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Alle Jahre wieder: Vier Wochen ganz bewusst leben in einer Zeit des Wartens und Erwartens. Sich in der Vorweihnachtszeit bewusst Zeit nehmen, sich einen Raum gestalten, der Platz lässt für Vorfreude und Besinnlichkeit. Anselm Grün erschließt die uralten Bilder der Weihnachtszeit für unsere Gegenwart und bringt uns in Berührung mit der Sehnsucht unserer Seele. Ein hübsch bebilderter Adventsbegleiter für alle, die zur Ruhe kommen und den wahren Geist von Weihnachten wiederentdecken wollen.
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Seitenzahl: 91
Editorische Notiz:
Die Texte dieses Buches erschienen zuerst unter dem Titel
»Das kleine Buch der Weihnachtsfreude«.
Neuausgabe 2023
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2008, 2013
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlagkonzeption: Verlag Herder
Umschlagmotive: © Adyna/GettyImages
Innenillustrationen: © alla_line/shutterstock.com, anna_ku/shutterstock.com, Askhat Gilyakhov/shutterstock.com, Beststock Productions/shutterstock.com, betris/shutterstock.com, DODOMO/shutterstock.com, Eva_art/shutterstock.com, Haali/shutterstock.com, juliawhite/shutterstock.com, juliawhite/GettyImages.de, Keya/shutterstock.com, LuckyStep/shutterstock.com, Lyudmila Babiichuk/GettyImages.de, Na_Studio/shutterstock.com, Nadejda Emelyanova/shutterstock.com, NadzeyaShanchuk/shutterstock.com, natka_u_a/shutterstock.com, NikVector/shutterstock.com, Olga Rai/shutterstock.com, Olha Furmaniuk/GettyImages.de, OneLineStock/shutterstock.com, Sahs/shutterstock.com, Sell Vector/shutterstock.com, sergeichekman/GettyImages.de, Simple Line/shutterstock.com, Singleline/shutterstock.com, svetalik/shutterstock.com, tetiana_u/shutterstock.com, timonko/GettyImages.de, tutsi/shutterstock.com, Valenty/shutterstock.com, Yanina Nosova/shutterstock.com, ZhAnStudio/shutterstock.com
E-Book-Konvertierung: Newgen Publishing Europe
ISBN 978-3-451-03430-5
ISBN E-Book (EPUB): 978-3-451-83017-4
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Warten und Vorfreude
Die stille Zeit
Ankommen, wo wir sind
Was das Herz höher schlagen lässt
Wacht auf
Strecke dein Herz aus
Kein Geschenkestress
Wonach sich Menschen sehnen
Geschenk-Askese
Das Stern-Bild
Offen für Begegnung
Mehr als Verzicht
»Reiß Schloss und Riegel ab!«
»Tauet, Himmel!«
Die Wüste wird ergrünen
Blumen blühen im Winter
Tröste dich, tröste dich
Ein Mensch der Liebe
Ein Kranz als Zeichen
Mildes Licht
Fröhliche, selige, gnadenbringende Zeit
»Frohe Weihnachten!«
Pauken und Trompeten
»Erwach, frohlocke«
»Nun singet und seid froh«
Vom Himmel hoch
Stille Nacht, heilige Nacht
Sonne, die die Nacht vertreibt
Morgenstern der finstern Nacht
Weiße Weihnacht
Mitten im kalten Winter
So wie früher
Wie Weihnachten schmeckt
Verheißung des Christbaums
Familienfest
Wenn Trauer sich in die Freude mischt
Schöner und herrlicher
Eine Botschaft der Freude
Göttliche Überraschungen
Erschienen ist die Güte
Das Gerade und das Krumme
Vier Träume
Träume werden wahr
Eine Nähe, die heilt
Fleisch geworden
Das Weihnachtsgeheimnis
Der Stall
»Ich steh an deiner Krippen hier«
Einer von uns
Ochs und Esel
Krippenfrömmigkeit
Platz in der Herberge
Die Sicht der Hirten
Hirtenmusik
Weihnachtsengel
Was die Engel verkünden
Frieden auf Erden
Ich bin bei dir in deiner Nacht
Das Wunder des Neuen
In der Stille in mir geboren
Gottesgeburt im Herzen
Fest der Geburt
Neues, zartes Leben
Wunder des Neuen
Gott kommt als Kind
Fröhlicher Neubeginn
Das innere Kind
Werde Mensch
Nach innen geht der Weg
Neues will aufbrechen
Das Neue ist schon da
Liebe, die das Leben verzaubert
In einem Brief, den Rainer Maria Rilke 1925 kurz vor Weihnachten an seine Mutter schreibt, erinnert sich der Dichter an den Heiligen Abend seiner Kindheit. Er beschwört die gespannte Erwartung in den Augenblicken vor der Bescherung wieder herauf, die Erinnerung an das festliche Läuten der kleinen Glocke durch den Vater: »Ich glaube, alle Freuden meines Lebens haben diese Stimme gehabt, so wie alle, zu welcher Zeit des Jahres sie mich auch treffen mochten, an Weihnachten denken ließen: So sehr ist jene Erfüllung, jene Reihe von Erfüllungen, die ich einst unter dem strahlenden Christbaum vorfand, atemlos, mit bis in den Hals klopfendem Herzen, maßgebend geblieben für alle Beschenkungen später des Lebens!«
