0,99 €
Dass Karl Kraus seine Sprache am Herzen lag, wäre eine Untertreibung von epochalem Ausmaß. Er war der Streiter für und mit der deutschen Sprache. Karl Kraus war einer der bedeutendsten österreichischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er war Publizist, Satiriker, Lyriker, Aphoristiker, Dramatiker, Mäzen, Sprach- und Kulturkritiker und ein scharfer Kritiker der Presse und des Hetzjournalismus oder, wie er selbst es ausdrückte, der "Journaille". Dieses Buch bietet einen kleinen Ausschnitt, gewissermaßen als Appetitanreger, Kraus' Arbeiten. Null Papier Verlag
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 335
Karl Kraus
Eine Auswahl
Gedichte und Aufsätze zur deutschen Sprache
Karl Kraus
Eine Auswahl
Gedichte und Aufsätze zur deutschen Sprache
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 1. Auflage, ISBN 978-3-954189-87-8
null-papier.de/455
null-papier.de/katalog
Inhaltsverzeichnis
Autor
Abenteuer der Arbeit
Antwort an Rosa Luxemburg von einer Unsentimentalen
Bei den Tschechen und bei den Deutschen
Bekenntnis
Den Neubildnern
Der Feuilletonist
Der Irrgarten
Der Reim
Der Reim
Die Sprache
Die Sprache
Dienst der Kunst
Franz Werfel
Ein Brief Rosa Luxemburgs
Eine Richtigstellung
Eingedeutschtes
Heine und die Folgen
Herrin und Magd
Hier wird deutsch gespuckt
Sakrileg an George oder Sühne an Shakespeare?
Schändung der Pandora
Sprachlehre
Subjekt und Prädikat
Es
Es ist der Vater …
Was ist Es?
Was; der und welcher
Es ist der Geist …
Psychologie und Grammatik
Von Humor und Lyrik
Index
Danke, dass Sie sich für ein E-Book aus meinem Verlag entschieden haben.
Sollten Sie Hilfe benötigen oder eine Frage haben, schreiben Sie mir.
Ihr
Der Newsletter informiert Sie über:
die Neuerscheinungen aus dem Programm
Neuigkeiten über unsere Autoren
Videos, Lese- und Hörproben
attraktive Gewinnspiele, Aktionen und vieles mehr
https://null-papier.de/newsletter
Dass Karl Kraus seine Sprache am Herzen lag, wäre eine Untertreibung von epochalem Ausmaß. Er war der Streiter für und mit der deutschen Sprache. Karl Kraus war einer der bedeutendsten österreichischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er war Publizist, Satiriker, Lyriker, Aphoristiker, Dramatiker, Mäzen, Sprach- und Kulturkritiker und ein scharfer Kritiker der Presse und des Hetzjournalismus oder, wie er selbst es ausdrückte, der »Journaille«.
Am 28. April 1874 kommt Kraus als neuntes und jüngstes Kind des jüdischen Fabrikanten Jakob Kraus im böhmischen Jitschin zur Welt. Die Familie gehörte dem gehobenen Mittelstand an, als er 3 Jahre alt ist, zieht die Familie nach Wien.
Nach dem Matura beginnt Kraus ein Studium der Rechtswissenschaft. Von da an veröffentlicht Kraus auch regelmäßig viele Artikel in verschiedensten Magazinen. Zunächst konzentriert er sich auf Literatur- und Theaterkritiken.
Kraus’ Ansichten sind – wenn nicht radikal – doch zumindest streng. Zu viel liegt ihn an der Sprache, als dass er vermeintliche oder vermutete Kompromisse einzugehen gewillt ist. Um des letzten Wortes willen und nicht selten um den Preis einer ätzenden Satire, zerstreitet er sich schon mal mit einstigen Förderern und Freunden. Was dem einen eine Petitesse ist, kann für Kraus den literarischen Weltuntergang bedeuten – mindestens.
Wie einem Schmetterling gleich, der mit seinem Flügelschlag einen Sturm auslöst, sieht er im fehlenden oder überflüssigen Bindestrich gar die Macht, Gesellschaft und Politik beeinflussen zu können.
Soweit geht gar seine Kritik an der noch in den Kinderschuhen steckenden Presse, dass seine nicht selten hasserfüllten Attacken selbst auf eine liberalere Presse einen ultrakonservativ gefärbten Antiliberalismus zutage treten lassen.
Maßgeblich und lehrreich wie bei keinem Zweiten sind seine Ausführungen zu den »anderen Großen« der deutschen Sprache vor ihm: Heine, Goethe oder Schiller.
Auch ist er wie so viele Intellektuelle deutscher Schule entsetzt über die Grausamkeiten im Europa des beginnenden Zwanzigsten Jahrhunderts. Nichts hat sich verändert, überall herrscht Despotismus, Unterdrückung, Obrigkeitshörigkeit und Ausbeutung – kulminiert in der Knochenmühle des Ersten Weltkrieges.
Fast schon muss man erleichtert sein, dass Kraus selbst die Gnade eines frühen Todes fand, lange an den Folgen eines banalen Zusammenstoßes mit einem Fahrradfahrer leidend, erliegt er schließlich am 12. Juni 1936 einem Herzinfarkt. Den Zweiten Weltkrieg muss er nicht mehr erleben.
Dieses Buch bietet einen kleinen Ausschnitt, gewissermaßen als Appetitanreger, Kraus’ Arbeiten.
