Eine Hochzeit in den Hamptons - Shelia Fisher - E-Book

Eine Hochzeit in den Hamptons E-Book

Shelia Fisher

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Beschreibung

Logan Harper ist Mitte vierzig, charmant, ungebunden, vermögend und demzufolge von der Damenwelt begehrt. Dass seine Leidenschaft dem Surfen anstatt einer festen Bindung gilt, hat seine Gründe. Das ändert sich, als er in einer Strandbar Emily näherkommt. Ihre offene Art fasziniert ihn und unerwartet fühlt er sich zu ihr hingezogen. Doch plötzlich wird er von seiner bewegten Vergangenheit eingeholt, die er in den letzten zwanzig Jahren strikt ausgeblendet hatte. Dazu gehörte auch eine Frau, die eine bedeutende Rolle in seinem Leben spielte. Logan steht vor der Wahl, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen oder sie für immer zu begraben. Wie wird er sich entscheiden?

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Seitenzahl: 319

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Shelia Fisher ist das Pseudonym der deutschen Autorin Silke Fischer, die 1967 das Licht in dieser verrückten Welt erblickte und viele Jahre später Betriebswirtschaft studierte.

Heute ist sie mit ihrer Familie und Hund ansässig am schönen Niederrhein.

2017 erfüllte sie sich ihren lang gehegten Jugendtraum und veröffentlichte ihr erstes Buch. Seitdem schreibt sie Liebesromane sowie romantische Thriller, die meistens mit einer Portion Humor gespickt sind.

Besuchen Sie die Autorin im Internet:

www.sheliafisher.de

Man kann die Zeit nicht aufhalten, aber für die Liebe bleibt sie manchmal stehen.

Pearl S. Buck

Inhaltsverzeichnis

Chapter 1

Chapter 2

Chapter 3

Chapter 4

Chapter 5

Chapter 6

Chapter 7

Chapter 8

Chapter 9

Chapter 10

Chapter 11

Chapter 12

Chapter 13

Chapter 14

Chapter 15

Chapter 16

Chapter 17

Chapter 18

Chapter 19

Chapter 20

Chapter 21

Chapter 22

Chapter 23

Chapter 24

Chapter 25

Chapter 26

Chapter 27

Chapter 28

Chapter 29

DANKSAGUNG

Chapter 1

Endlich. Es ist Freitagnachmittag und ich befinde mich auf der Zufahrtsstraße zur Ostspitze von Long Island – eine der Nachbarinseln von Manhattan. Mein Ziel ist die kleine Ortschaft Montauk mit ihrem beschaulichen Leuchtturm, den man auf fast jeder Postkarte von den Hamptons finden kann.

Zu meiner großen Freude ist das Wetter heute traumhaft schön. Es ist Anfang Mai und die Sonne schickt ihre bereits warmen Strahlen vom wolkenlosen blauen Himmel herab. Dagegen sind die Strände nur von einzelnen Touristen bevölkert und nicht – wie im Hochsommer – von ganz Manhattan, denn von dort flüchten die finanzkräftigen New Yorker regelmäßig hierher.

Schon von Weitem kann ich den Leuchtturm sehen, doch der ist nicht mein Ziel. Deshalb biege ich in die nächste Straße in Richtung Strand ab und steuere meinen schwarzen SUV auf den in den Dünen angelegten Parkplatz. Dort wartet bereits ein Mann, der mir missmutig entgegensieht.

Das ist kein gutes Zeichen.

Ich parke mein Auto neben seinem, atme einmal tief durch und öffne die Fahrertür. „Warum guckst du so griesgrämig?“, rufe ich ihm beim Aussteigen zu.

„Das würdest du auch machen, wenn du wüsstest, mit wem ich es gerade zu tun hatte“, antwortet er. Dann nimmt er einen tiefen Zug von seiner Zigarette.

„Ist die Scheidungsanwältin zu alt oder nicht dein Typ?“, scherze ich.

Damian ist seit vielen Jahren ein sehr guter Freund von mir und die elitäre Damenwelt reibt sich seit der Trennung von seiner Frau fleißig die Hände. Er ist so alt wie ich – also Mitte vierzig – und der große Fang, wenn es einer Lady gelingt, ihn zu ködern, denn er verkörpert den feurigen italienischen Liebhaber, der dazu die passenden finanziellen Mittel besitzt.

„Weißt du, Logan … als Frau ist die Anwältin der absolute Traum … auf einer Skala von eins bis zehn … ist sie eine glatte Zwanzig … blonde lange Haare, gute Figur und wenn sie dich anlächelt, bekommst du Herzrasen. Doch sobald du ihr Büro betrittst, schiebt sie dir das Messer direkt in den Rücken. Und weißt du auch, warum?“

„Nein …“, sage ich. Ein heftiger Windstoß weht mir ein paar Strähnen von meinen hellbraunen Haaren ins Gesicht, die ich mit der Hand wieder zurückstreiche.

„Weil ich ein Mann bin!“, blafft Damian.

„Nicht jede Frau mag Männer“, entgegne ich und grinse frech.

„Mrs. Madison Jenkins hasst Männer!“, ruft er lautstark aus. Anschließend schnippt er seine Zigarette in den nahestehenden Mülleimer.

„Lade sie zum Dinner ein. Du kannst sie bestimmt vom Gegenteil überzeugen.“

„Logan, du bist ein Blödmann. Ich kämpfe gerade um mein Vermögen und du machst dich darüber lustig. Dir kann sowas natürlich nicht passieren, denn du bist einer der begehrtesten Junggesellen von New York, der einzige Erbe einer der bedeutendsten Architektenfamilien in Amerika und die schönsten Models der Stadt kämpfen darum, mit dir ausgehen zu dürfen.“

„Wow … das bin echt ich? Klingt doch gut. Was habe ich doch für ein tolles Leben“, antworte ich mit einem zynischen Unterton. „Wenn das alles so phänomenal wäre, dann hätte ich heute nicht mit der Ehefrau eines schwerreichen Mannes über vierhundert verschiedene Rottöne diskutieren müssen. Denn die Dame konnte sich nicht entscheiden, welchen sie für die Sitzgruppe im Wintergarten auswählen sollte.“

„Wie jetzt? Du bist doch kein Innenausstatter“, murrt Damian.

