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Wegen seiner Geldsorgen muss Balan of Gaynor dringend eine reiche Frau heiraten. Er verliebt sich ausgerechnet in die hübsche Murie, das verwöhnte Patenkind von König Edward. Doch es gibt noch einen anderen Bewerber um ihre Gunst, der alles andere als ehrenvolle Absichten hat.
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Seitenzahl: 500
LYNSAY SANDS
VON STÜRMISCHER NATUR
Roman
Ins Deutsche übertragen von
Beate Darius
Die Schönheit der Lady Murie Summerdale ist im ganzen Königreich bekannt, ebenso wie ihr störrisches Wesen. Das Patenkind von König Edward III. gilt als verzogen und neigt zu unkontrollierten Gefühlsausbrüchen. Am Hofe in Windsor hat man ihr daher hinter vorgehaltener Hand den unrühmlichen Spitznamen »der Teufelsbraten« gegeben. Als es Zeit wird, einen Ehemann für Murie zu suchen, will sich keiner der Ritter in das Abenteuer mit der schwierigen Schönheit stürzen. Nur Lord Balan Gaynor, dessen Besitztümer nach den Verlusten durch die Pest dringend einer reichen Erbin bedürfen, wagt einen zweiten Blick hinter die Fassade der aufbrausenden jungen Frau. Was er dort sieht, überzeugt ihn schnell davon, dass sie die einzig Richtige für ihn ist. Doch dann tritt ein Konkurrent auf den Plan, der Murie mit allen Mitteln für sich gewinnen will. Um sich in ihr Herz zu schleichen, schreckt er auch vor schändlichem Lug und Betrug nicht zurück. Murie und Balan müssen alles daran setzen, die Ränke und Intrigen zu durchkreuzen, um ihre junge Liebe zu retten.
September 1351
Balan lehnte sich auf seinem Platz an der hohen Tafel nach vorn und dehnte dabei unbehaglich die Schultern. Sein blaues Wams war zu eng und zwickte ihn am ganzen Leib, denn es war nicht für seine hünenhafte Statur geschneidert. Früher hatte es seinem Vater gehört, der es bei Hofe getragen hatte. Diese Zeit lag lange zurück. Inzwischen war die Farbe verblasst, der Stoff an manchen Stellen dünn geworden, dennoch handelte es sich um das beste Stück, mit dem Balan aufwarten konnte. Er besaß andere, die besser passten, doch waren sie entschieden zu abgetragen für eine Einladung am Königshof in Windsor.
»Sieh mal, dort drüben. Lord Malculinus starrt unablässig in unsere Richtung«, raunte Osgoode ihm zu, ein Hauch von Abscheu färbte seine Stimme.
»Seine Lordschaft starrt nicht zu uns«, versetzte Balan leicht grimmig, »sondern auf unsere Kleider.«
»Er scheint ein einfältiger Gockel zu sein«, schnaubte Osgoode. »Er stolziert herum wie ein eitler Pfau. Ich würde mir eher die Kehle aufschlitzen, als einen scharlachroten Umhang über einem jagdgrünen Wams mit pflaumenblauen Aufschlägen zu tragen! Mir ist unerklärlich, wie er sich dazu ein blaues Wehrgehenk mit goldenen Troddeln umschnüren kann!« Er schüttelte den Kopf. »Seiner Lordschaft mangelt es offenkundig am feinen Geschmack. In diesem Aufzug gibt er sich der Lächerlichkeit preis. Unsere Kleider mögen ein wenig abgetragen sein, dennoch machen wir mehr her als er in seinem herausgeputzten Festtagsstaat.«
Balan grummelte leise und wünschte, es wäre wahr. Allerdings befürchtete er, dass man Osgoode und ihm ansah, was sie waren: mittellose Krieger auf der Suche nach einer reichen Braut, um der Grafschaft Gaynor einen harten Winter in Armut zu ersparen.
»Ich habe doch recht, oder?«, bohrte Osgoode. »Der Mann kann einem nur leidtun. Er hat sich sogar sein Wams auspolstern lassen, damit er figürlich besser dasteht, so wird gemunkelt. Und was seine Kriegskünste anbelangt … die sind zu vernachlässigen. Malculinus übt weder an der Stechpuppe noch mit der Lanze oder im Kampf. Wenigstens haben wir unseren Heldenmut und unsere militärische Erfahrung anzubieten. Alles, was der Bursche hat, ist das Gold seines Vaters.«
Balan, der den Neid aus der Stimme seines Cousins heraushörte, schwieg und dachte sich seinen Teil. Im Grunde genommen fühlte Osgoode sich genauso fehl am Platz wie er unter diesen erlesen gekleideten Adligen. Balan fühlte sich wie der arme geduldete Cousin bei Tisch.
»Außerdem haben wir bessere Plätze als er.« Osgoode grinste triumphierend und warf sich in die Brust.
Balan nickte kaum merklich. Gewiss, sie waren um ihre Plätze zu beneiden, aber diese Plätze hatten sie sich schwer erkämpfen müssen, mit Blut, Schweiß und Loyalität. Balan und Osgoode hatten die letzten Jahre für ihren König gegen die Franzosen gekämpft. Nach der Eroberung von Calais befanden sie sich noch in Frankreich, als in England die Pest ausbrach. Das hatte ihnen wahrscheinlich das Leben gerettet.
Die Seuche hatte entsetzlich gewütet. Schätzungen zufolge war annähernd die Hälfte der englischen Bevölkerung dem Schwarzen Tod erlegen. Die Toten wurden in aller Eile in Massengräbern beerdigt. Balan kehrte in ein entvölkertes Land zurück, das im Chaos zu versinken drohte.
»Malculinus beneidet uns um unsere Plätze an der hohen Tafel«, verkündete Osgoode mit einem Hauch von Genugtuung in der Stimme. »Wir sitzen so nah bei den Majestäten, dass uns kein Wort entgehen wird, das aus dem Munde Seiner königlichen Hoheit kommt. Eine schöne Belohnung für unseren Einsatz.«
Balan grunzte missmutig. Das mit der Belohnung mochte zwar zutreffen, dennoch betrachtete er es eher als Bestrafung, sich in ihrer schäbigen Kleidung quasi auf dem Präsentierteller zu befinden. Zudem saßen sie so nah bei Seiner Majestät, dass sie nicht nur jedes Wort, sondern auch jedwede Flatulenz und jeden Rülpser des Königs mitbekommen würden. Lediglich zwei Plätze trennten sie von ihm. Bislang jedoch glänzte Seine königliche Hoheit durch Abwesenheit.
