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Hinreißende Sommerlektüre von Bestsellerautorin Corina Bomann Die 23-jährige Wiebke muss nach einem quälend langen Winter, einer verhauenen Prüfung und einem zähen Beziehungskampf einfach mal raus. Die Urlaubskasse gibt nicht viel her, und ihre beste Freundin macht Pärchenurlaub, doch Wiebke hat eine wunderbare Alternative: Sie besucht ihre Tante Larissa an der Müritz. Larissa ist genau so, wie Wiebke gern wäre: unabhängig, stark, eine Lebenskünstlerin. Doch Wiebke merkt, dass auch Larissa ihre Zweifel, Schwächen und Sehnsüchte hat. Ihre Gespräche helfen ihnen, die eigenen Wünsche ans Leben klarer zu sehen. Als die Liebe bei beiden einschlägt, wird ihre sommerliche Schicksalsgemeinschaft zu einer emotionalen Achterbahnfahrt. Der Sommer bringt den beiden Klarheit über ihre Wünsche ans Leben.
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Über das Buch
Die Studentin Wiebke muss nach einem quälend langen Winter, einer verhauenen Prüfung und einem zähen Beziehungskampf einfach mal raus. Die Urlaubskasse gibt nicht viel her, und ihre beste Freundin macht Pärchenurlaub, doch Wiebke hat eine wunderbare Alternative: Sie besucht ihre Tante Larissa an der Müritz.
Larissa ist ein bisschen Lebenskünstlerin und stolz auf ihr Aussteigerleben auf einem Brombeerhof. Die beiden Frauen sind absolut gegensätzlich und doch irgendwie aus demselben Holz.
Im Laufe des Sommers an der Mecklenburger Seenplatte lernt Larissa den Maler Michael kennen. Für die unabhängige Singlefrau geht damit ein großer Wunsch in Erfüllung, aber sie hadert mit sich, wenn es um Offenheit und Zuversicht geht. Die Gespräche mit Wiebke sind Segen und Fluch zugleich: Wiebke ermutigt Larissa, doch in ihrer Familie ist Vertrauen schon zu oft zerstört worden.
Wiebke und Larissa erleben einen überraschungsreichen Sommer.
Über die Autorin
Corina Bomann ist in einem kleinen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsen und lebt mittlerweile in Berlin. Sie hat bereits erfolgreich Jugendbücher und historische Romane geschrieben, bevor ihr mit Die Schmetterlingsinsel der absolute Durchbruch gelang. Seither gehört sie zur ersten Garde der deutschen Unterhaltungsschriftstellerinnen. Mehr über die Autorin erfahren Sie auf:
www.corina-bomann-online.de
Corina Bomann
Ein zauberhafter Sommer
Roman
Marion von Schröder
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ISBN: 978-3-8437-10589
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Larissa lehnte an einem Baumstamm und blickte suchend die Straße hinunter. Um diese Uhrzeit fuhren nicht mehr viele Leute aus Meißen hinaus, die meisten gönnten sich jetzt ein kühles Bier in ihrem Schrebergarten oder auf dem Balkon ihrer Wohnung. Sie war sicher, dass sie den, auf den sie wartete, erkennen würde.
Ihr Haar hatte sie hochgesteckt, damit die leichte Brise ihren Nacken streicheln konnte. Ringsherum zirpten die Grillen, dazwischen sang eine Amsel träge ihr Abendlied. Larissa liebte diesen Ort einige Kilometer außerhalb der Stadt. Hier gab es einen alten Meilenstein, der die Reisenden darauf hinwies, dass sie noch 20 Meilen bis in die Stadt brauchten. Nun, das stimmte mittlerweile nicht mehr, denn die Stadt hatte sich ausgedehnt. Auch war der Stein nicht mehr auf Anhieb zu erkennen, denn Gestrüpp und Bäume waren aus dem Boden geschossen.
Meist traf sie sich hier mit Max, wenn er sie besuchen kam. Er meinte immer, dass das Zusammenkommen mit ihr ein Meilenstein seines Lebens sei, deshalb passte es gut, dass sie hier wartete. Außerdem hatte er als Architekt beruflich viel mit Steinen zu tun. Er konnte den ganzen Tag über Gebäude und Steinsorten reden. Manch einer würde das langweilig finden, aber Larissa war fasziniert und gespannt, was er diesmal wieder erzählen würde. Momentan arbeitete er an einem wichtigen Projekt, einem Hotel, das aus der DDR-Zeit übrig geblieben war und nun zu neuem Leben erweckt werden sollte. Aus diesem Grund waren seine Besuche etwas seltener geworden, doch jeder von ihnen war intensiver als vorher, denn sie wussten nicht, wann sie sich das nächste Mal sehen würden.
