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Funkelnde Lichter und der Duft von Zimtsternen: Der festliche Sammelband »Ein Weihnachtswunder kommt selten allein« jetzt als eBook bei dotbooks. Von trubeligem Festtagschaos und zauberhafter Winterromantik bis zum spannenden Adventskrimi – die schönste Zeit des Jahres in all ihren Facetten … Da ist zum Beispiel Hobbyermittlerin Friedelinde, deren Spürsinn beim Wichteln mit Freunden geweckt wird. Oder Mauerblümchen Georgi, die in den schönsten schottischen Highlands endlich auf ein Happy End mit dem charmanten Tierarzt Angus hofft. Während Privatdetektiv Arne Claasen feststellen muss, dass ausgerechnet am Morgen des Festessens die Weihnachtsgans verschwunden ist, rätselt Mimoun, was er in seinem veganen Restaurant »Brokkoli« anstelle des üblichen Bratens auftischen kann. Und selbst der leibhaftige Teufel Mephy kann dem Trubel nicht entkommen – denn sein alter Bekannter Jesus hat ihn zum Geburtstagsessen eingeladen … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die romantisch-amüsante Advents-Anthologie »Ein Weihnachtswunder kommt selten allein« versammelt heitere Festtagsgeschichten aus der Bestseller-Feder von Angela Lautenschläger, Ole Hansen, Jennifer Wellen, Sebastian Niedlich, Silke Schütze, Hera Lind und Juli Sand; ein Lesevergnügen für alle Fans der »Weihnachtsgeschichten am Kamin«! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 385
Über dieses Buch:
Von trubeligem Festtagschaos und zauberhafter Winterromantik bis zum spannenden Adventskrimi – die schönste Zeit des Jahres in all ihren Facetten … Da ist zum Beispiel Hobbyermittlerin Friedelinde, deren Spürsinn beim Wichteln mit Freunden geweckt wird. Oder Mauerblümchen Georgi, die in den schönsten schottischen Highlands endlich auf ein Happy End mit dem charmanten Tierarzt Angus hofft. Während Privatdetektiv Arne Claasen feststellen muss, dass ausgerechnet am Morgen des Festessens die Weihnachtsgans verschwunden ist, rätselt Mimoun, was er in seinem veganen Restaurant »Brokkoli« anstelle des üblichen Bratens auftischen kann. Und selbst der leibhaftige Teufel Mephy kann dem Trubel nicht entkommen – denn sein alter Bekannter Jesus hat ihn zum Geburtstagsessen eingeladen …
Eine Übersicht über die Autorinnen und Autoren finden Sie am Ende dieses eBooks.
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Sammelband-Originalausgabe Januar 2023
Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2022 dotbooks GmbH, München
Der Kurzroman »Gefühle und andere Katastrophen« von Hera Lind erschien in einer älteren, kürzeren Fassung bereits 2010 unter dem Titel »Die Weihnachtshandtasche« in der Anthologie »Schneegeflüster«, herausgegeben von Uta Rupprecht, im Diana Verlag, München. Copyright © der Originalausgabe 2010 Diana Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH; Copyright © der überarbeiteten und erweiterten Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München
Copyright © aller weiteren Kurzromane in diesem Sammelband 2022 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Redaktion: Frederik Bahr, Alina Hettmann
Titelbildgestaltung: Kristin Pang, unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com (SvetaZi, HNK, Art Stocker, Sarema)
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)
ISBN 978-3-98690-538-5
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Ein Weihnachtswunder kommt selten allein
Festliche Adventsgeschichten von Angela Lautenschläger, Ole Hansen, Jennifer Wellen und vielen anderen
herausgegeben von Frederik Bahr und Alina Hettmann
dotbooks.
»Wie viele Windeln hast du eingepackt?«
»Ich? Gar keine, wieso?« Nicolas hielt den Blick konzentriert auf die Fahrbahn gerichtet.
»Weil ich dir von unten zugerufen habe, dass du welche mitnehmen sollst. Na, macht nichts.« Friedelinde klappte das Handschuhfach auf. »Wir haben ja noch die Notfallwindel.« Sie wühlte eine Weile erfolglos zwischen CD-Hüllen, der Parkscheibe und dem Eiskratzer herum.
»Die hab ich gestern benutzt, nachdem wir Spinat hatten.«
Friedelinde klappte das Fach zu und wandte sich zur Rückbank um, wo Moritz glucksend in seinem Kindersitz saß und die Welt betrachtete. Er freute sich über alles, und die Weihnachtszeit, in der man sich über Lichterketten, Schneeflocken und zu viele Plätzchen freuen konnte, gefiel ihm besonders gut.
»Dann bleiben wir eben nur eine Windellänge«, sagte Nicolas.
»Das wird nicht reichen. Aber Gernot und Betty können uns sicher eine abgeben.« Erstaunlicherweise hatte die Weihnachtszeit auch auf Friedelinde eine beruhigende Wirkung. Unter normalen Umständen hätte Nicolas’ Vergesslichkeit sie auf die Palme gebracht. Heute drehte sie nur die Heizung etwas höher und kuschelte sich in ihren Sitz.
Eine halbe Stunde später hielten sie vor dem Waschsalon in Friedelindes alter Heimat Altona. In einer anderen Zeit, in der es Kommissar Nicolas Sander in ihrem Leben noch nicht gegeben hatte und Moritz noch in weiter Ferne lag, hatte sie gegenüber ihr altes Büro gehabt. Dort war sie als Nachlasspflegerin tätig gewesen. Jedenfalls im Wesentlichen. Mancher Todesfall hatte sich als nicht natürlich entpuppt, und schon beim ersten, als sich herausstellte, dass die verstorbene Hannelore Weber ein dunkles Geheimnis mit ins Grab genommen hatte, war sie Nicolas begegnet. Der hatte sich zu Beginn derart grässlich aufgeführt, dass sie ihn gern auf irgendeinen Planeten für unangenehme Kommissare geschossen hätte. Glücklicherweise gab es solche weit entfernten Sterne nicht, und sie hatte die Gelegenheit genutzt, herauszukriegen, dass er ein ziemlich witziger, liebenswerter Kerl war, in den man sich einfach verlieben musste. Jetzt waren sie sogar verheiratet, und Friedelinde, die sich nie Gedanken über Familienplanung gemacht hatte, war Mutter geworden. Was bei alledem ein wenig zu kurz kam, war ihre Arbeit als Nachlasspflegerin. Daran, Nicolas davon zu überzeugen, dass sie wieder arbeiten wollte, musste sie noch arbeiten.
Während Nicolas ihren Sohn aus dem Kindersitz befreite, fiel Friedelindes Blick auf den Mann, der neben der Tür zum Waschsalon auf dem Gehweg saß. Er trug einen roten Weihnachtsmannmantel, einen weißen Bart und schwarze Stiefel. Unter seiner roten Mütze guckten weiße Locken hervor. Von seinem Gesicht waren nur zwei dunkle Augen und die Nase zu erkennen. Wie der richtige Weihnachtsmann eben. Nur, dass der schwarze Hut vor ihm, in den die Leute Münzen werfen sollten, nicht ins Bild passte. Geduldig wartete sie ab, bis Nicolas seinen üblichen Kampf mit dem Sicherheitsgurt des Kindersitzes abgeschlossen hatte. Friedelinde dachte darüber nach, ob nicht eigentlich der Weihnachtsmann die Geschenke bringen sollte, statt sie entgegenzunehmen, als Knecht Ruprecht um die Ecke bog. Er beugte sich zu dem Weihnachtsmann hinunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
»Auf keinen Fall!«, rief der Weihnachtsmann. »Irgendwann muss es auch mal gut sein. Das ist gegen die Abmachung.« Er wollte sich erheben, was mit dem Mantel und der übrigen Weihnachtsmannkostümierung offenbar nicht so einfach war. Knecht Ruprecht nutzte die Gelegenheit und eilte um die Hausecke davon, bevor sein Partner ihm nachsetzen konnte.