Was leicht mir in den Schoß fiel, wie schwer muß ich’s erwerben, bang vor des Worts Verderben. O daß mir dieses Los fiel! Zuerst war’s in der Hand mir, dann wollt’ es sich entfernen, da mußt’ ich suchen lernen; es schwindet der Verstand mir. Das Wort hier ist ein Zunder für das an jener Stelle Gleich brennt die ganze Hölle. Das Wort ist mir ein Wunder. Wie öffnet es die Lider, die sonst geschlossen waren. Hier gibt es nur Gefahren. Ich kenn’ das Wort nicht wieder. Tausch’ ich es, wird’s mich täuschen. Wie es sich an mich klettet, seitdem ich es gerettet aus vielfachen Geräuschen. Das was mir einfiel, hat mich, der ich’s nie haben werde, ich steh’ auf schwanker Erde und setze selber matt mich. Ich wähl’ im Zweifelsfalle von zweien Wegen beide. Ich röste mich am Leide, bin in der Teufelsfalle. Ein unerschrockner Tadler will ich mir nichts erlauben, als aus dem reinsten Glauben zu spielen Kopf und Adler. Und wenn der Kopf aufs Wort kam, der Adler fällt getroffen – so blieb der Zweifel offen, ich weiß nicht, wie ich fortkam. Wer mit dem Geist verwandt ist, in Bildern und in Schemen die Welt beim Wort zu nehmen – beim Himmel kein Pedant ist! In sprachzerfallnen Zeiten im sichern Satzbau wohnen: dies letzte Glück bestreiten noch Interpunktionen. Wie sie zu rasch sich rühren, wie sie ins Wort mir zanken – ein Strich durch den Gedanken wird mich ins Chaos führen; obgleich ein Strichpunkt riefe, dem Komma nicht zu trauen : ein Doppelpunkt läßt schauen in eines Abgrunds Tiefe! Dort droht ein Ausrufzeichen wie von dem jüngsten Tage. Und vor ihm kniet die Frage: Läßt es sich nicht erweichen? Wie ich es nimmer wage, und wie ich’s immer wende, ein Werk ist nie zu Ende – am Ausgang steht die Frage. Und eh’ mein Herz verzage, den Ausgang zu erreichen, setz’ heimlich ich ein Zeichen – dem Zeichen folgt die Frage. Es zündet immer weiter der Blitz, der mich zerrissen. Mein eignes besseres Wissen will Antwort vom Begleiter. Mit angstverbrannter Miene stock’ ich vor jeder Wendung, entreiß’ mich der Vollendung durch eine Druckmaschine. Wie schön ist es gewesen, am Wege waren Wonnen. Was heimlich süß begonnen, nun werden’s Leute lesen. O Glück im Wortverstecke des unerlösten Denkens, Versagens und sich Schenkens – was bog dort um die Ecke? Noch nicht erseh’n, erseh’n ich’s. Vorweltlich Anverwandtes, eh’ ich’s gesetzt hab’, stand es, und nun mir selbst entlehn’ ich’s. Entzückung fand der Gaffer am tausendmal Geschauten. Aus tagverlornen Lauten erlöst er die Metapher. Im Hin- und Wiederfluten der holden Sprachfiguren folgt er verbotnen Spuren posthumer Liebesgluten. In Hasses Welterbarmung verschränkt sich Geist und Sache zu weltverhurter Sprache chiastischer Umarmung. Wer sprechen kann, der lache und spreche von den Dingen. Mir wird es nie gelingen, sie bringen mich zur Sprache. Das Wort trieb mit den Winden und spielt mit Wahngestalten. Im Wortspiel sind enthalten Gedanken, die mich finden. Wenn ich so weiter fortspiel’, vor solchem kühnen Zaudern wird es die Nachwelt schaudern. Denn alles war im Wortspiel. Dem ewigen Erneuern, zum Urbild zu gelangen, entrinn’ ich nur, gefangen in neuen Abenteuern. Durch jedes Tonfalls Fessel gehemmt aus freien Stücken, erlebt sich das Entrücken auf einem Schreibtischsessel. Was leicht mir in den Schoß fiel, wie schwer muß ich’s erwerben, bang vor des Worts Verderben. O daß mir dieses Los fiel!
Geehrter Herr Kraus, Innsbruck, 25. August 1920
Zufällig ist mir die letzte Nummer Ihrer »Fackel« in die Hände gekommen (ich war bis 4./II.. 1. J. Abonnentin) u. ich möchte mir gestatten Ihnen betreffs des von Ihnen so sehr bewunderten Briefes der Rosa Luxemburg Einiges zu erwidern, obwohl Ihnen eine Zuschrift aus dem ominösen Innsbruck vielleicht nicht sehr willkommen ist. Also: der Brief ist ja wirklich recht schön u. rührend u. ich stimme ganz mit Ihnen überein, daß er sehr wohl als Lesestück in den Schulbüchern für Volks- u. Mittelschulen figurieren könnte, wobei man dann im Vorwort lehrreiche Betrachtungen darüber anstellen könnte, wie viel ersprießlicher und erfreulicher das Leben der Luxemburg verlaufen wäre, wenn sie sich statt als Volksaufwieglerin etwa als Wärterin in einem Zoologischen Garten od. dgl. betätigt hätte, in welchem Fall ihr wahrscheinlich auch das »Kittchen« erspart geblieben wäre. Bei ihren botanischen Kenntnissen u. ihrer Vorliebe für Blumen hätte sie jedenfalls auch in einer größeren Gärtnerei lohnende u. befriedigende Beschäftigung gefunden u. hätte dann gewiß keine Bekanntschaft mit Gewehrkolben gemacht.
Was die etwas larmoyante Beschreibung des Büffels anbelangt, so will ich es gern glauben, daß dieselbe ihren Eindruck auf die Tränendrüsen der Kommerzienrätinnen u. der ästhetischen Jünglinge in Berlin, Dresden u. Prag nicht verfehlt hat. Wer jedoch, wie ich, auf einem großen Gute Südungarns aufgewachsen ist, u. diese Tiere, ihr meist schäbiges, oft rissiges Fell u. ihren stets stumpfsinnigen »Gesichtsausdruck« von Jugend auf kennt, betrachtet die Sache ruhiger. Die gute Luxemburg hat sich von den betreffenden Soldaten tüchtig anplauschen lassen (ähnlich wie s. Z. der sel. Benedikt mit den Grubenhunden) wobei wahrscheinlich noch Erinnerungen an Lederstrumpf, wilde Büffelherden in den Prärien etc. in ihrer Vorstellung mitgewirkt haben. – Wenn wirklich unsere Feldgrauen, abgesehn von den schweren Kämpfen, die sie in Rumänien zu bestehen hatten, noch Zeit, Kraft u. Lust gehabt hätten, wilde Büffel zu Hunderten einzufangen u. dann stracks zu Lasttieten zu zähmen, so wäre das aller Bewunderung wert, u. entschieden noch erstaunlicher, als daß die urkräftigen Tiere sich diese Behandlung hätten gefallen lassen.
