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Seit vier Jahren tourt Julian Rush schon mit seiner Band durch die USA. Jetzt ist die Luft bei ihm raus. Er will die Band auflösen und nach einem letzten Auftritt in Seattle nach Riverside zurückkehren. Ausgerechnet bei diesem Auftritt trifft er Mila wieder, das einzige Mädchen, das ihm jemals etwas bedeutet hat. Mila und Rush haben eine schwere Zeit hinter sich, die beide emotional an ihre Grenzen gebracht hat. Am Ende dieser Beziehung ist Mila aus Riverside geflüchtet und Rush musste ins Gefängnis. Mila steckt seit Jahren in einer Ehe fest, die sie einsperrt, und Rush glaubt, überhaupt nichts mehr fühlen zu können. Bis die beiden sich in die Augen sehen. Sie erlauben sich eine einzige Nacht, von der niemand etwas wissen muss. Als Julian am nächsten Morgen aufwacht, ist Mila schon weg und ihm wird klar, er hätte sie nie gehen lassen dürfen. Er versucht alles, um sie zu finden. Am Ende bleibt ihm nur noch ein Weg, ihr zu sagen, was sie ihm bedeutet: Sie muss den Song hören, den er für sie geschrieben hat. Achtung Neuauflage! Dieses Buch ist unter gleichem Titel schon einmal 2019 veröffentlicht worden.
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
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Das war es jetzt! Ich will nicht mehr. Nicht die kreischenden Weiber, nicht die Sauferei, das Touren, den Stress. Ich lasse mich auf das schwarze Ledersofa im Tourbus fallen und verziehe das Gesicht, als John und Tristan drei Groupies in den Bus schieben. Die drei sind ja noch nicht mal hübsch, und wie sie kichern und sich an den Jungs reiben. Ich verdrehe genervt die Augen, als eins der Chicks sich nach mir umsieht und mit ihren Wimpern klimpert. Reicht ihr John nicht? Ich fahre mir durch die nach dem Konzert verschwitzten Haare und wende den Blick ab. Vor ein paar Monaten hätte ich noch mitgefeiert, aber ich habe es satt. Ich bin müde, völlig erledigt und ich weiß schon lange nicht mehr, warum ich das hier noch mache.
Ich stehe auf, schnappe mir die halbleere Flasche Bourbon von einem der Tische und halte auf die Schlafkabine im hinteren Bereich des Busses zu, den wir als Schnäppchen einer alternden Band abgekauft haben, die das Touren genauso satt hatte wie ich jetzt.
»Mir gefallen deine Tattoos«, säuselt jemand hinter mir und umschließt mein Handgelenk. Ich starre auf die Finger, die mich berühren, und dann auf die bunte Haut meines Unterarms.
»Sag John, er soll dir die Visitenkarte von Mark geben, wenn er mit dir fertig ist.« Ich reiße meinen Arm los und öffne die Tür zur Kabine.
»Wer ist Mark?«
Ich sehe über die Schulter zurück in das zugekleisterte Gesicht einer Blondine. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Weiber alle gleich aussehen in letzter Zeit. Eine wie die andere. Am Anfang hatte ich noch meinen Spaß mit all den Mädchen, die uns so begegnen und die alles für uns tun würden. Aber in den letzten Monaten ... Ich weiß, ich sehne mich nach etwas, aber ich habe keine Ahnung, was das ist. Vielleicht brauche ich einen Tapetenwechsel. Der Gedanke kommt mir immer öfters.
»Mark ist der Mann, der die Tattoos gemacht hat, die du so toll findest.« Ich lasse das Mädchen stehen und verschwinde in die Kabine. Ich schließe von innen ab, sollen John und Tristan doch mit ihren Weibern vorn auf den Sofas schlafen. Ich will heute Nacht nicht an die Decke starren, während die beiden es direkt neben mir mit ihren Chicks treiben.
Wütend werfe ich die Flasche nach oben auf mein Bett, schlage mit der Faust einmal gegen die Bettumrandung und fluche laut. Ich kann nicht mehr. Besonders, weil das alles hier auch kein Ende hat. Wir fahren seit vier Jahren von Stadt zu Stadt und treten auf, wo man uns lässt. Das ist unser Leben. Zu mehr haben wir es nicht gebracht. Was ist mit den Träumen von einem Plattenvertrag, dem Rampenlicht? Stattdessen leben wir von einem Auftritt zum nächsten und stecken fest. Ich habe seit Monaten keinen einzigen Song mehr aufs Papier gebracht. Die Musik fühlt sich für mich nicht mehr so an wie früher. Ich spüre sie nicht mehr.
Kein Ende. Vielleicht sollte ich es beenden? Ich ziehe mich hoch in mein Bett und lege mich auf den Rücken, drehe die Flasche auf und nehme einen kräftigen Schluck. Der Bourbon läuft mir aus den Mundwinkeln und dann die Wangen und den Hals runter. Was soll's? Ich boxe mit der Faust gegen die Decke über mir.
»Was soll alles? Die Musik? Die kleinen Pubs und Bars?«
Vielleicht wird es Zeit, mal wieder nach Hause zu fahren, überlege ich, als ich an meine Mutter denken muss, die mich ständig fragt, wann ich mal vorbeischaue. Seit wir vor vier Jahren Riverside verlassen haben, war ich nie wieder dort. So sehr, wie es mich damals aus dieser Kleinstadt fortgetrieben hat, so sehr möchte ich im Augenblick wieder zurück. Aber was ist mit ihr? Was, wenn auch sie wieder zurück ist?
