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Die Hexe Francesca und der Vampir Benedikt sind vom Schicksal füreinander bestimmt. Doch Fran will sich nichts vorschreiben lassen und weigert sich deshalb, sich ihre Gefühle für Ben einzugestehen. Als Fran fünf Jahre später nach Europa reist, um nach ihrer verschwundenen Mutter zu suchen, trifft sie dort den attraktiven Vampir wieder. Inzwischen gibt es jedoch eine andere Frau in Bens Leben! Verfolgt von dem rachsüchtigen Gott Loki versucht Fran, ihre Mutter wiederzufinden und sich über ihre Gefühle zu Ben klarzuwerden.
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Seitenzahl: 460
Titel
Widmung
Prolog
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Impressum
Katie MacAlister
Roman
Ins Deutsche übertragen von Antje Görnig
Dieses Buch verdankt seine Existenz den vielen Fans, die mir E-Mails geschrieben und nach weiteren Abenteuern von Ben und Fran verlangt haben, nach mehr Wikingergeistern und noch einer Duschszene mit Ben. Mit großem Dank widme ich Ein Vampir in schlechter Gesellschaft diesen Leserinnen und Lesern.
Prolog
Fran, hauchte der Wind.
Die Stimme meiner Mutter klang genauso fern wie der Wind. »Ehrlich, Fran, ich verstehe dich nicht. Was hast du dir nur dabei gedacht …«
Ich blendete sie aus und horchte angestrengt auf das Flüstern, das in mein Bewusstsein drang.
Fran.
Es war Ben! Ich wusste sofort, dass er es war, und er brauchte meine Hilfe. Dringend. Ich lief hinaus in die Dunkelheit, um ihn zu suchen. Irgendwo in meinem Kopf registrierte ich, dass dies alles schon einmal in Wirklichkeit passiert war, aber nun wiederholten sich die Ereignisse in meinem Albtraum in einer völlig verdrehten Version.
Der Mond stand hoch am Himmel, doch sein Licht konnte den dichten Wald nicht durchdringen. Immer wieder wich ich Ästen von Bäumen aus, die nach meinen Haaren und Kleidern zu greifen schienen. Ich komme, Ben! Ich rette dich!
Zu … spät …
Ich wurde von Verzweiflung erfasst; von meiner eigenen, weil ich ihn unbedingt finden und ihm helfen musste, wie auch von seiner, die er zusammen mit dem Wissen ausstrahlte, dass ich es nicht rechtzeitig schaffen würde.
Frustrierte Schluchzer stiegen in mir auf, während ich mich durch das unheimliche Dickicht kämpfte, bis ich endlich eine dunkle Gestalt sah, die zusammengesunken an einem toten Baum lehnte.
Ben!
Seine Lederjacke hing ihm in Fetzen von den Schultern, sein Hemd war verschwunden, und sein Gesicht, seine Arme und sein Rumpf waren von tiefen Schnittwunden übersät, aus denen Blut sickerte. Als ich auf ihn zulief, kippte er zur Seite. Zu … spät …
Ich schrie entsetzt auf, als er vor meinen Augen starb, und der Schrei hallte in meinem Kopf wider, bis ich schweißgebadet erwachte.
»Wieder ein Albtraum?«, fragte eine verschlafene Stimme von der anderen Seite des Raums.
Ich schluckte die Angst hinunter, die mir die Kehle zuschnürte. »Ja. Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.«
»Schon gut. Das liegt nur am Stress. Schlaf wieder ein!«
»Mache ich.«
Ich wendete bekümmert mein verschwitztes Kopfkissen. Es lag nicht am Stress, dass ich Albträume hatte. So einfach war das nicht. Ich hatte sie nun immer häufiger, und je öfter sie kamen, desto dringender wollte ich meinem Leben entfliehen.
Ich legte mich wieder hin und betete um einen traumlosen Schlaf.
1
»Und da habe ich zu ihr gesagt: Hör mal, ich gehöre dir nicht, okay? Wir haben unglaublich tollen Sex, das stimmt, aber zu einer Beziehung gehört mehr als das. Und sie hat gesagt, dass sie einfach nur mit mir zusammen sein wolle und nicht ohne mich leben könne und so weiter. Versteh mich nicht falsch! Es ist schön, von seiner Freundin begehrt zu werden und so, aber das kann einen auch erdrücken! Manchmal denke ich, du bist ein echter Glückspilz, Fran. Du hast ja keine Ahnung, wie es ist, in einer Beziehung zu stecken, die von Anfang an dem Untergang geweiht ist!«
Ich starrte mit leerem Blick auf den Gehsteig, doch Geoffs Worte versetzten mir einen Stich ins Herz. Ihrem männlichen Vornamen zum Trotz (wie sie sagte, hielten ihre Eltern nicht viel von den traditionellen Geschlechterrollen) war sie ein außergewöhnlich hübsches Mädchen mit schulterlangem schwarzem Haar und niedlichen Sommersprossen. Wir wohnten zwar schon fast ein Jahr zusammen, aber sie verblüffte mich gelegentlich immer noch mit ihrem mangelnden Durchblick.
»Du sagst deinem Freund, du brauchst etwas Freiraum – und zack, schon bekommst du ihn. Du siehst ihn … wie oft? Sagen wir, einmal im Jahr, und ansonsten lässt er dich in Ruhe, und du kannst machen, was du willst. Das nenne ich eine reife Beziehung! Kannst du mir ein paar Dollar leihen? Ich bekomme erst am Freitag Geld.«
»Er ist eigentlich nicht mein Freund.« Ich fischte meine Starbucks-Karte aus der Hosentasche und gab sie ihr, während sie vor dem Außenschalter des Ladens stehen blieb und einen Latte und einen Americano bestellte.
»Danke, Fran. Du bist ein Schatz! Wo waren wir gerade? Ach ja, bei deinem Freund. Mit ihm hast du wirklich Glück gehabt!«
»Er ist nur ein Typ, den ich kenne. Kannte, besser gesagt.«
»Eure Beziehung ist einfach perfekt«, sagte Geoff und überging nonchalant meinen Einwand. »Er ist in Europa, und du bist hier und machst dein eigenes Ding. Du hast keinen, der dir ständig im Nacken sitzt und dir sagt, was du tun sollst. Niemand verlangt von dir, alles stehen und liegen zu lassen und ihm Aufmerksamkeit zu schenken. Niemand setzt dich mit hysterischen Szenen unter Druck und sagt dir, dass er stirbt, wenn du nicht sofort Zeit für ihn hast. Ich beneide dich, Fran. Ich beneide dich wirklich!«
Ich nahm den Latte, den sie mir reichte, und folgte ihr die Straße hinunter zu dem alten roten Backsteingebäude, in dem wir uns im dritten Stock eine Wohnung teilten. Mit jedem Schritt schrie meine Seele ein bisschen lauter. Ich hätte Geoff so gern die Wahrheit gesagt, aber schon bei unserem ersten Treffen war ich zu der Einsicht gelangt, dass sie es nie verstehen würde. Sie war zu fest in der normalen Welt verwurzelt. Wie sollte ich ihr erklären, dass mein Ex ein Vampir war?
»Ich habe Carmen auch gesagt, dass ich ein bisschen Freiraum brauche, und was hat sie gemacht? Sie hat angefangen, sich zu ritzen.« Geoffs Handy dudelte. Sie zog es aus der Tasche und lamentierte dabei weiter: »Als hätte ich nicht schon genug Probleme mit mir selbst! Hast du eine Ahnung, wie stressig es heutzutage ist, bisexuell zu sein? Meine Therapeutin sagt, ich fordere Probleme geradezu heraus, aber was weiß die schon! Na super, es ist wieder meine Drama-Queen! Das ist ungefähr ihre fünfzigste SMS heute. Ich musste mein Handy in der Praxis ausschalten, weil Dr. Abbot meinte, sie würde am Ende noch irgendeinem armen Hund einen Zahn ziehen, statt ihn nur zu reinigen, wenn der nervige Klingelton sie noch ein einziges Mal erschreckt.«
Ich murmelte irgendetwas Unverbindliches.
Wir blieben vor der Eingangstür an der Seite des Hauses stehen. Im Erdgeschoss war eine Buchhandlung, in der ich einen Großteil meiner Freizeit verbrachte. »Ich habe die Hände voll, Fran. Kannst du mal aufschließen?«
Ich stellte meinen Latte auf den großen Metallbriefkasten und kramte in meinem Rucksack nach dem Schlüssel.
