EIN STRICK FÜR DEN PARTNER - Clifton Adams - E-Book

EIN STRICK FÜR DEN PARTNER E-Book

Clifton Adams

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Beschreibung

Im Sezessionskrieg hatten sie auf der falschen Seite gekämpft. Als Freiwild kamen Richter und seine drei Kameraden in das einsame Tal im Südwesten der USA. Und harte Arbeit machte sich bezahlt: Bald hatten die vier eine aufstrebende Ranch gegründet. Aber außer Fleiß benötigten sie noch Kapital. Und jener, der es ihnen gab, rechnete damit, die Ranch zu kassieren...

 

Clifton Adams (01. Dezember 1919 – 07. Oktober 1971) war ein US-amerikanischer Western-Autor. Der Roman Ein Strick für den Partner erschien erstmals im Jahre 1967; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1970.

Ein Strick für den Partner erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe APEX WESTERN.

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CLIFTON ADAMS

 

 

Ein Strick für den Partner

 

 

 

Roman

 

 

 

Apex Western, Band 45

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

EIN STRICK FÜR DEN PARTNER 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

 

Das Buch

 

  EIN STRICK FÜR DEN PARTNER

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Für jeden Mann wie Richter gab es irgendwo eine Stadt wie Prosperidad. Derartige Städte wirkten auf ihn wie eine gewisse Sorte von Frauen – er verabscheute sie, ohne sich von ihnen fernhalten zu können.

Hin und wieder hatte er ein paar Stunden oder auch einige Tage Zeit. Diesmal würde es anders, pflegte er sich immer wieder zu sagen. Er redete sich ein, dass er zu Hause bleiben würde, um Don Antonios Gastfreundschaft und das schöne Wetter in Chihuahua zu genießen, obwohl es Februar war und der eisige Wind durch seine Drillichjacke drang. Alles, so redete er sich ein, war schöner als Prosperidad.

Er dachte bei diesen Gelegenheiten an die Tochter eines Saloonbesitzers, nicht zu dick und immer guter Laune, in El Cuervo. Und er dachte auch an die verschiedenen Attraktionen, die Ojinaga, Ignacio oder Bosque Bonito zu bieten hatten. Ja, all diese Städte waren viel größer und hübscher als dieses Nest Prosperidad.

Aber er war wieder hier – in Prosperidad. Ein stinkendes, schmutziges und gottverlassenes Kaff am Ende der Welt. Ungefähr dreißig graubraune Luftziegelhütten, die auf einem Hang standen, der so öde und felsig war, dass er selbst von den Krusteneidechsen und Klapperschlangen gemieden wurde. Am Fuß des Hanges stand eine schäbige Hütte, die sich Cantina nannte und von einer Mexikanerin namens Maria geführt wurde. Gewohnheitshalber machte Richter dort Station und trank ein Bier mit Maria, die schlechte Zähne hatte und nach Knoblauch und schalem Tequila stank. Das Bier war lauwarm und schmeckte sauer. Die Mädchen waren schwabbelig und schmuddelig.

Trotz dieser bei Maria herrschenden ungesunden Atmosphäre pflegte Richter, wenn er zum Marktplatz wollte, regelmäßig dort einzukehren. Wäre er gleich den Hang hinaufgeritten, hätte irgendjemand irgendeinen Verdacht geschöpft. Wer ankam, der stieg zunächst bei Maria ab.

Nachdem er Marias Cantina verlassen hatte, ritt er etappenweise weiter in Richtung des dem Bergkamm am nächsten Mal gelegenen Stadtteils. Er steuerte offensichtlich Kopecs Cantina an, doch sein wirkliches Ziel lag weiter im Norden – ungefähr zwanzig Meilen jenseits des nördlichen Rio-Bravo-Ufers.

Vor Kopecs Cantina stieg Richter vom Pferd, blieb stehen, zündete sich ein Zigarillo an und konzentrierte seinen Blick auf die hinter einem Dunstschleier liegenden Gipfel der sogenannten Chanattes. Dann spie er auf den Bürgersteig und trat in die Cantina.

Kopec stand hinter der Bar. Er beäugte Richter mit einem vorsichtigen Grinsen. »Gute Laune heute, Amigo?«

Richter zuckte die Achseln. »Wie Sie wollen.«

Kopec lachte. »Also ja. Tequila?«

Richter nickte nur. Kopec stellte eine Flasche, ein Glas und einen Salznapf vor ihn hin. Richter trank im mexikanischen Stil; er nahm zunächst eine Prise Salz und kippte dann den Tequila. Nicht dass ihm Tequila mit Salz schmeckte, aber der Tequila allein schmeckte ihm noch weniger.

