SATANS SILBERDOLLAR - Clifton Adams - E-Book

SATANS SILBERDOLLAR E-Book

Clifton Adams

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Beschreibung

Morrasey, der Siedler, verweigert dem Sterbenden seine Hilfe. Er wartet und nimmt schließlich dem Toten das Geld ab...

Jessie Ross will ihren Freund an den Sheriff verraten, um die Belohnung einzustreichen...

Barkers Witwe bezahlt einen Killer, der den Deputy umlegen soll...

 

Clifton Adams (01. Dezember 1919 – 07. Oktober 1971) war ein US-amerikanischer Western-Autor. Der Roman Satans Silberdollar erschien erstmals im Jahre 1969; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.

Satans Silberdollar erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe APEX WESTERN.

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CLIFTON ADAMS

 

 

Satans Silberdollar

 

 

 

Roman

 

 

 

Apex Western, Band 47

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

SATANS SILBERDOLLAR 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

 

Das Buch

 

  SATANS SILBERDOLLAR

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Als Barstow von Morrasey gefunden wurde, hatte er bereits zwei Tage unter dem Mesquitenbaum gelegen. Zwei Tage hatte er auf jemanden, irgendjemanden, gewartet. Er wusste nur zu gut, dass sein Bein gebrochen und vom Wundbrand befallen worden war. Er wusste auch, dass das Fieber ihn ausgebrannt hatte, sodass er ohne fremde Hilfe keinen weiteren Tag überleben konnte. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so sehr nach einem menschlichen Gesicht, einer menschlichen Stimme gesehnt; aber an einen Mann wie Morrasey hatte er dabei nicht gedacht.

Morraseys Erscheinung strahlte etwas Unheilvolles aus; Barstow spürte das schon, als er ihn plötzlich unerwartet auf einem ungefähr hundert Schritte entfernten Hügel auftauchen sah. Er rief. Seine Stimme klang heiser und rasseln. In der grellen Sonne auf der Sanddüne stehend, sah Morrasey wie eine leicht schwankende Vogelscheuche aus.

»Um Himmels willen, helfen Sie mir!«, rief Barstow noch einmal.

Die Gestalt veränderte ihre Haltung nicht, doch sie musste ihn entdeckt haben und wissen, dass seine Situation verzweifelt war. Dennoch vergingen ein paar lange Minuten, bis die Gestalt sich endlich in Bewegung setzte. Sie kam mit den schlaksigen, hüftschwingenden Schritten eines Farmers den Hügel herunter, verschwand für kurze Zeit in einem jener ausgetrockneten Flussbetten der Prärie und kam, wesentlich näher, wieder zum Vorschein, Und in diesem Moment fühlte Barstow sich von allen guten Geistern verlassen.

Kein Zweifel, Barstow war auf fremde Hilfe angewiesen, doch das Nahen dieses Mannes verscheuchte seine gehobene Stimmung.

Morrasey trug ein verschnürtes Bündel und ließ es, als er den knochigen Bauch erreicht hatte, in den Sand fallen.

»Gott sei Dank«, krächzte Barstow und ab sich alle Mühe, seiner Stimme einen erleichterten Klang zu verleihen. »Ich liege seit zwei Tagen hier und hatte mich schon abgeschrieben...«

Morrasey blickte teilnahmslos auf ihn herab. Er fuhr mit dem Ärmel über sein schweißnasses Gesicht, zog dann eine Stange Kautabak aus der Tasche und biss ein kleines Stück ab.

»Ein Schluck Wasser würde mir sehr helfen«, sagte Barstow mit schwacher Stimme. »Auf der anderen Seite des nächsten Hügels ist ein Fluss. Sie werden ihn gesehen haben, als Sie vorhin oben standen.«

Morrasey schwieg weiter. Er kaute eine volle Minute lang, spie dann aus einem Mundwinkel und wischte mit dem Handrücken seine vom Tabaksaft gebräunten Lippen ab.