Wenn ich an Riverside denke, dann muss ich auch an Mila denken. Obwohl ich das nicht will. Manchmal fühlt es sich an, als wäre ich damals nach unserem Abschluss nur wegen ihr aus Riverside geflohen und nicht wegen unserer Träume von der großen Musikkarriere. Vielleicht bin ich das auch. Vielleicht ist geflohen das falsche Wort.
Ich richte mich auf und setze die Flasche wieder an, diesmal verschwende ich nichts von dem Alkohol. Ich brauche jeden Tropfen, wenn ich etwas Schlaf bekommen will. Vorne im Bus hör ich eins der Mädchen Johns Namen schreien. Glauben die Weiber wirklich, wenn sie beim Vögeln so laut schreien, kaufen wir ihnen ab, dass sie noch nie so gefickt worden sind wie von uns? Ich verdrehe schon wieder die Augen.
Das alles hier scheint nicht mehr zu mir zu gehören. Ich fühle mich fremd in meiner eigenen Welt. Und ich weiß nicht einmal, wieso das passiert. Aber ganz plötzlich stehe ich abends auf der Bühne und es ist, als würde alles im Nebel verschwinden. Ich singe, aber ich bin nicht dabei. Ich höre die Menschen kreischen, lachen, sich unterhalten, aber ich bekomme es kaum mit. Vielleicht bin ich nur ausgepowert. Aber ich muss ziemlich am Ende sein, wenn es mich zurück nach Riverside zieht. Ich schüttle den Kopf und lache laut auf. Ich und Riverside, wir passen gar nicht zusammen. Haben wir nie.
»Scheiß drauf! Ich fahr nach Hause.« Noch den einen Auftritt hier in Seattle und dann mach ich Schluss. Sollen John und Tristan doch ohne mich weitermachen. Zufrieden kippe ich mir noch mehr Bourbon in die Kehle und lächle.
»Rush, komm raus und feier mit uns«, brüllt Tristan.
»Mach, dass du wegkommst, Harper«, brülle ich zurück. Schwere Wärme legt sich über mich und ich schließe die Augen. Der Bourbon entfaltet seine Wirkung. Früher hat es nach einem Konzert länger gedauert, bis es soweit war. Bis mich Alkohol von dem Rausch runterholen konnte, den ein Auftritt in mir ausgelöst hat. Jetzt gibt es keinen Rausch mehr, also muss mich der Alkohol auch nicht mehr runterholen.
»Wir haben ein Mädchen für dich«, schreit John verwaschen zurück. »Sie sieht gut aus. Bekommst du keinen mehr hoch, oder was ist los mit dir in letzter Zeit?«
»Mach dich vom Acker«, nuschle ich und trete mit dem Fuß gegen die dünne Wand, die die Schlafkabine und den vorderen Bereich voneinander trennt.
»Mach doch, was du willst«, kommt es zurück.
Das habe ich vor. Gleich morgen sage ich den Jungs, dass es nur noch einen Gig gibt, dann löse ich die Riverside Dingos auf. Mann, was haben wir uns nur bei diesem Namen gedacht? Ich reiße das Poster von der Decke, das über mir klebt und zerknülle es. Es hat die Gesichter von drei Jungs gezeigt, die mit Träumen eine Kleinstadt zwanzig Meilen von Seattle entfernt verlassen haben. Jungs, die glaubten, dass die Welt nur auf sie wartet. Wahrscheinlich war es ein Fehler, Gigs so nahe an der alten Heimat anzunehmen. Es ging mir besser, solange wir weit weg von Riverside waren.
»Du musst mal wieder raus«, meint Dana und stößt frustriert die Luft aus ihren Lungen. Sie stützt den Kopf auf ihre Hände auf und mustert mich besorgt. »Du hast mit zwanzig Jahren geheiratet, nur zwei Jahre nach Du-weißt-schon-wem.«
Ich seufze und weiche Danas Blick aus. Genervt sehe ich mich in dem kleinen Café um, in dem wir uns manchmal während unserer Mittagspause treffen.
Dana ist die Einzige, der ich mich voll und ganz anvertraue. Sie versteht mich am besten, und meistens weiß sie auch am besten, was ich brauche. Besser als ich selbst. Aber wenn sie mit mir über ihn sprechen will, dann liegt sie falsch, denn es tut nur weh. Auch nach vier Jahren fällt es mir noch immer schwer, über Julian zu reden oder auch nur an ihn zu denken. Er ist das dunkelste Kapitel in meinem Leben. Und zugleich auch das aufregendste. Ich kann mich noch gut an all diese Gefühle erinnern, die er in mir auslösen konnte. Dieses Chaos. Diesen Schmerz. Die bittere Enttäuschung.
»Ich weiß, dass du glaubst, ich wäre noch nicht bereit gewesen, Rick zu heiraten. Aber das stimmt nicht.«
Rick ist genau zum richtigen Zeitpunkt in mein Leben getreten. Er hat mich wieder zusammengesetzt und mir die Beständigkeit gegeben, nach der ich mich gesehnt habe, nach all dem, was mit Julian passiert ist.
»Es liegt nicht daran, dass es zu früh war. Es liegt an mir, ich habe mich verändert, und ich weiß nicht, warum.« Ich fühle mich seit einiger Zeit leer und nicht mehr gefordert, mir fehlt sogar der Elan, um weiter an meinen Büchern zu schreiben. Ich habe das Gefühl, vor mich hinzuleben, ohne ein Ziel zu haben.