Nun muß man aber wissen, daß die Büffel in diesen Gegenden seit undenklichen Zeiten mit Vorliebe als Lasttiere (sowie auch als Milchkühe) gezüchtet u. verwendet werden. Sie sind anspruchslos im Futter u. ungeheuer kräftig, wenn auch von sehr langsamer Gangart. Ich glaube daher nicht, daß der »geliebte Bruder« der Luxemburg besonders erstaunt gewesen sein dürfte, in Breslau einen Lastwagen ziehn zu müssen u. mit »dem Ende des Peitschenstieles« Eines übers Fell zu bekommen. Letzteres wird wohl wenn es nicht gar zu roh geschieht – bei Zugtieren ab u. zu unerläßlich sein, da sie bloßen Vernunftgründen gegenüber nicht immer zugänglich sind, – ebenso wie ich Ihnen als Mutter versichern kann, daß eine Ohrfeige bei kräftigen Buben oft sehr wohltätig wirkt! Man muß nicht immer das Schlimmste annehmen u. die Leute (u. die Tiere) prinzipiell nur bedauern, ohne die näheren Umstände zu kennen. Das kann mehr Böses als Gutes anrichten. Die Luxemburg hätte gewiß gerne, wenn es ihr möglich gewesen wäre, den Büffeln Revolution gepredigt u. ihnen eine Büffel-Republik gegründet, wobei es sehr fraglich ist, ob sie imstande gewesen wäre, ihnen das – von ihr – geträumte Paradies mit »schönen Lauten der Vögel u. melodischen Rufen des Hirten« zu verschaffen u. ob die Büffel auf Letzteres so besonderes Gewicht legen. Es gibt eben viele hysterische Frauen, die sich gern in Alles hineinmischen u. immer Einen gegen den Anderen hetzen möchten; sie werden, wenn sie Geist und einen guten Stil haben, von der Menge willig gehört u. stiften viel Unheil in der Welt, so daß man nicht zu sehr erstaunt sein darf, wenn eine solche, die so oft Gewalt gepredigt hat, auch ein gewaltsames Ende nimmt.
Stille Kraft, Arbeit im nächsten Wirkungskreise, ruhige Güte u. Versöhnlichkeit ist, was uns mehr not tut, als Sentimentalität u. Verhetzung. Meinen Sie nicht auch?
Hochachtungsvoll Frau v. X-Y.
Was ich meine, ist: daß es mich sehr wenig interessiert, ob eine Nummer der Fackel »zufällig« oder anderwegen einer derartigen Bestie in ihre Fänge gekommen ist und ob sie bis 4. II. 1. J. Abonnentin war oder es noch ist. Ist sie’s gewesen, so weckt es unendliches Bedauern, dal sie’s nicht mehr ist, denn wäre sie’s noch, so würde sie’s am Tage des Empfangs dieses Briefes, also ab 28. VIII 1. J. nicht mehr sein. Weil ja bekanntlich die Fackel nicht wehrlos gegen das Schicksal ist, an solche Adresse zu gelangen. Was ich meine, ist: daß mir diese Zuschrift aus dem ominösen Innsbruck insofern ganz willkommen ist, als sie mir das Bild, das ich von der Geistigkeit diese Stadt empfangen und geboten habe, auch nicht in einen Wesenszug alteriert und im Gegenteil alles ganz so ist wie es sein soll. Was ich meine, ist, daß neben dem Brief der Rosa Luxemburg, wenn sich die sogenannten Republiken dazu aufraffen könnten, ihn durch ihre Lesebücher den aufwachsenden Generationen zu überliefern, gleich der Brief dieser Megäre abgedruckt werden müßte, um der Jugend nicht allein Ehrfurcht vor der Erhabenheit der menschlichen Natur beizubringen, sondern auch Abscheu vor ihrer Niedrigkeit und an dem handgreiflichsten Beispiel ein Gruseln vor der unausrottbaren Geistesart deutscher Fortpflanzerinnen, die uns das Leben bis zur todsichern Aussicht auf neue Kriege verhunzen wollen und die dem Satan einen Treueid geschworen zu haben scheinen, eben das was sie anno 1914 aus Heldentodgeilheit nicht verhindert haben, immer wieder geschehen zu lassen. Was ich meine, ist – und da will ich einmal mit dieser entmenschten Brut von Guts- und Blutsbesitzern und deren Anhang, da will ich mit ihnen, weil sie ja nicht deutsch verstehen und aus meinen »Widersprüchen« auf meine wahre Ansicht nicht schließen können, einmal deutsch reden, nämlich weil ich den Weltkrieg für eine unmißdeutbare Tatsache halte und die Zeit, die das Menschenleben auf einen Dreckhaufen reduziert hat, für eine unerbittliche Scheidewand – was ich meine, ist: Der Kommunismus als Realität ist nur das Widerspiel ihrer eigenen lebensschänderischen Ideologie, immerhin von Gnaden eines reineren ideellen Ursprungs, ein vertracktes Gegenmittel zum reineren ideellen Zweck – der Teufel hole seine Praxis, aber Gott erhalte ihn uns als konstante Drohung über den Häuptern jener, so da Güter besitzen und alle andern zu deren Bewahrung und mit dem Trost, daß das Leben der Güter höchstes nicht sei, an die Fronten des Hungers und der vaterländischen Ehre treiben möchten. Gott erhalte ihn uns, damit dieses Gesindel, das schon nicht mehr ein und aus weiß vor Frechheit, nicht noch frecher werde, damit die