erst einmal dich zur Vernunft bringen könnte«, dachte sie bei sich.

»Ich bin hier aber nicht das Thema«, antwortete er in ihrem Kopf.

»Verdammt! Hör auf, meine Gedanken zu belauschen!«

Er zuckte mit den Augenbrauen. Dann drehte er sich um und ging den Weg zurück. Sie sah ihm wehmütig nach. Zwischen ihnen beiden hatte sich alles geändert. Sie war Insiderin. Sie sprachen miteinander. Sie hatten Dates. Und doch hatte sie das Gefühl, dass sie keinen Schritt weitergekommen waren. Nur dass es inzwischen schwieriger geworden war, ihm aus dem Weg zu gehen. Sie seufzte. Dann drehte sie sich zu der Glastür. Ein schwarzer Vorhang versperrte ihr die Sicht auf das Innere.

Sie klopfte an das Glas. »Chenna? Bist du da drin?«

Drinnen rührte sich nichts.

Sonny setzte sich im Schneidersitz vor die Tür. »Ich gehe nicht weg, bevor du nicht mit mir gesprochen hast.«

»Es gibt nichts zu besprechen«, kam eine brüchige Stimme von innen.

»Doch natürlich gibt es das«, widersprach Sonny schnell. »Ich muss dringend mit dir reden.«

»Worüber?«

Sonny überlegte. Wenn sie jetzt mit Yesse anfing, würde Chenna sofort abschalten und sie würde die restliche Zeit Selbstgespräche mit ihrem Spiegelbild führen. Also musste sie sie anders aus der Reserve locken. Ein spontaner Entschluss kam ihr da gerade recht. »Ich gehe weg.«

Schweigen.

»Bist du noch da?«

»Was soll das heißen?« Chenna klang erzürnt.

»Ich werde nach Taola gehen.« Sie war selbst überrascht über diese Neuigkeit. Woher kam die? Hatte diese Idee schon länger in ihr geschlummert?

Der Vorhang schob sich ein Stück beiseite und das schmale Gesicht von Chenna erschien auf der anderen Seite der Scheibe. Ihre Augen waren blutunterlaufen und die Augenringe waren so groß, dass sie das halbe Gesicht bedeckten. »Bist du echt?«

Sonny verstand nicht. »Hä?«

»Ich glaube, ich habe Halluzinationen. Hier tauchen ständig Leute auf, die gar nicht hier sein dürften. Also, bist du echt?«

»Ja, natürlich bin ich echt.« Sie legte ihre Hand auf die Scheibe. »Willst du mir nicht aufmachen?«

»Damit sie mich herausholen können?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, danke.«

»Ach, ChenChen. Weißt du denn nicht, was für einen Tag wir haben?«

Sie schüttelte matt den Kopf.

»Es ist dein Geburtstag. Ich wollte dich heute Abend überraschen.« Sonny seufzte. »Ich habe sogar einen Kuchen für dich gebacken.«

Chennas Gesicht zeigte keine Regung. »Wirklich?«

»Es ist dir egal, oder?«

Chenna senkte den Blick. »Was macht es für einen Unterschied?«

»Ich dachte, es würde dir wieder besser gehen?«

»Ich hab mich lange zusammengerissen, denn ich wollte dich nicht mit meinem Weltschmerz belasten«, gestand Chenna leise.

»Die Wintermonate waren schwer zu ertragen. Für uns alle. Besonders da so viele Veranstaltungen ausgesetzt wurden. Aber es wird Zeit, wieder nach vorne zu schauen. Auch für dich.«

»Ich weiß.«

»Wie lange willst du das hier noch durchziehen?«

»So lange, wie es eben dauert.« Chennas trübe Augen blickten sie wieder an. »Wieso willst du weggehen?«

»Weil ich es nicht mehr aushalte. Jacco und Danil machen mich wahnsinnig. Besonders Jacco. Ich muss jetzt wirklich mal weg von ihm.« Sie senkte den Blick. »Und um dich mache ich mir auch furchtbare Sorgen. Es entwickelt sich nicht gut. Ich kann das nicht mehr mitansehen.«

Chenna kniff die Lippen zusammen. »Ich weiß. Und es tut mir leid.«

»Ich will nur eine kurze Auszeit nehmen. Ein paar Tage vielleicht. Schaffst du das ohne mich?«

Chenna nickte schwach. »Ja, geh nur. Du kannst mir hier doch nicht helfen.«

»Worauf wartest du hier drin?«

»Dass der Schmerz aufhört.«

»ChenChen!« Sonny sah sie mitleidsvoll an. »Komm doch bitte raus! Geh mit mir nach Taola. Das könnte dir auch guttun.«

Chenna lehnte den Kopf gegen den inneren Türrahmen und dachte nach. »Ich kann nicht«, sagte sie schließlich. Dann zog sie sich wieder zurück und schob den Vorhang vor.