Friedelinde öffnete den Mund, um Nicolas, der immer noch mit dem Oberkörper im Innenraum des Autos steckte, von ihrer eigenartigen Beobachtung zu berichten, aber in diesem Augenblick tauchte ihr Gatte wieder auf und drückte ihr Moritz in die Arme. Der gluckste erfreut über die Befreiung aus dem Kindersitz.
Nicolas schlug die Wagentür zu.
»Hast du die Babytasche?«, fragte Friedelinde.
Nicolas öffnete den Wagen und kramte die Tasche vom Rücksitz.
»Und die Geschenke?«, fragte Friedelinde, als Nicolas die Tür erneut zugeschlagen hatte.
Nicolas holte auch die Geschenke aus dem Auto. »Ich weiß sowieso nicht, was dieser Quatsch mit dem Julklapp soll«, motzte er.
»Du wolltest doch den scheußlichen Kerzenleuchter loswerden. Und heute bietet sich eine gute Gelegenheit dafür.«
»Dafür hätte die Mülltonne auch ausgereicht, und ich hätte das Spiel sehen können.«
Friedelinde stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Die können auch mal ohne dich verlieren. Und du siehst deine Freunde mal wieder.«
Nicolas verzog das Gesicht und öffnete die Tür zum Waschsalon. Stimmengewirr füllte den Raum, aber bevor sie sich umsehen konnten, kam Nicolas’ Kollege Gernot auf sie zu.
»Ah, da kommt ja der Experte.« Gernot trug eine Weihnachtsmütze und hatte etwas Glitzerndes im Gesicht.
»Du hättest dich wenigstens waschen können«, sagte Nicolas statt einer Begrüßung. Immerhin hatten sie sich gerade am Freitag zuletzt gesehen und würden am nächsten Morgen wieder gemeinsam ein Büro teilen.
»Wie?« Gernot fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Ach, du meinst den Engelsstaub«, erklärte Gernot. »Das gehört so.«
Gernot kniff Moritz in die speckige Wange, der daraufhin ebenfalls glitzerte und quiekte.
Friedelinde sah sich im Waschsalon um. Tatsächlich waren sie die Letzten. Gernot und seine Frau Betty waren mit ihrer kleinen Tochter Sissy bereits eingetroffen, die frühere Besitzerin des Waschsalons, Elvira, saß am Fenstertisch mit einem dicken Stück Torte vor sich, und die jetzige Inhaberin des Salons, Rosanna, stand hinter dem Tresen und stellte Kaffeebecher zusammen.
Seit Rosanna den Waschsalon übernommen hatte, war aus Elviras eher privatem Ausschank am Verkaufstresen ein richtiges kleines Bistro im vorderen Bereich der Ladenfläche geworden. Im hinteren Teil standen Waschmaschinen und Trockner, die ihre Arbeit taten, während die Kunden die Wartezeit mit etwas zu essen und zu trinken überbrücken konnten. Rosanna, die eigentlich eher zu schwarzer Magie neigte, hatte sich große Mühe gegeben und den Raum weihnachtlich geschmückt. Über dem Tresen hing eine blinkende Lichterkette, um die Deckenlampen hatte sie jede Menge Weihnachtskugeln drapiert.
Neben dem Tresen stand eine große, elegant gekleidete Frau. Friedelindes Nachbarin Theresa.
»Hallo Theresa, wir hätten auch zusammen fahren können«, begrüßte Friedelinde sie. »Deiner Seidenbluse wäre nichts passiert. Wir haben Moritz extra nichts zu essen gegeben vor der Fahrt.«
Theresa lächelte ihr zu. »Ich bin gar nicht von zu Hause aus gefahren. Trinkst du Kaffee oder etwas Gesundes?«
»Kaffee! Ich kann wieder alles essen und trinken, weil Moritz inzwischen eigenständig futtert. Und deshalb nehme ich auch alles.«
»Frohe Weihnachten, Friedelinde. Spekulatiustorte kommt sofort«, erklärte Rosanna.
Offenbar um weiteren Nachfragen zu entgehen, beeilte sich Theresa, die Becher zum Tisch zu bringen. Friedelinde fiel auf, dass sie sich früher sofort danach erkundigt hätte, woher Theresa an einem Sonntagnachmittag gekommen war, wenn nicht von zu Hause. Aber der Umgang mit einem Kleinkind hatte ihren Geist wohl etwas träge werden lassen.
Ihr Blick fiel auf den großen, schlanken Mann, der von Rosanna einen Keksteller entgegennahm. Was Nicolas’ Kollege Lukas Kampmann hier machte, ließ sie schon seit dem Eintreten grübeln. Gemeinsam mit Theresa deckte er nun einträchtig den Kaffeetisch. Friedelinde warf Rosanna einen fragenden Blick zu, die nur vielsagend grinste. Hier gab es offenbar noch eine Menge aufzuklären.
Moritz wollte an dem allgemeinen Trubel aktiv teilnehmen und strampelte so lange, bis Friedelinde ihn auf den Boden stellte. Besonders sicher war er noch nicht auf seinen Beinchen, aber Moritz hatte sich eine nahezu unfehlbare Falltechnik angeeignet. Kaum hatten seine Füße den Boden berührt, setzte er sich in Bewegung und steuerte Gernots kleine Tochter Sissy an, die genauso alt war wie er. Die beiden giggelten und fanden Interesse an einer mit Weihnachtskugeln geschmückten Tannengirlande, der Friedelinde keine lange Lebensdauer voraussagte.
»Kann ich noch was zum Tisch bringen?«, fragte sie Rosanna.
»Möchtest du vielleicht auch noch etwas wissen?«, erkundigte sich die Gastgeberin mit einem Augenzwinkern und drückte ihr eine Teekanne in die Hand.
»Was macht denn Lukas Kampmann hier?«, flüsterte Friedelinde ihr zu. »Das ist hier ja schließlich nicht das Polizeifest.«
»Nein, aber jede Frau durfte den Polizisten ihres Herzens mitbringen.«
»Nee, ne!« Friedelinde beugte sich zu Rosanna hinüber. »Theresa wohnt direkt neben mir, aber ich habe ihn noch nie bei ihr gesehen.«
»Tja, dann darfst du deinen Beobachtungsposten eben niemals verlassen«, erklärte Rosanna. »Und ich glaube, die beiden wissen noch gar nicht so richtig, wie es weitergeht«, raunte sie.
»Hm.« Friedelinde rieb sich die Kinnspitze. »Wir sollten die beiden im Blick behalten, dann können wir ihnen sagen, wie es mit ihnen weitergeht.«
Rosanna rollte mit den Augen und klatschte in die Hände. »Zu Tisch, bitte.«
Friedelinde setzte sich auf den freien Platz neben Nicolas.
»Das ist sowieso nicht richtig, wie wir das machen«, beschwerte sich Nicolas gerade und hielt Gernot seinen Becher hin, damit der Kaffee einschenkte. »Wir hätten vorher Lose ziehen müssen, damit jeder weiß, wen er beschenkt.«
»Dann hätten wir uns vorher aber schon mal für die Verlosung treffen müssen«, antwortete Gernot und schenkte Kaffee ein. »Dafür hatten aber nicht alle Zeit. Deshalb haben wir diese Variante gewählt.«
»Ja, die am wenigsten originelle aller Varianten.«
»Was hättest du denn vorgeschlagen?«, fragte Lukas.
