Ein Yankee am Hofe König Artus' - Mark Twain - E-Book

Ein Yankee am Hofe König Artus' E-Book

Mark Twain

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Beschreibung

Twains urkomische Abrechnung mit dem romantisch verklärten Rittertum In diesem Zeitreise-Roman wacht der Vollblut-Yankee Hank Morgan nach einer Schlägerei im englischen Mittelalter auf; zur Zeit der Ritter, Hofdamen und Zauberer. Zunächst noch ein Gefangener am Hofe Camelots, kann er sich bald mit List und Wissen um die Technik des 19. Jahrhunderts zum direkten Berater König Artus' emporschwingen. Morgan will den Rittern die Zivilisation bringen, mit Telefonen, Seifenwerbung und der ersten Zeitung des Landes. Doch sein Erfolg weckt auch die Neider: Der alte Zauberer Merlin, bisheriger Berater von Artus, fühlt seine Macht schwinden. Null Papier Verlag

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Mark Twain

Ein Yankee am Hofe König Artus’

Illustrierte Fassung

Mark Twain

Ein Yankee am Hofe König Artus’

Illustrierte Fassung

(A Yankee in King Arthur’s Court)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: J. Schulze, J. Ott, G. Blache, J. Botstiber 3. Auflage, ISBN 978-3-954187-76-8

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Inhaltsverzeichnis

Vor­wort des Ver­le­gers

Vor­wort der Über­set­ze­rin

Vor­re­de

Ein Wort der Er­klä­rung

Die Ge­schich­te des Frem­den

1. Ca­me­lot

2. Der Hof des Kö­nigs Ar­tus

3. Rit­ter der Ta­fel­run­de

4. Herr Dina­dan, der Hu­mo­rist

5. Eine In­spi­ra­ti­on

6. Die Son­nen­fins­ter­nis

7. Mer­lins Turm

8. Der Meis­ter

9. Das Tur­nier

10. Be­ginn der Zi­vi­li­sa­ti­on

11. Der Yan­kee auf der Fahrt nach Aben­teu­ern

12. Lang­sa­me Tor­tur

13. Freie!

14. »Ver­tei­digt Euch, Herr!«

15. San­dys Er­zäh­lung

16. Mor­gan le Fay

17. Ein kö­nig­li­ches Ban­kett

18. In den Ker­kern der Kö­ni­gin

19. Fah­ren­des Rit­ter­tum als Ge­wer­be

20. Das Schloss des Ogers

21. Die Pil­ger

22. Die hei­li­ge Quel­le

23. Wie­der­her­stel­lung der Quel­le

24. Als Ri­va­le des Ma­giers

25. Eine Kon­kur­renz-Prü­fung

26. Die ers­te Zei­tung

27. Der Yan­kee und der Kö­nig rei­sen in­ko­gni­to

28. Der Kö­nig wird ge­drillt

29. Die Blat­tern­hüt­te

30. Die Tra­gö­die im Herr­schafts­haus

31. Mar­ko

32. Dow­leys De­mü­ti­gung

33. Volks­wirt­schaft im sechs­ten Jahr­hun­dert

34. Der Yan­kee und der Kö­nig als Skla­ven ver­kauft

35. Ein herz­zer­rei­ßen­der Vor­fall

36. Ein Zu­sam­men­stoß im Dun­keln

37. Eine schreck­lich miss­li­che Lage

38. Herr Lan­ze­lot und die Rit­ter kom­men zur Ret­tung her­bei

39. Der Kampf des Yan­kees mit den Rit­tern

40. Drei Jah­re spä­ter

41. Der Kir­chen­bann

42. Krieg!

43. Die Schlacht am Sand­gür­tel

44. Eine Nach­schrift von Cla­rence

Schluss-P. S. von M.T.

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr Jür­gen Schul­ze

Klas­si­ker bei Null Pa­pier

Ali­ce im Wun­der­land

Anna Ka­re­ni­na

Der Graf von Mon­te Chri­sto

Die Schat­zin­sel

Ivan­hoe

Oli­ver Twist oder Der Weg ei­nes Für­sor­ge­zög­lings

Ro­bin­son Cru­soe

Das Got­tes­le­hen

Meis­ter­no­vel­len

Eine Weih­nachts­ge­schich­te

und wei­te­re …

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Vorwort des Verlegers

Als Ein-Mann-Ver­le­ger in­ves­tie­re ich in die Qua­li­tät mei­ner Ver­öf­fent­li­chun­gen und nicht in Wer­bung. Wenn Sie mich un­ter­stüt­zen möch­ten, schaf­fen Sie es am bes­ten durch eine po­si­ti­ve Be­wer­tung. Und wenn es mal et­was zu kri­ti­sie­ren gibt, dann schrei­ben Sie mir doch bit­te di­rekt, so er­hal­ten Sie am schnells­ten eine Re­ak­ti­on.

Ihr

Jür­gen Schul­ze, re­dak­tion@­null-pa­pier.de

Im­mer bes­tens in­for­miert:

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Vorwort der Übersetzerin

Lie­be Le­se­rin, lie­ber Le­ser,

auch wer von Mark Twain noch nichts ge­le­sen hat, kennt doch si­cher sei­ne Ge­schich­ten um Tom Sa­wyer und Huck­le­ber­ry Finn; zwei Jun­gen, die sich der er­wach­se­nen Ge­sell­schaft wi­der­set­zen. Und auch wer sich noch nicht in die Welt des sa­gen­haf­ten Kö­nig Ar­tus‘ ein­ge­le­sen hat, kennt doch min­des­tens die Rit­ter der Ta­fel­run­de, den Zau­be­rer Mer­lin, die Su­che nach dem Hei­li­gen Gral.

Was kann die ge­neig­te Le­ser­schaft nun er­war­ten, wenn ein er­klär­ter Yan­kee, ein mo­der­ner Ame­ri­ka­ner durch und durch, der po­li­tisch um die Er­run­gen­schaf­ten der zu sei­ner Zeit mo­d­erns­ten De­mo­kra­tie kämpft, durch eine Zeit­ver­schie­bung in die feu­da­le Welt des 6. Jahr­hun­derts in Eu­ro­pa ver­setzt wird?

Gro­ßes Ver­gnü­gen er­war­tet die Le­se­r­in­nen und Le­ser, die die Be­zeich­nung der »hei­li­gen Gra­le­rei« als bis­sig-iro­nisch er­ken­nen und wert­schät­zen. Eine klei­ne War­nung hin­ge­gen sei aus­ge­spro­chen: Die ech­ten Fans der Ar­tus-Welt soll­ten sich auf das Aben­teu­er die­ses Bu­ches vor­sich­tig ein­las­sen. Sie wür­den näm­lich be­mer­ken, dass der ame­ri­ka­ni­sche Rea­list Mark Twain kei­ner der ih­ren ist. Als prak­ti­scher, ak­ti­ver Yan­kee sieht der Er­zäh­ler sei­ne Auf­ga­be dar­in, die Welt des fins­te­ren Vor­mit­tel­al­ters der Zi­vi­li­sa­ti­on zu­zu­füh­ren, wenn er durch die Zeit­ver­schie­bung nun schon mal da ist.

Und auch der ge­neig­ten Le­ser­schaft wird ein­mal mehr be­wusst wer­den, wel­che Er­run­gen­schaf­ten die Mensch­heit des aus­ge­hen­den 19. Jahr­hun­derts be­reits vor­wei­sen kann. Es liegt in der Na­tur der Sa­che, dass sämt­li­che Zi­vi­li­sa­ti­ons­be­stre­bun­gen im Ge­hei­men - qua­si im Un­ter­grund - mit nur we­ni­gen ein­ge­weih­ten Ver­trau­ten - qua­si Sym­pa­thi­san­ten - von­stat­ten­ge­hen kön­nen. Die po­li­ti­schen Geg­ner sind im­mer­hin der Adel und der Kle­rus.

Gleich­zei­tig muss der Pro­tago­nist im Be­reich der Herr­schen­den blei­ben, um an die Mit­tel zu kom­men so­wie den ge­sell­schaft­li­chen Ein­fluss aus­üben zu kön­nen. Da­durch be­kommt die Le­ser­schaft einen Ein­blick in die Welt des Feu­dal­staa­tes, und das aus­ge­rech­net in der sa­gen­um­wo­be­nen Ar­tus-Welt. Dass der mäch­ti­ge Zau­be­rer Mer­lin einen noch viel grö­ße­ren Kon­kur­ren­ten be­kommt, lässt sich schon ah­nen.

Mark Twain er­klärt selbst in sei­nem Vor­wort, dass die end­gül­ti­ge Beant­wor­tung der Fra­ge nach der rich­ti­gen Herr­schafts­form ei­nes Staa­tes nicht in sei­ner Ab­sicht lag. Was ent­stan­den ist, ist eine Aus­ein­an­der­set­zung mit ver­schie­de­nen Ge­sell­schafts­for­men, span­nend, bis­sig-iro­nisch, durch­dacht, und auch sehr mensch­lich. Und da­durch ins­ge­samt - heut­zu­ta­ge und glo­bal be­trach­tet - er­staun­lich ak­tu­ell.

Ich wün­sche Ih­nen er­freu­li­che, amüsan­te und auch nach­denk­li­che Stun­den bei der Lek­tü­re.

Ihre

Ga­brie­le Bla­che

Vorrede

Die rau­en Ge­set­ze und Ge­bräu­che, die in der vor­lie­gen­den Er­zäh­lung er­wähnt wer­den, sind his­to­risch, des­glei­chen die Vor­fäl­le, die zu ih­rer Ver­an­schau­li­chung die­nen. Es wird aber nicht be­haup­tet, dass die­se Ge­set­ze und Ge­bräu­che im sechs­ten Jahr­hun­dert be­stan­den ha­ben — nein — es wird nur be­haup­tet, dass die An­nah­me, sie hät­ten im sechs­ten Jahr­hun­dert exis­tiert, kei­ne Schmä­hung die­ses Zeit­al­ters be­deu­tet, da sie ja auch in der Ge­schich­te Eng­lands und in an­de­ren Kul­tur­krei­sen weit spä­te­rer Zeit vor­han­den wa­ren. Je­den­falls ist der Schluss voll­stän­dig be­rech­tigt, dass — soll­te ein Teil von die­sen Ge­set­zen und Ge­bräu­chen in je­ner ent­le­ge­nen Zeit ge­fehlt ha­ben — sein Platz si­cher­lich durch et­was noch Schlech­te­res aus­ge­füllt war.

Ein Wort der Erklärung

Es war im Schlos­se von War­wick, wo ich dem son­der­ba­ren Frem­den be­geg­ne­te, von dem ich er­zäh­len will. Er zog mei­ne Auf­merk­sam­keit durch drei Din­ge auf sich: durch sei­ne of­fe­ne Ein­fach­heit, sei­ne au­ßer­or­dent­li­che Ver­traut­heit mit al­ter­tüm­li­chen Rüs­tun­gen und durch die be­ru­hi­gen­de Wir­kung sei­ner Per­sön­lich­keit — er führ­te näm­lich al­lein das Ge­spräch. Wir fan­den uns, wie das bei be­schei­de­nen Leu­ten der Fall ist, im Nachtrab ei­nes Ru­dels von Men­schen, die her­um­ge­führt wur­den, und er mach­te so­fort Be­mer­kun­gen, die mich in­ter­es­sier­ten. Wäh­rend er sprach, lei­se, an­ge­nehm, flie­ßend, schi­en er un­merk­lich fort­zu­trei­ben aus die­ser Welt und Zeit in ir­gend­ei­ne ent­le­ge­ne Ära und in ein al­tes, ver­ges­se­nes Land und so wob er nach und nach einen sol­chen Zau­ber um mich, dass ich mich un­ter Ge­s­pens­tern und Schat­ten zu be­we­gen glaub­te und mit ei­ner Re­li­quie des grau­en Al­ter­tums un­ter Staub und Mo­der Zwie­spra­che zu hal­ten schi­en. Und ge­nau so, wie ich von mei­nen bes­ten Freun­den oder Fein­den oder von mei­nen nächs­ten Nach­barn ge­spro­chen hät­te, sprach er von Herrn Be­di­ve­re, Herrn Bors de Ga­nis, Herrn Lan­ze­lot vom See, Herrn Gala­had und all den an­dern großen Na­men der Ta­fel­run­de — und wie alt, alt, un­aus­sprech­lich alt und ver­bli­chen, wie ver­trock­net und ver­mo­dert er zu wer­den schi­en, als er so sprach! Plötz­lich wen­de­te er sich zu mir und sag­te, ganz so, wie ein an­de­rer vom Wet­ter ge­spro­chen hät­te oder von ei­ner an­de­ren ge­wöhn­li­chen Sa­che: »Sie ha­ben von See­len­wan­de­rung ge­hört — wis­sen Sie auch et­was von der Ver­set­zung ei­nes Zeit­al­ters — oder ei­nes Men­schen in an­de­re Zei­ten?«

Ich er­wi­der­te, da­von hät­te ich noch nichts ge­hört.

