New York - Im Reich der Diamanten - Shelia Fisher - E-Book

New York - Im Reich der Diamanten E-Book

Shelia Fisher

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Beschreibung

Aiden Collister wohnt auf der Upper East Side von Manhattan und ist Mitglied des elitären New Yorker Diamond Traders Clubs. Seit dem Tod seiner Frau vor drei Jahren sucht er förmlich die Gefahr. Daher reagiert er bei einem Überfall auf ihn mit äußerster Gelassenheit. Ferner erfährt Aiden dabei, dass auf zwei Mitglieder des Clubs tödliche Anschläge verübt wurden und auch gefälschte Zertifikate von Diamanten eine große Rolle spielen. Zusätzlich kursieren Gerüchte über einen Überfall auf einen Diamantentransport in Angola und eines der seltenen roten Exemplare gerät in Aidens Fokus. Da er vermutet, dass es sich um sogenannte Konfliktdiamanten handelt, fährt er zur Klärung in das Elendsviertel von Pretoria und gerät dort in arge Bedrängnis. Ist er das nächste Mitglied aus dem Club, welches beseitigt werden soll?

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Shelia Fisher ist das Pseudonym der deutschen Autorin Silke Fischer.

Sie wurde 1967 geboren und lebt mit ihrer Familie und Hund am Niederrhein.

Nach abgeschlossenem Wirtschaftsstudium hat sie viele Jahre mit Zahlen jongliert, die sie in der letzten Zeit öfter in Buchstaben umwandelte.

Besuchen Sie die Autorin im Internet:

www.sheliafisher.de

Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verlierer.

- Bertolt Brecht -

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 1

Ein Blick auf meine silberne Armbanduhr sagt mir, dass ich mich beeilen muss. Pünktlich um 20 Uhr beginnt die geheime Zusammenkunft des Komitees des 1931 gegründeten New Yorker Diamond Traders Clubs, zu dem ich seit gut zehn Jahren gehöre.

Mit viel Schwung ziehe ich die Wohnungstür meines Penthouses hinter mir zu, welches auf der Upper East Side liegt - die angeblich wohl schickste und teuerste Ecke in Manhattan - und laufe mit großen Schritten zum Fahrstuhl. Zu meinem Glück ist dieser in nur wenigen Augenblicken auf meiner Etage angekommen und ich kann - ohne Zeitverlust - bis in die Tiefgarage fahren.

Als sich die Fahrstuhltüren wieder öffnen, schlägt mir der Geruch aus einer Mischung von Benzin und abgestandener Luft entgegen. Angewidert rümpfe ich die Nase und begebe mich zu dem Stellplatz meiner schwarzen Limousine.

Schon von Weitem öffne ich mit der Fernbedienung das Auto, als ich plötzlich Schritte hinter mir wahrnehme. Blitzartig drehe ich mich um und sehe in den Lauf eines Revolvers.

„Guten Abend, Mr. Collister“, nuschelt der mit schwarzer Strumpfmaske vermummte Angreifer.

„Den wünsche ich Ihnen ebenfalls“, antworte ich rau und schweige danach. Auch wenn mein Gegenüber eine Maske trägt, so kann ich ihn an seinen Augen erkennen und weiß, um wem es sich handelt. Deshalb schweige ich beharrlich weiter und bewege mich keinen Zentimeter.

„Mr. Collister, wollen Sie nicht wissen, warum ich Sie bedrohe?“, fragt er mich.

„Sie werden es mir bestimmt gleich verraten, Mr. De Cook“, antworte ich provokant.

„Sie wissen … wer ich bin?“, stottert er und seine Hand, in der er den Revolver hält, beginnt zu zittern.

„Natürlich!“, sage ich kalt, drehe mich ruckartig um und trete ihm heftig gegen das rechte Wadenbein. Davon knickt er zusammen und unglücklicherweise löst sich dabei ein Schuss aus seiner Waffe. Die Kugel davon landet anscheinend in der Decke der Tiefgarage und ich bleibe unverletzt.

Ausgerechnet heute bin ich nicht in der Stimmung, mit dem Tod zu flirten. Doch das kann sich schnell wieder ändern.

Um noch weiteren Schaden zu verhindern, packe ich erneut zu und reiße den am ganzen Körper schlotternden Mann den Revolver aus der Hand, sichere ihn und stecke ihn in die Tasche meines braunen Wintermantels.