Ein Farmer, dachte Barstow. Das war schlecht. Denn alles an Barstow ließ auf einen Rancher schließen, dem geborenen Feind aller Ansiedler. Immerhin sind es Menschen und keine Wölfe, dachte Barstow weiter. Es kam ihm nicht in den Sinn, dass Morrasey sich weigern könne, es ihm so bequem wie möglich zu machen, um dann Hilfe zu holen.

»Eine Schlange hat mein Pferd scheu gemacht«, erklärte er. »Darum blieb ich mit einem gebrochenen Bein hier liegen. Gut, dass Sie gekommen sind...« Erst jetzt fragte er sich, was Morrasey zu Fuß mitten in der Prärie suchen mochte. »Sie haben Ihr Pferd doch nicht verloren – oder?«

»Noch nie ein Pferd gehabt«, antwortete Morrasey schroff.

Barstow starrte das grobknochige, lederartige Gesicht mit den verwaschen aussehenden Augen und den herabgezogenen Mundwinkeln an. Es war ein Gesicht, in dem sich Armut, Unwissenheit und Misserfolge spiegelten. Barstow kannte diese Gesichter, und sie gehörten meistens Farmern, die sich dummerweise eingebildet hatten, auf grobem Kies und rotem Lehm gute Ernten erzielen zu können.

»Irgendwo im Osten liegt Fort Reno«, sagte Barstow. »Ich kenne dort ein paar maßgebliche Leute. Dort lebt ein Arzt namens McFee. Ich bitte Sie nicht gern, aber...« Er sondierte die Tiefen dieser ausdruckslosen Augen. Sie blickten leer, ohne Gefühl, ohne jegliche Gemütsbewegung. Er räusperte sich hohl. »Sie brauchen es natürlich nickt umsonst zu tun. Ich werde dafür sorgen, dass es sich für Sie lohnt.«

Barstow hielt den Atem an. Normalerweise war sein Angebot für einen Farmer eine Beleidigung der schlimmsten Sorte. Doch er spekulierte darauf, dass dieser Farmer bezüglich solcher Gefühle nicht allzu sensibel war.

Morrasey setzte sich in den Schatten des Mesquitenbaums und blickte ihn aus seinen Augenschlitzen nachdenklich an. »Muss zwanzig Meilen bis nach Reno sein. Was ist es Ihnen wert, wenn ich den Arzt hole?«

»Zwanzig Dollar.«

Morrasey atmete hörbar aus. Auf seiner Hose und seinem kragenlosen Hemd hatte sich eine Menge Schmutz angesammelt. Seine schweren Arbeitsschuhe waren schon mehrfach repariert worden und hatten immer noch Risse. »Zwanzig Meilen«, sagte er gedehnt, »sind eine lange Strecke.«

»Zwanzig Dollar sind eine Menge Geld.« Mehr Geld, als so ein Farmer jemals auf einem Haufen sehen würde, und Barstow wusste das.

Aber nicht Morrasey, sondern er, Barstow, war dem Tod ausgeliefert, wenn sich kein Arzt um ihn kümmerte.

Jetzt spitzte Morrasey seinen kleinen Mund und spie einen Strahl Tabaksaft in den Sand unweit von Barstows Gesicht. »Fünfzig Dollar«, sagte er grinsend.

Barstow schluckte den gallebitteren Ärger hinunter. Sein Leben stand auf dem Spiel, und da war es geradezu lächerlich, mit dem einzigen Menschen zu feilschen, der ihn retten konnte. »Also gut – fünfzig.«

Diesmal war Morrasey beeindruckt. In den verschwommenen Tiefen seiner Augen blitzten die Glassplitter der Habgier. »Wer garantiert mir, dass Sie Ihr Versprechen einlösen? Ich meine, woher wollen Sie das Geld bekommen?«

»Das lassen Sie nur meine Sorge sein. Sie bekommen das Geld, wenn Sie mit dem Arzt zurückkehren.«

Morrasey lachte abrupt und schroff. »Das wäre aber sehr leichtsinnig von mir. Komme ich erst einmal mit dem Arzt zurück, dann zahlen Sie mir überhaupt nichts.«

Barstow schloss die Augen und zwang seine Gedanken zur Ruhe. »Zwanzig jetzt«, sagte er, »und den Rest, wenn der Arzt da ist.« Er wusste genau, dass er Morrasey, wenn er ihm die ganze Summe auf einmal gab, nie wiedersehen würde.