Er schi­en gar nicht zu be­mer­ken, ob ich ihm ant­wor­te­te oder nicht. Eine hal­be Se­kun­de Schwei­gen trat ein, un­mit­tel­bar un­ter­bro­chen durch die Stim­me des be­zahl­ten Ci­ce­ro­ne: »Al­ter Pan­zer aus dem sechs­ten Jahr­hun­dert, dem Zeit­al­ter des Kö­nigs Ar­tus und der Ta­fel­run­de; soll dem Rit­ter Sa­gramor le De­si­rous ge­hört ha­ben; be­ach­ten Sie das run­de Loch in der lin­ken Brust des Ket­ten­pan­zers; Ur­sa­che un­be­stimmt; wahr­schein­lich durch eine Ku­gel nach Er­fin­dung der Feu­er­waf­fen ver­ur­sacht — viel­leicht bös­wil­lig durch Crom­wells Sol­da­ten.«

Mein neu­er Be­kann­ter lä­chel­te — nicht ein mo­der­nes Lä­cheln, son­dern ei­nes, das schon vor vie­len, vie­len Jahr­hun­der­ten au­ßer Ge­brauch ge­kom­men sein muss­te — und mur­mel­te, an­schei­nend zu sich selbst: »Wis­set wohl, ich sah es ge­sche­hen!«

Dann, nach ei­ner Pau­se füg­te er hin­zu: »Ich tat es selbst.«

Als ich mich von der mich durch­zu­cken­den Über­ra­schung über die­se Be­mer­kung er­holt hat­te, war er fort.

Die­sen gan­zen Abend saß ich bei mei­nem Ka­min im War­wick-Ho­tel, ge­taucht in einen Traum der al­ten Zeit, wäh­rend der Re­gen an die Fens­ter schlug und der Wind um die Dach­rin­nen und Win­kel braus­te. Von Zeit zu Zeit ver­tief­te ich mich in Sir Tho­mas Ma­lo­rys be­zau­bern­des Buch und un­ter­hielt mich mit sei­nen präch­ti­gen Schil­de­run­gen von Wun­dern und Aben­teu­ern, at­me­te den Duft sei­ner ur­al­ten Na­men ein und ver­sank wie­der in Träu­me. Als end­lich Mit­ter­nacht ge­kom­men war, las ich als Schlaf­trunk noch eine Er­zäh­lung, und zwar die hier fol­gen­de:

Wie Herr Lan­ze­lot zwei Rie­sen er­schlug und ein Schloss be­frei­te.

Als­bald ka­men zwei Rie­sen über ihn, wohl­ge­pan­zert bis ans Haupt, mit zwei gräss­li­chen Keu­len in den Hän­den! Herr Lan­ze­lot hielt sei­nen Schild vor sich, wehr­te den Schlag des einen Rie­sen ab und spal­te­te ihm mit sei­nem Schwer­te den Kopf. Als dies sein Ge­nos­se sah, ent­floh er wie wahn­sin­nig aus Angst vor den furcht­ba­ren Strei­chen; Herr Lan­ze­lot stürm­te ihm nach mit al­ler Macht und traf ihn auf die Schul­ter und zer­hieb ihn bis zur Mit­te. Dann ging Herr Lan­ze­lot in den Vor­saal und vor ihn tra­ten sech­zig Da­men und Jung­frau­en und alle knie­ten vor ihn hin und dank­ten Gott und ihm für die Be­frei­ung. Denn, Herr, sag­ten sie, der größ­te Teil von uns war hier seit sie­ben Jah­ren ge­fan­gen und wir ar­bei­te­ten al­ler­lei Sei­den­ar­bei­ten zu un­se­rem Un­ter­halt und wir sind alle von ho­hem Stan­de, und ge­seg­net sei der Tag, Rit­ter, an dem du ge­bo­ren wur­dest. Denn du hast die höchs­te Ehre er­run­gen, die je ei­nem Rit­ter zu­teil­wur­de, des wol­len wir Kun­de ge­ben und wir bit­ten dich alle, du mö­gest uns dei­nen Na­men nen­nen, da­mit wir un­se­ren Freun­den ver­mel­den kön­nen, wer uns aus dem Ge­fäng­nis be­frei­te.

Edle Da­men, sag­te er, mein Name ist Lan­ze­lot vom See. Und so nahm er Ab­schied von ih­nen und be­fahl sie Gott. Dann be­stieg er sein Ross und ritt in manch frem­des und wil­des Land und durch vie­le Ge­wäs­ser und Tä­ler und fand nur schlech­te Her­ber­ge. End­lich führ­te ihn sein Glück ei­nes Abends in einen schö­nen Schloss­gar­ten. Dort fand er eine alte Dame, die ihm gute Her­ber­ge gab, und er und sein Ross wa­ren wohl­ge­bor­gen. Und als es an der Zeit war, brach­te ihn sei­ne Wir­tin in eine schö­ne Dach­stu­be, über dem Ein­gang, zu sei­nem La­ger. Hier ent­waff­ne­te sich Herr Lan­ze­lot, leg­te sei­nen Har­nisch ne­ben sich, ging zu Bett und ver­fiel so­gleich in Schlaf. Nun kam bald da­nach ei­ner zu Pfer­de und poch­te in großer Hast ans Tor. Als Herr Lan­ze­lot das hör­te, stand er auf und sah hin­aus durchs Fens­ter und er­blick­te beim Mon­den­schein drei Rit­ter, die die­sem ein­zel­nen Mann nachrit­ten und alle drei hie­ben zu­gleich mit den Schwer­tern auf ihn ein und der eine Rit­ter wen­de­te sich mann­haft nach ih­nen um und ver­tei­dig­te sich. Wahr­lich, sag­te Herr Lan­ze­lot, je­nem einen Rit­ter wer­de ich hel­fen, denn es wäre eine Schan­de für mich, drei Rit­ter den einen über­fal­len zu se­hen, und wür­de er er­schla­gen, wäre ich mit­schul­dig an sei­nem Tode. Und da­mit nahm er sei­nen Har­nisch und ließ sich durchs Fens­ter an ei­nem La­ken hin­un­ter zu den vier Rit­tern und dann sag­te Herr Lan­ze­lot stolz: Keh­ret euch mir zu, ihr Rit­ter, und las­set die­sen da. Und alle drei lie­ßen ab von Herrn Kay und wand­ten sich ge­gen Herrn Lan­ze­lot und es be­gann ein großes Kämp­fen, denn alle drei fie­len über ihn her und hie­ben man­chen Hieb ge­gen Herrn Lan­ze­lot und be­stürm­ten ihn von al­len Sei­ten. Dann rüs­te­te sich Herr Kay, um Herrn Lan­ze­lot zu Hil­fe zu kom­men. Nein, Herr, sag­te der, ich will Eure Hil­fe nicht, dar­um las­set mich al­lein mit ih­nen, wenn an­ders Ihr mei­ne Hil­fe wollt. Um den Rit­ter zu­frie­den zu stel­len, ließ ihm Herr Kay sei­nen Wil­len und stand bei­sei­te. Und hier­auf hat­te sie Herr Lan­ze­lot als­bald mit sechs Hie­ben zu Bo­den ge­schla­gen.

Und dann rie­fen alle drei: Herr Rit­ter, wir über­ge­ben uns dir als ei­nem Mann von un­ver­gleich­li­cher Kraft. Was das be­trifft, sag­te Herr Lan­ze­lot, neh­me ich eure Über­ge­bung nicht an, au­ßer ihr er­gebt euch Herrn Kay, dem Se­ne­schall, nur un­ter die­ser Be­din­gung will ich euer Le­ben scho­nen, sonst nicht. Ed­ler Rit­ter, sag­ten sie, das wäre schreck­lich für uns. Denn was Herrn Kay be­trifft, wir ver­folg­ten ihn hier­her und hät­ten ihn be­siegt, wä­ret Ihr nicht da­zwi­schen ge­tre­ten. Des­halb ist kein Grund vor­han­den, dass wir uns ihm über­ge­ben. Nun, die­se Sa­che müsst ihr wohl über­le­gen, sag­te Lan­ze­lot, denn ihr könnt wäh­len, ob ihr le­ben wollt oder ster­ben, denn wenn ihr euch er­ge­ben wollt, so kann es nur an Herrn Kay ge­sche­hen. Ed­ler Rit­ter, sag­ten sie hier­auf, um un­ser Le­ben zu ret­ten, wol­len wir tun, was du be­fiehlst. Dann müsst ihr, sag­te Herr Lan­ze­lot, am kom­men­den Pfingst­sonn­tag an den Hof des Kö­nigs Ar­tus ge­hen und euch dort der Kö­ni­gin Gui­nevra über­ge­ben und euch alle drei ih­rer Gunst und Gna­de aus­lie­fern und sa­gen, dass euch Herr Kay dort­hin sen­de­te, auf dass ihr ihre Ge­fan­ge­nen seid. Am Mor­gen stand Herr Lan­ze­lot früh auf und ver­ließ Herrn Kay schla­fend; und Herr Lan­ze­lot nahm Herrn Kays Rüs­tung und sei­nen Schild und waff­ne­te sich, und her­nach ging er zum Stall und hol­te des­sen Ross und nahm Ab­schied von sei­ner Wir­tin und so schied er.

Und bald dar­auf er­wach­te Herr Kay und ver­miss­te Herrn Lan­ze­lot; und dann fand er her­aus, dass er sei­ne Rüs­tung und sein Ross ge­nom­men hat­te. Nun, bei mei­nem Glau­ben, ich weiß wohl, dass er ei­ni­ge vom Hof des Kö­nigs Ar­tus be­trü­ben wird: Denn die Rit­ter wer­den kühn ge­gen ihn sein und glau­ben, er sei ich und das wird sie täu­schen; und durch sei­ne Rüs­tung und sei­nen Schild ge­schützt, wer­de ich ge­wiss­lich in Frie­den rei­ten. Und bald dar­auf nahm Herr Kay Ab­schied und dank­te sei­ner Wir­tin.

Als ich das Buch nie­der­leg­te, klopf­te es an die Türe, und mein Frem­der kam her­ein. Ich bot ihm eine Pfei­fe und einen Stuhl an und mach­te es ihm be­quem. Ich stärk­te ihn auch mit ei­nem schot­ti­schen Whis­ky — gab ihm einen Zwei­ten — dann noch einen — im­mer in der Er­war­tung sei­ner Ge­schich­te. Nach solch ei­ner vier­ten Zu­spra­che fing er in ganz ein­fa­cher und na­tür­li­cher Wei­se selbst an:

Die Geschichte des Fremden

Ich bin Ame­ri­ka­ner. Ge­bo­ren und er­zo­gen wur­de ich in Hart­ford im Staa­te Connec­ti­cut — üb­ri­gens auf der an­de­ren Sei­te des Flus­ses, auf dem Lan­de. Ich bin also ein wasch­ech­ter Yan­kee — und prak­tisch ja, und bei­na­he ohne je­den Über­schwang — oder Poe­sie, um es an­ders zu sa­gen. Mein Va­ter war ein Grob­schmied, mein On­kel ein Pfer­de­dok­tor, und ich war an­fäng­lich bei­des. Dann ging ich hin­über in die große Waf­fen­fa­brik und lern­te mei­nen ei­gent­li­chen Be­ruf; ich lern­te al­les, was dazu nö­tig ist; lern­te al­les ma­chen — Flin­ten, Re­vol­ver, Ka­no­nen, Kes­sel, Ma­schi­nen, alle Ar­ten von ar­beitss­pa­ren­den Ma­schi­nen. Nun, ich konn­te al­les her­stel­len, was man nur ver­lang­te — al­les in der Welt, es mach­te kei­nen Un­ter­schied, was. Und wenn es kei­nen ra­schen, mo­der­nen Weg gab, das Ding zu ma­chen, so konn­te ich einen er­fin­den — und das so ein­fach, wie man einen Holz­klotz aus dem Wege räumt. Ich wur­de Obe­r­auf­se­her und hat­te ein paar tau­send Leu­te un­ter mir.

