Ein Traum von Freiheit - Thomas Flanagan - E-Book

Ein Traum von Freiheit E-Book

Thomas Flanagan

4,8

Beschreibung

Sommer 1798, Schauplatz Irland, ein Aufstand: Der historische Roman "Ein Traum von Freiheit" berichtet in detaillierter und facettenreicher Art über die Rebellion in Irland. Während die Bauern in bedrückender Armut leben, geniessen die Grundherren das Leben des Luxus. Doch auch die Grundherren müssen Abgaben leisten nämlich an die englische Krone. In Frankreich hat sich gerade erst die französische Revolution abgespielt, deren ideologisches Gedankengut sich nun auch über Irland ausstreckt. - Mithilfe von verschiedenen Perspektiven beleuchtet der Autor die damaligen Lebensumstände, Phantasien und Wünsche Angehöriger verschiedener Schichten und Religionen und bringt dem Leser auf spielerische Weise die Komplexität der irischen Geschichte näher. -

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Thomas Flanagan

Ein Traum von Freiheit

Der große Irland-Roman

Deutsch von Gabriele Haefs

Saga

Für Jean, wie immer, und für Ellen und Kate.

Zur Erinnerung, wie immer,

an Ellen Treacy aus Fermanagh

und Thomas Bonner von der

Fenian Brotherhood

Prolog

Frühsommer 1798

MacCarthy fühlte sich in dieser Nacht beschwingt, als er Judy Conlons Hütte in den Acres von Killala verließ. Nicht betrunken, sondern beschwingt. Er hatte ein oder zwei Fingerbreit Whiskey in einer festverkorkten Taschenflasche aus grünem Glas bei sich, und das Bild, das ihn seit einer Woche verfolgte. Mondlicht, das auf eine harte, flache Oberfläche fiel, Sense oder Schwert oder Stein oder Spaten. Es war kein Bild, aus dem ein Gedicht entstehen konnte, aber es konnte als glänzende, angemessene Verzierung an ein bereits geformtes Gedicht angehängt werden. Die Herausforderung seines Handwerks.

Auf halbem Wege zum Strand von Kilcummin, auf seiner rechten Seite toste die düstere Bucht, auf seiner linken befand sich eine niedrige Steinmauer, zog er die Flasche aus der Tasche seines langschößigen Mantels. In dem farbigen Glas, im klaren Licht des Sommerabends, war der Whiskey ein ertrunkener Mond. Als die Flasche leer war, warf er sie in hohem Bogen ins Wasser. Wie das Funkeln des Mondlichtes auf dem Meer. Oder sein Leuchten auf ihrer runden Brust. Nein, das Bild verlangte eine flache Oberfläche. Bis er das Bild hatte, würde er sein Sklave sein.

Bei Matthew Quigleys Schenke, einer langen, niedrigen Hütte auf der anderen Seite der engen Straße, die am felsigen Strand vorbeiführte, klopfte er mit der Faust an die Tür und wartete. Quigley öffnete ihm, ein kleiner, O-beiniger Mann, kahl, mit einem großen Kopf, so rund wie ein Vollmond.

»Du kommst spät«, sagte er.

»Stimmt«, antwortete MacCarthy. »Ich hatte etwas Besseres zu tun.«

»Aber sicher doch«, meinte Quigley. »In den Acres von Killala.«

»Da wohne ich«, erwiderte MacCarthy. Quigley trat zurück, und MacCarthy betrat die Schenke, wobei er in der niedrigen Tür den Kopf einzog. Er war ein schwerfällig gebauter Mann, groß und grobknochig, mit langen Armen, die ihm von den schweren, gebeugten Schultern fast bis an die Knie reichten. Es waren Körper und Kopf eines Pflügers, eine Matte aus borstigen roten Haaren wie ein Signalfeuer auf einem Hügel, lange, dünne Lippen.

Drei Männer, die am erloschenen Kamin saßen, schauten zu ihm herüber, und einer von den dreien richtete das Wort an ihn. Malachi Duggan, ein schwerer Bulle mit nach vorn gebeugten Schultern. »Du kommst spät.«

»Sieht so aus«, sagte MacCarthy. »Ich habe keine Uhr.«

Tatsächlich besaß er eine Uhr. Eine schöne Golduhr, dick wie eine Rübe, die einige Gentlemen aus Nord-Kerry ihm vor einigen Jahren nach einem Wettdichten überreicht hatten, Zweige und Blumen waren in das Gehäuse eingraviert. Jetzt war sie unbrauchbar, eines Nachts in Newcastle West zerschlagen, das Gehäuse verbogen, ein Wirrwarr von Rädchen und Schrauben und Federn unter dem zersplitterten weißen Zeiger, ein zerbrochener Mond.

»Du trinkst doch sicher einen«, sagte Quigley und füllte ein Glas für ihn.

»Der hat doch noch nie ein Glas abgelehnt«, sagte Phelim O’Carroll. »Stimmt das nicht, Owen?«

»Das ist eine bescheidene Prahlerei«, meinte MacCarthy und setzte sich zu ihnen. O’Carroll, der Witwer, mit einem großen Hof, den er vom Hohen Lord persönlich gepachtet hatte; er bearbeitete ihn mit seinem Neffen, einem harmlosen, geistesschwachen Geschöpf, und einem halben Dutzend Landarbeitern. Der vierte war Donal Hennessey, er hatte weniger Land, aber er hatte zwei heranwachsende Söhne und eine dralle, schöne Frau mit langen Beinen und sanften, wohlgeformten Hüften. Sie war einwandfrei zu einem Zweck geschaffen worden, aber Hennessey hatte wenig Ahnung von solchen Dingen. Sie gab ihm Kinder, und darauf kam es an.

Hennessey spielte keine Rolle, auch nicht O’Carroll oder Quigley. Duggan war wichtig. Er saß MacCarthy gegenüber, die Hände auf den schweren Knien. Seine Augen waren blaßblau, wachsam; rund wie Monde.

»Wir warten schon eine Stunde«, sagte er. »Eine Stunde lang haben wir in einen toten Kamin gespuckt und auf einen Schulmeister gewartet.«

»Für Donal und Phelim wird das nicht so hart gewesen sein, wo Matthew Quigleys Whiskey sie doch trefflich unterhalten konnte. Es war schlimmer für einen Mann wie dich, der niemals Durst verspürt.« MacCarthy prostete Quigley zu.

»Wir haben dich nicht hergebeten, um Witze zu machen«, sagte Duggan.

»Wir brauchen deine Hilfe«, erklärte Hennessey vermittelnd.

Rauher Whiskey brannte in MacCarthys Kehle und verbreitete dann seine Wärme in seinem Körper. Vom unverglasten Fenster fiel Licht auf sein Glas; gefangenes Feuer.

»Nur einen Brief«, sagte Duggan. »Wir möchten, daß du einen Brief auf englisch für uns schreibst. Einen Brief an einen Grundbesitzer. Du weißt, was für einen Brief wir brauchen, und keiner von uns kann ihn schreiben.«

»Das meinst du doch nicht ernst«, antwortete MacCarthy. »Unbarmherziger Tyrann, hüte dich. Zu lange schon lastet deine Ferse auf unserem Nacken.«

»Wir meinen das durchaus ernst«, sagte Hennessey.

MacCarthy sagte auf englisch: »Eine schreckliche Rache wird über dich kommen. Tyrann, hüte dich!«

»Bei Gott, das muß wunderbares Englisch sein. Du schüttelst das aus dem Ärmel wie ein Verwalter. Was bedeutet das, Owen?«

MacCarthy gab keine Antwort. Er wandte sich an den wachsamen Bullen, Duggan, mit dem schweren dunklen Kopf, der leicht auf einem muskulösen Nacken balancierte.

»Was soll es denn sein, eine Warnung an den Verwalter des Hohen Lords? Der würde damit sein Feuer anzünden.«

Matthew Quigley, in fettiger Schürze, beugte sich vor, um ihre Gläser neu zu füllen, Hennesseys, O’Carrolls, MacCarthys, sein eigenes. Duggan hatte kein Glas.

»Diesmal ist es keine Warnung«, sagte Hennessey. »Und der Brief geht nicht an den Verwalter des Hohen Lords. Er ist für Captain Cooper hier in Kilcummin und soll ihm sagen, was wir getan haben, wenn wir es getan haben. Wir wollen das Vieh abstechen, das er auf der neuen Weide stehen hat.«

Zerfetzte Sehnen und blutiges Gebrüll in der Nacht.

»Schreibt euren Brief selber«, sagte MacCarthy.

»Du hast gut reden Owen«, widersprach O’Carroll. »Du hast kein Land, um das du dir Sorgen machen mußt. Ein Schulmeister hat nur seine Bücher, und wer würde ihm die schon wegnehmen!«

»Du zum Beispiel«, antwortete MacCarthy. »Du würdest die schönen Wörter nehmen, die darin stehen. Meinst du nicht, das Gericht würde sich fragen, wer Cooper einen Brief in gutem Englisch geschickt hat?« Er sah sich vor den Richtern stehen, die seinen Brief herumreichten. »Es wäre viel besser, wenn ihr den Brief selber hinkritzeln würdet, ungebildete Männer, die ein ungebildetes Verbrechen gestehen. Zeichnet darauf einen Sarg, wie die Whiteboysa in den alten Zeiten. Cooper ist Ire genug, um einen Sarg zu verstehen.«

»Es ist kein Verbrechen«, sagte Quigley, »wenn Sklaven um simplen Anstand bitten.«

»Nicht? Die Richter würden dir da widersprechen, und Hussey in der Kapelle von Killala auch.« Whiskey schwappte an den Rändern seines Bewußtseins. Er trank weiter.

»Ein Priester kennt sich in diesen Dingen nicht aus«, meinte O’Carroll.