Den ganzen Tag über war es heiß gewesen, so heiß, dass die Luft jetzt immer noch flirrte. Wahrscheinlich würde es auch über Nacht keine Abkühlung geben. Das freut die Bauern sicher, dachte Larissa beiläufig, während sie dem Brummen der Mähdrescher auf den Feldern lauschte und davon träumte, vielleicht mal selbst auf dem Land zu leben, fern von der Hektik der Stadt. Würde Max damit einverstanden sein? Durch seine Arbeit war er viel unterwegs, da war so eine Ruheinsel doch sicher nicht schlecht …
Aber was kommen würde, war noch nicht viel mehr als ein Gedanke und ein Traum.
Bereits seit einer halben Stunde stand sie hier am Treffpunkt, doch Max war noch immer nicht aufgetaucht. Das passte irgendwie nicht zu ihm. Wenn sie sich verabredeten, erschien er immer zur vereinbarten Zeit – manchmal war er sogar schon vor ihr da. Dann hielt er ihr lächelnd vor, dass Frauen viel zu lange vor dem Kleiderschrank brauchten, obwohl er genau wusste, dass sie von der Arbeit kam und diese manchmal nicht ganz so pünktlich endete.
Heute war sie zuerst hier gewesen. Ihr Chef hatte sie rechtzeitig gehen lassen, und auch sonst war an diesem Tag alles zu ihrer Zufriedenheit gelaufen. Das Date heute Abend würde der krönende Abschluss sein.
Doch er ließ sie warten.
Vielleicht muss er länger arbeiten, versuchte sie sich zu beruhigen, aber das nützte nicht viel. Die Sorge biss ihr in den Magen. Es war doch wohl hoffentlich nichts passiert?
Max neigte dazu, mit seinem Motorrad schneller zu fahren, als er eigentlich sollte. Schon oft hatte er dafür Knöllchen kassiert. Aber das brachte ihn nicht zur Vernunft. Nur wenn sie auf dem Sozius saß, achtete er mehr auf die Geschwindigkeit. »Ich werde wohl immer auf deinem Sozius sitzen müssen, damit dir nichts geschieht«, hatte sie mal bemerkt. Er hatte dazu gelacht und sie geküsst.
Die Erinnerung brachte Larissa zum Lächeln. Doch dann kehrte die Unruhe zurück. Nervös strich sie ihr rosafarbenes Leinenkleid glatt, obwohl sie schon ein Bügeleisen gebraucht hätte, um die vielen kleinen Sitzfältchen verschwinden zu lassen.
Max hatte gemeint, dass es ihr gut stehen würde. Deshalb hatte sie es heute angezogen. Allerdings war es nicht gerade die richtige Kleidung, um auf einem Motorrad durch die Gegend zu fahren.
Egal, sie wollte gut aussehen. Nur für ihn.
Wieder warf sie einen nervösen Blick auf ihre Armbanduhr. Er müsste doch schon längst da sein. Warum kam er nicht? Sie reckte den Hals und erschrak, als ein Vogel aus dem Gebüsch aufflog. Mit pochendem Herzen wandte sie sich um, als sie ein Geräusch hörte, und sah eine Staubwolke. Das musste er sein!
Noch einmal warf sie einen Blick in den Beutel, den sie bei sich trug. Sie war gespannt, was Max von ihrer Idee hielt. Sie war ihr in der vergangenen Nacht gekommen, und danach hatte sie nicht wieder einschlafen können.
Motorenlärm näherte sich. Da erkannte sie, dass es nicht seine Maschine war, sondern nur ein Auto. Als sie sich schon enttäuscht abwenden wollte, verlangsamte der Wagen.
Kein Zweifel, er wollte anhalten. Doch sie erkannte weder das Fahrzeug noch den Fahrer.
Ein wenig unwohl wich sie zurück. Vielleicht war es Zufall, dass er hier stoppte. Vielleicht hatte sich der Fahrer ebenfalls hier verabredet. Möglicherweise wollte er sie auch fragen, ob er sie mitnehmen sollte.
Larissa atmete tief durch. Ihre Muskeln spannten sich. Es wäre ihr lieber gewesen, wenn Max aufgetaucht wäre. Was sollte sie tun, wenn dieser Kerl irgendwas von ihr wollte? Hier lag ja nicht mal ein Ast herum, mit dem sie sich verteidigen konnte! Und mit dem Inhalt ihres Beutels konnte sie ihn wohl kaum niederschlagen.
Der Wagen hielt, und ein Mann stieg aus. Er hatte blondes Haar, helle Augen und Sommersprossen über der Nase.
Er blickte sie einen Moment lang an, grüßte und fragte dann nach ihrem Namen.
Larissa war ein wenig verwundert und wollte wissen, was ihm überhaupt das Recht gab zu fragen.
»Ich bin ein Arbeitskollege von Max«, antwortete der Fremde. »Er hat mir erzählt, dass ihr euch treffen wolltet.« Plötzlich verfinsterte sich seine Miene. Er lehnte sich gegen den Wagen, als könnte er plötzlich nicht mehr aus eigener Kraft stehen. »Ich bin hier, um Sie abzuholen, damit Sie nicht umsonst warten.«
»Umsonst?«, wiederholte sie. Das Wort echote durch ihren Verstand.