Nun, ein Mann von dem Schla­ge ist ein Mensch voll Kampf­lust, das brau­che ich nicht zu sa­gen. Mit ein paar tau­send ro­hen Leu­ten un­ter sich, hat man ge­nug von die­ser Art von Ver­gnü­gen. Ich je­den­falls hat­te es. Schließ­lich kam ich an einen, der mir ge­wach­sen war, und ich be­kam mein Teil. Es war wäh­rend ei­nes Miss­ver­ständ­nis­ses mit ei­nem Kerl, den wir Her­ku­les zu nen­nen pfleg­ten, das mit Brech­stan­gen aus­ge­tra­gen wur­de. Er leg­te mich hin durch einen Hieb über den Kopf, der die­sen kra­chen mach­te und ein­zel­ne Tei­le mei­nes Schä­dels zu zer­spren­gen und über die Nach­bar­par­tie zu schleu­dern schi­en. Dann ver­sank die Welt im Dun­kel, ich fühl­te nichts mehr und wuss­te von nichts mehr — we­nigs­tens für eine Wei­le. — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —

Als ich wie­der zu mir kam, saß ich un­ter ei­ner Ei­che auf dem Ra­sen mit ei­ner gan­zen, schö­nen und hel­len Land­schaft für mich — fast al­lein. Nicht voll­kom­men al­lein — denn vor mir hielt ein Kerl zu Pfer­de und blick­te auf mich her­un­ter — ein Kerl, wie aus ei­nem Bil­der­buch. Er steck­te vom Kopf bis zu den Fer­sen in ei­ner al­ter­tüm­li­chen Rüs­tung, auf dem Kopf einen Helm in der Form ei­nes Na­gel­fäss­chens mit Schü­ben dar­in, und er hat­te einen Schild und ein Schwert und einen un­ge­heu­ren Speer; und sein Pferd hat­te eben­falls eine Rüs­tung an — ein stäh­ler­nes Horn rag­te von der Stir­ne vor und eine präch­ti­ge, rot- und grün­sei­de­ne Scha­bra­cke be­deck­te es, die wie eine Bett­de­cke rings her­um­hing, bei­na­he bis zum Bo­den.

»Ed­ler Herr, wol­let Ihr viel­leicht tur­nie­ren?«, sag­te der Kerl.

»Will ich was?«

»Wol­let Ihr einen Waf­fen­gang ver­su­chen für Land oder Dame oder für —«

»Was wol­len Sie von mir?«, sag­te ich. »Ge­hen Sie zu­rück zu Ihrem Zir­kus, oder ich wer­de die An­zei­ge ma­chen.«

Nun, was tut der Kerl an­de­res, als ein paar hun­dert El­len zu­rück­rei­ten und dann auf mich zu­spren­gen, so rasch er nur konn­te, das Na­gel­fäss­chen fast bis auf den Pfer­de­hals nie­der­ge­beugt und den Speer nach vor­ne ge­rich­tet. Ich sah, er mach­te Ernst, ich war also auf dem Baum, als er an­kam.

Er hielt da­für, dass ich sein Ei­gen­tum wäre, der Ge­fan­ge­ne sei­nes Spee­res. Der Be­weis war auf sei­ner Sei­te — und der grö­ße­re Vor­teil — ich hielt es also fürs bes­te, ihm nach­zu­ge­ben. Wir schlos­sen ein Übe­rein­kom­men, dass ich mit ihm kom­men sol­le, er mich aber nicht ver­let­zen dür­fe. Ich stieg hin­un­ter, und wir mach­ten uns auf den Weg, ich an der Se­rie des Pfer­des ge­hend. Wir mar­schier­ten be­quem vor­wärts, durch Lich­tun­gen und über Bä­che, die ich mich nicht er­in­ner­te, je ge­se­hen zu ha­ben — was mich ver­wirr­te und stau­nen mach­te — aber doch ka­men wir zu kei­nem Zir­kus oder Spu­ren von ei­nem Zir­kus. Ich gab also die Idee von dem Zir­kus auf und ver­mu­te­te, er wäre aus ei­nem Ir­ren­haus ent­lau­fen. Aber wir ka­men auch zu kei­nem sol­chen — ich saß also auf dem Tro­cke­nen, wie man sagt. Ich be­frag­te ihn, wie weit wir von Hart­ford wä­ren. Er sag­te, er hät­te nie von dem Ort ge­hört; das hielt ich für eine Lüge, ließ es aber hin­ge­hen. Nach ei­ner Stun­de sa­hen wir eine, weit ent­fern­te Stadt, im Tal an ei­nem sich durch­win­den­den Flus­se schla­fend, und über ihr auf ei­nem Hü­gel eine un­ge­heu­er große Fes­tung mit Tür­men und Türm­chen, die ers­te, die ich je­mals, au­ßer, in Bil­dern, ge­se­hen hat­te.

»Bridge­port?«, sag­te ich, hin­deu­tend.

»Ca­me­lot«, sag­te er.

Mein Frem­der hat­te Zei­chen von Er­mü­dung ge­zeigt. Er über­rasch­te sich jetzt beim Ein­ni­cken und lä­chel­te ei­nes sei­ner rüh­rend selt­sa­men Lä­cheln und sag­te: »Ich sehe, ich kom­me nicht mehr wei­ter. Aber kom­men Sie mit mir, ich habe al­les zu Pa­pier ge­bracht und Sie kön­nen es le­sen, wenn Sie wol­len.«

In sei­nem Zim­mer an­ge­langt, sag­te er: »Zu­erst führ­te ich ein Ta­ge­buch; dann, nach vie­len Jah­ren, nahm ich das Ta­ge­buch und mach­te ein Buch dar­aus. Wie lan­ge ist das her!«

Er übergab mir das Ma­nu­skript und deu­te­te auf die Stel­le, wo ich be­gin­nen soll­te: »Be­gin­nen Sie hier — ich habe Ih­nen das Vor­her­ge­hen­de be­reits er­zählt.«

Jetzt war er ganz in Schläf­rig­keit ver­sun­ken. Als ich bei sei­ner Türe hin­aus­ging, hör­te ich ihn mur­meln: »Gute Nacht und gute Her­ber­ge, ed­ler Herr.«

Ich setz­te mich an mein Feu­er und un­ter­such­te mei­nen Schatz. Der ers­te Teil des­sel­ben — der grö­ße­re Teil — war Per­ga­ment und gelb vor Al­ter. Ich prüf­te ein Blatt ge­nau und sah, dass es ein Pa­limp­sest war. Un­ter der al­ten, mat­ten Schrift des Yan­kee-His­to­ri­kers er­schie­nen Spu­ren ei­ner Schrift, die äl­ter und noch mat­ter war — la­tei­ni­sche Wor­te und Sät­ze: sicht­lich Frag­men­te al­ter Mönchs­le­gen­den. Ich wen­de­te mich zu der Stel­le, die mir der Frem­de ge­zeigt hat­te, und be­gann zu le­sen — wie folgt.

1. Camelot

»Ca­me­lot — Ca­me­lot«, sag­te ich zu mir. »Ich kann mich nicht er­in­nern, je da­von ge­hört zu ha­ben. Wahr­schein­lich der Name der Ir­ren­an­stalt.«

Es war eine sanf­te, ru­he­vol­le Som­mer­land­schaft, lieb­lich wie ein Traum und so ein­sam, wie ein Sonn­tag. Die Luft war er­füllt vom Duft der Blü­ten, dem Sum­men der In­sek­ten und dem Ge­zwit­scher der Vö­gel, nir­gends wa­ren Men­schen zu se­hen oder Wa­gen, nichts reg­te sich und nir­gends war ein Zei­chen von Le­ben zu be­mer­ken. Die Stra­ße war nur ein sich da­hin­win­den­der Pfad mit Huf­spu­ren und hie und da ei­nem schwa­chen Ab­druck von Rä­dern auf bei­den Sei­ten der Ra­sen­flä­che — Rä­der, die an­schei­nend Rei­fen von der Brei­te ei­ner Hand­flä­che hat­ten.

Plötz­lich kam ein hüb­sches Mä­del­chen, viel­leicht zehn Jah­re alt, des We­ges, mit ei­ner Flut gold­blon­der Haa­re, die ihr über die Schul­tern fie­len. Auf dem Kopf trug sie einen Kranz von feu­er­ro­ten Mohn­blu­men. Es war eine so schö­ne Klei­dung, als ich je eine ge­se­hen hat­te — so viel da­von da war. Sie ging trä­ge ein­her, sorg­lo­sen Ge­mü­tes, der in­ne­re Frie­de spie­gel­te sich in ih­rem un­schul­di­gen Ge­sicht. Der Zir­kus­mensch schenk­te ihr kei­ne Be­ach­tung — schi­en sie nicht ein­mal zu be­mer­ken. Und sie — sie war nicht mehr er­schreckt von sei­nem phan­tas­ti­schen Auf­zug, als ob sie ge­wohnt wäre, sei­nes­glei­chen je­den Tag zu se­hen. Sie ging so gleich­gül­tig an ihm vor­über, wie an ein paar Kü­hen. Aber als sie mich be­merk­te, das gab eine Auf­re­gung! Sie warf die Hän­de in die Höhe und stand wie ver­stei­nert da; ihr Mund öff­ne­te sich, ihre Au­gen starr­ten weit of­fen und ängst­lich, sie war ein Bild er­schro­cke­ner, mit Neu­gier­de ge­misch­ter Furcht. So stand sie stau­nend, in ei­ner Art ver­blüff­ter Ver­zau­be­rung, bis wir an eine Wal­de­cke ka­men und ih­rem Blick ent­schwan­den. Dass sie vor mir er­schro­cken war statt vor ihm, das war mir un­be­greif­lich, das hat­te we­der Hand noch Fuß. Und dass sie mich für ein Schau­stück an­sah und ihre ei­ge­nen Ver­diens­te in die­ser Be­zie­hung über­sah, war eine noch ver­blüf­fen­de­re Sa­che und eine Ent­fal­tung von Groß­mut, die bei ei­nem so jun­gen Ding über­rasch­te. Das gab Stoff zum Nach­den­ken. Ich ging wei­ter wie im Traum.

Als wir uns der Stadt nä­her­ten, be­gan­nen sich Zei­chen von Le­ben zu zei­gen. Hie und da ka­men wir an ei­ner elen­den Hüt­te vor­über mit stroh­ge­deck­tem Dach, um­ge­ben von klei­nen Fel­dern und Gar­ten­stücken in mit­tel­mä­ßi­gem Zu­stand. Auch Leu­te wa­ren da — mus­ku­lö­se Män­ner mit lan­gen, gro­ben, un­ge­kämm­ten Haa­ren, die ih­nen ins Ge­sicht hin­gen und sie wie Tie­re aus­se­hen mach­ten. Sie und die Frau­en tru­gen ge­wöhn­lich ein gro­bes Kleid aus Roh­lei­nen, das bis un­ter die Knie reich­te, und eine rohe Art von San­da­len, und man­che hat­ten ein ei­ser­nes Hals­band. Die klei­nen Mäd­chen und Jun­gen wa­ren im­mer nackt, aber nie­man­dem schi­en das auf­zu­fal­len. Alle die­se Leu­te starr­ten mich an, spra­chen über mich, lie­fen in ihre Hüt­ten und hol­ten ihre Fa­mi­li­en her­aus, um mich an­zu­gaf­fen; aber nie be­merk­te je­mand den an­dern Kerl, au­ßer, um ihn ehr­er­bie­tig zu grü­ßen und kei­nen Dank für die­se Mühe zu er­hal­ten.