»Weiß ich«, sagte MacCarthy. »Er hat kein Land. Wenn ihr gegen Sklaverei protestieren wollt, dann solltet ihr für eure Leute auch ein gutes Wort einlegen. In dieser Baronie gibt es keine elenderen Sklaven als die armen Burschen, die ihr von den Gesindemärkten anschleppt und die ihr mit Kartoffeln, die ein ehrlicher Mann nicht einmal seinen Schweinen hinwerfen würde, halb verhungern laßt.«

»Jetzt gehst du aber zu weit, Owen«, widersprach Hennessey. »Der arme Phelim tut sein Bestes für diese Jungs. Der Verwalter des Hohen Lords quetscht ihm fast das Leben aus, und mir geht’s nicht anders. Und das weißt du sehr gut.«

MacCarthy leerte sein Whiskeyglas. »Aber du brauchst dich nicht draußen nach Sklaven umzusehen, Donal, nicht wahr? Die werden für dich zu Hause gezüchtet.«

Verwirrung. »Meinst du meine Söhne?«

»Nennst du sie so? Die Ähnlichkeit ist nicht groß.« In einer Ecke seiner Vorstellung stand die Mutter von Hennesseys Söhnen mit gespreizten Beinen neben der Tür ihrer Hütte.

»Du wirst diesen Brief schreiben«, sagte Duggan. Die anderen sahen ihn an. MacCarthy beobachtete ihre Augen. Sie folgten, wohin er sie führte, harter Bauer, Tyrann, Dorfkämpfer. Vor drei Jahren, zu einem Jahrmarkt, hatte er die Männer von Tyrawley gegen die von Erris geführt, einen dicken Knüppel in der Hand, weder Vergnügen noch Zorn hatten sein zerknittertes, ungerührtes Gesicht gezeichnet. An die Stirnwand der Kneipe von Belmullet gelehnt, hatte MacCarthy zugesehen, verächtlich und voller Bewunderung. »Du wirst dein feines Englisch für diesen Brief benutzen, und es wird ein langer Brief sein. Du wirst schreiben, daß dasselbe passieren wird, wann immer irgendein Grundbesitzer oder Mittelsmann Weideland aus einem Gehöft macht. Und daß es keine weiteren Warnungen geben wird. Das wollen wir bekanntgeben.«

»Das wollt ihr bekanntgeben«, wiederholte MacCarthy. Er hielt Quigley sein Glas hin, und der füllte es wieder. Privileg des Poeten. »Vier Männer in einer Schenke wollen das bekanntgeben.«

»Wir sind mehr als vier, Owen«, erwiderte Hennessey. »Da kannst du ganz sicher sein.« Er war ein Wunder. Beleidigungen prallten von ihm ab wie Regen von der Flanke einer Kuh.

»Die Whiteboys von Killala«, sagte Duggan. »Damit unterschreibst du. Die Whiteboys von Killala.«

»Die Whiteboys von Claremorris sind vor zwei Jahren öffentlich ausgestellt worden«, sagte MacCarthy. »Zwei von ihnen vor dem Gericht in Castlebar. Gehenkt und geteert.« Hinter dem Fenster eine Ecke des Mondes. Elegant, zurückhaltend.

»Von wie vielen?« fragte Hennessey. »Die Leute werden zu uns halten.«

»Bei Gott, das werden sie«, stimmte Duggan zu. Zum erstenmal lächelte er.

»Nicht meine Leute«, widersprach MacCarthy. »Ich bin aus Kerry.« Klares Wasser und helle Klippen, Vogelgesang.

»Jetzt bist du hier«, sagte Duggan. »In der Baronie Tyrawley. Vergiß das lieber nicht. Es geht nicht um vier Männer in einer Schenke. Es geht um die Männer in allen Gemeinden.«

»Das glaube ich nicht«, meinte MacCarthy. »Ihr habt mit Cooper ein Hühnchen zu rupfen, weil er die O’Malleys vom Land gejagt hat, um Weideland daraus zu machen, und nun habt ihr euch einen großartigen Namen gegeben, die Whiteboys von Killala.«

»Der Name ist gut genug«, sagte O’Carroll.

Was machte es schließlich aus? Die Whiteboys von Macroom, die True Men von Bruff, die Honest Men von Tralee. Seit dreißig Jahren tauchten sie immer wieder hier und dort auf, und das Ende war immer gleich, Körper an einem Galgen. Aber es war ein seltsames Jahr für Whiteboys, da jeder Hausierer und Wanderer Berichte über die großen Kämpfe in Ulster im Norden und in Wexford im Süden nach Mayo brachte. Und diese United Irishmen waren keine Whiteboys gewesen. Jetzt waren sie gar nichts mehr. Vor zwei Monaten hatten Englands Armeen sie zerschlagen.

»Es ist ein sehr guter Name«, sagte Duggan. »Jeder Grundbesitzer in Irland kennt ihn und weiß, was er bedeutet. Daß Vieh getötet und Felder abgebrannt werden, und danach könnte es noch schlimmer kommen. In den Mooren von Belmullet sind die Leichen von Verwaltern und Gerichtsdienern versenkt worden, mit ausgequetschten Augen, mit von den Dornbüschen zu Riemen geschnittenen Rücken.«

Seine Stimme war ausdruckslos, aber seine Lippen glänzten vor Speichel. Das will er. Die dicken, eckigen Finger könnten sich um die Kehle eines Verwalters schließen, könnten strafenden Dornbusch aus dem Boden reißen.

»Ach, wir haben keine Wahl, Owen«, sagte O’Carroll. »Wenn die Grundbesitzer sich auf Viehzucht verlegen, dann sind wir erledigt. Das ist überall so. Wir haben kein anderes Argument als den Brief der Whiteboys.«

MacCarthy wandte sich an Quigley. »Ein Gastwirt hat kein Land. Was bedeutet dir das alles?«

»Nun ja, Owen. Es stimmt schon, ich habe kein Land, genausowenig wie ein Schulmeister. Da hast du recht.« Er nahm MacCarthys Glas und füllte es wieder mit ruhigem, farblosem Whiskey. »Aber man sollte sich mit seinen Nachbarn gut stellen. Das schadet nie, egal, welchen Beruf man hat.«

MacCarthy drehte das Glas in seiner Hand. Der Raum wurde langsam dunkel. Hinter dem Fenster hatte das Abendlicht die Weichheit eines Hänflingsflügels angenommen, die den Anfang der Nacht ausmacht.

»Es ist ein törichtes Geschäft, was ihr da vorhabt«, sagte er zu Duggan. »In Ulster und in Wexford sind große Aufstände niedergeschlagen worden. Letzte Woche war ein Wanderer in Killala, der erzählt hat, daß die Galgen von einem Ende von County Wexford bis zum anderen stehen, wie auch die abgebrannten Hütten. Und niemand wird jemals all die zählen können, die mit Gewehr und Schwert getötet worden sind. Er sagt, jetzt sind mehr englische Soldaten im Land als seit der Schlacht an der Boyne. Sie stehen zu Tausenden in Tuam und auch zu Tausenden in Galway City.«

»Ich habe mit diesem Mann gesprochen«, sagte O’Carroll. »Er hatte noch mehr zu berichten. Er sagte, die Gälische Armee habe im County Wexford einen Monat lang gesiegt.«

»Das ist ein großer Trost für sie gewesen, als sie unter dem Galgen standen«, meinte MacCarthy.

»In Tyrawley gibt es keine Tausende von britischen Soldaten«, sagte Duggan. »Hier gibt es nur Captain Cooper und seine Zwergmiliz. Protestantische Ladenbesitzer und Steuereintreiber. Was weit weg in Wexford oder Ulster passiert, ist hier völlig uninteressant.«

»Tausende hatten sich erhoben«, erzählte MacCarthy. »Der ganze County Wexford, ganz Carlow, ganz Wicklow und Teile von Kilkenny. Sie haben versucht, sich aus Wexford herauszukämpfen. Sie wollten ganz Irland ihre Rebellion bringen. Sie liefen hierhin und dorthin, aber auf allen Straßen standen englische Soldaten. Und als sie nicht mehr wußten, wo sie hin sollten, kletterten sie auf einen Hügel und warteten darauf, von den englischen Kanonen in Fetzen geschossen zu werden.«

Es überstieg seine Vorstellungskraft. Die Straßen von Wexford, verstopft von Menschen, ihre Piken ein Winterwald vor dem Horizont. Priester fuhren in ihrem Troß mit. Dorfkämpferb trieben sie auf Miliz und Landwehr zu. Sie jagten Vieh vor sich her in die Schlacht. Wieder hörte er die Worte des Wanderers. »In den Ebenen und an den Flüssen gab es riesige Lager. Sie haben eine Stadt nach der anderen eingenommen, Camolin und Wexford und Enniscorthy. Sie haben Enniscorthy niedergebrannt.« Erst zwei Monate her. Und jetzt vorbei.