„Eben. Ich plane den Wintergarten für das luxuriöse Penthouse. Doch das Projekt droht jetzt an der Farbe des Möbelstoffes zu scheitern.“

„Oje, die haben Probleme.“

„Vielleicht sollte ich den Job wechseln und von hier weggehen.“

Ich wüsste auch schon, wohin – nach London. Doch dort würde wieder mein Herz brennen.

Damian zieht eine dümmliche Grimasse und droht: „Du bleibst gefälligst hier! Ich brauche jemanden, der mich zu den Single-Partys begleitet.“

„Da bin ich raus. Das weißt du. Ich hasse diese berüchtigten Veranstaltungen.“

„Du kannst nicht dein ganzes Leben allein in dem Strandhaus hier in den Hamptons verbringen!“

„Warum nicht? Ich mag die Einsamkeit, die Ruhe und die legere Lebensweise.“

Das hat auch seine Gründe.

„Außerdem habe ich doch ab und zu Besuch. Das reicht mir“, sage ich und lächle verschmitzt.

„Ich verstehe dich nicht.“

„Das musst du auch nicht. Erzähle mir noch etwas von dieser Anwältin und der Forderung von deiner zukünftigen Ex-Frau.“

„Sie fechtet den Ehevertrag an, weil ich ihr nicht wiedergutzumachende seelische Schmerzen zugefügt hätte. Das hat ihr irgend so ein Spinner von Psychologe eingeredet, den natürlich ich bezahle.“

„Du solltest in Zukunft deine Sekretärin auch nicht vor den Augen deiner Frau verführen. Das kommt nicht gut bei den Damen an.“

„Zyniker“, schnaubt Damian.

„Dann gib ihr, was sie will.“

„Was? Sie besteht darauf, die Hälfte meines Vermögens zu erhalten!“

„Jetzt jammere nicht. Dir bleibt doch noch die andere Hälfte.“

„Du bist mir heute zu anstrengend“, sagt er.

Im nächsten Augenblick wendet er sich ab und beginnt, das Surfbrett von dem Dach seines Autos zu montieren.

Ich beobachte ihn dabei kurz, ziehe mir dann meinen Neoprenanzug an und schnalle ebenfalls mein Surfbrett vom Dachgepäckträger ab. Ab jetzt genieße ich jede Minute. Wirklich.

Die einzigartig nach Salz riechende Luft verleiht mir das Gefühl, total unabhängig zu sein. Weit draußen auf dem Wasser gibt es keine gesellschaftlichen Zwänge, Klassenunterschiede, Feindseligkeiten, Neid oder meine bewegte Vergangenheit. Dort bin ich eins mit den Wellen und dem Meer. Das bedeutet für mich Freiheit.

Mit diesem Gefühl stapfe ich barfuß durch den von der Sonne aufgewärmten Sand und fiebere dem sich wild aufbäumenden Meer entgegen. Gleich werde ich das Salz auf meinen Lippen schmecken.

„Welche Schönheit begleitet dich morgen zur Hochzeit deiner Cousine?“, fragt Damian, der neben mir geht mit dem Surfbrett unter dem Arm.

Hochzeit? Morgen?

„Ähm … niemand“, stammle ich. Bis gerade war ich der Meinung, dass meine Cousine Miranda erst eine Woche später heiratet. Jetzt weiß ich auch, warum mir meine Assistentin, Mrs. Perkins, zum Abschied noch etwas wegen der Hochzeit hinterhergerufen hat. Da war ich aber in Gedanken schon ganz woanders.

Verdammt!

„Dann landest du am Single-Tisch, wenn du allein kommst.“

„Lästere nur. Dann ist das eben so.“

Lautstark lasse ich das Surfbrett auf das Wasser klatschen. Sekunden später schwinge ich mich darauf, paddle hinaus aufs Meer und warte auf die erste Welle.

Jetzt hält mich nichts mehr auf.

***

Zwei Stunden später fahre ich die mit weißen Hortensien gesäumte Auffahrt zu meinen Strandhaus hinauf – welches mein Großvater in seiner Pensionszeit für mich entworfen und gebaut hat. Es ist mit weißem Holz vertäfelt, hat große Fenstertüren mit Sprossen, eine überdachte Veranda und zu meiner großen Freude einen direkten Hinterausgang zum Strand. Ich muss nur eine Holztreppe hinuntersteigen und schon spüre ich den Sand unter den Füßen.

Dort würde ich heute auch den Rest meines Abends verbringen, wenn ich nicht das Datum für die Hochzeit meiner Cousine verwechselt hätte. Dieser Umstand bringt mich in arge Bedrängnis, denn das Geschenk steht noch in meinem Penthouse in Manhattan, was ich gleichzeitig als Büro nutze. Jetzt noch einmal zurückzufahren würde ungefähr drei Stunden pro Strecke dauern und den hier stationierten Helikopter meiner Eltern deshalb anzufordern, empfinde ich als totale Verschwendung. Meine Überlegungen gehen deshalb dahin, dass ich morgen früh das Geschenk holen muss. Allerdings besteht dann die Gefahr, dass ich zur Trauung nicht rechtzeitig wieder zurück bin.

Was für eine verzwickte Situation.

Ich brauche Mrs. Perkins und das so schnell wie möglich.

Sobald ich meinen SUV in der Garage geparkt habe, tippe ich hastig den Code für die Entsperrung der Sicherheitsanlage ein und automatisch öffnet sich die Seitentür, die von hier ins Gebäude führt.

Mit nur wenigen Schritten bin ich in der geräumigen Küche und stelle meine Sporttasche auf der Ablagefläche von der Kochinsel ab. In der Seitentasche steckt mein iPhone, welches ich ohne Umschweife heraushole. Dann rufe ich den Kontakt von Mrs. Perkins auf, stelle die Verbindung her und zu meiner großen Freude nimmt sie nach nur ein paar Klingeltönen das Gespräch an. Damit ich den in der Zwischenzeit unbequem gewordenen Neoprenanzug ausziehen kann, stelle ich den Anruf auf laut. „Mrs. Perkins …“, flöte ich.

„Lassen Sie mich raten … Sie haben das Geschenk für Ihre Cousine vergessen.“

„Nicht nur das … ich war der Meinung, die Hochzeit ist erst nächste Woche“, sage ich und öffne dabei den Reißverschluss an meinem Anzug.