Danach zerre ich den am Boden sitzenden und vor sich hin murmelnden Mr. De Cook seine schwarze Maske vom Kopf und sehe ihn finster an. „Was sollte das gerade? Wollten Sie mich umbringen?“, blaffe ich und werfe entrüstet die Strumpfmaske auf den grauen Boden der Tiefgarage.

Vor mir bietet sich ein erbärmliches Bild eines gebrochenen Mannes. Seine kurzen grauen Haare stehen ihm wirr zu allen Seiten ab, sein Blick ist leer und seine dunklen Augenringe deuten auf wenig Schlaf in der letzten Zeit hin. Von seiner fahlen Gesichtsfarbe spreche ich erst gar nicht.

„Nein, natürlich nicht, Mr. Collister“, sagt er mit brüchiger Stimme, „aber Sie sind meine letzte Hoffnung.“

Gekünstelt lache ich laut auf, fahre mir danach nervös über meinen Fünf-Tage-Bart und sage: „Ihr Humor ist wirklich bemerkenswert.“

„Ich meine das ernsthaft. Nur Sie sind in der Lage, die Clubmitglieder zu überzeugen, dass ich nicht mit Blutdiamanten gehandelt habe.“

„Die von Ihnen vorgelegten Zertifikate zur eindeutigen Identifizierung der Steine waren gefälscht und deshalb hat man Sie aus dem Club verwiesen. Und …"

„Dann müssen mir die echten Papiere auf dem Transport gestohlen und durch gefälschte ersetzt worden sein“, unterbricht er mich. „Mr. Collister“, redet er im beschwörenden Ton weiter, „Sie wissen, dass ich eines der ältesten Mitglieder in diesem Club bin und mein Vater ihn sozusagen mit gegründet hat. Glauben Sie wirklich, dass ich mit meinen fast achtzig Lebensjahren anfange, mit Blut- oder Konfliktdiamanten zu handeln?“

Das ist wirklich ein aussagekräftiges Argument und ich bin geneigt, ihm zu glauben. Nachdenklich streiche ich mir meine dunkelblonden Haare aus dem Gesicht und starre ihn an.

Die Familie, aus der Mr. De Cook stammt, ist eine alteingesessene jüdische Diamantenhändler-Dynastie aus Antwerpen. Viele von ihnen sind mit dem Ausbruch des zweiten Weltkriegs hierher nach New York gekommen. So auch seine Familie.

Noch heute liegt der Großteil des New Yorker Diamantenhandels in jüdischen Händen, wie schon seit vielen Generationen. Ich weiß das alles so genau, weil mein verstorbener Vater mit der Familie De Cook flüchtig bekannt war. Übrigens hat der Stammbaum meiner Familie seine Wurzeln in London.

„Was ich aber überhaupt nicht verstehe … warum bedrohen Sie mich mit einem Revolver?“, frage ich aufgebracht.

„Hätten Sie mir denn sonst Gehör geschenkt? Immerhin waren Sie ebenfalls im Club anwesend, als die Verdächtigungen gegen mich ausgesprochen wurden … und wirklich kein Mitglied hat sich für mich eingesetzt. Ich bin deshalb zu Ihnen gekommen, weil Ihr Vater immer ein loyaler Mann war und ich glaube, das hat er an Sie weitergegeben.“

Statt Mr. De Cook zu antworten, reiche ich ihm meine Hand und helfe ihm beim Aufstehen.

„Dankeschön, Mr. Collister“, sagt er und reibt sich an seiner Wade.

„Ich wollte Sie nicht verletzen“, entschuldige ich mich.

„Das wird wohl nur ein blauer Fleck werden. Kein Grund zur Panik“, wiegelt Mr. De Cook ab. „Sie haben sich doch nur zur Wehr gesetzt. Darf ich trotzdem noch einmal auf mein Anliegen zurückkommen?“, fragt er zögerlich.

„Erzählen Sie …“, bitte ich ihn höflich.

„Haben Sie sich nicht über die letzten mysteriösen Todesfälle einiger Clubmitglieder gewundert?“, fragt er und sieht mich dabei vielsagend an.