Dana lacht auf und schüttelt verzweifelt den Kopf, dabei hüpfen ihre hellroten Korkenzieherlocken um ihr Gesicht herum. Diese Locken verdankt sie der Natur, die sich wohl gedacht haben muss, ihr blasser Teint, der kleine Mund mit den roten Lippen und die eisblauen Augen reichen noch nicht aus, um sie wie eine Puppe aussehen zu lassen. »Doch, das weißt du. Du bist einfach zu perfekt. Du gibst dir zu viel Mühe mit ihm und er erstickt unter deinem Perfektionismus. Was glaubst du, wie viele Frauen außer dir die Toilette noch mit einem Spiegel putzen, damit sie auch unter den Rand schauen können? In eurer Wohnung befindet sich kein einziges Staubkorn, du kochst jeden Tag warm für ihn, machst Desserts, bügelst und streitest nicht mit ihm. Du bist wie eine dieser perfekten Hausfrauen aus der Fernsehwerbung der 50er Jahre. Eine Stepford-Frau.«
Ich zucke zusammen und sehe mich nach den anderen Gästen an den kleinen runden Tischen um uns herum um. Niemand scheint uns zu beachten, trotzdem habe ich das Gefühl, dass sie alle mich beobachten und über mich urteilen. »Ich will ihn eben glücklich machen.« Eigentlich versuche ich nur irgendetwas zu machen, das mich wieder fühlen lässt. Und wenn es die Freude an einer perfekten Wohnung ist. Oder Ricks zufriedenes Lächeln, wenn ihm mein Essen schmeckt. Kleinigkeiten eben, die mir zeigen, dass da noch etwas ist, wofür ich gebraucht werde.
Dana hebt den Zeigefinger. »Willst du nicht. Du putzt dich zu Tode, damit du nicht darüber nachdenken musst, wie langweilig eure Ehe ist. Er kommt nach Hause, setzt sich vor den Fernseher und spricht kaum zwei Worte mit dir. Wann habt ihr das letzte Mal die Laken zerwühlt?«, fragt Dana mit erhobener Stimme.
Ich schnappe erschrocken nach Luft und sehe mich wieder nach den anderen Gästen um. Eine ältere Dame am Nachbartisch hüstelt nervös, ein junger Mann sieht grinsend zu uns herüber. »Ich weiß es nicht«, antworte ich zischend. Ich weiß es wohl, es ist schon mehr als sechs Monate her. »So ist das eben, wenn man eine Weile zusammen ist. Du hast davon keine Ahnung«, werfe ich Dana vor, die ständig durch die Clubs zieht und nicht mal in Erwägung zieht, mit einem Mann mehr als eine Nacht zu verbringen.
Sie trinkt von ihrem Kaffee und setzt danach die Tasse wieder auf die Untertasse, ohne den Blick auch nur für eine Sekunde von meinem Gesicht zu lösen. Ich versuche mein Magengrummeln zu ignorieren, indem ich mich ganz auf das Kräuseln ihrer Nase konzentriere. Dana zieht ihre Nase immer auf diese lustige Art hoch, wenn sie wütend ist. Dieses Kräuseln steht im krassen Gegensatz zu ihrer eigentlichen Stimmung, was ich sehr bewundernswert finde. »So ist das nicht. Ihr seid doch kein altes Ehepaar. Ihr seid beide erst Anfang 20. Männer in diesem Alter haben für gewöhnlich nichts anderes als Sex im Kopf.«
»Rick ist eben anders«, sage ich trotzig und sie zieht wieder die Nase hoch.
»Ist er nicht. Ihr müsst beide mal raus. Das Sofa ist für alte Leute. Unternehmt was. Vielleicht sogar getrennt.«
Ich lege mir beide Hände vor das Gesicht und stöhne frustriert auf. Dana hat recht, und das weiß ich auch. Aber ich bin nicht bereit zuzugeben, dass Rick und ich ein Problem haben. Manchmal frage ich mich selbst, warum wir geheiratet haben. Warum ich es so eilig hatte, weiß ich. Ich wollte Julian abschütteln, und die Gefühle, die ich immer noch für ihn hatte. Aber warum Rick? Ich denke, wir haben uns beide nie geliebt. Wir waren vielleicht verliebt. Aber Liebe war es nie. Aber jetzt sind die Dinge, wie sie sind, und wir müssen daran arbeiten, dass es klappt. Ich bin nicht bereit, schon aufzugeben.
»Komm mit am Samstag. Es wird dir guttun.« Sie lächelt listig. »Ich werde dich beschützen, du musst keine Angst haben. Die Männer werden dich kaum bemerken, wenn du mit mir unterwegs bist«, sagt sie. »Wer will schon eine Brünette, wenn er eine feurige Rothaarige haben kann?« Sie grinst und selbst dieses hinterlistige Grinsen wirkt noch immer zuckersüß an ihr. Manchmal bezweifle ich, dass Dana überhaupt dazu in der Lage ist, auch nur für eine Sekunde boshaft auszusehen. »Ich schwöre, ich werde keinen zweiten Du-weißt-schon-wen in deine Nähe lassen. Nicht, wenn ich ihn bekommen kann. Sie sind sowieso alle nur ein lahmer Abklatsch vom Original.«
»Sie können kein lahmer Abklatsch von jemandem sein, den sie gar nicht kennen«, setze ich sie in Kenntnis. Aber wahrscheinlich hat sie recht.
