Eine Geschichte von zwei Städten. Band Drei - Charles Dickens - E-Book

Eine Geschichte von zwei Städten. Band Drei E-Book

Charles Dickens.

0,0
2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Geschichte spielt vor dem Hintergrund der Umstände, die zur Französischen Revolution und zur Schreckensherrschaft führten. Nach achtzehn Jahren als politischer Gefangener in der Bastille wird der alternde Dr. Manette endlich freigelassen und mit seiner Tochter in England wiedervereint. Dort werden zwei sehr unterschiedliche Männer, Charles Darnay, ein französischer Aristokrat im Exil, und Sydney Carton, ein verrufener, aber brillanter englischer Anwalt, durch ihre Liebe zu Lucie Manette miteinander verstrickt. Aus den beschaulichen Gassen Londons werden sie alle gegen ihren Willen in die rachsüchtigen, blutigen Straßen von Paris auf dem Höhepunkt der Schreckensherrschaft gezogen und geraten bald in den tödlichen Schatten der Guillotine. Dies ist der dritte von insgesamt drei Bänden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 272

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



EINE GESCHICHTE VON

ZWEI STÄDTEN

 

 

CHARLES DICKENS

 

 

 

ROMAN

IN DREI BÄNDEN

 

 

 

 

 

BAND DREI

 

 

EINE GESCHICHTE VON ZWEI STÄDTEN wurde zuerst im englischen Original (A Tale of Two Cities) veröffentlicht von Chapman & Hall, London 1859.

 

Diese Ausgabe in drei Bänden wurde aufbereitet und herausgegeben von

© apebook Verlag, Essen (Germany)

www.apebook.de

1. Auflage 2022

 

V 1.0

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

Band Drei

ISBN 978-3-96130-529-2

 

Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de

 

 

Books made in Germany with

 

 

 

Bleibe auf dem Laufenden über Angebote und Neuheiten aus dem Verlag mit dem lesenden Affen und

abonniere den kostenlosen apebook Newsletter!

Erhalte zwei eBook-Klassiker gratis als Willkommensgeschenk!

Du kannst auch unsere eBook Flatrate abonnieren.

Dann erhältst Du alle neuen eBooks aus unserem Verlag (Klassiker und Gegenwartsliteratur)

für einen sehr kleinen monatlichen Beitrag (Zahlung per Paypal oder Bankeinzug).

Hier erhältst Du mehr Informationen dazu.

Follow apebook!

 

***

 

Charles Dickens

EINE GESCHICHTE AUS ZWEI STÄDTEN

 

BAND EINS | BAND ZWEI | BAND DREI

Klicke auf die Cover oder die Textlinks!

 

GESAMTAUSGABE

 

 

***

 

 

BUCHTIPPS

 

 

Entdecke unsere historischen Romanreihen.

Der erste Band jeder Reihe ist kostenlos!

 

DIE GEHEIMNISSE VON PARIS. BAND 1

MIT FEUER UND SCHWERT. BAND 1

QUO VADIS? BAND 1

BLEAK HOUSE. BAND 1

 

Klicke auf die Cover oder die Textlinks oben!

 

 

Am Ende des Buches findest du weitere Buchtipps und kostenlose eBooks.

Und falls unsere Bücher mal nicht bei dem Online-Händler deiner Wahl verfügbar sein sollten: Auf unserer Website sind natürlich alle eBooks aus unserem Verlag (auch die kostenlosen) in den gängigen Formaten EPUB (Tolino etc.) und MOBI (Kindle) erhältlich!

 

 

* *

*

 

 

 

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

EINE GESCHICHTE VON ZWEI STÄDTEN. Band Drei

Impressum

BAND DREI

Erstes Kapitel. Ins Geheimnis.

Zweites Kapitel. Der Schleifstein.

Drittes Kapitel. Der Schatten.

Viertes Kapitel. Windstille im Gewitter.

Fünftes Kapitel. Der Holzspalter.

Sechstes Kapitel. Triumph.

Siebentes Kapitel. Ein Klopfen an die Tür.

Achtes Kapitel. Eine Handvoll Karten.

Neuntes Kapitel. Das Spiel geordnet.

Zehntes Kapitel. Der Körper des Schattens.

Elftes Kapitel. Dämmerung.

Zwölftes Kapitel. Dunkelheit.

Dreizehntes Kapitel. Zweiundfünfzig.

Vierzehntes Kapitel. Ausgestrickt.

Fünfzehntes Kapitel. Die Fußtritte verhallen für immer.

Eine kleine Bitte

Charles Dickens im apebook Verlag

Buchtipps für dich

Kostenlose eBooks

A p e B o o k C l a s s i c s

N e w s l e t t e r

F l a t r a t e

F o l l o w

A p e C l u b

Links

Zu guter Letzt

BAND DREI

Erstes Kapitel. Ins Geheimnis.

 

Es ging langsam vorwärts, wenn man im Herbst des Jahres Siebzehnhundertzweiundneunzig von England nach Paris wollte. Mehr als genug schlechter Wege, schlechter Fuhrwerke und schlechter Pferde würden dem Reisenden die Ausführung seines Vorhabens erschwert haben, selbst wenn der unglückliche gestürzte König von Frankreich noch auf seinem Thron gesessen hätte. Aber die veränderlichen Zeiten hatten noch andere Hindernisse gebracht als diese. Um jedes Stadttor, um jedes Dorfsteuerhaus lungerten mit ihren stets zum Losgehen bereiten Nationalmusketen Banden patriotischer Bürger, die jeden Ab- und Zugehenden anhielten, ihn verhörten, seine Papiere untersuchten, nach seinem Namen in ihren Listen fahndeten, ihn wieder zurückschickten, laufen ließen, oder sogar anhielten und festnahmen, je nachdem es ihrem launenhaften Urteil am zweckmäßigsten zu sein schien für das Wohl der einen und unteilbaren Republik mit ihrem Motto: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit oder Tod.