„Sie meinen das plötzliche Ableben letztes Jahr von Mr. Van der Velde?“

„Ja, zum Beispiel. Ein angeblicher Selbstmord. Was für ein Blödsinn. Ich habe ihn noch am Morgen des tragischen Tages beim Joggen getroffen. Glauben Sie wirklich, wenn sich jemand umbringen will, kümmert er sich zuvor noch um seine Gesundheit?“

„Wohl weniger“, gebe ich zu.

„Eben! Und das Jahr zuvor, vielleicht erinnern Sie sich noch an Mr. Devos …“

„Der tödliche Autounfall“, ergänze ich.

„Genau. Ist Ihnen einmal aufgefallen, natürlich mich eingeschlossen, dass diese Männer alle keine männlichen Erben haben?“

„Also, wenn ich ehrlich bin, habe ich mich nicht mit diesem Thema beschäftigt. Aber so, wie Sie es sagen, ergeben diese außergewöhnlichen Vorfälle ein Schema. Frauen haben zu diesem elitären Club bis heute keinen Zugang und sobald ein Mitglied aus Altersgründen ausscheidet, rückt automatisch der männliche Erbe nach. Sollte keiner vorhanden sein, verliert dadurch die Familie ihre Machtposition.“

„So etwas nennt man Ausschalten der Konkurrenz“, sagt Mr. De Cook, „oder die Macht neu verteilen. Da ich als Erbe im Moment nur meine Tochter vorzuweisen habe, weil mein Enkelsohn noch nicht volljährig ist, würde meine Familie jetzt durch diesen Vorfall ihren Status verlieren. Und das will ich um jeden Preis verhindern und deshalb bitte ich Sie um Hilfe.“

„Sie verlangen ziemlich viel von mir“, sage ich nachdenklich.

„Ich weiß und ich bin bereit, dafür einen hohen Preis zu zahlen.“

„Sind Sie sicher?“

„Daran gibt es keinen Zweifel!“, bestätigt er mit fester Stimme.

„Wo haben Sie die angeblichen Konfliktdiamantenerworben?“, will ich nun wissen.

„In Südafrika ... persönlich von Mr. De Beek gekauft“, sagt er mit Nachdruck.

„Von Mr. De Beek?“, wiederhole ich skeptisch. „Ich fliege in zwei Tagen dorthin. Wenn Sie wollen, dann bringen Sie mir morgen ihre Diamanten und die gefälschten Zertifikate vorbei. Ich habe vor Ort ein paar Quellen, die ich befragen werde. Nur machen Sie sich bitte nicht allzu große Hoffnungen, dass ich den Vorfall aufklären kann. Sie wissen selbst, wie viele schwarze Schafe es unter den Diamantenhändlern gibt und es halten sich nicht alle Länder an das Abkommen, welches 2003 beschlossen wurde.“

„Mir müssen Sie das nicht erklären, Mr. Collister. Ich habe die jahrelangen zähen Verhandlungen, bis endlich dieses Abkommen zustande kam, mitverfolgt. Dass nur mit Diamanten gehandelt werden darf, für die ein legitimer Ursprung nachgewiesen werden kann, sollte eigentlich selbstverständlich sein.“

„Genau … die Papiere enthalten eigens eine erstellte Zertifikatnummer, Laserhologramme oder spezielle Texturen. Und genau gegen eine dieser Auflagen haben Sie verstoßen!“

„Ich schwöre Ihnen, Mr. Collister, die Zertifikate waren echt! Man hat mich getäuscht und dafür habe ich sogar Zeugen. Aber bei einer Verhandlung wird man sie wegen Befangenheit ablehnen.“

„Das kann ich nicht beurteilen“, murre ich und hole aus meiner Manteltasche den Revolver wieder heraus. „Den brauchen Sie morgen nicht wieder mitzubringen. Ich höre Ihnen auch so zu“, sage ich und versuche versöhnlich dabei zu lächeln.

„Sie wissen gar nicht, wie überaus dankbar ich Ihnen bin, Mr. Collister. Und übrigens, noch nachträglich alles Gute zum Geburtstag. Wie fünfzig sehen Sie nun wirklich nicht aus. Ich würde Sie höchstens auf Ende dreißig schätzen.“

„Dankeschön. Aber woher wissen Sie das?“

„Oh, Sie meinen Ihren Geburtstag? Das tragische Schicksal Ihrer Frau hat mich damals sehr berührt … und da es dasselbe Datum ist … entschuldigen Sie bitte, ich hätte das nicht erwähnen dürfen … wie töricht von mir altem Mann.“

„Ist schon gut“, wiegle ich ab.