»Also gut«, lenke ich ein und überrasche mich selbst damit. Ich hatte nicht vor, ja zu sagen. Es ist einfach passiert. Und sofort rieselt dieses aufgeregte Kribbeln durch mich hindurch. Ich war schon Ewigkeiten nicht mehr in einem Club. Dana hat recht, ich benehme mich wie eine alte Frau. Wahrscheinlich kommen selbst ältere Frauen öfter raus als ich. Ich bin die vertrocknete, langweilige Sekretärin meines Vaters. »Gehen wir aus.«
Es ist wahrscheinlich schon Mittag, als es von draußen gegen die Tür hämmert. Ich habe Mühe, die Augen zu öffnen und schließe sie sofort wieder, weil das Sonnenlicht, das durch das kleine Fenster neben meiner Schlafkoje reinscheint, mich fast blind macht. »Verflucht«, knurre ich und reibe mir die schmerzenden Augen. Aber das bringt nicht viel, hinter meinen Schläfen pocht es noch viel schlimmer. Ich kämpfe mich hoch, dabei stoße ich die fast leere Flasche Bourbon von meinem Bett und sie landet mit lautem Getöse auf dem Boden, was mir mein Kopf mit einem protestierenden Stich in mein Hirn dankt. Mein Mund fühlt sich ganz trocken und klebrig an. Ich schlucke schwer, reibe noch einmal meine Augen und öffne sie.
»Was ist los?«
»Ich brauch frische Klamotten. Willst du da drin noch viel länger mit dir allein sein?«
»Hau ab, Harper«, entgegne ich so laut, dass es in meinem Schädel immer und immer wieder nachhallt.
»Mach schon auf, Mann. Die Chick hat mich vollgekotzt.«
Ich verziehe das Gesicht, Tristan wird sich schon selbst bekotzt haben. Wäre nicht das erste Mal. Die ganze Karre wird wieder stinken wie ein Stall. Ich lasse mich langsam aus dem Bett gleiten und öffne noch immer nicht richtig wach die Tür.
»Wird auch mal Zeit.« Tristan schiebt sich an mir vorbei und nimmt keine Rücksicht darauf, dass ich noch nicht nach Kotze stinke.
»Pass auf«, keife ich ihn an, schnappe mir frische Sachen und flüchte aus der Schlafkabine in die Dusche davor. Ich muss grinsen, als ich die Tür abschließe. Der Erste im Bad zu sein bedeutet, dass das warme Wasser ganz allein mir gehören wird. Tristan wird sich den Gestank unter der kalten Dusche vom Körper spülen müssen. Die Vorstellung hebt meine Laune erheblich.
Ich stelle die Dusche an, als Tristan draußen vor der Tür beginnt, lauthals zu fluchen, dann ziehe ich mich langsam aus und stelle mich unter den Wasserstrahl. Hier drin ist es verdammt eng und wenn ich fertig bin, wird das halbe Bad unter Wasser stehen. Wenn wir es uns irgendwie leisten können, nehmen wir uns manchmal ein Hotelzimmer, nur um mal richtig duschen oder baden zu können. Drei Kerle und hin und wieder auch einmal paar Weiber sind zu viel für diese kleine Kabine.
Ich verteile ordentlich Seife auf meinem Körper und in meinen langen dunkelbraunen Haaren, aber irgendwie habe ich das Gefühl, es riecht hier noch immer nach Kotze. Ich werde den Geruch wohl wieder den halben Tag nicht aus der Nase bekommen, obwohl er gar nicht da ist. Das Bad und die Folgen der Sauferei werde ich ganz bestimmt nicht vermissen. Vielleicht werde ich nicht einmal die Jungs vermissen.
Wenn man vier Jahre täglich auf engstem Raum verbracht hat, dann gibt es kein Geheimnis mehr, das man vor dem anderen verbergen kann. Es wird schön sein, mal wieder so etwas wie ein Privatleben haben zu dürfen.
Doch vorher muss ich erstmal mit den Jungs reden. Tristan und John lieben, was wir hier machen. Wahrscheinlich werden sie mich gemeinschaftlich umbringen. Zumindest werde ich wohl ein paar blaue Flecken davontragen. Ich spüle den Schaum aus meinen Haaren, stelle die Dusche ab und starre in den Spiegel an der gegenüberliegenden Wand. Er ist beschlagen, also wische ich mit der Hand darüber und starre in ein erschöpftes Gesicht mit dunklen Augenringen, die nicht so richtig zu den grasgrünen Augen passen wollen, die viel lebendiger wirken als der Rest meines Gesichts.
Ich greife nach meinem Handtuch und reibe über meinen Oberkörper, auf dem es nur eine handgroße Stelle gibt, die nicht tätowiert worden ist. Die über meinem Herzen. Mark hat aus meinem Oberkörper ein Gesamtkunstwerk gemacht, aber an diese Stelle habe ich ihn nicht gelassen. Ich weiß nicht einmal wirklich, warum. Obwohl die einzelnen Motive völlig unterschiedlich sind, hat er sie miteinander verwoben und sie so zu einem einzigen Bild verflochten. Der Mann ist ein Meister.
Meine Haare trockne ich nur flüchtig mit dem Handtuch, putze mir den sauren Geschmack aus dem Mund und schlüpfe in ein paar löchrige Jeans und ein irgendwann mal schwarzes Shirt. Tristan wirft mir einen Blick zu, der jeden anderen in die Knie gezwungen hätte - wenn ein Typ mit so breiten Schultern, wie er sie hat, dich so ansieht, schrillt bei dir der Alarm -, aber ich weiß, dass er harmlos ist. Bei ihm braucht es deutlich mehr als bei John oder mir, um ihn aus der Reserve zu locken.
»Du stinkst«, sage ich im Vorbeigehen und grinse zufrieden.
»Danke, du bist ein Arsch.«
»Ich weiß.« Ich steige über John und die Blondine hinweg, die sich nackt an ihn gedrückt hat und noch immer schläft. Die beiden liegen mitten im Gang und sehen aus, als wären sie direkt nach oder während dem Vögeln eingeschlafen und einfach liegengeblieben.