»Weißt du, wenn ich könnte, würde ich Carmen sofort gegen deinen Brent eintauschen.«
»Ben«, korrigierte ich, und der Klang seines Namens versetzte mir einen weiteren schmerzhaften Stich in die Brust. »Er ist nicht meiner. Du kannst ihn haben.«
»Er ist einfach der ideale Mann. Er lässt dich in Ruhe, außer wenn du ihn bei dir haben willst. Wenn ich genauso auf Männer stehen würde wie auf Frauen – was ich nicht tue, weil die meisten für meinen Geschmack viel zu viele Probleme haben –, dann würde ich definitiv versuchen, ihn dir abzuluchsen. Aber so brauchst du dir keine Sorgen machen.«
»Ist ja beruhigend«, murmelte ich mit einem kleinen Grinsen, während ich ein paar Taschenbücher auspackte und auf dem Boden meines Rucksacks herumtastete. So viel war sicher: An anderen Frauen war Ben nicht interessiert.
Zumindest glaubte ich das. Ich runzelte die Stirn und dachte an das letzte Mal, als ich mit ihm gesprochen hatte. Es war unser letzter und größter Streit gewesen, und Ben hatte so distanziert und kalt geklungen …
»Außerdem bin ich loyal. Das ist einer der Gründe, warum wir so gut miteinander auskommen. Mal im Ernst, man könnte es schlechter treffen. Da draußen laufen eine Menge Irre rum, und du bist völlig normal.« Sie warf einen Blick auf meine Hände. »Gut, fast normal. Aber hey, jeder hat seine Marotten! Ich komme wirklich gut damit klar, dass du Angst vor Keimen hast und immer Latexhandschuhe trägst. Es macht mir überhaupt nichts aus. Wahrscheinlich ist es bei den ständigen Erkältungs- und Grippewellen sogar gut, und wenn du einen auf Goth machen willst mit den schwarzen Spitzenhandschuhen, die du über denen aus Latex trägst … Na und? Meine letzte Mitbewohnerin fuhr auf diesen Lolitascheiß ab, und da bist du mit deinem Goth-Tick eine gewaltige Verbesserung, das kann ich dir sagen! Aber eigentlich siehst du gar nicht mehr so gothmäßig aus, seit du dir die Haare schneiden und rotbraun hast färben lassen …«
Ich wühlte in meinem Rucksack und war so frustriert, weil ich den Schlüssel immer noch nicht gefunden hatte, dass es ein paar Sekunden dauerte, bis ich merkte, dass Geoff nicht mehr auf mich einredete. Ich schaute mich um und riss überrascht die Augen auf, als ich sah, wie ein großer Kerl mit schwarzem Overall Geoff in einen Van verfrachten wollte.
»Grundgütige!«, rief ich, ließ meinen Rucksack fallen und rannte auf den Wagen zu. »Aufhören! Hilfe! Kann uns jemand helfen? Meine Freundin wird entführt!«
Der Mann hielt Geoff den Mund zu. »Mrmpf!«, machte sie und wehrte sich heftig, und ich sah die Panik in ihren Augen. Hinten in dem Van saß noch ein Mann, der ihre Beine packte, als sie versuchte, den Kerl zu treten, der sie festhielt.
»Hilfe!«, rief ich wieder, aber die Straße, in der es sonst immer von Menschen wimmelte, war wie ausgestorben. Es war an mir, Geoff zu retten. Als der Fahrer den Motor aufheulen ließ, sprang ich, ohne nachzudenken, in den Van und landete auf Geoff und dem ersten Mann, der gerade die Tür zuknallen wollte.
»Lass sie los!«, knurrte ich und ballte die Hand zur Faust, wie Ben es mir vor vielen Jahren gezeigt hatte. »Sonst wird es dir noch sehr, sehr leidtun!«
»Dir wird es leidtun«, sagte der Mann mit einem schweren skandinavischen Akzent. Das rote Leuchten in seinen Augen verriet mir, dass er kein normaler Entführer war. »Der Herr will sie haben. Fort mit dir!«
Bevor ich ihm eine verpassen konnte, versetzte mir der Mann einen Stoß, und ich kippte nach hinten. Um nicht zu stürzen, versuchte ich, mich an ihm festzuhalten, bekam jedoch nur seine Halskette zu fassen und fiel aus dem Van. Die Landung war so unsanft, dass ich ein paar Sekunden bewusstlos liegen blieb. Als ich wieder zu mir kam und mich umsah, war die Straße leer.
»Der Herr«, wiederholte ich, rappelte mich mühsam auf und humpelte auf den Gehsteig. Vor fünf Jahren hatte ich zum ersten Mal von ihm gehört. »Das kann doch nicht wahr sein! Was um alles in der Welt will er von Geoff? Ich war doch diejenige, der er Rache geschworen hat!«
Ich betrachtete die goldene Kette in meiner Hand. Wegen meiner Handschuhe spürte ich lediglich ihr Gewicht. Ich hätte sofort die Polizei informieren sollen. Ich hätte schreien sollen, bis mir jemand zu Hilfe gekommen wäre. Ich hätte Geoff von jemandem mit magischen Kräften retten lassen sollen. Ich hätte …
»Verdammter Ochsenfrosch noch mal!«, fluchte ich, zog einen meiner schwarzen Spitzenhandschuhe und den dünnen aus Latex aus, den ich darunter trug, und atmete tief durch. Wenn derjenige hinter der Entführung steckte, den ich im Verdacht hatte, konnte die Polizei gar nicht helfen, was wiederum bedeutete, dass ich ganz allein herausfinden musste, wer Geoffs Entführung zu verantworten hatte.
Kaum hatte ich die Kette mit der bloßen Hand berührt, war mein Kopf voller Bilder. Ich sah Gesichter, die ich nicht kannte, dann ein einziges verwirrendes Durcheinander: Frauen, die altmodische Mieder und lange Röcke trugen, Männer, die brüllend mit gezogenen Schwertern an einer Küste entlangritten, und ein großes Bauwerk, das lichterloh brannte, während Schreie durch die Nacht hallten.
»Wenn das nicht Lokis Werk ist, vor gut einem Jahrtausend, dann weiß ich es auch nicht«, knurrte ich, steckte die Kette ein und zog die Handschuhe wieder an. Dann eilte ich die Straße hinunter auf eine große Kreuzung zu. An der Bushaltestelle blieb ich unschlüssig stehen, doch die Zeit war knapp. Wenn das, was ich bei der Berührung der Kette gespürt hatte, wahr war – und ich hatte keinen Grund, an meinen psychometrischen Fähigkeiten zu zweifeln –, dann wollten sie Geoff schon in wenigen Stunden zum Flughafen bringen. Mir blieb nicht mehr viel Zeit, um die Lagerhalle zu erreichen, die sie benutzten.
»In so einer Situation ist Prasserei angesagt! Wenn die Entführung deiner Mitbewohnerin kein Grund ist, Geld auf den Kopf zu hauen, was dann?«, murmelte ich vor mich hin und hielt nach einem Taxi Ausschau. Als ich endlich eins ergattert hatte, erklärte ich der Fahrerin, wohin ich wollte. »Die genaue Adresse weiß ich nicht, aber es ist auf der Knowles Street. Eine große Lagerhalle mit einem Pinguin drauf.«
»Klingt nach dem ehemaligen Icy Treats«, sagte sie und tippte auf ihrem Laptop herum, bevor sie losfuhr. »Wird nicht lange dauern.«
Eine Viertelstunde später hielten wir einen halben Block von der Lagerhalle entfernt an. Ich befürchtete schon, ich wäre zu spät, aber dann entdeckte ich die Schnauze eines schwarzen Vans, die hinter einem Müllcontainer hervorschaute. Nachdem ich ausgestiegen war, hielt ich nachdenklich inne und nagte an meiner Unterlippe. »Ähm … Was würde es kosten, wenn Sie hier auf mich warten?«
»Wie lange dauert es denn?«, fragte die Fahrerin. Sie hatte leuchtend gelbes Haar – richtig gelbes, kein blondes – und so viele Piercings im Gesicht, dass ich sie gar nicht alle zählen konnte.