Über genau dieses Thema möchte ich jetzt nicht sprechen.

„Mr. De Cook. Ich muss mich beeilen“, sage ich deshalb.

„Natürlich, Mr. Collister. Die Versammlung beginnt in fünfzehn Minuten.“

***

Viel zu schnell fahre ich durch die Gänge der Tiefgarage und hätte beinahe eine Radfahrerin an der Ausfahrt auf die

East 62nd Street umgefahren. Diese springt entsetzt von ihrem Rad und beschimpft mich ungehalten. Eigentlich hat sie recht und mir ist der Vorfall auch ziemlich unangenehm, trotzdem bin ich nach wie vor in Zeitnot. Ich entschuldige mich höflich bei ihr und gelobe Besserung.

Dessen ungeachtet presche ich mit Vollgas nun auf die Straße hinaus und fahre die wenigen Meter in Richtung Central Park. Im Rückspiegel sehe ich noch die kopfschüttelnde Frau. Dann biege ich links auf die 5th Avenue ein und muss dieser nur noch geradeaus, bis zur West 47th Street, folgen. Auf der linken Seite fahre ich irgendwann bei Tiffanys & Co. vorbei und auf der rechten Seite sehe ich das Rockefeller-Center.

Zwei Straßen weiter biege ich rechts in die West 47th Street ein und befinde mich auf dem sogenannten Diamond Jewelry Way, wie die Straße auch genannt wird, die sich zwischen der 5th und 6th Avenue befindet. Sie ist bei Weitem nicht so prunkvoll, wie sich der Name anhört. Kein einziger Baum hat es auf dem dreihundert Meter langen Abschnitt geschafft, irgendwo seine Wurzeln zu schlagen und die Gebäude sind ein schäbiger Mix aus verschiedenen Bauepochen. Die Straße ist zudem mit etlichen Schlaglöchern übersät und die Auslagen in den Geschäften sind nüchtern und wenig glamourös.

Doch genau diese Straße - auch Diamanten-Distrikt genannt - ist das Herzstück des US-amerikanischen sowie internationalen Diamantenhandels und man kann als einfacher Besucher nur an der enormen Präsenz von Sicherheitskräften erkennen, dass dieser eine Häuserblock etwas Besonderes sein muss. Mittlerweile haben sich über zweitausendsechshundert Firmen nur auf dieser kleinen Straße angesiedelt und es gibt nichts, was man hier nicht bekommen kann.

Das zwölfstöckige Haus in neugotischer Bauweise, in dem das Treffen stattfindet, liegt direkt an der Ecke zur 5th Avenue und ich erwische die wohl noch letzte freie Parklücke. Was für ein Glück, dass ich jetzt nicht noch zusätzlich Zeit für die Suche eines Parkplatzes aufwenden muss. So schnell wie möglich steige ich aus, verschließe per Fernbedienung das Auto und laufe mit großen Schritten auf den Seiteneingang zu.

Plötzlich höre ich jemanden meinen Namen rufen.

„Aiden? Bist du es?“

Unschlüssig, ob ich jetzt mich umdrehen soll oder nicht, spüre ich soeben eine Hand auf meiner Schulter. Abrupt bleibe ich stehen und warte.

„Kennst du mich nicht mehr?“, fragt mich eine männliche Stimme, die ich schon lange nicht mehr gehört habe.

„Keith!“, sage ich. Dieser steht mittlerweile vor mir und unweigerlich sehe ich in seine braunen Augen, die teilweise von seinen dunklen Locken verdeckt werden. Dass sein Gesicht von einigen verkrusteten Wunden gezeichnet ist, lässt mich einen Schritt zurückweichen. Bevor ich etwas fragen kann, erklärt er mir: „Ich komme gerade aus Angola. Können wir uns in den nächsten Tagen treffen?“

„Angola?“, wiederhole ich argwöhnisch und ziehe eine Augenbraue verächtlich nach oben. So, wie er aussieht, ist er bestimmt mit zwielichtigen Leuten kollidiert, denen er eventuell ein paar Rohdiamanten unterschlagen hat. Zumindest kann ich mir das bei ihm vorstellen.