»Die Leute von Wexford waren Idioten«, sagte Duggan. »Mir reicht Captain Cooper. Und nach ihm Gibson.«

»Gibson ist dein eigener Grundbesitzer, nicht wahr?« fragte MacCarthy. »Ich dachte mir schon, daß du dir für Gibson die Zeit nehmen würdest.«

»Dann Gibson«, stimmte Hennessey zu. »Aber nach ihm kommt der Verwalter des Hohen Lords. Bei Gott, ich hasse diesen Creighton. Der ärgste Tyrann in ganz Tyrawley.«

»Der tut doch nur, was ihm befohlen wird«, sagte MacCarthy. »Der Hohe Lord in London schickt ihm seine Befehle. So wird das gemacht.«

»Ich werde ihm einen Brief schicken, bei Gott«, sagte Duggan. »Die Whiteboys von Killala werden ihm einen Brief schikken.«

»So soll es also sein«, sagte MacCarthy. »Und dann einen vierten und dann einen fünften. Da habt ihr ja wirklich viel Arbeit für mich.«

»Dir wird schon nichts passieren, Owen«, sagte Hennessey. »Niemand von uns wird etwas passieren. In Tyrawley wird es fünfhundert Whiteboys geben.«

»Es wird nicht an den Grenzen der Baronie haltmachen«, meinte Duggan. »Ich kenne Männer in Erris und auf der anderen Moyseite in Sligo.«

»Wir sind keine Idioten«, erklärte Quigley. »Wir haben mit diesem und jenem gesprochen. Und wir haben einen Eid.«

»Aber sicher habt ihr einen Eid«, sagte MacCarthy. »Ein Eid ist die erste Amtshandlung eines Whiteboys. Je mehr er den Mund füllt, desto besser.« 1779, eine Scheune in der Nähe von Tralee in Kerry, MacCarthy gerade achtzehn geworden. Verängstigte, prahlerische Gesichter um eine Kerze versammelt. Er würde Teile seiner Vergangenheit verbrennen, wenn er das könnte, alle die Nächte des Monats der Whiteboys. Männer mit geschwärzten Gesichtern, weiße Kittel über grobem Fries, ausgebeulte Strümpfe schauten darunter hervor, krochen durch nasse Felder zum Vieh. Die Nacht plötzlich von Schreien und Gebrüll erfüllt.

»Wir sind keine Idioten«, sagte Duggan. »Wir wissen, was wir tun.«

»Aber sicher doch«, sagte MacCarthy und leerte abermals sein Glas. »Ihr seid großartige Burschen. Meine lange Wanderung von Kerry bis hierher in den Norden hat sich doch wirklich gelohnt, wenn ich so großartige Burschen kennenlerne.«

»Korn und Hafer werden den Grundbesitzern gutes Geld bringen«, erklärte Hennessey, »aber Viehzucht bringt noch mehr. Die Grundbesitzer werden einen Hof nach dem anderen zu Weideland machen, wie Cooper es mit dem Hof der O’Malleys gemacht hat.«

Die Grundbesitzer hatten keine andere Wahl, und die Leute hatten keine andere Wahl, und die Gerichte würden auch keine andere Wahl haben, als sie zu jagen und zu hängen. Es war wie ein Lehrsatz von Euklid, gerade Linien strebten auf einen Punkt zu. Es war zwanzig Jahre zuvor in Kerry und in West Cork geschehen. Er hatte gesehen, wie die Whiteboys ihren Sieg vor der Kapelle begossen, und er hatte sie am Ende des Stricks baumeln sehen. Und was ist mit mir, dachte er, habe ich eine Wahl?

»Wir haben dich nicht kommen lassen, um mit uns zu streiten, MacCarthy«, sagte Duggan. Damit war die Frage beantwortet.

»Ich will auch gar keinen Streit«, antwortete MacCarthy. Er nahm Quigleys Krug mit übelschmeckendem Whiskey und füllte sein Glas bis an den Rand. Das Glas zum Abschied.

»Das stimmt nicht«, widersprach Duggan. »Du würdest mit Begeisterung so lange streiten, wie noch etwas im Krug ist. Du bist dessen Sklave, und das weiß hier jeder.«

»Wir sind alle Sklaven«, sagte MacCarthy. Es schmeckte jetzt besser, weich und kühl. »Sklaven von diesem, Sklaven von jenem. Ich werde den Brief für euch schreiben, und ich werde ihn mit meiner linken Hand schreiben. Aber sonst werde ich nichts mit euch oder für euch tun, und ich werde keinen Eid ablegen. Ihr werdet auf den Straßen von Killala und Kilcummin Blut vergießen, und es wird nicht das Blut von Grundbesitzern sein.«

»Einiges doch, bei Gott«, widersprach Quigley. »Wenn unser Blut vergossen wird, dann auch ihres. Wir werden ihnen schon das helle Ende des Messers zeigen.«

MacCarthy sah ihn an und verachtete das runde, selbstgefällige Gesicht. Der Raum war jetzt dunkel. Das Gesicht schwamm im sterbenden Abendrot, ein einfältiger Mond. MacCarthy schleuderte sein Glas plötzlich in die Ecke; Whiskey spritzte über seine Hand.

»Hör ihn dir an«, sagte er zu Duggan. »Hör dir diesen Mann an. Das ist die Sorte Mann, die du an deiner Seite haben wirst, die niemals Blut gesehen hat, außer von Kühen und Schweinen. Er wird seinen eigenen miesen Whiskey trinken und prahlen, und er wird dich bis an den Fuß des Galgens trinken und prahlen.«

»Aber du hast Blut gesehen«, sagte Duggan mit seiner humorlosen Ironie.

»Ich war Schulmeister in Macroom, als Paddy Lynch mit fünf seiner Anhänger gehenkt wurde. Ich sah seine Füße in der Luft strampeln, und ich sah sein Gesicht. Das war Blut genug für mich.«

»Bei Gott, das könnte einem den Appetit verderben«, sagte O’Carroll zu Duggan, lächelte aber nervös, um seinen Worten die Spitze zu nehmen.

Duggan drehte sich zu ihm um. »Wenn wir vorsichtig und verschwiegen sind, dann wird in Tyrawley niemand gehenkt werden.«

»In Castlebar«, korrigierte MacCarthy. »Sie werden euch mit auf den Rücken gefesselten Händen auf einen Karren laden und euch nach Castlebar schaffen und euch dort vor Gericht stellen und hängen. Wenn ihr hundert Männer habt, dann habt ihr zehn Denunzianten, und wenn ihr fünfhundert Männer habt, dann habt ihr fünfzig.«

»Müssen wir uns diesen Mann anhören?« fragte Duggan O’Carroll, seine Stimme war rauh vor Verachtung. »Einen Mann, der auf dieser Welt nichts besitzt außer einem Sack Bücher und der Hälfte von Judy Conlons Bett. Hört auf ihn, und in zwei Jahren wird es in Tyrawley nur noch Viehzüchter und Kuhhirten geben. Und Judy Conlon.«

»Hüte deine Zunge, Duggan«, sagte MacCarthy und erhob sich. Was könnte ich gegen ihn schon ausrichten, mit seinen Händen wie riesige Schinken, geräuchert und gebeizt von Schlehdorn und Stechpalme seiner Dorfkämpfe. »Bei Gott«, sagte er zu den anderen. »Ab und zu ist es ein großer Trost, kein Land zu haben.«

»Das stimmt«, sagte Matthew Quigley. »Wenn wir nicht vergessen, was wir unseren Nachbarn schuldig sind.«

»Owen würde das nicht vergessen«, sagte Hennessey. »Was hätte denn ein Schulmeister für ein Leben, wenn er sich mit seinen Nachbarn nicht gut stünde?«

»Überhaupt keins«, antwortete Duggan. »Gar kein Leben.«

MacCarthy blieb stehen. »Ich danke dir für den Whiskey, Matthew. Wem soll ich den Brief geben, wenn ich ihn geschrieben habe?«

»Du kannst ihn ruhig mir geben«, antwortete Quigley. »Ich komme morgen zu dir und hole ihn ab.«

»Nicht zu mir«, sagte MacCarthy. »Und auch nicht zu meinem Schulhaus. Wir treffen uns in Tobins Schenke.«

»Nun hab es doch nicht so eilig, Owen«, sagte Hennessey. »Hast du kein Lied für uns?«

»Ein Lied wollt ihr? Schade, daß Paddy Lynch nicht hier ist, um euch das Tanzen in der Luft beizubringen. Der arme Paddy, er war ein wahrer Künstler. Er hat die Geheimnisse dieses Handwerks gelernt, aber er hat sie niemandem verraten.«

Nur Quigley lachte. »Du bist ein Mann von Geist, Owen. Ein Mann von Geist, wenn du etwas getrunken hast.«

»Das ist oft genug der Fall«, sagte MacCarthy.

»Komm gut nach Hause, Owen«, sagte Hennessey.

Er warf einen letzten Blick auf sie, schwer zu erkennen jetzt, in dem dunklen Zimmer. Was können sie schon Schlimmes anrichten, vier Männer in einer Schenke am Strand von Kilcummin? Nein, drei Männer und ein Bulle mit Gehirn. Ein Bulle mit Augen so rund wie Monde.

Vor der Schenke machte sich der Mond über ihn lustig. Voll, vollkommen. Sein Licht fiel auf Fels, Strand und schwarze Bucht. Die Nachtluft war kalt. Weit im Westen, Downpatrick Head, grimmig-schnäuzige Halbinsel, und die einsame, wilde Baronie Erris. Im Süden die Nephin Mountains, die sich bis Achill Island hinzogen. Im Osten, die Ox Mountains im sanfteren County Sligo. Wirklich ein hartes Land, nach dem süßen Königreich Kerry und der fröhlichen Geschäftigkeit von Cork. Der wildeste und ärmste County Irlands, behaupteten die Leute von Galway über Mayo. Und sie konnten das wirklich beurteilen, die armen Geschöpfe.

Sein Pfad folgte den Umrissen der Bucht, eng, uneben. Vor ihm Killala, überragt von niedrigen Hügeln. In ihrer Mitte, auf Steeple Hill, der uralte hochgereckte Arm eines Rundturms, schwarz vor dem dunklen Himmel. Wer konnte das Alter solcher Türme wissen? Viel älter als der Däne, sagten manche; älter als die Söhne des Milesius und die Ankunft der Gälen. Vielleicht. Es war ein Land, in dem die Geschichte an Ruinen gemessen wurde, an gälischen Forts und normannischen Wachttürmen. Und die Rundtürme stellten nicht einmal die letzte Linie des Verfalls dar, denn gab es nicht auch noch die Dolmen und die seltsamen unterirdischen Grabkammern, riesengroß, wie für Giganten gebaut?