In der Stadt stan­den ei­ni­ge fens­ter­lo­se, so­li­de Stein­häu­ser, zer­streut in ei­ner Wild­nis von stroh­ge­deck­ten Hüt­ten; die Stra­ßen wa­ren bloß krum­me Gäss­chen und un­ge­pflas­tert; Hau­fen von Hun­den und nack­ten Kin­dern spiel­ten in der Son­ne und ga­ben dem Bil­de Le­ben und Lärm. Schwei­ne trie­ben sich zu­frie­den und wüh­lend her­um und ei­nes da­von lag in ei­ner damp­fen­den Pfüt­ze in der Mit­te der Haupt­stra­ße und säug­te sei­ne Fa­mi­lie. Plötz­lich hör­te man ent­fern­tes Schmet­tern ei­ner mi­li­tä­ri­schen Mu­sik; es kam nä­her, noch nä­her, und bald kam ein präch­ti­ger Rei­ter­zug in Sicht, herr­lich mit fe­der­ge­schmück­ten Hel­men, bü­ßen­den Pan­zern und flat­tern­den Ban­nern, mit kost­ba­ren Wämsern und Pfer­de­de­cken und ver­gol­de­ten Lan­zen­spit­zen; und mit­ten zwi­schen Mist und Schwei­nen und nack­ten Bäl­gern, fröh­li­chen Hun­den und schä­bi­gen Hüt­ten trab­te der Zug stolz ein­her, und wir schlos­sen uns ihm an. Wir folg­ten ihm durch ein krum­mes Gäss­chen, und noch ei­nes — und stie­gen auf­wärts, fort­wäh­rend auf­wärts — bis wir end­lich die luf­ti­ge Höhe er­reich­ten, wo das große Schloss stand. Dort folg­te ein Wech­sel von Trom­pe­ten­si­gna­len; dann eine Un­ter­hal­tung von der Mau­er her­un­ter, wo Be­waff­ne­te in Pan­zern und Sturm­hau­ben auf und ab mar­schier­ten, die Hel­le­bar­de ge­schul­tert, un­ter flat­tern­den Ban­nern, wel­che die rohe Fi­gur ei­nes Dra­chen zeig­ten; dann wur­den die großen Tore ge­öff­net, die Zug­brücke wur­de her­un­ter­ge­las­sen, und der Füh­rer der Ka­val­ka­de spreng­te vor­wärts un­ter die dro­hen­den Bo­gen; und wir, ihm fol­gend, fan­den uns in ei­nem großen, ge­pflas­ter­ten Hof, wo sich Tür­me und Türm­chen auf al­len vier Sei­ten in den blau­en Him­mel em­por­streck­ten; und rings­her­um saß al­les von den Pfer­den ab, vie­le Be­grü­ßun­gen und Ze­re­mo­ni­en fan­den statt, es gab ein Lau­fen hin und wie­der und eine Ent­fal­tung von sich be­we­gen­den und ver­mi­schen­den Far­ben und al­les in al­lem ein ver­gnüg­tes Has­ten und Lärm und Ver­wir­rung.

2. Der Hof des Königs Artus

Im ers­ten Mo­ment, wo mir dies mög­lich war, schlich ich mich bei­sei­te und be­rühr­te einen al­ten, ge­wöhn­lich aus­se­hen­den Mann an der Schul­ter und sag­te in ein­schmei­cheln­der, ver­trau­li­cher Wei­se: »Freund, tut mir einen Ge­fal­len. Ge­hört Ihr zu der An­stalt oder seid Ihr nur zu­fäl­lig hier zu Be­such oder was Ähn­li­ches?«

Er sah mich dumm an und sag­te: »Wahr­lich, ed­ler Herr, mich be­dünkt …«

»Das ge­nügt«, sag­te ich. »Ich den­ke, Ihr seid ein Pa­ti­ent.«

Ich ging über­le­gend weg und sah mich gleich­zei­tig nach ir­gend­ei­nem zu­fäl­lig Vor­über­ge­hen­den um, der bei Ver­stand wäre und mir Auf­klä­rung ge­ben könn­te. Ich glaub­te schon einen sol­chen ge­fun­den zu ha­ben; ich zog ihn also zur Sei­te und sag­te ihm ins Ohr: »Wenn ich nur den Ober­wär­ter einen Mo­ment spre­chen könn­te — nur einen klei­nen Mo­ment —«

»Lasst mich doch —«

»Was soll ich Euch las­sen?«

»In Ruhe mö­get Ihr mich las­sen, mei­ne ich.«

Dann fuhr er fort, mir zu er­zäh­len, er sei ein Un­ter­koch und habe kei­ne Zeit zum Schwat­zen, ob­wohl er es sonst ger­ne täte; denn es wäre ihm ein wah­rer Trost, zu er­fah­ren, wo ich mei­ne Klei­der her­hät­te. Als er weg­ging, deu­te­te er mit dem Fin­ger und mein­te, dort ste­he je­mand, der Zeit ge­nug für mich hät­te und mich au­ßer­dem ohne Zwei­fel auch su­che. Das war ein lus­ti­ger, schlan­ker Jun­ge in ro­ten, en­gen Ho­sen, die ihn wie eine ge­ga­bel­te Rübe aus­se­hen mach­ten. Der Rest sei­ner Klei­dung be­stand aus blau­er Sei­de und zar­ten Spit­zen und Krau­sen; er hat­te lan­ge, blon­de Lo­cken und eine fe­der­ge­schmück­te blass­ro­te At­las­müt­ze ge­fäl­lig schief aufs Ohr ge­setzt. Sei­nen Bli­cken nach war er gut­mü­tig, sei­nem Be­neh­men nach sehr mit sich zu­frie­den. Er kam, sah mich mit la­chen­der und un­ver­schäm­ter Neu­gier­de an und sag­te, er wäre ge­kom­men, um mich zu ho­len, und teil­te mir mit, dass er ein Page und sei­nes Herrn rech­te Hand wäre.

»Aber geh«, sag­te ich, »du bist ja nicht mehr als höchs­tens sein klei­ner Fin­ger!«

Das war et­was scharf, aber ich war är­ger­lich. Je­den­falls aber fühl­te er sich nicht ge­trof­fen, denn er tat nicht so, als ob er ver­letzt wäre. Als wir wei­ter­gin­gen, be­gann er in glück­li­cher, ge­dan­ken­lo­ser, jun­gen­haf­ter Wei­se zu spre­chen und zu la­chen und war gleich gut Freund mit mir; er stell­te alle mög­li­chen Fra­gen über mich und mei­ne Klei­dung, war­te­te aber nie auf eine Ant­wort — plau­der­te un­auf­hör­lich wei­ter, als ob er nicht wüss­te, dass er nach et­was ge­fragt hat­te, ohne eine Ant­wort zu er­war­ten, bis er end­lich zu­fäl­lig er­wähn­te, er sei zu Be­ginn des Jah­res 513 ge­bo­ren.

Eine Gän­se­haut lief mir über den Rücken! Ich blieb ste­hen und sag­te schwach: »Vi­el­leicht habe ich dich nicht recht ver­stan­den. Sag es noch­mals — und sag es lang­sam: Wel­ches Jahr war es?«

»Fünf­hun­dert­drei­zehn.«

»513! Du siehst nicht da­nach aus! Geh, mein Jun­ge, ich bin fremd hier und ohne Freun­de: Sei auf­rich­tig und ehr­lich ge­gen mich: Bist du bei Ver­nunft?«

Er mein­te, er wäre es.

»Sind die­se an­dern Leu­te alle bei Ver­nunft?«

Er sag­te, sie wä­ren es.

»Und dies ist kein Ir­ren­haus? Ich mei­ne, es ist kein Ort, wo man ver­rück­te Leu­te ku­riert?« Er sag­te, es wäre kei­nes.

»Nun dann«, sag­te ich, »bin ich ent­we­der ver­rückt oder et­was Ent­setz­li­ches ist mir pas­siert. Jetzt sage mir ehr­lich und auf­rich­tig, wo bin ich?«

»Am Hofe des Kö­nigs Ar­tus.«

Ich war­te­te einen Au­gen­blick, um die­sen Ge­dan­ken bei mir Wur­zel fas­sen zu las­sen, und sag­te dann: »Und was für ein Jahr ha­ben wir jetzt nach dei­ner Mei­nung?«

»528 — neun­zehn­ten Juni.«

Ich fühl­te ein hef­ti­ges Herz­klop­fen und mur­mel­te: »Ich wer­de mei­ne Freun­de nie­mals wie­der­se­hen — nie, nie wie­der. Sie wer­den erst in mehr als drei­zehn­hun­dert Jah­ren ge­bo­ren wer­den!«

Ich muss­te dem Jun­gen glau­ben, ich wuss­te nicht, warum. Ir­gen­det­was in mir schi­en ihm zu glau­ben — mein Be­wusst­sein, könn­te man sa­gen; aber mein Ver­stand tat es nicht. Mein Ver­stand lehn­te sich ge­ra­de­wegs da­ge­gen auf, das war nur na­tür­lich. Ich wuss­te nicht, was ich tun soll­te, um ihn zu be­ru­hi­gen, weil das Zeug­nis von Men­schen mich nicht be­frie­digt hät­te — mein Ver­stand hät­te mir ge­sagt, sie sei­en wahn­sin­nig und hät­te ihr Zeug­nis nicht gel­ten las­sen. Aber plötz­lich brach­te mich mein Glück auf einen gu­ten Ge­dan­ken. Ich er­in­ner­te mich, dass die ein­zi­ge to­ta­le Son­nen­fins­ter­nis in der ers­ten Hälf­te des sechs­ten Jahr­hun­derts am 21. Juni 528 al­ten Stils statt­fand und drei Mi­nu­ten nach 12 Uhr mit­tags be­gann. Ich wuss­te auch, dass kei­ne to­ta­le Son­nen­fins­ter­nis in dem Jah­re ein­trat, das für mich das ge­gen­wär­ti­ge war — näm­lich 1879. Wenn ich also mei­ne Ängst­lich­keit und Neu­gier­de be­zwin­gen konn­te, mir wäh­rend der nächs­ten 48 Stun­den nicht das Herz zu ver­zeh­ren, so muss­te es mir ge­lin­gen, her­aus­zu­brin­gen, ob die­ser Jun­ge mir die Wahr­heit sag­te oder nicht.

Da ich nun ein prak­ti­scher Mann aus Connec­ti­cut bin, schlug ich mir vor­läu­fig das gan­ze Pro­blem aus dem Kopf, bis der fest­ge­setz­te Tag und die Stun­de kom­men wür­de, da­mit ich mei­ne gan­ze Auf­merk­sam­keit auf die ge­gen­wär­ti­gen Um­stän­de rich­ten konn­te und wach­sam und be­reit wäre, für mich mög­lichst viel aus ih­nen her­aus­zu­schla­gen. Je­des Ding zu sei­ner Zeit, ist mein Mot­to, dann aber die­ses Ding mit al­ler Macht durch­set­zen, und selbst wenn man nur ein mick­ri­ges Blatt auf der Hand hat. Zwei Din­ge nahm ich mir vor: Wenn es noch das neun­zehn­te Jahr­hun­dert war und ich mich un­ter Ver­rück­ten be­fand und nicht weg­konn­te, wür­de ich so­fort das gan­ze Nar­ren­haus un­ter­krie­gen oder wis­sen, warum nicht; wenn wir aber an­de­rer­seits wirk­lich im sechs­ten Jahr­hun­dert wa­ren, auch recht, nichts wäre mir lie­ber ge­we­sen: In­ner­halb von drei Mo­na­ten muss­te ich das gan­ze Land un­ter­jo­chen; denn ich rech­ne­te da­mit, dass ich einen Vor­sprung von un­ge­fähr drei­zehn­hun­dert Jah­ren und mehr noch vor dem bes­ter­zo­ge­nen Man­ne im Kö­nig­reich hat­te.