»Ich weiß nicht. Vielleicht zehn Minuten?«
Sie nannte mir einen Betrag. »Aber die Fahrt bis hierher müssen Sie sofort zahlen. Das ist Vorschrift. Ich darf Kunden nicht ohne Bezahlung gehen lassen.«
Angesichts der Summe, die sie haben wollte, fuhr ich zusammen, zuckte jedoch im Geist mit den Schultern und gab ihr das Geld. »Warten Sie bitte! Ich beeile mich.«
»Zehn Minuten, dann bin ich weg«, entgegnete sie, stieg aus und lehnte sich gegen ihr Taxi. »Ich wollte sowieso eine rauchen.«
Ich nickte, lief zu dem Müllcontainer und spähte vorsichtig in schönster James-Bond-Manier um die Ecke. In dem Van saß niemand, und die Fenster der Lagerhalle waren mit Brettern vernagelt. Ich betete, dass es kein Hightechsicherheitssystem in der Halle gab, als ich an der Wand entlang auf eine Tür zulief. Unterwegs hob ich ein dickes Metallrohr vom Boden auf. Ich wog es in der Hand und überlegte, ob ich mich wirklich dazu überwinden konnte, es zu benutzen, doch dann erinnerte ich mich an die Angst in Geoffs Augen und umklammerte es entschlossen. »Wenn sie verletzt ist, wirst du ein ziemlich bedauernswerter Gott sein!«, knurrte ich vor mich hin.
Die Tür quietschte etwas, als ich sie einen Spalt öffnete, und ich hielt erschrocken die Luft an, aber aus der Lagerhalle war kein Laut zu hören, und als ich hineinspähte, war auch niemand zu sehen. Ich schickte rasch ein Stoßgebet an Gott und Göttin, durch das ich laut meiner Mutter immer geschützt sein würde, und machte mich auf alles Mögliche gefasst, während ich durch die Tür schlüpfte.
Die Halle war so gut wie leer; ein riesiges altes Gebäude voller Schwärze und ein bisschen Geraschel, das ich Nagetieren zuordnete. Ich hatte keine Angst vor Ratten und Mäusen – für mich gaben Zweibeiner in der Regel viel mehr Anlass zur Sorge. Doch dass es in der Halle relativ still war, beunruhigte mich. War ich zu spät gekommen? Hatten die Männer Geoff etwa mit einem anderen Auto weggebracht?
Als ich mich nach rechts wandte, wo ich die Umrisse einer Treppe ausmachte, erstarrte ich, denn ich hörte plötzlich leise Männerstimmen. Mit dem Rohr in der Hand tastete ich mich langsam die Stufen hoch.
Am oberen Ende der Treppe angekommen, hörte ich die Stimmen viel deutlicher. Ich reckte vorsichtig den Kopf, weil ich wissen wollte, wie viele sie waren. In einem kleinen bläulich weißen Lichtkegel standen drei Männer um eine Person herum, die an einen Stuhl gefesselt war.
Drei gegen eine. Keine besonders guten Aussichten. Aber ich wollte nicht, dass Loki sich meine Mitbewohnerin holte. Ich atmete noch einmal tief durch, hob das Rohr und stürmte in den Raum. Dabei rief ich einen Schutzzauber, der nur aus einem Wort bestand und den meine Mutter mich gelehrt hatte. »Salvatio!«
Der erste Mann ging zu Boden, bevor ich überhaupt begriff, dass ich ihm eins mit dem Rohr übergezogen hatte.
»Oh mein Gott!«, schrie Geoff, als ich fassungslos stehen blieb und den Mann anstarrte, der zu meinen Füßen lag. »Das war fantastisch!«
Die anderen beiden Männer konnten es offensichtlich auch nicht glauben, denn sie glotzten ihren Kumpel mehrere Sekunden lang an, bevor sie mich mit erstauntem Blick musterten.
Doch dann fassten sie sich rasch wieder. Der Typ, der mich aus dem Van geschubst hatte, rief etwas in einer nordischen Sprache und kam auf mich zu.
»Ich kann gar nicht glauben, was ich hier tue«, sagte ich zu ihm, wich ihm aus und schwang das Rohr. Es traf seinen Hinterkopf mit einem metallischen Rums, von dem mir übel wurde. »Ich bin wahrlich keine Schlägerin. Ich verprügele niemanden. Niemals! Gut, okay, vielleicht mal ein paar Dämonen, aber die zählen nicht.«
»Dafür lässt dich der Herr mit deinem Leben bezahlen«, sagte der dritte Typ und knallte mich gegen die Wand.
»Mach ihn fertig! Schlag ihm den Schädel ein!«, feuerte mich Geoff an und hoppelte mit ihrem Stuhl auf uns zu.
»Okay«, stieß ich hervor und versuchte, dem Kerl eine mit dem Rohr zu verpassen, aber weil er gesehen hatte, was mit seinen Kollegen passiert war, hielt er meinen Arm gut fest. Seine Finger schlossen sich um meinen Hals, und schwarze Punkte begannen vor meinen Augen zu tanzen. »Sag deinem Herrn, dass er Geoff nicht haben kann! Wenn er sich mit jemandem anlegen will, soll er sich an mich wenden, und das ist ihm beim letzten Mal nicht gut bekommen!«
Der Mann hörte auf, mich zu würgen, und sah mich verwirrt an. »Wer bist du?«, fragte er.
Ich zog das Knie hoch und rammte es ihm in die Weichteile, während ich ihn gleichzeitig kräftig in den Arm biss. Er ging fluchend in die Knie, und ich holte mit dem Rohr aus. »Ich bin Francesca Ghetti, die Verwahrerin des Vikingahärta und Lokis schlimmster Albtraum!«
»Super, Fran!«, jubelte Geoff. Ihre Worte brachten mich irgendwie zur Vernunft. Ich merkte, dass ich atemlos keuchte. Das Blut rauschte mir in den Ohren, und mein Herz klopfte wie verrückt. Ich betrachtete den Mann einen Moment und spielte mit dem Gedanken, auch ihm den Schädel einzuschlagen, aber dann trat ich ihm nur fest auf den Fuß, sodass er aufjaulte, und wich ihm mit einem Satz aus, als er versuchte, mich zu packen.
»Da hinten liegt ein Schablonenmesser«, sagte Geoff und wies mit dem Kopf auf einen alten Tisch. »Ich sehe es mir schon seit zehn Minuten an und überlege, wie ich drankomme. Oh nein, mein Freund, du wirst nicht aufstehen!«
Während ich mir das Messer holte, trat Geoff nach dem Entführer, der sich gerade aufrappelte. Er heulte auf, als sie einen Volltreffer in sein Gemächt landete.
»Autsch, das muss wehtun«, murmelte ich und schnitt die Nylonschnur durch, mit der Geoff an den Stuhl gefesselt war. »Der Arme! Damit ist für ihn die Familienplanung wohl abgeschlossen.«
»Der Arme? Spinnst du? Das ist ein Entführer! Bist du sicher, dass du ihm nicht doch eins überziehen willst?«, entgegnete Geoff, nachdem ich sie befreit hatte. Sie rieb sich die Handgelenke und funkelte den sich windenden Mann böse an. Einer der anderen begann leise zu stöhnen und Arme und Beine zu bewegen.
»Ja, ich bin sicher. Verschwinden wir von hier, bevor die anderen beiden zu sich kommen!«
»Okay, aber es würde dir wirklich niemand verübeln, wenn du sie noch ein bisschen aufmischen würdest …«
Wir schafften es aus der Halle, bevor sich der Typ mit dem lädierten Gemächt die Treppe hinunterschleppen konnte. Ich packte Geoff ohne lange Erklärung am Arm und schleifte sie zu dem Taxi. Die Fahrerin war gerade im Begriff, wieder einzusteigen.
»Bringen Sie uns zur Woodline Avenue 1021«, sagte ich zu ihr und schubste Geoff in den Wagen. »Machen Sie schnell!«, fügte ich mit einem Blick über meine Schulter hinzu.
Die Tür der Lagerhalle ging auf, und zwei Männer kamen herausgewankt. Ich war erleichtert, dass ich ihnen keinen bleibenden Schaden zugefügt hatte, und hoffte, dass auch der Dritte keine schweren Verletzungen hatte. Die Taxifahrerin nahm die Männer kurz in Augenschein, dann sah sie mich im Rückspiegel an. »Sind Sie irgendwie in Schwierigkeiten?«
»Nein. Aber jemand anders wird welche bekommen«, entgegnete ich grimmig.
»Alles klar!« Sie ließ den Motor an, gab Gas und machte eine äußerst gesetzwidrige Kehrtwendung. Die Kerle brüllten hinter uns her, doch einen Augenblick später rasten wir schon die Straße hinunter.
Ich lehnte mich in meinem Sitz zurück und atmete geräuschvoll aus.
»Willst du mir vielleicht mal erklären, was hier Sache ist?«, fragte Geoff und untersuchte ihre Handgelenke.