Er betrat Killala vom Westende her, ging an Hütten vorbei, an deren Mauern Fischernetze zum Trocknen hingen, durch enge, gewundene Straßen. Er blieb an der offenen Tür von Tobins Schenke stehen, deren Schild er mit Hilfe des Mondes sehen konnte: das Zeichen des Wolfshundes. Sogar die Namen, die sie den Orten des Frohsinns gaben, waren leicht drohend: steifborstige Bulldogge, die Lippen von den gebleckten Fangzähnen zurückgezogen. Er war Ovid, verbannt ins wilde Tomi. Aus der Schenke strömte eine Flutwelle von Gemurmel in die Straße. Vielleicht hatte der Wanderer noch mehr über den Aufstand in Wexford zu erzählen. Tausende von Männern auf den Straßen von Wexford. Städte waren von ihrem Ansturm überrannt, Landwehr und Miliz waren geschlagen worden, verstreute Körper, in roten Uniformen, im dichten Gras. Hausierer und Landstreicher waren nur ihre Homers und ihre Vergils, Geschichten wurden in entfernt gelegene Schenken getragen.

MacCarthy wäre fast eingetreten, ging dann aber weiter, vorbei an Husseys katholischer Kapelle, frisch gebaut und unbeholfen vor Verlegenheit neben den ordentlichen Läden der protestantischen Händler, Bassett, Beecher, Reeves, Stanner. Einst waren sie wohlhabend gewesen; einst war Killala eine blühende Stadt. Nun ging aller Handel in Ballina vor sich, im Süden unten an der Bucht gelegen, an der Straße nach Castlebar. Die armen protestantischen Händler von Killala; armer Reeves, armer Stanner. Im rechten Winkel zur Straße, gegenüber der Markthalle, die protestantische Kirche und das Wohnhaus von Broome, ihrem Pastor. In seinen alten Tagen der Blüte war Killala ein Bischofssitz gewesen; Broomes Haus wurde immer noch »der Palast« genannt, ein großes, windgepeitschtes Gebäude aus behauenem grauen Stein mit hohen, schönen Fenstern. Er ging an Kirche und Bischofspalast vorbei, dann verließ MacCarthy die Stadt, vorbei an zerstreut liegenden Hütten, vorbei an der großen, niedrigen Hütte, in der er von Spätherbst bis Frühling seine Schule abhielt. Jeglicher Unterricht wurde in Grammatik und Navigation, Euklids Elementen, Ovid und Vergil, Buchhaltung und Metaphysik angeboten. Angeboten, aber nicht angenommen. Nur von einigen der aufgeweckteren Knaben, die das Priestertum im Auge hatten. Die anderen wollten nur Rechnen und Katechismus, ein wenig Englisch. Aber sie liebten den Wohlklang des Latein, die Ovidschen Wechselbälger, die Geschichten, die MacCarthy während seiner Wanderjahre in Munster aufgelesen hatte. Mit dem Honig der Anekdote zum Wissen gelockt. Er kletterte einen niedrigen Hügel hoch und erreichte die Acres, zwei Reihen von Hütten, Mauern aus rauhem Stein, weiß getüncht, farblos gewordenes Strohdach.

Er stieß eine Tür auf. Vor einer Mauer, auf einer Strohmatratze auf hohem Rahmen, lag Judy Conlon und schlief. Er zündete eine Talgkerze in einer Tonschüssel an und trat dann neben sie. Er kniete sich kurz hin, ließ einen Finger sanft über ihre Wangenknochen fahren. Sie bewegte sich, und eine kleine Hand streckte sich nach dem Gewirr der schwarzen Haare aus. Er stellte die Kerze auf einen Tisch an der gegenüberliegenden Wand. Am hinteren Ende waren seine zwei Dutzend Bücher aufgebaut: die Aeneis, Keatings Geschichte Irlands, die Eklogen und die Georgica, einige Bände Shakespeare, das Verlorene Paradies, eine Schachtel, die seine Abschriften der Gedichte von O’Rahilly und O’Sullivan enthielt.

Er öffnete die beiden Schachteln, die sein Handwerk enthielten. In der größeren lagen seine eigenen Manuskripte, die fertigen Gedichte, die zu überarbeitenden Gedichte, seine Übersetzung der ersten beiden Bücher der Metamorphosen ins Irische, seine Bögen blanken Papiers. In der anderen Schachtel bewahrte er ein kleines Tintenfaß aus Messing auf, ein scharfes Messer, seine Federsammlung, Graugans für Poesie, schwarze Krähe fürs Geschäft. Er legte sich Papier und Tinte zurecht und tunkte eine schwarze Feder in die Tinte.

Am frühen Morgen, als er spürte, daß Judy neben ihm stand, saß er immer noch am Tisch, bewegte eine graue Feder über die Seite, strich hier ein Wort, fügte eins hinzu, strich jenes aus. Abwesend ließ er seine Hand ihr Bein hinauffahren, umfaßte ihre Hüfte. Sie war klein, die Hand brauchte keine weite Reise zu machen.

»Wo warst du heute nacht?«

»Das ist nicht deine Sache.«

»Es könnte meine Sache sein.«

»Es könnte sein, ist es aber nicht. Ich war bei Matthew Quigley.«

»Was hat dich denn dazu gebracht, wo es in Killala drei schöne Schenken gibt?«

»Das Zeichen des Wolfshundes. Das würde schließlich jedem Durst machen. Ich brauchte die ruhige Schönheit vom Strand von Kilcummin.«

Sie fuhr mit der Hand durch seine roten Haare. »Du kannst ein schrecklicher Lügner sein, Owen.«

»Stimmt. So suchen die Dichter die Wahrheit.«

»Du begehst wirklich keine Sünde, für die deine Dichtung nicht die Entschuldigung liefert. Schreibst du da ein Gedicht?«

»Vielleicht ist es der Anfang von einem. Aber das werde ich erst in einer Weile wissen.«

»Du schreibst gerade auf irisch. Ich kann jetzt den Unterschied sehen.«

»Alle meine Gedichte sind auf Irisch. Dies hier wird seltsam werden, wenn es jemals Form annimmt.« Er legte es beiseite und griff zu einem neuen Blatt Papier. »Ich sitze schon die ganze Nacht daran. Mein Hintern ist taub. Letzte Nacht war ein feiner, schöner Mond. Wirklich ein lohnender Anblick.«

»Hast du an mich gedacht, als du ihn gesehen hast?«

»Natürlich.«

»Lügner.«

Sie schnitt Brotscheiben ab, bestrich sie mit Butter und reichte ihm eine. Es war durchaus kein schlechtes Leben, dachte er. Jeden Tag Brot und Butter, wie es sich für sein Handwerk und sein Metier gehörte. Er stand hoch über den armen Burschen, die nur ihre Kartoffeln und vielleicht ein Stückchen gesalzenen Fisch hatten. Und er hatte ein hübsches kleines Mädchen, das für ihn Brot abschnitt und ihm ihr Bett offenhielt. In Munster hatte er bessere Zeiten erlebt, aber es hatte auch schlechtere gegeben. Als er sein Brot gegessen hatte, wischte er sich, aus Respekt vor dem Papier, sorgfältig die Hände an der Hose ab.

»Judy, hat es, ehe ich hierhergekommen bin, viele Räumungen gegeben, so, wie die O’Malleys von Captain Cooper verjagt worden sind?«

»Wann hat es denn jemals keine Räumungen gegeben? Ist nicht sogar der Bruder meines armen Mannes von seinem Land gejagt worden und hockt jetzt oben am Berg?«

»Wer war sein Grundbesitzer?«

»Der Hohe Lord selber. Der Hohe Lord hat aus London befohlen, und Mr. Foster, der damals sein Verwalter war, hat Hughey und seine Familie verjagt. Er muß irgend etwas gemacht haben, das dem Hohen Lord nicht gefiel, und deshalb mußte er gehen.«

»Er muß eine gewaltige Wut auf den Hohen Lord haben.«

»Ach, was hätte das denn für einen Sinn? Aber er wüßte ja doch gern, was er denn eigentlich falsch gemacht hat.«

Geduldiges Vieh. Wie ihre eigenen Kühe werden sie ohne zu klagen herumgeschoben. Weniger wert als die Kühe, denn sie können nicht auf den Markt getrieben werden. Wie Vieh stehen sie bewegungslos in den Feldern, fürchten sich in der einen Jahreszeit vor Regen und in der nächsten vor Wind. Werden vertrieben und streifen durch das Land oder ziehen auf die Hügel. Duggan hatte sich die richtige Aufgabe gesucht. Im Süden, weit weg in Wexford, und in Antrim im Norden, vor nur zwei Monaten, hatten solche Männer Städte und Regimenter geschlagen. Nicht hier.

Zögernd, bedauernd berührte seine Hand die Arbeit dieser Nacht. Graugans und schwarze Krähe, verstümmeltes Vieh und der jungfräuliche Mond. Er zog den Bogen blanken Papiers dichter zu sich heran und griff zu einer der schwarzen Federn.