Ich bin nicht der Mann, um Zeit zu ver­lie­ren, wenn ich einen Ent­schluss ge­fasst habe und es et­was zu tun gibt; ich sag­te also zu dem Pa­gen: »Nun, Cla­rence, mein Jun­ge, wenn das viel­leicht zu­fäl­lig dein Name ist, wenn dir nichts dar­an liegt, wirst du mich jetzt ein we­nig auf gleich brin­gen. Wie heißt der Mann, der mich her­brach­te?«

»Mein Herr und dei­ner? Das ist der gute Rit­ter und große Lord, Herr Kay der Se­ne­schall Milch­bru­der un­se­res Lehns­her­ren, des Kö­nigs.«

»Ganz gut, nur wei­ter, und er­zäh­le mir al­les.«

Er mach­te eine lan­ge Ge­schich­te dar­aus; was aber un­mit­tel­bar für mich In­ter­es­se hat­te, war Fol­gen­des. Er sag­te, dass ich Herrn Kays Ge­fan­ge­ner sei und nach ge­wohn­tem Brauch ins Ge­fäng­nis ge­wor­fen und dort bei knap­per Haus­manns­kost blei­ben wür­de, bis mei­ne Freun­de für mich Lö­se­geld zahl­ten — wenn ich nicht zu­fäl­lig frü­her dort ver­faul­te. Ich sah, dass die letz­te­re Mög­lich­keit die wahr­schein­li­che­re war, reg­te mich aber nicht wei­ter dar­über auf; die Zeit war zu kost­bar. Der Page er­zähl­te fer­ner, dass die Mahl­zeit in der großen Hal­le jetzt un­ge­fähr be­en­det sei und dass Herr Kay mich, so­bald die Ge­sel­lig­keit und das schwe­re Trin­ken be­gin­ne, her­ein­kom­men las­sen wer­de, um mich vor dem Kö­nig Ar­tus und den er­lauch­ten Rit­tern der Ta­fel­run­de zur Schau zu stel­len, von sei­ner Hel­den­tat bei mei­ner Ge­fan­gen­nah­me zu prah­len und wahr­schein­lich da­bei ein we­nig auf­zu­schnei­den, dass es aber kei­ne gute Le­bens­art und auch au­ßer­dem nicht be­son­ders si­cher wäre, ihn zu ver­bes­sern. Wenn aber mei­ne Schau­stel­lung be­en­det sei, dann müss­te ich — marsch — ins Ge­fäng­nis; aber er, Cla­rence, wür­de schon einen Weg fin­den, mich hie und da zu be­su­chen, mich auf­zu­hei­tern und mir zu hel­fen, mei­ne Freun­de zu ver­stän­di­gen.

Mei­ne Freun­de ver­stän­di­gen! Ich dank­te ihm; we­ni­ger konn­te ich nicht tun. Eben kam ein Die­ner — um mir zu sa­gen, dass ich be­nö­tigt wür­de. Cla­rence führ­te mich also hin­ein, ge­lei­te­te mich nach ei­ner Sei­te und setz­te sich ne­ben mich.

Nun, es war ein merk­wür­di­ger An­blick, und in­ter­essant. Es war ein rie­si­ger Raum und bei­na­he leer — ja — und voll schrei­en­der Kon­tras­te. Er war sehr, sehr hoch; so hoch, dass die Ban­ner, wel­che von den ge­bo­ge­nen Bal­ken her­ab­hin­gen, in ei­ner Art von Zwie­licht ver­schwam­men; an je­dem Ende war eine Ga­le­rie mit ei­nem Stein­ge­län­der, hoch oben, mit Mu­si­kern in der einen und Frau­en in den grells­ten Far­ben in der an­de­ren. Der Bo­den be­stand aus großen Stein­flie­sen in schwar­zen und wei­ßen Vier­e­cken und war von Al­ter und Ge­brauch ziem­lich zer­schla­gen und re­pa­ra­tur­be­dürf­tig. Ver­zie­run­gen wa­ren, ge­nau ge­nom­men, kei­ne vor­han­den, ob­wohl an den Wän­den meh­re­re große Tep­pi­che hin­gen, die ver­mut­lich für Kunst­wer­ke ge­hal­ten wur­den; es wa­ren Schlach­ten­bil­der mit Pfer­den von ei­ner Ge­stalt, wie sie Kin­der aus Pa­pier aus­schnei­den oder aus Leb­ku­chen for­men, mit Män­nern in Schup­pen­pan­zern dar­auf, de­ren Schup­pen durch run­de Lö­cher dar­ge­stellt wur­den — so dass die Be­klei­dung des Man­nes aus­sah, als ob sie mit ei­nem Bis­kuit­ste­cher her­ge­stellt wäre. Eine Feu­er­stel­le war da, groß ge­nug, um dar­in zu la­gern, und ihre vor­ste­hen­den Sei­ten und der Auf­satz aus ge­schnit­te­nen und säu­len­för­mi­gen Stei­nen sah aus wie das Tor ei­ner Ka­the­dra­le. An den Wän­den stan­den Be­waff­ne­te mit Brust­plat­ten und Sturm­hau­ben, mit Hel­le­bar­den als ein­zi­ger Waf­fe re­gungs­los wie Sta­tu­en.

In der Mit­te die­ses go­tisch ge­wölb­ten Rau­mes stand ein Ei­chen­tisch, den sie die Ta­fel­run­de nann­ten. Er war so groß wie eine Zir­kus­ma­ne­ge und um ihn her­um saß eine große Ge­sell­schaft von Män­nern in Klei­dern von so ver­schie­de­nen und präch­ti­gen Far­ben, dass die Au­gen beim Hin­se­hen schmerz­ten. Sie tru­gen ihre Fe­der­hü­te, au­ßer wenn ir­gend­ei­ner den Kö­nig di­rekt an­re­de­te, wo­bei er den Hut im Mo­ment, wo er sei­ne Rede be­gann, ein we­nig lüf­te­te.

Haupt­säch­lich tran­ken sie — aus gan­zen Stier­hör­nern — aber ei­ni­ge kau­ten noch im­mer Brot oder nag­ten an ei­nem Rinds­kno­chen. Im Durch­schnitt ka­men un­ge­fähr zwei Hun­de auf je­den der an­we­sen­den Män­ner und die sa­ßen in er­war­tungs­vol­ler Stel­lung, bis ih­nen ein ab­ge­nag­ter Kno­chen zu­ge­wor­fen wur­de; und dann stürz­ten Bri­ga­den und Di­vi­sio­nen von ih­nen dar­auf los und es folg­te ein Kampf, der die Sze­ne mit ei­nem lär­men­den Cha­os von zu­sam­men­pral­len­den Köp­fen und Kör­pern und schla­gen­den Schwei­fen er­füll­te und das Ge­tö­se des Heu­lens und Bel­lens er­stick­te zeit­wei­lig je­des Ge­spräch; aber dar­an lag nichts, denn ein Hun­de­kampf hat­te je­der­zeit mehr In­ter­es­se; die Män­ner er­ho­ben sich manch­mal, um bes­ser zu­se­hen zu kön­nen und die Da­men und Mu­si­ker beug­ten sich in der­sel­ben Ab­sicht über die Stein­brüs­tung und alle bra­chen von Zeit zu Zeit in freu­di­ge Aus­ru­fe aus. Schließ­lich streck­te sich der sieg­rei­che Hund mit dem Kno­chen zwi­schen sei­nen Pfo­ten be­quem aus und fuhr fort, dar­über zu knur­ren und ihn zu be­na­gen und den Bo­den da­mit ein­zu­de­cken, ge­nau so, wie es fünf­zig an­de­re schon ta­ten; und der Rest des Ho­fes nahm sei­ne frü­he­re Be­schäf­ti­gung und Un­ter­hal­tung wie­der auf.

In der Re­gel war die Spra­che die­ser Leu­te an­mu­tig und höf­lich, und ich be­merk­te, dass sie gute und auf­merk­sa­me Zu­hö­rer wa­ren, wenn je­mand ir­gen­det­was er­zähl­te — ich mei­ne, in ei­nem hun­de­kampf­frei­en Mo­ment. Und of­fen­bar wa­ren sie ein kind­li­ches und un­schul­di­ges Volk; sie er­zähl­ten Lü­gen von den präch­tigs­ten Mus­tern und mit der sanf­tes­ten und ein­schmei­chelnds­ten Un­be­fan­gen­heit und wa­ren be­reit und wil­lig, den Lü­gen der an­de­ren zu­zu­hö­ren und sie au­ßer­dem auch noch zu glau­ben. Es war schwer, sie mit et­was Grau­sa­mem oder Schreck­li­chem in Ver­bin­dung zu brin­gen, und doch brach­ten sie Ge­schich­ten voll Blut und Lei­den mit ei­nem arg­lo­sen Be­ha­gen vor, das mich bei­na­he ver­ges­sen ließ, zu schau­dern.

Ich war nicht der ein­zi­ge an­we­sen­de Ge­fan­ge­ne. Es wa­ren zwan­zig oder mehr da. Arme Teu­fel, man­che wa­ren in gräss­li­cher Wei­se ver­stüm­melt, zer­hackt und zer­schnit­ten, und ihr Haar, ihr Ge­sicht und ihre Klei­der wa­ren ver­klebt mit schwar­zen und ge­ron­ne­nen Krus­ten von Blut. Sie lit­ten na­tür­lich schwe­re kör­per­li­che Schmer­zen und je­den­falls auch Mü­dig­keit, Hun­ger und Durst; zum min­des­ten hat­te nie­mand ih­nen die Wohl­tat des Wa­schens oder auch nur das Lie­bes­werk ei­ner Arz­nei für ihre Wun­den zu­kom­men las­sen; und doch hör­te man sie kei­nen Seuf­zer und kein Stöh­nen aus­sto­ßen und sah sie kein Zei­chen von Un­ru­he äu­ßern oder eine Be­we­gung von Schmerz. Der Ge­dan­ke dräng­te sich mir auf: »Die Schur­ken — sie ha­ben sei­ner­zeit an­de­re Leu­te so be­han­delt; da sie jetzt an die Rei­he kom­men, er­war­ten sie kei­ne bes­se­re Be­hand­lung als die­se; es ist also ihr phi­lo­so­phi­sches Be­neh­men nicht eine Frucht geis­ti­ger Er­zie­hung, in­tel­lek­tu­el­ler Tap­fer­keit oder Ver­nunft; es ist blo­ße und tie­ri­sche Dres­sur, sie sind wei­ße In­dia­ner.«

3. Ritter der Tafelrunde

Das Ge­spräch der Ta­fel­run­de be­stand haupt­säch­lich aus Mo­no­lo­gen — er­zäh­len­den Be­rich­ten von den Aben­teu­ern, bei de­nen die­se Ge­fan­ge­nen ge­macht und ihre Freun­de und Ver­tei­di­ger er­schla­gen und ih­rer Ros­se und Rüs­tun­gen be­raubt wur­den. Im All­ge­mei­nen wa­ren die­se mör­de­ri­schen Aben­teu­er — so­viel ich ent­neh­men konn­te — kei­ne Ein­brü­che, um Un­bil­den zu rä­chen, alle Strei­tig­kei­ten oder plötz­lich ent­stan­de­ne Feh­den aus­zu­tra­gen, nein, im All­ge­mei­nen wa­ren es ein­fach Zwei­kämp­fe zwi­schen Frem­den — zwi­schen Leu­ten, die ein­an­der nie vor­ge­stellt wor­den wa­ren und zwi­schen de­nen nicht der ge­rings­te Grund zu ei­ner Be­lei­di­gung be­stand. Oft hat­te ich frü­her ein paar ein­an­der voll­stän­dig frem­de Jun­gen sich be­geg­nen ge­se­hen und sie gleich­zei­tig sa­gen hö­ren: »Ich bin stär­ker als du!« Und die Prü­ge­lei ging auch schon los. Bis jetzt hat­te ich mir ein­ge­bil­det, dass so et­was nur von Kin­dern ge­macht wer­den kön­ne und dass es eben ein Zei­chen und Merk­mal der Kind­heit sei; aber die­se dum­men, großen Ker­le hier mach­ten es ge­nau so und wa­ren noch stolz dar­auf bis zum rei­fen Man­nes­al­ter und dar­über hin­aus. Und doch war et­was sehr Ein­neh­men­des an die­sen großen Ge­schöp­fen mit dem ein­fa­chen Her­zen, et­was An­zie­hen­des und Lie­bens­wür­di­ges. In die­ser gan­zen Kin­der­stu­be schi­en so­zu­sa­gen nicht ge­nug Hirn vor­han­den, um es als Kö­der auf eine An­gel zu ver­wen­den; aber nach kur­z­er Zeit schi­en ei­nem nichts mehr dar­an zu lie­gen, weil man bald ein­sah, in ei­ner sol­chen Ge­sell­schaft sei kein Hirn nö­tig und wür­de sie nur ge­stört, ge­hin­dert und ihre Sym­me­trie ver­nich­tet — viel­leicht ihre gan­ze Exis­tenz un­mög­lich ge­macht ha­ben.