»Würfeln«, warf Gernot ein, während Nicolas schwieg und Zucker in seinen Kaffee rührte. »Das wäre noch gegangen.«
»Ist aber nicht besonders festlich.« Elvira legte die Kuchengabel auf ihren leer geputzten Teller. »Außerdem ist diese Variante mindestens die zweitbeste …«
Friedelinde folgte der Unterhaltung nur mit einem Ohr, weil sie abgelenkt war. Von ihrem Platz am Fenster hatte sie den Weihnachtsmann direkt im Blick. Irgendwie erschien er ihr ungewöhnlich. Es war ziemlich kalt, und ein Sonntag, an dem die Geschäfte geschlossen hatten, war nicht die beste Ausgangslage, um spendable Passanten zu kobern.
Erst ein leckerer Duft von Spekulatius und weihnachtlichen Gewürzen holte Friedelinde in das Geschehen im Waschsalon zurück. Vor ihr auf dem Kuchenteller lag ein ausgesprochen appetitlich aussehendes Stück Torte.
»Hm, was ist das denn?«
»Ich würde sagen, vierhundert Kalorien mit Spekulatiusgeschmack.« Theresa hatte bisher nur die Spitze ihres Tortenstücks gegessen. »Aber echt lecker.«
Friedelinde griff nach ihrer Gabel.
»Welche Varianten gibt es denn noch, um Julklapp zu machen?«, hörte sie, wie sich nun weiter hinten am Tisch Betty in die Diskussion einschaltete.
»Na, die Variante, die wir gewählt haben«, antwortete Gernot mit vollem Mund. »Ich hab unser Dingens fünfmal eingewickelt, und jeder muss eine Schicht auswickeln.«
»Jetzt hast du es verraten«, sagte Nicolas. »Ich bin bestimmt nicht derjenige, der die fünfte Papierschicht auspackt. Wie ich dich kenne, hast du eine Klobürste verpackt.«
Gernot grinste. »Ganz kalt. Ich sag dir, du wirst dich ärgern.«
Friedelinde reckte den Hals, um den kleinen Tisch neben dem Verkaufstresen zu erkennen, auf dem alle Gäste ihre Julklappgeschenke abgelegt hatten. Rosanna hatte ihn mit kleinen Sternchen und Glitzer verziert. Darauf hatte jeder sein Geschenk gelegt. Es gab große und kleine, welche mit geraden Flächen und etwas, das aussah wie eine überdimensionale Banane. »Wann fangen wir an mit Auspacken?«
»Wenn wir satt und zufrieden sind, geht’s los«, erklärte Rosanna.
»Toll. Ich freu mich«, sagte Friedelinde, die zumindest schon mal zufrieden war. »Wie geht’s euch denn so?« Sie sah erst Theresa, dann Lukas an, der bisher noch zurückhaltend war. Vermutlich beobachtete er alle und analysierte sie heimlich.
»Danke, gut«, lautete Theresas knappe Antwort.
»Singen wir eigentlich auch Weihnachtslieder?«, fragte Friedelindes Freundin Elvira. »Das fände ich schön.«
»Ja, das machen wir. Ich übe schon immer mit Moritz«, erklärte Friedelinde. »Sein Lieblingslied ist ›Morgen, Kinder, wird’s was geben‹.«
Zu ihrer Überraschung stimmte Lukas das Lied an, und alle fielen mit ein. Moritz, der bei seinem Vater auf dem Schoß saß, klatschte in die Hände und krähte dazu.
»Ha, hier ist ja schon gute Stimmung.« Neben ihr stand plötzlich eine ältere Dame, die Friedelinde nicht kannte. In den Händen hielt sie ein besonders schön eingepacktes Paket. Unter dem Geschenkband steckte ein kleiner Tannenzweig, der mit einer kleinen roten Glaskugel verziert war.
Theresa erhob sich und gab der alten Dame einen Kuss auf die Wange. »Tante Hedwig, das ist ja schön. Meine Tante Hedwig Fröhlich«, stellte sie die alte Dame der Runde vor.
»Hedwig reicht völlig«, meinte diese und lächelte die Anwesenden an.
Lukas erhob sich und holte noch einen Stuhl an den Tisch, während Rosanna ein weiteres Gedeck hinstellte.
»Wie bist du denn hergekommen?«, fragte Theresa.
»Der Herr Yildirim hat mich gebracht. Er ist Taxifahrer«, erklärte Hedwig fröhlich der Runde. »Und da ist die Vorweihnachtszeit natürlich besonders lukrativ, deshalb wollte er weiter. Er kommt mich nachher abholen.«
»Hedwig sorgt seit einer Weile dafür, dass unser Laden läuft«, erklärte Theresa, die mit zwei weiteren Anwälten eine Anwaltskanzlei führte. Friedelinde wusste, dass sich Lukas Kampmann und Theresa dort auch kennengelernt hatten, als ihre Mandantin Julia Sagmeister ermordet wurde. Anders als Friedelinde hatte Theresa anfangs keine große Neigung gezeigt, den Mörder zu finden. Möglicherweise hatte sie es sich wegen des Kontakts mit Lukas Kampmann dann aber doch anders überlegt.
Eine Weile waren alle mit Kaffeeeinschenken, Kuchenverteilen und Kekseknabbern beschäftigt.
»Eigentlich müsste jemand anklopfen und dann das Geschenk hereinwerfen«, brachte Hedwig Fröhlich noch eine weitere Variante des Julklapps ins Spiel.
»Da draußen sitzt doch schon einer, der diese Aufgabe übernehmen kann.« Nicolas deutete auf den Weihnachtsmann.
»Soweit ich verstanden habe, kommt der Weihnachtsmann an Heiligabend und nicht im Advent.« Gernot nahm sich einen Schokoladenkeks. »Deshalb kann er also nicht derjenige sein, der die Julklappgeschenke bringt.«
Nicolas verzog das Gesicht.
Lukas räusperte sich. »Und soweit ich verstanden habe, wurden die Geschenke zum Julklapp früher erst am Weihnachtsabend gebracht.«
Nicolas grinste Gernot an. »Ich liebe es, wenn jemand Bescheid weiß.«
»Ja, und wenn es mal jemand anderes ist als du«, sagte Gernot.
»Kommt ja selten genug vor.«
Friedelinde wedelte mit der Hand vor der Nase herum. »Ich habe das Gefühl, dass hier ein Testosteronüberschuss herrscht.« Sie wollte sich gerade bei Rosanna danach erkundigen, ob sie den Weihnachtsmann vor der Tür kannte und ob er vielleicht jeden Tag dort saß, als sich draußen etwas tat.
Eine ältere Frau ging langsam vor dem Schaufenster entlang und sah sich in alle Richtungen um, ehe sie mit zielstrebigen Schritten auf den Weihnachtsmann zuging. Sie war kaum zu erkennen, weil sie einen Filzhut, einen dicken Schal und einen Wintermantel trug. Sie beugte sich zu dem Weihnachtsmann hinunter, dem sie ein in rotes Papier eingewickeltes Geschenk übergab. Der nahm das Paket mit beiden Händen entgegen, ohne sich allzu überschwänglich dafür zu bedanken. Aber die alte Dame schien auch nicht allzu viel Dankbarkeit zu erwarten. Mit schnellen Schritten ging sie zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war. Vermutlich wollte sie zurück in ihre warme Wohnstube.