»Es tut mir leid«, entgegnete er, und seine Betroffenheit sah echt aus.
Sie schüttelte den Kopf. »Aber warum?«, fragte sie. »Er hat mich noch nie versetzt! Und auch noch nie einen Arbeitskollegen geschickt.«
Angst schoss ihr in die Glieder. Für sein Fernbleiben konnte es nur zwei Möglichkeiten geben: Entweder machte er mit ihr Schluss oder ihm war irgendwas zugestoßen.
Der Mann blickte betreten zu Boden, dann griff er in seine Hosentasche. Er reichte ihr ein kleines Bild. Dieses wirkte zerknittert, doch darauf war unverkennbar Larissa abgebildet. Sie erinnerte sich allerdings nicht mehr, wann sie es Max geschenkt hatte.
»Er … er kann nicht kommen. Er …« Die Stimme des Mannes zitterte. Seine Augen suchten die ihren, als versuchte er herauszufinden, wie viel Schmerz sie vertragen konnte. Dann nannte er ihr den Grund. Und von einer Sekunde zur anderen zerbrachen all ihre Hoffnungen und Träume.
Larissa öffnete die Augen. Während ihr Traum im Dämmerlicht verblasste, griff sie nach dem Wecker auf dem Nachttisch. 5:35 leuchtete ihr vom Display entgegen.
Eigentlich noch viel zu früh, um aufzustehen, doch Larissa war hellwach. Sonst war sie eher ein Morgenmuffel, aber nicht im Sommer. Da konnte es vier oder fünf Uhr sein: Wenn das Federvolk den vielstimmigen Gesang vor ihrem Fenster anstimmte, hielt sie nichts mehr unter ihrer Decke.
Sie strich sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, erhob sich und verließ die Schlafstube.
Um ins Bad zu kommen, musste sie durch das ganze Haus wandern, was im Winter, wenn sämtliche Wärme aus den Räumen entwichen und die Heizung noch nicht angesprungen war, ziemlich unangenehm sein konnte. Aber im Sommer genoss sie den kleinen Rundgang. Der Morgen hatte hier viele Gesichter.
Der Hof bestand aus dem etwa hundert Jahre alten Wohnhaus und einer noch fünfzig Jahre älteren Scheune, in der früher einmal Schweine und Ziegen gehalten worden waren und die das vorherige Wohnhaus, das abgebrannt war, überlebt hatte. Beide hatten ein wunderschönes altes Fachwerk, das Larissa hatte renovieren lassen. Umgeben wurde das Gelände von einem Zaun, dessen Lasur das Holz immer dunkler werden ließ. Als sie hier einzog, war es noch hell gewesen, doch jetzt hatte es einen rotbraunen Ton angenommen.
Aus den Wohnzimmerfenstern sah man die Nachbarn auf der anderen Straßenseite. Das Haus war von verschiedenfarbigen Rosen beinahe überwuchert, weshalb Larissa ihm heimlich den Namen »Dornröschenschloss« verpasst hatte. Dort war noch alles ruhig; das ältere Ehepaar, das dort wohnte, erwachte erst gegen acht. Dann ließen sie ihren kleinen Dackel raus, dessen Gebell die Straße hinunterhallte.
Larissa mochte den kleinen Hund nicht, denn er hatte die Angewohnheit, Besuchern in die Waden zu beißen. Aber ihr Kontakt zu seinen Herrchen beschränkte sich ohnehin nur auf ein paar Worte, die über den Zaun gerufen wurden.
Obwohl sie schon seit zehn Jahren hier lebte, galt sie im Dorf immer noch als Paradiesvogel. Mittlerweile hatten sich die Leute zwar an sie gewöhnt, aber tiefe Freundschaften waren nicht entstanden. Das war ihr aber auch nicht unrecht, denn es gab viele Dinge, mit denen sie sich lieber beschäftigte, als Tratsch zu verbreiten.
Durch die hinteren Fenster des Hauses sah man auf den großen Garten, in dem zahlreiche Stauden wucherten und Blumenbeete ihre taubedeckte Pracht zeigten. Auch standen hier ein Kirsch-, ein Apfel- und ein Birnbaum. Früher war diese Fläche als Gemüsegarten genutzt worden, doch Larissa hatte alles umgestaltet, als sie hier eingezogen war. Nur noch einen kleinen Teil des Gartens nutzte sie zum Anbau von Gemüse, dafür wuchsen jetzt viele prachtvolle Blumen. Außerdem war hier seit kurzem eine Hollywoodschaukel, ein richtig altmodisches Teil, das sie auf einem Trödelmarkt erworben und neu angestrichen hatte.
Hierhin zog sich Larissa gern zum Lesen und Nachdenken zurück. Manchmal wurde sie von den Katzen der Nachbarschaft besucht, oder besser gesagt, sie bemerkten sie nicht, wenn sie auf Pirsch oder Brautschau waren.