Rilke spricht vom Schutz und Glanz des Festes und von einem Jubel, der ihm die Erfahrung der Engel geschenkt habe. Wir alle haben unsere Erinnerungen an dieses Fest, Bilder, die vieles überstrahlen. Wir alle erinnern uns, wie intensiv wir als Kinder Weihnachten gefeiert haben. Die damals erlebte Freude hält bis heute. Sie hat die Tiefe unseres Herzens und unserer Seele berührt. Geheimnisdurchtränkt scheinen diese Erinnerungen aus dem Land der Kindheit in unsere Gegenwart. Ich selber kann mich noch gut daran erinnern, wie wir als Kinder am Heiligabend auf das Christkind, auf die Bescherung gewartet haben. Es war eine eigenartige Spannung. Wir gingen mit dem Vater durch die Dunkelheit spazieren, sahen in den Häusern überall Lichter brennen. Wieder daheim, mussten wir in den Schlafzimmern warten, bis die Weihnachtsglocke läutete. Es war ein wunderbar geheimnisvolles Erleben, in das nur mit Kerzen beleuchtete Wohnzimmer zu gehen und den geschmückten Baum zu sehen. Dann las der Vater das Weihnachtsevangelium, und wir sangen das Lied »Stille Nacht«. Da warfen wir schon verstohlen einen Blick auf den Gabentisch, um zu erahnen, was da wohl in Weihnachtspapier gewickelt für uns bereitlag. Kindliche Situationen prägen sich tief in die Seele ein. Wir fühlen uns auch später immer dann daheim, wenn diese Gefühle von früher wieder angesprochen werden. Vermutlich ist nicht nur bei jeder Erfüllung, wie Rilke meint, sondern auch bei jedem intensiven Warten eine Spur des weihnachtlichen Wartens dabei, die Ahnung, dass unser Leben durch das Kommen eines Menschen oder eines Ereignisses heller und heiler wird.
Diese tiefen Erfahrungen, die sich mit Weihnachten verbinden, sind auch ein Grund dafür, dass wir uns auf dieses Fest immer wieder neu freuen wie sonst kaum auf ein anderes. Es ist viel mehr als Sentimentalität oder nur ein romantisches Gefühl.
»Alle Jahre wieder« heißt es in einem Weihnachtslied, das nicht umsonst Kinder besonders lieben. Alle Jahre wieder feiern wir Weihnachten – als Erwachsene ebenso erwartungsvoll und mit der gleichen Freude, wie wir es damals als Kinder taten. Wir wissen als Erwachsene natürlich sehr viel mehr darüber, was dieses Fest bedeutet. Und trotzdem kommen wir mit dem Geheimnis von Weihnachten nie zu einem Ende. Immer wieder und immer neu werden Emotionen wach. Weil dieses Fest unsere tiefsten Sehnsüchte anspricht, wollen wir uns immer wieder neu in sein Geheimnis vertiefen, uns klarmachen, was es uns bedeutet. Wir erinnern uns an dieses Fest in unserer Kindheit − und spüren zugleich, dass wir es nicht einfach so wiederholen können.
Wir sind erwachsen und müssen uns den Problemen stellen, die uns heute bedrängen. Da mag uns Weihnachten oft auch als etwas Fremdes erscheinen, das so gar nicht in die Welt hineinpasst, wie sie uns heute begegnet: bedrängend, unsicher, verschlossen und gottverlassen.
Und doch ist da in unserer Seele eine bleibende Ahnung, dass die Welt noch anders ist, dass sie sich nicht einfach selbst überlassen ist. Es hängt mit dem zusammen, was an diesem Fest gefeiert wird: Gott selbst ist in unsere Welt gekommen. Er hat sie nicht in ihrer Not, in ihren Konflikten und in ihrer Hoffnungslosigkeit alleingelassen. Er ist selbst Mensch geworden, hineingetreten in diese Welt, um sie menschlicher zu machen, um ihre Dunkelheit zu erleuchten, ihre Kälte zu vertreiben und um die verschlossenen Herzen für die Liebe aufzubrechen. Die Geburt Jesu im Stall von Betlehem löst in jedem Menschen die Sehnsucht nach einer menschlicheren Welt aus, nach einer Welt, in der die Liebe stärker ist als der Hass, in der das Licht die Dunkelheit erhellt. Die Geburt Jesu ist die Verheißung, dass nicht alles beim Alten bleibt, sondern Gott etwas Neues in dieser Welt bewirkt, dass die Welt neu wird durch eine Liebe, die sich in Jesus Christus für immer an diese Welt gebunden hat.