„Hast du meine Telefonnummer noch?“, will ich wissen.

„Natürlich!“, platzt er heraus.

„Dann rufe mich morgen an! Vielleicht kommen wir ins Geschäft.“

„Ich wusste, dass ich auf dich zählen kann, Aiden.“

„Wir werden sehen“, murre ich und verabschiede mich schnell von ihm. Uns muss hier niemand vor dem Gebäude zusammen sehen.

Im nächsten Augenblick ziehe ich meine goldfarbene Mitgliedskarte aus der Innentasche meines Mantels - in die verschiedene Diamanten zur Erkennung meiner Person eingearbeitet sind - und halte sie an das Überwachungssystem des Gebäudes neben der Eingangstür. Mit dem Summen des Türöffners trete ich zügig ein und laufe, ohne mich großartig weiter umzusehen, zum Fahrstuhl. Mein Ziel ist die zwölfte Etage, denn dort trifft sich das Komitee des Diamond Traders Clubs.

Heute interessiert mich weniger der Diamantenhandel, der in den verschiedenen Stockwerken des Gebäudes betrieben wird - hier werden Rohdiamanten geschliffen, poliert und in Schmuckstücke eingearbeitet - sondern nur, was es mit diesem plötzlich einberufenen Treffen auf sich hat.

Kapitel 2

Gerade noch im zeitlichen Toleranzbereich verlasse ich den Fahrstuhl, laufe den dämmrig beleuchteten Gang entlang und zeige dem wartenden, bewaffneten Sicherheitsmann meine Mitgliedskarte. Dieser nickt mir wohlwollend zu und öffnet einen Augenblick später die Tür zum Clubraum. Sofort bin ich skeptischen Blicken ausgesetzt und einige Mitglieder schielen verstohlen auf ihre Armbanduhren.

„Guten Abend, meine Herren“, sage ich schnell. „Ich weiß, dass ich zehn Minuten zu spät bin. Aber die Politesse, die mich wegen zu schnellen Fahrens angehalten hat, war einfach zu entzückend und ich habe mich deshalb etwas in der Zeit vertan. Ich bitte Sie höflichst um Entschuldigung“, sage ich mit einem dezenten Lächeln.

Jeder im Raum weiß, dass meine Ausrede wahrscheinlich gelogen ist und doch nicken mir fast alle mit einem verstohlenen Lächeln zu. Ich bin mir sicher, dass einige Mitglieder sich die Situation bildlich vorgestellt haben und sich wünschen, von so einer Politesse kontrolliert zu werden.

„Guten Abend, Mr. Collister“, sagt der Vorsitzende Mr. De Groot. „Dann sind wir jetzt vollzählig und ich eröffne hiermit unsere heutige Zusammenkunft.“

Ein nervöses Raunen erfüllt plötzlich den Raum, denn anscheinend weiß niemand, worum es wirklich in der kurzfristig einberufenen Versammlung geht. Einige der Mitglieder scheinen entweder schon länger hier zu sein oder sie rauchen vor Nervosität eine Zigarette oder Zigarre nach der anderen. Jedenfalls ist schon nach kurzer Zeit die Luft zu schwer zum Atmen.

Ich suche mir einen der wenigen freien Plätze um den großen Konferenztisch und lasse mich auf einem braunen Lederstuhl nieder. Wenn ich daran denke, dass sich an der Einrichtung des Raumes seit der Gründung 1931 nichts verändert hat, dann überfällt mich immer wieder eine unendliche Neugier.

Was haben diese alten Möbel schon für geheime Gespräche und diverse Absprachen mitgehört?

Die schnarrende Stimme des Vorsitzenden erhält sofort meine Aufmerksamkeit. Mr. De Groot ist mit seinen einundachtzig Jahren das älteste Mitglied des Clubs und beansprucht deshalb auch den Vorsitz. Dass er ein geborener orthodoxer Jude ist, kann man sehr gut an seiner Kleidung, Bart, Hut und den Schläfenlocken erkennen. Übrigens gehören über die Hälfte der Mitglieder des Clubs dieser Glaubensrichtung an. Sie stammen alle aus alteingesessen Familien, die schon über etliche Generationen mit Diamanten handeln.