Von den Fenstern ihres Arbeitszimmers hatte sie eine gute Sicht auf die hohen Kastanienbäume, hinter denen sich die Morgensonne emporkämpfte und deren lange Schatten über den Hof fielen. Das war ihr liebster Anblick. In ihnen konnte sich ihre Phantasie verlieren, sommers wie winters. Momentan wiegten sich die Äste im Morgenwind, während in ihren Kronen unzählige Vögel sangen. Doch auch wenn das Laub sich bunt verfärbte oder die Äste kahl wurden, sahen sie immer noch wunderbar aus und sie konnte sich viele Minuten lang an ihnen festgucken. Leider konnte man von hier aus nicht auf den See blicken, dazu musste sie erst einmal die kleine Anhöhe überwinden, auf der sich das Tiergehege befand und deren Ackerflächen, die auch an ihren Hof grenzten, von der Agrargenossenschaft bewirtschaftet wurden. Doch so dicht, wie die Hecken auf dem hinteren Teil des Hofes wuchsen, bekam sie nur sehr wenig von den Pflüge- und Mäharbeiten mit.
Larissa genoss die Aussicht eine Weile, dann wandte sie sich um.
Wie an jedem Morgen streifte ihr Blick das Paar Damenschuhe, das in der Vitrine links von ihr stand. Es war früher einmal schneeweiß gewesen, eigentlich nichts Besonderes, wenn man von dem elegant geschwungenen Absatz einmal absah. Unter Larissas Händen hatten sie sich in die Schönheiten verwandelt, die hinter dem Glas bewundert werden konnten. Rote Mohnblüten ringelten sich über das Leder, jede Blüte so fein gearbeitet, dass sie wie ein Fotodruck wirkten.
Larissas Besucher und Auftraggeber bewunderten die Schuhe, ohne zu ahnen, welche Geschichte sich hinter ihnen verbarg. Wenn es nach Larissa ging, würde es nie jemand erfahren. Sie bewahrte sie tief in ihrem Herzen auf, weggeschlossen vor dem Alltag. Nur selten kehrte sie zu diesen Augenblicken zurück.
Gedankenverloren berührte Larissa das Vitrinenglas. Zwölf Jahre hatten nicht ausgereicht, um die drei Jahre des Glücks und das Jahr des Unglücks vergessen zu machen. Würde sie es jemals hinter sich lassen können?
Doch jetzt war definitiv nicht der Moment dafür, um sich alten Erinnerungen hinzugeben. Entschlossen wandte sie sich um und ging ins Bad.
Zwanzig Minuten später saß sie bei einer Tasse Kaffee und warmen Waffeln am Küchentisch. Frische, nach Erde und Stroh duftende Morgenluft strömte durch das geöffnete Fenster. Draußen klapperte das Fahrrad des Zeitungsausträgers. Während seine Kollegen in anderen Orten bereits vor dem Vogelgesang mit ihren getunten Autos die Leute aus dem Schlaf rissen, versah er seinen Dienst auf altmodische Weise. Dabei begann er nicht später als die anderen, doch da er drei Dörfer, egal ob Sommer oder Winter, mit seinem Fahrrad abklapperte, brauchte es eine Weile, bis er alle Zeitungen ausgeliefert hatte.
Larissa pustete den Dampf des Kaffees über den Rand hinweg und trank einen Schluck.
Ein ganz normaler Tag lag vor ihr. Nun, nicht ganz so normal, denn heute wollte ihr eine junge Frau ihre Schuhe bringen, um sie von ihr bemalen zu lassen. Das geschah vielleicht zehn Mal im Jahr, im Sommer häufiger als im Winter. Gestern hatte sie angerufen. Obwohl Larissa kurz vor der Brombeerernte stand und sich momentan mit Lieferverträgen und Werbemaßnahmen herumschlug, hatte sie zugesagt. Um Brautschuhe zu bemalen und dem Paar damit Glück zu bringen, hatte sie immer Zeit.
Durch die E-Mails, die Anke Heinrich ihr geschrieben hatte, hatte Larissa schon einiges über ihre Kundin erfahren. Sie war vierundzwanzig, hatte ihren Mann in Südfrankreich auf einer Yacht kennengelernt und mochte die Farbe Blau. Eigentlich ganz einfach und gerade deshalb doch ein wenig knifflig, denn Seemotive hatte sie schon des Öfteren gemalt, und mittlerweile fiel es ihr schwer, originell zu bleiben. Aber vielleicht würde ihr das Gespräch eine neue Inspiration liefern.
Sie schob sich das letzte Stück Waffel in den Mund, trank den Kaffee aus und stellte das Geschirr in die Spülmaschine.