In fast je­dem Ge­sicht war eine edle Männ­lich­keit zu be­mer­ken, in ei­ni­gen eine ge­wis­se Ho­heit und An­mut, die jede klein­li­che Kri­tik ver­wies und be­ru­hig­te. Eine äu­ßerst edle Güte und Rein­heit ruh­te auf dem Ge­sicht des­sen, den sie Herrn Gala­had nann­ten und ähn­lich auch auf dem des Kö­nigs, Ma­je­stät und Grö­ße lag in der Rie­sen­ge­stalt und dem er­ha­be­nen Be­neh­men des Herrn Lan­ze­lot vom See.

Mo­men­tan lenk­te ein Vor­fall das all­ge­mei­ne In­ter­es­se auf die­sen Herrn Lan­ze­lot. Auf ein Zei­chen von ei­ner Art Ze­re­mo­ni­en­meis­ter stan­den sechs oder acht der Ge­fan­ge­nen auf, ka­men zu­sam­men vor­wärts, knie­ten auf den Bo­den nie­der, er­ho­ben ihre Hän­de ge­gen die Da­men­ga­le­rie und ba­ten um die Gna­de ei­nes Wor­tes mit der Kö­ni­gin. Die am sicht­bars­ten sit­zen­de Dame in dem dich­ten Blu­men­beet von weib­li­chem Glanz und Putz beug­te den Kopf zum Zei­chen der Zu­stim­mung, und hier­auf lie­fer­te der Spre­cher der Ge­fan­ge­nen sich und sei­ne Ge­fähr­ten zur vol­len Be­gna­di­gung, Lö­se­geld, Ge­fan­gen­schaft oder Tod in ihre Hän­de aus, wie sie es nach ih­rem Be­lie­ben wäh­len wol­le; und dies tat er, wie er sag­te, auf Be­fehl des Herrn Kay, des Se­ne­schalls, des­sen Ge­fan­ge­ne sie sei­en, da er sie durch sei­ne al­lei­ni­ge Kraft und Tap­fer­keit in hef­ti­gem Kamp­fe be­siegt habe.

Über­ra­schung und Er­stau­nen flog von Ge­sicht zu Ge­sicht im gan­zen Saa­le; das be­frie­dig­te Lä­cheln der Kö­ni­gin ver­blich beim Na­men des Herrn Kay, und sie sah ent­täuscht aus; der Page flüs­ter­te mir mit dem Tone und Aus­dru­cke maß­lo­sen Hoh­nes ins Ohr: »Na­tür­lich, Herr Kay! Ach, heiß’ mich einen Nar­ren und mach’ das je­mand an­derm weiß! In zwei­mal tau­send Jah­ren wird sich der un­se­li­ge Er­fin­dungs­geist der Men­schen noch be­mü­hen, eine zwei­te sol­che ma­je­stä­ti­sche Lüge zu er­sin­nen!«

Al­ler Au­gen wa­ren in erns­ter Fra­ge auf Herrn Kay ge­rich­tet. Aber er war der Si­tua­ti­on ge­wach­sen. Er stand auf und spiel­te sei­ne Par­tie glän­zend, ohne einen Trick aus­zu­las­sen. Er sag­te, er wol­le den Fall vor­brin­gen, wie er sich zu­ge­tra­gen habe, er wol­le die ein­fa­che, ge­ra­de Ge­schich­te ganz ohne Be­mer­kung sei­ner­seits er­zäh­len, »und dann«, sag­te er, »wenn ihr fin­det, dass je­man­dem Ruhm und Ehre ge­büh­ret, wer­det ihr sie dem ge­ben, der der mäch­tigs­te der Män­ner ist, die je einen Schild tru­gen oder einen Schwert­streich in christ­li­chem Kamp­fe ta­ten — dem, der hier sitzt!«, und er deu­te­te auf Herrn Lan­ze­lot. Ah, da hat­te er sie! Es war ein gu­ter, ver­blüf­fen­der Streich. Dann fuhr er fort und er­zähl­te, wie Herr Lan­ze­lot auf der Fahrt nach Aben­teu­ern vor ei­ni­ger Zeit sie­ben Rie­sen mit ei­nem Strei­che sei­nes Schwer­tes tö­te­te und hun­dert­und­zwei­und­vier­zig ge­fan­ge­ne Jung­frau­en in Frei­heit setz­te; und dann ritt er wei­ter, noch im­mer Aben­teu­er su­chend und fand ihn — Herrn Kay — einen ver­zwei­fel­ten Kampf ge­gen neun frem­de Rit­ter kämp­fend und nahm so­fort den Kampf al­lein auf und be­sieg­te die neun; und in je­ner Nacht stand Herr Lan­ze­lot lei­se auf, leg­te Herrn Kays Rüs­tung an, nahm Herrn Kays Ross und be­gab sich in fer­ne Lan­de und be­sieg­te sech­zehn Rit­ter in ei­ner Feld­schlacht und vierund­drei­ßig in ei­ner an­de­ren; und alle die­se und die vo­ri­gen neun hat­te er schwö­ren las­sen, dass sie ge­gen Pfings­ten an den Hof des Kö­nigs Ar­tus rei­ten und sich dort der Kö­ni­gin Gui­nevra er­ge­ben müss­ten als Ge­fan­ge­ne des Herrn Kay, des Se­ne­schall, Beu­te sei­ner rit­ter­li­chen Kraft, und nun wäre die­ses hal­be Dut­zend hier und die üb­ri­gen wür­den kom­men, so­bald sie von ih­ren ge­wal­ti­gen Wun­den ge­heilt sei­en.

Nun, es war rüh­rend zu se­hen, wie die Kö­ni­gin er­rö­te­te und lä­chel­te, wie über­rascht und glück­lich sie aus­sah und Herrn Lan­ze­lot ver­stoh­le­ne Bli­cke zu­warf, die ihm mit töd­li­cher Si­cher­heit eine Ku­gel in den Leib ver­schafft hät­ten — wenn es in Ar­kan­sas ge­sche­hen wäre.

Je­der lob­te die Tap­fer­keit und Groß­mut des Herrn Lan­ze­lot; mei­ner­seits war ich voll­kom­men be­stürzt, dass ein Mann, ganz al­lein, fä­hig ge­we­sen sein soll­te, sol­che Ba­tail­lo­ne von ge­üb­ten Kämp­fern zu be­sie­gen und ge­fan­gen zu neh­men. Ich sag­te das zu Cla­rence, aber die­ser Spott­vo­gel mein­te nur: »Und hät­te Herr Kay nur Zeit ge­habt, noch einen Schlauch voll sau­ren Wei­nes in sich zu gie­ßen, die Rech­nung wäre wohl ver­dop­pelt wor­den.«

Ich sah den Jun­gen voll Sor­ge an; und als ich ihn an­blick­te, sah ich eine Wol­ke von tiefs­tem Klein­mut sich auf sei­nem Ge­sich­te la­gern. Ich folg­te der Rich­tung sei­nes Blickes und sah, dass ein sehr al­ter und weiß­bär­ti­ger Mann, ge­klei­det in einen flie­gen­den schwar­zen Talar, sich er­ho­ben hat­te und auf un­si­che­ren Fü­ßen an der Ta­fel stand, schwach das alte Haupt neig­te und die Ge­sell­schaft mit wäs­se­ri­gen und un­s­te­ten Au­gen be­trach­te­te. Der­sel­be lei­den­de Blick, den ich im Ge­sich­te des Pa­gen be­merkt hat­te, war in al­len Ge­sich­tern rings­um wahr­zu­neh­men — der Blick von stum­men Krea­tu­ren, die wis­sen, dass sie dul­den müs­sen und nicht kla­gen dür­fen.

»Hal­lo! Es geht schon wie­der los«, seufz­te der Jun­ge. »Die glei­che alte Ge­schich­te, die er schon tau­send­mal mit den­sel­ben Wor­ten er­zählt hat und die er er­zäh­len wird, bis er ein­mal stirbt, so oft er sein Fass voll hat und sei­ne Auf­schnei­de­müh­le im Gang hält. Woll­te Gott, ich wäre ge­stor­ben, be­vor ich die­sen Tag er­leb­te.«

»Wer ist es?«

»Mer­lin, der mäch­ti­ge Lüg­ner und Ma­gier, möge er in der Höl­le bra­ten für die Lan­ge­wei­le, die er mit sei­ner ein­zi­gen Ge­schich­te ver­ur­sacht! Aber die Leu­te fürch­ten ihn, denn sei­nem Wink und Ruf ge­hor­chen Stür­me, Blit­ze und alle Teu­fel der Höl­le, sonst hät­ten sie ihm schon vor lan­gen Jah­ren die Ein­ge­wei­de aus dem Lei­be ge­ris­sen, um zu die­ser Ge­schich­te zu kom­men und sie zu ver­nich­ten. Er er­zählt sie im­mer in der drit­ten Per­son, um glau­ben zu ma­chen, er sei zu be­schei­den, um sich selbst zu rüh­men. Fluch tref­fe ihn, Un­heil sei sein Teil! Gu­ter Freund, ich bit­te dich, we­cke mich zum Abend­lied!«

Der Jun­ge schmieg­te sich an mei­ne Schul­ter und gab vor, ein­zu­schla­fen. Der alte Mann be­gann sei­ne Er­zäh­lung und bald war der Jun­ge wirk­lich ein­ge­schla­fen; das wa­ren auch die Hun­de und der gan­ze Hof, die La­kai­en und die Rei­hen der Be­waff­ne­ten; die brum­men­de Stim­me brumm­te wei­ter; ein sanf­tes Schnar­chen er­hob sich von al­len Sei­ten und un­ter­stütz­te sie, wie eine tie­fe und ge­dämpf­te Beglei­tung von Blas­in­stru­men­ten. Ei­ni­ge Köp­fe wa­ren auf die ge­fal­te­ten Hän­de ge­beugt, an­de­re la­gen zu­rück­ge­beugt mit of­fe­nem Mun­de, der un­be­wusst Mu­sik her­vor­brach­te; die Flie­gen summ­ten und bis­sen un­be­läs­tigt, die Rat­ten schwärm­ten lei­se aus Hun­der­ten von Lö­chern her­vor, trip­pel­ten her­um und be­nah­men sich wie zu Hau­se; eine der­sel­ben saß auf­recht wie ein Eich­hörn­chen auf dem Kop­fe des Kö­nigs, hielt ein Stück­chen Käse in den Hän­den, knab­ber­te dar­an und ließ die Krü­mel­chen mit nai­ver Unehr­er­bie­tig­keit in des Kö­nigs Ge­sicht fal­len. Es war ein be­schau­li­cher An­blick und be­ru­hi­gend für das müde Auge und den er­mat­te­ten Geist.