Das war eine sehr nette Geste von ihr gewesen. In Friedelinde breitete sich ein wohliges weihnachtliches Gefühl aus. Sie saß in einer netten Runde mit Freunden im Kerzenschein, und die Menschen kümmerten sich wieder mehr umeinander, als sie es vielleicht im Laufe des Jahres getan hatten. Das Weihnachtsfest war für sehr vieles gut, unter anderem, um die Menschen daran zu erinnern, wie wertvoll das Leben war. Und dass man alles dafür tun musste, dass es den anderen gut ging. Also wäre es eigentlich das Mindeste, dass Friedelinde dem Weihnachtsmann da draußen einen Becher heißen Kaffee und vielleicht ein paar Münzen gab. Sie wollte sich gerade einen Becher Kaffee nehmen, als ein dunkler Schatten vor dem Schaufenster vorbeieilte. Vor dem Weihnachtsmann blieb er stehen, und Friedelinde hatte ein Déjà-vu: Es war Knecht Ruprecht, der schon bei ihrer Ankunft Streit mit dem Bettler angefangen hatte. Auch jetzt beugte er sich zu dem Weihnachtsmann hinunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr, das dem nicht zu gefallen schien. Die beiden lieferten sich ein heißes Wortgefecht, an dessen Ende Knecht Ruprecht sich das rot eingepackte Geschenk schnappte und dann aus ihrem Blickfeld verschwand.
Friedelinde blinzelte. Das war merkwürdig, und nach einer Weile fiel ihr auch auf, was ihr neben dem Umstand, dass der Weihnachtsmann vor ihren Augen beklaut wurde, so eigenartig vorkam: Der Weihnachtsmann machte lediglich eine Drohgebärde in die Richtung, in die Knecht Ruprecht verschwunden war, blieb aber sitzen und unternahm keine Anstalten, sein Geschenk zurückzubekommen.
»Sag mal, Rosanna«, sagte sie. »Kennst du diesen Weihnachtsmann vor deiner Tür?«
»Wie soll sie ihn schon kennen?«, warf Gernot ein. »So, wie man den Weihnachtsmann eben kennt.«
»Den habe ich hier bisher noch nicht gesehen. Er sitzt heute das erste Mal da draußen«, antwortete Rosanna.
»Ist doch okay, wenn ich ihm einen Becher Kaffee rausbringe?«
»Klar. Nimm auch ein Stück Torte mit.«
Gernot klatschte in die Hände. »Und wollen wir endlich Julklapp machen? Ich bin schon ganz gespannt, was ich bekomme.«
Nicolas grinste. »Mach mein Paket auf, und du wirst es schon sehen.«
Friedelinde knuffte ihm gegen den Oberarm, dann stand sie auf und legte ein Stück Torte auf einen Teller. Rosanna schenkte einen Becher Kaffee ein.
»Ich weiß gar nicht, wie der Weihnachtsmann seinen Kaffee trinkt«, stellte Friedelinde fest.
»Frag ihn.« Rosanna hielt ihr die Tür auf.
Es schneite nun, und Schneeflocken fielen in den Kaffeebecher. Er trinkt ihn wohl mit Schnee, dachte Friedelinde.
»Hallo Weihnachtsmann«, grüßte sie den Bärtigen. »Lust auf eine kleine Kaffeepause?«
Er sah erschrocken zu ihr auf.
Friedelinde reichte ihm als Erstes den Kaffeebecher. »Ist ja ein bisschen kalt hier draußen.«
»Tja, äh, das ist …« Der Weihnachtsmann griff nach dem Becher. »Nett. Nett ist das ja.«
»Und vielleicht haben Sie auch Hunger. Hier ist noch ein Stück Spekulatiustorte.«
Von dem Menschen im Kostüm war nicht viel zu erkennen, und bevor Friedelinde dem Zauber der Weihnacht erlag und ernsthaft dachte, dass sie es mit dem echten Weihnachtsmann zu tun hatte, beschloss sie, ihn ein bisschen auszuforschen.
»Und, laufen die Geschäfte heute einigermaßen?«
»Ähm, hören Sie …« Er schob den Ärmel seines roten Mantels hoch und sah auf seine Armbanduhr. »Ich, äh.« Offenbar besann sich der Weihnachtsmann auf seine guten Manieren. »Wenn Sie vielleicht so freundlich wären, den Teller einfach hinzustellen?«
Friedelinde bückte sich und stellte den Kuchenteller auf den Gehweg, der schon von einer dünnen Schneeschicht bedeckt war. Ein würziger Duft stieg ihr in die Nase. Der Weihnachtsmann hatte ein gut riechendes Aftershave aufgelegt.
Abgesehen davon, dass sie hier draußen ohne Jacke fror, hatte sie das Gefühl, dem Weihnachtsmann auf die Nerven zu fallen. Und das wollte ja nun wirklich niemand.
Sie richtete sich wieder auf. »Wenn Sie noch etwas möchten, Tee oder Kekse, drinnen gibt’s noch mehr. Ich kann ja nachher noch mal rauskommen.«
»Gern.«
Friedelinde schob die Tür zum Waschsalon auf und flüchtete schnell ins Warme. Dort stand immer noch Rosanna, die sie durch die Glastür beobachtet hatte.
»Du siehst ein bisschen irritiert aus«, stellte Rosanna fest.
»Bin ich auch.« Friedelinde rieb sich die Oberarme. »Der Weihnachtsmann trägt Lagerfeld, eine Rolex und hat keine Zeit.« Sie wandte sich um und sah durch die Glastür nach draußen. »Und meine milden Gaben hat der auch nicht angerührt.«
»Meinst du, er ist in Wahrheit ein Millionär und hat um die Ecke einen Bentley stehen?«
»Ich hab keine Ahnung, aber warum sollte er dann hier draußen rumsitzen und sich den weihnachtlichen Hintern abfrieren?« »Krieg ich noch eine Tasse Kaffee und ein Stück Torte?«, fragte Friedelinde.
»Kein Problem«, antwortete Rosanna, und die beiden setzten sich wieder an den Kaffeetisch.
»Wie, Wichtel?«, fragte Nicolas gerade.
»Nnnnn«, machte Gernot, die Zungenspitze zwischen den Zahnreihen.
»Was?«
»Wichteln. Mit N.«
Nicolas seufzte und nahm sich einen Dominostein. »Können wir jetzt den theoretischen Teil hinter uns lassen und mit der Praxis anfangen?«
»Du bist also doch an meinem Dingens interessiert«, frohlockte Gernot.
»Gernot, ich bin an nichts weniger interessiert als an deinem Dingens.«
»Meinst du, dass wir noch erleben werden, dass irgendeines der Geschenke ausgepackt wird?«, fragte Friedelinde ihre Sitznachbarin.
Elvira sah Friedelinde an. »Lass die Experten doch in Ruhe theoretisieren.« Sie gab Rosanna ein Zeichen. »Ich schlage vor, dass wir währenddessen schon mal zum gemütlichen Teil übergehen.«
Rosanna hatte verstanden und kam mit einer Flasche Sorgenspüler und einigen Gläsern an den Tisch. Sie hatte dieses besondere Getränk eingeführt, mit dem die Kunden des Waschsalons ihre Sorgen wegspülen konnten, während einige Meter weiter ihre Wäsche gespült wurde. »Kriegen die Männer was ab?«
»Die brauchen nichts. Die haben keine Sorgen«, erklärte Elvira. »Sieh sie dir an, sie sind glücklich und zufrieden.«
»Nicolas muss noch fahren.« Friedelinde betrachtete die Männerrunde. Gernot und Nicolas befanden sich noch immer in einer angeregten Diskussion über den fachmännischen Begriff für das, was sie hier taten, Lukas beobachtete die beiden schmunzelnd.
Lukas Kampmann war ein interessanter Mann. Groß und gut aussehend. Sie hatte ihn zunächst für verschlafen gehalten, aber jetzt hätte sie interessiert, was er über seine streitenden Geschlechtsgenossen dachte. Eine Frau musste mit Blind- und Blödheit geschlagen sein, wenn sie einen solchen Mann links liegen ließ.