Morraseys knochige Kinnbacken begannen nachdenklich zu arbeiten. »Ein faires Angebot«, meinte er schließlich.

»Glauben Sie, dass Sie mir jetzt ein wenig Wasser bringen können?«, fragte Barstow mit bitterer Stimme.

»Das glaube ich schon.« Morrasey stand auf, stieg über Barstows verletztes Bein hinweg und ging auf die Hügelkette zu, die das nördliche Ufer des Cimarron kennzeichnete. Kaum war er aus Barstows Blickfeld verschwunden, änderte er die Richtung und ging wieder auf den Mesquitenbaum zu.

Nun kam er hinter dem Rancher zum Vorschein. Er blieb einige Minuten auf dem kleinen Hügel stehen und beobachtete fasziniert. Barstow hatte sein Hemd aufgeknöpft und fingerte an den Klappen eines Geldgürtels, den er an seinem Körper trug. Die Augen schienen Morrasey aus dem Kopf zu fallen, als er das Päckchen Dollarscheine sah.

Barstow hörte den Atem des Mannes hinter sich, ein hastiges, wolfsartiges Hecheln. Er wandte rasch den Kopf und starrte Morrasey an. In diesem Moment wusste Barstow, dass sich weder Doktor McFee noch irgendein anderer Mann um ihn kümmern würde. Morraseys Gesichtsausdruck war der beste Beweis.

»Ich hatte den Becher vergessen«, sagte Morrasey. Seine Augen blickten gierig auf die Dollarscheine, die der Rancher wieder einsteckte. Er öffnete sein Bündel und nahm einen zerbeulten Emaillebecher heraus. »Dauert nicht lange.« Er stampfte davon. Die Sohlen seiner zerschlissenen Schuhe knirschten im Sand.

Dann war er zum zweiten Mal aus dem Blickfeld des Ranchers verschwunden.

 

Morrasey biss ein weiteres Stück Kautabak ab und setzte sich unter einen anderen Mesquitenbaum. Nachdenklich blinzelte er in die grelle Sonne.

»Heiß«, sagte er laut. »Ein Mann in seinem Zustand wird’s nicht mehr lange machen...« Er zog den schmierigen Hut ins Gesicht, schloss die Augen und lehnte sich zurück, um abzuwarten. Er beschäftigte sich flüchtig mit der Frage, woher Barstow das Geld hatte. Mussten ungefähr hundert Dollar sein, nahm er an.

Schon allein der bloße Gedanke daran raubte ihm den Atem. In seinem ganzen Leben hatte er wahrscheinlich nie mehr als hundert Dollar besessen. Er hatte ganze Jahre gekannt, in denen ihm nicht einmal ein Dollar gehörte. Er dachte an Delly und was sie wohl sagen würde, wenn er ihr dieses Päckchen Dollarscheine zeigte.

Die Hitze in der sonnendurchglühten Flussmulde war betäubend. Morrasey bewegte seinen Oberkörper hin und her und versuchte, an nichts zu denken. Er wartete nur, ließ die Zeit vergehen. Nach einiger Zeit begann er eine Melodie zu brummen, die er einmal bei einer ländlichen Tanzveranstaltung gehört hatte. Kaum zu glauben, wenn man ihn jetzt betrachtete, aber Morrasey war einmal ein ausgezeichneter Tänzer gewesen. Er und Delly. Gab nicht viele Scheunen im südwestlichen Kansas, die er in seinen jüngeren Jahren nicht von innen gesehen hatte.

Nun, vielleicht kam das alles wieder, wenn er das Geld hatte. Gott, dachte er, wie verdammt lange liegt das schon zurück... So lange war das her, dass er es beinahe vergessen hatte. So lange war das her, als er Delly einen prächtig glänzenden Stoff für ein Kleid mitbrachte...

Einmal war ihm, als habe Barstow gerufen; aber er hob nicht den Kopf, öffnete nicht einmal die Augen. Niemand in der Welt konnte für diesen Rancher etwas tun. Arzt oder kein Arzt, der Mann war so gut wie tot.