Charles Darnay hatte noch nicht viele Wegstunden auf französischem Boden zurückgelegt, als er zu bemerken begann, daß er auf diesen Landstraßen nicht wieder zurückkehren zu können hoffen durfte, ehe er in Paris für einen guten Bürger erklärt war. Was auch jetzt kommen mochte, er mußte seine Reise zu Ende bringen. Jedes elende Städtchen, das seine Tore hinter ihm schloß, jeder Schlagbaum, der unterwegs hinter ihm zuklappte, war, wie er bald merkte, ein weiteres eisernes Tor in der Reihe derjenigen, die ihn von England absperrten. Die allgemeine Wachsamkeit umgab ihn auf eine Weise, daß er den Verlust seiner Freiheit nicht gründlicher hätte fühlen können, wenn er seinem Bestimmungsort in einem Netz oder in einem Käfig zugesandt worden wäre.

Diese allgemeine Wachsamkeit gebot ihm auf der Landstraße nicht nur zwanzigmal zwischen je zwei Stationen Halt, sondern hinderte auch zwanzigmal des Tags am Vorwärtskommen, indem man ihm nachritt und ihn zurückholte, ihm vorausritt, um ihn anhalten zu können, oder neben ihm herritt, um ihn zu bewachen. Er hatte schon viele Tagereisen in Frankreich allein zurückgelegt, als er eines Abends, noch fern von Paris, in einem Städtchen an der Straße erschöpft sich zur Ruhe begab.

Er wäre nie soweit gekommen, wenn er nicht den Brief des bedrängten Gabelle aus dem Abteigefängnis hätte vorzeigen können. An dem Wachhaus dieses kleinen Platzes waren ihm so viel Schwierigkeiten bereitet worden, daß er fühlte, seine Reise sei zu einer Krisis gelangt. Es nahm ihn deshalb auch nicht wunder, als man ihn mitten in der Nacht in dem Wirtshäuschen weckte, nach welchem man ihn bis zum Morgen hatte ziehen lassen.

Die Wecker waren ein furchtsamer Ortsvorstand und drei bewaffnete, mit groben roten Mützen bedeckte Patrioten, die sich, die Pfeifen im Mund, auf sein Bett niedersetzten.

»Emigrant«, sagte der Ortsvorstand, »ich werde Euch unter Bedeckung nach Paris schicken.«

»Bürger, ich wünsche nichts sehnlicher, als nach Paris zu kommen, obschon ich die Bedeckung entbehren kann.«

»Stille!« brummte eine Rotkappe, mit dem Musketenschaft auf die Decke klopfend, »'s Maul gehalten, Aristokrat.«

»Es ist, wie dieser gute Patriot sagt«, bemerkte der furchtsame Ortsvorstand. »Ihr seid ein Aristokrat und müßt eine Bedeckung haben – natürlich auf Eure Kosten.«

»Ich habe keine Wahl«, sagte Charles Darnay.

»Wahl? Da höre man!« rief dieselbe brummige Rotkappe. »Als ob's keine Gunst sei, wenn man ihn vor dem Laternenpfahl beschützt.«

»Es ist ganz so, wie der gute Patriot sagt«, bemerkte der Ortsvorstand. »Drum steht auf und kleidet Euch an, Emigrant.«

Darnay gehorchte und wurde nach dem Wachhause zurückgebracht, wo andere Patrioten in groben roten Mützen bei dem Wachfeuer rauchten, tranken und schliefen. Er mußte daselbst eine ansehnliche Summe für die Bedeckung erlegen und trat auf den nassen, nassen Wegen um drei Uhr morgens die Weiterreise an.

Die Bedeckung bestand aus zwei berittenen Patrioten mit roten Mützen und dreifarbigen Kokarden; sie waren mit Nationalmusketen und Säbeln bewaffnet und ritten rechts und links neben dem Reisenden her. Dieser lenkte sein Pferd selbst; aber an seinem Zaum war ein Strick befestigt, dessen anderes Ende einer der Patrioten sich um den Leib geschlungen hatte. So stampften sie, während der scharfe Regen ihnen ins Gesicht schlug, in schwerem Dragonertrab über das unebene Stadtpflaster und auf den grundlosen Straßen weiter. Und so legten sie ohne andern Wechsel als den der Pferde und der Geschwindigkeit alle die schlammigen Wegstunden zurück, die zwischen ihnen und der Hauptstadt lagen.

Sie reisten in der Nacht, machten eine Stunde oder zwei nach Tagesanbruch halt und blieben ruhig liegen, bis die Dämmerung einbrach. Die Bedeckungsmannschaft war so erbärmlich gekleidet, daß sie Stroh um ihre nackten Füße und ihre zerlumpten Schultern gewickelt hatte, um die Nässe abzuhalten. Abgesehen von der persönlichen Unbequemlichkeit einer solchen Begleitung und der Gefahr, die aus dem leichtsinnigen Handhaben der Musketen von seiten der wechselweise betrunkenen Patrioten hervorging, ließ sich Charles Darnay durch den ihm auferlegten Zwang nicht in Angst setzen; denn dieser konnte, wie er sich sagte, in keiner Beziehung zu dem individuellen Fall, der noch nicht erhoben, und zu den von dem Gefangenen in der Abtei zu bestätigenden Auseinandersetzungen stehen, die noch nicht vorgebracht waren.