»Was macht Ihr Kopf?«, fragte Kopec.

Richter zuckte wieder die Achseln, sagte aber diesmal nichts.

Kopec lachte. »Sie waren an jenem Abend so bissig wie ein angesengter Wolf. Erinnern Sie sich?«

»Kaum.« Es hatte Krach gegeben, und bei dieser Gelegenheit hatte Kopec ihn mit dem Petroleumbehälter der Lampe außer Gefecht gesetzt. Erst zwei Stunden später war Richter in der Gosse hinter der Cantina aufgewacht.

»Und Sie wissen nicht mehr, worum es ging?«, erkundigte sich Kopec.

»Nein.«

»Ich weiß es auch nicht mehr genau.« Kopec stützte sich auf die Bar und seufzte zufrieden. Er war ein kleiner, untersetzter Bursche mit einem glänzenden Kahlkopf und einem hübschen schwarzen Schnurrbart. Seine Wiege hatte irgendwo in Osteuropa gestanden. Vor fünf Jahren war er über den Rio Bravo gekommen, um in Prosperidad ein paar Rinder zu kaufen. Hier hatte er die Witwe von Jesus Alverez, dem früheren Cantinabesitzer, kennengelernt und geheiratet. Es war eine perfekte Ehe. Señora Kopec, eine sehr geschäftstüchtige Frau, kontrollierte die Familienkasse in einer Weise, die zu Alverez’ Lebzeiten undenkbar gewesen wäre. Was Kopec betraf, so hatte er in der Cantina einen Platz, wo er mit seinen Freunden trinken konnte, und mehr brauchte er nicht zu seinem Glück.

Richter kippte den nächsten Mal Tequila. »Ich nehme an, dass Sie noch niemanden gesehen haben...« Er deutete auf die unbestimmte Ferne hinter dem Türrahmen.

Kopec schüttelte den Kopf. »Der Mann, den Sie suchen, ist nie über den Rio Bravo gekommen. Warum lassen Sie die Sache nicht auf sich beruhen, Richter?«

Richter sah ihn an, trank den dritten Tequila, sagte aber nichts.

Ein Rinderkäufer und einer von Don Antonios Vaqueros traten ein und setzten sich an einen Tisch, an dem schon zwei Mädchen saßen. Kopec ging, um sich nach ihren Wünschen zu erkundigen. Richter nahm die Flasche und begab sich zu einem Tisch in Nähe der Vordertür. Lange Zeit saß er da und blickte hinaus auf die Berge. Merkwürdig, was für einen Unterschied zwanzig Meilen ausmachten... Irgendwo dort drüben trennte ein bedeutungslos aussehender verschlammter Flusslauf zwei Welten. Die Welt auf der anderen Seite jener Berge war einmal seine Welt gewesen. Jetzt war es ihm schon etwas wert, diese Berge nur von weitem zu sehen. Selbst hier in Kopecs Cantina war er nicht ganz sicher, aber das hinderte ihn nicht daran, von Zeit zu Zeit hierherzukommen.

Eine Frau fragte: »Haben Sie was dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze?«

Richter sah sie an, ohne sie richtig zu sehen. »Was sagten Sie?«

»Ob Sie was dagegen haben, wenn ich mich zu Ihnen setze.«

»Sie würden nur Ihre kostbare Zeit verschwenden.«

Sie wackelte mit den Schultern. »Es ist meine Zeit, und ich habe meine Zeit schon mit schlimmeren Dingen verschwendet.«

Richter war verärgert, weil jemand seine Gedankengänge unterbrochen hatte; aber er rückte einen Stuhl zurecht und sagte: »Wenn Sie etwas trinken wollen, müssen Sie sich von Kopec ein Glas holen.«

Das Mädchen ging an die Bar, kam mit einem Glas wieder und nahm Richter gegenüber Platz. Sie goss sich einen Tequila ein und sagte schließlich: »Sie müssen dieser Richter sein.«

Jetzt sah er sie mit einem interessierteren Blick an und stellte fest, dass er sie noch nie gesehen hatte.

Er versuchte beiläufig ihr Alter zu schätzen, und wieder war er leicht verärgert, als er feststellte, dass sie zwischen zwanzig und vierzig sein konnte. Ihre Gesichtszüge wirkten irgendwie verwischt.

Ihr Haar konnte, wenn es gewaschen war, kastanienbraun oder vielleicht eine Schattierung heller sein. Ihre Augen sahen glanzlos aus und hatten einen schiefergrauen oder mehr bläulichen Schimmer. Allem Anschein nach stammte sie nicht aus Prosperidad. Sicher ein Grenzstadtmädchen, das einem mexikanischen Freischärler über den Rio Bravo gefolgt ist, dachte er. Jetzt hat der Mexikaner sie satt, und sie will nun Geld verdienen, um in Texas wieder ihr Glück zu versuchen.