Nicht, dass Morrasey sich an den Qualen anderer Leute ergötzte. Er hatte zum Fluss gehen wollen, um Wasser zu holen, wie Barstow es wünschte. Aber dann hatte er gedacht: Damit kann ich seine Qualen nur verlängern. In der ganzen Welt gab es nichts, was diesen Rancher noch retten konnte.

Und wenn er tot ist, folgerte Morrasey, dann nützt ihm das Geld nichts mehr. Am besten, wenn es jemand nimmt, der es nötig hat. »Und der Himmel weiß«, murmelte er laut, »dass es in dieser Welt keine Seele gibt, die es nötiger hat als Frank Morrasey!«

Lange Zeit saß er da und dachte an nichts. Schließlich spie er das Kautabakstück aus, ging zum Fluss hinunter, trank einen Becher Wasser und wusch sich das Gesicht. Er beschloss, überhaupt nicht mehr an Barstow zu denken. Der Mann bedeutete ihm nichts. Er war nur ein Rancher. Und es gab keinen Rancher, für den Morrasey Sympathie empfand.

Er seufzte. Die Natur nimmt ihren Lauf, dachte er, da ist nun mal nichts zu machen. Sein Gewissen war rein. Er kam sich in keiner Weise wie ein Mörder vor. Teufel, dachte er entrüstet, ich habe diesen Rancher ja nicht mal angerührt. Wahrhaftig nicht meine Schuld, dass eine Schlange sein Pferd scheu machte, dass er stürzen und sich das Bein brechen musste!

Er trank noch einen Becher kühles Wasser, blieb noch lange am sandigen Ufer des Cimarron sitzen und blickte in südliche Richtung über die ausgedörrte Prärie. Delly würde sich über seine frühe Rückkehr wundern. Er hatte sie nicht gern allein zurückgelassen – aber was blieb ihm übrig? In diesem Frühjahr hatte es in Texas keinen Regen gegeben. Die Baumwolle war gelb und welk geworden, der Mais war nicht einmal aufgegangen. Sie waren übereingekommen, dass er nach Norden gehen und bei anderen Farmern arbeiten sollte. Er hatte gehofft, so viel Geld zu verdienen, dass es bis zum nächsten Frühjahr reichte.

Jetzt sah alles anders aus. Oder es würde bald alles anders aussehen. Erstens kehrte er sehr früh wieder nach Hause zurück, zweitens hatte er Geld, und drittens konnte er Delly noch eine Kleinigkeit mitbringen.

Die Sonne brauchte, so schien es Morrasey, ungewöhnlich viel Zeit, um hinter dem westlichen Horizont zu versinken. Doch endlich lag sie wie ein rotglühender Ball auf dem Rand der Prärie. Morrasey hatte eine Stunde oder noch länger seine Ohren angestrengt, aber nichts von Barstow gehört. Zu hören war nur das gedämpfte Schilpen einer Kiebitzfamilie und das Flattern und Rascheln kleiner Nachttiere.

Als Morrasey zu dem Mesquitenbaum zurückkehrte, war er ärgerlich, Barstow noch immer am Leben zu sehen. Doch die gelbliche Maske des Todes lag schon auf dem Gesicht des Ranchers. Barstow bewegte die Lippen, doch Morrasey konnte kein Wort hören. »Was ist denn?«, fragte er gereizt, trat näher und beugte sich über den Rancher.

Barstow bewegte wieder die Lippen, und diesmal hörte Morrasey einen eindeutig hässlichen Fluch. Er richtete sich entrüstet auf und sagte: »Habe ich Ihnen vielleicht das Bein gebrochen, wie?«

Barstow zupfte an seiner Kleidung herum. Zunächst begriff Morrasey nicht den Sinn dieser matten Handbewegungen. Er hatte nie im Leben einen Revolver getragen und dachte auch nicht an Schusswaffen. Barstow versuchte, seinen .45er hervorzuzerren.