Wie auf ein geheimes Zeichen schwangen die hohen Flügeltüren auf und Seine Majestät König Edward III. kam in den Saal – eine stattliche Erscheinung, Ende dreißig, hoch gewachsen und in seine Festtagsgewänder gehüllt.
»Robert!«, rief Edward aus, kaum dass er seinen Platz an der hohen Tafel eingenommen hatte.
Der Angesprochene war sofort zur Stelle. »Stets zu Diensten, Sire.«
»Holt mir Murie.«
Zu Balans Erstaunen lief der Diener nicht gehorsam los, sondern zögerte, seine Miene wirkte bestürzt.
»Habt Ihr mich nicht verstanden, Robert?«, knurrte Edward, ehe er wiederholte: »Holt mir Murie.«
Der Bedienstete schluckte schwer. Dann nickte er widerstrebend und entfernte sich, um der Bitte nachzukommen.
Balan und Osgoode tauschten kurze Blicke aus. Beide kannten die Geschichten, die sich um die reizende Murie rankten; sie war die Patentochter des Königs und sein kleiner Liebling. Es hieß, sie sei bezaubernd hübsch, mit strahlend blauen Augen, goldblonden Haaren und einem süßen Lächeln. Und dass der König vom Fleck weg fasziniert von ihr gewesen sei, als das Mädchen nach dem Tod ihrer Eltern, Lord und Lady Somerdale, an den Königshof gekommen war. Es wurde auch gemunkelt, der König verwöhne die Kleine nach Strich und Faden und das Mädchen sei inzwischen schrecklich anstrengend. Bei Hofe hatte sie demzufolge auch den Spottnamen »Teufelsbraten« bekommen. Nach der bestürzten Reaktion des Dieners zu urteilen, der das Mädchen holen sollte, schien der Hofklatsch zuzutreffen.
»Becker«, sagte Edward gebieterisch, und sein engster Berater trat eilig an seine Seite.
»Jawohl Sire«, murmelte der Mann ehrerbietig und fragte: »Liegt etwas im Argen, königliche Hoheit?«
»Jawohl«, grummelte Edward und sagte: »Meine Frau ist der Auffassung, dass es die Zeit gebietet, Murie zu vermählen.«
»Ah.« Der Berater war durch eine harte Schule gegangen und verzog keine Miene. Leise hauchte er: »Ach du große Güte.«
»Ihr sagt es«, brummte Edward. »Die Kleine wird es bestimmt nicht gut aufnehmen.«
»Mit Verlaub, aber … Nein, ich fürchte nicht, Sire«, räumte Becker ein.
Niedergeschlagenheit verdüsterte die Züge des Monarchen.
»Andererseits ist sie zweifellos in einem heiratsfähigen Alter, Sire«, fuhr Becker fort. »Vielleicht ist es wirklich an der Zeit, dass sie einen Gemahl findet.«
»Da sprecht Ihr ein wahres Wort«, grummelte Edward. »Ich habe es auch nicht vermocht, meine Gemahlin dahingehend umzustimmen, die Sache zu vertagen.«
»Hmmm«, seufzte sein Berater. »Möglicherweise nimmt Murie es besser auf, als wir vermuten, Sire. Nach meinem Dafürhalten ist sie in dem Alter, in dem andere junge Damen ihre Vermählung bekanntgeben. Ihr leuchtet doch gewiss ein, dass sie deren Los früher oder später teilen wird, oder? Vielleicht glaubt sie ernsthaft, dass sie einen Mann ehelichen soll, den Seine Majestät für sie ausgesucht haben.«
»Macht Euch nicht lächerlich«, versetzte der König unwirsch. »Wir haben ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Sie brauchte nie etwas gegen ihren Willen zu tun. Was sollte sie glauben lassen, daran habe sich etwas geändert?«
»Ihr habt wie stets recht, Sire«, meinte Becker milde betreten. »Und ich befürchte, Lady Murie will gar nicht heiraten. Das hat sie bei mehreren Gelegenheiten beteuert.«
Edward nickte unglücklich. »Ich bin weiß Gott nicht versessen auf das, was gleich kommen wird.«
»Das glaube ich Euch aufs Wort, Sire«, meinte Becker mitfühlend.
»Sie ist ein reizendes Mädchen, aber sie kann zuweilen … ungeheuer schwierig sein.«
»In der Tat, Majestät.«
Als die beiden Männer schwiegen, umklammerte Osgoode Balans Arm und flüsterte aufgeregt: »Hast du das eben gehört?«
Balan nickte lahm. »Es klang, als wollte der König den Teufelsbraten unter die Haube bringen.«
»Genau«, murmelte Osgoode. Er dachte kurz nach und sagte dann mit Nachdruck: »Sie ist äußerst wohlhabend.«
Balan strafte ihn mit einem abfälligen Blick. »Du denkst doch nicht etwa, dass ich …?«
»Cousin, sie ist ungemein wohlhabend«, unterbrach ihn Osgoode. »Und wir benötigen eine wohlhabende Braut, um Schloss Gaynor wieder zu seinem einstigen Glanz verhelfen zu können.«
Um es vor dem Verfall zu bewahren, benötigte Gaynor Castle dringend einen ordentlichen Batzen Geld. Der Schwarze Tod hatte auch vor Gaynor Castle und der umliegenden Grafschaft nicht haltgemacht. Etwa die Hälfte des Gesindes und der Bewohner waren an dem Ausschlag, verbunden mit hohem Fieber, gestorben. Viele andere waren aus Furcht vor Ansteckung, oder weil sie woanders ihr Glück versuchen wollten, geflüchtet. Nachdem die Pest ihre Pächter und ihr Gesinde hinweggerafft hatte, boten die wohlhabenderen Lords aus dem Umland aus lauter Verzweiflung höheren Lohn und Sold für jeden, der bereit war, in ihre Dienste zu treten – mit Erfolg. Die Gesundgebliebenen zog es mit Macht auf Anwesen andernorts.