»Warum muss ich dieser Richter sein?«, fragte er.

Sie lachte, und das war ein seltsam disharmonisches Geräusch ohne Humor und ohne Leben. »Jeder in Prosperidad hat von Richter gehört. Sie sind ein berühmter Mann – wissen Sie das nicht?«

»Wie kommen Sie darauf?«

Sie wackelte nur mit einer Schulter, und es war keine schlecht aussehende Schulter, was sie sehr gut wusste. Sie trug eine jener bunten Blusen, wie sie an Festtagen von Indianermädchen getragen wurden: weitgehend schulterfrei. Ihren Hals zierte eine schmale Silberkette mit einem kleinen silbernen Kreuz daran.

»Erzählen Sie mir jetzt, weshalb ich ein berühmter Mann sein soll«, forderte er sie auf und fragte sich, ob Kopec etwas hatte verlauten lassen. Doch wie Kopec hörte es sich nicht an.

Sie füllte ihr Glas nach. »Zunächst einmal stehen Sie mit dem alten Don Antonio auf gutem Fuß. Darum sind Sie hier etwas Besonderes, selbst wenn es an Ihnen sonst nichts zu bewundern gäbe.«

»Gibt es noch etwas?«

Sie sah ihn ruhig an, so als versuche sie, sich sein Gesicht einzuprägen. »Sicher haben Sie nie damit gerechnet, dass es ein Geheimnis bleibt, nicht wahr? Ich meine Ihre Schwierigkeiten auf der anderen Seite des Rio Bravo. Wie war doch gleich sein Name? Udall? Sie haben einen seiner Söhne getötet und mit viertausend in Gold Texas verlassen. Das erzählt man sich.«

Viertausend! Und das erzählte man sich... Natürlich hatte er gewusst, dass irgendwelche Gerüchte im Umlauf waren, aber er hatte sich nie für die besonderen Einzelheiten interessiert.

»Dann bin ich also ein äußerst gefährlicher Bursche«, sagte er.

Das Mädchen lächelte flüchtig und zeigte ihm unter ihrer gepuderten Gesichtsmaske einen Ausdruck menschlicher Wärme. »Wenn Sie nicht darüber sprechen wollen, soll’s mir recht sein.«

Richter sagte nichts. Sie saßen eine Weile schweigend da, tranken Tequila und schluckten Salzkörner. Als die Flasche zur Hälfte leer war, beglich Richter die Rechnung und ging.

Er war ein großer Mann, und wenn er sich in einem Raum bewegte, wirkte er irgendwie tollpatschig. Doch draußen unter freiem Himmel war sein Gang elastisch und katzenhaft. Obwohl noch immer in den Dreißigern, hatte sein dunkles Haar schon auffallend viele graue Strähnen. Seine Augen waren hell und wachsam, die Augen eines Präriebewohners, und mussten hier in den mexikanischen Bergen unbedingt auffallen. Seit fast einem Jahr hatte er sich so gut wie gar nicht um seine äußere Erscheinung gekümmert. Er hatte sich gewaschen und rasiert, wenn er gerade daran dachte, und das kam nicht häufig vor. Er wechselte seine Kleidung, wenn sie so schmutzig war, dass er sie unmöglich noch länger tragen konnte. Wer ihn betrachtete, ahnte nicht, dass er vor kaum einem Jahr ein aufstrebender Rinderzüchter in Texas gewesen war. Doch das war vor seinem Zusammenstoß mit Henry Udall.

Ärgerlich, dass das Mädchen den Namen Udall erwähnt hatte; die Erinnerung ließ den Tequila in seinem Magen rebellieren.

Er ging ohne Ziel die Straße entlang. Dunkle Augen beobachteten ihn hinter den geschlossenen Fensterläden und durch die düsteren Türrahmen. Das ist der Mann namens Richter, sagten diese unsichtbaren Blicke. Jenseits des Flusses stand sein Kopf hoch im Kurs, so wurde gesagt, aber ein mexikanischer Kopfgeldjäger musste schon sehr kühn sein, solange er, Richter, ein Schützling Don Antonios war.

Er ging in eine andere Cantina, doch weil dort nicht englisch gesprochen wurde und er nicht mexikanisch konnte, ging er bald wieder.