Aber als sie die Stadt Beauvais erreichten – es war bereits Abend und eine große Menschenmenge in den Straßen –, konnte er sich nicht verhehlen, daß das Aussehen der Dinge sehr beunruhigend wurde. Ein unheimlicher Schwarm sammelte sich um ihn und wollte im Posthof ihn absteigen sehen. Und viele Stimmen riefen laut: »Nieder mit dem Emigranten!«

Wie er sich eben aus dem Sattel schwingen wollte, ließ er sich wieder auf denselben nieder, da er ihm der sicherste Platz zu sein schien, und sagte:

»Emigrant, meine Freunde? Seht ihr denn nicht, daß ich aus eigenem freiem Antrieb hier in Frankreich bin?«

»Du bist ein verfluchter Emigrant!« rief ein Schmied, der, den Hammer in der Hand, mit Gewalt sich durch das Gedränge Bahn brach; »und ein verfluchter Aristokrat obendrein.«

Der Postmeister stellte sich zwischen den Mann und den Zügel des Rosses, auf das es dieser augenscheinlich abgesehen hatte, und sagte beschwichtigend:

»Laßt ihn gehen; laßt ihn in Frieden. Er wird in Paris gerichtet werden.«

»Gerichtet!« wiederholte der Schmied, seinen Hammer schwingend. »Ja, und verurteilt als Verräter.«

Die Menge brüllte ihm Beifall zu.

Der Postmeister wandte sich um und wollte das Pferd mit in den Hof hineinnehmen, wobei der betrunkene Patriot, der die Leine noch immer um seinen Leib gebunden hatte, ruhig von seinem Sattel aus zusah. Darnay hielt ihn zurück und rief, sobald er sich vernehmlich machen konnte:

»Freunde, ihr seid im Irrtum, oder ihr seid getäuscht. Ich bin kein Verräter.«

»Er lügt!«, entgegnete der Schmied. »Er ist ein Verräter seit dem Dekret. Er hat sein Leben an das Volk verwirkt. Sein verfluchtes Leben gehört nicht mehr ihm.«

Darnay sah es blitzen in den Augen des Haufens, der im nächsten Augenblick auf ihn losstürzen zu wollen schien. Der Postmeister zog das Pferd in den Hof, und die Bedeckung ritt rechts und links mit ein, worauf ersterer die gebrechlichen Torflügel schloß und verriegelte. Der Schmied führte zwar noch einen Hammerschlag, und der Volkshaufe brüllte wild, aber dabei hatte es sein Verbleiben.

»Was ist das für ein Dekret, von dem der Schmied gesprochen hat?« fragte Darnay den Postmeister, nachdem er abgestiegen war und ihm gedankt hatte.

»Ein Dekret, das den Verkauf des Eigentums von Emigranten anbefiehlt.«

»Wann wurde es erlassen?«

»Am vierzehnten.«

»An demselben Tag also, an dem ich England verließ.«

»Jedermann sagt, es sei nur der Vorläufer von anderen, die noch nachfolgen würden – wenn sie nicht vielleicht gar schon ausgegeben sind. Man spricht von Verbannung aller Emigrierten und von Todesstrafe gegen die Zurückkehrenden. Dies meinte er, als er sagte, daß Euch Euer Leben nicht mehr gehöre.«

»Aber es bestehen doch noch keine solchen Gesetze?«

»Was weiß ich«, versetzte der Postmeister. »Vielleicht sind sie schon ausgegeben, vielleicht geschieht es demnächst. Doch dies kommt wohl aufs gleiche heraus. Mit was kann ich aufwarten?«

Sie ruhten in einem Speicher auf Stroh aus bis gegen Mitternacht, und als die ganze Stadt im Schlaf lag, ritten sie wieder weiter. Unter den vielen seltsamen Veränderungen an bekannten Dingen, die während des unheimlichen Nachtritts auffielen, war nicht die geringste, daß der Schlaf so selten geworden zu sein schien. Nachdem sie lange einsam über verödete Wege hingetrabt waren, konnten sie auf eine Gruppe von Bauernhäusern treffen, die nicht in Dunkel gehüllt dalagen, sondern in hellem Lichtschimmer glänzten, während die Bewohner wie Nachtgespenster Hand in Hand um einen verdorrten Freiheitsbaum tanzten und Freiheitslieder dazu sagen. Zum Glück schlief man selbige Nacht in Beauvais, und sie kamen glücklich wieder hinaus in die freie Einsamkeit. Dahin ging es klappernd in dem vorzeitig kalten und feuchten Wetter über die ausgesogenen Felder, die in jenem Jahre keine Früchte gegeben hatten, und eine Abwechslung ergab sich nur, wenn da und dort die Trümmer niedergebrannter Häuser auftauchten oder ihnen ein Hinterhalt von patriotischen Streifwachen, die alle Straßen bestrichen, plötzlich den Weg verritt.

Endlich langten sie bei Tag vor den Mauern von Paris an. Der Schlagbaum war geschlossen und scharf bewacht, als sie angeritten kamen.

»Wo sind die Papiere dieses Gefangenen?« fragte ein entschlossen aussehender Beamter, den die Wache herausgerufen hatte.