Gaynor war stets ein florierendes Grafengut gewesen, bis Balans Vater vor zwei Jahren eine beträchtliche Summe Geldes dafür ausgegeben hatte, einen neuen Fischteich anzulegen. Dann kam der verregnete Sommer, gefolgt von der Pest, die ihnen schwer zusetzte. Ihre Mittel schmolzen dahin, die eigenen Leute starben wie die Fliegen und es fehlten die Mittel, fremdes Gesinde anzuwerben, um die Ernte einzuholen. In der Folge verfaulte das Korn auf den Feldern, und das Schloss mit seinen wenigen verbleibenden Bewohnern kam in arge Bedrängnis.
Dann war Balans Vater auf tragische Weise der Pest erlegen, und Balan hatte dessen Titel, das Schloss, ein paar loyale Diener und eine Menge Verdruss geerbt. Jetzt blickten alle auf ihn, und er fragte sich, ob er in der Lage wäre, Gaynor wieder zu seinem früheren Glanz und Wohlstand zu verhelfen.
»Ich«, korrigierte Balan scharf, »ich bin derjenige, der eine wohlhabende Braut benötigt. Ich bin derjenige, der nach der Heirat mit der Dame auskommen muss, und wenn du glaubst, ich würde auch nur einen Gedanken daran verschwenden, das völlig verwöhnte Patenkind des Königs zu ehelichen, irrst du dich gewaltig, du Narr.«
»Ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass das kein Honigschlecken werden wird«, räumte Osgoode ein. »Aber wir müssen alle Opfer bringen.«
Balan schnaubte protestierend. »Du sagst dauernd wir, allerdings wäre ich derjenige, der jenes Frauenzimmer heiraten und mit ihr zusammenleben müsste, und nicht wir.«
»Ich würde dir das gern abnehmen, wenn ich nur könnte«, versicherte Osgoode mit todernster Miene.
Balan schüttelte verdrießlich den Kopf.
»So unausstehlich, wie dauernd geredet wird, vermag sie gar nicht zu sein«, meinte Osgoode schließlich. Er verlegte sich auf eine neue Taktik. »Du könntest dich mit ihr vermählen, deine ehelichen Pflichten erfüllen und dann … dann gesellst du dich tagsüber zu uns Rittern und gehst ihr geflissentlich aus dem Weg.«
»Und höre mir jede Nacht das vorwurfsvolle Gezeter der Dame an«, gab Balan zurück, seine Stimme triefend vor Spott.
»Ach was.« Osgoode schüttelte grinsend den Kopf. »Nachts lenkst du sie mit anderen schönen Dingen ab, damit sie nichts zu beanstanden hat. Das dürfte dir nicht allzu schwerfallen. Immerhin soll die Kleine ganz bezaubernd aussehen.«
»Gewiss ist sie hübsch«, meinte Balan im Brustton der Überzeugung. »Deshalb vergöttert der König sie wohl auch. Mit ihren großen blauen Augen und den goldenen Locken hat sie ihn so um den Finger gewickelt, dass er ihr keinen Wunsch abschlagen kann. Und deshalb ist sie eine dumme, verzogene Gans. Weswegen ich sie nicht heiraten werde«, schob er nach. »Grundgütiger, ich fasse es nicht, wie du mir dergleichen vorschlagen kannst. Sie nennen sie im Geheimen Teufelsbraten. Willst du es wirklich verantworten, dass ein Teufelsbraten auf Schloss Gaynor Einzug hält?«
»Nein, aber …«
»Kein Aber«, schnitt Balan ihm das Wort ab. »Außerdem würdigt sie mich bestimmt keines Blickes, verwöhnt und verzogen wie sie ist. Wenn sie mich armen Jammerlappen sieht, lacht die junge Dame mich aus. Im Übrigen würde der König seinen kleinen Liebling kaum mit jemandem wie mir verheiraten wollen – an einen Lord von Habenichts mit einem heruntergewirtschafteten Schloss Gaynor zu Klotz am Bein.«
Zwischen Osgoodes Brauen schob sich eine steile Falte. Sein fabelhafter Plan schien ins Wanken zu geraten.
»Nein«, fuhr Balan grimmig fort. »Er will das Beste für seinen Liebling. Den reichsten, attraktivsten, mächtigsten Lord, der sich finden lässt. Und keinen verarmten Baron mit großem Grundbesitz, der am Hungertuch nagt.«
»Da ist gewiss etwas dran«, räumte Osgoode bedauernd ein.
»Ja.« Balan nickte erleichtert über dessen Einlenken. Doch so schnell gab sein Cousin nicht auf.
»Jetzt, wo du es erwähnst … Ich fürchte, dass kein Lord so ohne Weiteres bereit sein wird, dir seine Tochter zur Frau zu geben. Junge, Junge, wir haben uns da eine echte Herausforderung gestellt – eine Braut für Gaynor zu finden, die die erforderliche Mitgift mitbringt.«
Die Cousins verfielen in dumpfes Schweigen, während sie ihren Gedanken nachhingen. Als die Saaltüren erneut aufschwangen, schnellte ihre Köpfe herum.
Robert, der Diener, geleitete eben eine zierliche blondgelockte junge Dame in den Saal.
Balan stockte der Atem beim Anblick des sagenumwobenen Teufelsbratens. Er hatte die junge Frau noch nie zuvor gesehen. Lord Balan Gaynor verkehrte nur selten bei Hofe, es sei denn, er musste als Mitglied des Hosenbandordens an besonderen Zeremonien teilnehmen. Lady Murie Somerdale wäre ihm gewiss in Erinnerung haften geblieben. Die viel gerühmten goldenen Locken umrahmten ihr bezauberndes Gesicht wie ein Heiligenschein, ihre riesigen Augen waren von ähnlich strahlendem Blau wie ihr Kleid. Sie hatte eine süße Stupsnase, zart rosige Wangen und sinnlich volle Lippen, die einen Mann spontan ans Küssen und an andere erregende Genüsse denken ließen.
Balan atmete langsam aus. Er beobachtete, wie die Dame mit ernster Miene den Saal durchschritt. Lady Murie würde noch weit ernster zumute werden, wenn sie erfuhr, dass der König ihre baldige Heirat forderte. Kaum zu glauben, dass dieses hinreißende Geschöpf ein nervenzermürbender Quälgeist sein konnte.
»Guten Tag, Sire.«
Mit wie viel Wärme und Liebreiz in der Stimme sie den König begrüßte, dachte Balan. Er zwang sich, den Blick von ihr loszureißen, um die Reaktion des Monarchen zu beobachten. König Edward reagierte mit einem breiten Grinsen, doch dann runzelte er die Stirn und senkte unbehaglich den Blick.