Inzwischen hatte der Zeitungsbote ihr Haus erreicht. Sie trat nach draußen, als er gerade vom Rad abstieg. Hanno Karstens war vor fünf Jahren ebenfalls neu zugezogen und sah nicht mal schlecht aus. Er hatte, soweit es Larissa herausgefunden hatte, mehrere Jobs, unter anderem kellnerte er in der benachbarten Stadt. Allerdings gab es zwei Hinderungsgründe, die es ihr verboten, sich ihm zu nähern: Er war bestimmt fünfzehn Jahre jünger als sie – und bestimmt hatte er eine Freundin.
So blieb es bei ihrem morgendlichen Ritual.
»Guten Morgen, Frau Liebermann, Sie sind ja schon wieder so früh auf!«, begrüßte er sie und reichte ihr die Zeitung über den Gartenzaun. Dabei lächelte er sie so anziehend an, dass Larissa beinahe gewillt war, ihre Prinzipien über Bord zu werfen. Doch sie hatte sich im Griff.
»Guten Morgen, Herr Karstens! Es ist Sommer, da kann man doch nicht bis Mittag in den Federn liegen.«
»Als ob Sie jemals bis Mittag in den Federn liegen würden!«
»Im Winter schon!«, entgegnete Larissa und wünschte ihm dann einen guten Tag.
Er erwiderte den Wunsch, stieg auf sein Fahrrad und fuhr zum nächsten Gehöft.
Sonst verschwand Larissa gleich wieder im Haus, doch heute sah sie ihm nach. Tief in sich spürte sie eine Sehnsucht, die sie längst vergessen geglaubt hatte. Es wäre schön, wieder einen Mann zu haben, dachte sie, doch gleichzeitig spürte sie, wie in ihrem Innern sofort die Schutzschilde hochfuhren.
Ohnehin musste sie sich an die Arbeit machen, denn weder stellte sich der Sprinkler von allein an, noch holten sich die Tiere selbst etwas zu fressen.
Der Gang zum Gehege war für Larissa wie eine kleine Meditation.
Das taunasse Gras kitzelte ihre Knöchel, der Wind streichelte ihre Schultern, und ihre Ohren waren erfüllt vom Vogelzwitschern. Der Pfad war recht schmal, niemand verirrte sich mit einem Fahrzeug hierher. Wenn sie wütend war oder enttäuscht, ging Larissa diesen Weg und fühlte sich bei ihrer Rückkehr besser. Meistens.
Schließlich erreichte sie die Anhöhe.
Die Dorfleute nannten sie Fuchsberg – wohl weil früher hier Füchse ihre Bauten gehabt hatten. Die Rotpelze waren schon lange verschwunden, der Name war allerdings geblieben. Und wahrscheinlich würde dieser Flecken Erde auch nie einen anderen bekommen.
In der Umzäunung aus Holz und Draht, die sie mit Hilfe einiger Männer aus dem Dorf errichtet hatte, hielt sich alles auf, was ihr in den vergangenen Jahren zugelaufen oder zu ihr gebracht worden war. Zwei Pferde, ein Esel, drei Ziegen und vier Schafe. Dazu noch ein Hund, der es sich nicht nehmen ließ, die anderen Vierbeiner zu bewachen. Die unzähligen Vögel, die die Meisenknödel leer pickten, zählte sie gar nicht mit.
Als sie das Gattertor erreicht hatte, sprang ihr die riesige Promenadenmischung entgegen. Ihr cremefarbenes Fell hatte braune und rote Flecken, die Schnauze erinnerte ein wenig an einen Collie.
»Na, Rufus, wie geht’s?«, fragte sie und schloss das Tor hinter sich. Der Hund bellte einmal kurz und wedelte mit seiner buschigen Rute. Ein paar Kletten hatten sich darin verfangen, die sie ihm nachher entfernen musste.
Larissa tätschelte ihm den Kopf, zog einen Hundekeks aus der Tasche und schob ihn zwischen seine Lefzen. Dann stieß sie einen kurzen Pfiff aus.
Träge lösten sich die Pferde von ihrem Platz und trotteten zu ihr. Der Esel blieb scheu in seiner Ecke, die Ziegen hatten Besseres zu tun, als sie zu begrüßen. Nur die Schafe liefen sofort heran.
Larissa wusste noch genau, wie jeder einzelne ihrer Gäste zu ihr gekommen war. Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, Tiere zu halten, die Arbeit auf dem Brombeerfeld und das Bemalen der Schuhe füllten sie vollständig aus. Doch dann hatte sie den vernachlässigten Esel gefunden, die Ziegen hatten eines Morgens auf dem Hof gestanden, ein alter Bauer, der zu seinen Kindern in die Stadt zog, überließ ihr die Schafe, und die beiden betagten Pferde hatte sie nach dem Tod ihres früheren Besitzers vor dem Abdecker gerettet.
Am meisten hatte sie das Schicksal des Hundes gerührt. Diesen hatte sie bei einem Ausflug mit dem Rad an einem Begrenzungspfahl festgebunden gefunden – abgemagert und verstört. Sie wusste gar nicht, was sie mehr aufgeregt hatte: dass jemand das Tier ausgesetzt hatte oder dass niemand vor ihr angehalten hatte, um es mitzunehmen.