Das unangenehme Wort machte natürlich Charles Darnay betroffen; er ersuchte deshalb den Sprecher, zu berücksichtigen, daß er ein freier Reisender und französischer Bürger sei, der bei dem unruhigen Zustand des Landes auf eigne Kosten sich habe mit einer Bedeckung versehen müssen.

»Wo sind die Papiere dieses Gefangenen?« wiederholte dieselbe Person, ohne seine Einsprache auch nur im geringsten zu beachten.

Der betrunkene Patriot hatte sie in seiner Mütze und brachte sie zum Vorschein. Der Beamte überflog Gabelles Brief, zeigte dabei einige Unruhe und Überraschung und betrachtete dann Darnay mit großer Aufmerksamkeit.

Ohne übrigens ein Wort zu sprechen, kehrte er nach der Wachstube zurück, während der Bedeckte und die Bedeckung auf ihren Pferden vor der Barriere blieben. Verwirrt schaute Charles Darnay umher und bemerkte, daß das Tor von einer aus Soldaten und Patrioten bestehenden gemischten Wache besetzt war, in der jedoch die Bürgerlichen bei weitem die Mehrzahl bildeten. Dabei machte er die Wahrnehmung, daß die Karren der Bauern, die Lebensmittel und andere Vorräte herbeiführten, leicht genug Eingang fanden, aber es selbst dem Unscheinbarsten aus dem Volke schwer werden mußte, hinauszukommen. Ein zahlreiches Gedränge von Männern und Weibern, des Viehs und der verschiedenartigen Fuhrwerke nicht zu gedenken, harrte der Erlaubnis, wieder fort zu dürfen; aber die vorläufige Untersuchung war so streng, daß die Leute nur sehr langsam durch die Barriere durchsickerten. Einige davon, die wußten, daß die Visitation noch lange nicht an sie kommen werde, hatten sich auf den Boden niedergelegt, um zu schlafen oder zu rauchen, während andere miteinander plauderten oder umherlungerten. Die rote Mütze und die dreifarbige Kokarde war sowohl unter den Männern als unter den Weibern allgemein.

Nachdem Darnay ungefähr eine halbe Stunde im Sattel gesessen und sich, was um ihn vorging, betrachtet hatte, kam derselbe Beamte wieder und befahl der Wache, den Schlagbaum zu öffnen. Dann händigte er der Bedeckung einen Empfangsschein für Ablieferung des Bedeckten ein und forderte letzteren auf, abzusteigen. Darnay gehorchte. Die zwei Patrioten, der nüchterne wie der betrunkene, nahmen sein müdes Pferd zuhanden, wandten sich um und eilten von hinnen, ohne die Stadt zu betreten.

Darnay folgte seinem Führer in die nach schlechtem Wein und Tabak riechende Wachstube, wo einige Soldaten und Patrioten schlafend und wachend, betrunken und nüchtern, oder in verschiedenen neutralen Zuständen zwischen Schlafen und Wachen, Nüchternheit und Trunkenheit umherstanden und -lagen. Das Licht in der Wachstube, das halb von den erlöschenden Öllampen der Nacht, halb von dem umwölkten Tag herrührte, verbreitete eine entsprechend ungewisse Helle. Auf einem Tisch lagen einige aufgeschlagene Register, und hinter demselben saß ein finster blickender roher Beamter.

»Bürger Defarge«, sagte er zu Darnays Begleiter, indem er einen Streifen Papier vornahm, um zu schreiben, »ist dies der Emigrant Evrémonde?«

»Ja.«

»Euer Alter, Evrémonde?«

»Siebenunddreißig.«

»Verheiratet, Evrémonde?«

»Ja.«

»Wo verheiratet?«

»In England.«

»Kann mir's denken. Wo ist Euer Weib, Evrémonde?«

»In England.«

»Natürlich. Man wird Euch in das Gefängnis La Force abführen, Evrémonde.«

»Gerechter Himmel!« rief Darnay. »Nach welchem Gesetz und wegen welchen Vergehens?«

Der Beamte sah einen Augenblick von seinem Papierstreifen auf. »Seit Ihr hier waret, Evrémonde, haben wir neue Gesetze und neue Vergehen«, sagte er mit einem harten Lächeln und fuhr zu schreiben fort.

»Ich bitte Euch zu bemerken, daß ich freiwillig hierher gekommen bin, um der schriftlichen Aufforderung eines Landsmanns, die Ihr vor Euch liegen habt, zu entsprechen. Ich verlange nichts als die Gelegenheit, Zeugnis für ihn abzulegen. Habe ich kein Recht dazu?«

»Emigranten haben keine Rechte, Evrémonde«, lautete die brutale Antwort.

Der Beamte schrieb fort, bis er fertig war, überlas dann das Geschriebene und händigte es Defarge mit den Worten ein:

»Ins Geheimnis.«

Defarge winkte dem Gefangenen mit dem Papier, um ihm anzudeuten, daß er ihm folgen müsse. Darnay gehorchte, und eine Wache von zwei Patrioten schloß sich ihnen an.

»Seid Ihr der«, sagte Defarge mit leiser Stimme, als sie die Treppe vor dem Wachhaus hinunterstiegen und sich der Stadt zuwandten, »der die Tochter des Doktors Manette heiratete, der ehedem in der jetzt zerstörten Bastille gefangensaß?«

»Ja«, antwortete Darnay, indem er ihn erstaunt anblickte.