Friedelindes Blick wanderte zu Theresa, die im Schneidersitz auf dem Fußboden saß und mit Sissy und Moritz spielte. Das fand sie aus mehreren Gründen bemerkenswert, denn Theresas beigefarbene Designer-Gabardine-Hose kostete Minimum zweihundert Euro und würde nicht ohne Flecken aus diesem Spiel hervorgehen. Ursprünglich hatten sich die beiden kennengelernt, weil Theresa das Haus neben Friedelinde gekauft und umgebaut hatte. Nach der Trennung von ihrem Mann lebte sie jetzt allein dort, aber das schien ihr nichts auszumachen. Friedelinde hatte immer gedacht, ihre Nachbarin und Freundin mache sich nichts aus Kindern. Und sie hatte angenommen, dass Theresa die gemeinsame Zeit mit Lukas nutzen würde. Okay, für Letzteres hätte Theresa ihre Gefühle offen zeigen müssen, und Theresa war ein Ausbund an Korrekt- und Beherrschtheit. Von ihrer Haltung konnte sich Friedelinde etwa zehn bis zwölf Scheiben abschneiden.
»Trinkst du noch mit uns, oder wartest du, bis alles verdunstet ist?«, fragte Rosanna.
»Entschuldigt, ich war abgelenkt.«
»Haben wir gemerkt.« Elvira stieß mit Friedelinde, Betty, Rosanna und Theresas Tante Hedwig an.
»Hu«, machte die, als sie kurz am Sorgenspüler roch. »Ich trinke abends gern mal einen Cognac, aber dieser Schnaps hat es ja in sich.«
»Ich hole Ihnen gern was anderes«, bot Rosanna an. »Ich könnte auch heiße Schokolade machen. Ohne Schuss.«
»Nein, nein«, wehrte die alte Dame ab. »Ich mache das mal genauso, wie Sie das immer handhaben. Es hält jung, wenn man auch mal etwas anders macht als die letzten achtzig Jahre.« Hedwig hob ihr Glas und stieß noch einmal mit Elvira an. »Nur so lernt man nette Menschen kennen.«
»Aha«, sagte Friedelinde. »Und wo sind die?«
Es gefiel ihr, wie Hedwig über diesen Scherz mit ihnen lachen konnte, und die beiden stießen auch noch mal an.
»Aber trotzdem sollten wir jetzt erst mal ein Päuschen einlegen und uns mit den Paketen befassen.« Rosanna deutete auf den geschmückten Geschenketisch.
»Dazu müsste sich die Expertenrunde erst mal auf eine Tagesordnung und ein vorschriftsmäßiges Verfahren einigen«, sagte Betty mit Blick auf die Männer, die mittlerweile über alles Mögliche sprachen, aber sicher nicht über Julklapp.
»Das war ganz klar Abseits, glaub es mir einfach, Gernot«, behauptete Nicolas.
»Im Abseits war aber kein Körperteil, sondern der Zipfel seiner Hose.«
»Der Zipfel seiner Hose? Entschuldige mal, hier sind Kinder im Raum.«
»Nicolas! Das war deutlich zu sehen. Die hatten diese kurzen weiten Hosen an, und zwischen dem Stoff und seinem Bein ist auch noch Luft.«
»Luft, Gernot. Ehrlich.«
Rosanna trat zu den Männern an den Tisch. »So, Jungs, Themenwechsel. Wie machen wir’s? Würfeln? Eine Torwand habe ich leider nicht.«
»Wir würfeln«, sagte Gernot und rieb sich die Hände. »Ich räum mal das Geschirr weg, damit wir ordentlich Platz haben.«
»Ach so«, Friedelinde ging zum Geschenketisch hinüber. »Betty, könntest du uns eine Windel abgeben? Oder ist hier vielleicht irgendwo eine eingepackt?« Friedelinde musste ziemlich laut sprechen, um sich über die Stimmen der anderen hinweg bemerkbar zu machen.
»Was?« Betty sah sie entgeistert an. Gernots Frau hatte manchmal noch Schwierigkeiten, mit Friedelindes Humor klarzukommen. »Ach so, nein, also ja, du kannst eine haben. Am besten wickle ich Sissy auch gleich.«
Sie schnappten sich ihre Kinder und verschwanden in der Damentoilette, die mit einem praktischen Wickeltisch ausgestattet war.
»Hast du diesen merkwürdigen Weihnachtsmann draußen gesehen?«, fragte Friedelinde, als sie die gebrauchten Windeln im Mülleimer versenkten.
»Was stimmt denn nicht mit ihm?«
»Er riecht nach Aftershave und trägt eine teure Armbanduhr.«
Betty legte die Stirn in Falten. »Fängst du schon wieder zu kriminalisieren an? Ich denke, das mag Nicolas nicht.«
»Ich habe nur etwas bemerkt, dass etwas mit diesem Mann nicht stimmt. Das bedeutet nicht, dass ich polizeiliche Ermittlungen anstelle.« Friedelinde verschloss die Windel und steckte Moritz’ Fuß in ein Hosenbein. »Also?«
»Na ja, der hat so komisch geguckt.«
»Siehste.« Friedelinde steckte den zweiten Fuß ins andere Hosenbein. »Und wie genau hat der geguckt?«
»Na, so komisch.«
Friedelinde seufzte. Sie hatte durchaus Verständnis dafür, dass nicht jeder beim Anblick eines Mannes mit teurer Armbanduhr als Erstes an ein Verbrechen dachte. Aber wenn es sich bei dem Mann um den Weihnachtsmann handelte, der offenbar im Clinch mit Knecht Ruprecht lag, sah die Sache doch ganz anders aus, oder? Sie hob Moritz hoch und knuddelte ihn. Und nur weil sie Augen und Ohren offen hielt, bedeutete das schließlich nicht, dass sie aktiv Verbrechen aufspürte. Genau genommen war es doch nur folgerichtig, dass ihr etwas auffiel, was anderen entging. Und das hatte auch nichts mit ihr zu tun. Jedenfalls nicht direkt.
»Kommst du?«, fragte Betty, die mit Sissy auf dem Arm an der Tür stand.
»Äh, natürlich.«
Der Kaffeetisch war zwischenzeitlich abgeräumt worden, und das Geschirr war den Julklappgeschenken gewichen. Friedelinde wollte sich eigentlich setzen, aber sie war weiterhin abgelenkt. Durch die gläserne Eingangstür sah sie, dass sich nun ein älterer Herr dem Weihnachtsmann näherte. Und in seinen Händen hielt er ein Weihnachtsgeschenk. Sie drückte dem etwas verdutzten Lukas Kampmann Moritz in den Arm, weil der am nächsten stand, und ging nach draußen. Unversehens trat sie in den Kuchenteller, den sie vorhin auf dem Boden abgestellt hatte. Immerhin hatte der Weihnachtsmann das Stück Torte schon aufgegessen, aber trotzdem war der Porzellanteller hinüber.
Der Weihnachtsmann und der alte Mann mit dem Geschenk sahen sie erschrocken an.
»Was wollen Sie?«, fragte der Alte und zog das Geschenk an seine Brust. Er schien es beim Einwickeln eilig gehabt zu haben. Das Geschenkpapier zu kurz, zerknittert und am Tesafilm gespart. Was sie hier wollte, wusste Friedelinde auch nicht so genau, aber sie hatte das Gefühl zu stören. Was ein wenig merkwürdig war, weil der Weihnachtsmann, der eigentlich ein Bettler war, den Mann, der ihm etwas schenken wollte, kaum kennen konnte.
»Äh, ich …« Friedelinde trat aus den Scherben und sammelte sie auf. »Tut mir leid, ich wollte nur fragen, ob Sie vielleicht wissen, wie Julklapp genau abläuft.«
»Was?« Der Weihnachtsmann würdigte Friedelinde keines Blickes, sondern behielt das Geschenk genau im Auge.
»Wissen Sie das zufällig?«, fragte Friedelinde den Mann.