„Ich habe Sie heute noch einmal daran erinnert! Na gut, das ist jetzt auch egal. Sie sind doch schon in East Hampton, oder?“

„Ja …“, antworte ich.

„Was ist mit den Blumen?“

„Brauche ich denn welche?“

Umständlich versuche ich mich von dem Neoprenanzug zu befreien, was mich jedes Mal zur Verzweiflung bringt, weil das Material an meiner Haut festklebt.

„Natürlich! Ohne Blumen gehen Sie nicht zur Hochzeit Ihrer Cousine. Ich merke schon, ich muss mich darum kümmern. Die Trauung ist um 12 Uhr, richtig?“

„Mrs. Perkins, ich weiß es nicht!“

„Also 12 Uhr. Ich bin pünktlich um 10 Uhr bei Ihnen. Brauchen Sie noch einen Smoking?“

„Nein! Das habe ich alles hier.“

„Ein weißes Hemd und Fliege auch?“

„Ja …“

„Ist das Hemd gebügelt?“

„Bestimmt …“

„Bestimmt nicht! Ich bin 9.30 Uhr bei Ihnen. Einen schönen Abend noch.“

Bevor ich ihr den ebenfalls wünschen kann, hat sie bereits aufgelegt.

***

Eine Viertelstunde später bin ich frisch geduscht. Unbeholfen zerre ich mir ein weißes T-Shirt über den Kopf und ziehe eine Jeans an. Mein nächster Weg führt in die Küche und dort will ich mir eine Tasse Kaffee zubereiten. Plötzlich höre ich Geräusche und sehe zum Fenster hinaus. Gerade parkt ein Auto vor meiner Eingangstür und meine Cousine Miranda – sie ist zwei Jahre jünger als ich – steigt mit ernster Miene aus. Ihre pechschwarzen Haare wehen ihr dabei ins Gesicht, was sie heute anscheinend nicht stört.

Das ist kein gutes Zeichen!

Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch öffne ich ihr die Tür und sofort fällt sie mir um den Hals. „Ich brauche deine Hilfe“, jammert sie.

„Was ist denn passiert?“, frage ich.

„Ich darf doch reinkommen oder hast du Besuch?“

„Nein! Habe ich nicht … auch wenn … du hast immer Vorrang“, antworte ich. Zeitgleich befreie ich mich aus ihrer Umklammerung und führe sie an der Hand in meine Küche. Dort platziere ich sie am Küchentresen und frage: „Kaffee?“

„Hast du auch was Härteres zu trinken?“

Ernsthaft?

„Wir fangen mit Kaffee an und steigern uns mit der Schwere deines Anliegens, okay?“

„Okay …“, murrt sie.

Während der Kaffeeautomat seine lautstarke Arbeit verrichtet, beobachte ich Miranda, die vor Nervosität einige Strähnen ihrer dunklen Haare um den rechten Zeigefinger wickelt. Ihre sonst so wachsamen braunen Augen sind heute trüb.

Was ist bloß passiert?

Sobald der Kaffee fertig ist, entreiße ich dem Automaten die erste Tasse und schiebe diese über den Tresen zu ihr. „Ich denke mal, du trinkst ihn auch heute schwarz, oder?“

„Ja …“, flüstert sie. So wortkarg kenne ich meine Cousine nicht.

Als ich mich mit meiner Tasse in der Hand neben Miranda setze, bitte ich sie, mir endlich zu erzählen, was passiert ist.

„Hmm …“, beginnt sie, „du weißt doch, dass Jayce schon einmal verheiratet war …“

„Du hast dir einen Rockmusiker als deinen zukünftigen Ehemann ausgesucht, da kann so etwas schon einmal passieren“, sage ich mit ironischem Unterton. Dabei stoße ich sie leicht mit dem Ellenbogen an, um sie wenigstens etwas zum Lächeln zu bringen.

„Das sagt der Richtige“, mault Miranda. „Du hast doch schon einmal von dem Phänomen gehört, dass diese Männer für uns Frauen eine ganz besondere Anziehungskraft besitzen“, setzt sie fort und sieht mich vielsagend an.

„Keine Ahnung, von was du redest“, murmle ich und ignoriere ihren Blick. „Wo waren wir gerade stehengeblieben? Ah, ich weiß es wieder … es ging um Jayce … und dass er schon einmal verheiratet war. Das passierte alles vor deiner Zeit. Als du mit ihm vor zehn Jahren zusammengekommen bist, war er bereits geschieden. Die Ehe dauerte doch nur zwei Monate, weil sie in einer nicht zurechnungsfähigen Laune in Las Vegas geschlossen wurde, oder?“

„Ja, das stimmt. Er hatte sich damals für die Scheidung eine Anwältin aus New York genommen, die nur die Schönen und Reichen als Klienten vertritt.“

„Und das stört dich gerade jetzt?“, frage ich ungläubig.

„Nein! Das wusste ich ja alles … immerhin kenne ich ihn schon länger. Wie du weißt, waren wir eine Zeit lang nur befreundet.“

Ich lache. „Das ist mir nicht entgangen …“

„Ich hatte keine Ahnung, dass er immer noch Kontakt zu dieser Anwältin hat und sie morgen zu unserer Hochzeit eingeladen ist.“

Oh. Diese Konstellation hat einen bitteren Beigeschmack.

„Die ist bestimmt grottenhässlich“, versuche ich Miranda zu beruhigen.

„Ja!“, sagt sie, was eher einem Fauchen ähnelt.

Fünf Sekunden später holt sie ihr iPhone aus ihrer Handtasche, tippt ungehalten auf dem Display herum und drückt es mir fast ins Gesicht. „Auf einer Skala von eins bis zehn … wie hässlich ist sie?“

„Ich kann ja gar nichts sehen“, lüge ich.

Verdammt! Ich muss mir eine vernünftige Antwort überlegen, denn diese Frau ist wirklich sehr attraktiv. Um Zeit zu schinden, nehme ich Miranda das iPhone aus der Hand und betrachte das Foto genauer. Wenn ich die Frage von meiner Cousine ehrlich beantworten soll, dann bekommt die Dame eine gefühlte Zwanzig. Blonde lange Haare, blaue Augen und ein umwerfendes Lächeln. Automatisch schiele ich auf die Bildunterschrift und blaffe sofort los: „Die bekommt höchstens eine Zwei!“

„Was? Du sollst ehrlich sein!“

„Mrs. Madison Jenkins hasst Männer!“

„Du kennst sie?“, fragt Miranda. Vor Aufregung hätte sie fast ihre Tasse mit dem restlichen Kaffee verschüttet.