»Mein Name ist Defarge. Ich halte ein Weinhaus in dem Viertel von Saint Antoine. Vielleicht habt Ihr schon von mir gehört?«

»Meine Frau kam in Euer Haus, um ihren Vater zurückzuholen? Ja.«

Das Wort »Frau« schien in Defarge eine düstere Erinnerung zu wecken; er sagte mit plötzlicher Ungeduld:

»Im Namen jener scharfen neugeborenen Frau, die man La Guillotine nennt, warum seid Ihr nach Frankreich gekommen?«

»Ihr habt vor einer Minute meinen Grund vernommen. Glaubt Ihr nicht, daß ich die Wahrheit sagte?«

»Eine schlimme Wahrheit für Euch«, bemerkte Defarge, die Stirne runzelnd und gerade vor sich hinschauend.

»In der Tat, ich kenne mich hier nicht mehr aus. Alles ist so ohne Vorgang, so verändert, so überraschend und so widrig, daß ich nicht weiß, wo mir der Kopf steht. Wollt Ihr mich nicht ein wenig zurechtweisen?«

»Nein.«

Defarge schaute immer vor sich hin, wenn er sprach.

»Aber doch mir vielleicht auf eine einzige Frage antworten?«

»Vielleicht. Je nachdem sie ist. Redet: ich will hören.«

»Werde ich in dem Gefängnis, in das man mich ungerechterweise abführt, einigen freien Verkehr mit der Außenwelt haben?«

»Das werdet Ihr sehen.«

»Man wird mich dort doch nicht ohne Urteil begraben und mir Gelegenheit bieten, meine Sache vorzubringen?«

»Ihr werdet's sehen. Und was liegt dann daran? Vor Euch sind andere Leute in viel schlimmeren Gefängnissen begraben worden.«

»Aber nie durch meine Schuld, Bürger Defarge.«

Defarge antwortete darauf nur mit einem finstern Blick und schritt festen Fußes weiter, ohne die Stille weiter zu unterbrechen. Dieses Schweigen schien Darnay eine schlechte Hoffnung zu geben, seinen Begleiter milder zu stimmen. Er sagte daher endlich:

»Es ist für mich von höchster Wichtigkeit – Ihr wißt das sogar noch besser als ich zu beurteilen, Bürger –, daß ich in die Lage komme, Mr. Lorry von Tellsons Bank, einem englischen Gentleman, der sich gegenwärtig in Paris aufhält, ohne weiteren Kommentar die einfache Tatsache mitzuteilen, ich sei in das Gefängnis La Force gesetzt worden. Wollt Ihr dies für mich vermitteln?«

»Ich will nichts für Euch tun«, versetzte Defarge stöckisch. »Meine Pflicht gehört meinem Land und dem Volk. Als beeidigter Diener von beiden bin ich gegen Euch. Ich werde nichts für Euch tun.«

Charles Darnay fühlte, daß es hoffnungslos sei, weiter in ihn zu dringen, und auch sein Stolz war verletzt. Während sie schweigend weitergingen, konnte er deutlich bemerken, wie das Volk bereits daran gewöhnt war, daß man Gefangene durch die Straßen führte. Nicht einmal die Kinder achteten auf ihn. Einige Vorübergehende wandten die Köpfe gegen ihn um oder schüttelten die Faust gegen ihn als einen Aristokraten. Sonst aber schien der Umstand, daß ein gutgekleideter Mensch ins Gefängnis geführt wurde, nicht auffallender, als wenn ein Arbeiter in seinen Werktagskleidern ans Geschäft ging. In einer engen, dunkeln und schmutzigen Straße, durch die sie kamen, stieg ein aufgeregter Redner auf einen Stuhl und erhitzte das Publikum mit den Verbrechen, die der König und die königliche Familie gegen das Volk begangen haben sollten. Aus den paar Worten, die Charles Darnay von der Rede des Mannes verstand, erfuhr er zum erstenmal, daß der König gefangensaß und die auswärtigen Gesandten samt und sonders Paris verlassen hatten. Auf dem ganzen Herweg hatte er, mit Ausnahme von Beauvais, rein nichts von dem Stand der Angelegenheiten erfahren. Durch die Bedeckung und die allgemeine Wachsamkeit war er völlig isoliert worden.

Natürlich wußte er jetzt, daß ihm weit größere Gefahren drohten, als er bei seiner Abreise aus England geahnt hatte: sie umringten ihn bereits dicht genug und kamen voraussichtlich noch schwerer und schwerer. Er mußte sich zugestehen, daß er die Reise wohl unterlassen haben würde, wenn er die Ereignisse einiger Tage hätte voraussehen können. Und doch waren seine Besorgnisse nicht so düster, als sie der Einbildungskraft in dem Lichte der letzten Zeit hätten erscheinen sollen. Obschon er sich kümmerte wegen der Zukunft, so war diese doch ein unbekanntes Etwas, in dessen dunklem Schoß die Hoffnung der Unwissenheit lag. Von dem schrecklichen, Tag und Nacht fortdauernden Schlachten, das innerhalb weniger Umläufe der Uhr die gesegnete Zeit der Herbsternte in eine große blutige Gedenktafel umwandeln sollte, hatte er so wenig eine Ahnung, als sei er durch Jahrtausende davon getrennt. Das »scharfe neugeborene Frauenzimmer, La Guillotine genannt«, kannte er und das Volk im allgemeinen kaum dem Namen nach, und die schrecklichen Taten, die bald durch sie geschehen sollten, schlummerten damals wahrscheinlich noch unbewußt in dem Gehirn ihrer Vollbringer. Wie hätten sie einen Platz finden sollen in den unbestimmten Vorstellungen eines edlen Gemüts? Das Unrecht, das man an ihm übte, wenn man ihn in harter Gefangenschaft hielt und ihn grausam von Weib und Kind trennte, wurde vielleicht zu einem nachhaltigen Akt; aber über dies hinaus fürchtete er nichts Bestimmtes. Allerdings war auch dieser Gedanke schon traurig genug, und unter diesem Eindruck langte er in dem Gefängnis La Force an.