Gesellschaft der ausschließlich Genußberechtigten, die da glaubt, daß die ihr botmäßige Menschheit genug der Liebe habe, wenn sie von ihnen die Syphilis bekommt, wenigstens doch auch mit einem Alpdruck zu Bette gehe! Damit ihnen wenigstens die Lust vergehe, ihren Opfern Moral zu predigen, und der Humor, über sie Witze zu machen! Zu Betrachtungen, wie viel ersprießlicher und erfreulicher das Leben der Luxemburg verlaufen wäre, wenn sie sich als Wärterin in einem Zoologischen Garten betätigt hätte statt als Bändigerin von Menschenbestien, von denen sie schließlich zerfleischt ward, und ob sie als Gärtnerin edler Blumen, von denen sie allerdings mehr als eine Gutsbesitzerin wußte, lohnendere und befriedigendere Beschäftigung gefunden hätte denn als Gäterin menschlichen Unkrauts – zu solchen Betrachtungen wird, solange die Frechheit von der Furcht gezügelt ist, kein Atemzug langen. Auch bestünde die Gefahr, daß etwaiger Spott über das »Kittchen«, in dem eine Märtyrerin sitzt, auf der Stelle damit beantwortet würde, daß man es der Person, die sich solcher Schändlichkeit erdreistet hat, in die Höhe hebt, wenn man nicht eine Ohrfeige vorzöge, die, wie ich Ihnen versichern kann, bei kräftigen Heldenmüttern sehr wohltätig wirkt! Was vollends den Hohn darüber betrifft, daß Rosa Luxemburg »mit Gewehrkolben Bekanntschaft gemacht« hat, so wäre er gewiß mit ein paar Hieben, aber nur mit jenem Peitschenstiel, der Rosa Luxemburgs Büffel getroffen hat, nicht zu teuer bezahlt. Nur keine Sentimentalität! Larmoyante Beschreibungen solcher Prozeduren können wir nicht brauchen, das ist nichts für die Lesebücher. Wer auf einem großen Gut Südungarns aufgewachsen ist, wo das sowieso schon schäbige und rissige Fell der Büffel kein Mitleid mehr aufkommen läßt und ihr stets stumpfsinniger »Gesichtsausdruck« – ein Gesichtsausdruck, der mithin nicht nach der Andacht einer Luxemburg, sondern nach Gänsefüßen, nach den Fußtritten einer Gans verlangt – sich von dem idealen Antlitz der südungarischen Gutsbesitzer unsympathisch abhebt, der weiß, daß man in Ungarn noch ganz andere Prozeduren mit den Geschöpfen Gottes vornimmt, ohne mit der Wimper zu zucken. Und daß die Gutsbesitzerinnen mit den Kommerzienrätinnen darin völlig einig sind, sichs wohl gefallen zu lassen. Ich meine nun freilich, daß man weder für Revolutionstribunale sich begeistern noch mit dem Standpunkt jener Offiziere sympathisieren soll, die sich aus dem Grunde, weil das Letzte, was ihnen geblieben ist, die Ehre ist, dazu hingerissen fühlen, ihre Nebenmenschen zu kastrieren. Aber so ungerecht bin ich doch, daß ich zum Beispiel Damen, die noch heute »unsere Feldgrauen« sagen, verurteilen würde, den Abort einer Kaserne zu putzen und hierauf »stracks« den Adel abzulegen, von dem sie sich noch immer, und wär’s auch nur in anonymen Besudelungen einer Toten, nicht trennen können. Allerdings meine ich auch, daß unsere Feldgrauen, abgesehen von den schweren Kämpfen, die sie in Rumänien zu bestehen hatten und zwar nur deshalb, weil die Lesebücher bis 1914 noch nicht vom Geist der guten Rosa Luxemburg, sondern von dem der Gutsbesitzerinnen inspiriert waren, faktisch auch Zeit, Kraft und Lust gehabt haben, Büffel zu stehlen und zu zähmen, und ferner, daß, solange die Bewunderung deutscher und südungarischer Walküren für die militärische Büffeldressur vorhält, auch die Menschheit nicht davor bewahrt sein wird, mit Vorliebe zu Lasttieren abgerichtet zu werden. Was ich aber außerdem noch meine – da ja nun einmal meine Meinung und nicht bloß mein Wort gehört werden will – ist: daß, wenn das Wort der guten Rosa Luxemburg nicht von der geringsten Tatsächlichkeit beglaubigt wäre und längst kein Tier Gottes mehr auf einer grünen Weide, sondern alles schon im Dienste des Kaufmanns, sie doch vor Gott wahrer gesprochen hätte als solch eine Gutsbesitzerin, die am Tier die Anspruchslosigkeit im Futter rühmt und nur die langsame Gangart beklagt, und daß die Menschlichkeit, die das Tier als den geliebten Bruder anschaut, doch wertvoller ist als die Bestialität, die solches belustigend findet und mit der Vorstellung scherzt, daß ein Büffel »nicht besonders erstaunt« ist, in Breslau einen Lastwagen ziehen zu müssen und mit dem Ende eines Peitschenstieles »Eines übers Fell zu bekommen«. Denn es ist jene ekelhafte Gewitztheit, die die Herren der Schöpfung und deren Damen »von Jugend auf« Bescheid wissen läßt, daß im Tier nichts los ist, daß es in demselben Maße gefühllos ist wie sein Besitzer, einfach aus dem Grund, weil es nicht mit der gleichen Portion Hochmut begabt