„Ich will mein Anliegen … ohne weitere Umschweife sofort darlegen“, beginnt er. „Es werden in den nächsten Tagen einige Händler bei euch auftauchen, die hochwertige Rohdiamanten aus Angola anbieten.“

Bei dem Wort Angola zucke ich leicht zusammen.

„Diese Diamanten stammen aus einer konfliktfreien Mine. Doch auf dem Transport durch das Land sind sie wohl von einheimischen Rebellen gestohlen und danach sofort an diverse Händler weiterverkauft worden. Für uns heißt das … haltet die Augen offen. Die Diamanten sollen laut Aussage von Beobachtern eine ausgezeichnete Reinheit besitzen und außerdem farblos oder sogar in reinem Rot gefunden worden sein.“

Kaum sind die letzten Worte von Mr. De Groot ausgesprochen, da entfacht auch schon eine wilde Diskussion. Manche Männer springen vor Aufregung auf und brüllen förmlich ihre Fragen an den Vorsitzenden und andere wieder bleiben ruhig sitzen und tippen verstohlen Nachrichten in ihre Handys oder Smartphones.

Ich dagegen atme nur tief ein und überlege, was zu tun ist. Für einen Laien mögen die Worte von Mr. De Groot weniger aufregend klingen, aber für uns Händler ist es ein absoluter Volltreffer, der eigentlich keiner sein dürfte. Denn auch wenn die Diamanten konfliktfrei gefördert wurden, so hatten die Rebellen ihre Finger im Spiel und damit schon viel Geld mit dem Verkauf verdient. Deshalb sind sie für uns als Händler eigentlich tabu.

Eigentlich.

So, wie ich das gerade verstanden habe, besitzen die Diamanten die für den Weiterverkauf dringend notwendigen Zertifikate und sind zudem äußerst selten. Für die außerordentlich raren roten Diamanten werden weltweit Liebhaberpreise gezahlt und auch mit den absolut klaren Steinen kann man ein Vermögen verdienen, denn die meisten Diamanten haben eine Gelbsättigung.

Mr. De Groot kann sich nur mit großer Mühe wieder Gehör verschaffen und muss einigen Mitgliedern sogar androhen, sie aus dem Raum entfernen zu lassen, damit sie sich wieder beruhigen.

„Alles, was wir jetzt besprechen, bleibt in diesem Raum und wird nicht nach draußen dringen“, betont er ausdrücklich. „Wenn ihr diese fragwürdigen Diamanten mit Zertifikaten kaufen könnt, dann schlagt zu, bevor es andere tun. Sollten die Zertifikate fehlen, geht der Sache nach … vielleicht können sie neu ausgestellt werden. Bei dem roten Diamanten stellt ihr keine Fragen und kauft ihn, egal, was er kostet. Sollten dabei Liquiditätsprobleme auftreten, dann wisst ihr alle, wie ihr mich und unsere hauseigene Bank erreichen könnt. Gibt es sonst noch Fragen?“

Nein, die gibt es nicht.

Jeder weiß für sich, was er jetzt zu tun hat. Ich muss mich noch heute Abend mit Keith in Verbindung setzen. Morgen kann es schon zu spät sein.

***

Fünfzehn Minuten später sitze ich bereits wieder in meiner Limousine. Gerade will ich starten, da vibriert mein Smartphone. Eine Nachricht.

Natürlich sehe ich sofort nach, von wem sie ist.

„Gillian“, brumme ich vor mich hin. Ich kann mir fast denken, um was es sich handelt und deshalb schmeiße ich mein Smartphone - ohne ihre Nachricht zu lesen - auf den Beifahrersitz.

Sobald sich die Limousine wieder in den Verkehr der 5th Avenue eingereiht hat, rufe ich über die Freisprechanlage Keith an.

„Aiden“, meldet sich dieser erfreut.

„In einer halben Stunde bei mir und bringe deine Andenken aus deinem letzten Urlaub mit“, blaffe ich.

„Hat es sich schon herumgesprochen?“, knurrt Keith daraufhin.

„Ich weiß nicht, was du meinst", bemerke ich lapidar, beende das Gespräch und fahre zurück zu meiner Wohnung.

Als ich in die East 62nd Street einbiege, sehe ich schon Gillians Cabrio vor meinem Apartmenthaus stehen.