Ein Mann mit einem gedunsenen Gesicht öffnete die feste Pforte. Defarge stellte ihm den »Emigranten Evrémonde« vor.

»Was der Teufel! Wieviel kommen denn noch?« rief der Mann mit dem gedunsenen Gesicht.

Defarge nahm seinen Ablieferungsschein in Empfang, ohne auf den Ausruf zu achten, und entfernte sich mit seinen beiden patriotischen Begleitern.

»Was der Teufel, sag' ich wieder«, bemerkte der Kerkermeister, sobald er mit seinem Weib allein war, »nimmt's noch kein Ende?«

Die Frau Kerkermeisterin, die auf diese Frage mit keiner Antwort vorgesehen war, entgegnete nur: »Man muß Geduld haben, mein Lieber.« Drei Schließer, die auf den Ruf einer Klingel eintraten, waren derselben Meinung, und einer derselben fügte bei: »Um der Freiheit willen!« – ein Ausdruck, der an einem solchen Ort gar nicht am Platze zu sein schien.

La Force war ein unheimliches Gefängnis, dunkel, schmutzig und mit dem abscheulichen Geruch ungesunden Schlafes angefüllt. Es ist außerordentlich, wie bald der widerliche Duft des Schlafs von Gefangenen an Plätzen sich bemerklich macht, die nicht ordentlich gehalten werden.

»Auch ins Geheimnis«, brummte der Kerkermeister, den Papierstreifen betrachtend. »Als ob es nicht schon voll wäre zum Platzen.«

Er steckte übellaunig das Papier an einen Drahtstift, und Charles Darnay wartete eine halbe Stunde, was man weiter mit ihm anfangen würde, wobei er bald in dem hochgewölbten Raume auf und ab ging, bald auf einem steinernen Sitz ausruhte. Diese ganze Zeit über war er ein Gegenstand der Studie für den Kerkermeister und seine Untergebenen, die seine Person ihrem Gedächtnis einprägen wollten.

»Kommt«, sagte endlich der Kerkermeister, indem er seine Schlüssel aufnahm; »kommt mit mir, Emigrant.«

Sein neuer Schützling begleitete ihn über Flur und Treppe durch die unheimliche Gefängnisdämmerung, und viele Türen schlugen hinter ihnen zu und wurden abgeschlossen, bis sie ein großes, niederes, gewölbtes Gelaß erreichten, das von Gefangenen beiderlei Geschlechts wimmelte. Die Frauen saßen lesend und schreibend, strickend, nähend und stickend an einem großen Tisch, und die Männer standen meist hinter ihren Stühlen oder schlenderten in dem Raume auf und ab.

In dem instinktartigen Gefühl, das mit Gefangenen nur schwere Verbrechen oder Vergehen in Verbindung bringt, schrak der neue Ankömmling vor dieser Gesellschaft zurück. Aber die befremdlichste Anknüpfung an seinen langen, ihm nur wie ein Traum vorkommenden Ritt war, daß sie sich alle erhoben, um mit der ganzen feinen Bildung der damaligen Zeit, mit der vollen gewinnenden Anmut und Höflichkeit des Lebens ihn zu empfangen.

Diese Feinheit war so seltsam umwölkt von den Manieren und dem Düster des Gefängnisses und nahm sich so gespenstisch aus in dem unharmonischen Qualm und Elend ihrer Umgebung, daß Charles Darnay in einer Gesellschaft von Toten zu stehen vermeinte. Lauter Gespenster! Das Gespenst der Schönheit, das Gespenst der Stattlichkeit, das Gespenst der Eleganz, das Gespenst des Stolzes, das Gespenst der Leichtfertigkeit, das Gespenst des Witzes, das Gespenst der Jugend, das Gespenst des Alters, alle harrten ihrer Erlösung von dem öden Gestade alle wandten ihm Blicke zu, verändert durch den Tod, den sie gestorben waren, als sie hierherkamen.

Er blieb regungslos stehen. Der Kerkermeister hielt sich an seiner Seite, und die Schließer gingen umher. Sie wären vielleicht in ihren gewöhnlichen dienstlichen Verrichtungen leidlich genug gewesen, im Gegensatz aber zu den anwesenden jammernden Müttern und blühenden Töchtern, zu den Bildern der Gefallsucht, der jugendlichen Schönheit und matronenhaften Würde nahmen sie sich so ungemein roh aus, sodaß das Widerspiel von aller seitherigen Erfahrung und Wahrscheinlichkeit, das die Szene darbot, auf den höchsten Höhepunkt getrieben zu sein schien. Sicherlich lauter Gespenster! Sicherlich hatte der lange Traum von dem Ritt, ein krankhaftes Phantasiegebild, ihn unter diese nächtigen Schatten geführt!