„Nicht persönlich. Immerhin ist sie schon vierzig.“

„Woher weißt du denn das nun schon wieder?“

„Steht als Bildunterschrift neben ihrem Namen“, antworte ich.

„Boah … bin ich blöd“, wimmert sie. Wohl aus Verzweiflung legt sie ihren Kopf auf die kühle Arbeitsplatte.

Ich streiche ihr die ins Gesicht gefallenen Haare zur Seite und sage: „Na, ja … immerhin heiratest du morgen. Da kann man schon mal was übersehen. Übrigens … Damian ist es, der gerade die Bekanntschaft mit ihr macht. Seine noch Noch-Ehefrau hat diese besagte Anwältin engagiert.“

„Echt?“, ruft Miranda und schmeißt dabei ihren Kopf zurück.

Jetzt liegen die Haare wieder richtig.

„Aber ich verstehe immer noch nicht, wozu du meine Hilfe brauchst?“, frage ich.

„Na … wegen dieser Madison … irgendwie macht die Frau mir Angst und weißt du, wenn sie nicht gefährlich wäre, dann hätte mir Jayce von ihr erzählt.“

„Nicht unbedingt. Ich glaube, sie ist eine gute Bekannte von ihm und mehr nicht. Und dass er sie zu eurer Hochzeit einlädt, wird irgendeinen Grund haben. Hast du deinen zukünftigen Mann nicht danach gefragt?“

„Nein!“, schnaubt sie. „Als er mir das erzählt hat, habe ich mir die Autoschlüssel geschnappt und bin einfach abgehauen.“

„Typisch Frau!“, murmle ich.

„Was?“, fragt sie und gibt sich pikiert.

Ich glaube, ich sollte genau jetzt das Thema wechseln.

„Ich hole den Alkohol“, sage ich und stehe auf.

„Du kennst doch noch gar nicht meine Bitte“, entrüstet sich Miranda. Sie packt mich am Arm, sodass es mir unmöglich ist, zu gehen.

„Deine Bitte …?“

„Ja …“, flötet sie und schenkt mir ein verschämtes Lächeln.

Das kann für mich nicht gut ausgehen.

„Logan …“ Nur dieses eine Wort treibt mir schon die Schweißperlen auf die Stirn, denn wenn sie einen Satz mit meinem Vornamen anfängt, dann sind ihre Forderungen meist nicht zu meinem Vorteil. „Ich möchte doch nur, dass du dich morgen etwas um sie kümmerst.“

Ich wusste es!

„Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“

„Doch! Komm schon. Du bist seit meiner Geburt wie mein großer Bruder und die tun sowas für ihre kleine Schwester.“ Mit einem besonderen Augenaufschlag setzt sie die Bedeutung ihrer Worte gekonnt in Szene.

„Da bin ich meinen Eltern dankbar, dass sie sich nicht für weitere Kinder entschieden haben. Überlege mal, ich hätte noch fünf Schwestern, die alle solche Probleme hätten wie du.“

„Logan … du hast aber nur mich“, stellt sie klar.

„Das reicht auch. Ich hole den Wodka“, murre ich, denn den kann ich jetzt gut gebrauchen.

Mit einem leichten Ruck befreie ich mich aus ihrer Umklammerung.

„Du tust das für mich … biiittteee … oder muss ich dir jetzt aufzählen, aus wie vielen kompromittierenden Situationen ich dich schon gerettet habe?“

„Das ist Erpressung! Okay, ich verspreche dir nichts … aber ich kann ein Auge auf sie werfen“, lenke ich ein.

Um jeder weiteren Diskussion aus dem Weg zu gehen, flüchte ich ins Wohnzimmer und hole die Flasche Wodka.

Das kann morgen was werden.

Chapter 2

Mit halboffenen Augen blicke ich in die Sonne, die ihre Strahlen durch die gekippten Holzjalousien am Morgen schickt.

Der gestrige Abend wurde durch die Zugabe von Alkohol doch länger als für Miranda und mich gut war. Immerhin heiratet sie heute ihre große Liebe Jayce, den auch ich schon viele Jahre kenne und ihn mittlerweile als meinen besten Freund bezeichne. Wir sind uns damals in London begegnet und er gehört zu den positiven Aspekten meiner bewegten Vergangenheit, über die wir – im stillen Einvernehmen – beharrlich schweigen. Er ist wirklich ein cooler Typ und obwohl ihm die Damenwelt zu Füßen liegt, hat er nur Augen für meine Cousine. Deshalb glaube ich auch nicht, dass von dieser Anwältin, Mrs. Jenkins, eine Gefahr ausgeht, wovor sich Miranda so fürchtet. Eigentlich hoffe ich, dass diese Frau zur Hochzeit erst gar nicht erscheint. Bei den Gedanken an sie habe ich automatisch ihr Bild wieder vor meinem geistigen Auge. Sekunden später kämpfe ich mit einem Schweißausbruch, der befürchten lässt, dass ich diese Nacht von ihr geträumt habe.

Das kann nur ein Albtraum gewesen sein.

Mit dieser Vorstellung wühle ich mich aus meiner Bettdecke, stehe auf und sehe wie jeden Morgen zum Fenster hinaus. Warum ich das tue, weiß ich auch nach den fünfzehn Jahren nicht, die ich schon hier wohne. Während ich so dastehe und darüber nachdenke, schiebt sich plötzlich eine weiße Limousine in mein Blickfeld.

Verflucht.

Hektisch greife ich zu meinem iPhone, welches auf dem weißen Beistelltisch liegt und reiße es vom Ladestation. Die Zeitangabe, die mir auf dem Display provokativ entgegen leuchtet, versetzt mich in Panik. Es ist 9.30 Uhr und genau in diesem Moment parkt Mrs. Perkins ihre Limousine in meiner Einfahrt. Da ich zum jetzigen Zeitpunkt weder geduscht noch angezogen bin, sollte ich mich beeilen.