Eine Zeitlang hatte es sehr schlecht für Rufus ausgesehen – das war der Name, der auf seinem Halsband stand. Aber irgendwie hatte er es geschafft und sich, als er mit den anderen Vierbeinern in Kontakt gekommen war, darauf besonnen, dass er ein Hütehund war. Im Haus hielt er sich nur dann auf, wenn die anderen Tiere im Winter im Stall standen.
Larissa ging zu dem kleinen Schuppen, in dem sie das Futter aufbewahrte. Eine Wespenspinne hatte in einem dicken Grasbüschel neben der Tür ihr Netz aufgeschlagen und wartete auf arglose Grashüpfer.
Vorsichtig zog Larissa die Tür auf und trat zu den Futtertonnen. Zuerst nahm sie einige Schaufeln Hafer und Weizen heraus und schüttete sie in einen Eimer. Dann griff sie nach dem Hundefutter.
Nach und nach befüllte sie die Tröge und Schalen. Damit lockte sie auch den Esel und die Ziegen aus der Reserve.
Während die Tiere ihre Köpfe in ihre Näpfe und Tröge steckten, gönnte sie sich einen Blick auf den See, in dem die Morgensonne glitzerte.
Unweit des Ufers duckten sich ein paar Häuser in den Schutz riesiger Bäume. Vor einem, dessen blauer Giebel zwischen den Baumkronen hervorlugte, stand ein riesiger Möbelwagen. Hatte der Besitzer des Hauses gewechselt? Zog jemand aus?
Larissa beobachtete den Wagen eine Weile, doch auf ihrem Aussichtspunkt war sie natürlich zu weit entfernt, um etwas zu erkennen.
Vielleicht sollte ich mal zufällig dort vorbeifahren, dachte sie, während sie zurück zum Schuppen ging und die Tür verriegelte. Wer weiß, vielleicht sind es ja nette Leute, die Interesse an Brombeeren oder bemalten Brautschuhen haben.
Als der blau-weiße Bus heranrauschte, griff Wiebke nach ihrer Reisetasche und schob sich den Gurt auf die Schulter. Das Namensschild mit der Aufschrift »Simon« – ihrem Nachnamen – kratzte sie und erinnerte sie daran, dass sie vor einem Jahr mit demselben Gepäck noch nach England unterwegs gewesen war.
Wenig später wurde sie von einer Staubwolke und warmem Motorendunst eingehüllt. Zischend öffneten sich die Türen. Sie ließ eine ältere Dame vorbei, die mühsam die Stufen bewältigte, dann stieg sie ein, legte dem Fahrer das Geld hin und bedankte sich, als er ihr einen kleinen weißen Zettel in die Hand drückte.
Sie war die Einzige, die hier zustieg. Und auch sonst hatte der Bus kaum Passagiere. Aber das war ihr nur recht.
Wenn man in diesen Teil Mecklenburgs fuhr, dann um seine Ruhe zu haben und nicht um die Sau rauszulassen.
Den Entschluss, ihre Tante zu besuchen, hatte sie spontan gefasst. Nach den vergangenen katastrophalen Monaten musste sie einfach mal raus aus Berlin. Und auch ihre beste Freundin Edita war nicht ganz unschuldig daran, dass sie nun auf dem Weg in ein kleines Dorf an der Müritz war. Sie hatte doch glattweg ihre neue Flamme ihrer alten Freundin vorgezogen und war zum Pärchenurlaub nach Mallorca gedüst.
Wiebke waren zwei Möglichkeiten geblieben: allein in Berlin rumzuhängen oder sich einen Ort zu suchen, an dem sie Ruhe finden konnte.
Da man das Zuhause ihrer Eltern nicht gerade als Ort der Ruhe bezeichnen konnte, hatte sie sich entschieden, zu ihrer Tante zu fahren. Diese wohnte im Herzen Mecklenburgs, wo die Uhren noch anders tickten und man seine geschundene Seele wieder heilen konnte – zumindest hoffte sie das.
Während der Bus bereits anfuhr, stellte sie ihre Tasche ab und setzte sich ans Fenster.
Auf einmal schien ihr Körper mindestens zehn Pfund mehr Gewicht zu bekommen. Wiebke fühlte sich schwammig und benebelt, als hätte sie irgendein Grippemittel geschluckt. Doch wie sollte es einem auch ergehen, wenn man schon seit fünf Uhr morgens unterwegs war?
Erst mit der S-Bahn zum Hauptbahnhof, dann mit dem Zug nach Waren an der Müritz und jetzt mit dem Bus weiter in das kleine Dörfchen, das am anderen Ende des Sees lag.