Teil eins

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Aus: Ein unparteiischer Bericht über die Ereignissezu Killala im Sommer 1798von Arthur Vincent Broome, M.A. (Oxford)

Vor einigen Jahren, als ich die Seelsorge für diese wilde und trostlose Region, über die ich schreibe, erst kurze Zeit übernommen hatte, fühlte ich mich veranlaßt, ein Tagebuch zu führen, in das ich die Sitten, Gebräuche und Manieren der verschiedenen Gesellschaftsklassen, so wie sie mir begegneten, eintragen könnte, um daraus eines Tages ein Buch mit einem Titel wie Leben in Westirland zu machen. Ich fürchtete zu Recht, daß mir die Zeit sonst lang werden möchte, und mir ist ein Hang zum Müßiggang, der zum Vorschein kommen kann, wenn meinem Leben Ordnung und Richtung fehlen, seit langem bewußt. Und mir war klar, daß nur wenige Teile des Reiches Seiner Majestät so unbekannt sind wie diese Insel, die genausogut in der Südsee treiben könnte, statt vor unserer Türschwelle. Ehe ich England verließ, hatte ich mir vorgenommen, Mr. Arthur Youngs Reise durch Irland zu lesen, ein weises und durchdachtes Buch, reich an Informationen, liberal und aufgeklärt in seiner Haltung, aber dennoch genau das, als was es sich ausgibt, der Bericht über eine Reise. Mein Werk würde die Vorzüge einer langen und stetigen Betrachtung des Schauplatzes haben, gewissermaßen eine Naturgeschichte des County Mayo sein.

Aber ach, die guten Vorsätze! Mein Tagebuch führte eine Zeitlang eine vage Existenz, bestand aus verstreuten Notizen, niedergeschrieben in der Aufregung meiner Begegnungen mit neuen Orten und Gesichtern und mit einer Gesellschaft, die pittoresk und beunruhigend zugleich ist. Aber wie andere meiner Projekte geriet es nach einigen Monaten vollends ins Stokken und sammelte dann lange auf einem Regal in meinem Studierzimmer Staub an. Wo sich diese Notizen jetzt befinden, kann ich nicht sagen; vielleicht wurde mit ihnen ein Feuer entfacht, ein Schicksal, das an diesem Ort losen Papierblättern widerfährt. Sie hätten ohnehin keinen großen Zweck erfüllt, da meine frühen Eindrücke, wie ich jetzt weiß, allesamt falsch waren, denn dieses Land ist so verräterisch wie das Moor, das ein Großteil seiner Oberfläche bedeckt. Es ist, im wahrsten Sinne des Wortes, ein aus-ländischer Ort und unempfänglich für die Lehren der Zivilisation.

Mein jetziges Ziel, praktischer und begrenzt, ist, so umfassend und unparteiisch wie ich kann, jedoch ohne müßige Abschweifungen, einen Bericht der Ereignisse zu geben, die vor einigen Jahren unserer abgelegenen Gegend eine vorübergehende Berühmtheit beschert haben. Deshalb muß ich zu Anfang meine eigene und verwirrte Sicht dieser besonderen Welt geben, die Bühne und Darsteller für mein Drama geliefert hat.

Eine Landkarte zeigt Mayo als einen County im entferntesten Westen des Landes, das seit einigen Jahren als das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Irland bezeichnet wird. Zu der Zeit, über die ich schreibe, war Irland jedoch theoretisch ein eigener Staat, der sein eigenes Parlament besaß, sich mit England König George als souveränen Herrscher teilte und von England stark beeinflußt wurde. Über seine illusorische und eingebildete »Unabhängigkeit« werde ich später noch einiges zu sagen haben. Im Moment will ich jedoch nur bemerken, daß die Ereignisse, die ich darstellen will, dazu beigetragen haben, das vielgerühmte, aber gefälschte »Königreich Irland« zu Fall zu bringen. So können große, den ganzen Staat betreffende Veränderungen bisweilen in rohen und abseitigen Umständen wurzeln.

Wenn ich diese Karte Irlands kolorieren sollte, dann würde Mayo darauf in Braun- und Blautönen erscheinen, im Braun der Hügel und Moore, über die sich ein endloser Himmel aus hellem Blau wölbt. Falls es nicht regnet, was leider oft der Fall ist. Während ich dies hier schreibe, regnet es, stetig und großzügig, wodurch ich die Bucht, auf die mein Studierzimmer blickt, nicht mehr sehen kann. Meine Pfarre liegt in der Stadt Killala in der Baronie Tyrawley, einst ein Bischofssitz und eine wohlhabende Gemeinde von Küstenhändlern, jetzt seit Jahrzehnten in einem Stadium von tristem Niedergang und Verfall. Es gibt natürlich noch andere Städte in Mayo: Ballina, unsere erfolgreiche Rivalin im Süden; Westport an der Westküste, der Sitz des Marquis von Sligo, verschönt von seinem eleganten Landsitz. Aber es gibt nur eine Stadt von wirklicher Bedeutung, Castlebar, die Hauptstadt von Mayo, wie sie großsprecherisch genannt wird, und die Stadt, zu der alle Wege in Mayo führen. Eine moskowitische Garnison an der sibirischen Grenze muß ähnlich aussehen, obwohl Castlebar, wie alle Städte in Mayo, ganz und gar aus Stein gebaut ist, mit Ausnahme der Lehmhütten der Ärmsten. Castlebar hat Straßen, ein Gerichtsgebäude, ein Gefängnis, eine Markthalle, eine Kaserne, die Häuser der wohlhabenden Kaufleute. Und doch wirkt alles provisorisch, hagere, schmale Gebäude, die sich angesichts der Endlosigkeit von Himmel und Land aneinanderkauern. Denn County Mayo durch seine Städte zu beschreiben, wäre völlig irreführend. Der Eindruck, den er als erstes in Auge und Geist hinterläßt, ist der von endlosem, ungastlichem Raum, von weitem, tristem Moorland im Westen von Crossmolina, von steilen und einsamen Landzungen und Halbinseln. Er hat seine eigene gewaltige und düstere Welt, während die benachbarten Counties Galway und Sligo einen zivilisierten Anblick bieten, der allerdings leider völlig irreführend ist.

Er ist auch wenig bevölkert, wenn wir uns auf das beschränken, was wir in England als »County-Familien« bezeichnen würden. Wenn ich einen Morgen oder auch einen ganzen Tag ausritt, konnte ich als Nachbarn vielleicht fünfzig oder sechzig Familien des Landadels und des Fastadels zählen, letztere werden hier übrigens »Halb-Sirs« oder »Gentlemen mit Halbbesitz« genannt. In der Nähe, innerhalb der Grenzen von Killala und Kilcummin, hatte ich unter anderem Peter Gibson von The Rise, Captain Samuel Cooper von Mount Pleasant, George Falkiner von Rosenalis, meinen besonderen Freund, wie diese Aufzeichnungen zeigen werden, und, an der Straße nach Ballycastle, Thomas Treacy von Bridge-end House als Nachbarn. Weiter entfernt, nur über anstrengende Reisen auf elenden Straßen zu erreichen, standen die Häuser von George Moore von Moore Hall, Hilton Saunders von Castle Saunders, Malcolm Elliott von The Moat und etwa zwanzig anderen. Diese alle, mit Ausnahme von Moore und Treacy, gehörten zu meiner Pfarre, denn es gehört zu den bekanntesten Tatsachen über das Leben in Irland, daß die, die das Land besitzen, und die, die es bestellen, durch ihren Glauben streng voneinander getrennt sind, die Grundbesitzer sind fast allesamt Protestanten, die Pächter und Landarbeiter dagegen Papisten.

So über unsere Baronie zu sprechen, bedeutet, ihr abwesendes Zentrum zu ignorieren, denn über unsere Baronie und die anliegenden Gebiete dominiert das Gut, überragend und auf den ersten Blick endlos, von Lord Glenthorne, dem Marquis von Tyrawley, oder, wie er hier mit einer dem Irischen entlehnten Bezeichnung genannt wird, »der Hohe Lord«. Diese Bezeichnung läßt an leichte Blasphemie denken, und Lord Glenthorne hat in der Beziehung mit unserem Schöpfer Ähnlichkeit, daß diese riesige Domäne zu seiner Verfügung steht, er jedoch beschlossen hat, sich nicht darauf aufzuhalten. Darin liegt nichts Ungewöhnliches, denn die ansässigen irischen Grundbesitzer sind in der Regel die kleineren, die etwa tausend Hektar oder weniger besitzen, während die Reichen fernbleiben, eine Tatsache, die viele für die Ursache unserer vielen Leiden halten. Lord Glenthorne hat beschlossen, sich niemals zu zeigen, nicht einmal zu kurzen Besuchen, und doch ist sein Platz in unserem Dasein so wichtig und überragend, daß er in der Rede der Bauern eine legendäre Größe erreicht hat, eine unergründliche Gestalt, jenseits von Gut und Böse. Ich wurde ihm in London vorgestellt, wo er mir als kleiner, milder Mann mittlerer Jahre erschien, von schlichtem, unaffektiertem Betragen, der seine religiösen Pflichten sorgsam befolgte. Viel später bin ich ihm ein zweites Mal begegnet, und bei dieser Gelegenheit erhielt ich einen klareren Eindruck von ihm und erkannte, daß er in jeder Hinsicht ein Herr war.

Wer von hier nach Ballina reitet, reitet meilenweit an den Mauern seiner Hauptdomäne vorbei, an Mauern so hoch, daß ein Mann zu Pferde kaum über sie hinwegsehen kann, alle aus behauenem Stein. An einigen Stellen steigt die Straße an, und der Reisende kann in der Ferne, hinter schützenden Palisaden, die schöne Form von Glenthorne Castle sehen, eines riesigen Landsitzes, der durch einen Zauberspruch aus 1001 Nacht in dieses ungastliche Land getrieben sein muß. Und diese Illusion wird noch verstärkt, wenn sich der Reisende überlegt, daß dieser Palast, denn es ist ein Palast, einfach nur wartet, mit seiner Dienerschaft und zweifellos mit seiner Einrichtung von ungeahnter Pracht, auf einen Fürsten, der sich niemals dort aufgehalten hat. Als sein Vater, der die exotischsten und ehrenrührigsten Sagen über sich hinterlassen hat, tatsächlich ab und zu hier residierte, war das anders. Aber der Wanderer sieht nichts von Glenthorne Castle. Er sieht nur die hohen, endlosen Mauern, und wir müssen ihm vergeben, wenn er denkt, daß eine Armee oder Legionen von Sklaven, wie die, die die Pyramiden Ägyptens gebaut haben, sie errichtet haben müssen.