»Ähm … eigentlich nicht.«
»Die haben gedacht, ich wäre du«, sagte sie und musterte mich aufmerksam.
»Was?«
Sie nickte. »Sie haben mich Francesca genannt. Wahrscheinlich weil ich die gleiche Frisur habe, wie du sie früher hattest. Sie haben gesagt, der Herr will dich sehen und dass sie mich zu ihm bringen. Was zum Teufel ist hier los, Fran? Wer waren diese Schläger? Und warum wollten sie dich entführen und zu so einem Bondage-Typ bringen? Moment mal – war das überhaupt eine Entführung?«
»Bondage-Typ?«, fragte ich und wunderte mich darüber, wie sie darauf kam.
»Der Herr, haben sie gesagt. Worum soll es denn sonst gehen, wenn nicht um Bondage?« Sie musterte mich erneut. »Weißt du, ich hatte ja keine Ahnung, dass du auf so was stehst. Ich persönlich fahre nicht drauf ab, aber Freunde von mir haben da so einen kleinen Club in der Stadt …«
Ich hob rasch die Hand. »Ich stehe nicht auf Bondage. Und der Herr, um den es hier geht, hat auch nichts mit Bondage zu tun. Zumindest glaube ich das. Er ist ein alter Mann. Ein ziemlich alter Mann.« Er hatte mindestens ein paar Tausend Jahre auf dem Buckel. »Er ist … ähm …«
Geoff hob fragend eine Augenbraue, und ich überlegte fieberhaft, was ich sagen sollte. Nachdem ich schon fast ein Jahr mit ihr zusammenwohnte, wusste ich, dass sie bei allem ausflippte, was auch nur entfernt mit dem Übernatürlichen zu tun hatte. Und das würde sie zweifelsohne auch tun, wenn ich ihr sagte, dass die alten nordischen Götter gesund und munter waren und nach Rache dürsteten.
Zumindest einer von ihnen.
»Was ist er?«, drängte Geoff.
»Er ist …« Ich gab auf. »Du hast recht, er steht wirklich auf Bondage.«
»Ich wusste es! Ich wusste, dass du nicht nur Bakterienfetischistin bist! Das war also ein Rollenspiel? Wow, echt abgefahren! Ich gebe dir nachher die Nummer von Herrin Dominica, wenn du willst, aber wahrscheinlich hast du ja deine eigenen Kontakte. Bist du ein Top oder ein Bottom?«
Ich stutzte. »Ähm …«
»Ein Bottom. Ich wusste es! Ich bin eher ein Top, aber wie ich schon beim Einzug sagte, musst du keine Angst haben, dass ich versuche, dich zu verführen.« Sie lächelte die Fahrerin, die einen überraschten Blick in den Rückspiegel warf, freundlich an. »Also, ich muss schon sagen, dieses Rollenspiel war echt eine reife Leistung! Wenn die Typen deine Freunde sind, werde ich Daddys Anwälte wohl doch nicht auf sie hetzen, aber ehrlich gesagt fand ich sie schon ein bisschen grob, besonders den einen, der dich gegen die Wand geknallt hat. Es ist natürlich etwas anderes, wenn dir das gefällt.« Sie sah mich prüfend an.
Ich lächelte matt und verbrachte den Rest der Fahrt damit, über die Frage nachzudenken, warum der rachsüchtige nordische Gott Loki plötzlich wieder in meinem Leben aufgetaucht war.
2
»Und? Gefunden?«
»Nein, er ist weg. Nur mein Portemonnaie habe ich noch. Das hatte ich mitgenommen.« Ich ließ mich auf mein Bett fallen und dachte ernsthaft daran loszuheulen, aber ich war einfach nicht der Typ dafür. Davon bekam ich nur einen heißen Kopf und eine verstopfte Nase. »Mein Handy, meine Bücher, meine Schlüssel, alles weg! Das Schlimmste ist, dass ich selbst schuld bin – ich hätte den Rucksack mitnehmen und nicht vor der Tür liegen lassen sollen. Aber es ging alles so schnell, dass ich mir nur mein Geld geschnappt habe und hinter dir her bin.«
»Tut mir leid, dass dein Rollenspiel derart in die Hose gegangen ist, Fran«, sagte Geoff und klopfte mir auf die Schulter. »Du solltest dir von deinem Bondage-Kumpel wenigstens den Schaden ersetzen lassen. Er hat die ganze Geschichte schließlich vermasselt.«
Die Vorstellung, Geld von Loki zu verlangen, war ziemlich komisch, aber ich verkniff mir ein Grinsen. »Äh … ja.«
»Aber wenn du ihm erklärst, dass du eine neue Frisur hast, wird so etwas bestimmt nicht noch mal passieren. Und wer weiß? Vielleicht bin ich nächstes Jahr wieder blond, obwohl mir der schwarze Look eigentlich ziemlich gut gefällt. Das sieht so dramatisch und vampirmäßig aus und so weiter.«
Ich sah ruckartig auf, aber sie werkelte geschäftig in unserer kleinen Küche herum.
»Apropos nächstes Jahr …« Ich biss mir auf die Lippen und schaute ihr zu, wie sie den Wasserkocher füllte. »Ich weiß, ich habe gesagt, dass ich bestimmt noch ein paar Jahre hierbleibe, aber mir ist klar geworden, dass es an der Zeit ist weiterzuziehen. Ich habe einen IT-Job im Büro meines Vaters angenommen. Und ich fange da an, sobald ich mit der Website für die Tierklinik fertig bin.«
»Du willst umziehen?« Geoff wirkte überrascht, aber nicht erschüttert, was mich erleichterte. Es war sicher leicht für sie, in einer Universitätsstadt eine neue Mitbewohnerin zu finden.
»Ja, nach Kalifornien.« Meine Hände fühlten sich unter den zwei Handschuhschichten ziemlich warm an, und ich strich nervös über meine Jeans. Seit dem letzten Streit mit Ben vor fast einem Jahr war ich immer unglücklicher und ruheloser geworden. »Ich habe schon eine ganze Weile darüber nachgedacht und glaube, ich brauche eine Veränderung. Eine andere Beschäftigung, ein anderer Ort, ein anderer …«
Mein Blick fiel auf die Kommode am Fußende meines Betts. Geoff war nicht entgangen, dass ich das Foto von Ben weggeräumt hatte, das früher darauf gestanden hatte. Jetzt lag es in meiner Unterwäscheschublade, denn sein Anblick schmerzte mich zu sehr. Und als ich mich nun an unseren Streit erinnerte, holte mich der Schmerz wieder ein.
»Was verlangst du denn noch von mir, Fran? Du hast gesagt, du brauchst Zeit für dich, und du hast sie bekommen. Du wolltest studieren, und ich habe alle Regeln befolgt, die du aufgestellt hast, und wir haben uns nur einmal im Jahr gesehen. Und jetzt willst du nicht mal mehr das?«
»Es ist nicht so, dass ich dich nicht sehen will«, hatte ich entgegnet, aber das Ganze war am Telefon nicht so leicht zu erklären. Ein Teil von mir sehnte sich schrecklich nach ihm, aber ich wusste, ich musste hart bleiben. Ich musste mir mein Leben wieder zurückholen. »Ich will doch nur ein bisschen Zeit, Ben.«
»Du hattest schon genug Zeit! Es ist jetzt vier Jahre her, dass du den Gothic-Markt verlassen hast, Fran. Du bist meine Auserwählte, ich brauche dich. Ich kann ohne dich nicht leben. Du bist die Einzige, die mich erlösen kann. Warum begreifst du das nicht?«
Und dann war ich in die Luft gegangen. »Ich begreife es sehr wohl! Mir passt die ganze Sache mit der Auserwählten nur nicht! Ich will nicht mit dir zusammen sein, weil ich es muss, Ben! Ich will nicht nur wegen einer merkwürdigen Laune des Schicksals an dich gebunden sein. Ich will selbst entscheiden und mir meinen Mann selbst aussuchen! Ich will sicher sein, dass der Mann, mit dem ich mein Leben verbringen werde, der Richtige für mich ist, weil unsere Herzen sagen, dass wir zusammengehören – und nicht, weil es in irgendeinem Masterplan festgelegt wurde. Ist das so falsch?«
»Woher willst du wissen, dass unsere Herzen es nicht sagen?«, erwiderte er.