»Im Namen der versammelten Unglücksgefährten«, sagte ein Herr von höflichem Aussehen und Benehmen, der auf ihn zukam, »gebe ich mir die Ehre, Euch in La Force zu bewillkommnen und Euch unser Bedauern auszudrücken wegen des Unsterns, der Euch unter uns geführt hat. Möge es sich bald zum Bessern wenden! An jedem anderen Orte wäre es eine Ungebühr, aber hier darf ich Euch wohl nach Eurem Namen und Stand fragen?«

Charles Darnay raffte sich auf und gab die gewünschte Auskunft so gut, wie es eben gehen mochte.

»Ich will nicht hoffen«, sagte der Herr, dem Kerkermeister, der im Zimmer umherging, mit den Augen folgend, »daß Ihr ins Geheimnis sollt?«

»Ich weiß nicht, was ich unter diesem Ausdruck verstehen muß, habe ihn aber wirklich brauchen hören.«

»Ah, das ist schade! Wir bedauern es recht sehr! Doch fasset Mut: mehrere aus unserer Gesellschaft sind anfangs im Geheimnis gewesen, aber es hat nur kurze Zeit gewährt.« Dann fügte er, die Stimme erhebend, bei: »Es tut mir leid, der Gesellschaft mitteilen zu müssen – ins Geheimnis.«

Ein Gemurmel des Bedauerns folgte Charles Darnay, als dieser nach einer vergitterten Tür hinging, wo der Kerkermeister ihn erwartete, und viele Stimmen, unter denen die weichen und mitleidigen der Frauen besonders bemerklich wurden, sandten ihm gute Wünsche und Worte der Ermutigung nach. An der vergitterten Tür wandte er sich um und sprach seinen herzlichen Dank aus; dann schloß sich der Riegel hinter ihm, und die gespenstischen Gestalten entschwanden seinen Blicken für immer.

Innerhalb der Tür befand sich eine aufwärts führende Steintreppe. Nachdem sie vierzig Stufen zurückgelegt (der Gefangene einer halben Stunde hatte sie bereits gezählt), öffnete der Kerkermeister eine niedere schwarze Tür, und sie gelangten in eine Einzelzelle. Es war kalt und feucht darin, aber nicht dunkel.

»Die Eurige«, sagte der Kerkermeister.

»Warum werde ich allein eingesperrt?«

»Wie kann ich dies wissen?«

»Darf ich mir Feder, Tinte und Papier kaufen?«

»Davon steht nichts in meiner Ordre. Man wird Euch besuchen, und Ihr mögt dann fragen. Vorläufig könnt Ihr für Euer Geld nur Lebensmittel haben, weiter nichts.«

In der Zelle befand sich ein Stuhl, ein Tisch und eine Strohmatratze. Der Kerkermeister nahm, ehe er sich entfernte, an diesen Gegenständen und an den vier Mauern eine allgemeine Besichtigung vor, und dem Gefangenen, der ihm gegenüber an der Wand lehnte, kam während dieses Geschäfts die wunderliche Vorstellung, der Mann sei im Gesicht und am Leib so ungesund gedunsen, daß er aussehe wie ein mit Wasser gefüllter Ertrunkener. Nachdem derselbe fort war, dachte er weiter in seiner träumerischen Weise: »Jetzt bin ich verlassen wie ein Toter.« Er beugte sich nieder, um die Matratze zu beaugenscheinigen, wandte sich aber mit Grauen davon ab und sagte zu sich selbst: »Und in diesen kriechenden Geschöpfen erkenne ich den ersten Zustand des Leibes nach dem Tode.«

»Fünf Schritte bei vier und ein halb, fünf Schritte bei vier und ein halb, fünf Schritte bei vier und ein halb.« Der Gefangene ging in der Zelle auf und ab, maß ihre Länge und Breite, und von der Stadt her vernahm er einen Lärm wie von gedämpften Trommeln, in den sich ein wildes Geschrei mengte. »Er machte Schuhe, er machte Schuhe, er machte Schuhe.« Der Gefangene zählte wieder sein Maß und schritt schneller, um jene Laute seinem Sinn zu entschlagen. Die Geister, die verschwanden, als die Tür geschlossen wurde – es war einer darunter, der aussah wie eine schwarzgekleidete Frau; sie lehnte in einer Fenstervertiefung, das Licht schien wieder auf ihr goldiges Haar, und sie glich **** »Um Gotteswillen, machen wir, daß wir fortkommen aus diesen beleuchteten Städten, wo alle Leute wach sind! **** Er machte Schuhe, er machte Schuhe, er machte Schuhe. **** Fünf Schritte bei vier und ein halb.« So wogte es in den Tiefen seiner Seele auf und nieder. Der Gefangene ging schneller und schneller, hartnäckig fortzählend. Und der Lärm der Stadt änderte sich in solcher Weise, daß es immer noch klang wie gedämpfte Trommeln. Aber das Wehklagen ihm bekannter Stimmen überbot diese Töne.

 

*

 

Zweites Kapitel. Der Schleifstein.

 

Tellsons Bank befand sich in dem Saint-Germain-Viertel von Paris und hatte den einen Flügel eines großen Hauses inne, das vermittelst eines Hofes zugängig und gegen die Straße durch eine hohe Mauer und ein starkes Tor abgesperrt war. Das Haus gehörte einem vornehmen Adligen, der es bewohnt hatte, bis er sich in der Kleidung seines Koches den Unruhen entzog und über die Grenze ging. Jetzt ein gehetztes Wild, das vor den Jägern floh, war er doch trotz seiner Umwandlung kein anderer als derselbe Monseigneur, der für Mundgerechtmachung seiner Schokolade drei starke Männer brauchte, den Koch nicht mitgerechnet.