Eine Dunkelhaarige liegt halb komatös mit dem Kopf auf dem Tisch, den ich als meinen betrachte, denn auf ihm steht unsere Kaffeemaschine. Ich stoße sie an und sie murrt etwas, dann reibt sie sich die Schulter, die ich kaum berührt habe, und sieht mich erschrocken an.
»Tut mir leid, Süße, aber du liegst vor meiner Kaffeemaschine, und ohne die läuft bei mir morgens gar nichts.«
»Ist schon Mittag«, sagt sie, dann bemerkt sie, dass sie nackt ist und verschränkt hastig ihre Arme vor ihren Brüsten.
Ich grinse. Sie ist also der Typ, der so etwas nur macht, wenn sie betrunken ist, weil sie nüchtern zu schüchtern ist, um mit irgendeinem Kerl die Nacht durchzufeiern. »Keine Sorge, es gibt nichts, was ich nicht schon gesehen hätte. Und bevor ich nicht wenigstens meine zweite Tasse Kaffee hatte, bekomm ich sowieso nichts mit.«
Sie lächelt vorsichtig und nimmt mir das Kleid ab, das ich ihr hinhalte. »Danke. Hab ich ein Glück, das ist meins. Und Kaffee wäre toll.«
Ich ziehe eine Augenbraue hoch. Die Kleine scheint nett zu sein, also nicke ich und schalte die Maschine an. »Deine Freundin?«, frage ich und nicke zu der Nackten am Boden, die sich jetzt in Johns Armen rekelt. Ich setze mich ihr gegenüber auf die Polsterbank und hole Tassen aus dem Schrank, der sich jetzt direkt neben meinem Kopf befindet.
»Ja, das ist Angie, ich bin Sophie.«
Ich hätte ihr jetzt sagen können, dass ich ihre Namen in fünf Sekunden vergessen haben werde, aber ich lasse es und sehe ihr dabei zu, wie sie sich anzieht. Sie hat dieses engelhaft Schüchterne an sich, das mich ein bisschen an Mila erinnert. Es hat mich bei Mila dazu verleitet, sie zu provozieren, als sie damals neu in die Stadt kam. Und es hat mich neugierig auf sie gemacht. Das und ihre verschlossene, kühle Art.
Als die Chick aus ihrem Kleid auftaucht und meinen Blick bemerkt, läuft sie rot an und setzt sich schnell wieder hin. Die Schüchternen haben wir selten hier, aber wenn, dann kommen sie nie allein, sondern immer mit einer Freundin, die das ganze Gegenteil ist. Wenn ich jetzt die Kleine so vor mir sehe, frage ich mich, ob sie nur hier ist, weil sie ihrer Freundin nichts ausschlagen kann oder weil sie wirklich hier sein will. Der erste Punkt macht mir irgendwie Angst, denn ich weiß, wie Tristan und John drauf sein können. Sie können ein unerfahrenes Mädchen überrennen.
»Geht es dir gut?«, frage ich sie und sie nickt.
»Ja, danke. Warum willst du das wissen?«
»Will ich nicht«, sage ich schnell, als ich den interessierten Blick in ihrem Gesicht sehe. Ich brauche es nicht, dass sie glaubt, da wäre etwas zu holen bei mir. Dieses Gefühlsding ist bei mir schon lange vorbei.
Die Blondine schiebt sich nackt neben ihre Freundin, sie hat kein Problem damit, dass ich alles von ihr sehen kann. Stattdessen blitzt es in ihren Augen und sie mustert mich mit einer Gier, die mir einen Schauer über den Rücken jagt. Ich weiche ihrem Blick aus und lächle ihre Freundin an, schenke ihr Kaffee ein und schiebe ihr die Tasse zu.
»Wie oft hast du sowas schon gemacht?«, frage ich sie und trinke einen großen Schluck von meinem heißen schwarzen Kaffee.
»Mit Musikern die Nacht verbracht?«, will sie wissen. »Noch nie, aber ich bin kein Engel oder sowas.«
Ich setze ein schiefes Lächeln auf. »Bist du nicht?«
Sie schluckt schwer und holt tief Luft. Das machen viele Mädchen, wenn ich sie offen anlächle. »Nein.«
Ihre Freundin fühlt sich wohl unbeachtet. Unter dem Tisch schiebt sie mir einen Fuß zwischen die Schenkel und drückt ihn auf meinen Schwanz. Ich schüttle den Kopf. »Ganz bestimmt nicht«, sage ich. »Das läuft hier eigentlich so: Ihr habt euren Spaß, danach verschwindet ihr. Dass ihr noch hier seid, verdankt ihr dem süßen Lächeln deiner Freundin.«
Sie verzieht das Gesicht und nimmt ihren Fuß weg.
»Du bist also kein Engel?«, frage ich ihre Freundin, beuge mich weit über den Tisch und sehe ihr in die Augen. »Ich wette mit dir, in der letzten Nacht hast du Dinge gelernt, von denen du nicht einmal wusstest, dass man sie tun kann.«
Ihre Augen weiten sich und sie wird knallrot im Gesicht. Zufrieden lehne ich mich wieder zurück. Ja, sie erinnert mich an Mila und das lässt meine Hose ganz schön eng werden.
»Was machen die Chicks noch hier?«, will Tristan wissen, als er aus dem Bad kommt.
»Wir unterhalten uns. Und kannst du nicht netter zu den Mädchen sein, die du vögelst?« Ich grinse, weil ich weiß, dass er das gar nicht will. Die Mädchen interessieren ihn am nächsten Morgen nicht mehr.
»Du unterhältst dich?«, hakt er erstaunt nach, nimmt sich eine Tasse und schenkt sich Kaffee ein. »Seit wann machen wir sowas?«
Ich zucke mit den Schultern.