»Liebst du mich, Ben? Kannst du mir hier und jetzt sagen, dass du mich über alle Maßen liebst?«
»Du bist meine Auserwählte«, stieß er zornig hervor. »Ich kann nicht anders, als dich zu ehren und zu lieben.«
Seine Worte bohrten sich wie Eissplitter in mein Herz. »Du kannst nicht anders, als mich zu lieben – genau das meine ich, Ben. Keiner von uns hatte bei dieser Beziehung die Wahl! Auch du hast dich nicht aus freien Stücken dafür entschieden. Gerade ging jeder noch seiner eigenen Wege, und im nächsten Augenblick waren wir fest miteinander verbunden, ohne dass einer von uns es gewollt hätte. Plötzlich war es einfach so. Aber das genügt mir nicht. Damit gebe ich mich nicht zufrieden.«
Auf meine Tirade folgte Schweigen; ein Schweigen, das so erfüllt von Schmerz war, dass ich fast nachgegeben hätte. »Du willst mich nicht.«
Ich atmete tief durch. »Ich will selbst entscheiden. Ich will nicht einem Mann zugeteilt werden und gesagt bekommen, dass ich mein Leben mit ihm verbringen muss, nur weil es eine innere Verbindung zwischen uns gibt. Ich will mich verlieben, nicht gesagt bekommen, dass ich lieben muss. Ich will mein Schicksal selbst bestimmen und nicht einfach so hinnehmen, was das Leben mir vorsetzt!«
Bens Stimme war matt und ausdruckslos, so kalt wie der Polarwind. »Wie du wünschst. Lebe wohl, Fran.«
Ich schloss die Augen, als ich daran dachte, wie weh es getan hatte, diese Worte zu hören und zu wissen, dass es die letzten sein sollten, die ich je von ihm hören würde. Das ganze Jahr, das seit dem Anruf vergangen war, hatte ich mich damit gequält, meine Entscheidung zu hinterfragen. War es richtig gewesen, die Beziehung mit Ben zu beenden? Litt er unter der Trennung, oder war sie auch für ihn eine Befreiung? Seinerzeit, als naive Sechzehnjährige, hatte ich gedacht, ich wäre unsterblich in ihn verliebt. Aber auch damals schon hatte es mir nicht gepasst, zu einer unwiderruflichen Verpflichtung gedrängt zu werden, ohne zu wissen, was ich eigentlich wollte.
»Ist es denn zu viel verlangt, wenn ich mein Leben selbst bestimmen will?«, fragte ich traurig und wischte eine Träne fort.
»Nein, aber manchmal läuft es eben anders.« Geoff reichte mir eine Tasse Tee. »Manchmal ist das Leben unerfreulich und verwirrend und bringt dich zum Heulen, und dann musst du dich wie verrückt anstrengen, um die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Wirst du deinen Freund noch mal sehen?« Ich wollte protestieren, aber sie fuhr unbeirrt fort: »Ja, ich weiß, du sagst immer, er ist nicht dein Freund, aber wenn er dir nichts mehr bedeuten würde, hättest du sein Foto nicht in deiner Unterwäscheschublade.«
»Er ist … also … Nein. Ich habe meine Entscheidung getroffen. Ich bin sicher, es ist besser so.«
»Das hoffe ich!« Sie öffnete die Schublade und holte Bens Foto heraus. »Aber ich muss sagen, er ist wirklich zum Anbeißen.« Sie studierte das Bild eingehend. »Und in echt sieht er noch besser aus, hast du gesagt?«
»Ja.« Das Foto zog meinen Blick auf sich, obwohl ich es so oft angestarrt hatte, dass es für immer in mein Gedächtnis eingebrannt war. Ein kleines Lächeln spielte um Bens sinnliche Lippen, und obwohl sein Gesicht halb im Schatten lag, waren die Wärme in seinen goldbraunen Augen, die Sturheit, die aus seinem markanten Kinn sprach, und sein herrliches pechschwarzes Haar, das er zum Zopf gebunden hatte, gut zu sehen. Wenn ich ihn nur anschaute, kribbelte es mich am ganzen Körper, und mein Herz begann laut zu klopfen.
»Es überrascht mich, dass du ihn verlassen hast«, sagte Geoff leise und sah mich an.
Ich versuchte, den Schmerz abzuschütteln, der mich jedes Mal überwältigte, wenn ich an ihn dachte. »Das musste ich. Er wollte, dass ich mich zu etwas verpflichte, wozu ich nicht bereit war. Und alle anderen wollten auch, dass ich es tue. Gut, alle außer meiner Mutter, die immer gesagt hat, dass ich mich von dieser Beziehung befreien müsse, weil sie nicht gut für mich sei.«
Geoff verdrehte die Augen. »Das kenne ich! Im Vergleich zu meiner letzten Freundin ist Carmen regelrecht eine Erholung. Ich musste am Ende sogar eine einstweilige Verfügung gegen sie erwirken, weil sie anfing, mich zu stalken. Das war wirklich gruselig! Ich verstehe ja, dass du Ben damals verlassen hast, weil man mit siebzehn echt eine verrückte Zeit durchmacht, aber bist du sicher, dass du ihn nie wiedersehen willst? Ich meine, inzwischen bist du erwachsen. Vielleicht wäre es jetzt anders.«
»Nein, nichts wäre anders.« Ich wäre immer noch seine Auserwählte. Wir wären immer noch wegen dieser merkwürdigen Laune des Schicksals aneinander gebunden und nicht aus freien Stücken.
»Tja, ich wünsche dir jedenfalls viel Glück. Ich würde niemals bei meinem Vater einziehen. Er ist total streng. Er behandelt mich immer noch wie eine Zwölfjährige.«
Ich verzog das Gesicht. »Mein Vater ist da nicht anders, aber ich wohne ja nur ein paar Wochen bei ihm, bis ich eine eigene Wohnung gefunden habe. Meine Mutter wird allerdings nicht sehr erfreut darüber sein. Sie hält meinen Vater für den Leibhaftigen, und ihre Nachfolgerin kann sie nicht ausstehen.«
»Ja, meine Mutter hasst die jetzige Mrs Widden auch wie die Pest. Ich wünschte, mein Vater würde endlich mit dem Frauensammeln aufhören und dauerhaft mit einer zusammenbleiben.«
»Also, meine Mutter wird mich nicht davon abhalten können«, sagte ich. »Höchstens mit einem Zauber«, fügte ich leise hinzu.
»Höchstens was?«
»Ach, nichts.« Ich ließ mich wieder auf mein Bett sinken und zählte im Geist die Tage. Noch zwei Wochen, dann war ich mit der Website fertig, an der ich in den vergangenen drei Monaten gearbeitet hatte. Dann konnte ich Oregon verlassen und ein neues Leben anfangen.
Aber warum stimmte mich dieser Gedanke nicht viel fröhlicher?
»Als hätte ich mir das nicht denken können!«, sagte Geoff mit einem übertriebenen Seufzer und zog ihr Handy aus der Tasche, auf dem in diesem Moment eine neue SMS eingegangen war. »Ich habe endlich eine normale Mitbewohnerin gefunden, und schon verlässt du mich wieder!«
»Tut mir leid, dass ich dich hängen lasse.«
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung und steckte ihr Handy wieder ein. »Es ist dein Leben, und du hast das Recht, es so zu leben, wie du willst. Verdammt, sie dreht schon wieder durch. Viel Ruhe hat sie mir ja nicht gegönnt. Aber ich gehe besser mal nachsehen, was sie jetzt wieder hat. Bis später!«
»Bis dann«, sagte ich und begann im Geist schon einmal für das Telefonat mit meiner Mutter zu üben. Irgendwie hatte mich eine merkwürdige Unruhe befallen. Vielleicht sollte ich es ihr sofort sagen und nicht warten, bis ich in Kalifornien war. »Das wird wahrhaftig kein einfaches Gespräch«, murmelte ich vor mich hin und verstaute Bens Foto wieder in der Schublade. »Da kann ich mich genauso gut gleich in mein Martyrium stürzen.«
Ich wollte mein Handy holen, doch dann fiel mir wieder ein, dass es mitsamt meinem Rucksack verschwunden war. »Verflixt! Jetzt muss ich warten, bis Geoff zurückkommt.«
Ich nutzte die Zeit, um unten in der Buchhandlung nachzufragen, ob mein Rucksack vielleicht dort abgegeben worden war (was nicht der Fall war), dann rief ich vom Ladentelefon aus die Polizei an und meldete ihn als gestohlen. Ich musste mir einen Vortrag darüber anhören, dass man Wertgegenstände nicht einfach so draußen herumliegen lässt, dann kehrte ich in die Wohnung zurück und fragte mich, warum mein Leben auf einmal so chaotisch geworden war.