wurde und zudem nicht fähig ist, in dem Kauderwelsch, über welches jener verfügt, seine Leiden preiszugeben. Weil es vor dieser Sorte aber den Vorzug hat, »bloßen Vernunftgründen gegenüber nicht immer zugänglich« zu sein, erscheint ihr der Peitschenstiel »wohl ab und zu unerläßlich«. Wahrlich, sie verwendet ihn bloß aus dumpfer Wut gegen ein unsicheres Schicksal, das ihr selbst ihn irgendwie vorzubehalten scheint! Sie ohrfeigen auch ihre Kinder nur, deren Kraft sie an der eigenen Kraft messen, oder lassen sie von sexuell disponierten Kandidaten der Theologie nur darum mit Vorliebe martern, weil sie vom Leben oder vom Himmel irgendwas zu befürchten haben. Dabei haben die Kinder doch den Vorteil, daß sie die Schmach, von solchen Eltern geboren zu sein, durch den Entschluß, bessere zu werden, tilgen oder andernfalls sich dafür an den eigenen Kindern rächen können. Den Tieren jedoch, die nur durch Gewalt oder Betrug in die Leibeigenschaft des Menschen gelangen, ist es in dessen Rat bestimmt, sich von ihm entehren zu lassen, bevor sie von ihm gefressen werden. Er beschimpft das Tier, indem er seinesgleichen mit dem Namen des Tiers beschimpft, ja die Kreatur selbst ist ihm nur ein Schimpfwort. Über nichts mehr ist er erstaunt, und dem Tier, das es noch nicht verlernt hat, erlaubt ers nicht. Das Tier darf so wenig erstaunt sein über die Schmach, die er ihm antut, wie er selbst; und wie nur ein Büffel nicht über Breslau staunen soll, so wenig staunt der Gutsbesitzer, wenn der Mensch ein gewaltsames Ende nimmt. Denn wo die Welt für ihre Ordnung in Trümmer geht, da finden sie alles in Ordnung. Was will die gute Luxemburg? Natürlich, sie, die kein Gut besaß außer ihrem Herzen, die einen Büffel als Bruder betrachten wollte, hätte gewiß gern, wenn es ihr möglich gewesen wäre, den Büffeln Revolution gepredigt, ihnen eine Büffel-Republik gegründet, womöglich mit schönen Lauten der Vögel und dem melodischen Rufen der Hirten, wobei es fraglich ist, »ob die Büffel auf Letzteres so besonderes Gewicht legen«, da sie es selbstverständlich vorziehen, daß nur auf sie selbst Gewicht gelegt wird. Leider wäre es ihr absolut nicht gelungen, weil es eben auf Erden ja doch weit mehr Büttel gibt als Büffel! Daß sie es am liebsten versucht hätte, beweist eben nur, daß sie zu den vielen hysterischen Frauen gehört hat, die sich gern in Alles hineinmischen und immer Einen gegen den Anderen hetzen möchten. Was ich nun meine, ist, daß in den Kreisen der Gutsbesitzerinnen dieses klinische Bild sich oft so deutlich vom Hintergrund aller Haus- und Feldtätigkeit abhebt, daß man versucht wäre zu glauben, es seien die geborenen Revolutionärinnen. Bei näherem Zusehn würde man jedoch erkennen, daß es nur dumme Gänse sind. Womit man aber wieder in den verbrecherischen Hochmut der Menschenrasse verfiele, die alle ihre Mängel und üblen Eigenschaften mit Vorliebe den wehrlosen Tieren zuschiebt, während es zum Beispiel noch nie einem Ochsen, der in Innsbruck lebt, oder einer Gans, die auf einem großen südungarischen Gut aufgewachsen ist, eingefallen ist, einander einen Innsbrucker oder eine südungarische Gutsbesitzerin zu schelten. Auch würden sie nie, wenn sie sich schon vermäßen, über Geistiges zu urteilen, es beim »guten Stil« anpacken und gönnerisch eine Eigenschaft anerkennen, die ihnen selbst in so auffallendem Maße abgeht. Sie hätten – wiewohl sie bloßen Vernunftgründen »gegenüber« nicht immer zugänglich sind – zu viel Takt, einen schlecht geschriebenen Brief abzuschicken, und zu viel Scham, ihn zu schreiben. Keine Gans hat eine so schlechte Feder, daß sie’s vermöchte! Meinen Sie nicht auch? Sie ist intelligent, von Natur gutmütig und mag von ihrer Besitzerin gegessen, aber nicht mit ihr verwechselt sein. Was nun wieder diese Kreatur vor jener voraus hat, ist, daß sie sichs im Ernstfall, wenn’s ihr selbst an den Kragen gehen könnte, beim Himmel mit dem Katechismus zu richten versteht und daß sie dazu noch die Güte für sich selbst hat, einen zu ermahnen, man müsse »nicht immer das Schlimmste annehmen und die Leute (u. die Tiere) prinzipiell nur bedauern, ohne die näheren Umstände zu kennen; das kann mehr Böses als Gutes anrichten.« Böses vor allem für die prädestinierten Besitzer von Leuten (u. Tieren), deren Verfügungsrecht einer göttlichen Satzung entspricht, die nur Aufwiegler und landfremde Elemente wie zum Beispiel jener Jesus Christus antasten wollen, die aber in Geltung bleibt, da das Streben nach irdischen Gütern Gottseidank älter ist als das christliche Gebot und dieses überleben wird. So meine ich!