Tristan bückt sich nach dem Kleid, das noch auf dem Boden liegt und wirft es der Blondine zu. »Pack deine Titten ein! Und wo ist die andere?«
»Nach Hause, schon vor Stunden«, keift sie ihn an, schiebt sich aus der Sitzgruppe und zieht sich an. Sie sammelt ihre Klamotten ein, wirft ihrer schüchternen Freundin einen kurzen Blick zu. »Gehen wir, das sind doch alles Arschlöcher hier.«
Die Kleine sieht mich fragend an.
»Auf Wiedersehen, Sandy«, sage ich und weiß, dass das nicht ihr Name ist.
»Sophie«, verbessert sie mich und wirkt enttäuscht.
Glaub mir, es ist besser so, will ich ihr sagen. Mädchen wie sie passen nicht zu einem Kerl wie mir. Mila hat das schmerzhaft lernen müssen.
John hat es eine Stunde später auch wieder unter die Lebenden geschafft. Er trinkt seinen Kaffee mit einem kräftigen Schluck Kentucky Whisky und sieht schlimmer aus, als Tristan und ich zusammen. Seine dunklen Haare stehen in alle Richtungen ab, weil er sie nach dem Duschen nur trocken gerubbelt hat. Er braucht eigentlich immer eine Menge Gel, um in dieses dicke Durcheinander etwas Ordnung zu bringen. Von uns Dreien braucht er im Bad immer am längsten, aber an den Tagen, an denen wir keinen Auftritt haben, nehmen wir es mit dem Styling alle nicht so ernst. Seine Augen wirken eingefallen und dunkel, und er sieht ein bisschen blass aus. Keine Ahnung, wie lange sein Körper diesen Lebenswandel noch mitmacht, aber von uns ist er der, der es am meisten übertreibt. Weiber, Saufen, Party. Aus diesen drei Dingen besteht sein Leben. Wenn ich ihn ansehe, dann sehe ich mich vor ein paar Jahren. Damals, bevor ich nicht nur mein Leben, sondern auch das von Mila zerstört habe.
In dem letzten Jahr habe ich angefangen, all das zu vergessen und wieder mehr zu dem Kerl zu werden, der ich nicht mehr sein wollte. Vielleicht ist es das, was ich fürchte, dass der Rush von damals zurückkommt und wieder Leben zerstört.
Ich werfe einen Blick nach draußen auf den Parkplatz vor dem Club, in dem wir gestern gespielt haben. Wird Zeit, dass ich die Karten auf den Tisch packe. Mein Magen zieht sich etwas zusammen, aber ich bin entschlossen, es durchzuziehen, also sollte ich es so unkompliziert wie möglich machen.
»Morgen ist mein letzter Auftritt«, sage ich knapp und sehe John dabei scharf an, weil ich weiß, dass von ihm die größte Bedrohung ausgeht. Ich sage »mein«, weil es nicht heißt, dass sie auch aufhören müssen. Sie brauchen sich nur nach einem neuen Sänger und Leadgitarristen umsehen, dann könnten sie weitermachen.
Die beiden starren mich einen Moment mit weit aufgerissenen Augen an, dann kommt der Zorn durch, mit dem ich schon gerechnet habe.
»Bist du irregeworden?«, fährt John mich an und lässt seine flache Hand auf die Tischplatte krachen. Sein Gesicht ist vor Wut total verzerrt und hat zumindest im Augenblick den aschfahlen Teint abgelegt, den es sonst immer trägt, als deutliches Zeichen seines Lebensstils.
»Nein, aber ich kann nicht mehr. Ich hab keinen Bock mehr.«
»Das ist es also, was hier in den letzten Wochen gelaufen ist? Wer hat dir einen Vertrag angeboten?« John knurrt diese Worte regelrecht.
Damit hätte ich rechnen sollen, dass er glaubt, ich würde irgendwas hinter ihrem Rücken abziehen. Klar, John würde sowas machen, deswegen glaubt er auch sofort, dass ich es gemacht habe. Wann habe ich eigentlich angefangen, so viel Abneigung für John zu empfinden? Er war immer mein bester Freund, doch jetzt sehe ich ihn an und ich weiß nicht, wieso ausgerechnet er. Er steht für alles, was ich im Moment aus tiefsten Herzen verachte.
»Ich hab dir doch immer gesagt, wenn sie einen wollen, dann Rush«, knurrt Tristan mit tief zerfurchter Stirn. Er bleibt auch jetzt ruhiger als John. Selbst diese Nachricht kann ihn nicht dazu bringen, die Kontrolle über sich zu verlieren. Aber ich bin auch enttäuscht, weil sogar er denkt, ich würde sie hintergehen wollen. Er ist doch der Vernünftigste von uns. Schon immer gewesen.
»Nein, so ist das nicht. Ich brauch nur eine Auszeit, glaub ich.«
»Glaubst du«, brüllt John. »Seit wann glaubst du das?«
»Seit gestern«, brülle ich zurück. »Aber ich bin schon länger nicht mehr okay mit dem, was wir hier tun«, sage ich ruhiger und sehe Tristan an.
»Warum?«, will er wissen.
»Ich weiß es selbst nicht genau. Es ist einfach so ein Gefühl, als würde ich ersticken. Wir machen das jetzt seit vier Jahren«, verteidige ich mich. »Ich kann eben nicht mehr.«
»Das hier ist unser Leben«, keift John.
Tristan fährt sich durch die blonde Mähne und seufzt laut. »Wir haben nur das, davon leben wir«, sagt er und stützt das Gesicht in die Hände.