Da begriff Morrasey und beförderte ihm den Revolver mit einem Fußtritt aus der Hand. Er hatte einen mächtigen Schreck bekommen. Wer hätte gedacht, dass ein Mann in unmittelbarer Nähe des Todes noch auf jemanden schießen konnte? Nun ja, dachte er grimmig, das wird er nicht noch einmal versuchen. 

Barstow lag einige Minuten völlig still. Sein röchelnder Atem ging stoßweise. Er blickte Morrasey mit brennenden Augen an. »Wasser...«

Morrasey wandte sich ab und setzte sich etwas abseits hin. Der Rancher, jetzt im Delirium, schien ihn zu verfluchen, doch Morrasey war zu weit weg, um die Worte verstehen zu können.

Die Sonne versank langsam; graues Zwielicht überfloss die Prärie. Großohrige Fledermäuse mit weißgestreiften Schwingen huschten in dem verschwindenden Licht herum.

Die Nacht senkte sich über den Cimarron. Für kurze Zeit war die Dunkelheit beklemmend, doch dann schien die blasse Mondscheibe sich tiefer zu senken, und Millionen Sterne glitzerten wie Eiskristalle.

Morrasey beobachtete gleichgültig ein paar Kojoten, die sich von einem Flügel zum anderen bewegten und sich reliefartig von dem blauschwarzen Himmel abhoben.

»He, Farmer!«

Barstow hatte diese Worte abrupt laut ausgesprochen. Morrasey wurde neugierig, stand auf und ging zu dem Rancher hinüber. »Ja, was gibt’s?«

»Der Teufel soll dich holen...«

Morrasey grinste schwach. Er riss ein Streichholz an und hielt die Flamme dem Rancher vor das Gesicht.

Barstow war tot.

»Und er hat lange genug dazu gebraucht«, murmelte Morrasey, als er ihm den Geldgürtel abschnallte.

 

Als der kostbare Gürtel seinen Besitzer gewechselt hatte, suchte Morrasey methodisch in den Taschen des toten Ranchers und behielt alles, was er nur irgendwie verwenden konnte: Messer, Streichhölzer, Silbermünzen. Weil er kein Revolverheld war, kümmerte er sich weder um die Waffe noch um den Patronengurt.

»Schade, dass ihm das Pferd davongelaufen ist«, sagte er. »Ich könnte es gebraucht.«

Er ging ein paar Schritte, damit er die Leiche nicht mehr sah und seine Gedanken ordnen konnte. Merkwürdigerweise fiel es ihm in diesem Augenblick am schwersten, sich mit dem Gedanken an seinen plötzlichen Reichtum abzufinden. Jetzt brauchte er nicht immer nur zu Fuß zu laufen, war nicht mehr auf die Gnade von Hausierern und herumreisenden Kesselflickern angewiesen. Jetzt brauchte er nicht mehr das Gefühl zu haben, dass ihn alle Leute verächtlich musterten, weil er nicht in der Lage war, die Fahrt zu bezahlen. Das war jetzt vorbei!

Er stellte einigermaßen überrascht fest, dass er vor Aufregung zitterte. Nur ruhig bleiben, dachte er, zunächst einmal Ordnung in deinen Gedanken schaffen. Eins stand fest: In der Prärie konnte er mit dem Geld nichts anfangen. Er musste einen Platz finden, wo er sich etwas dafür kaufen konnte. Ein Pferd oder eine Fahrt in der Kutsche. Einen neuen Hut. Ein Kleid für Delly.

Er begann das Geld zu zählen und verbrannte dabei eine Anzahl Streichhölzer. Es waren fast zweihundert Dollar. Zweihundert Dollar! In dem Gürtel mit dem Geld entdeckte er außerdem zwei Schriftstücke und las sie in der flackernden Streichholzflamme.

Seine ganze Schulbildung verdankte Morrasey einem Winter in einer Sonntagsschule in Kansas, aber er konnte recht gut lesen und wusste, dass eines dieser Schriftstücke die Kopie einer Rechnung war. Barstow hatte sie für ein Unternehmen ausgestellt, das sich Southern Missouri Packing Company nannte. Das andere Blatt war eine Empfangsquittung bezüglich hundertneunzig Dollar.