Und es gibt diese Legionen. Als ich über die »Gesellschaft« von Mayo gesprochen habe, habe ich das Wort in der üblichen, aber unchristlichen Bedeutung benutzt, die alle ausschließt, die wir nicht sehen wollen. Wenn wir uns gestatten, auch die Bauern zu sehen und die vielen Landarbeiter, die noch viel elender sind als sogar die Bauern, dann leben wir nicht in einer einsamen Welt. Es ist eine reichbevölkerte, ja, sogar eine überbevölkerte Welt. Sie schwärmen wie die Bienen aus ihren Hütten, von denen die ärmsten aus Lehm gebaut sind, wie ein Kind am Flußufer bauen würde, und sie sind überall, denn sie stürzen sich auf jeden unbeanspruchten Hektar Land, der einen Grashalm oder ein Kartoffelbeet tragen kann, und die Hügel sind in Zickzacklinien aufgeteilt, durch Mauern, errichtet aus den Felsblöcken, die sie mit Händen weggeschafft haben, um jeden Zoll pflügbaren Bodens freizulegen. Einige wenige sind wohlhabend, wenn es auch ein unsicherer Wohlstand ist, Viehzüchter und starke Bauern und Mittelsmänner, aber wie steht es um die zahllosen Tausende ihrer Glaubensbrüder? Sicher fällt es auf, daß ich hier die übliche irische Praxis übernommen habe, gesellschaftliche und konfessionelle Trennungen zu verwechseln. Denn zweifellos gibt es hier zwei Welten, »unsere« kleine protestantische Welt des Wohlstands und ihre überbevölkerte papistische Welt der Not.

Ich versichere aus ganzem Herzen, daß Unterschiede, die auf dem Glauben beruhen, mir wenig bedeuten, und doch bekenne ich, daß mein Mitleid mit ihrem Elend sich mit einem Abscheu vor ihrer fremden Art vermischt. Fangen wir also mit ihrem Glauben an, aber fügen wir hinzu, daß die meisten unter ihnen eine Sprache sprechen, die nicht einfach nur ausländisch ist, sondern so grotesk wie das Geplapper der Sandwichinsulaner, daß sie in Dreck und Unordnung leben und gedeihen, daß Misthaufen sich vor ihren fensterlosen Hütten auftürmen, daß ihre Musik, egal, was Altertumsforscher und Fanatiker zu ihren Gunsten sagen mögen, zwar bisweilen eine klagende, melancholische Schönheit aufweist, aber wild und barbarisch ist, daß sie eine ernste und wohlerzogene Höflichkeit mit mörderischer Gewalt verbinden, die ohne Vorwarnung ausbricht – an Markttagen werden zum puren Vergnügen Schädel eingeschlagen, Vieh wird grausam verstümmelt, Verwalter mit grausamen Foltern getötet –, daß sie übelriechende Tümpel als heilige Brunnen verehren, daß sie zu Felsblöcken wallfahren, daß ihre Augen einen mit einer Unschuld anblicken, hinter der die Bosheit tanzt. Und doch bekenne ich mein Mitleid mit ihnen und wünschte, ich hätte ihnen besser oder überhaupt dienen können.

Wie anders sollen sie denn leben, diese armen Geschöpfe Gottes? Der Bauer hat seine wenigen Kühe und Schweine, seine kurzen Ernten, aber das alles muß an den Grundbesitzer bezahlt werden, jede Gabel Rindfleisch, jedes Getreidekorn, und er und seine Familie müssen von Kartoffeln und Milch leben. Und er hat noch Glück, denn schlechter geht es denen, die vor dem Gesetz überhaupt kein Land haben, sondern auf den Bergen hocken oder sich am Moor zusammenkauern. Sie ziehen mit ihren Spaten zu den Gesindemärkten, wo sie wie Sklaven auf dem Block stehen. Im späten Winter, wenn die Kartoffeln aufgebraucht sind, wandern sie bettelnd über die Straßen. Und was ist mit denen, die ein Stück Land haben, aber die Pacht nicht bezahlen können? Ein guter Grundbesitzer, wie mein lieber Freund Mr. Falkiner, wird sich ein Jahr oder zwei gedulden, falls er selber solvent ist, aber viele Grundbesitzer sind bei den Dubliner Banken und Geldverleihern so hoch verschuldet, daß auch sie zu Opfern des Systems werden. Viele andere sind gar keine richtigen Grundbesitzer, sondern Mittelsleute, an die das Land zum Weiterverpachten vergeben worden ist, und viele von ihnen betreiben die barbarische Praxis des Pachtwuchers. Und es gibt viele große und kleine Grundbesitzer, die, wie Captain Cooper, wenn sich Viehzucht besser bezahlt macht als Verpachten, die Pächter verjagen und auf den Straßen betteln oder verhungern lassen. Ich habe selber Familien gesehen, die sich an den Hängen zusammenkauerten, wo sie sich Löcher gegraben hatten, ganze Familien, die Kleinen hockten neben der verhärmten Gestalt der Frau.

Ein genialer ausgedachtes System, zuerst zur Erniedrigung und dann zur Beibehaltung der Erniedrigung eines ganzen Volkes, ist nur schwer vorstellbar. In dieser Hinsicht fehlen mir Beredsamkeit und Klarsicht von George Moore von Moore Hall, einem höchst erstaunlichen Mann für diese Gegend, der ein recht bedeutender Historiker ist, aufgeklärt und human in seinen Ansichten, ein Freund von Burke, Fox, Sheridan und anderen wichtigen Persönlichkeiten. Wer seiner herben, sardonischen Stimme lauscht, wenn er sich über die Leiden Irlands verbreitet, wird in seiner Verzweiflung bestärkt, denn er kann niemals ein Heilmittel vorschlagen. Und doch gilt Verzweiflung zu Recht als unverzeihliche Sünde, und ich habe immer wieder energisch dagegen angekämpft.

Ich habe auch darum gekämpft, mit dem Volk vertraut zu werden, aber mit geringem Erfolg. Ich nehme hier Mr. Moore und auch Thomas Treacy von Bridge-end House aus, denn diese beiden sind angesehene Gentlemen, und ich habe ihren Papismus immer für ritterliche Anhänglichkeit an eine verfolgte Sekte gehalten. Und ich nehme ebenso Mr. Hussey aus, so seltsam das erscheinen mag, den Priester von Killala, denn er, der Sohn eines wohlhabenden Viehzüchters aus Mittelirland, ist selber fast ein Gentleman. Oft, hatte ich den Eindruck, war er entsetzter als ich über das barbarische Leben und Treiben derer, deren Seelsorge ihm anvertraut ist. Während des ersten Jahres habe ich versucht, die Bekanntschaft der wenigen papistischen »Halb-Sirs« zu machen, Männer wie Cornelius O’Dowd oder Randall MacDonnell, aber gerade diese beiden erschienen mir als, ehrlich gesagt, unreligiöse Männer, falls wir Treue zu Whiskey, Pferden und leichtlebigen Frauenzimmern nicht als eine Form von Gottesdienst betrachten; und diese bedauerliche Einschätzung ihrer Charaktere wurde durch ihr gewaltsames Handeln in den Ereignissen, die ich berichten werde, mehr als bestätigt. Unter ihrer Ebene gab es natürlich Bauern und Bedienstete, die Englisch verstanden und sprachen, einige hatten sogar die Kunst gemeistert, es zu schreiben. Aber ich konnte immer unter der Oberfläche unserer höflichen Begegnungen das Beben des tiefen Abgrundes spüren, der uns trennte, so als ob wir unsere Unterhaltung auf der zitternden Oberfläche eines Moores führten.

Weiterhin werde ich in meinem Bericht niederschreiben, was ich von diesem einzigartigen und höchst unseligen Mann Owen Ruagh MacCarthy gehört habe. Ich hatte ihn einmal zu mir bestellt, weil ich einige Bücher abzugeben hatte und annahm, er könnte sie in seiner »klassischen Akademie« verwenden, einer Art Heckenschule, in der Kinder die Anfangsgründe einer Erziehung erhielten, während ältere Jungen aufs Seminar vorbereitet wurden. Ich gebe zu, daß ich meine Zweifel hatte, denn ich hatte ihn oft im Dorf gesehen, eine große Kreatur mit wilden roten Haaren und einem schnellen Schritt, überall bekannt wegen seiner Vorliebe für Alkohol und schlechte Gesellschaft. Sein früherer Leumund war genauso abschreckend, denn angeblich war er aus seinem Geburtscounty Kerry nach Cork gewandert, oder besser getrieben worden, dann nordwärts durch Clare und Galway nach Mayo, auf der Flucht vor seinen Zusammenstößen mit dem Gesetz, behaupten die einen, den anderen zufolge jedoch gejagt von Heerscharen erboster Väter und Ehemänner und Brüder, denn er konnte weder Augen noch Hände von irgendeiner Frau passenden Alters lassen, und in dieser Hinsicht war sein Geschmack katholisch in der nicht-konfessionellen Bedeutung dieses Wortes. Und doch war er ein Mann, der fließend Latein sprach und sich mit Vergil, Horaz und Ovid sehr gut auskannte. Noch überraschender war, wie mir Treacy von Bridgeend House, ein Fanatiker für die eingebildeten Leistungen seiner Rasse, erzählt hat, daß MacCarthy ein Dichter von beträchtlichem Ruhm war, dessen Verse von Donegal bis Kerry auswendig gelernt wurden und als Manuskripte zirkulierten. Ich bat Treacy, einige dieser Gedichte ins Englische zu übersetzen, aber er antwortete, Rhythmus und Metrik, wenn das die korrekten Bezeichnungen sind, ließen sich nicht ins Englische übertragen, denn dann würden Wörter und Klang sich streiten wie Mann und Frau, ein aufschlußreicher Einblick in die irische Einstellung zur Ehe.