Meinungen, Richtungen, Weltanschauungen – es kommt doch zuerst und zuletzt auf nichts anderes an als auf den Satz. Die ihn nicht können, fangen beim Lebensinhalt an, welchen sie infolgedessen nicht haben und welcher da ist, wenn der Satz gelingt. Es wird kaum je einen Autor gegeben haben, dem Stofflicheres Wirklicheres, Zeitlicheres abgenommen werden konnte als dem, der meine Schriften geschrieben hat, und doch habe ich mich mein Lebtag um nichts anderes als um den Satz geschoren, darauf vertrauend, daß ihm schon das Wahre über die Menschheit, über ihre Kriege und Revolutionen, über ihre Christen und Juden, einfallen wird. Wenn man es las, war es Politik. Wenn man liest, was ich davon halte, ist es l’art pour l’art. Das kommt davon, daß man weder jenes noch dieses versteht, und davon kommt, daß alle Kritik, aller Widerspruch und aller Einwand von »Widersprüchen« an mir abgleiten muß, von mir nur beachtet und gefürchtet wie alles, dessen Stumpfheit mich anregt und das mich betrifft, auch wenn es mich nicht meint. Ob es nun so ist, daß mich der Stoff überwächst oder ob ich an der Unmöglichkeit, ihn zu bestreiten, wachse; und in welche Beziehung man mich immer zu dieser Wirklichkeit setzen will, und ob meine Feinde glauben, daß ich Mücken seige und Kamele, so groß wie sie, verschlucke: ich bleibe ihrer Kritik unerreichbar, weil ich weder dies noch jenes tue, sondern Sätze schreibe. Weil das bisher in der deutschen Literatur noch so selten der Fall war und ganz gewiß nie mit solch erschöpfender Ausschließlichkeit des Interesses an dem, was den Beruf des Schriftstellers ausmacht, so sind es die Leser nicht gewohnt, es verwirrt sie und sie sprechen darum, da sie ja doch von etwas sprechen müssen, so gern von etwas anderm, was mit dem Beruf des Schriftstellers gar nichts zu tun hat, und legen ihm dessen Erfüllung als Marotte und das Bewußtsein um dessen Erfüllung als Eitelkeit aus. Denn nichts verstehen die Menschen weniger, über nichts staunen sie mehr, als daß der Schriftsteller es mit dem Wort, der Maler es mit der Farbe zu schaffen haben möchte; daß sie Erlebnisse haben möchten, die nicht das geringste mit dem eigentlichen Gegenstande zu schaffen haben, also mit einer Gerichtsverhandlung oder mit einer Madonna. Sie maßen sich in diesen Dingen ein Urteil aus dem Grunde an, weil ja, soweit sie in der Anordnung der Worte und der Farben den Gegenstand erkennen, doch wirklich so etwas wie die Gerichtsverhandlung oder die Madonna herauskommt, und dies eben gibt ihnen das Recht, diese und jene zu agnoszieren. Anstatt der Kunst dankbar zu sein, daß sie einen den Gegenstand verkennen lehrt, »stehn sie hier auf ihrem Schein«. Würden sie einen Satz so oft lesen als er erlebt wurde, so würden sie den Gegenstand nicht mehr sehen, den sie beim einmaligen Lesen eben noch erkennen. Die von mir sagen, daß ich einen guten Stil schreibe, wissen das sicher nur vom Hörensagen; denn in Wahrheit ist für sie noch nie ein schlechterer geschrieben worden. Die Erlaubnis, auf Druckfehler aufmerksam zu machen, hat dies in einer umfassenden Weise offenbart. Man könnte aus den Fällen, wo ein Sprachwert als Druckfehler angezeigt wird, einen Roman der wildesten Abenteuer des Geistes, also eine Sprachlehre machen. Es »jückt« mich in den Fingern. (Auf diese Begegnung einer faustischen mit einer jüdischen Nuance in einem Vokal haben etliche Leser von »Literatur« als auf einen Druckfehler aufmerksam gemacht.) Stil kann man getrost als das definieren, was der Leser nicht versteht. Denn er ist schon dadurch, daß er die Sprache spricht, der Fähigkeit überhoben, sie zu hören. Er ist und bleibt auf nichts anderes eingestellt, als daß der Autor die Meinung, die er als der vermutlich Klügere haben könnte, ihm sage, die Gegenmeinung oder alles ironisch Gemeinte in Gänsefüßchen setze, und wenn er dazu noch einen Gedanken hat, den der Leser von ihm nicht erwartet, auf diesen durch einen Gedankenstrich schonend vorbereite, damit er ihm nicht entgehe. Daß Stil nicht der Ausdruck dessen ist, was einer meint, sondern die Gestaltung dessen, was einer denkt und was er infolgedessen sieht und hört; daß Sprache nicht bloß das, was sprechbar ist, in sich begreift, sondern daß in ihr auch alles was nicht gesprochen wird erlebbar ist; daß es in ihr auf das Wort so sehr ankommt, daß noch wichtiger als das Wort das ist, was zwischen den Worten ist; daß dem, der im Wort denkt wie ein anderer in der Farbe und wieder ein anderer im Ton, es nicht nur die Welt aufmacht, sondern sie auch wechseln läßt, wenn jenes da steht oder dort; daß nicht immer nur eine Mehlspeise, sondern manchmal auch ein Gedicht ein solches sein kann, ja sogar eine Prosazeile, und daß weit hinter dem Begreifen des Sinns eine Letter ein Gedanke sein könnte: solcherlei geht dem Leser so wenig ein, daß er vor dem klarsten Abbild jenes Erlebnisses, in dem nur die Verbindung von Sprachlichem und Stofflichem ein Rätsel bleibt, strauchelt und den Satz, der alles was in ihm enthalten ist sich selbst verdankt und sich darum von selbst versteht, mißversteht. Der intellektuelle Ehrgeiz, das »verstehen« zu wollen, was nur empfunden werden darf, um aufgenommen zu werden, was nur gesehen und gehört werden muß, wie es empfunden wurde, spielt, vom Dummkopf aufwärts, beim Lesen die verhängnisvollste Rolle. Was die Verstandesmäßigkeit aber am schlechtesten kapiert, ist die Ironie, die sie herausfordert. Da sie sich um keinen Preis wiedererkennen will, so wird das einfache Hinausstellen dessen, was sie denkt, die ironische Wiederholung ihres Motivs, bei ihr am wenigsten verfangen. Sie wird es für die Meinung des Autors halten. Ein Satz hat vor ihr nie ein Gesicht, er lacht nicht, er spielt und schielt nicht, er zwinkert nicht, sondern er hat die Meinung, die er hat, wenn man ihn aus der psychischen Situation, in der er steht, herausschneidet.