Sonny blieb allein im tiefblau beleuchteten Gang zurück. Sie erkannte die Endgültigkeit in der Geste. Es hatte keinen Sinn, es weiter zu versuchen. Nicht jetzt. Vielleicht musste doch noch ein wenig mehr Zeit vergehen. So erhob sie sich schwerfällig und drückte noch einmal ihre Hand gegen die Scheibe. »Mach's gut, meine Süße. Gib nicht auf!«

Sonny fand den Weg zurück zum Eingang ohne Probleme. Jacco wartete dort auf sie. »Was ist mit Chenna?«

Sonny schüttelte den Kopf, während sie an ihm vorbeiging. »Sie kommt nicht.«

»Was heißt, sie kommt nicht? Sie kann aber nicht hierbleiben. Du musst es noch einmal versuchen.«

Sie blieb stehen und sah ihn an: »Ich kann es so viel versuchen, wie ich will. Sie kommt nicht. Ende. Sieh ein, dass nicht immer alles so läuft, wie du es willst.« Damit drehte sie sich um und folgte dem Kellergang bis zum Ausgang.

4

Sie hat mir ein blaues Auge verpasst

Debby stand am frühen Nachmittag vor der Tür von Haus 2 und klopfte. Ihre Debütparty in Haus 4 war genau so gewesen, wie sie es sich immer ausgemalt hatte. Sie hatte auch ihre drei Maknaes in dieser Vorstellung immer gesehen. Die Einzigen, die sie richtig kannte. Doch jetzt war sie neugierig. In der Theorie wusste sie alles über die Gesellschaft. Nun wurde es Zeit, ihr Wissen auf die Probe zu stellen.

Dass sie nach der Debütparty auch Mitglied des Snappy-Kisses-Clubs werden wollte, stand außer Frage, auch wenn sie sich Ivory gegenüber anders geäußert hatte. Nach langem Hin und Her hatte sie sich für den nächsten Besuch für Haus 2 entschieden. Sie wusste, dass sie sich an ihrem ersten Abend als offizielle Anfängerin die Phiole füllen lassen musste, und war entsprechend aufgeregt. Für dieses Ritual sollte sie vor der Party bereits im Haus erscheinen. Die Tür wurde geöffnet und ein Mädchen mit langen, blonden Zöpfen führte sie in einen kleinen Raum, der sie stark an ein Wartezimmer beim Arzt erinnerte.

Debby musste eine ganze Weile warten. Als dann schließlich die Tür aufging, blickte sie nervös auf und die Zeitschrift, die sie durchgeblättert hatte, rutschte ihr von den Knien. Eilig bückte sie sich danach, doch der blauhaarige Vampir, der gerade hereingekommen war, war schneller und griff sich das Heft, bevor es noch ganz auf den Boden gefallen war. Er warf die Illustrierte auf den Beistelltisch zurück und lächelte ihr dann aufmunternd zu. »Du musst keine Angst haben.«

»Hab ich nicht«, behauptete sie und sah zu ihm auf. Er hatte einen sexy Schmollmund. Debby hatte Schwierigkeiten, nicht zu sehr zu starren. Er sah so ungewöhnlich aus, dass sie die Einzelheiten in sich aufsaugen musste: Sein tätowiertes Kreuz am linken Auge, die vielen Ohrringe in den leicht abstehenden Ohren und die blauen Haare, die ihm frech ins Gesicht hingen.

»Ich bin Yonas.« Er betrachtete sie von oben bis unten. »Ich freue mich, dich kennenzulernen. Wie ist dein Name?«

Sie war sicher, dass er genau wusste, wie sie hieß. Dennoch fand sie es nett von ihm, zu fragen. »Ich bin Debby.«

»Wo kommst du her, Debby? Arbeitest du als Model?«

Sie musste sich ein Lachen verkneifen. Wieso versuchte er, sie anzumachen? Er sollte doch nur ihre Phiole füllen. War das üblich? »Nein«, antwortete sie gedehnt.

Er machte eine kurze Kopfbewegung, die seine Haare zur Ordnung rufen sollten, doch gleich darauf hingen sie ihm wieder in den Augen. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Das solltest du aber. Ich hätte gerne ein Bild von dir in meinem Schlafzimmer. «

Jetzt musste sie doch lachen.

»Das hab ich ernst gemeint«, behauptete er nachdrücklich. »Glaubst du mir etwa nicht?«

»Ich glaube, du weißt noch nicht, wen du vor dir hast«, gab sie frech zurück.

»Oh. Okay. Und wen habe ich vor mir?«

»Ich mag gestern erst debütiert haben, aber ich bin keine naive kleine Göre. Du kannst ganz normal mit mir sprechen.«

Er betrachtete sie einen Moment eingehend, dann nickte er bedächtig. »Gut zu wissen.«

Er war schwer einzuschätzen. War sie zu weit vorgeprescht? Sein Blick ließ ihren nicht los und allmählich wurde es unangenehm. Doch sie würde dem standhalten. Sie musste ihre Position verteidigen. Tatsächlich war er derjenige, der als Erstes lachte und den Blick leicht verlegen abwandte. Sie zeigte nicht, wie stolz sie darüber war, obwohl ihr das Herz bis zum Hals schlug.

Er beugte sich ein wenig vor und reichte ihr seine Hand. »Bist du bereit?«

»Wenn du es bist«, forderte sie ihn heraus und ergriff seine Hand.