Gähnend betrachtete sie ihr Spiegelbild, das sie vage in der Scheibe erahnen konnte. Etwas anderes als einen Knoten hatte sie aus ihrer strohblonden Haarpracht nicht zaubern können. Ihr Gesicht war trotz des herrlichen Sommerwetters blass, dunkle Schatten wucherten unter ihren Augen. Sie fühlte sich in diesem Augenblick wesentlich älter als dreiundzwanzig.
Wie soll man auch aussehen, wenn man eine wichtige Prüfung verhauen und den Freund verloren hat?, dachte sie bitter und spürte wieder das ätzende Gefühl von Ohnmacht in ihrer Brust. Hätte sie irgendwas tun können? Die Zeichen früher erkennen? Und selbst wenn, hätte sie das Ruder herumreißen können? Sie zweifelte daran.
Als sich ein Mann neben sie auf den Sitz fallen ließ und laut schnaufte, war es mit dem Nachdenken vorbei. Wiebke beschloss, sich die Kopfhörer ihres MP3-Players in die Ohren zu stöpseln, und wenig später folgte sie dem Rat des Sängers von Snow Patrol: »Shut your eyes and think of somewhere …«
Als Wiebke die Augen wieder öffnete, schien es ihr, als wären sie noch nicht weit gekommen. Der Bus fuhr gemächlich die Landstraße entlang.
Der schnaufende Mann hatte sich wieder verzogen. Wo war er ausgestiegen? Sie hatte es nicht mitbekommen. Vielleicht war sie ja sogar eingenickt. Das musste es sein, denn ihre Playlist war vier Titel weitergesprungen.
Sie zog die Stöpsel aus den Ohren und schaute aus dem Fenster.
Sonnenschein glitzerte in einem See neben ihr, wahrscheinlich war dies einer der Ausläufer der Müritz. Ein Wohnwagen mühte sich durch eine enge Durchfahrt. Wiebke erkannte, dass sich auf dem Campingplatz, der den schönen Namen »Igelsruh« trug, eine Armada von Campinganhängern und Wohnmobilen tummelte.
Für sie wäre so etwas nichts. Sie genoss ihre tägliche Dusche und wollte diese nicht mit einer Gießkanne unter einem Baum zelebrieren. Baden im See fand sie toll – nur nicht, wenn sie gerade aus dem Bett gefallen war. Und sie schätzte es auch, wenn das Bett nicht nur aus einer harten Matte bestand, in der sich schon nach kurzer Zeit die Ameisen tummelten.
Der Hof ihrer Tante war perfekt.
Allerdings wusste Wiebke nicht, was Larissa zu ihrem Auftauchen sagen würde.
Seit sie an die Müritz gezogen war, hatten sie sich nicht mehr gesehen. Sie war die Schwester ihrer Mutter, doch vom Typ her waren beide grundverschieden. Während Josephine grundsolide war und früh geheiratet hatte, war Larissa phantasievoll, verrückt, chaotisch, ledig – und für alle ein großes Rätsel.
Niemand wusste so recht, was sie trieb, außer dass sie vor zwölf Jahren einen Hof gekauft und sich dort niedergelassen hatte. Über die Gründe dafür schwiegen sich alle aus. Auch ihre Mutter. Oft sprach sie nicht über ihre Schwester, doch einmal hatte sie angedeutet, dass Larissas Flucht etwas mit einem Mann zu tun gehabt hatte. Damit war die mütterliche Erzählstunde aber auch schon wieder vorbei gewesen.
Bevor Wiebke weiter über ihre Tante nachdenken konnte, hielt der Bus. Zunächst glaubte sie, dass es wieder irgendein Dorf auf ihrer Strecke war, doch als sie aus dem Fenster blickte, erkannte sie, dass sie ihr Ziel erreicht hatte. »Strehlin« stand verwaschen an der uralten Bushaltestelle.
Erschrocken sprang sie auf und klaubte ihre Tasche unter dem Sitz hervor. Im nächsten Moment ruckte der Bus wieder an. War überhaupt jemand ausgestiegen?
»Halt, halt, warten Sie!«, rief Wiebke panisch, während sie sich gegen die Fliehkräfte nach vorn kämpfte. Verdammt, musste der Bus so schnell anfahren? »Ich muss hier raus!« Hörte sie der Busfahrer überhaupt?
In der Stadt war es nicht schlimm, eine Station weiter zu fahren, aber hier konnte es viele Stunden dauern, bis sich wieder ein Bus blicken ließ.
Der Fahrer hörte sie – und trat hart auf die Bremse. Wiebke verlor das Gleichgewicht und prallte samt Tasche gegen die Fahrerkabine.
»Aua!«, stöhnte sie, rappelte sich dann aber rasch auf.
»Das hätten Sie auch schon eher sagen können«, maulte der Busfahrer hinter ihr her.
Und Sie könnten sanfter bremsen, lag es Wiebke auf der Zunge. Doch das behielt sie für sich. Eine Entschuldigung murmelnd, beeilte sie sich, aus dem Bus zu kommen.