»Guten Tag, Murie. Ich hoffe, du hast gut geschlafen?«, murmelte der König, wobei er ihrem Blick auswich.
»Gewiss, Sire«, versicherte sie ihm mit einem strahlenden Lächeln. »Wie könnte es auch anders sein? Ich habe nämlich das weichste Bett im gesamten Schloss, Sire.«
»Das weichste Bett für eine anspruchsvolle junge Dame«, bekräftigte er. Er räusperte sich und blinzelte fahrig. Anscheinend kämpfte er bereits um Fassung, dabei hatten sie sich lediglich begrüßt.
»Habt Ihr mich herkommen lassen, weil Ihr etwas Bestimmtes mit mir besprechen wollt, Sire?«, fragte Murie, während er schwieg und mit gehetzten Blicken den Saal taxierte, als suchte er einen Fluchtweg.
Der Blick des Monarchen schwenkte zurück. Seufzend hob er den Kopf, um sie anzusehen, und öffnete den Mund zu einer Antwort. Unverrichteter Dinge schloss er ihn wieder und gestikulierte unwirsch in Richtung des Mannes, der neben ihm saß. »Steht auf, Abernathy. Gebt ihr Euren Platz. Ich habe ein paar Takte mit meinem Patenkind zu reden.«
»Aber gewiss, Sire. Selbstverständlich, Euer Majestät.« Der Adlige stand hastig auf und trat ein paar Schritte zurück. Dann blieb er stehen und schaute sich um, ratlos, wo er sich nun hinsetzen sollte. Als Becker das bemerkte, winkte er Robert, und der Diener eilte umgehend zu dem Aristokraten. Er führte ihn zu einem freien Platz an einer anderen Tafel und versicherte ihm leise, dass die Unannehmlichkeit nur vorübergehend sei, bis König Edward die Unterredung mit seiner Patentochter beendet habe.
Balan und Osgoode wechselten einen weiteren Blick, gespannt auf die Dinge, die da kamen.
Der König ließ sich ausnehmend viel Zeit. Er räusperte sich und hüstelte, schluckte mehrfach schwer, als hätte er einen Riesenkloß in der Kehle sitzen, und erging sich in Belanglosigkeiten, bis Lady Murie schließlich forschte: »Ist Euch nicht wohl, Sire? Mir scheint, Ihre königliche Hoheit wirkt sehr zerstreut heute Morgen.«
Edward spähte hilfesuchend zu Becker. Sein Berater war sogleich zur Stelle.
»Wollt Ihr, dass ich an Eurer statt die Unterredung führe, Majestät?«, erbot sich Becker beflissen.
Erleichterung huschte über Edwards Gesicht. »Gewiss, gewiss.«
»Sehr wohl, stets zu Diensten, Sire.« Becker drehte sich zu Murie und verkündete gestelzt: »Seine Majestät, König Edward, hat Euch hergebeten, Mylady, weil er Euch etwas mitzuteilen gedenkt. Seine Majestät vertritt die Ansicht, dass es höchste Zeit wird, dass Ihr heiratet und eine eigene Familie gründet.«
Balan verfolgte ihre Reaktion mit gespanntem Interesse. Als sich Muries erste Verwunderung gelegt hatte, zuckte es trotzig um ihren entzückenden kleinen Mund.
»Ich darf doch sehr bitten, Becker, macht Eure dummen Scherze mit jemand anders«, versetzte sie schnippisch. »Der König weiß, dass ich nicht den Wunsch habe, zu heiraten und den Hof zu verlassen. Glaubt Ihr ernsthaft, er würde mich zu einer Vermählung zwingen wollen?« Sie funkelte den unglücklichen Berater mit zusammengekniffenen Augen an und schob nach: »Oder wollt Ihr damit andeuten, dass ich, seine geliebte Patentochter, sein Wohlwollen eingebüßt habe, und dass Seine Majestät mich deswegen wegzuschicken gedenkt, damit ich bei Hofe nicht mehr zur Last falle?«
Edward entfuhr ein gepresstes Stöhnen. Dieser Auftakt verhieß nichts Gutes.
»Nein, beileibe nicht, Mylady«, lenkte Becker eilig ein, zumal er für sein diplomatisches Geschick bekannt war. »Ihr genießt die tiefe Zuneigung Seiner Majestät, und es wird uns allen bei Hofe schwerfallen, Euch gehen zu lassen, aber Seine Hoheit entscheidet nur zu Eurem eigenen Besten.«
Lady Murie zog den Atem tief in ihre Lungen und schien zu einer ohrenbetäubenden Kreischattacke ausholen zu wollen, worauf Edward seufzte: »Heilige Mutter Gottes, auch das noch!«
Als Murie ihren Mund wieder schloss und sich ihm zuwandte, meinte er gedehnt: »Murie, Philippa hat entschieden, dass du heiraten sollst. Sie beharrt auf ihrem Entschluss, daran gibt es nichts zu rütteln. Überdies befindet sie, dass es überaus egoistisch von mir wäre, wenn ich dich weiter hier bei Hofe behielte und dir einen Mann und Kinder versagte. Tut mir leid, mein Kind. Sie hat sich das in den Kopf gesetzt und lässt nicht mit sich reden. Wenn ich mich dagegen sperre, wird sie mir keine Ruhe lassen, bis ich ihrem Ansinnen nachgebe.« Er stockte kurz und zog missmutig die Stirn in Falten, als er feststellte, dass sämtliche Gäste an der hohen Tafel an seinen Lippen hingen. Darauf verkündete er laut: »Ich bin der König, und was ich befehle, ist Gesetz. Und ich befehle, du wirst heiraten.«
Murie starrte ihren Patenonkel einen endlos langen Augenblick an, scheinbar unschlüssig, was sie von seinen Worten halten sollte. Dann warf sie die Hände vors Gesicht und begann zu weinen. Nicht leise und vornehm wie eine Dame, sondern so laut und haltlos und dramatisch, dass man hätte meinen können, sie würde schauspielern.
Balan, der Osgoodes schockierten Blick auffing, beobachtete die Reaktion des Königs. Seine Majestät schien die Darbietung kaltzulassen. Stattdessen wirkte er fast ein wenig erfreut, dass Murie den Gedanken, ihn verlassen zu müssen, derart unerträglich fand. Offenbar machte sie ihm häufiger solche Szenen.
Die junge Lady Somerdale schniefte und schluchzte nach allen Regeln der Kunst, und der gesamte Hofstaat sah ihr mit fasziniertem Entsetzen dabei zu.