Einer der ergiebigsten Fälle, die mir je untergekommen sind, ist der folgende: Da hat einmal, vor dem Krieg, eine jener deutschen Lese- und Redehallen, deren Mitglieder weniger lesen und mehr reden als unbedingt notwendig ist, an einen deutschen Dichter, der zeitweise wirklich einer war, eine jener Kundgebungen gerichtet, die zwar flammen und zünden können, deren Pathos aber durch den Humor, den es verbreitet, zugleich gelöscht wird. Sie sprach davon, daß Zorn und Empörung uns die Feder in die Hand drücke, uns, »auf deren Fahnen die Freiheit des Geistes und der Wissenschaft geschrieben steht und die wir in einem Lande leben, wo Haß und Heuchlertum gar manche häßliche Erfolge zu zeitigen vermochten«. Die Geschichte spielt also in Prag: wo »wir wissen, was es bedeutet, wenn falsche Unterwürfigkeit und launische Willkür ungebärdiger Höflinge die Wahrheit in den Staub zu zerren vermag. Doch zu herbstem, bitterstem Ingrimm wächst unser Unmut, wenn –«. Ich fuhr dazwischen. Gerhart Hauptmann war – man sollte es nicht für möglich halten, aber es ist Tatsache – der »zurückgezogenste Dichterfürst« genannt worden, kurzum, es war ein Deutsch, das schon ohne alle Bomben auf Nürnberg ein Kriegsgrund war und vor dem es jede Sau im deutschen Lande, jedoch nicht dessen Bürger graust: die Sprache derer, die zwar deutsch fühlen, aber nicht können. Ein Lebenszeichen jener durch Not und Tod unverwischbaren Couleur, die darum noch heute, öffentlich oder privat, in Wäldern oder in Vereinen, auf Anstandsorten oder außerhalb, dem Vaterland zuspricht, daß es ruhig sein mag, aber selbst nichts dazu tut, sondern im Gegenteil Lärm macht. Die rote Kappe auf dem Kopf, das schwarze Brett vor und den weißen Terror im Kopf, war diese Geistigkeit in Prag durch den freisinnig-jüdischen Einschlag wesentlich gemildert, wenngleich in der Phraseologie unverkürzt. Ich habe nun, da ich – in kriegsferner Zeit – mit dem zurückgezogensten Dichterfürsten das Schicksal teilte, eine Einladung zu einem Vortrag vor solchem Auditorium zu bekommen, alle Elemente jenes sittlichen Pathos auf meinen Fall bezogen und geschrieben:
Auch ich habe dort einmal einen Vortrag gehalten und ich weiß, was es bedeutet, wenn Jugend, die nicht falscher, nur echter Unterwürfigkeit fähig ist, mich in der Pause um hundert Autogramme bittet, meinen Namen in das goldene Buch des Vereins einträgt, mich stürmisch zu einem zweiten Vortrag auffordert, und wenn dann die Freiheit des Geistes zaghaft wird, zurückweicht, sich davonschleicht wie die Bürger in »Egmont« und sich nicht traut, den zweiten Vortrag zu veranstalten, weil der zweitzurückgezogenste Dichterfürst, der Hugo Salus, etwas dagegen hat und weil deutsch gesinnte Jünglinge in einem Lande, wo Haß und Heuchlertum – bei den Tschechen – gar manche Erfolge zu zeitigen vermochten, auf die Gefahr aufmerksam gemacht wurden, daß es ihnen in der Karriere schaden könnte.
Und nun rate man, bei welcher der beiden Nationen – bei den Tschechen oder bei den Deutschen – mir diese Bemerkung in meiner Karriere schaden mußte. Bei den Deutschen? Nein, »bei den Tschechen«! Denn ich hatte den Zwischensatz doch offenbar hingeschrieben, um mich bei den Deutschen beliebt zu machen und nur ja zu betonen, daß ich ihnen Haß und Heuchlertum keineswegs vorwerfen wolle. Wofür ja schon das Lob der deutschgesinnten Jünglinge spricht, die in einem Lande, wo die Tschechen sich so heuchlerisch gebärden, sich in geistigen Angelegenheiten um ihre Karriere besorgt zeigen. Dieses »bei den Tschechen« nun sollte mein Charakterbild, nicht mehr von der Parteien Haß und Gunst verwirrt und nicht mehr in der Geschichte schwankend, sondern ganz eindeutig als das eines ausgesprochenen Tschechenfeindes überliefern, und schon vor dem Krieg hat es diese Mission erfüllt, indem es einer aus eben jener Geistesmitte in einer Hochschulzeitschrift den Tschechen denunziert hat mit dem eingestandenen Zwecke, zu verhindern, daß die tschechische Presse fürder Notiz von mir nehme. Und nach dem Krieg, als ich, auf das kurze Gedächtnis meiner Prager Kenner spekulierend, mich an die Tschechen anbiedern wollte, wurde es mir (vielleicht von derselben Feder) als Dokument entgegengehalten. Es war mein eigener Text, ja mein eigener Druck, den ich wiedererkennen mußte, die Stelle war angestrichen und der Absender hatte an den Rand geschrieben: »K. K. der jetzige Tschechenfreund!«. Daß es mir wenigstens nicht gelänge, mich über diesen krassesten meiner Widersprüche hinwegzuschwindeln. Gelingt es mir aber trotzdem, so würde ich doch meinem Schicksal nicht entgehen, da ja künftig jeder Leser mir nun die Seite angestrichen ins Haus schicken könnte, auf der ich soeben zugegeben habe, daß ich mich eines krassen Widerspruchs schuldig machte. (Und doch wieder von dem Lande gesprochen habe, wo die Tschechen sich so heuchlerisch gebärden.) Da hülfe mir dann nichts mehr. Außer, ich kehre zu der Methode älterer Ironiker zurück, deren beißender Spott auch dem Minderbemittelten zugänglich war, indem sie sich einen Setzerlehrling hielten, der ihnen mit einer Anmerkung in die Rede fiel, ei ei oder hi hi machte, guck guck oder schau schau, und der in diesem Falle todsicher ausgerufen hätte: »Bei den Tschechen? Soll wohl: Bei den Deutschen heißen? Anm. d. Setzerlehrlings«. Ich glaubte mit zwei Gedankenstrichen mein Auslangen zu finden. Einer wäre mehr gewesen. Dieser, oder der Setzerlehrling, oder irgendeine Bitte an den Leser, mich nicht mißzuverstehen, da ich’s ja nur ironisch meine, und dieser böhmische Löwe sei gar kein Löwe, sondern bloß eine Retourkutsche gegen die Deutschen – so irgendwas, oder Gänsefüßchen und Eselsohren, alles, nur nicht die Sprache selbst, es hätte mich vor jedem Mißverständnis bewahrt oder ich hätte mir wenigstens bei den Tschechen nicht geschadet, welche zwar nicht Deutsch verstehen, aber immerhin doch besser als die Deutschen.