Synchron mit dem Klopfen an meiner Haustür stürze ich ins Bad nebenan und zerre meinen Bademantel vom Kleiderbügel. Während ich zurück zur Tür laufe, ziehe ich mich an und öffne genau in dem Moment, als Mrs. Perkins anscheinend zum erneuten Klopfen ansetzen will. Das nehme ich zumindest an, denn sie hält ihren Arm in der entsprechenden Haltung.

„Guten Morgen“, tröte ich.

„Huch! Jetzt jagen Sie doch einer älteren Dame nicht so einen Schrecken ein“, sagt die kleine Frau mit den dunkelblonden kurzen Haaren.

„Sie sind doch im besten Alter“, säusle ich. Mrs. Perkins feierte Anfang des Jahres ihren neunundfünfzigsten Geburtstag.

Plötzlich verdeckt sie mit ihrer linken Hand ihre Augen und fragt: „Hat Ihr Bademantel keine Knöpfe?“

Knöpfe? Am Bademantel?

Instinktiv suche ich danach – obwohl ich weiß, dass da keine sind – und entdecke, dass ich in meiner Hektik das Kleidungsstück nicht richtig geschlossen habe.

Oh, wie peinlich.

Trotzdem ringt mir die Situation ein Lächeln ab, denn Mrs. Perkins ertappt mich nicht zum ersten Mal in einer pikanten Situation. Sie hat mich mindestens schon drei Mal in eindeutiger Position mit einer Frau im Büro erwischt, weil ich ständig vergesse, die Tür zu verschließen.

Nichtsdestotrotz sollte ich mich jetzt beeilen und verschließe meinen Bademantel so, dass ich – ohne anzüglich zu wirken – Besuch empfangen kann.

Charmant, wie ich auch sein kann, greife ich nach dem riesigen Blumenstrauß, den Mrs. Perkins in der rechten Hand hält und frage: „Darf ich Sie auf eine Tasse Kaffee einladen?“

Bevor sie mir antwortet, nimmt sie die Hand von ihren Augen und sieht mich finster an. Erst als sich ihr Gesichtsausdruck etwas erhellt, schnaubt sie: „Also, wenn Sie eine ganze Kanne kochen müssen, dann verzichte ich.“

„Nein, nur für Sie und mich“, antworte mit einem Augenzwinkern. Ich habe ihre zweideutige Anspielung verstanden.

„Na dann …“, sagt sie. „Die Blumen müssen nochmal ins Wasser“, setzt sie energisch nach, mit dem Blick auf meine Hand.

„Das kann gut sein“, antworte ich und gebe ihr den Strauß zurück. „Machen Sie das bitte. Sie kennen sich doch in meinem Haus aus. Ich gehe jetzt erst mal duschen.“

Bevor ich mich umdrehe, um ins Bad zu gehen, erhasche ich noch einen Blick ihres verdutzten Gesichtsausdruckes. „Was haben Sie letzte Nacht gemacht, dass Sie so durcheinander sind?“, fragt sie.

„Bin ich nicht immer so?“

***

Während ich mich einer ausführlichen Körperpflege unterzog, scheint Mrs. Perkins nicht untätig gewesen zu sein. Die kleine Frau flitzt mit meinem weißen Hemd in der Hand, welches sie bestimmt noch einmal aufgebügelt hat, an mir vorbei und trägt es vor sich her wie eine erbeutete Trophäe.

„Mrs. Perkins?“, rufe ich. Mir ist unter der Dusche der wahre Grund eingefallen, warum sie eigentlich hier ist. „Das Geschenk haben Sie doch mitgebracht?“

Abrupt bleibt sie in der Mitte des Wohnzimmers stehen und sagt: „Natürlich! Das ist allerdings noch in meinem Auto. Ohne die Hilfe meines Mannes hätte ich diese komische Statue nicht tragen können.“

„Dann richten Sie Ihrem Mann ein großes Dankeschön von mir aus“, bitte ich.

„Na, so schwer war sie nun auch wieder nicht“, sagt sie, während sie mein Hemd ins Schlafzimmer bringt.

Miranda ist ein riesiger Fan von Statuen, die verliebte Pärchen darstellen. Ich habe keine Ahnung, wie viele sie davon schon gesammelt hat, aber ich weiß, dass ihre außergewöhnliche Leidenschaft für diese Skulpturen immer noch lichterloh brennt. Deshalb habe ich – auch wenn der Hochzeitscode besagt, dass jeder auf Geschenke verzichten und stattdessen für eine gemeinnützige Stiftung eine großzügige Spende hinterlassen soll – ihr ein besonders schönes Exemplar von einem befreundeten Bildhauer anfertigen lassen.

Mein Beitrag für die Stiftung ist der Entwurf eines Bauplanes für die Erweiterung der Kinderstation, in der meine Mutter als leitende Ärztin arbeitet. Außerdem ist sie die Bevollmächtigte der Stiftung, allerdings schweigt sie sich beharrlich über die Person aus, die dahintersteckt. Manchmal tippe ich auf meinen Vater, doch meine Mutter verneint das vehement. Jedenfalls musste ich nicht lange überlegen, als sie mich fragte, ob ich den Bauplan entwerfen würde.

Es war und ist mir wirklich eine Ehre.

„Mr. Harper! Sie sollten sich so langsam anziehen!“, mahnt Mrs. Perkins und holt mich damit aus meinen Gedanken.

„Ich habe doch noch Zeit“, wende ich ein.

Anschließend schlurfe in die Küche, denn ich brauche dringend einen Kaffee und eine Tablette gegen meine stärker werdenden Kopfschmerzen.

„Sie sind aber nur mit einem Badehandtuch um die Hüften bekleidet und Ihre doch sehr auffälligen Tattoos kenne ich bereits. Außerdem bin ich mit Ihnen allein hier. Das schickt sich nicht …“, ruft sie mir hinterher.

„Haben Sie Angst, dass ich Sie verführe?“

„Um Himmels Willen. Ich passe doch gar nicht in Ihr Beuteschema“, sagt sie, als sie die Küche betritt.

„Ich habe doch gar keins!“, lüge ich. In Wahrheit stimmt das nicht. Es gab in meinem Leben eine Frau, die ich sogar heiraten wollte. Wegen ihr brannte mein Herz lichterloh. Das hat aber etwas mit meiner bewegten Vergangenheit zu tun, die ich strikt verheimliche.