Die Gedanken in diesem Buch kreisen um dieses alte Geheimnis. Sie möchten es der Leserin, dem Leser neu erschließen. Und sie möchten dazu einladen, selbst nachzudenken: Was sind die Gedanken, die mir heute helfen, dieses Fest neu zu feiern? Ein Fest feiern hat nur dann einen Sinn, wenn ich davon leben kann. Wie hilft mir Weihnachten also, besser, bewusster, froher zu leben? Wie bringt es mich in Berührung mit den Wurzeln meiner Lebensgeschichte und mit den Wurzeln meines Glaubens?
Aus den alten Wurzeln will immer neues Leben aufblühen. An Weihnachten will sich an uns erfüllen, was Gott uns beim Propheten Jesaja verheißen hat: »Die dem Herrn vertrauen, schöpfen neue Kraft, sie bekommen Flügel wie Adler. Sie laufen und werden nicht müde, sie gehen und werden nicht matt« (Jesaja 40,31 f.). Insofern ist Weihnachten wirklich ein Fest der Freude und der Verheißung. Ein Fest, das einen neuen Anfang verheißt, nach dem wir uns alle sehnen.
In den Bildern der Advents- und Weihnachtszeit drückt sich beides aus: die Sehnsucht nach einem neuen und endgültigen Anfang, aber auch die Verheißung eines solchen Anfangs. So hat es schon Papst Leo der Große († 461) in einer Weihnachtspredigt gesagt: »Da wir in Ehrfurcht das Erscheinen unseres Erlösers begehen, zeigt es sich, dass wir unseren eigenen Anfang feiern.« Gott selbst fängt neu mit uns an, da er sich als Kind einlässt auf unsere Wirklichkeit.
In den alten Bildern können wir meditieren, wer wir eigentlich sind, woher wir kommen, was unser Leben soll, was uns bedroht und was uns heilt, was uns ängstigt und was uns Vertrauen im Dasein schenkt.
Wenn wir ein neues Jahr beginnen und darauf vertrauen, dass unser Leben neu und besser wird, wenden wir uns in Bildern der weihnachtlichen Feste dem Urgrund unseres Lebens zu.
Indem wir in diese alten Bilder eintauchen, finden wir Hilfe, unser Leben in der Tiefe zu erneuern. Sie können helfen, das eigene Leben mit neuen Augen anzuschauen. Tag für Tag können wir einen neuen Anfang feiern, den Anfang, den Gott selbst in uns setzt, wenn er einbricht in unsere Zeit, in unseren Leib, in unsere Seele.
Hierin liegt der tiefste Grund für die Weihnachtsfreude, die in so vielen Liedern besungen und bejubelt wird. Der Advent steht bereits ganz im Zeichen der intensiven Erwartung dieser Freude.
Der Advent wird »die stille Zeit« genannt. Aber viele erleben ihn eher als hektisch und laut. Da hetzen die Leute durch die Geschäfte, um ihre Weihnachtseinkäufe zu erledigen. Wer aber hetzt, der achtet nicht auf sich, dessen Seele kann nicht atmen. Das deutsche Wort »still« kommt von »stellen, unbeweglich stehen«. Es braucht das Innehalten, um still zu werden. Ich muss aufhören, herumzulaufen und zu hetzen. Ich muss stehen bleiben, bei mir bleiben. Wenn ich stillhalte, kann ich meine Unruhe nicht mehr nach außen verlagern. Ich werde sie in mir wahrnehmen. Nur wer seiner Unruhe standhält, kommt zur Stille.
»Still« hat auch mit »stillen« zu tun. Die Mutter stillt das Kind, bringt das vor Hunger schreiende Kind zur Ruhe. So muss ich meine eigene Seele, die innerlich laut schreit, beruhigen. Ich muss mich meinem Herzen zuwenden wie eine Mutter, damit es Ruhe gibt.
»Still, still, still, wer Gott erkennen will«, so heißt es in einem Weihnachtslied aus Lothringen. Gönnen wir uns als Vorbereitung auf dieses Fest selber etwas: Zeiten der Stille, um darin Ausschau zu halten nach Gott. Die Adventszeit ist die Chance, sich auf das lärmende Herz einzulassen und seinen inneren Hunger zu stillen. Wer still ist, wird auf dem Grund seines Herzens die innere Freude erfahren können, die tiefer ist als alle Enttäuschung, alle Frustration, alle heillose Hektik.
Advent heißt: ankommen. Häufig höre ich Menschen seufzen: »Ich bin noch nicht ganz da. Lass mich doch erst einmal ankommen!« Wir sind meistens nicht dort, wo wir sind. Wir sind mit unserer Seele noch nicht angekommen. Advent ist eine Chance, die Seele nachkommen zu lassen. Nur wer ganz da ist, kann offen sein für Neues.