»Ihr könntet mit jemand anderem weitermachen.«
»Hätten wir tun können, wenn du uns mehr Zeit gegeben hättest. Hast du aber nicht.« John kippt sich Whisky in seine Kaffeetasse. »Du weißt genau, dass das nicht so einfach ist. Die Leute wollen dich, ohne dich gibt es die Band nicht.«
»Komm damit klar!«, schnauze ich ihn an. »Ich bin raus. Ich hab schon immer gesagt, dass es so nicht ewig laufen kann.«
John greift über den Tisch und packt meinen Kragen, er sieht mir direkt in die Augen. »Du entscheidest nicht allein.«
»Tut mir leid, Alter. Ich habe entschieden. Nach morgen mach ich Schluss. Jetzt ist der perfekte Zeitpunkt, nach dem Auftritt morgen stehen erstmal keine neuen an.« Weit im Voraus haben wir nie Pläne. Wir fahren von Stadt zu Stadt und klopfen bei den Clubs an. Einigen sind wir schon ein Begriff, bei anderen hatten wir schon Gigs und manche wollen uns nicht einmal eine Chance geben. So läuft das immer.
»Lass ihn in Ruhe«, sagt Tristan und löst Johns Hand von meinem Shirt. »Er hat nicht unrecht. Eine Pause würde uns allen guttun.«
Ich nicke Tristan dankbar zu und verlasse den Bus, um etwas Frischluft zu schnappen. Und um John die Möglichkeit zu geben, sich zu beruhigen. Ich möchte mich nicht mit ihm prügeln. Das hatten wir schon ein paar Mal. Aber selbst auf einen richtig guten Kampf habe ich keine Lust mehr.
Ich laufe eine Weile durch die Straßen. Nur im Shirt ist es recht frisch, aber ich ignoriere die Kälte einfach. Jetzt, wo es raus ist, bin ich mir noch sicherer, dass ich eine Pause brauche. Zumindest eine Pause. Die Musik ganz aufzugeben, daran möchte ich noch gar nicht denken. Aber eine Zeit lang einfach nur mit mir allein sein, das ist es, was ich brauche. John wird es auch verstehen.
»Ganz schön voll hier«, sage ich seufzend, als wir den Club an der Elliott Bay betreten. Ich folge Dana und ihrem Arbeitskollegen etwas unwillig, denn unter einem ruhigen Abend in einer kleinen Bar habe ich mir was Anderes vorgestellt. Vielleicht sollte ich Dana zugutehalten, dass dieser Club wirklich nicht besonders groß ist, dafür aber wohl sehr beliebt. Ich muss gestehen, ich fühle mich etwas überfordert mit so vielen Menschen um mich herum.
Dana schaut sich nach mir um, greift sich meine Hand und zieht mich hinter sich her. »Nun komm schon, das sind doch allerhöchstens hundert Gäste«, ruft sie mir zu.
Sie bleibt vor einem leeren Tisch in der Nähe der Bar stehen und nickt ihrem Kollegen Tom zu. »Den find ich gut, nahe bei der Bar und weit weg von der Tanzfläche.«
»Und direkt neben der Bühne und den Lautsprechern«, stoße ich erschrocken hervor.
Dana schiebt mich in die Sitzgruppe. »Aber es steht niemand auf der Bühne, wahrscheinlich gibt es heute keine Livemusik.«
Tom setzt sich an die Stirnseite und Dana mir gegenüber. Zumindest sitzen wir hier etwas abgeschottet, das macht es für mich gleich ein wenig einfacher. Dass hier so viele Menschen sind, fühlt sich für mich anstrengend an. Ich bin so etwas einfach nicht mehr gewöhnt, weswegen meine Vorstellung von heute Abend etwas anders aussah, als Dana von was »Kleinem« gesprochen hat.
»Was willst du trinken?«, will Tom wissen und sieht mich durch die Gläser seiner supermodernen Brille mit schwarzem Rand abwartend an.
Tom und ich kennen uns schon von Danas Geburtstag, deswegen sind wir uns nicht mehr ganz so fremd. Er ist ein netter Mann von knapp dreißig Jahren, der mit Dana zusammen in einem Beautysalon arbeitet. Und nein, er ist nicht schwul, aber ein herausragender Damenfrisör. Bevor wir heute losgefahren sind, hat Dana mich in Toms Stuhl gezwungen. Ich muss zugeben, sie hatte recht, meine Haare hatten einen frischen Schnitt dringend nötig. Ich habe sie seit ein paar Jahren einfach wachsen lassen. Jetzt sind sie glatt, fallen bis auf die Schultern und die durchgestuften Seiten umschmeicheln ganz sanft mein Kinn. Tom hat sich von mir gar nicht in seine Entscheidung reinreden lassen, sondern mir einfach den Schnitt verpasst, von dem er glaubte, er wäre perfekt für mich. Und das ist er wirklich. Ich fühle mich sehr wohl mit meiner neuen Frisur. Sogar so wohl, dass ich mir kurz die Vorstellung gestattet habe, wie Rick wohl auf mein neues, frischeres Aussehen reagieren könnte.
»Einen Martini, bitte«, entscheide ich nach ein bisschen nachdenken. Vielleicht hätte ich nicht gleich damit anfangen sollen, aber ich habe mir vorgenommen heute Spaß zu haben, also wäre ein Glas Wasser wahrscheinlich keine Entscheidung gewesen, die signalisiert hätte, dass ich offen für diesen Abend bin. Um meinen festen Willen noch zu unterstreichen lächle ich und tippe mit den Fingern den Rhythmus von Sias Chandelier mit, das aus den Boxen bei der Tanzfläche ertönt. Da die etwas weiter weg sind, werden wir uns heute Abend wenigstens unterhalten können.