Es spielte keine Rolle, woher das Geld kam. Barstow konnte es doch nicht mehr ausgeben. Vielleicht, dachte Morrasey, will der Gerechte mich für alles entschädigen, was Rancher von Barstows Schlag mir angetan haben.

Er ging davon, hatte noch keinen bestimmten Plan, und sein Kopf schwirrte, wenn er daran dachte, dass er nun ein reicher Mann war. Schließlich setzte er sich und aß ein Stück Maisbrot, das er an jenem Morgen bei einer Siedlerfamilie im Cherokee-Gebiet erbettelt hatte. Er musste seither zwanzig Meilen marschiert sein bis zu dem Augenblick, in dem er auf Barstow stieß. Er war einfach losmarschiert und hatte sich nach Arbeit umgesehen. Er war in Kansas gewesen, in den Pachtländereien des Cherokee-Gebiets und bei den Siedlern ohne Rechtstitel an der texanischen Grenze. Niemand hatte einen Farmarbeiter haben wollen. Es war ein trockenes Jahr, unter dem alle Farmer zu leiden hatten.

Seltsam, dachte er, wie die Dinge sich ändern. Und ausgerechnet an diesem Tag hatte alles so hoffnungslos ausgesehen. Doch nun konnte er sogar an einen neuen Hut für sich und ein Kleid für Delly denken!

Natürlich, spann er seinen Gedankenfaden fort, ändern sich die Dinge für alle. Ganz gewiss hatten sie sich für Barstow geändert...

Morrasey aß das letzte Stück Maisbrot, zerriss dann Rechnung und Empfangsquittung und warf die Fetzen weg. Wichtig war jetzt einzig und allein, so rasch wie möglich zu Delly zurückzukehren und ihr von seinem plötzlichen Reichtum zu erzählen. Sie würden dieses steinige, lehmige Land unten in Colorado verlassen. Einfach wegziehen, die Hütte aufgeben, in eine Gegend ziehen, wo es gelegentlich regnete und die Saatkeime sich nicht erst durch steinharten Boden bohren mussten, um die Sonne zu sehen.

Er wusste nicht einmal genau, wo er war. Irgendwo zwischen Kansas und Texas auf jenem Gebietsstreifen der flachen Prärie, der als Niemandsland bezeichnet wurde. Am besten, ich gehe weiter in westliche Richtung, dachte er, und steige unterwegs in eine Postkutsche nach Colorado. Vom Laufen hatte er genug.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Miss Ross und Tragg stiegen in Dodge City in die Postkutsche. Callahan, der betont gleichgültig vor der Poststation herumgeschlendert war, kaufte eine Karte und konnte gerade noch kurz vor der Abfahrt einsteigen. Ernie Nash erwischte die Kutsche mit knapper Not an den Verladeställen außerhalb der Stadt.

Von Zeit zu Zeit stiegen an den verschiedenen Stationen und Seitenstraßen Leute ein oder aus, doch diese vier Personen waren die einzigen, die zur Station Beaver im Niemandsland fuhren. Sie legten die Strecke in drei Achtstundenfahrten zurück.

Das war nichts Ungewöhnliches; viele Passagiere, die eine lange Fahrt vor sich hatten, ließen diese Strapazen lieber in konzentrierter Form über sich ergehen, anstatt sie über eine Periode von Tagen auszudehnen. Doch ungewöhnlich war, dass auch nach einem vierundzwanzigstündigen Gerüttel und Geschüttel in engem Raum kein einziges Wort zu einer Unterhaltung beigetragen hatte.

Einmal, noch nicht weit von Dodge City entfernt, bat Owen Tragg Jessie Ross um Raucherlaubnis. Sie hatte nur etwas vor sich hingemurmelt. Und einmal, als die Kutsche unerwartet schwankte, war Brian Callahan gegen Tragg gekippt und hatte Verzeihung gemurmelt. Owen Tragg hatte nur genickt. Ernie Nash hatte vierundzwanzig Stunden lang überhaupt kein Wort gesagt. Dieser junge Mann mit den auffallend blutunterlaufenen Augen rollte in seiner Ecke wie ein blasser Kadaver hin und her und schlief den traumlosen Schlaf eines erschöpften Wüstlings.