Es war kurz vor Sonnenuntergang, als er auf die alte Lehmmauer oberhalb des Hanges zuging. Diese Mauer war vor langer Zeit der Teil eines Korrals gewesen, von dem nur dieses Stück übriggeblieben war. Stellte man sich mit dem Rücken an die Mauer und blickte lange und konzentriert genug nach Norden, dann schienen die blauschimmernden Bergkämme von Texas so nahe heranzurücken, dass man glaubte, sie mit wenigen Schritten erreichen zu können.

Richter gefiel weder diese alte Mauer noch das Gefühl, das die fernen Berge in ihm auslösten. Doch immer, wenn er sich in Prosperidad aufhielt, legte er diesen bekannten Weg zurück. Es erging ihm so wie den anderen Verbannten, die, auf das Unmögliche wartend, die Berge betrachteten und dann wieder in Kopecs Cantina zurückkehrten und sich betranken.

Es war ein Wort, das schon lange unter der mexikanischen Einwohnerschaft von Prosperidad kursierte. Und Richter wusste in diesem Augenblick, dass sich jemand auf die staubige Straße gestohlen hatte und ihn erwartungsvoll grinsend beobachtete. Er wusste auch, dass die guten Einwohner von Prosperidad diese Mauer die Klagemauer nannten.

Richter nahm an, dass auch er – wie viele andere Verbannte – zuerst rein spaßeshalber zu dieser Mauer gegangen war; jetzt musste er immer wieder hingehen. Erst seit kurzem dachte er an sein Heimatland. Den größten Teil seines Lebens war er von einem Ort zum anderen gewandert; er konnte sich nicht entsinnen, jemals Heimweh gehabt zu haben, nicht einmal als Kind. Doch jetzt fraß das Heimweh wie Würmer in seinen Eingeweiden.

Aber es gab noch eine Menge anderer Dinge, die er erst seit kurzem gespürt hatte. Innerhalb eines Jahres hatte sich in ihm ein Gefühl entwickelt, das man getrost als Mordlust bezeichnen konnte.

 

Er zündete sich ein dünnes schwarzes Zigarillo an, lehnte sich an die Mauer und starrte über den Zwanzigmeilenstreifen Trostlosigkeit hinweg. Wenn es mir gut geht, weiß ich es nicht, dachte er. Don Antonio war ein erstklassiger Boss, und Richter wusste, dass er sich glücklich schätzen konnte, bei ihm Arbeit gefunden zu haben. Was hatten Texas oder die Staaten jemals für ihn getan? Das Schlimme mit dir ist, dachte er weiter, dass du ständig über die Stränge schlagen musst. 

Das konnte er nicht ändern. Das Gift war in seinem Blut, und es gab kein Gegenmittel – nur eins, und das konnte er sich nicht beschaffen.

Angewidert wollte er in Kopecs Cantina zurückkehren, als er an der Wand einer Hütte einen bunten Farbtupfen sah. Das war unverkennbar die Bluse des von Kopec eingestellten neuen Mädchens. Sie stand in einer Nische, ungefähr zwanzig Schritte von Richter entfernt.

Er ging auf sie zu und fragte gereizt: »Wie lange stehen Sie schon da?«

Sie sah ihn ruhig an. »Ich war schon früher hier als Sie.«

»Warum habe ich Sie dann nicht gesehen?«

»Weil Sie nicht genau hingesehen haben.«

Richter rieb sein stoppeliges Kinn. »Was tun Sie hier?«, fragte er.

»Dasselbe wie Sie«, war die Antwort. »Sehen und träumen...«

Er furchte die Stirn. »Ist dort drüben Ihre Heimat?«, fragte er, nach Norden deutend.

»Ja.«

»Texas?«

Sie nickte zögernd. »Ja.«

»Sind Sie mit dem Gesetz in Konflikt geraten?«

»Warum sollte ich?«

»Es gibt Gesetze und Gesetze. Um einige kommt man herum.«

Sie überraschte ihn, indem sie den Kopf zurückwarf und lachte – ein schroffer, schriller Laut in der abendlichen Stille. »Nein, ein Sheriff ist nicht hinter mir her.«

Er verstand sie nicht. Dieser Hunger in ihren Augen war unverkennbar. Richter hatte diesen für Verbannte typischen Blick zu häufig gesehen. »Wenn Sie nichts zu befürchten haben«, sagte er, »warum kehren Sie dann nicht nach Hause zurück?«

Sie sah ihn an wie eine unheimliche Erscheinung. Dann kehrte sie sich, ohne noch ein Wort zu sagen, der Stadt zu.

Ihr Benehmen verwirrte ihn. Richter war immer noch Kavalier genug, um zu wissen, dass sie sich von ihm beleidigt fühlte. »Falls ich etwas gesagt haben sollte...«, setzte er an.