Auf jeden Fall, und um diese Abschweifung zu beenden, so mag MacCarthy durchaus ein zweiter Ovid gewesen sein, aber seine Worte sind für immer in einer barbarischen Sprache verschlossen, die die Geschichte zum Schweigen und zum Pflug verurteilt hat. Bei jener Gelegenheit versicherte ich ihm, daß mir das unglückliche Schicksal seiner Landsleute sehr am Herzen läge, und ich regte an, es ließe sich vielleicht verbessern, wenn sie die Sicherheiten des englischen Gesetzes besser ausschöpfen könnten. Er antwortete mit den Versen eines anderen Poeten, die er dann, egal, was Treacy davon halten mag, für mich ins Englische übersetzte: »Troja und Rom sind verschwunden, Caesar ist tot wie Alexander. Vielleicht wird eines Tages auch der Tag Englands kommen.«

Ich forderte ihn auf, die Bedeutung dieser dunklen Aussage zu erklären, und er antwortete, sie bedeute lediglich, daß Griechenland und Rom einst mächtige Reiche gewesen seien, und nun sei eben England an die Reihe gekommen. Ich sagte ihm, daß ich nicht eine Minute glaubte, es könnte so gemeint sein. Statt dessen brachte es die dumpfe Rachsucht zum Ausdruck, die die irischen Bauern bekanntlich hegen, und die, wie ihr Aberglaube, sie davon abhält, angemessene und vernünftige Lösungen für ihre Probleme zu finden. Dann überlegte ich mir: Was für Lösungen? Wohlmeinende protestantische Pastoren schreiben Bücher und Traktate für sie, raten ihnen, sich ordentlich zu kleiden, während sie halbnackt sind, die Wahrheit zu sagen, wenn nur eine Lüge sie vor ihrem raffgierigen Grundbesitzer schützen kann, nüchtern zu bleiben, wenn der einzige Trost in einer Flasche liegt.

Daraufhin lächelte er mich an, als ob er meine Gedanken gelesen hätte, und das Lächeln veränderte seine groben, schweren Züge und deutete eine lebhafte, wenn auch sardonische Intelligenz an. Im offensichtlichen Bestreben, das Thema zu wechseln, nahm er ein schmales Buch von dem Stapel, den ich vor ihm aufgebaut hatte, eine Übersetzung von Le Sages Romanze Gil Blas. »Das hier kenne ich gut, Euer Ehrwürden. Ich hatte es in der Hintertasche meines Mantels, als ich vor Jahren auf Wanderschaft war. Dafür gibt es gar kein besseres Buch.« Ich entdeckte, daß er einigermaßen Französisch konnte, was offenbar bei den Schulmeistern seiner Heimat Kerry nicht außergewöhnlich war, weil es dort früher sehr viel Verkehr mit Frankreich gegeben hatte. Aus Kerry und Cork waren bis vor zehn Jahren die jungen Männer in die Seminare von Douai und St. Omer oder als Rekruten zu den irischen Brigaden der französischen Armee gebracht worden, und es hatte auch einen lebhaften Schmuggel gegeben. Nicht nur die letzte, sondern alle drei Unternehmungen waren gesetzlich verboten, aber das schien MacCarthy überhaupt nichts auszumachen. Darin kann eine weitere bedauerliche Folge der abscheulichen Penal Laws gesehen werden, die ein Jahrhundert lang die Papisten mehr oder weniger zu Vogelfreien gemacht hatten.

Diese Verbindung von Gil Blas und der französischen Sprache mit dem grobschlächtigen Kuhhirten, der da in seinem langschößigen Rock aus regenfarbigem Fries vor mir stand, erschien mir als höchst merkwürdig.

Bei dieser Gelegenheit, wie bei meinen anderen Unterhaltungen mit MacCarthy, war ich von seiner offenkundigen Liebe zu Wörtern und Büchern positiv beeindruckt, obwohl er selbige zweifellos auf grobe, provinzielle Manier auffaßte, und von seinem Auftreten, das unbefangen, aber niemals beleidigend vertraulich war. Und doch hatte er auch etwas an sich, was mich verärgerte, einen schlauen, leichten Spott, als wüßte er genausogut wie ich, daß wir dieselben Wörter auf ganz unterschiedliche Weise verwendeten. Wie wenig werden wir je über diese Leute wissen, solange wir in unsere getrennten Zimmer eingeschlossen sind! Und oft habe ich ihn in einer ganz anderen Stimmung gesehen, wenn er betrunken heimwärts stolperte, eher Vieh denn Mann, zu dem Bett, das er mit irgendeiner jungen Dirne von einer Witwe teilte. Der Weg, den er später einschlug, stimmte mich traurig, überraschte mich jedoch nicht. Er lebte tief in der Welt seines Volkes, und diese Welt ist unvorhersagbar und gewalttätig.

Was mich in meinen ersten Jahren in Mayo vor allem bedrückte, war, daß alle, reich und arm, darin übereinzustimmen schienen, daß die schrecklichen Umstände, die ich hier erwähnt habe, unveränderlich seien, gewirkt aus einer Geschichte von so festem Gewebe, daß es niemals in eine akzeptablere menschliche Form gezogen oder gerissen werden könnte. Ich bin durchaus kein Radikaler. Ich weiß, daß die Gesetze der menschlichen Ökonomie, wie die der Astronomie, unbeweglich und streng sind. Dennoch kann ich das Gefühl nicht aufgeben, daß diese Gesetze verzerrt worden sind, so wie Kometen und Meteore auf die Erde hinuntergezogen werden. Die Armen werden immer bei uns sein, aber muß es sie wirklich in solchen Mengen geben, daß sie die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen?

Aber die wenigen Lösungen, die vorgeschlagen worden sind, sind entsetzlicher als das Übel, das sie heilen wollen. Ich habe zum Beispiel Männer, die nicht unmenschlicher sind als die meisten, vorschlagen hören, daß die immer wieder auftretenden Hungersnöte von der Natur so beschlossen worden sind und im Laufe der Zeit die Bevölkerung auf eine passende Anzahl reduzieren werden, aber dieses erscheint mir als Gotteslästerung. Oder nehmen wir die Whiteboys, die in meinem Bericht eine Rolle spielen. Etwa dreißig Jahre lang waren diese Banden eine Geißel für das Land, verheerten die Landschaft, ermordeten Verwalter, verstümmelten oder töteten Vieh, rissen die Zäune nieder, die die Weiden umgaben, unterwarfen Gegner und Denunzianten brutalen und grausamen Bestrafungen. An einigen wenigen Orten konnten sie ihren Ehrgeiz befriedigen; die Pacht wurde gesenkt, Felder wurden nicht weiter in Weideland umgewandelt. Zumeist aber wurden die Whiteboys gejagt wie Hirsche und Wölfe und schließlich vernichtet. Sie mußten vernichtet werden, denn die Zivilisation kann solches Barbarentum nicht hinnehmen. Hungersnot oder Terror: Welch entsetzliche Auswahl sich anbietender Heilmittel!

Und welche Hilfe bringt die Religion selber? Ich werde wenig über die Kirche dieses Volkes sagen. Zweifellos ist sie von dem Jahrhundert (oder mehr) der Verfolgung, die sie erleiden mußte, deformiert und brutalisiert worden, und zweifellos übt sie eine besänftigende Wirkung auf ihre Kinder aus, aber dennoch kann ich keine große Sympathie für sie bekennen. Mr. Hussey, wie gesagt, ist ein Mann von Bildung und guten Manieren. Kaum ein Anblick war so lächerlich wie der von Mr. Hussey in seinen Schuhen mit den Silberschnallen, unterwegs in eine Hütte, wo seine Anwesenheit vonnöten war, der sich bei dem Gestank am liebsten die Nase zugehalten hätte. In seiner Kapelle, die mit Hilfe von Mr. Falkiner und anderen eher liberalen Mitgliedern des protestantischen Landadels errichtet worden ist, hat er wohl immer wieder gegen Whiteboys und gegen die abergläubischen Praktiken seiner Pfarrkinder angepredigt. Und doch war sein Kaplan, der ungeheuerliche Murphy, Bauernsohn und selber Bauer, ein grober, ignoranter Mann, rotgesichtig, jung, fett und mit der Stimme eines jungen Bullen, viel typischer für das römische Priestertum. Und als die Krise über uns hereinbrach, bewies er, daß er ihre finstersten Leidenschaften bis ins letzte teilte. Auch gehörte Reinlichkeit nicht zu seinen Tugenden, und für seine Liebe zur Flasche gibt es hinreichend Beweise.

Aber über meine eigene Kirche, was kann ich da sagen, außer, daß sie die Kirche einer beherrschenden Garnison ist? Ich kann vielleicht meine Predigten rühmen, die keine leeren Ausschweifungen über obskure Stellen der Schrift sind, sondern sich auf das tägliche Leben richten. Und doch, wenn ich die kahlen weißen Wände betrachte, die schmalen Fenster und die beiden Schlachtflaggen, die Mr. Falkiners Ururgroßvater aus Marlboroughs Kriegen mitgebracht hat, und die Gedenktafeln für die, die im Dienste unserer Krone auf den Schlachtfeldern von Frankreich und Flandern gefallen sind, wenn ich meine Pfarrkinder ansehe, steif und gerade wie Truthähne oder Conquistadoren, dann kommt mir der beunruhigende Gedanke, daß ich weniger ein Seelsorger für Christi Volk bin als Priester eines kriegerischen Kults, so wie Mithras von den römischen Legionen gehuldigt wurde. Hier, denke ich in solchen müßigen Momenten, ist ein Vorposten, der durch die ewiggültigen Edikte von Elisabeth und James und Cromwell und William in diesem Land stationiert worden ist und es für unseren Herrn, den König, halten soll.