Monseigneur war fort, und die drei starken Männer taten für die Sünde, ihm einen hohen Lohn abgenommen zu haben, dadurch Buße, daß sie sich mehr als bereit und willig erwiesen, ihm am Altar der aufdämmernden einen und unteilbaren Republik mit dem Motto Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit oder Tod den Hals abzuschneiden. Monseigneurs Haus war anfangs mit Sequester belegt und dann vom Fiskus eingezogen worden. Es ging mit allen Dingen so schnell, und Dekret folgte auf Dekret mit so wilder Hast, daß jetzt in der dritten Nacht des herbstlichen Monats September patriotische Regierungskommissare im Besitz von Monseigneurs Haus waren, es mit der Trikolore bezeichnet hatten und in den Prunkzimmern Branntwein tranken.

Ein Geschäftsplatz in London, wie Tellsons Geschäftsplatz in Paris war, würde das Haus bald aus dem Häuschen und in die Zeitung gebracht haben. Denn was hätte wohl die gesetzte britische Achtbarkeit und Zahlungsfähigkeit zu den Kübeln mit Orangenbäumen in einem Bankhof, oder gar zu einem Liebesgott über dem Zahltisch gesagt? Doch so war es nun einmal. Tellsons hatten zwar den Kupido übertüncht; aber man konnte ihn noch immer in seiner leichten Leinwandbekleidung an der Decke sehen, wie er seinem nicht seltenen Brauche gemäß vom Morgen bis in die Nacht nach dem Geld zielte. In der Londoner Lombardstraße wäre durch den blinden Heiden [Amor als Liebesgott wird oft blind dargestellt; daher »der blinde Heide«; Anm. d. Hrsg.], durch den mit einem Vorhang versehenen Alkoven hinter dem unsterblichen Knaben, durch den in die Wand eingelassenen Spiegel und durch die jungen Kontoristen, die bei jeder Gelegenheit an öffentlichen Tanzbelustigungen teilnahmen, unvermeidlich der Bankerott herbeigeführt worden. In Frankreich aber konnten Tellsons mit solchen Dingen recht gut fortfahren, ohne daß, solang die Zeit nicht aus ihrem Geleise kam, irgend jemand sich darüber entsetzte und sein Geld zurücknahm.

Welches Geld fortan gezogen wurde auf Tellsons und wieviel dort liegenblieb, verloren oder vergessen, welche Vorräte von Silbergeschirr und Geschmeide in Tellsons Verstecken lagen, während deren Inhaber in Gefängnissen moderten oder im Laufe der Zelt einen gewaltsamen Tod fanden; wie viele Abrechnungen mit Tellsons in dieser Welt nimmer zum Abschluß kommen sollten, sondern in die andere hinübergeschleppt werden mußten – niemand hätte in jener Nacht mehr Auskunft darüber geben können als Mr. Jarvis Lorry, obschon ihm diese Fragen schwer zu schaffen machten. Er saß bei einem frisch angezündeten Holzfeuer (das schlimme und unfruchtbare Jahr war frühzeitig kalt geworden), und auf seinem ehrlichen, mutigen Gesichte lag ein tieferer Schatten, als ihn die Hängelampe werfen oder irgendein Gegenstand im Zimmer verzerrt wiedergeben konnte – ein Schatten des Entsetzens.

Er hatte die Räumlichkeiten der Bank bezogen, voll Treue gegen das Haus, von dem er ein Teil geworden wie der tiefwurzelnde Efeu. Sie erfreuten sich zufällig einer gewissen Sicherheit infolge der patriotischen Bestimmung des Hauptgebäudes. Aber das treue Herz des alten Ehrenmannes nahm dies nicht in Anschlag. Seiner Pflichterfüllung gegenüber waren ihm solche Nebenumstände gleichgültig. Auf der anderen Seite des Hofes, unter einer Kolonnade, befand sich ein ausgedehnter Kutschenraum, in dem noch immer Monseigneurs Kutschen standen. An zweien der Säulen waren zwei große flackernde Pechpfannen befestigt, und vor ihnen, im Freien, sah man einen mächtigen Schleifstein, eine rohe Maschine, die man augenscheinlich in der Eile aus einer benachbarten Schmiede oder sonstigen Werkstätte herbeigeschafft hatte. Mr. Lorry schauderte, wenn er beim Aufstehen durch das Fenster dieser harmlosen Gegenstände ansichtig wurde, und kehrte dann wieder zu seinem Sitz am Feuer zurück. Er hatte nicht nur das Glasfenster, sondern auch die Blenden davor geöffnet und mit zitternden Händen beide wieder geschlossen.

Von der Straße hinter der hohen Mauer und dem starken Tor her vernahm man das gewöhnliche Gesumm einer großen Stadt und daraus bisweilen unbeschreibliches Klingen, gespenstisch und unirdisch, als ob ungewohnte Töne von schrecklicher Beschaffenheit zum Himmel aufstiegen.

»Gott sei Dank«, sagte Mr. Lorry, die Hände zusammenschlagend, »daß niemand, der mir nah und teuer ist, sich heute nacht in dieser schrecklichen Stadt befindet. Möge Er Erbarmen haben mit allen, die in Gefahr sind!«

Bald nachher ertönte die Glocke an dem großen Tor. »Sie sind zurückgekommen«, dachte er und blieb lauschend sitzen. Aber es brach nicht geräuschvoll in den Hof herein, wie er erwartet hatte. Er hörte, wie das Tor wieder zuschlug: dann war alles still.