»Sie haben nichts gesagt. Es wird nur Zeit, dass ich wieder in die Cantina zurückkehre.«

»Zu Kopec?«

Sie nickte.

Im Augenblick fiel ihm nichts Besseres ein als: »Ich begleite Sie.«

»Nein«, sagte sie abgehackt. »Das ist nicht nötig, meine ich.«

Was meint sie wirklich damit? dachte Richter. Hält sie mich als Begleiter für zu vornehm, weil sie nur in einer Cantina arbeitet? Er kehrte zur Mauer zurück und rauchte sein Zigarillo zu Ende.

Dies war ein Land der Berge und Täler, ein Land der geologischen Widersprüche. Es gab breite Wüstenstreifen mit Salbeigestrüpp und Feigendisteln auf einem Boden, der so dürftig war wie Kopecs Bier. Über alles blickten die gigantischen Chisos, Guadeloupes, Davis und Chanattes hinweg. An den Berghängen wucherten Kakteen aller Größen und Formen. Dort, inmitten der Granitfelsen, gab es Fichten-, Eichen- und Zedernwälder und Berge, die zwar silbern und sogar golden funkelten, doch den Reichtum des Landes bildeten weder Gold- noch Silbervorkommen, sondern vielmehr das harte Gras, das in Büscheln auf dem rauen Boden der Täler wuchs. Es war Weideland, Rinderland.

Der Traum eines Viehzüchters. Ein Land für Rinder und nichts anderes als Rinder. Richter wusste es. Er konnte das Land beurteilen, denn er war selber einmal Viehzüchter gewesen.

Das kleine staubige Plateau südlich der Mauer wurde von den Einwohnern Prosperidads als Marktplatz bezeichnet. Kopecs Cantina stand auf der Südseite; von dort aus hatte man einen Blick auf die Chanattes.

Richter blieb vor der Cantina stehen. In der Stadt wurden jetzt die Lampen und Kerzen angezündet. Auf dem Platz saß eine alte Frau und briet in einer Holzkohlenpfanne schmale Fleischpasteten. Im rosigen Zwielicht der Dämmerung schien eine Art melancholischer Romantik über der Stadt zu schweben.

»Kommen Sie herein?« Das Mädchen blickte ihn vom Türrahmen aus an.

»Einen Augenblick...« Richter überquerte den Platz, kaufte der alten Frau sechs Pasteten ab, die er mitnahm. »Bier«, sagte er wenig später zu Kopec. Und zu dem Mädchen: »Setzen Sie sich zu mir.«

Kopec brachte drei gefüllte Gläser. Dann saßen sie zu dritt schweigend, essend und biertrinkend am Tisch. Es waren keine anderen Gäste da, nur die beiden mexikanischen Mädchen, die Kopec ständig beschäftigte, saßen an einem Ecktisch und spielten Karten.

Kopec seufzte und schmatzte mit den Lippen. »Ich habe noch etwas Besonderes«, sagte er, stand auf und tauchte hinter der Bar unter.

Richter leerte sein Glas und sah das Mädchen an. »Nicht beleidigt?«

»Warum sollte ich beleidigt sein?«

Richter zuckte die Achseln und dachte an ihre trotzige Haltung an der Lehmmauer. Aber worüber sie sich auch geärgert hatte, sie schien es überwunden zu haben. Kopec kam mit einer Rumflasche wieder und hatte auch zwei Gläser mitgebracht. Er füllte ein Glas für sich und ein Glas für Richter – für ein Animiermädchen war dieser alte Rum einfach zu gut.

Als sie getrunken hatten, schmatzte Kopec wieder mit den Lippen, sagte: »Süß wie Muttermilch und Honig«, und versteckte die Flasche wieder hinter der Bar.

Richter bestellte Tequila und begann zu trinken. Der Februarwind war böig und kalt, aber der Tequila wärmte schon auf dem Weg zum Magen, und Richter liebte es, neben der offenen Tür zu sitzen, obwohl es draußen schon so dunkel war, dass man die Berge nicht mehr sehen konnte.

»Sind Sie schon lange hier?«, fragte er, nur um etwas zu sagen.

»Vier Tage.«

»Wo kommen Sie her?«

»Cuervo.«

»Ziemlich weit weg«, murmelte er beiläufig. »Ein Gläschen?«

Sie nickte, und Richter bestellte bei Kopec ein neues Glas. Er saß bequem, spürte die Wirkung des Tequilas und war zufrieden, nur so am Tisch zu sitzen, ohne etwas zu tun, zu denken oder zu sprechen.