Dies war des al­ten Man­nes Ge­schich­te. Er sag­te: »Als nun der Kö­nig und Mer­lin ab­reis­ten, ka­men sie zu ei­nem Ere­mi­ten, der ein gu­ter Mann und großer Heil­kun­di­ger war. Der Ere­mit un­ter­such­te also alle sei­ne Wun­den und gab ihm gute Sal­ben: Der Kö­nig war drei Tage dort und sei­ne Wun­den hat­ten sich dann so ge­bes­sert, dass er rei­ten und ge­hen konn­te, und so nahm er Ab­schied. Und als sie rit­ten, sag­te Ar­tus, ich habe kein Schwert. Kei­ne große Sa­che, sag­te Mer­lin, na­he­bei weiß ich ein Schwert, das soll Euer sein, wenn ich es ver­mag. Sie rit­ten hier­auf, bis sie zu ei­nem See ka­men, der kla­res Was­ser hat­te und sehr groß war und in der Mit­te des Sees ward Ar­tus einen Arm ge­wahr, ge­klei­det in wei­ße Sei­de, der hielt ein schö­nes Schwert in der Hand. Seht, sag­te Mer­lin, drü­ben ist je­nes Schwert, von dem ich ge­spro­chen habe. Zu­gleich sa­hen sie ein Fräu­lein auf dem See ge­hen. Was für ein Fräu­lein ist das?, frag­te Ar­tus. Das ist die Jung­frau vom See, sag­te Mer­lin, und in­mit­ten des Sees ist ein Fel­sen und in die­sem ist ein Raum, schö­ner als ei­ner auf Er­den, und die­ses Fräu­lein wird nun zu Euch kom­men, und dann sprecht freund­lich zu ihr, da­mit sie Euch je­nes Schwert gibt. Als­bald aber kam das Fräu­lein zu Ar­tus und be­grüß­te ihn und er sie wie­der. Fräu­lein, sag­te Ar­tus, was für ein Schwert ist das, wel­ches drü­ben der Arm über dem Was­ser hält? Ich woll­te, es wäre mein, denn ich habe kein Schwert. Herr Kö­nig Ar­tus, sag­te das Fräu­lein, das Schwert ist mein, und wenn Ihr mir eine Gabe ge­ben wollt, wenn ich es ver­lan­ge, sol­let Ihr es ha­ben. Bei mei­nem Glau­ben, sag­te Ar­tus, ich will Euch jede Gabe ge­ben, die Ihr for­dert. Wohl­an, sag­te das Fräu­lein, stei­get in je­nen Na­chen da drü­ben und ru­dert Euch selbst zu dem Schwert und nehmt es und auch die Schei­de an Euch, und ich wer­de mei­ne Gabe for­dern, wenn die Zeit ge­kom­men ist. Herr Ar­tus und Mer­lin stie­gen hier­auf von den Ros­sen und ban­den sie an zwei Bäu­me und gin­gen dann in den Na­chen, und als sie zu dem Schwert ka­men, wel­ches die Hand hielt, er­fass­te es Herr Ar­tus beim Grif­fe und nahm es mit sich. Und der Arm und die Hand ver­schwan­den un­ter dem Was­ser, und hier­auf stie­gen sie an Land und rit­ten wei­ter. Und dann er­blick­te Herr Ar­tus ein rei­ches Zelt: Was be­deu­tet je­nes Zelt? Es ist das Zelt des Rit­ters, mit dem Ihr zu­letzt kämpf­tet, des Herrn Pel­li­nor, sag­te Mer­lin, aber er ist fort, er ist nicht hier; er hat zu tun mit ei­nem Eu­rer Rit­ter, dem stol­zen Eg­gla­me, und sie ha­ben mit­ein­an­der ge­kämpft, doch end­lich floh Herr Eg­gla­me, sonst wäre er ge­tö­tet wor­den, und er ver­folg­te ihn bis nach Car­li­on, und wir wer­den ihm bald auf der Stra­ße be­geg­nen. Das ist wohl ge­spro­chen, sag­te Ar­tus, nun habe ich ein Schwert, nun will ich den Kampf mit ihm auf­neh­men und ge­rächt sein an ihm. Herr, das sollt Ihr nicht, sag­te Mer­lin, denn der Rit­ter ist müde vom Kamp­fe und der Ver­fol­gung, und Ihr wür­det kei­ne Ehre ein­le­gen, wenn Ihr jetzt mit ihm zu tun be­kämet, au­ßer­dem wird sich un­ter den heu­te le­ben­den Rit­tern kaum ei­ner sei­nes­glei­chen fin­den und des­halb ist mein Rat, las­set ihn vor­bei­rei­ten, denn er wird Euch bin­nen Kur­zem noch gute Diens­te leis­ten, und sei­ne Söh­ne nach ihm. Auch wer­det Ihr in Bäl­de den Tag se­hen, an dem Ihr ihm mit freu­di­gem Her­zen Eure Schwes­ter zur Ehe ge­ben wer­det. Wenn ich ihn sehe, wer­de ich tun, wie du mir rätst, sag­te Ar­tus. Dann be­trach­te­te Herr Ar­tus das Schwert, und es ge­fiel ihm au­ßer­or­dent­lich gut. Was ge­fällt Euch bes­ser, das Schwert oder die Schei­de?, frag­te Mer­lin. Das Schwert ge­fällt mir bes­ser, sag­te Ar­tus. Dann seid Ihr sehr un­klug, sag­te Mer­lin, denn die Schei­de ist zehn sol­cher Schwer­ter wert, denn so­lan­ge Ihr die Schei­de bei Euch habt, wer­det Ihr nie­mals Blut ver­lie­ren, sei­et Ihr auch noch so sehr ver­wun­det; dar­um nehmt stets die Schei­de mit Euch. So rit­ten sie bis nach Car­li­on, und auf dem Wege be­geg­ne­ten sie Herrn Pel­li­nor, aber Mer­lin hat­te einen sol­chen Zau­ber aus­ge­übt, dass Pel­li­nor Herrn Ar­tus nicht sah und er ritt vor­über ohne ein Wort. Ich wun­de­re mich, sag­te Ar­tus, dass der Rit­ter nichts sprach. Herr, sag­te Mer­lin, er sah Euch nicht, denn hät­te er Euch ge­se­hen, er wäre nicht so ohne wei­te­res vor­bei­ge­rit­ten. So ka­men sie nach Car­li­on, wor­über sei­ne Rit­ter sehr er­freut wa­ren. Und als sie von sei­nen Aben­teu­ern hör­ten, wun­der­ten sie sich, dass er sei­ne Per­son so al­lein aufs Spiel setz­te. Aber der gan­ze Adel sag­te, es wäre schön, un­ter ei­nem Ober­haupt zu sein, das selbst auf Aben­teu­er aus­zog, wie es an­de­re arme Rit­ter ta­ten.«

4. Herr Dinadan, der Humorist

Es schi­en mir, dass die­se drol­li­ge Lüge sehr ein­fach und äu­ßerst hübsch er­zählt wur­de; aber ich hör­te sie ja nur ein­mal und das macht einen Un­ter­schied; sie war ohne Zwei­fel auch den an­dern nicht un­an­ge­nehm, als sie noch neu war.

Herr Dina­dan, der Hu­mo­rist, war der Ers­te, der auf­wach­te und er weck­te auch bald die Üb­ri­gen mit ei­nem der­ben Witz ziem­lich arm­se­li­ger Art. Er band ei­ni­ge Me­tall­kan­nen an den Schwanz ei­nes Hun­des, ließ ihn frei und der Hund rann­te in wahn­sin­ni­ger Angst rund und rund her­um, wäh­rend alle an­dern Hun­de ihm nach­heul­ten und an al­les an­schlu­gen und an­pol­ter­ten, was ih­nen in den Weg kam und alle zu­sam­men er­zeug­ten ein Cha­os von Ver­wir­rung und be­täu­ben­des Ge­tö­se und Un­ru­he; dar­über lach­ten alle Män­ner und Frau­en der Ge­sell­schaft bis zu Trä­nen und ei­ni­ge fie­len von ih­ren Stüh­len und wälz­ten sich vor Ent­zücken am Bo­den. Es war ge­nau so wie bei eben­so vie­len Kin­dern. Herr Dina­dan war so stolz auf sei­ne Hel­den­tat, dass er sich nicht ent­hal­ten konn­te, bis zum Über­druss wie­der und wie­der zu er­zäh­len, wie ihm zu­fäl­lig die­se un­s­terb­li­che Idee kam und wie es die Art von Hu­mo­ris­ten sei­nes Schla­ges ist, lach­te er noch im­mer dar­über, als alle an­dern schon fer­tig wa­ren. Er war so auf­ge­regt, dass er be­schloss, eine Rede zu hal­ten — na­tür­lich eine hu­mo­ris­ti­sche Rede. Ich glau­be, ich habe nie­mals in mei­nem gan­zen Le­ben so vie­le ab­ge­dro­sche­ne Wit­ze nach­ein­an­der er­zäh­len ge­hört. Er war är­ger als ein Bän­kel­sän­ger,1 är­ger als ein Zir­kusclown. Es stimm­te mich be­son­ders trau­rig, drei­zehn­hun­dert Jah­re, be­vor ich ge­bo­ren war, hier sit­zen und wie­der arm­se­li­ge, plat­te und wurm­sti­chi­ge Wit­ze hö­ren zu müs­sen, die mir Bauch­grim­men ge­macht hät­ten, als ich drei­zehn­hun­dert Jah­re spä­ter ein Jun­ge war. Es über­zeug­te mich so ziem­lich, dass es so ein Ding, wie einen neu­en Witz, nicht gibt. Je­der lach­te über die­se An­ti­qui­tä­ten — aber das tun sie im­mer, das habe ich, Jahr­hun­der­te spä­ter, er­fah­ren. Je­den­falls aber lach­te der Spott­vo­gel nicht — ich mei­ne der Jun­ge. Er sag­te, die meis­ten von Herrn Dinadans Wit­zen sei­en ver­fault und die an­de­ren ver­stei­nert. Ich sag­te, ›ver­stei­ner­t‹ sei gut, da ich selbst glau­be, dass die ein­zig rich­ti­ge Art, das ma­je­stä­ti­sche Al­ter von man­chen die­ser Wit­ze zu klas­si­fi­zie­ren, nur durch geo­lo­gi­sche Pe­ri­oden, mög­lich ist. Aber die­se net­te Idee fand bei dem Jun­gen kei­nen An­klang, denn die Geo­lo­gie war noch nicht er­fun­den. Ich no­tier­te mir je­doch die Be­mer­kung und rech­ne­te dar­auf, den Staat zum Ver­ständ­nis der­sel­ben zu er­zie­hen, wenn ich mich durch­setz­te. Es ist kein Grund vor­han­den, ein gu­tes Ding weg­zu­wer­fen, bloß weil mo­men­tan kei­ne Nach­fra­ge da­nach ist.

Nun er­hob sich Herr Kay und be­gann sei­ne Ge­schich­ten­fa­brik, mit mir als Brenn­stoff, in Be­trieb zu set­zen. Es war Zeit für mich, ernst­haft zu wer­den, und ich wur­de es auch. Herr Kay er­zähl­te, wie er mich in ei­nem fer­nen Lan­de von Bar­ba­ren ge­trof­fen hät­te, wo alle die­sel­be lä­cher­li­che Klei­dung tru­gen wie ich — eine Klei­dung, die ein Zau­ber­werk sei und dazu be­stimmt, den Trä­ger vor Ver­let­zun­gen von mensch­li­cher Hand si­cher zu ma­chen. Aber er hät­te die Kraft des Zau­bers durch sein Ge­bet zu­nich­te­ge­macht, mei­ne drei­zehn Rit­ter in ei­ner drei­stün­di­gen Schlacht be­siegt und mich zum Ge­fan­ge­nen ge­macht, weil er mein Le­ben ver­schon­te, um eine so sel­te­ne Merk­wür­dig­keit der Be­wun­de­rung und dem Stau­nen des Kö­nigs und des Ho­fes preis­zu­ge­ben. Er sprach die gan­ze Zeit in der sanf­tes­ten Art von mir als ›der un­ge­heu­re Rie­se‹ oder ›die­ser fang­zäh­ni­ge, klaui­ge, men­schen­fres­sen­de Oger‹ und alle schluck­ten die­sen Un­sinn ganz un­schul­dig hin­un­ter und lä­chel­ten we­der noch schie­nen sie zu be­mer­ken, dass ir­gend­ein Un­ter­schied zwi­schen die­ser ge­färb­ten Sta­tis­tik und mir vor­han­den war. Er er­zähl­te, dass ich beim Ver­such, ihm zu ent­kom­men, mit ei­nem ein­zi­gen Sprung in den Wip­fel ei­nes Bau­mes von zwei­hun­dert El­len Höhe sprang, dass er mich aber mit ei­nem Stein von der Grö­ße ei­ner Kuh ver­trieb, der mir bei­na­he alle Kno­chen zer­brach und dass er mich dann hät­te schwö­ren las­sen, am Hofe des Kö­nigs Ar­tus zu er­schei­nen, um mein Ur­teil zu emp­fan­gen. Er en­de­te da­mit, dass er mich ver­ur­teil­te, am Ein­und­zwan­zigs­ten mit­tags zu ster­ben; und so we­nig griff ihn die Sa­che an, dass er in­ne­hielt, um zu gäh­nen, be­vor er das Da­tum nann­te.