Warum sonst schickt der protestantische Landadel Irlands seine jungen Männer in die Britische Armee und in die Armee der Ostindischen Kompanie, wenn nicht aus einem Instinkt, der ihnen in den Knochen sitzt, eingepflanzt vielleicht durch die vielen Sonntage ihrer Kindheit, an denen sie die Schlachtflaggen angestarrt haben? Und noch eins steht fest: Wenn England ein Land mit dem Schwerte erobert, folgen darauf alsbald die Künste und die Segnungen der Zivilisation, ein geordnetes Dasein, Sicherheit für Person und Eigentum, Erziehung, gerechte Gesetze, die wahre Religion und hoffnungsvolle Aussichten für das Leben der Menschen auf Erden. Nur hier haben wir versagt, im allerersten Land, das wir betreten haben, aus Gründen, die zum Teil unsere und zum Teil die Schuld der Einheimischen waren. Aber ich halte es für verderblich, über die Vergangenheit nachzugrübeln, Unrecht aufzuzählen und Schuld zuzuweisen.

Vielleicht kann ich das alles so klar sehen, weil ich in England geboren und aufgewachsen und deshalb nicht in die alten Feindseligkeiten und den alten Stolz dieses Landes verstrickt bin. Denn im letzten Viertel des Jahrhunderts erklärten, wie alle wissen, sich die irischen Protestanten für eine unabhängige Nation, die dem König von England nur in seiner Eigenschaft als König von Irland Gefolgschaft schuldete. Schlimmer noch, sie hielten sich für ein eigenständiges Volk, weder englisch noch irisch, schworen aber dennoch der britischen Krone den absoluten Gehorsam, da ihre Rechte, Privilegien, Besitztümer zuerst von der Krone gekommen waren. Ein erstaunliches und lächerliches Geschöpf war sie, diese »irische Nation«, aus der die große Masse der Iren mit der offenen Begründung ihrer Religion und mit der heimlichen Begründung ihrer Rasse ausgeschlossen war. Die Hauptstadt Dublin war eine so schöne Stadt, wie diese Inseln überhaupt aufweisen können, eine Stadt aus warmen, weinfarbenen Ziegeln und kühlen grauen Steinen, überragt von den strengen, schönen Umrissen des Parlamentes, in dem die rein protestantischen Vertreter einer rein protestantischen Wählerschaft saßen. Und doch war diese gepriesene Unabhängigkeit ein Trugbild, denn die Gouverneure und Verwalter dieser Insel wurden weiterhin in London ernannt, und das Parlament selber stank vor Korruption, die viele der gekauften Mitglieder kaum zu verhehlen geruhten. Meine Bewunderung für Mr. Grattan und die anderen »Patrioten«, die sich abmühten, um Irland eine wahre und ehrliche Regierung zu geben, um das Parlament zu reformieren und vor allem, um ihre papistischen Landsleute von ihren Ketten zu befreien. Und doch waren ihre Bemühungen so vergeblich, wie ihre Rede glänzend und blumig war.

Wir in Mayo wußten wenig von diesen Angelegenheiten und hatten nicht das geringste Interesse daran. Die Interessen der Grundbesitzer wurden im Parlament bestens vertreten von Dennis Browne, Lord Sligos Bruder und High Sheriff des County, einem klugen und geistreichen Mann, rauh, aber herzlich, wenn die Situation das erforderte, doch mit einem Charakter so schmeichelnd und tückisch wie Bergnebel. Wenn ich auf diesen Seiten etliche harte Urteile über Mr. Browne abgeben muß, so glaube ich doch, daß seine Liebe zu Mayo höchst ehrlich ist, auch wenn sie eine schreckliche Form annehmen sollte. Ich gebe zu, daß mein geringes Verständnis für diese Menschen vollends versiegt, wenn es mit Familien wie den Brownes konfrontiert wird. Papisten bis weit ins 18. Jahrhundert, konnten sie ihren Besitz durch eine Vielzahl von Tricks behalten, bis sie dann schließlich zu unserer protestantischen Church of Ireland übertraten. Sie, und vielleicht nur sie, scheinen sich problemlos zwischen unseren beiden Welten bewegen zu können, sind wichtige und mächtige Persönlichkeiten in unserer protestantischen Welt, und dennoch heißen sie die eingeborenen Musiker und Dichter bei sich willkommen, werden Lieder und Gedichte zu ihren Ehren komponiert. Das war jedenfalls bis vor wenigen Jahren so, denn nun haben die Brownes einen düsteren und zweifelhaften Ruf, aus Gründen, die mein Bericht erklären wird. Wenn ich die Brownes nur verstehen könnte, dann würde ich viel von den verworrenen Wurzeln der Vergangenheit, ihren verzwickten Loyalitäten und blutigen Erinnerungen verstehen. Die Wahrheit über dieses Land ist vor den Augen der Fremden verborgen. Die Wahrheit, wie die Schätze der Wikinger, liegt in den Mooren vergraben.

Moore und Bergketten schlossen uns in Tyrawley ein und überließen uns dem Anblick des grauen Ozeans. 1797 jedoch wußten wir, daß die Ereignisse in den anderen Teilen Irlands auf die Rebellion zutrieben. Die verbrecherische und umstürzlerische Society of United Irishmen, eine Bande von skrupellosen städtischen Radikalen in Dublin und Belfast, war zum Aufstand entschlossen und hatte sich zu diesem Zweck für eine unnatürliche Allianz zwischen den papistischen Bauern des Südens und den presbyterianischen Bauern des Nordens entschlossen. Ihr Agent im Ausland, der Deist und Irre Wolfe Tone, hatte die Unterstützung der Königsmörderin Frankreich gesichert. Ein Jahr zuvor war eine gewaltige Invasionsflotte an der Küste von Kerry nur durch das zurückgeschlagen worden, was die Bauern als »die protestantischen Winde« bezeichneten. Dann, im Frühjahr 1798, hörten wir von den entsetzlichen Aufständen in Wexford und Antrim, wo mörderische und irrwitzige Bauern das Land verwüsteten, ehe sie mit großer Brutalität besiegt werden konnten. Eine schreckliche Wartezeit folgte, denn obwohl die rebellischen Counties zu riesigen Leichenhäusern geworden waren, hatte das Netzwerk der höllischen Verschwörung in Mittelirland und in einigen Teilen Munsters überlebt. Eine zweite Invasionsflotille, hieß es, wurde an Frankreichs Küste zusammengezogen, und Wolfe Tone lauerte wie ein Sturmvogel über ihren Masten. Mit diesem Augenblick schrecklichen Wartens möchte ich meinen Bericht beginnen.

Dies alles aber erreichte uns wie Nachrichten aus einem anderen Land. Unsere örtliche Milizabteilung, eine rein protestantische Truppe unter dem Kommando von Captain Samuel Cooper, exerzierte häufiger, weniger jedoch, um unsere Küsten zu verteidigen als um den papistischen Bauern klarzumachen, daß der derzeitige Stand der Dinge unveränderlich sei. Es gab zuerst einen, dann mehrere, dann zahlreiche Fälle von verstümmeltem Vieh, ausgeführt von Männern, die sich »die Whiteboys von Killala« nannten, aber das Whiteboytum war eines unserer altvertrauten Übel. Die fernen United Irishmen predigten den Aufstand im Namen einer ersehnten »Republik Irland«, aber die irische Sprache hatte kein Wort für diese Staatsform und noch viel weniger hatte dieses Wort irgendeine Existenz in der Vorstellungskraft unserer Bauern. Natürlich gab es auch unter den Bauern, Gastwirten und Schulmeistern und ihresgleichen manche, die, als sie von der Rebellion in Wexford gehört hatten, hochtrabend von der »Gälischen Armee« sprachen. Und viele der Protestanten, vor allem von der engstirnigeren und unwissenderen Sorte, sprachen voller Furcht und Zorn von einem Aufstand der Knechte. Aber das alles war weit weg von Mayo.

Ich habe immer wieder versucht, mir vorzustellen, ich befände mich in einer der Schenken, die die Bauern besuchten, einer niederen, üblen Hütte, verräuchert und stinkend. Irgendwer beschreibt den Anwesenden den Aufstand von Wexford, nicht als das Gemetzel, das er in Wirklichkeit war, sondern als den glorreichen Aufmarsch der »Gälischen Armee«, mit Bannern und Dichtern, wie eine Strophe aus MacPhersons Ossiangedichten. Ich versuche mir die Gesichter, die ich nur von der Straße, von Feldern oder Ställen kenne, weiße Haut, schwarze Haare, dunkle Augen, in dieser Umgebung vorzustellen. Mit welcher Wucht müßten die Worte des Sprechers so eine Versammlung treffen, denn die eingeborenen Iren lassen sich, wie seit den Tagen des elisabethanischen Spenser bemerkt worden ist, von großen Worten leicht überwältigen.

Eines Tages habe ich im Haus von Mr. Treacy Owen Ruagh MacCarthy seine Gedichte rezitieren hören. Er besuchte die Dienerschaft, und als Treacy davon hörte, ließ er ihn an unseren Tisch kommen, wo er vor uns stand und ein Gedicht vortrug, für das er sehr großzügig mit Silbermünzen und zwei Glas Brandy belohnt wurde. Es war eine Gedichtform namens Aisling