„Nein? Also ich finde schon. Ich arbeite seit knapp fünfzehn Jahren für Sie und die Models sind nicht älter geworden. Gut, bei der Haarfarbe sind Sie nicht wählerisch … da nehmen Sie alles …“

„Also … kein festes Schema!“, erwidere ich hartnäckig, während ich den Kaffeeautomaten bediene. Danach jongliere ich die vollen Tassen bis zum Tresen und bitte Mrs. Perkins, sich zu setzen.

Nur zögerlich nimmt sie meine Einladung an und lässt sich, um einen Stuhl versetzt, neben mir nieder. Fast gleichzeitig trinken wir den ersten Schluck.

„Übrigens …“, beginnt Mrs. Perkins, „eine Madison Jenkins hat …“

„Stopp!“, rufe ich.

„Ich habe doch noch gar nichts gesagt“, echauffiert sie sich.

„Allein der Name reicht schon. Was will sie von mir? Wenn die Frau glaubt, ich sage gegen Damian aus, dann hat sie sich getäuscht.“

„Nehmen Sie erst einmal eine Tablette gegen Ihre Kopfschmerzen“, brummt Mrs. Perkins und schiebt mir das Medikament zu.

Woher hat sie das denn jetzt? Egal.

Missmutig breche ich mir eine Tablette aus der Verpackung und schlucke sie zusammen mit etwas Kaffee hinunter. „Danke!“

„Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie wieder klar denken können …“ Mrs. Perkins betrachtet mich bei ihren Worten mit einer mitleidigen Miene.

„Kann ich!“

„Das ging aber schnell.“

Den ironischen Unterton von ihr habe ich nicht überhört.

„Also, was will diese männerhassende Person von mir?“

„Wie kommen Sie darauf? Ich meine, dass sie keine Männer mag.“

„Das ist doch jetzt egal … sagen Sie es mir einfach.“

„Sie wollte sich bei Ihnen für den gelungenen Entwurf des Anbaus der Kinderstation bedanken und außerdem mitteilen, dass sie sich auf eine Zusammenarbeit mit Ihnen freut …“

„Können Sie das bitte wiederholen?“

„Hören Sie mir nicht zu?“

„Natürlich! Verdammt! Heißt das etwa, dass sie die Anwältin ist, die meine Mutter für die Stiftung engagiert hat?“

„Das erzählte sie Ihnen am Dienstag bei ihrem letzten Besuch.“

„Aber den Namen der Anwältin hat sie mir verschwiegen“, motze ich.

„Nein! Da muss ich Ihnen widersprechen, Mr. Harper.“

Gut.

Ich gebe zu, dass ich manchmal abschalte, wenn meine Mutter in ihren Redefluss verfällt. Natürlich nicht aus Respektlosigkeit, sondern weil sie nicht wieder aufhört und ich ihr nach gefühlten zwei Stunden nicht mehr folgen kann.

Dann muss der Name von Mrs. Madison Jenkins in den restlichen vier Stunden gefallen sein.

Allerdings hat die Einladung zur Hochzeit jetzt für mich eine Begründung. Doch wieso wurde sie ausgerechnet von Mirandas zukünftigem Mann ausgesprochen, der nichts mit der Stiftung zu tun hat?

Das ist sehr verdächtig.

Der Sache werde ich heute auf den Grund gehen. Und die Anwältin bekommt einen Check-up. Wollen wir doch mal sehen, ob sie Männer tatsächlich so hasst.

Mit diesen Gedanken rutsche ich vom Barhocker und frage: „Mrs. Perkins, für wen sind eigentlich die Blumen?“

„Ich dachte für Ihre weibliche Begleitung.“

„Hmm. Ich nehme aber keine mit.“

„Nicht?“, fragt sie und zieht die linke Augenbraue nach oben.

„Nein! Aber ich habe schon eine Idee, wem ich den Strauß überreiche.“

Chapter 3

Ohne Mrs. Perkins – die sich plötzlich als sklavenartiger Antreiber entpuppte – wäre ich wahrscheinlich zu spät zur Hochzeit gekommen. Der Grund dafür ist ganz simpel: mir sind noch einige fehlende Details in dem Entwurf für den Anbau der Kinderstation aufgefallen, die ich natürlich sofort korrigieren musste.

Deshalb fährt mich meine Assistentin persönlich zur Hochzeit, was ich gern vermieden hätte, denn sie ist eine der rasantesten Fahrerinnen, die ich kenne. Die drei verschiedenen Farben einer Verkehrsampel, die – wie wir alle wissen – wichtige Bedeutungen haben, ignoriert sie völlig. Außerdem bin ich mir sicher, dass sie ihr Auto nach Gehör durch die Straßen lenkt. Während ich schon ein Knöllchen für nur zwei Sekunden Stehen im Halteverbot kassiere, passiert bei Mrs. Perkins nach vier Stunden auf dem Gehweg parken schlichtweg nichts. Und es ist nicht so, dass ihre Limousine ordnungsgemäß abgestellt wurde, nein, Mrs. Perkins parkt auch in Lücken, die für ihr Auto eigentlich zu klein sind.

Wie?

Indem sie ihre Limousine einfach schräg hinstellt.

Nun findet die Hochzeit zu meinem Glück nur zwei Kilometer entfernt am Strand statt und auf dem Weg dahin gibt es weder eine Ampel noch große Kreuzungen oder andere Verkehrsknotenpunkte, die zu überwinden wären. Mrs. Perkins muss die Strandstraße einfach nur geradeaus fahren, die von vereinzelten Häusern auf der linken Seite gesäumt ist. Rechts beginnen bereits die Dünen. Deshalb wittere ich wenig Gefahr.

„Mrs. Perkins“, sage ich und meine Tonlage schwankt zwischen Angst und Irritation. „Das ist hier keine Schnellstraße.“

„Sie sind spät dran und jetzt benehmen Sie sich nicht wie ein Mädchen!“

„Bitte, was?“, rufe ich. Indes zeige ich auf ein verliebtes Pärchen, welches scheinbar zusammengeknotet – so sieht es jedenfalls aus – am Straßenrand steht.

„Haben die kein Zuhause?“, schnaubt Mrs. Perkins. Anstatt auszuweichen, hupt sie laut. Sehr laut.