Der Alte sah Friedelinde misstrauisch an. »Wieso wollen Sie das denn wissen?«
»Na, weil wir hier drinnen genau das machen wollen. Julklapp.« Friedelinde deutete mit dem Daumen hinter sich. »Ist das hier vielleicht auch so eine Art Julklapp, was Sie machen?«
»Also, hören Sie mal. Man kann als gesetzestreuer Bürger doch wohl mal eine gute Tat tun und einem armen Mann etwas schenken«, empörte sich der ältere Herr.
»Ja, natürlich können Sie das tun. Ich wollte das nur wissen.« Friedelinde wandte sich um. »Schönen Adventssonntag noch«, sagte sie und kehrte in den Waschsalon zurück. Sie schloss die Tür und sah nach draußen. Der Weihnachtsmann griff wenig zurückhaltend nach dem Geschenk des Mannes, der sich offenbar schwer davon trennen konnte. Scheinbar widerwillig entfernte sich der Alte und blieb drüben bei der Apotheke stehen und sah zum Weihnachtsmann hinüber.
»Was machst du hier?«, fragte Theresa. »Wir wollen anfangen.«
»Siehst du das?« Friedelinde deutete durch die Tür nach draußen.
»Man nennt es Schnee.«
»Richtig, und im Schnee sitzt ein Weihnachtsmann, und der hat jetzt, seit wir hier sind, zwei Geschenke eingesackt.«
»Das ist doch ein guter Schnitt.«
Friedelinde sah Theresa an, die einen Kopf größer war als sie. »Hallo? Normalerweise gibt der Weihnachtsmann die Geschenke, dieser hier nimmt die Geschenke!« Sie unterstrich das Geben und Nehmen mit Gesten.
»Friedelinde, ich weiß im Augenblick nicht, worauf du hinauswillst. Dieser Weihnachtsmann ist doch offensichtlich so etwas wie ein Bettler, und der kriegt eben …«
»Ja? Was kriegt der?«
»Na, Geld und so Sachen.«
»So Sachen? Der kriegt hier eingepackte Geschenke, als wär schon Heiligabend.«
»Das macht doch nichts? Das ist doch nett.« Theresa fasste Friedelinde an den Schultern. »Und wir wollen jetzt Julklapp machen.«
»Aber … Habt ihr denn rausgefunden, wie es geht?«
Theresa blies die Backen auf. »Ich hab keine Ahnung. Wenn es nach mir geht, reicht es völlig aus, wenn sich jeder ein Geschenk nimmt, das er nicht selbst mitgebracht hat.«
Gernot kratzte sich am Kopf. »Also, wenn ich nicht zu viel Spekulatiustorte hatte, dann liegt hier ein Geschenk zu viel.«
Rosanna stand am Tischende und zählte mit den Fingern durch. »Stimmt. Eines zu viel.«
»Da wollte wohl einer von euch mehr alten Kram loswerden als nur ein lumpiges Geschenk, oder?« Nicolas grinste in die Runde. »Wer war das?«
»Das ist ja merkwürdig.« Hedwig zählte ebenfalls nach.
»Also, wenn das keiner von uns war, dann muss es Knecht Ruprecht gewesen sein.«
»Hä?« Gernot sah Elvira an, die das gesagt hatte.
»Na, Knecht Ruprecht ist doch vorhin reingekommen. Andere Leute sind hier ja nicht.«
»Tatsächlich?«, fragte Friedelinde. »Wann denn?«
»Als ihr die Kinder gewickelt habt, ist er aufs Herrenklo«, erklärte Rosanna.
Friedelinde sah sich um. »Und wo ist der jetzt?«
»Auf dem Klo.«
»Knecht Ruprecht ist auf der Toilette?«
»Also, wir können jetzt noch drei Stunden weiter diskutieren oder mal endlich anfangen«, warf Nicolas ein. »Diese Windeln halten nicht ewig.«
Theresa kniff die Augen zusammen, und Lukas schmunzelte.
»Dieses Paket kenne ich«, stellte Friedelinde fest und betrachtete das rot eingewickelte Päckchen.
»Also ist es von dir?«, fragte Theresa.
»Nein, das ist von der Dame.«
»Von welcher Dame?«
Friedelinde deutete zur Tür. »Na, von der Frau, die dem Weihnachtsmann dieses Paket geschenkt hat.«
Rosanna schüttelte den Kopf. »Also, ich bin irgendwo zwischen Dame und Weihnachtsmann ausgestiegen.«
Friedelinde nahm das Päckchen hoch und schüttelte es, aber es war nichts zu hören. »Was ist das?«
»Mach es auf und sieh nach«, schlug Theresa vor.
»Das kann ich doch nicht, das ist do–« Plötzlich wurde Friedelinde von hinten angerempelt und musste einen Schritt nach vorn machen, um sich zu fangen. Jemand riss ihr das Paket aus den Händen, dann fiel die Tür des Waschsalons zu. »… doch nicht meins«, sagte Friedelinde fassungslos.
»Huch!«, machte Hedwig.
Nicolas sprang auf und lief zur Tür. Er riss sie auf und verschwand draußen im Schnee.
»Wieso klaut Knecht Ruprecht jetzt das Geschenk?«, fragte Theresa.
»Weil es seins ist«, stellte Gernot fest.
»Und wieso läuft er dann weg?«
»Weil er es eilig hat. Können wir jetzt anfangen?«
Nicolas kehrte zurück und brachte einen Schwall kalte Luft mit. »Der ist weg.«
»Ist ja auch nicht unser Problem. Genau genommen hat sich Knecht Ruprecht nur das genommen, was ihm gehört.« Elvira deutete auf Nicolas’ Stuhl. »Setz dich. Wir fangen jetzt am besten wirklich mal an. Ich will nach Hause, bevor es dunkel wird.«
»Na, also dann müssen wir unsere Geschenke alle zur selben Zeit aufreißen und sofort los.« Friedelinde wandte sich um und verrenkte sich den Hals, um einen Blick auf den Weihnachtsmann zu werfen. Der saß tatsächlich immer noch da, obwohl es inzwischen dämmerte und seine Weihnachtsmannmütze mit Schnee bedeckt war.
»Okay, und nu?«, fragte Nicolas, als alle saßen und die Geschenke anstarrten.
»Jetzt würfeln wir«, erklärte Elvira.
»Gut, und wenn einer eine Zahl gewürfelt hat, was bedeutet das dann?«
»Dann kann er sich ein Geschenk aussuchen«, schlug Gernot vor.
»Aber einige haben ihr Geschenk fünfmal eingepackt, beispielsweise du«, entgegnete Nicolas.
»Dann geb ich es weiter.«
Nicolas schüttelte den Kopf. »Dass das aber auch so kompliziert sein muss. Also, fang an, Gernot, bevor wir einschneien und bis Heiligabend auch noch die letzten Windeln ausgehen.«
Gernot nahm die beiden Würfel, würfelte eine Sechs und nahm sich ein Geschenk.
»Also, dafür müssen wir ja nun eigentlich nicht würfeln«, stellte Theresa fest. »Es kann sich doch jeder ein Geschenk nehmen.«
»Hat sie recht«, stimmte Rosanna zu.
»Leute, ich krieg Kopfschmerzen. Pack jetzt einfach dein Geschenk aus, Gernot.« Nicolas rieb sich die Stirn.