»Aber, aber mein Kind.« Edward strich ihr sanft über den Rücken. »Ich weiß, es fällt dir gewiss schwer, uns zu verlassen … Wir werden dich auch sehr vermissen … Komm, Murie, hör auf zu weinen … Kopf hoch, mein Kind …«
Der Monarch versuchte, sie mit begütigenden Worten zu trösten, während sie auf ihrem Stuhl hin- und herschaukelte und dabei spitze, markerschütternde Klagelaute von sich gab, eine schmerzhafte Herausforderung für jedes Trommelfell. Die Hände vor ihr hübsches Gesicht gepresst, schluchzte sie theatralisch. Als seine Bemühungen nicht fruchteten, versuchte Edward es mit Bestechung.
»Ich bitte dich, mein Kind, hör doch endlich auf zu weinen. Glaub mir, wir werden den umgänglichsten Ehegemahl von ganz England für dich finden … und wir werden dir eine komplett neue Garderobe als Mitgift schneidern lassen … und du bekommst die prachtvollste Hochzeit ausgerichtet, die es auf Schloss Windsor jemals gegeben hat … und du darfst dir deinen Bräutigam selbst aussuchen«, setzte er milde verzweifelt hinzu.
Schließlich verebbte ihr Schluchzen und sie hob den Blick, schaute den König mit großen, feuchten, betrübten Augen an. »W…wie I…ihr w…wünscht, S…sire«, stammelte sie.
Der Teufelsbraten sprang auf und stürmte aus dem Saal, die Hände weiter vor sein hübsches Gesicht gepresst und von einer neuerlichen Schluchzattacke geschüttelt.
Edward sah dem Mädchen nach, bis die hohe holzgeschnitzte Kassettentür des Saales geräuschvoll hinter diesem ins Schloss fiel, und schüttelte seufzend den Kopf, ehe er sich wieder dem Tisch zuwandte. Mit leerem Blick starrte er auf die Speisen vor ihm, ein erlesenes Festmahl, das langsam kalt wurde, da er die Tafel noch nicht eröffnet hatte. Folglich wagte es keiner der Gäste zuzugreifen. Dann stand er langsam auf.
»Mir ist der Appetit vergangen«, verkündete er zu niemand Bestimmtem und wandte sich zum Gehen. »Kommt, Becker, Ihr begleitet mich.«
»Dürfen wir denn jetzt endlich zulangen?«, fragte Osgoode unschlüssig, als sich die Tür hinter den beiden Männern schloss.
Balan blickte sich stirnrunzelnd im Saal um. Die Gäste schienen unsicher, ob sie sich über das Festmahl hermachen oder sich – wie König Edward – in Verzicht üben sollten. Als die anderen sich vom Tisch erhoben, weil sie sich damit wohl auf der sicheren Seite wähnten, stand Balan schweren Herzens ebenfalls auf.
Zwar hatte die Szene der Kleinen seinen Appetit kein bisschen beeinträchtigt, dennoch wollte er lieber in einem der Londoner Gasthäuser essen, als den Zorn des Königs auf sich zu ziehen.
»Ich habe nachgedacht«, grummelte Osgoode auf dem Weg nach draußen. »Vermutlich hast du recht. Murie ist sicher nicht die Retterin, die uns vorschwebt.«
»Nein, gewiss nicht«, bekräftigte Balan. Er zog seinen Cousin, der in Richtung Remise steuerte, auf den Weg in den Park. Diese Unterredung ließ sich besser in der Abgeschiedenheit der königlichen Gärten führen und nicht in den Stallungen, wo die Wände Ohren hatten. Er ahnte, dass Osgoode vor Mitteilungsdrang fast platzte. Am besten, er redete sich alles von der Seele, bevor sie ihre Pferde holten und Außenstehende etwas mitbekamen. Er kannte seinen Cousin und wusste, dass der mitunter übers Ziel hinausschoss.
»Unfassbar, was für ein raffiniertes Weibsstück!«, knurrte Osgoode, kaum dass sie den dunklen Park erreichten.
Balan murmelte etwas Unverständliches und blickte sich zur Sicherheit um, ob jemand sie belauschte.
»Wir sollten keinen Gedanken darauf verschwenden, dass du dieses Weibsstück heiratest«, schob Osgoode nach, als wäre Balan und nicht er derjenige gewesen, der die Vorzüge einer solchen Verbindung über den grünen Klee gelobt hatte. »Sie fände auch keinen Gefallen an dir«, überlegte er laut. »Die Jungfer ist so verwöhnt, dass sie dich keines zweiten Blickes würdigen würde. Außerdem würde ich lieber in Gaynor Castle verhungern, als mir dieses hysterisch heulende Weibsstück ins Schloss zu holen. Großer Gott, ihre Heulerei hat man wahrscheinlich bis hier draußen in den Park gehört. Dieses Gekreische durchdringt die dicksten Schlossmauern.«
Dass Osgoode das Mündel des Königs als Weibsstück bezeichnete, war zwar respektlos, fand Balan, aber er brachte es nicht übers Herz, seinen Cousin deswegen anzufahren. Zumal der bestürzt wirkte, weil Lady Murie als begüterte künftige Braut ausschied. Und da ihr Benehmen im Saal beileibe nicht das einer vornehmen jungen Dame gewesen war, passte die despektierliche Umschreibung mit Weibsstück recht gut.
»Mach dir nichts draus, Cousin«, meinte Osgoode unvermittelt. Er straffte die Schultern und warf den Kopf in den Nacken. »Hier bei Hofe gibt es bestimmt etliche junge Damen, die für dich infrage kommen. Lass uns einmal gemeinsam überlegen.«
Balan überging seinen knurrenden Magen und folgte seinem Cousin zu einer steinernen Bank. Diese Sache genoss oberste Priorität, da musste das Essen erst einmal warten.
»Also, wen hätten wir noch anzubieten …«, begann Osgoode, als sie Platz genommen hatten. »Wie gefällt dir Lady Lucinda? Sie sieht recht hübsch aus und gilt als gut betucht.«
Balan schüttelte den Kopf. »Soweit mir bekannt, ist sie bereits mit Brambury verlobt. Ihre Väter verhandeln derzeit über den Ehevertrag.«
»Schade.« Sein Cousin zog die Mundwinkel herab. »Dann wäre da noch Lady Julia. Es heißt, sie soll ein wenig temperamentvoll sein, dafür aber von bestrickender Schönheit. Zudem schwimmt sie in Geld.«
»Oh, diese Pest«, knurrte Balan.