„Verdammt! Ich hätte ihre Nachricht doch lesen sollen!“, fluche ich vor mich hin.

Viel zu schnell fahre ich daraufhin in die Tiefgarage, parke auf meinem Stellplatz und verlasse ziemlich ungehalten mein Auto. Mit großen Schritten laufe ich zum Fahrstuhl und drücke auf den Kopf für die Etage zu meinem Penthouse.

Als sich die Fahrstuhltüren wieder öffnen, laufe ich direkt in Gillians Arme. „Ich hatte Sehnsucht nach dir“, flötet sie sofort los.

„So funktioniert das nicht“, brumme ich, während ich die Wohnungstür öffne.

Mit einem Wink bitte ich sie herein und gerade, als sie ihren Mantel ausziehen will, sage ich: „Lass' das bitte!“ Ich weiß mittlerweile, was sie darunter trägt, denn ich habe ihre Nachricht im Fahrstuhl noch geöffnet und natürlich auch gelesen. Sie hat mir ein wirklich aufregendes Foto - auf dem sie nur mit atemberaubenden Dessous bekleidet ist - geschickt.

Gillian gehört zu dieser Sorte Frauen, der man als Mann eigentlich nicht widerstehen kann. Sie ist jung, hat eine makellose Figur und ihre langen blonden Haare umranden ein wunderschönes Gesicht.

Mit beleidigter Miene sieht sie mich jetzt an und fragt mich gekränkt: „Wir haben uns mindestens vierzehn Tage nicht gesehen und du meldest dich nur sporadisch bei mir. Was soll das alles, Aiden?“

„Ich habe viel zu tun“, weiche ich aus.

In der Zwischenzeit habe ich meinen Mantel ausgezogen und ihn über den dunkelroten Ohrensessel im Flur gelegt.

„Willst du mich nicht wenigstens hereinbitten, oder fertigst du mich gleich hier ab?“, fragt sie.

„Ich erwarte in ein paar Minuten einen Geschäftskunden“, antworte ich. „Außerdem kannst du hier nicht einfach so auftauchen, wie es dir passt, Gillian!“

„Was funktioniert denn überhaupt bei uns?“, will sie jetzt grantig wissen.

„Gillian!“, rufe ich ungehalten.

„Was?“, faucht sie und drängt sich an mir vorbei, um ins Wohnzimmer zugehen.

Genau das wollte ich verhindern.

Abrupt bleibt sie mitten im Raum stehen und sieht sich intensiv um. Die Fotos, die auf meinem Sekretär stehen, nimmt sie sofort ins Visier. Ich merke, wie mein Puls daraufhin steigt und ich kaum noch atmen kann. Am liebsten würde ich augenblicklich aus meiner Wohnung fliehen.

„Deine Frau war wirklich wunderschön“, höre ich Gillian leise sagen. „Und sie ist der krasse Gegensatz zu mir.“

Das stimmt.

Josephine stammte aus Brasilien und sie war eine dunkelhaarige Schönheit. Sie arbeitete als junge Frau in der Modelbranche und gründete später ihre eigene Agentur hier in New York. Kennengelernt haben wir uns vor zwanzig Jahren in einer Bar in London. Wir waren damals beide geschäftlich dort. Es war Magie auf den ersten Blick und ein halbes Jahr später waren wir bereits verheiratet. Trotz, dass wir beide beruflich viel unterwegs waren und uns wochenlang nicht sahen, verging unsere Liebe nicht. Im Gegenteil - das Wiedersehen feierten wir tagelang im Bett und standen nur auf, wenn wir Hunger hatten.

Und dann kam der große Schicksalsschlag für uns beide. Bei einer Routineuntersuchung stellten die Ärzte bei ihr einen bösartigen Tumor an der Leber fest und dieser hatte bereits gestreut.

„Ist sie der Grund, warum du mich noch nie in deine Wohnung eingeladen hast?“, will Gillian wissen. Sie starrt dabei immer noch auf die Fotos von Josephine.

„Vielleicht“, sage ich ausweichend.

„Sie hat auch die Wohnung eingerichtet und ich bin mir sicher, du hast seit ihrem Tod nichts verändert.“

„Ich bin jetzt nicht in der Stimmung, um darüber zu reden“, brumme ich.