Als sie endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, atmete sie tief durch. Ihre Schulter schmerzte noch von dem Aufprall, aber warme, nach Heu und Stroh duftende Luft umfing sie, und auch wenn sie sich wie gerädert fühlte, überkam sie eine seltsame Leichtigkeit.
Als der Bus weggefahren war, schloss Wiebke die Augen und konzentrierte sich ganz auf die Laute ihrer Umgebung. Je weiter sich das Motorengeräusch des Busses entfernte, desto deutlicher traten andere Laute hervor: das Zirpen der Grillen, Traktorenbrummen und der Gesang der Vögel.
Sie machte einen Schritt zurück – und prallte prompt gegen etwas Hartes, das sich in ihren Oberschenkel bohrte.
Wiebke schrie erschrocken auf, und im selben Moment ergoss sich ein Wasserschwall auf ihre Stoffturnschuhe. Sie hatte den Mann, der zwei große Kannen voll Wasser auf einer Schubkarre durch die Gegend schob, nicht kommen gehört.
»Verdammt noch mal, pass doch auf!«, schnarrte er und schüttelte sich das Wasser von den Armen. Ein paar Tropfen landeten auf ihrem Gesicht.
»Entschuldigung!«, rief Wiebke, strich sich über die Wange und sah dem wütenden Fremden ins Gesicht.
Er sah gut aus, richtig gut. Sein blondes Haar war ein wenig verwuschelt, nicht so gegelt, wie die Typen in der Stadt es trugen, sondern auf eine Weise, wie man sie bloß hinbekam, wenn man körperlich arbeitete und sich hin und wieder die Haare zurückstrich. Seine Augen leuchteten blau wie der Sommerhimmel. Dumm nur, dass Wut in ihnen schwelte.
»Ich …«, setzte sie an, doch sein Blick brachte sie zum Verstummen. Ungeduldig ruckelte er an den Griffen der Schubkarre, wohl um ihr zu signalisieren, dass sie Platz machen sollte. So zornig, wie er sie ansah, war es wohl besser, ihn vorbeizulassen und nichts mehr zu sagen.
»Touristen«, schnappte er, als er die Karre an ihr vorbeischob und dann weiterstapfte.
Wiebke sah ihm nach. Ihre Wangen glühten. Der Mann war wirklich schnuckelig – allein schon wie er ging und seinen kleinen Hintern dabei bewegte.
Sie ertappte sich, wie sie auf ihre Unterlippe biss, dann schüttelte sie den Kopf. Sie hatte sich geschworen, sich vorerst mit keinem Mann mehr einzulassen. Und daran würde sie sich auch halten.
Nachdem sie eine Weile dem kleinen Feldweg gefolgt war, der von einem schier endlosen Koppelzaun gesäumt war, tauchte schließlich das Brombeerfeld vor ihr auf. Von hier aus war es noch ein gutes Stück bis zu Larissas Hof, der am anderen Ende des Dorfes lag, doch mittlerweile brannte die Sonne so stark, dass Wiebke eine Pause brauchte.
Sie hatte das Feld noch nie mit eigenen Augen gesehen, doch sie erinnerte sich an ein Foto, das ihre Mutter besaß.
Das Brombeerfeld gehörte zum Anwesen ihrer Tante, zwanzig Hektar Gebüsch. Seit der Aufnahme des Fotos war genug Zeit vergangen, um aus den schüchternen Pflänzchen gewaltige Büsche werden zu lassen, die mit stacheligen Ranken ihre süßen Früchte verteidigten.
Wahrscheinlich hatte man sich im Dorf gewundert, warum Larissa gerade diese Obstsorte angepflanzt hatte, wo Erdbeeren doch pflegeleichter und einfacher zu ernten waren. Aber in ihrem Eigensinn hatte Larissa auf Brombeeren bestanden – und recht behalten. Brombeeren gediehen auf diesem Boden ganz prächtig.
Vielleicht sollte ich auch auf einen Hof ziehen, fern von all dem Kram in Berlin, ging es ihr durch den Sinn. Aber jetzt war sie hier, das reichte fürs Erste voll und ganz.
Sie raffte sich also wieder auf, passierte eine Weggabelung, folgte der Hauptstraße noch ein Stück weit und bog schließlich in die Kastanienallee ein, an deren Ende Larissa wohnte.
Die junge Frau an der Gartenpforte schien nicht so recht zu wissen, ob sie eintreten sollte. Sie trug ein beigefarbenes Kleid mit kleinen roten Röschen und einen Strohhut, wahrscheinlich um nicht noch mehr Sommersprossen zu bekommen. Bei ihrer hellen Haut und dem blonden Haar, das zu einem Zopf geflochten unter dem Hut hervorlugte, waren die vorwitzigen Pünktchen beinahe schon vorprogrammiert. In ihrer Hand trug sie einen bunten Stoffbeutel, der wahrscheinlich ihre Brautschuhe enthielt.
Larissa beobachtete sie einen Moment lang durch das Küchenfenster, während sie sich die Finger abtrocknete.
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