»Ach, du liebe Göttin!«
Ich starrte ungläubig den Mann an, der sich mit einer Hühnerkeule in der Hand von dem kleinen alten Kühlschrank neben dem Fernseher abwendete. Er war groß, hatte schulterlanges hellblondes Haar und blaue Augen, die schon mehr von der Vergangenheit gesehen hatten, als ich mir überhaupt vorstellen konnte. »Eirik? Eirik Redblood?«
»Göttin Fran! Wir freuen uns so, dich wiederzusehen! Du hast dich aber gut entwickelt!« Ein anderer Mann kam aus unserem kleinen Badezimmer und wischte sich die Hände an seinem Leinenhemd ab. Er war stämmiger als der erste, groß und stattlich, und hatte einen langen dunkelbraunen geflochtenen Bart.
»Isleif? Was …?«
»Sie freut sich, uns zu sehen«, sagte eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich ruckartig um und starrte verdattert den dritten Mann an. Auch er war groß und kräftig, doch sein Haar war hellbraun, und er hatte einen Schnauzer und einen kurzen Spitzbart, die ihm ein schurkisches Aussehen gaben. »Finnvid!«
»Jawohl, sie freut sich«, sagte Eirik, der Wikingergeist, und runzelte die Stirn, als Finnvid meine Hand nahm und seine höchst realen Lippen auf meine Fingerknöchel presste. »Schmeiß dich nicht so an die Göttin ran, Finnvid! Das schickt sich nicht!«
»Entschuldigung.« Finnvid zwinkerte mir zu und in seinen braunen Augen lag ein Funkeln, an das ich mich nur allzu gut erinnern konnte.
»Was macht ihr denn hier?«, fragte ich und versuchte in meinen Kopf zu kriegen, dass plötzlich drei Wikingergeister –meine drei Wikingergeister – mitten in meiner Wohnung aufgetaucht waren. »Seid ihr denn nicht in der Walhalla? Haben euch Gunn und ihre Walküren nicht dort hingebracht? Sie hat euch doch mitgenommen, daran erinnere ich mich genau!«
»Wir sind zurückgekehrt«, sagte Isleif nur.
»Freya hat uns geschickt, um dich um Hilfe zu bitten«, erklärte Eirik und wies mit der Hühnerkeule auf mich.
»Freya braucht meine Hilfe? Die Göttin Freya?«, fragte ich und erinnerte mich an eine äußerst missgestimmte, aber sehr schöne Frau.
»Ja. Frigg – das ist Odins Frau – hat Freya gebeten, sich um Loki zu kümmern. Da er immer noch versucht, sie an die Zwerge zu verkaufen, hatte sie schließlich die Nase voll und hat uns geschickt, damit wir dir helfen, ihn auf die Akasha-Ebene zu verbannen.«
Mir stand der Mund offen, als wollte ich Fliegen fangen. Ich sah Eirik verdutzt an und fragte mich, ob ich plötzlich verrückt geworden war. Dann streckte ich zögernd die Hand aus und berührte seine Brust. Er trug wie die anderen beiden Wikinger Kleidung aus Fell, Leder und Wolle. Jeder der Männer hatte ein Schwert auf dem Rücken und einen Dolch und eine Axt an der Hüfte.
Eiriks Augen leuchteten auf, als ich ihm an die Brust fasste. »Du wünschst dich endlich zu paaren, Göttin?«
»Nein!« Ich zog meine Hand ruckartig zurück, und mir fiel wieder ein, dass er ständig Dinge tun wollte, die ich höchstens mit Ben tun würde. »Nein, ich möchte mich nicht mit dir … äh … paaren.«
»Ah, verstehe, weil du es mit dem Dunklen machst. Er ist hier?« Die drei sahen sich suchend um.
»Nein. Ben ist in Europa.«
»In Europa?« Isleif verzog die Lippen und ließ sich vorsichtig auf Geoffs Sitzsack sinken. »Hattest du Streit mit deinem Mann? Dann geben wir dir einen guten Rat!«
»Nein, nein, nicht nötig«, sagte ich rasch, denn ihre Beziehungsratschläge kannte ich nur zu gut.
»Wir sind wirklich ausgezeichnete Ratgeber«, beteuerte Finnvid nickend. Dann half er Isleif, sich aufzurichten, der nach hinten gekippt war, weil er offensichtlich nicht gemerkt hatte, dass der Sack keine Rückenlehne hatte. »Ich selbst hatte fünf Frauen, Eirik hatte zwei, und Isleif war über tausend Jahre lang mit derselben Frau verheiratet.«
Isleif lächelte selbstgefällig.
»Wir sind Experten, was Frauen angeht«, sagte Eirik und ergriff meine Hand. »Wenn du uns von dem Streit erzählst, sagen wir dir, was du falsch gemacht hast.«
»Ehrlich, Leute, es ist alles in Ordnung. Ben und ich … also … wir sind gar nicht mehr zusammen. Er ist in Europa geblieben, als ich nach Hause gekommen bin, um ans College zu gehen. Und jetzt arbeite ich für eine Webdesign-Firma.« Ich musste gegen eine kleine Panik ankämpfen, die mich bei der Vorstellung befiel, von meinen drei wohlmeinenden Wikingern endlose Ratschläge in Bezug auf Ben zu bekommen.
»Nicht mehr zusammen?«, fragte Finnvid irritiert.
»Ja, aber egal. Erzählt mir von dieser Sache mit Freya. Warum will sie, dass Loki verbannt wird? Und was um alles in der Welt soll ich da machen?«
»Du bist die Göttin Fran, die Verwahrerin des Vikingahärta«, sagte Eirik und gab meine Hand frei, als ich sie ihm zu entwinden versuchte. »Freya weiß, dass du die Macht hast, Loki zu besiegen, denn das hast du in der Vergangenheit schon bewiesen.«
»Ich habe ihn im Grunde nicht besiegt«, entgegnete ich und dachte an die Ereignisse vor fünf Jahren zurück. »Wir waren sozusagen an einem toten Punkt angekommen. Und was das Vikingahärta angeht … ich habe es gar nicht.«
Die drei Wikinger starrten mich an. Eirik ließ vor Schreck seine Hühnerkeule fallen. »Du hast es nicht?«, fragte er und wischte sich zerstreut die Finger an seinem Wollkasack ab.
»Nein. Es ist in Europa. Ich habe es bei Imogen gelassen.«
»Imogen«, wiederholte Finnvid wehmütig und grinste. »Was habe ich sie vermisst!«
»Ja, ja …« Ich gab ihm mit einem Blick zu verstehen, dass ich ihm nicht glaubte, und sein Grinsen wurde nur noch breiter. »Sie bewahrt es für mich auf. Ich hatte das Gefühl, es wäre nicht richtig, es hierher mitzunehmen, und seit ich aus Europa weg bin, habe ich Imogen nicht mehr gesehen.«
»Dann musst du es dir holen«, sagte Eirik, hob die Hühnerkeule rasch vom Boden auf und pustete kurz darüber. Er sah offenbar, was für ein Gesicht ich machte, denn er sagte erklärend: »Fünf-Sekunden-Regel.«
Ich staunte nicht schlecht. »Du kennst die Fünf-Sekunden-Regel?«
Er zuckte mit den Schultern. »Odin hat viele Fernseher. Manchmal dürfen wir MythBusters – Die Wissensjäger gucken, und in einer Folge ging es um diese Regel.«
Ich hob abwehrend die Hände, denn ich hatte größte Mühe, mir eine Horde Wikingergeister vorzustellen, die vor einem Fernseher saßen. »Zurück zum Thema Loki, ja? Freya hat euch also geschickt, weil ich euch dabei helfen soll, ihn loszuwerden?«
»Jawohl. Es hat sie sehr beeindruckt, wie mutig wir schon einmal gegen ihn gekämpft haben«, sagte Isleif. Plötzlich leuchteten seine Augen auf und er wendete sich den anderen beiden zu. »Wir könnten doch mal wieder einen McDonald’s plündern!«
»McDonald’s!«, riefen Finnvid und Eirik wie aus einem Mund und strahlten vor Begeisterung.