Ich war zu die­ser Zeit in ei­nem schreck­li­chen Zu­stand; ich war wirk­lich kaum ge­nug bei Ver­stand, um ei­nem Streit fol­gen zu kön­nen, der sich dar­über er­hob, wie ich am bes­ten ge­tö­tet wer­den könn­te, da von ei­ni­gen die Mög­lich­keit mei­ner Tö­tung we­gen des Zau­bers in mei­ner Klei­dung be­strit­ten wur­de. Und doch war es nichts an­de­res als ein ge­wöhn­li­cher An­zug aus ei­ner Fünf­zehn Dol­lar-Klei­der­bu­de. Den­noch war ich noch so weit bei mir, um ein De­tail zu be­mer­ken, näm­lich: Vie­le von den Aus­drücken, die in der selbst­ver­ständ­lichs­ten Wei­se von die­ser großen Ver­samm­lung der ers­ten Da­men und Her­ren die­ses Lan­des ge­braucht wur­den, hät­ten einen Co­man­chen er­rö­ten ge­macht. Unz­art­heit ist ein zu mil­der Aus­druck, um mei­ne Idee deut­lich zu ma­chen.

Sie wa­ren über mei­ne ver­zau­ber­ten Klei­der so be­un­ru­higt, dass sie wie er­löst wa­ren, als der alte Mer­lin end­lich die Schwie­rig­keit mit et­was ge­sun­dem Men­schen­ver­stand aus dem Wege räum­te.

Er frag­te sie, warum sie so dumm wä­ren — warum es ih­nen nicht ein­fie­le — mich aus­zu­klei­den. In ei­ner hal­b­en Mi­nu­te war ich so nackt, wie ein ge­rupf­tes Huhn. Und bei mei­ner See­le, ich war der ein­zi­ge Ver­le­ge­ne im gan­zen Saal! Alle spra­chen über mich und noch dazu so un­be­fan­gen, als wenn ich ein Kohl­kopf ge­we­sen wäre. Kö­ni­gin Gui­nevra war eben­so un­schulds­voll in­ter­es­siert wie die üb­ri­gen und be­merk­te, sie hät­te noch nie­mals je­man­den mit sol­chen Bei­nen ge­se­hen, wie mich. Es war das ein­zi­ge Kom­pli­ment, das mir ge­macht wur­de — wenn es ei­nes war.

Schließ­lich wur­de ich in ei­ner Rich­tung und mei­ne ge­fähr­li­chen Klei­der in ei­ner an­dern fort­ge­schleppt. Ich wur­de in eine dunkle und enge Zel­le in ei­nem Ge­fäng­nis ge­sto­ßen, in dem sich ei­ni­ge kar­ge Über­bleib­sel als Mahl­zeit, et­was dump­fes Stroh als La­ger und un­zäh­li­ge Rat­ten als Ge­sell­schaft be­fan­den.

(be­son­ders vom 17. bis zum 19. Jahr­hun­dert) fah­ren­der Sän­ger, der auf Jahr­märk­ten u. Ä. er­zäh­len­de Lie­der mit häu­fig dra­ma­ti­schen In­hal­ten vor­trägt  <<<

5. Eine Inspiration

Ich war so er­mü­det, dass selbst mei­ne Be­fürch­tun­gen nicht im­stan­de wa­ren, mich lan­ge wach zu er­hal­ten.

Als ich wie­der zu mir kam, schi­en ich eine lan­ge Zeit ge­schla­fen zu ha­ben. Mein ers­ter Ge­dan­ke war: »Was für einen er­staun­li­chen Traum habe ich ge­habt! Ich glau­be, ich bin ge­ra­de zur rech­ten Zeit er­wacht, um mich vom Hän­gen, vom Er­trän­ken, Ver­bren­nen oder sonst et­was zu ret­ten — — Ich wer­de wie­der ein biss­chen ein­ni­cken, bis die Pfei­fe bläst, und dann wer­de ich hin­un­ter­ge­hen in die Waf­fen­fa­brik und die Ge­schich­te mit Her­ku­les zu Ende brin­gen.«

Aber ge­ra­de da hör­te ich die raue Mu­sik von ros­ti­gen Ket­ten und Rie­geln, ein Licht blitz­te in mei­ne Au­gen und der Schmet­ter­ling, Cla­rence, stand vor mir! Ich keuch­te vor Über­ra­schung, mein Herz stand bei­na­he still.

»Was«, sag­te ich, »du noch hier? Ver­schwin­de mit dem Rest mei­nes Trau­mes! Ver­duf­te!«

Er lach­te aber nur in sei­ner leicht­her­zi­gen Art und fing an, über mei­nen trau­ri­gen Zu­stand zu wit­zeln.

»Also gut«, sag­te ich er­ge­ben, »las­sen wir den Traum wei­ter­ge­hen, ich habe kei­ne Eile.«

»Ich bit­te dich, wel­chen Traum?«

»Wel­chen Traum? Nun, den Traum, dass ich am Hofe des Kö­nigs Ar­tus bin — ei­ner Per­son, die nie­mals exis­tier­te, und dass ich mit dir spre­che, der du nichts andres bist, als ein Werk mei­ner Ein­bil­dungs­kraft.«

»Aber geh, wirk­lich? Und es ist ein Traum, dass du mor­gen ver­brannt wirst? He — ant­wor­te mir dar­auf!«

Der Schau­der, der mich durch­zuck­te, war schreck­lich. Nun be­gann mir die Ver­nunft zu sa­gen, dass mei­ne Lage min­des­tens ernst war. Traum oder kein Traum — ich wuss­te aus frü­he­rer Er­fah­rung von der le­ben­s­ähn­li­chen Stär­ke der Träu­me, dass le­ben­dig ver­brannt zu wer­den, selbst im Traum, sehr weit da­von ent­fernt ist, spaß­haft zu sein und dass die­se Si­tua­ti­on je­den­falls mit al­len Mit­teln, die mir zu Ge­bo­te stan­den, gut oder schlecht, ver­mie­den wer­den muss­te.

Ich sag­te also fle­hent­lich: »O Cla­rence, mein gu­ter Jun­ge, ein­zi­ger Freund, den ich habe — denn du bist mein Freund, nicht wahr? Ver­las­se mich nicht; hilf mir, ir­gend­ei­nen Weg fin­den, um von hier zu ent­kom­men!«

»Nun höre ei­ner den Men­schen an! Ent­kom­men? Aber Mensch, die Gän­ge sind un­ter Be­wa­chung und Auf­sicht von Be­waff­ne­ten!«

»Ge­wiss, ge­wiss. Aber wie vie­le sind es, Cla­rence? Nicht vie­le, hof­fe ich?«

»Vol­le zwan­zig. Es ist kei­ne Hoff­nung zur Flucht.« Nach ei­ner Pau­se — zö­gernd: »Und dann sind noch an­de­re Grün­de da — ge­wich­ti­ge­re.«

»An­de­re Grün­de? Wel­che sind das?«

»Nun, sie sa­gen — ach, ich wage es nicht, wirk­lich, ich wage es nicht.«

»Aber ar­mer Jun­ge, was ist denn los? Wa­rum zö­gerst du? Und warum zit­terst du?«

»O wahr­haf­tig, dazu ist Grund ge­nug vor­han­den! Ich wür­de es dir sa­gen — aber —.«

»Komm, komm, sei tap­fer, sei ein Mann – sag’s her­aus und sei ein gu­ter Jun­ge!«

Er war un­schlüs­sig, ei­ner­seits von sei­nem Wun­sche, an­de­rer­seits von Furcht an­ge­trie­ben, dann schlich er zur Türe und guck­te lau­schend hin­aus, schließ­lich kam er ganz nahe zu mir, leg­te sei­nen Mund an mein Ohr und er­zähl­te mir sei­ne furcht­ba­ren Neu­ig­kei­ten flüs­ternd und mit der knie­schlot­tern­den Be­sorg­nis ei­nes Men­schen, der sich auf ge­fähr­li­chen Bo­den be­gibt und von Din­gen spricht, de­ren blo­ße Er­wäh­nung den Tod nach sich zie­hen kann.

»Mer­lin hat in sei­ner Bos­heit einen Zau­ber auf die­ses Ge­fäng­nis ge­legt und es gibt kei­nen Men­schen in die­sem Kö­nig­rei­che, der wag­hal­sig ge­nug wäre, um den Ver­such zu ma­chen, sei­ne Gren­zen mit dir zu über­schrei­ten. Nun, gna­de mir Gott, ich habe es er­zählt! Ach, sei gut ge­gen mich, sei barm­her­zig mit ei­nem ar­men Jun­gen, der es gut mit dir meint, denn wenn du mich ver­rätst, bin ich ver­lo­ren!«

Ich lach­te das ers­te herz­li­che La­chen seit län­ge­rer Zeit und schrie —

»Mer­lin hat einen Zau­ber ge­macht! Mer­lin, für­wahr! Die­ser nichts­nut­zi­ge, alte Schwind­ler, die­ser brum­men­de alte Esel? Un­sinn, pu­rer Un­sinn, der al­b­erns­te Un­sinn von der Welt! Was, ich glau­be, dass von al­lem kin­di­schen, idio­ti­schen, dumm­köp­fi­gen, ha­sen­her­zi­gen Aber­glau­ben, der je — ach, hol der Teu­fel Mer­lin!«

Aber Cla­rence war auf die Knie ge­plumpst, be­vor ich halb zu Ende war, und wur­de bei­na­he ver­rückt vor Angst.

»O hüte dich! Das sind schreck­li­che Wor­te! Je­den Mo­ment kön­nen die­se Mau­ern auf uns stür­zen, wenn du sol­che Din­ge sagst. O, wi­der­ru­fe sie, be­vor es zu spät ist!«

Die­se son­der­ba­re Auf­füh­rung brach­te mich aber auf eine gute Idee und mach­te mich nach­denk­lich. Wenn je­der­mann hier her­um so ehr­lich und auf­rich­tig vor Mer­lins an­geb­li­cher Ma­gie Angst hat­te, wie Cla­rence, muss­te doch ein hö­her­ste­hen­der Mensch, wie ich, scharf­sin­nig ge­nug sein, um aus ei­nem sol­chen Stand der Din­ge Vor­teil zu zie­hen. Ich fuhr fort nach­zu­den­ken und ar­bei­te­te einen Plan aus.

Dann sag­te ich: »Steh auf. Raf­fe dich zu­sam­men, schau mir in die Au­gen. Weißt du, wes­halb ich lach­te?«

»Nein, aber um der ge­be­ne­dei­ten Jung­frau wil­len, tue es nicht mehr!«

»Nun, ich will dir sa­gen, wes­halb ich lach­te. Weil ich selbst ein Ma­gier bin.«

»Du!« Der Jun­ge wich einen Schritt zu­rück und hielt den Atem an, denn die Sa­che kam ihm et­was plötz­lich! Aber der Aus­druck, den sein Ge­sicht an­nahm, war sehr, sehr ehr­er­bie­tig. Das be­merk­te ich so­fort; es be­wies mir, dass ein Schwin­del in die­sem Nar­ren­haus kei­ne Be­grün­dung zu ha­ben brauch­te. Die Leu­te wa­ren auch ohne die­se be­reit, ei­nem aufs Wort zu glau­ben. Ich fuhr fort: »Ich ken­ne Mer­lin seit sie­ben­hun­dert Jah­ren und er — —«

»— Sie­ben­hun — —«