»Den nehm ich auch«, wirft Dana ein.
Tom winkt eine der Bedienungen an unseren Tisch und während wir auf unsere Getränke warten, sehe ich mich noch einmal um. Im ganzen Club dominiert die Farbe Schwarz, unterbrochen von Akzenten in lila, was sehr modern und edel wirkt. Nur die Tische sind weiß, aber von unten dezent in lila beleuchtet.
»Lass uns zwei Gläser trinken und dann gehen wir tanzen«, schlägt Dana strahlend vor. Sie hält das wohl wirklich für eine gute Idee, aber sie hat mich auch noch nicht tanzen sehen. Mit fehlt jegliches Talent dazu. Tanzen wirkt bei mir roboterhaft und steif, deswegen schüttle ich den Kopf.
»Ganz ehrlich, mein Körper hat keine Ahnung, wie tanzen funktioniert.«
»Weiß er, wie Sex funktioniert?«, will Tom wissen und zieht eine blonde Augenbraue hoch.
»Er könnte es verlernt haben.«
»Das bezweifle ich. Trink deinen Martini aus, er muss nur erinnert werden.«
Ich spüre, wie mein Gesicht heiß wird, greife aber nach meinem Glas und trinke es aus.
Tom nimmt meine Hand und schiebt mich vor sich her aus der Sitzgruppe. »Pass auf unseren Tisch auf«, sagt er zu Dana, die breit grinsend mit ihren Händen wedelt und uns auf die Bühne scheucht.
»Du wirst enttäuscht werden«, sage ich zu Tom.
»Werde ich nicht, kein Mädchen, das so einen Körper hat, kann nicht damit umgehen.« Er bleibt stehen, legt seine Hände auf meine Hüften und zieht mich an seinen Körper heran. Tom ist sehr schlank und groß und ich muss zu ihm aufsehen, um in seine blassblauen Augen blicken zu können. Er lächelt mich an und beginnt, seine Hüften zu bewegen, seine Hände dirigieren meine Hüften und dann führt er mich in sanften Bewegungen über die Tanzfläche.
»Arme nach oben strecken«, befiehlt er und ich tue es, ohne darüber nachzudenken, weil mein Körper tatsächlich tut, was Tom ihm sagt. Meine Füße auch. Nun gut, das hier ist ein langsamer Song, wahrscheinlich klappt es deshalb.
Toms Hände gleiten an meinen Seiten nach oben, während seine Hüften meinen weiter zeigen, was sie zu tun haben. Seine Finger streichen über meine nackten Arme, dann meinen Körper wieder nach unten bis zu meinen Oberschenkeln. Er dreht mich mit dem Rücken zu sich um, eine seiner Hände legt sich auf meinen Bauch und sein Körper gibt mir wieder vor, wie ich mich bewegen soll. Es fühlt sich ganz sexy an. Ja, ein wenig wie Sex und ich scheine ganz plötzlich zu wissen, wie es funktioniert und übernehme erst seine Bewegungen und füge dann eigene ein und werde mutiger, drehe mich, gehe in die Knie und beginne einfach, meinen Körper mit Toms flirten zu lassen.
»Du kannst es«, sagt er lächelnd und dreht mich wieder im Kreis.
Ich zucke zusammen, als eine E-Gitarre aufkreischt und dann ein Schlagzeug Töne ausspuckt, die gar nicht zum Song passen, der gerade gespielt wird. Ich drehe mich zur Bühne um, auf der ich drei dunkle Gestalten erkennen kann, aber das Licht ist so eingestellt, dass man mehr als Schemen nicht sehen kann.
»Anscheinend gibt es heute doch ein Liveprogramm«, stelle ich enttäuscht fest. Die anderen Tänzer um uns herum bleiben auch alle stehen, ein paar jubeln und kreischen hysterisch. »Wir waren wohl die Einzigen, die es nicht wussten.«
»Dann gehen wir am besten wieder zum Tisch zurück, bevor ein paar von den Groupies auf den Gedanken kommen, dort könnten Plätze frei sein«, murmelt Tom und beugt sich dabei ganz nah an mein Ohr. Sein heißer Atem streift meine Wange und löst ein Kribbeln in mir aus. Ich weiche unsicher ein paar Zentimeter zurück, gerade genug, damit er nicht glaubt, ich fände es unangenehm, ihm nahe zu kommen. Immerhin waren unsere Körper sich eben sehr nahe.
»Gehen wir«, sage ich laut genug, um die nächsten paar Töne zu überstimmen, die von der Bühne drängen. Jemand zählt leise 1, 2, 3 mit einer Stimme, die mich erschauern und unwillkürlich zur Bühne hinsehen lässt. Eine sehr erotische, warme Stimme, die mich neugierig auf den ersten Song macht. Die Boxen auf der Tanzfläche verstummen. Tom nimmt meine Hand und zieht mich zu unserem Tisch, wo Dana tatsächlich gerade versucht, zwei hibbelnde und jammernde Mädchen von unseren Plätzen fernzuhalten.
»Tut uns leid«, meint Tom ganz ruhig und hält noch immer meine Hand, »aber das sind unsere Plätze.«
»Verdammt«, keift ein dunkelhaariges Mädchen. »Das hier ist der beste Platz, um an die Jungs ranzukommen.«
»Ich will unbedingt, dass sie noch mit uns abhängen«, meint ihre ebenfalls dunkelhaarige Freundin. Sie treten mit enttäuschten Gesichtern zur Seite und bleiben keinen halben Meter von unserem Tisch entfernt stehen.
»Ihr seid jung, ihr könnt stehen«, ruft Dana ihnen entgegen, dann sieht sie Tom fragend an.