Ich bin nur einer von den Epigonen, die in dem alten Haus der Sprache wohnen. Doch hab’ ich drin mein eigenes Erleben, ich breche aus und ich zerstöre Theben. Komm’ ich auch nach den alten Meistern, später, so räch’ ich blutig das Geschick der Väter. Von Rache sprech’ ich, will die Sprache rächen an allen jenen, die die Sprache sprechen. Bin Epigone, Ahnenwerter, Ahner. Ihr aber seid die kundigen Thebaner!
Wer seinen Durst am Sprachquell stillet, dem winken ungeahnte Wonnen. Wem sich das alte Wort erfüllet, der hat es wahrlich neu begonnen. Es schwelgen mißgeborne Knaben in adjektivischen Gefilden. Sie müssen eine Krankheit haben: der Krebs nur neigt zu Neugebilden.
Wie macht er das? Wie kommt er zu dem Glanze, der schimmernd seine Sprache schmückt und ziert? Aus Nichts entsteht zwar Nichts, jedoch das Ganze ist gut geglättet und so schön geschmiert.
Die Sprache ist, dies glaubt mir auf mein Wort, ein Zwist, bei dem ein Wort das andre gibt. Es leben Lust und Zweifel immerfort im Zwiespalt und es neckt sich, was sich liebt. Was treibt es nur? Geburt zugleich und Mord? Ich steh’ dabei und habe nichts verübt. Wie kam ich an den zauberischen Ort? Die Welt ist durch das Sieb des Worts gesiebt.
Er ist das Ufer, wo sie landen, sind zwei Gedanken einverstanden.
Hier sind sie es: die Paarung ist vollzogen. Zwei werden eins im Verständnis, und die Bindung, welche Gedicht heißt, ist so für alles, was noch folgen kann, zu spüren wie für alles, was vorherging; im Reim ist sie beschlossen. Landen und einverstanden: aus der Wortumgebung strömt es den zwei Gedanken zu, sie ans gemeinsame Ufer treibend. Kräfte sind es, die zu einander wollen, und münden im Reim wie im Kuß. Aber er war ihnen vorbestimmt, aus seiner eigenen Natur zog er sie an und gab ihnen das Vermögen, zu einander zu wollen, zu ihm selbst zu können. Er ist der Einklang, sie zusammenzuschließen, er bringt die Sphären, denen sie zugehören, zur vollkommenen Deckung. So wird er in Wahrheit zu dem, als was ihn der Vers definiert: zum Ziel ihrer spracherotischen Richtung, zu dem Punkt, nach dem die Lustfahrt geht. Sohin gelte als Grundsatz, daß jener Reim der dichterisch stärkste sein wird, der als Klang zugleich der Zwang ist, zwei Empfindungs- oder Vorstellungswelten zur Angleichung zu bringen, sei es, daß sie kraft ihrer Naturen, gleichgestimmt oder antithetisch, zu einander streben, sei es, daß sie nun erst einander so angemessen, angedichtet scheinen, als wären sie es schon zuvor und immer gewesen. Ist diese Möglichkeit einmal gesetzt, so wird der Weg sichtbar, wie es gelingen mag, dem Reim eine Macht der Bindung zu verleihen, die jenseits des bisher allein genehmigten Kriteriums der »Reinheit« waltet, ja vor der solche Ansprüche überhaupt nicht geltend gemacht werden könnten. Denn nicht das Richtmaß der Form, sondern das der Gestalt bestimmt seinen Wert. Den Zwang zum Reim bringt innerhalb der Bindung des Verses nicht jede dichterische Gestaltung, die diese auferlegt, er kann sich aber, wie am Ende einer Shakespeare-Schlegel’schen Tirade gleichsam als das Fazit einer Gedankenrechnung ergeben, worin die Angleichung der dargestellten Sphären ihren gültigen Ausdruck findet. Der ganzen Darstellung förmlich entwunden, dem gegenseitigen Zwang, der zwischen der Materie und dem Schöpfer wirksam ist, lebt er in einer wesentlich anderen Region des Ausdrucks als das äußerliche Spiel, das er etwa in einer dürftigen Calderon-Übersetzung oder gar in einem Grillparzerschen Original vorstellt. Die Notwendigkeit des Reimes muß sich in der Überwindung des Widerstands fühlbar machen, den ihm noch die nächste sprachliche Umgebung entgegensetzt. Der Reim muß geboren sein, er entspringt dem Gedankenschoß; er ist ein Geschöpf, aber er ist kein Instrument, bestimmt, einen Klang hervorzubringen, der dem Hörer etwas Gefühltes oder Gemeintes einprägsam mache. Die gesellschaftliche Auffassung freilich, nach der der Dichter so etwas wie ein Lebenstapezierer ist und der Reim ein akustischer Zierat, hat an ihn keine andere theoretische Forderung als die der »Reinheit«, wiewohl dem praktischen Bedürfnis auch das notdürftigste Geklingel schon genügt. Aber selbst eine Kritik, die über den niedrigen Anspruch des Geschmackes hinausgelangt, ist noch weit genug entfernt von jener wahren Erkenntnis des Reimwesens, für die solches Niveau überhaupt nicht in Betracht kommt. Wenn man den ganzen Tiefstand der Menschheit, über den sie sich mit ihrem technischen Hochflug betrügt, auf ihre dämonische Ahnungslosigkeit vor der eigenen Sprache zurückführen darf, so möchte man sich wohl von einer kulturellen Gesetzgebung einen Fortschritt erhoffen, die den Mut hätte, die Untaten der Wortmißbraucher unter Strafsanktion zu stellen und insbesondere das Spießervergnügen an Reimereien durch die Prügelstrafe für Täter wie für Genießer gleichermaßen gefahrvoll zu machen.