An der Station Beaver – sie bestand nur aus einem Korral, einem Futter- und Sielenzeugschuppen und einer alten Bruchbude – stiegen die Fahrgäste aus und legten eine Erfrischungspause ein. Sie wuschen ihre Gesichter in einem winzigen Becken neben der Hüttentür, schäumten sich mit Seifenlauge ein und trockneten sich an einem Rollhandtuch ab, das einmal reinere Tage gesehen hatte. Callahan, Tragg und Jessie Ross aßen in der Hütte Pfannkuchen, sogenannte Mohrenhirse und Dörrfleisch. Ernie Nash kämpfte gegen einen Brechreiz an und torkelte zum Fluss hinunter.

Der Kutscher steckte den Kopf durch die Hüttentür und sagte: »Noch immer ’ne ziemlich lange Strecke bis Tascosa. Der Posthalter kann für Verpflegung und Präriegrasmatratzen sorgen, falls Sie mehr als eine Tagespause einlegen wollen.«

Alle Fahrgäste lehnten dieses Angebot höflich ab.

Der Kutscher stampfte zu dem kleinen Pappelgehölz, wo Ernie Nash mit glasigen Augen in den Fluss starrte. »Von welcher Ranch kommen Sie, Junge?«

Ernie Nash grinste leicht. »Von der Double-T, unten in Colorado.«

»Waren Sie lange in Dodge?«

»Sechs Tage, soviel ich mich erinnern kann. Wir waren drei Monate auf dem Trail. Als wir endlich in Dodge eintrafen...« Er sprach den Satz nicht zu Ende und stöhnte laut. »Hank Barstow, der Trailboss, trat sofort den Rückweg an, kaum dass er die Herde verkauft hatte.« Nashs Gesicht bekam ein wenig Farbe. Er sah nicht mehr so sehr nach einer Leiche aus. »Hank war der einzige Mann, der Verstand im Kopf hatte. Er heiratete nämlich, bevor der Rindertrieb losging. Hatte es mächtig eilig, zu seiner kleinen Frau zurückzukehren. Er warf sein Geld, das er an ein paar eigenen Rindern verdient hatte, nicht den Saloonmädchen in den Schoß.«

Der Kutscher grinste. Die Hälfte aller Cowboys, die vom Trail kamen, gaben ihren Lohn in den Saloons und Spelunken von Dodge City aus. Sie mussten mitunter ihre Pferde verkaufen, um nach Hause zu kommen. »Wenn sich’s auch nicht wie ein brauchbarer Vorschlag anhört, Junge, aber Sie sollten trotzdem in die Hütte gehen und etwas essen.«

Ernie Nash verzog das Gesicht, nickte jedoch zustimmend. Er war ein semmelblondes, schlaksiges, leichtlebiges Produkt seiner Zeit. Es hatte den Anschein, dass es Tausende von Ernie Nashs gab, die alle aus dem gleichen Holz geschnitzt waren. »Wissen Sie, was mir gefehlt hat?«, fragte er. »Der gesunde Menschenverstand, der beispielsweise Hank Barstow schnurstracks nach Texas zurückführte.«

Als Nash in die Hütte eintrat, hatten die Männer ihre Mahlzeit schon beendet. Callahan hatte sich ein Stück von der Hütte entfernt, lehnte mit dem Rücken an einer Pappel und rauchte eine Zigarette. Tragg stand am Korral und sah sich die Pferde an. Sie sprachen nicht mit Nash, sahen ihn nicht einmal an.

Die Frau des Posthalters stellte eine weitere Platte auf den Tisch und legte, ohne ein Wort zu sagen, Pfannkuchen, Fleisch und Maisbrei auf.

»Ich will Ihnen die Wahrheit verraten«, sagte Ernie Nash zu Jessie Ross und zog einen Rohrstuhl heran. Sie blickte nur flüchtig auf. »Seit unserer Abreise von Dodge habe ich mich mehr tot als lebendig gefühlt.«

Jessie Ross piekte ein Stück Pfannkuchen auf die Gabel und schob es in den Mund.