Friedelinde kippelte ein Stück mit dem Stuhl zurück und sah nach draußen. Es war doch nicht normal, dass ein Bettler an einem Tag, an dem die Läden geschlossen hatten, bei Schneefall im Dunkeln auf der Straße hockte. Und es war nicht normal, dass trotzdem Leute kamen, die ihm etwas überreichten. Nein, nicht etwas. Jeder hatte ein Geschenk dabei. Wenn die Passanten Münzen oder von ihr aus auch Scheine in seinen Hut werfen würden, wäre das verständlich. Aber dass alle mit einem weihnachtlich eingepackten Geschenk auftauchten, das wirkte wie verabredet. Andererseits kamen sie mit ihren Gaben nicht alle zur selben Zeit, sondern nacheinander, schienen sich nicht zu kennen und wirkten irgendwie verhuscht oder zumindest unsicher. Ob da draußen ein schwunghafter Drogenhandel stattfand? Eher unwahrscheinlich, denn eines war den Schenkern gemein, sie waren beide …
»Friedelinde. Friedelinde? Friedelinde!« Nicolas war laut geworden. »Wir wollen jetzt endlich wissen, was in diesem Geschenk versteckt ist. Kannst du das mal auspacken?«
Friedelinde sah verwirrt auf. »Wieso ich?«
»Weil du dran bist.«
Weisungsgemäß wickelte Friedelinde das Geschenkpapier von einem runden Türmchen und förderte Glasuntersetzer aus Kork zutage. »Oh, das ist – praktisch.«
»Das hat meine Mutter damals auch gesagt«, erklärte Rosanna kichernd. »Ich hab nichts dagegen, wenn du sie Moritz zur Weiterverarbeitung überlässt.«
»Nein, warum? Die können wir prima gebrauchen, nicht, Nicolas?«
Dessen Reaktion fiel eher verhalten aus. »Okay, wer ist als Nächstes dran?«
»Du.« Gernot lächelte zufrieden und reichte Nicolas die Würfel.
»Brauch ich nicht.«
Friedelinde sah ihrem Mann an, dass er versuchte herauszufinden, welches Paket das von Gernot war. Sie tippte auf das gelbe mit den grünen Sternen, das eine gewisse Ähnlichkeit mit Gernots Pullover aufwies. Gernot hatte eine Affinität zu Kleidung, die andere Leute, ohne zu zögern, in den Altkleidercontainer steckten. Nicolas entschied sich für die große eingewickelte Banane. Tatsächlich war diese nur von einer Lage Geschenkpapier umhüllt und enthielt keine Banane, sondern einen geflochtenen Rotweinflaschenhalter. Nicolas’ Kerzenleuchter war die passende Rache für das Geschenk.
»Wer war das?«, fragte Nicolas drohend.
Elvira kicherte. »Spiros hat das scheußliche Teil nicht mehr gefallen.« Spiros war Gemüsehändler in Altona, der im fortgeschrittenen Alter Elviras Herz erobert hatte und der Grund dafür gewesen war, dass sie ihren Waschsalon aufgegeben hatte.
»Schönen Gruß. Und nächstes Mal soll er wenigstens eine Flasche Wein reinlegen.«
»Die hätte Ihnen ja alles verraten«, wandte Hedwig ein und rutschte auf ihrem Stuhl nach vorn. »Jetzt würde ich gern eines auspacken.«
»Nur zu, wir haben mehr als genug von diesen Scheußlichkeiten«, sagte Nicolas.
Sie entschied sich für ein quadratisches Päckchen, in dem sich eine Holzpuppe mit Drähten auf dem Kopf befand. Die Männer guckten irritiert.
»Das habe ich ja seit hundert Jahren nicht mehr gesehen.« Theresa beugte sich vor. »Witzig.«
»Originell. Es ist sogar ein bisschen Wolle dabei, ich kann eurem Kleinen eine Mütze stricken.«
»Wie das?«, fragte Gernot und begutachtete die Puppe.
»Das ist eine Strickliesel. Unten kommt ein gestrickter Schlauch heraus, den man zusammennähen kann.« Hedwig Fröhlich lächelte in die Runde. »Darüber freue ich mich.«
Friedelinde hoffte, dass die alte Dame nicht sah, wie Nicolas den Kopf schüttelte. Es war doch schön, dass sich jemand an einer alten wiederentdeckten Sache freute. »Über eine Mütze würden wir uns sehr freuen, Hedwig.«
»Dann mache ich mal ein Paket auf«, meldete sich Lukas Kampmann zu Wort. Er griff nach einem flachen länglichen Geschenk. »Sieht aus wie eine Tafel Schokolade.« Es war eine Tafel Schokolade, und sie war noch nicht einmal abgelaufen. Ein Umstand, der Lukas den Neid der anderen zuzog.
»Ich setze mal neuen Kaffee auf«, verkündete Rosanna. »Ihr seht aus, als könntet ihr eine kleine Pause gebrauchen.«
»Richtig, und ich geh auch mal kurz für kleine Weihnachtsmänner«, erklärte Gernot und verschwand in Richtung Toiletten.
Friedelinde nutzte die Gelegenheit, um einen Blick nach draußen zu werfen. Es war inzwischen dunkel, nur die Laterne vor der Apotheke auf der anderen Straßenseite bildete einen Lichtkegel, an dessen Rand der Bettler immer noch saß. Sie sah zur Seite, als Hedwig neben sie trat.
»Meine Liebe, darf ich Sie etwas fragen?«
»Nur zu.«
»Meine Nichte, Theresa, Sie wissen schon, sie hat mir erzählt, dass Sie sich für Kriminalfälle interessieren«, sagte Hedwig.
Friedelinde grinste. »Manche meinen, ich würde meine Nase ungefragt in anderer Leute Angelegenheiten stecken. Dabei bin ich nur an meinem Umfeld interessiert.«
»Das geht mir ähnlich. Meine Nichte ist immer so besorgt um mich.«
»Kenne ich«, bestätigte Friedelinde. »Mein Mann tut auch immer so, als wäre eine Sache irgendwie gefährlich, dabei kann davon nun wirklich nicht die Rede sein. Es ist schließlich nicht meine Schuld, wenn die Verstorbenen in meinen Nachlasspflegschaften keines natürlichen Todes sterben. Und man möchte doch schon wissen, wer der Mörder ist. Also, ich jedenfalls.«
»Sehe ich genau wie Sie, meine Liebe. Wissen Sie, dieses Küchenmesser damals war nun wirklich nicht besonders scharf, und der Mann war ja auch eher verzweifelt als aggressiv. Das habe ich dann auch dem Journalisten so erzählt.«
»Ich erinnere mich. Darüber habe ich in der Zeitung gelesen. Theresa hat mir den Artikel gezeigt.« Für Friedelinde war diese Mitteilung eine ganz neue Erfahrung. Üblicherweise hielten sie alle für verrückt oder gefährdet. Natürlich hätte es sein können, dass sie damals in den Garagenboden einbetoniert worden oder bei dem Feuer im Keller umgekommen wäre, aber bei genauer Betrachtung waren das doch keine wirklich gefährlichen Situationen gewesen. Gefährlich war es, bei Rot über die Straße zu gehen oder bei Gewitter unter einer Eiche Schutz zu suchen.
»Sag ich doch«, bestätigte sie deshalb. »Leute wie wir haben die Situation jederzeit unter Kontrolle und immer alles im Blick.«
Hedwig rückte ein wenig dichter an Friedelinde heran, sodass diese den leichten Maiglöckchenduft erschnupperte, der die alte Dame umgab. »Wissen Sie, ich habe mir so meine Gedanken gemacht«, raunte sie.
»Welche denn?«, gab Friedelinde leise zurück.