»Ich weiß, sie verfügt über ein aufbrausendes Temperament, aber dennoch … Sie ist gewiss umgänglicher als Lady Murie, und wir dürfen nicht allzu wählerisch sein, nicht wahr?«
»Ich wollte die Dame auch nicht mit einer Pestepidemie vergleichen, sondern nur darauf hinweisen, dass sie an der Pest gestorben ist«, versetzte Balan verdrießlich.
»Oh, das war mir nicht geläufig«, murmelte Osgoode, ehe er vorschlug: »Und Lady Alice?«
»Sie hat Grantworthy geehelicht. Vor gerade einmal einem Monat.«
»Ach tatsächlich? Das war mir nicht bekannt.« Osgoode ging abermals in sich und grübelte. »Lady Helen wäre keine üble Wahl, was meinst du?«
»Fiel ebenfalls der Pest zum Opfer«, versetzte Balan, dessen Geduld an einem seidenen Faden hing. »Was hältst du davon, dich auf jene Damen zu beschränken, die vorhin einsam und allein an der hohen Tafel gesessen haben? Einige davon sind auf der Suche nach einem Gemahl, da ihre Angetrauten dem Schwarzen Tod zum Opfer gefallen sind.«
»Gewiss, gewiss«, versicherte Osgoode hastig und hüllte sich erneut in Schweigen.
Ungeduldig ließ Balan die fraglichen Damen vor seinem geistigen Auge Revue passieren.
»Ich schätze, es kommen lediglich drei in Betracht, die über eine entsprechende Mitgift verfügen«, bekannte Osgoode nach einer kurzen Weile.
»Ich bringe es lediglich auf zwei«, brummte Balan. »Lady Jane und Lady Brigida. Wen habe ich vergessen?«
»Lady Lauda.«
»Die Schwester von Malculinus?«, entrüstete er sich und schüttelte unwirsch den Kopf. »Nur über meine gräfliche Leiche.«
»Ich habe bereits geahnt, dass ich dergleichen aus deinem Munde hören würde«, maßregelte ihn sein Cousin. »Dann stehen dir einzig Lady Jane und Lady Brigida zur Wahl.«
»Lady Jane kommt ebenfalls nicht in Betracht«, murmelte Balan. »Die Spatzen pfeifen es bereits von den Dächern, dass sie heimlich eine Affäre hat.«
»Hmm.« Osgoode nickte. »Das ist mir neulich auch zu Ohren gekommen. Und dass sie guter Hoffnung sein soll.«
Sie blickten einander an und entschieden wie aus einem Munde: »Von der Liste gestrichen.«
»Nun, dann bliebe einzig Lady Brigida«, murmelte Osgoode beinahe zweifelnd. Balan schwante, warum. Die Frau war ein wahres Schreckgespenst. Groß und laut und mit dem entsetzlichsten Lachen ausgestattet, das ihm jemals zu Ohren gekommen war. Da konnte er sich auch gleich einen Strick nehmen oder sich erdolchen.
»Da bist du ja, Emilie! Ich habe dich überall gesucht!«
Balan und Osgoode blickten sich erstaunt um. Sie brauchten einen Moment, um zu begreifen, dass das aufgeregte Schnattern von der anderen Seite der Büsche kam, die die Bank umstanden.
»Oh, wie schön, liebste Murie«, antwortete eine Frauenstimme, die von leichter Erschöpfung gezeichnet war. »Ich habe bloß hier gesessen und den Tag genossen.«
»Du meinst wohl, du hast im Schatten der Laube gefaulenzt und ein wenig Augenpflege betrieben.« Murie lachte glockenhell, und Balan reckte neugierig den Kopf, sobald er die Stimme zuzuordnen wusste: Es war der Teufelsbraten.
Die Stimme klang ganz anders, weshalb er sie zunächst auch nicht wiedererkannt hatte. Es war nicht der ernsthafte gefasste Ton, den Lady Murie anfangs im Saal angeschlagen hatte, und auch nicht das leise, mitleidheischende Schluchzen, das ihren Körper beim Hinausgehen geschüttelt hatte. Diese Frau klang ausgelassen, fröhlich und sorglos. Eigenartig, wenn man bedachte, wie aufgebracht sie vorhin gewesen war, als der König sie zu einer Heirat hatte anhalten wollen.
»Ich war erfolgreich!«, erhob sich Lady Muries triumphierende Stimme hinter dem Blätterdach der akkurat gestutzten Laube.
»Womit?«, fragte Lady Emilie leicht verwirrt.
»Mit deinem Plan, den König und die Königin dazu zu bewegen, mir die Erlaubnis zu einer Heirat zu geben!«, rief sie aus. »Oh, wach endlich auf, liebste Emilie. Ich bin ja so aufgeregt!«
»Ich bin wach«, versicherte die andere Frau neugierig. »So, und jetzt erzähl mir alles.«
»Also, ich bin die ganze Woche in den Gemächern der Königin herumstolziert und habe allen Damen erklärt, dass ich niemals heiraten werde, weil ich viel zu glücklich und zufrieden bei Hofe sei, um mir irgendwo auf einem verstaubten Landgut die Fesseln des Ehejochs und der Mutterschaft anlegen zu lassen.«
Auf Emilies leises Zischen räumte sie ein: »Die Königin reagierte anfangs nicht darauf, und ich dachte schon, es wird nicht klappen, aber dann hat heute der König nach mir geschickt und verkündet, dass ich heiraten soll! Die Königin besteht darauf!«
»Wie schön!«, rief Lady Emilie. »Ich habe dir gleich gesagt, dass ein solcher Plan von Erfolg gekrönt sein würde.«
»Ja, das hast du.« Murie lachte glockenhell. »Und du hattest recht!«
»Natürlich hatte ich das.« Lady Emilie klang äußerst zufrieden und schob spitzfindig nach: »Aber es war auch nicht allzu schwer, darauf zu schließen. Sobald du dich nämlich gegen irgendetwas sträubst, scheint Philippa dich unbedingt zu deinem Glück zwingen zu wollen. Es ist nie anders gewesen.«
»Stimmt.« Murie senkte die Stimme und klang ein wenig beklommen, als sie fortfuhr: »Sie mag mich wohl nicht, keine Ahnung, weshalb das so ist. Ich kann mich bei ihr anstrengen, so viel ich will, stets ernte ich Kritik und Zurückweisung. Zumindest habe ich mich anfangs angestrengt«, verbesserte sie sich. »In letzter Zeit bin ich ihr und ihrem Damenkränzchen geflissentlich aus dem Weg gegangen.«
»Sie ist eifersüchtig auf dich, Murie«, sagte Lady Emilie leise. »Sie kann es nicht verschmerzen, dass der König dich so behandelt, als wärest du eines seiner leiblichen Kinder. Sie neidet dir jedes Fitzelchen Zuneigung, das er dir schenkt, so als würde er ihr und ihrem königlichen Nachwuchs etwas wegnehmen. Außerdem«, setzte sie ernst hinzu, »nimmt es Edward mit der ehelichen Treue nicht so genau. Womöglich fürchtet sie, dass sich seine Zuneigung zu dir in tieferen Empfindungen niederschlagen könnte, solltest du noch viel länger am Hofe bleiben. Ehrlich gesagt wundert es mich, dass sie dich nicht schon eher unter die Haube bringen wollte.«
Murie schwieg.