»Untersteht euch! Ihr kennt die Regeln. Es wird nicht geplündert!«
Finnvid klopfte mir auf die Schulter. »Kein Grund, zornig zu werden, Göttin Fran. Freya hat Eirik ganz viel Gold mitgegeben, das wir ausgeben können.«
Eirik zog eine Kreditkarte aus der Tasche. »Wir haben Wieselgold!«
»Das ist eine Visa-Goldkarte, das hat nichts mit Wieseln … ach, egal. Macht bitte immer von ihr Gebrauch, wenn ihr etwas haben wollt, und verzichtet auf Raubzüge!« Ich holte tief Luft. »Ich weiß überhaupt nicht, warum Freya denkt, ich könnte Loki verbannen, und ehrlich gesagt hätte ich auch lieber meine Ruhe!«
»Göttin Freya wünscht, dass du Loki so schnell wie möglich verbannst«, erklärte Isleif und versuchte mit den Armen rudernd von dem Sitzsack aufzustehen. Eirik und Finnvid durchforsteten inzwischen den Kühlschrank und sahen sich meine Joghurts und Geoffs Brathähnchenreste an. Ich reichte Isleif die Hand und stemmte meine Füße fest in den Boden, um ihm aufzuhelfen, was gar nicht so einfach war, denn um ein Haar wäre ich dabei auf ihn gefallen. »Er verjagt die Delfine.«
Allmählich war ich es leid, ständig dumm aus der Wäsche zu glotzen und zu staunen, aber was sollte ich angesichts einer so seltsamen Äußerung sonst tun? »Hä?«
»Er verjagt die Delfine. Rieche ich da etwa Hühnchen? Großartig! Ich bin ziemlich hungrig. Ich brauche ein ganzes für mich allein.«
»Welche Delfine?«, fragte ich und zupfte Isleif am Ärmel seines Leinenhemds, das er unter dem Wollkasack trug.
»Die in Asgard.« Er runzelte die Stirn, als Finnvid ihm einen Zitronenjoghurt reichte. »Kein Hühnchen mehr da?«
»Das isst Eirik gerade auf.«
»Die Göttin besorgt uns mehr«, sagte Eirik mit vollem Mund.
»Die Göttin wird den Teufel tun! Ihr müsst euch schon selbst versorgen.«
»Sie hat recht«, sagte Finnvid, während er an einem Flügel nagte. »Wir haben ja das Wieselgold.«
»Fettarm? Ich will nichts Fettarmes!«, tat Isleif kund, als er den Joghurt genauer unter die Lupe nahm. »Ich brauche Fett, damit mir meine Kraft erhalten bleibt.«
»Es gibt Delfine in der Walhalla?«, fragte ich Eirik.
»Nein, in der Walhalla gibt es Kämpfe und Blut und Biermädchen«, erklärte er. »Die Delfine sind in Asgard.«
»Aber ich dachte …« Ich hielt verwirrt inne.
»Die Walhalla ist ein Teil von Asgard. Vor einigen Jahren hat Odin es auf die Bahamas verlegt, weil Frigg mit den Delfinen schwimmen wollte.«
»Euer nordisches Himmelreich ist auf den Bahamas?«, fragte ich ungläubig.
»Habe ich doch gerade gesagt. Und Loki verjagt die Delfine. Frigg ist ziemlich sauer auf ihn und wollte ihn aus Asgard verbannen lassen, aber Odin hat sich geweigert. Er sagte, dass Loki bei den anderen Asen sehr an Ansehen verloren hat, als du ihn besiegt hast, und dass es grausam wäre, ihm Asgard zu nehmen.«
»Ich habe ihn doch gar nicht besiegt! Es war eine Pattsituation.«
Eirik zuckte mit den Schultern, zerbrach die Hühnerknochen und lutschte sie aus. »Die Götter sehen das anders. Loki läuft die ganze Zeit stinksauer in Asgard herum und erzählt etwas von Rache. Frigg hat Freya um Hilfe gebeten, und sie hat sich an uns gewendet und uns angewiesen, dich bei dieser Aufgabe zu unterstützen. Deshalb hat sie uns feste Körper gegeben – damit wir dir helfen können.«
Ich ließ mich auf mein Bett sinken. Eirik setzte sich, an einem Hühnerknochen lutschend, neben mich. »Ich wünschte, ich könnte euch helfen, aber ich weiß nicht, wie. Ich habe das Vikingahärta nicht, und selbst wenn ich es hätte, würde Loki sich wahrscheinlich nicht damit verbannen lassen.«
»Wir werden uns einen Plan ausdenken«, sagte Isleif und runzelte missbilligend die Stirn, als Finnvid einen Becher Joghurt ansetzte und in einem Schluck leerte. »Aber wir werden einiges an Ausrüstung brauchen. Das können wir uns mit dem Wieselgold besorgen.«
»Ich brauche auf jeden Fall einen Laptop«, sagte Finnvid und wischte sich den Mund ab. »Ich habe meinen in der Walhalla vergessen.«
»Wir brauchen alle drei neue Speere und Schilde. Und die Göttin braucht eine Damenaxt zum Köpfen, denn letztes Mal, als wir für sie einkaufen waren, haben wir ihr keine mitgebracht«, sagte Eirik und nickte in meine Richtung.
»Oh nein, nicht schon wieder«, stöhnte ich und hätte mich am liebsten irgendwo in einem Mauseloch verkrochen.
»Ich brauche einen neuen Bogen, weil meine Frau Birta mir meinen über den Schädel gezogen hat, als ich ihre Katzen abschießen wollte. Dabei ist er kaputtgegangen.«
Ich starrte ihn entsetzt an.
»Ich dachte, sie wären krank und müssten von ihrem Leiden erlöst werden«, sagte er beleidigt. »Ich wollte ihnen nur helfen, aber Birta hat das anders verstanden. Und dann hat sich herausgestellt, dass es nur Haarbüschel waren, die sie gequält haben.«
»Ich glaube, ich mag deine Frau«, sagte ich und sah ihn scharf an. »Sehr sogar.«
Er grinste. »Du würdest ihr auch gefallen, Göttin.«
»Das freut mich, aber ehrlich gesagt ist es völlig nebensächlich.« Ich stand vom Bett auf, verschränkte meine Hände und sah die drei Wikinger an. »Es gibt für mich keine Möglichkeit, aus der Sache rauszukommen, oder?«
»Nein«, sagte Eirik. »Wieso auch?«
Ich seufzte. »Also gut. Da Loki mit Geoffs Entführung das Kriegsbeil ausgegraben hat, habe ich wohl keine andere Wahl, als mich um ihn zu kümmern. Ich werde tun, was ich kann, um euch zu helfen – oder um mir von euch helfen zu lassen –, aber nicht sofort, weil ich auf der Arbeit erst noch ein großes Projekt abschließen muss. Wenn ich damit fertig bin, kann ich das Vikingahärta bei Imogen abholen, und dann legen wir los, okay? Fürs Erste war es schön, euch wiederzusehen, und wenn ihr in zwei Wochen noch mal reinschaut, kann ich euch sagen, wann wir abreisen.«
Sie sahen mich verwirrt an. »Noch mal reinschauen?«, fragte Finnvid.
Eirik schüttelte den Kopf. »Wir müssen bei dir bleiben«, sagte er. »Wir haben Freya geschworen, dir zu helfen.«
Ich geriet augenblicklich in Panik. »Ihr könnt nicht bei mir bleiben! Ich habe nur diese kleine Wohnung, und die teile ich mir mit einer anderen Frau! Hier ist kein Platz für euch, ganz zu schweigen davon, dass ihr ziemlich stören würdet!«
»Wir gehen erst wieder, wenn wir Loki verbannt haben«, sagte Eirik so unnachgiebig und entschlossen, dass sich mir der Magen zusammenzog. Die anderen beiden nickten.
»Aber was soll ich Geoff …«
Wie auf Kommando öffnete sich die Tür, und Geoff kam herein. Als sie die drei großen Kerle in Wikingerkluft sah, erstarrte sie. »Äh …«
»Ochsenfrosch noch mal!«, fluchte ich, ließ mich auf mein Bett plumpsen und vergrub das Gesicht in den Händen.
3
»Deine Fesseltruppe lässt sich aber wirklich was einfallen!«, staunte Geoff, während ich überlegte, wie ich der Hölle entrinnen konnte, zu der mein Leben plötzlich geworden war. »Wow! Das nenne ich doch mal fantasievolle Kostüme! Eine Mischung aus Mittelaltermarkt und Sadomaso. Die meisten Outfits, die ich bisher gesehen habe, bestanden nur aus Masken und Stringtangas und vielleicht noch ein paar Riemen. Aber deine Leute sind wirklich … interessant. Die Waffen gefallen mir richtig gut!«
»Was erzählt sie da von Fesseln?«, empörte sich Eirik. »Wir sind doch keine Sklaven! Wir sind die Herren der Sklaven!«
Geoff kam zu mir und raunte mir zu: »Ist das dein Ernst? Drei Tops und ein Bottom?«
»Das hat sie anders gemeint«, erklärte ich Eirik, bevor ich mich Geoff wieder zuwendete und sie prüfend ansah. »Sag mal, wie viel Geld müsste ich dir geben, damit du zwei Wochen lang verschwindest?«
»Verschwinden? Von hier?« Geoff wirkte keineswegs verärgert, sondern eher neugierig. »Warum? Oh mein Gott, du willst eine Bondage-Gruppenorgie veranstalten, oder?«
»Quatsch, keine Orgie«, sagte ich rasch und verzog das Gesicht, als Finnvid mich hoffnungsvoll ansah. »Und die drei gehören nicht zu meiner Bondage-Gruppe.«
»Wir feiern nur zu gern eine Orgie, wenn du es wünschst, Göttin«, sagte Eirik.