„Wann dann?", fragt sie und dreht sich soeben zu mir um. Ihre braunen Augen nehmen mich sofort ins Visier. „Deine Frau ist vor drei Jahren verstorben, richtig?“

„Hmm.“

„Wir kennen uns jetzt seit einem Jahr und du bist in dieser Zeit keine einzige Nacht bei mir geblieben. Mehr als ein paar Stunden hast du es in meiner Nähe nicht ausgehalten …“

„Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass ich keine Beziehung will. Und du … hast dich darauf eingelassen. Du kannst mir nicht unterstellen, dass ich dich belogen oder benutzt habe. Zu mehr bin ich einfach nicht fähig, Gillian.“

„Und ich bin nicht Pretty Woman.“

„Die war auch rothaarig“, knurre ich. „Und ich nicht Richard Gere, der die Feuerleiter hochklettert und die Prinzessin rettet und auch nicht Mr. Grey, der dir erst den Hintern versohlt und dir dann später weiße Rosen schickt“, sage ich jetzt ziemlich ungehalten.

„Ich habe keine Ahnung, wer du wirklich bist, Aiden, aber ich mag dich verdammt gern.“

„Ich dich auch, aber unser Plan sah anders aus.“

„Es war von Anfang an dein Plan …“

„Auf den du dich eingelassen hast“, falle ich ihr ins Wort.

„Ja, ich dachte, du änderst vielleicht deine Meinung. Aber wenn ich mich in deiner Wohnung so umsehe, da ist deine verstorbene Frau allgegenwärtig. Überall stehen noch Fotos von ihr und egal, welche Frau in dein Leben kommen wird, sie hat zum derzeitigen Zeitpunkt keine Chance bei dir … wenn überhaupt jemals.“

Statt ihr zu antworten, schweige ich. Was soll ich ihr auch sagen? Dass sie recht hat und ich mich - außer nach ein paar Annehmlichkeiten - nicht nach einer neuen Beziehung sehne.

„Es ist besser, wenn ich jetzt gehe. Solltest du dich irgendwann entscheiden, eine ganze Nacht bei mir bleiben zu wollen, dann kannst du dich gern bei mir melden“, sagt sie.

„Ich verstehe … doch dieses Entweder-oder-Spiel ist nichts für mich.“

„Also war es das jetzt mit uns?“, fragt sie weinerlich.

„Unter den jetzigen Umständen denke ich das schon …“

Gillian sieht mich daraufhin entsetzt an und sie hat sichtlich mit den Tränen zu kämpfen. Mir tut es für sie unendlich leid, aber ich kann ihr nicht das geben, was sie von mir erwartet.

„Dann wünsche ich dir alles Gute, Aiden“, sagt sie und wendet sich ab.

„Das wünsche ich dir auch“, rufe ich ihr nach, während meine Wohnungstür ins Schloss fällt.

***

Viel Zeit, um über das Gespräch mit Gillian nachzudenken, bleibt mir nicht, denn Keith fordert mit seinem ungehaltenen Klingeln an meiner Wohnungstür die volle Aufmerksamkeit.

„Wirst du verfolgt, oder warum machst du so einen Stress“, blaffe ich ihn bereits beim Öffnen der Tür an.

„Ich muss vorsichtig sein“, sagt er hastig und schiebt sich an mir vorbei, aber nicht, ohne sich nochmals vergewissert zu haben, ob ihm nicht doch jemand gefolgt ist.

„Oha“, sage ich nur und habe jetzt schon kein gutes Gefühl. „Bourbon?“, frage ich deshalb, weil ich noch weiß, dass er diesen Whiskey besonders mag und ich auch dringend einen brauche.

„Aber immer doch … und wenn du hast … eine ganze Flasche davon“, erhalte ich als Antwort.

„Ist es so schlimm?“, will ich wissen und bitte ihn ins Wohnzimmer.

Beim Betreten bemerkt er anerkennend: „Klassischer Wohnstil mit sehr teurer Ausstattung.“

Ziemlich irritiert sehe ich ihn nach seiner Aussage an und frage: „Bist du unter die Raumausstatter gegangen, oder wie habe ich deine Bemerkung gerade zu verstehen?“

„Ich nicht, aber meine Mutter betreibt ein eigenes Unternehmen. Schon als Kind habe ich sie zu manchen Aufträgen begleitet und dabei viel über die Lebensweise von Menschen gelernt.“