Kopecs Cantina war, jedenfalls in Prosperidad, erste Klasse. Es stimmte, dass der Fußboden aus festgetretenem Lehm bestand, Spinnen und Skorpione die Angewohnheit hatten, sich von der Decke ins Essen und in die Getränke fallen zu lassen, und dass der Tequila nach einer gewissen Zeit zur Erblindung führte, wenn er einen nicht auf der Stelle umbrachte; aber immerhin war Kopecs Cantina Klasse, und bei Kopec Stammgast zu sein war in Prosperidad eine Ehre. Und Richter konnte man als Stammgast bezeichnen. Wenn er sich nicht mit Don Antonios Rindern beschäftigte, sich nicht prügelte oder insgeheim die Grenzstädte nach Udalls Leuten absuchte, fand man ihn gewöhnlich an diesem Tisch neben der Tür.

Jetzt nahm Kopec wieder am Tisch Platz. »Kürzlich war ein Pferdehändler aus Bonito in der Stadt. Ein Gringo...« Bonito war eine kleine Siedlung, ungefähr zwanzig Meilen von Glory entfernt, wo Richter einmal gelebt und gearbeitet hatte. »Vielleicht kennen Sie diesen Händler«, fuhr Kopec fort. »Ein Vogel namens Cabot.«

Richter schüttelte den Kopf.

»Behauptete, ein Vertragslieferant der Armee zu sein. So tief im Süden ist mir noch nie ein Pferdehändler der Armee begegnet. Und Ihnen?«

»Nein. Interessierte er sich für noch etwas?«

Kopec legte die Stirn in Falten. »Kaum anzunehmen. Aber als ich Don Antonios Ranch erwähnte, da schien er die Ohren zu spitzen.«

Etwas in Richter verwandelte sich langsam zu Stein. »Warum haben Sie das nicht schon früher erzählt?«

Kopec zuckte unwillkürlich zusammen. »Fiel mir gerade erst ein.«

»Könnte es einer von Udalls Leuten gewesen sein?«

»Keine Ahnung. War so ein langer, schlaksiger Kerl. Trug eine Fohlenpelzweste und einen Präriehut. Wenig Krone und noch weniger Krempe. Aber es war etwas Merkwürdiges an der Art, in der er seinen Revolver trug, wenn Sie wissen, was ich meine.«

Richter lächelte dünn.

»Kennen Sie jemanden, auf den diese Beschreibung passt?«

»Nein«, sagte Richter, »aber das heißt nichts. Udall mietet seine Revolvermänner, wie und wann er sie gerade braucht.«

»Rechnen Sie damit, dass sich in Glory etwas zusammenbraut?«

Richter sagte nichts.

»Ich glaube es kaum«, meinte Kopec.

Ein Vaquero trat ein. Kopec kehrte hinter die Bar zurück. Richter trank ohne Genuss und ohne Eile, dafür aber in regelmäßigen Abständen, so als tiftele er an einem System herum, mit dessen Hilfe ein Mann allein den ganzen Tequila in Chihuahua trinken konnte.

»Trinken Sie immer so?«, fragte das Mädchen.

Richter schien sich zu wundern, dass sie ihm noch immer auf demselben Stuhl gegenübersaß. »Wenn ich Gelegenheit dazu habe«, antwortete er.

Sie füllte ihr Glas nach, schluckte ein paar Salzkrümel und kippte den Tequila gekonnt und elegant hinunter. Als Kopec an den Tisch zurückkehrte, leuchtete sein Gesicht, als sei er wieder an der Rumflasche gewesen. »Ich wusste doch, dass Sie und Hessie gut miteinander auskommen würden.« Er blickte Richter lächelnd an.

»Ich und wer?«

»Jessie Marchand«, antwortete das Mädchen. »In Mexiko hört es sich wie Hessie an.«

»Marchand«, murmelte Richter, nachdenklich das Mädchen anblickend. »Marchand... Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor.«

»Viele Leute heißen Marchand«, sagte sie und griff nach der Flasche.

»Mir ist noch kein Marchand begegnet. Nein...« Richter schüttelte den Kopf. »Im Augenblick komme ich nicht darauf, aber es wird mir schon einfallen.«

Sie saßen einen Moment schweigend da; Richter ins Grübeln versunken, Jessie Marchand blass und reglos. Wieder wollte Kopec etwas sagen, wieder hinderte Jessie ihn daran, indem sie ihm unter dem Tisch einen Fußtritt versetzte.