Beide springen vor Schreck in die angrenzende Düne und als ich in den Seitenspiegel blicke, winkt das Paar uns hinterher, allerdings nicht vor Freude.

Als ich wieder nach vorn sehe, erspähe ich eine Ansammlung von Menschen, die sich bestimmt als die ersten Hochzeitsgäste entpuppen.

Ich finde, Mrs. Perkins sollte die Geschwindigkeit ihrer Limousine drosseln, sonst bleiben ein paar Stühle bei der Trauung leer. Deshalb sage ich hastig: „Sie können mich hier rauslassen.“

„Wollen Sie etwa diese komische Statue diese lange Strecke tragen?“

„Das ist kein Problem“, lüge ich.

Kaum habe ich das letzte Wort ausgesprochen, steht bereits die Limousine. Mrs. Perkins hat eine bravouröse Vollbremsung hingelegt. Ein Wunder, dass die Airbags dabei nicht ausgelöst wurden.

„Das ging aber schnell“, sage ich. Jetzt bin ich froh, dass ich mich entschlossen habe, den Rest des Weges zu Fuß zurückzulegen. Auch wenn ich nicht zimperlich in meiner Fahrweise bin, so ist die von Mrs. Perkins recht gewöhnungsbedürftig.

Beim Herausholen der Statue aus dem Kofferraum muss ich meine Entscheidung stark anzweifeln, denn das Geschenk ist größer, als ich es in Erinnerung habe und hat demnach das entsprechende Gewicht. Nun einen Rückzieher zu machen und mich von ihr fahren zu lassen, lässt mein männliches Ego nicht zu. Also bleibt mir nur, die Statue gefühlte fünf Kilometer zu schleppen, obwohl es nur ungefähr zweihundert Meter sind.

Selbst schuld.

Es gelingt mir gerade noch, den Kofferraum zu verschließen, da fährt Mrs. Perkins bereits los. Mir bleibt nur, ihr verhalten zu winken und nett zu lächeln – mehr ist aufgrund von Größe und Gewicht des Geschenks nicht möglich.

Mit einem gewagten Wendemanöver bringt Mrs. Perkins ihre Limousine in die andere Richtung auf Kurs und plötzlich stoppt sie abrupt ab, lässt die Seitenscheibe herunter und ruft mir zu: „Sie haben die Blumen vergessen!“

Die brauche ich jetzt nicht auch noch.

„Behalten Sie das Grünzeug als Dankeschön für Ihre Hilfe“, antworte ich.

„Auch gut“, schnaubt sie und gibt so viel Gas, dass die Limousine einen Satz nach vorn macht. Dann prescht sie davon und ich stehe allein in der prallen Sonne, mit einem Smoking bekleidet und einer verdammt schweren Statue im Arm auf der Strandstraße.

Die anstehende Hochzeit meiner Cousine wäre ein weiteres gesellschaftliches Highlight in der noblen New Yorker Gesellschaft geworden, wenn sie nicht einen – zwar erfolgreichen – Rockmusiker heiraten würde. Besonders mein Onkel mütterlicherseits, der Immobilienmakler hier auf Long Island ist, hätte zu gern eine protzige Feier für seine Tochter ausgerichtet, aber nicht, um Miranda damit glücklich zu machen, sondern um sein scheinheiliges Image weiter auszubauen. Nach außen zelebriert er bei jeder sich bietenden Gelegenheit die perfekte Familie, doch in Wirklichkeit lebt jeder sein eigenes Leben. Meine Tante organisiert das ganze Jahr lang diverse Wohltätigkeitsveranstaltungen, die eher einem Kaffeekränzchen mit ihren reichen Freundinnen gleichen, als dass sie um Spendengelder für bedürftige Menschen wirbt.

Für meinen Onkel ist das Polo-Spiel genauso wichtig wie sein Büro hier auf Long Island. Ob die jungen Sekretärinnen ebenfalls sein Interesse erwecken, kann man nur vermuten.

Miranda ist diesem aufgesetzten Familienleben mit achtzehn Jahren entflohen und hat vorübergehend bei uns gewohnt, bis sie später nach London ging, um Geschichtswissenschaft zu studieren und einige Jahre dort zu bleiben. Zurück kam sie mit einem erfolgreichen Abschluss, viel Lebens- und Berufserfahrung und einem Rockmusiker, den sie zum Schrecken ihrer Eltern heiraten will. Alles Flehen, Drohen und Ignorieren seitens meiner Tante und ihres Mannes schmetterte Miranda ab und setzte ihren Willen durch. Eine Zeit lang lebten sie und Jayce sogar wieder bei meinen Eltern, bis sie ein eigenes Haus hier in den Hamptons gefunden hatten.

***

Mit einigen Schweißperlen auf der Stirn nähere ich mich dem Veranstaltungsort der Hochzeit. Es ist eine verträumte Bar am Ende des langen Sandstrands.

Unter den schon zahlreichen Hochzeitsgästen kann ich sofort meine Mutter ausmachen. Allerdings ist von meinem Vater weit und breit nichts zu sehen. Das ist sehr verdächtig, denn er lässt meine Mutter nur ungern allein. Nicht, weil er kein eigenes Leben hat, sondern weil er wahnsinnig stolz auf sie ist und ein bisschen Eifersucht kommt dazu. Spricht man ihn darauf an, würde er das vehement abstreiten. Für mich sind meine Eltern das absolute Traumpaar, weil sie mit viel Respekt miteinander umgehen.

Das ist in der heutigen Zeit selten geworden.

Mit Verwunderung beobachte ich, wie meine Mutter mit hektischen Bewegungen – sodass ihre halblangen blonden Haare wild durcheinanderwirbeln – dem Pfarrer anscheinend etwas erklärt. Dessen darauffolgende entsetzte Geste lässt nichts Gutes hoffen. Automatisch beschleunige ich meine Schritte und gerate dadurch noch mehr ins Schwitzen. Kurz bevor ich bei beiden eintreffe, verabschiedet sich der Pfarrer und läuft kopfschüttelnd davon.

„Mum! Was ist los?“, rufe ich ihr entgegen.

„Schatz!“, sagt sie, als ich direkt vor ihr stehe und strahlt mich dabei an.

Endlich kann ich die Statue abstellen.