»So, und wer ist jetzt der Glückliche?«, fragte Emilie nach einer kurzen Pause.
»Oh!« Murie lachte schon wieder. »Das hätte ich beinahe vergessen. Das Beste kommt erst noch. Seine Majestät hat mir die Erlaubnis gegeben, mir meinen Bräutigam selbst aussuchen zu dürfen.«
»Im Ernst?« Lady Emilie klang erstaunt.
»Ja.« Dann räumte Murie ein: »Dieses Zugeständnis hat mich, ehrlich gesagt, etwas verwundert.«
»Da hast du dich bestimmt selbst übertroffen, was dein schauspielerisches Talent angeht«, kicherte ihre Freundin.
»Hmm, ich konnte ja schlecht zugeben, dass ich den Hof lieber heute als morgen verlassen möchte. Damit hätte ich seine Gefühle bestimmt verletzt«, betonte Murie.
Vor lauter Lachen hatte Emilie Mühe, einen Ton herauszubekommen. »Wenn die wüssten, wie nett und liebenswürdig du eigentlich bist …«
»… würden mich die fürchterlichen Hofschnepfen in Stücke reißen«, knirschte Murie leise.
»Ja«, seufzte Emilie.
»Also noch einmal vielen Dank für deine Hilfe, Emilie.« Murie wurde wieder ernst. »Ohne dich wäre ich hier eingegangen wie eine Zimmerpalme. Oder irgendwann in geistige Umnachtung gefallen.«
»Rede keinen Unsinn, Liebes«, murmelte Emilie bescheiden. »Du hättest es auch ohne meine Hilfe geschafft.«
»Nein. Sie hätten mich zerfleischt wie eine Meute hungriger Wölfe. Glaube mir, deine guten Ratschläge haben Schlimmeres vereitelt. Jedes Mal, wenn die Entourage der Königin auf mich losgehen wollte, habe ich deinen guten Rat befolgt und entweder angefangen zu heulen wie ein Schlosshund, oder ich habe mich wie eine Gewitterziege benommen. Es hat hervorragend geklappt. Mittlerweile lassen sie mich zumeist in Frieden. Selbst die Königin hat Angst vor meinen Anwandlungen.«
Emilie zuckte hilflos mit den Schultern. »Etwas Besseres ist mir nicht eingefallen. Als du nach Windsor kamst, warst du bei Weitem nicht gerissen genug für das höfische Leben, Liebes. Ich habe das schnell bemerkt und die anderen ebenfalls. Es wäre dir niemals gelungen, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Daher musste eine Verteidigungsstrategie her, die all jenen den letzten Nerv raubte, die dir Böses wollten. Also hast du die Zuneigung des Königs für deine Zwecke genutzt und den verwöhnten Teufelsbraten gespielt. Das war genial.«
Murie nickte und kicherte leise. »Meistens war es ziemlich lustig, obwohl … also zuweilen hätte ich mich für mein schlimmes Benehmen selbst ohrfeigen mögen.«
Balan bekam kaum mit, dass Osgoode ihn am Arm packte, denn er hatte nur Augen für Muries strahlendes Gesicht. Er hatte vorsichtig einen Zweig hinuntergebogen, um durch das dichte Grün zu den beiden Frauen linsen zu können. Beide waren blond und hübsch, Emilie indes hochschwanger von Lord Reynard, den sie im Sommer zuvor geheiratet hatte. Reynard war ein Freund von ihnen und ein richtiger Glückspilz, dachte Balan, dass er sich für die patente Emilie entschieden hatte.
Während er die beiden Freundinnen beobachtete, kräuselte Murie unvermittelt die Stirn und sah bestürzt zu Emilie. »Glaubst du etwa, mein Ruf als Teufelsbraten wird meine Chancen schmälern, einen netten Ehemann zu finden?«
»Bestimmt nicht«, beschwichtigte Emilie. Allerdings konnte sich Balan des Eindrucks nicht erwehren, dass sie ebenfalls leicht bestürzt wirkte. Sie tätschelte Muries Hand, die locker von der Lehne der Bank herunterbaumelte, auf der die beiden Frauen saßen. Emilie überspielte ihre Skepsis, indem sie ein Lächeln auf ihr Gesicht zauberte. Dann versicherte sie ihrer Freundin: »Du bist wunderhübsch und dazu noch die über alles geliebte Patentochter des Königs, die Männer werden dir scharenweise zu Füßen liegen.«
Murie atmete hörbar auf. »Ich hoffe, du behältst recht.«
»Ich weiß es.« Emilie tätschelte erneut Muries Hand. Dann erhob sie sich. »Komm, lass uns in deine Kammer gehen und dort weiterüberlegen, wer von den Junggesellen bei Hofe überhaupt akzeptabel wäre. Dann machen wir eine Aufstellung jener Männer, die für dich in die engere Wahl kommen.«
Murie nickte und stand ebenfalls auf. »Oh, schau mal, da oben sitzen zwei Amseln zusammen auf einem Ast. Das ist bestimmt ein gutes Omen.«
Emilie spähte zu den Vögeln und schüttelte belustigt den Kopf. »Du und dein Aberglaube.«
»Es heißt aber doch, dass zwei schnäbelnde Amseln ein gutes Omen sein sollen«, verteidigte sich Murie ein wenig beleidigt und folgte ihrer Freundin durch den akkurat geschnittenen Heckenbogen.