»Marchand, der Goldgräber!«, rief Richter plötzlich aus. »Ist er das?«

Jessie goss sich einen doppelten Tequila ein. »Ja.«

»Jetzt erinnere ich mich...« Sein vom Tequila beflügelter Geist arbeitete nun einwandfrei. »Marchand ist Ihr Mann?«

»Er war es«, erwiderte sie tonlos.

»Richtig, richtig... Er wurde von Indianern getötet, nicht wahr? Nein«, stellte er klar, »nicht von Indianern – von Banditen.« Er machte ein verwundertes Gesicht. »Seltsam, ich wusste gar nicht, dass er verheiratet war.«

Kopec war nicht mehr zu halten und platzte dazwischen: »Der Mann wurde umgebracht, die Frau von Pepe Groz’ Bande gefangen gehalten. Und dann entkam sie eines Tages aus den Las Dalmas!«

»Sicher, sicher...« Richter war ein wenig angeheitert, aber nicht betrunken. »Sie müssen es schlau angestellt haben«, sagte er mit echter Bewunderung. »War gewiss nicht einfach, einem Kojoten wie Pepe Groz zu entwischen.«

»Ich hatte etwas, das sie haben wollten«, sagte Jessie ruhig. »Wir wurden handelseinig...«

Richter war verwirrt. Er runzelte die Stirn und trank einen Schluck Tequila. »Gold?«, fragte er schließlich. »Soviel mir bekannt ist, gab es kein Gold.«

Kopec lachte explosiv und schlug Richter mit der flachen Hand auf den Rücken. »Kein Gold, Amigo! Ganz gewiss kein Gold!« Er stand auf und ging, noch immer lachend, zur Bar.

Richter starrte. Nach und nach war die Wahrheit sichtbar geworden. Wie ein Ozelot, der sich in den Lichtflecken des Schattens eines Baumes aufrichtete. Zunächst war es ein Gewirr aus Flecken und Farben, dann nahm diese Erscheinung nach und nach Gestalt an.

Richter hatte sich nicht um den Kurs gekümmert, den die Unterhaltung einschlug. Er sah darin eine harmlose Abwechslung, eine Zerstreuung. Aber der Pfad hatte eine unerwartete Richtung genommen, und plötzlich sah er sich bis zum Kinn in einer hässlichen Geschichte stecken.

»Ich hatte keine Ahnung!«, sagte er angewidert.

»Vergessen Sie es«, sagte Jessie, die dieses Thema satt hatte. Sie sah ihn mit ausdruckslosem Gesicht an. »Machen Sie sich keine Gedanken, Richter. Ich habe mich daran gewöhnt.« Sie lächelte und sah aus, als täte er ihr leid. Dann stand sie auf, nahm einen roten Schal von einem Nagel hinter der Bar und verließ die Cantina.

Richters Augen funkelten. Plötzlich stand er mit einem Ruck auf und bewegte sich langsam auf Kopec zu.

Der Mann seufzte und tastete nach dem Spundöffner, der auf dem unteren Flaschenregal lag. »Richter«, sagte er bittend.

»Sie verdammter Schurke! Ich sollte die Bar auf Ihrem Schädel in Stücke schlagen.«

»Richter«, sagte Kopec wieder und umklammerte den Spundöffner fester.

»Warum haben Sie mir nicht erzählt, wer das Mädchen ist?«

»Hab’ ich doch getan – vor einer Minute. Beruhigen Sie sich jetzt, Richter.«

»Sie haben mit keinem Wort gesagt, dass es Jessie war, die von Pepe Groz und seinen Halsabschneidern mitgenommen wurde.«

»Sie haben sich ja auch mit keinem Wort danach erkundigt«, wich Kopec aus.

Die beiden kartenspielenden mexikanischen Mädchen sahen, wie die Szene sich entwickelte. Sie verschwanden wie Schatten in Richtung der Hintertür.

Schweißtropfen perlten auf Kopecs glänzendem Kahlkopf. »Wir wollen doch nicht schon wieder die ganze Cantina demolieren, Richter?«

»Ich hätte Ihre Spelunke schon vor Monaten abbrennen sollen!«

Kopec war fast den Tränen nahe und sagte heiser: »Hören Sie mir doch wenigstens zu, Richter.«

Zu seinem Erstaunen beherrschte sich Richter. Er starrte ihn einige Sekunden an, machte dann auf dem Absatz kehrt und stampfte hinaus.

Kopecs Hände zitterten, als er sich aus seinem Privatvorrat ein Glas Rum genehmigte. »Verdammter Gringo!«, murmelte er.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Richter verstand etwas von Rindern und kassierte auf diesem Gebiet Spitzenlöhne, aber seit fast einem Jahr hatte er keine feste Arbeit angenommen. Er war noch nicht ganz vierzig; seine Chancen, sehr viel älter zu werden, waren gering, wenn er an seine Lebensweise dachte.