»Wenn sie nicht zu deiner Bondage-Gruppe gehören, wer sind sie dann?«, fragte Geoff. Diese Frage war, wie ich zugeben musste, durchaus angebracht.
»Wir sind Wikinger, Söhne der Walhalla, und wir sind gekommen, um der Göttin Fran zu helfen, den Lügengott Loki auf die Akasha-Ebene zu verbannen«, antwortete Eirik, bevor ich etwas sagen konnte.
»Aha, Schauspieler«, sagte Geoff mit wissendem Blick, zog ihre Jacke aus und holte sich ein Badetuch. »Ich wusste gar nicht, dass du in diesem Semester den Theaterkurs machst, aber tobt euch nur aus! Ich gehe erst mal unter die Dusche.«
Ich wartete, bis die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, dann sagte ich zu meinen Wikingergeistern: »Ihr könnt unmöglich hierbleiben!«
Finnvid und Eirik hatten miteinander getuschelt, während Isleif sich über den inzwischen fast leeren Kühlschrank hermachte.
»Ach so, jetzt verstehe ich, was sie gemeint hat«, sagte Eirik, und er und Finnvid sahen mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Ich habe schon von Frauen gehört, die Gefallen an härterem Bettsport haben. Aber ich hatte keine Ahnung, dass du auch so eine bist.«
»Bin ich auch nicht! Ich stehe überhaupt nicht auf Bettsport, egal in welcher Form.«
Ihre Augen wurden kugelrund. »Du bist unberührt?«
»Nein! Das heißt, Ben und ich haben noch nie … Ach, das spielt doch überhaupt keine Rolle! Ich mag Bettsport, aber ich habe zurzeit niemanden, mit dem ich ihn ausüben könnte, okay?«
Isleif kam mit einem Stück Sellerie zurück, das er in den letzten Joghurt aus dem Kühlschrank tunkte. Geräuschvoll kauend fragte er: »Braucht die Göttin vielleicht einen Rat in Sachen Bettsport?«
»Nein! Um der Göttin willen! Bitte keine Ratschläge mehr!« Ich atmete tief durch. »Mir ist schon klar, dass ihr es gut meint, und das weiß ich auch zu schätzen. Wirklich! Aber meine nicht vorhandene intime Beziehung zu Ben ist ab sofort kein Gesprächsthema mehr.«
»Nicht vorhandene …« In Eiriks Gesicht malte sich Überraschung. »Der Dunkle hat dir noch nicht beigewohnt?«
Die beiden anderen starrten mich an wie das achte Weltwunder.
»Nein, hat er nicht – und das geht niemanden etwas an!«, entgegnete ich energisch.
»Vielleicht weiß er nicht recht, wie er es anfangen soll«, warf Isleif sellerieknabbernd ein. »Dann braucht also der Dunkle unseren Rat!«
Ich hätte am liebsten die Stirn gegen die Wand geschlagen, aber davon hätte ich nur Kopfschmerzen bekommen. »Okay, neue Regeln: Über Beiwohnen, Bettsport und alles, was damit zu tun hat, wird nicht mehr gesprochen!«
»Du bist noch Jungfrau«, sagte Finnvid besänftigend, führte mich zum Bett und setzte sich neben mich. »Du weißt nicht, was du sagst.«
»Jawohl, Jungfrauen sind häufig verwirrt«, pflichtete Eirik ihm bei.
»Ich bin keine Jungfrau!« Kaum hatten die Worte meinen Mund verlassen, fluchte ich innerlich. Die drei Wikinger schürzten die Lippen. »Nicht, dass das irgendjemanden etwas angehen würde! Vergesst einfach, was ich gerade gesagt habe, ja?«
»Wir sollen vergessen, dass du Jungfrau bist?«, fragte Eirik.
»Ja«, entgegnete ich knapp. »Könnten wir das Thema Sex – beziehungsweise fehlenden Sex – damit auf sich beruhen lassen?«
»Wir wollen dir doch nur helfen, Jungfrau«, sagte Finnvid.
Ich funkelte ihn wütend an. »Das ist absolut unangebracht! Du nennst mich gefälligst nicht Jungfrau!«
»Verzeihung, jungfräuliche Göttin. Nimm doch unseren Rat an! Wir sind älter und weiser und haben schon viele Frauen beglückt. Wir kennen uns aus, und wenn dein Dunkler nicht so recht weiterweiß, leiten wir ihn an.«
»Warum hört eigentlich keiner auf mich?«, sagte ich, sank in mich zusammen und schlug sacht den Kopf gegen die Wand. »Ich habe gesagt, es wird nicht mehr über Sex geredet, und sie machen trotzdem weiter. Warum, warum, warum?«
»Bettsport ist wunderbar«, sagte Eirik selbstgefällig. »Wir haben viel Freude daran.«
»Sehr viel«, pflichtete Finnvid ihm bei.
»Das macht fast so viel Spaß wie eine ordentliche Prügelei draußen vor der Walhalla, wenn man weiß, dass einen bei der Rückkehr mehrere Fässer Bier erwarten«, erklärte Isleif.
»Jawohl, Kämpfen ist natürlich das Beste«, sagte Eirik nickend. »Bei mir kommt der Bettsport allerdings vor dem Bier. Bier ist prima, aber guter Bettsport ist lebenswichtig.«
»Bettsport mit einem Biermädchen ist das Allerbeste«, warf Finnvid mit einem lüsternen Grinsen ein.
»Oh ja, wohl wahr«, stimmte Eirik zu.
»Könnten wir bitte das Thema wechseln?«, bat ich. »Reden wir zum Beispiel darüber, was ich jetzt mit euch machen soll.«
»Da Bettsport offensichtlich nicht infrage kommt …«, sagte Eirik, und der Blick, mit dem ich ihn bedachte, hätte ihn eigentlich auf der Stelle in Wikingerstaub verwandeln müssen, »… werden wir dich nach Europa begleiten und Pläne zur Gefangennahme und Verbannung von Loki schmieden.«
»Nein! Wie ich schon sagte, kann ich erst in zwei Wochen fahren.«
»Warum nicht sofort?«, fragte Finnvid. »Freya wird nicht erfreut sein, wenn es Verzögerungen gibt.«
»Es geht nicht früher!«, sagte ich bestimmt, denn eines hatte ich in der Vergangenheit über die Wikinger gelernt: Wenn man sie ließ, waren sie imstande, sämtliche Pläne zu durchkreuzen, die man gefasst hatte. »Ich habe gesagt, dass ich versuche, euch zu helfen, und das werde ich auch tun, aber zu meinen Bedingungen. Lokis Schläger wissen jetzt, dass sie Geoff mit mir verwechselt haben, also steht nicht zu befürchten, dass sie sie noch mal entführen, und damit gibt es keinen Grund abzureisen, bevor die Website für die Tierklinik fertig ist. Ich hätte kein gutes Gefühl dabei, auch wenn meine Kollegin Joann mich gern los wäre, um das Projekt zu übernehmen und noch alle möglichen Animationen einzubauen. Wir müssen nur einen Ort für euch finden, wo ihr bleiben könnt, bis ich startklar bin.«
»Dann hätten wir noch Zeit für ein paar Tauschgeschäfte mit dem Wieselgold«, sagte Isleif zu den anderen. »Wir könnten uns neue Kleidung besorgen. Freya hat gesagt, wir müssen aussehen wie die Sterblichen, wenn wir uns in ihrer Welt bewegen wollen.«
»Shoppen ist eine ausgezeichnete Idee«, sagte ich und griff zum Telefonbuch. »Ich suche nur noch schnell ein Hotel für euch, und dann zeige ich euch, wo das Einkaufszentrum ist, okay?«
Dabei ging zwar der Rest des Tages drauf – und das letzte bisschen Geduld, das ich noch hatte –