»Dieser Knecht Ruprecht, der vorhin hier drin auf der Toilette war und Ihnen anschließend so rüpelhaft das Geschenk entrissen hat …« Hedwig sah sich um. »Ich glaube, der wollte gar nicht aufs Klo. Also, er wollte die Toilette aufsuchen, aber nicht, um dort etwas … Sie wissen schon, zu erledigen. Der wollte sich verstecken.«
»Vor wem?«
Hedwig deutete nach drüben auf die geschlossene Tür der Apotheke, vor der ein Scherengitter heruntergelassen war. »Dort drüben stand einer und hat hier rübergeguckt.«
»Ein Mann? Konnten Sie ihn erkennen?«
»Nicht besonders gut. Es schien mir ein älterer Herr zu sein, aber er trug einen Hut und hatte einen Schal um den Hals geschlungen, und dann bei dem Schnee.«
»Das könnte der Mann gewesen sein, der dem Bettler ein Geschenk überreicht hat.«
»Das rote?«
»Nein, das stammte von einer alten Dame.«
»Wie? Sie meinen, hier kommen alte Leute vorbei und geben dem Bettler Weihnachtsgeschenke?«
»Richtig.«
»Aber das ist doch eher ungewöhnlich, finden Sie nicht?«
»Ganz meine Meinung«, bestätigte Friedelinde. »Aber ich hab noch nicht rausgefunden, was dahintersteckt. Ich habe nur den Eindruck, es steckt ein Muster dahinter.«
»Ja, es handelt sich um alte Leute, und sie werfen keine Münzen in den Hut, sondern bringen dem Bettler Geschenke«, fasste Hedwig zusammen. »Und dass der Mann noch hier sitzt, ist doch auch eher ungewöhnlich. Man sollte meinen, dass er um diese Uhrzeit nicht mehr auf wohltätige Seelen hoffen kann.«
»Nein«, sagte Friedelinde nachdenklich. »Es sei denn, er weiß, dass noch jemand kommen wird.«
»Aber woher sollte er das denn wissen? Und ehrlich gesagt, stehen die Chancen doch eher schlecht, weil …« Hedwig kniff die Augen zusammen. »Sie haben recht. Er weiß das, weil er die alten Leute einbestellt hat.«
»Richtig, und er arbeitet auch nicht allein. Dieser eigenartige Knecht Ruprecht ist sein Komplize. Der nimmt ihm jedes Mal das Geschenk gleich wieder ab, das ihm einer der älteren Menschen übergeben hat.«
»Um es in Sicherheit zu bringen?«, mutmaßte Hedwig. »Oder sie wollen nicht, dass der Nächste sieht, dass er schon Geschenke erhalten hat.«
»Bei mir hat’s noch nicht so richtig geschnackelt«, gab Friedelinde zu. »Warum bringen die alten Leute überhaupt ihre Geschenke her? Was ist denn eigentlich darin?«
»Sie haben doch vorhin eines in der Hand gehabt und geschüttelt. Konnten Sie herausfinden, was drinnen war?«
»Leider nicht. Es war nichts zu hören.«
»Hm.« Hedwig rieb sich das Kinn. »Meinen Sie, da steckt etwas Illegales dahinter?«
»Ist so mein Gefühl«, gab Friedelinde zu.
»Das heißt, wenn dieser Kerl noch hier draußen sitzt, um etwas im Schilde zu führen, dann kommt jetzt noch irgendein ahnungsloser Mensch vorbei und tappt in eine Falle.«
»Letzte Gelegenheit, herauszufinden, was da draußen los ist.«
»Na, meine Damen«, sagte Theresa, die hinter ihnen aufgetaucht war und beiden die Arme um die Schultern legte. »Dein Mann und dein Kind fangen an zu quengeln, Friedelinde. Dein Mann braucht eine neue Windel, und der Kleine will ein Bier. Oder umgekehrt.« Sie sah nach draußen. »Mit dem stimmt was nicht, oder?«
»Das hast du bemerkt?«, fragte Friedelinde.
»Dass ich nicht ständig Verbrechen aufklären will, bedeutet nicht, dass ich sie nicht erkenne, wenn ich sie sehe. Der Typ führt irgendetwas im Schilde. Aber wir sind heute hier, um Julklapp zu machen.«
Hedwig zwinkerte Friedelinde zu. Beide nahmen wieder am Tisch Platz, allerdings ohne den Blick von dem mittlerweile ziemlich stark eingeschneiten Bettler zu nehmen.
»So, ich würde sagen, wir packen jetzt mal das mysteriöse Dingens von Gernot aus. Ich hab schon was, deshalb kann ich die erste Schicht Papier gefahrlos abtragen«, verkündete Nicolas und wickelte das gelbe Papier von dem großen Geschenk, sodass darunter ein orangefarbenes mit Sonnenschirmen zum Vorschein kam.
»Sehr festlich, Gernot.«
»Wir hatten leider nicht mehr so viel weihnachtliches Geschenkpa–«, entschuldigte sich Gernot, der rüde unterbrochen wurde.
»Da!«, rief Hedwig und sprang auf.
»Wo?« Friedelinde wandte sich um.
Tatsächlich erschien draußen gerade eine alte Dame im Pelzmantel, die einen Einkaufstrolley hinter sich herzog. Sie stellte das Wägelchen neben dem Bettler ab und schlug die Verschlusslasche auf.
»Los!«, rief Friedelinde. »Hinterher.«
Sie stürzte zur Tür, gefolgt von Hedwig und den fassungslosen Blicken der anderen.
Friedelinde riss die Tür des Waschsalons genau in dem Augenblick auf, als die Dame ein ziemlich großes Geschenk aus dem Trolley gehoben hatte und dem Bettler überreichen wollte. Der war durch Friedelindes Auftauchen kurz abgelenkt, fasste sich aber wieder und war schnell auf den Beinen.
»Was ist da drin?«, fragte Friedelinde atemlos.
»Sehen Sie!«, rief die alte Dame dem Weihnachtsmann zu. »Sie hatten völlig recht. Sie sind hinter mir her.«
Der Weihnachtsmann schien etwas überfordert mit der Situation und guckte verdattert auf das Geschenk in seinen Händen. Mittlerweile waren Nicolas und Lukas in der Tür des Waschsalons aufgetaucht, hinter ihnen reckten die anderen Gäste die Hälse.
»Verdammte Scheiße, Achim!«, rief Knecht Ruprecht, der plötzlich aus dem Dunkeln aufgetaucht war. »Was ist hier los?«
»Das wüsste ich auch gern«, sagte Nicolas. »Sander. Kriminalpolizei.«
»Ha!«, sagte die alte Dame. »Wer soll Ihnen das denn glauben?«
»Polizei?« Der Weihnachtsmann sah Nicolas fassungslos an.
»Gib das Geschenk her, Achim!«, forderte Knecht Ruprecht den Weihnachtsmann auf.
Nicolas und Lukas sprangen beide auf den Weihnachtsmann zu, aber der war schneller und warf das Geschenk weg, direkt zu Knecht Ruprecht.
So ein Mist, dachte Friedelinde. Das haben wir vergeigt. Aber plötzlich tauchte eine große, kräftige Gestalt in schwarzer Lederjacke aus dem Dunkeln auf, stieß Knecht Ruprecht beiseite, der zu Boden ging, und fing das Geschenk auf.
»Hey«, rief der Mann mit der Lederjacke. »Ich wusste gar nicht, dass Sie hier so viel Spaß haben, Frau Fröhlich.«
»Ach, Herr Yildirim, Sie schickt der Himmel.«
Während Nicolas den Weihnachtsmann und Lukas Knecht Ruprecht dingfest machten, führten Friedelinde und Hedwig die alte Dame im Pelzmantel in den Waschsalon. Sie wirkte völlig durcheinander.
»Wer ist denn nun eigentlich die echte Polizei?«, fragte sie in die Runde.
Rosanna stellte ihr eine Tasse Kaffee hin. »Ich weiß zwar nicht, wer die falsche Polizei ist, aber die beiden sind von der Kriminalpolizei.« Sie deutete auf Nicolas und Lukas, die zwei Streifenwagen angefordert hatten und die Personalien des Weihnachtsmannes und seines Komplizen aufnahmen.
Mustafa Yildirim stellte das Paket der alten Dame auf den Tisch. »Ich dachte eigentlich, dass ich die deutschen Sitten und Gebräuche allmählich draufhabe, aber diese Nummer, dass man Julklappgeschenke auf die Straße wirft, ist für mich neu.«