„Ich hasse es, wenn du mich so nennst. Ich habe einen richtigen Namen, den du mir gegeben hast.“

„Was bist du denn heute so zickig? Hat dich eine von deinen Model-Freundinnen versetzt?“

„Darum geht es doch nicht!“

„Wie auch immer … für mich bist du mein Schatz! Basta! Nicht jede Mutter sagt das zu ihrem Kind.“

„Eben … die meisten nennen sie beim Namen“, maule ich. „Aber egal, du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet.“

„Ja …“, sagt sie zögerlich. „Es gibt ein kleines Problem oder nennen wir es eher eine Katastrophe …“

„Mum!“, knurre ich, denn ich kenne ihre Art, wenn es um wichtige Dinge geht. Dann liebt sie es, die Spannung ins Unermessliche zu treiben.

„Die Braut ist weg!“, sagt sie knapp.

Das war ein verdammt kurzer Spannungsbogen.

„Wie? Miranda ist weg?“, röchle ich.

„Na, weg ist nicht da“, erklärt meine Mutter mit störrischer Ruhe. „Ich habe ihr noch beim Anziehen des Brautkleides geholfen und dein Vater wollte sie hierher zur Trauung begleiten, doch er wartet immer noch auf sie. Sie muss aus unserem Haus unbemerkt geflüchtet sein.“

„Moment! Wieso kümmert ihr euch um diese Dinge?“

„Weil mein lieber Bruder und seine reizende Ehefrau es abgelehnt haben, heute zur Hochzeit ihres einzigen Kindes zu kommen. Und deshalb haben dein Vater und ich vor ein paar Tagen die Hochzeitsplanung übernommen.“

„Und Miranda wusste das nicht?“

„Doch. Aber sie hoffte bis zuletzt, dass sie es sich noch einmal anders überlegen.“

„Warum hat sie mir gestern Abend nichts davon erzählt?“, murre ich.

„Sie war bei dir?“, fragt meine Mutter und zieht dabei die Stirn kraus.

„Ja … sie macht sich Sorgen wegen einer Madison Jenkins. Jayce hat ihr bis gestern verschwiegen, dass er sie zur Hochzeit eingeladen hat.“

„Das ist doch lächerlich. Das muss sie nicht. Madison ist keine Gefahr für sie.“

„Woher weißt du das denn?“

„Weil ich sie kenne …“, weicht meine Mutter aus.

„Ich rede von dieser Anwältin“, betone ich.

„Ja, ich weiß, Schatz. Ich habe sie höchstpersönlich engagiert. Das erzählte ich dir letztens.“

„Vielleicht ist Miranda deshalb geflüchtet.“

„Ach, so ein Quatsch! Jayce und Madison arbeiten schon ewig zusammen und da läuft rein gar nichts zwischen denen“, erklärt meine Mutter energisch.

„Schon ewig?“, wiederhole ich mit tiefer Stimme.

„Ups … das war dann wohl doch zu viel Information“, flüstert sie. Zusätzlich hält sie sich die Hand vor den Mund.

Nein, so funktioniert das nicht.

„Hättest du die Güte, mir endlich zu sagen, was für ein Geheimnis du hütest?“

„Nur, wenn du es für dich behältst!“, droht sie mir.

„Nein, natürlich nicht. Ich rufe gleich einen Zeitungsreporter an!“

„Das wäre der Skandal schlechthin“, antwortet meine Mutter.

Als ich das höre, bin ich es, der die Stirn in Falten zieht. „Verkürze den Spannungsbogen, bitte, Mum.“

„Okay … also, du kannst dich doch bestimmt noch an das Gerichtsverfahren erinnern, als es um das Grundstück ging, welches die Stiftung kaufen wollte, damit mit der dringend benötigten Erweiterung der Kinderabteilung des Krankenhauses endlich begonnen werden kann …“

„Die Medien haben mit großem Interesse darüber berichtet …“

„Und wer war gegen den Anbau?“

„Mirandas Vater, der dort ein luxuriöses Hotel bauen wollte …“

„Genau! Und wäre der Name des Stiftungsinhabers bekannt geworden, hätte die versnobte New Yorker Gesellschaft die nächsten Jahre viel Gesprächsstoff und Miranda nie heiraten dürfen …“

„Was hat sie damit zu tun?“

„Ihr zukünftiger Mann steckt hinter der Stiftung und Madison Jenkins hilft ihm seit Jahren im Geheimen. Ohne sie hätte er das Grundstück nie bekommen …“

„Oha! Das sind Neuigkeiten! Und Miranda weiß natürlich nichts davon?“

„Das hätte ihr schon distanziertes Verhältnis zu ihren Eltern noch mehr belastet. Deshalb haben wir es ihr verschwiegen.“

Das kann ich durchaus nachvollziehen.

„Aber das wird doch nicht der Grund sein, warum sie jetzt kurz vor der Trauung durchbrennt … auch, wenn sie es heute durch … wen auch immer … erfahren hätte …“

„Jetzt kommst du ins Spiel. Suche deine Cousine und finde heraus, was los ist. Du hast genau dreißig Minuten … so lange wartet der Pfarrer noch.“

„Ist das so ein blödes Hochzeitsspiel von dir?“, motze ich, denn das ist mir alles zu suspekt.

„Das ist eine gute Idee für deine Hochzeit“, sagt meine Mutter.

„Meine? Die wird es nie geben!“

„Du kannst nicht ewig der einen Frau hinterher trauern. Irgendwann kommt für dich die Richtige und dann bist du fällig! Aber jetzt suchen wir erst mal Miranda!“, erklärt meine Mutter wie selbstverständlich und schickt sich an zu gehen.

Der einen Frau, wiederhole ich tonlos.

„Wo willst du hin?“, frage ich und halte sie am Arm fest.

„Mich um die Hochzeitsgesellschaft kümmern und so tun, als wäre alles in bester Ordnung. Noch weiß niemand von der kleinen Katastrophe …“

„Jayce auch nicht?“

„Untersteh dich, es ihm zu sagen, solange wir nicht wissen, was wirklich los ist!“

„Und wenn sie entführt wurde?“, werfe ich ein.

Plötzlich habe ich ein Bild vor mir, wie Miranda gefesselt in irgendeinem Verschlag gefangen gehalten wird.