Im Augenblick lehnte er an der Bar einer Cantina, die einem gewissen Paco gehörte und den gleichen Namen hatte. Zwei junge Pistoleros, wie Gringos gekleidet – kalifornische Hosen und Hemden –, beobachteten ihn unauffällig. Udalls Leute? Vielleicht. Sie sahen ungefähr so aus.

Richter wackelte mit dem Zeigefinger. »Tequila«, sagte er zum Barkeeper. Es war das einzige mexikanische Wort, das ihm geläufig war. Er hätte zu Kopec zurückkehren können, aber er war immer noch beleidigt – wegen dieser Sache mit dem Mädchen. Er war auch schon ziemlich betrunken, so betrunken, dass einer der jungen Pistolenhelden an der Bar glaubte, gegen ihn ankommen zu können.

Richter grinste und salutierte mit seinem Tequila-Glas. »Mir scheint, Udall stellt neuerdings ziemlich grüne Pistoleros ein«, sagte er.

Einer von ihnen, ein schlanker junger Mann mit einem funkelnden Goldzahn, murmelte etwas und spie auf den Boden. Sein Freund, ein wenig älter und besonnener, musterte Richter aus einem Augenwinkel und zündete sich einen schwarzen Stumpen an.

Der Ruhige nickte Richter höflich zu und sagte ein paar mexikanische Worte. Richter hörte sie nicht und bestellte beim Barkeeper einen weiteren Tequila. Dann stützte er sich arrogant auf die Bar und wünschte beinahe, dass die Burschen nach ihren Waffen greifen würden. Schon neun Monate her, seit es einer von Udalls Leuten versucht hatte. Der Mann war bei dieser Gelegenheit ums Leben gekommen; er hatte irrtümlicherweise angenommen, dass Richter zu betrunken war.

Der Junge mit dem Goldzahn fühlte sich beleidigt. Er war wütend und wäre an Ort und Stelle gestorben, wenn sein besonnenerer Freund ihn nicht beruhigt hätte.

Richter lachte sie frei heraus an und sagte: »Ihr Jungen seid für meinen Geschmack zu grün und dumm. Mir ist heute einfach nicht nach einem Kampf zumute. Aber wenn es unbedingt sein muss...« Er trank ruhig sein Glas leer. »Wenn ihr Glück habt und wieder gesund in Glory angekommen seid, könnt ihr Udall erzählen, dass es verkehrt ist, grünen Jungen eine Männerarbeit aufzugeben.«

Der Jüngere war leicht blass geworden. Er verstand genügend Englisch, um zu wissen, dass er beleidigt worden war. Aber der ruhigere Mann betrachtete nur die Asche seines Stumpens und sagte freundlich: »Wer ist dieser Udall, von dem Sie sprechen?«

Richter grinste. »Denken Sie nach, dann fällt es Ihnen ein.« Damit zahlte er und ging. Er lehnte noch einige Zeit an einem Felsen auf dem verlassenen Platz und wartete. Aber die beiden jungen Männer kamen nicht aus der Cantina heraus.

Hatte er sich geirrt? Sah er in jedem Fremden einen von Udalls Leuten?

Der Tequila brannte in seinem Magen. Er beschloss, nie mehr ein Glas Tequila zu trinken; das brachte ihn nur immer wieder in Schwierigkeiten und löste seine Probleme nicht.

Er stieß sich. von dem Felsen ab, machte einen Rundgang und blickte in die düsteren kleinen Cantinas. Alle erinnerten ihn an die Cantina Maria. Nach einiger Zeit hatte seine Langeweile den Höhepunkt erreicht, und er kehrte wieder in Kopecs Cantina zurück.

Kopec musterte ihn skeptisch. »Keinen Lärm, Richter. Meine Frau will nichts mehr von zertrümmertem Mobiliar hören.«

Richter hob beide Arme, als bohre ihm jemand einen Revolverlauf in den Rücken. »Kein Lärm, ich verspreche es, Kopec.«

Richters Versprechungen waren nur so viel wert wie seine jeweiligen Stimmungen. Doch Kopec stellte eine Flasche auf die Bar, und dann begossen sie diese fragwürdige Waffenruhe mit einem Glas.

»Wo ist das Mädchen hingegangen?«, fragte Richter.

»Jessie?« Kopec zuckte die Achseln. »Quién sabe?« 

»Wurde sie wirklich von Pete Groz festgehalten?«

»Wollen wir doch nicht schon wieder damit anfangen«, sagte Kopec.