»Hast du das gehört?«, fragte Osgoode aufgeregt, sobald die Frauen außer Hörweite waren.
»Hast du das gehört?«
Angesichts der Wiederholung der Frage sahen Balan und Osgoode einander verdutzt an.
»Gibt es hier ein Echo?«, fragte Osgoode, worauf Balan ihn mit einem leise gezischten Psscht zum Schweigen brachte. Die zweite Frage war nämlich lauter gewesen und von der anderen Seite der Büsche zu ihnen gedrungen … und der Sprecher fuhr bereits fort.
»Oh, es ist ganz famos!«, brüstete er sich.
Nachdem sie den Ast behutsam beiseitegeschoben hatten, steckten Balan und Osgoode ihre Köpfe zusammen und spähten durch das kleine Loch im Blattwerk. Sie beobachteten, wie Malculinus und Lauda Aldous in die grüne Laube traten, die Murie und Emilie vor Kurzem verlassen hatten.
»Ja«, räumte Lauda leise lachend ein. »Sie ist bei Weitem nicht so unausstehlich, wie alle denken.«
»Nein, und dennoch haben alle Gamaschen vor ihr, weil ihr dieser Ruf vorauseilt«, fuhr Malculinus fort. »Halstaff hat seine kranke Mutter als Vorwand genommen, um schleunigst den Hof verlassen zu können, aus Angst, die Kleine könnte ihn als Ehekandidaten in Erwägung ziehen. Und Harcourt hat geschworen, sich eher umzubringen, als Lady Murie zu heiraten. Die Ritter verlassen den Königshof wie die Ratten ein sinkendes Schiff. Damit wird die Zahl der Konkurrenten, die um ihre Hand anhalten wollen, zunehmend überschaubar.«
»Umso besser, dann ist der Weg für dich frei«, kicherte Lauda. »Stell dir einmal vor, wie du dich bei Seiner Majestät einschmeicheln könntest, als Gemahl seines über alles geliebten Teufelsbratens.«
»Eine fabelhafte Partie«, seufzte Malculinus genießerisch, sein Blick entrückt ob der erhebenden Vorstellung.
»Trotzdem«, meinte Lauda unvermittelt, »wir dürfen uns noch nicht zu sicher sein. Es gibt genügend Ritter, denen das Wasser bis zum Halse steht. Sie werben auch um die Jungfern, denen sie ansonsten keinerlei Beachtung schenken würden.«
»Richtig«, bekannte Malculinus stirnrunzelnd. »Die Grafschaft Gaynor scheint mir schwer zu darben. Seiner Lordschaft mangelt es gewiss an den nötigen Geldmitteln. Ist dir aufgefallen, wie zerschlissen seine und Osgoodes Kleider sind? Ich würde mich in Grund und Boden schämen, müsste ich in solchen Lumpen bei Hofe herumflanieren.«
Eine bodenlose Frechheit!, dachte Balan und presste die Lippen zu einem schmalen Strich aufeinander.
»Ich bin fest entschlossen, sie zu heiraten«, gab Malculinus bestimmt von sich. »Nicht zuletzt auch wegen der politischen Verbindungen, die sie mitbringen wird.«
»Dann werden wir Murie ein bisschen auf die Sprünge helfen müssen, damit ihre Wahl auf dich fällt«, überlegte seine Schwester laut.
»Was schwebt dir denn vor?«, fragte er neugierig. »Hast du schon einen Plan? Du hast unzweifelhaft einen, das sehe ich dir an der Nasenspitze an.«
Ihre Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln und sie nickte. »Ganz recht. Wie du weißt, ist Lady Murie sehr abergläubisch, und das werden wir uns zunutze machen.«
»Erzähle, Schwesterherz«, verlangte er.
»Nicht hier. Nachher werden wir noch heimlich belauscht«, gab sie zu bedenken. »Im Irrgarten ist es sicherer.«
Malculinus nickte bekräftigend und folgte seiner Schwester aus der Laube.
»Komm mit«, zischte Osgoode, der ebenfalls aufgestanden war.
»Wohin?«, erkundigte sich Balan misstrauisch.
»Du hast die beiden gehört. Sie wollen in den Irrgarten, um dort irgendeine Intrige auszuhecken. Folglich müssen wir handeln und die beiden unauffällig belauschen.« Als Balan ihn verständnislos musterte, seufzte Osgoode ungehalten. »Du willst doch bestimmt nicht, dass die beiden Lady Murie übervorteilen, oder? Damit sie diesen Hornochsen Malculinus heiratet. Ein solches Schicksal hat das Mädchen nicht verdient. Zudem haben wir mittlerweile erfahren, dass sie gar nicht so grässlich ist. Sie tut nur so, um alle in dem Irrglauben zu wiegen, sie sei eine unausstehliche Furie und … na eben ein Teufelsbraten. Ich habe da eine fabelhafte Idee: Gib deinem Herzen einen Stoß und mach ihr selbst den Hof. Sie könnte Gaynor retten.«
Als Balan zögerte, wiederholte sein Cousin: »Sie hat etwas Besseres verdient als diesen schmierigen Aldous. Man munkelt, der Kerl prügele sein Pferd, wenn es nicht pariert. Du weißt sicher, was das bedeutet?«
»Ein Mann, der sein Pferd verprügelt, schlägt bei seiner Frau vermutlich noch härter zu«, meinte Balan nachdenklich. Bei der Vorstellung, dass jenes liebreizende Geschöpf jemanden heiraten könnte, der sie verprügelte, drehte sich ihm der Magen um.
»Genau so verhält es sich, Cousin Balan. Du bist als Ehemann gewiss vorzuziehen. Zumal du deinen Gaul stets so behandelst, als wäre er ein rohes Ei.« Osgoode grinste verschlagen. »Im Übrigen, wenn du Lady Murie verschmähst, bleibst du womöglich an Lady Brigida hängen.«
Ob dieser Alternative stöhnte Balan leise auf und erhob sich hastig. »Also gut, dann werden wir uns darum kümmern, dass es ihm nicht gelingt, das Mädchen mit einer geschickt eingefädelten Intrige zu einem Jawort zu nötigen«, räumte er ein und setzte mit Nachdruck hinzu: »Aber mehr auch nicht.«
»Rück mal etwas zur Seite, ich stehe mit einem Bein in einem stachligen Busch«, grummelte Osgoode.
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