»Aber ich fühle mich schon einigermaßen besser, wie ich mit Stolz sagen kann.«

Jessie Ross kaute auf dem zähen Pfannkuchen herum und sah Nash völlig uninteressiert an.

»Sieht gut aus«, sagte der junge Cowboy und langte zu. »Meine Angehörigen kommen aus Arkansas, wissen Sie, aber ich bin Texaner. War mit der Double-T auf dem Trail. Haben drei Monate gebraucht. Die letzten sechs Tage habe ich in Dodge City verbracht. Die erste große Stadt, die ich in meinem Leben gesehen habe.«

Ernie Nash schluckte den Bissen mit einer Entschlossenheit hinunter, als handele es sich um eine Medizin. Der kräftige Körper des jungen Mannes schüttelte die Nachwirkungen zahlloser Whiskeys ab, und nun brauchte er jemanden, dem er seine Erlebnisse schildern konnte. Jessie Ross hatte nichts gegen den jungen Mann, fand ihn aber auch nicht sonderlich sympathisch. Man konnte sagen, dass er ihr herzlich gleichgültig war.

Nachdem Ernie Nash die ersten Bissen gewaltsam hinuntergewürgt hatte, aß er mit zunehmendem Appetit und redete eifrig weiter. »Wissen Sie, was ich hätte tun sollen? Ein bisschen Geld für einen neuen Sattel zur Seite legen, genau das. Aber ich hatte ja noch nie so eine Stadt wie Dodge gesehen. – Haben Sie schon mal den Tiger gereizt?«

Sie sah ihn groß an.

»Ob Sie schon mal Faro gespielt haben. Fangen Sie erst gar nicht damit an, das ist mein Rat. Dabei habe ich das meiste Geld verloren. Kann nicht mit rechten Dingen zugegangen sein, aber ich war eben zu grün hinter den Ohren. – Ma’am«, sagte er zu der Frau des Posthalters, »ich könnte gut und gern noch ein paar Pfannkuchen verdrücken. Und noch ein Stück Fleisch würde mir auch ganz gut bekommen.«

In dem trüben Licht der Hütte konnte man nicht feststellen, wie die Frau aussah, nur dass sie dunkles Haar hatte, recht kräftig gebaut war und einen abgespannten Eindruck machte. In diesem heißen, trockenen Sommer des Jahres 1888 sahen viele Frauen wie die Frau des Posthalters aus. Ernie Nash hatte von der großen Dürreperiode im Jahre 1885 gehört, aber damals war er noch nicht alt genug gewesen, so dass er auch nicht viel davon wusste. Allerdings war ihm bekannt, dass die Leute darunter harte Zeiten verstanden. Er hatte von Siedlern gehört, die auf dem ausgedörrten Land buchstäblich verhungert waren, doch er für seine Person hatte immer irgendeine Arbeit und genug zu essen gehabt. Wer jung und gesund war, der konnte immer etwas anfangen.

Die Frau des Posthalters legte einen weiteren Pfannkuchen auf Nashs Teller und ein kleines Stück fettes Fleisch daneben.

»Da fällt mir ein, dass ich mich noch gar nicht vorgestellt habe«, sagte Nash. »Ich heiße Ernie – Ernie Nash.«

Ihre Augen schienen an ihm vorbeizublicken; Ernie wusste nicht einmal, ob sie ihn gehört hatte.

»Tja, die Nashes waren immer oben in Arkansas, aber meine Angehörigen wollten es mal in Texas versuchen. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich nun nach Ihrem Namen erkundige, Ma’am?«

Nach einem unbehaglich langen Schweigen kam die Antwort: »Jessie Ross.«

»Ich kannte mal einen Ross. Gramma Ross hatte damals ’ne kleine Hütte oben am Peachtree Creek in Arkansas. Dort wurde auch gekämpft, als der Krieg losging. Haben Sie dort zufällig irgendwo Ihren Mann kennengelernt?«

Jessie Ross sagte nichts.