Das Versprechen des Sizilianers - Shelia Fisher - E-Book

Das Versprechen des Sizilianers E-Book

Shelia Fisher

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Beschreibung

Aurora Martinelli ist Mitte dreißig und die zukünftige Erbin eines Weingutes in der Toskana. Während sie noch mit der Trennung von ihrem Traummann zu kämpfen hat, gerät das Weingut in immer größere finanzielle Schwierigkeiten. Als sie zu einem arrangierten Abendessen gebeten wird, stellt man ihr einen Investor aus Sizilien vor, der ihre wirtschaftlichen Sorgen lindern könnte. Doch Aurora traut dem Sizilianer nicht, dessen cooler Charme sie mehr beeindruckt, als sie möchte, und sie beginnt mithilfe ihrer Freundin Isabella über ihn Nachforschungen anzustellen. Dadurch erfahren sie nicht nur von einem Geheimnis, sondern Aurora steht plötzlich im Fokus der sizilianischen Mafia und es scheint so, als könnte nur ein Diamantring für ihre absolute Sicherheit sorgen. Kann sie diesem Versprechen wirklich Glauben schenken?

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Shelia Fisher ist das Pseudonym der deutschen Autorin Silke Fischer, die 1967 geboren wurde und vor einigen Jahren den Niederrhein zu ihrer Wahlheimat auserkoren hat. Stets unterstützt von Familie und Hund erfüllte sie sich 2017 ihren lang gehegten Jugendtraum und veröffentlichte ihren ersten Roman. Seitdem kann sie nicht mehr aufhören mit dem Schreiben und kombiniert nun ihren Arbeitsalltag voller Zahlen und Statistiken erfolgreich mit der Leidenschaft für die Buchstaben.

Besuchen Sie die Autorin im Internet:www.sheliafisher.de

Ein gegebenes Versprechen ist eine unbezahlte Schuld.

- William Shakespeare -

Inhaltsverzeichnis

Capitolo 1

Capitolo 2

Capitolo 3

Capitolo 4

Capitolo 5

Capitolo 6

Capitolo 7

Capitolo 8

Capitolo 9

Capitolo 10

Capitolo 11

Capitolo 12

Capitolo 13

Capitolo 14

Capitolo 15

Capitolo 16

Capitolo 17

Capitolo 18

Capitolo 19

Danksagung

Capitolo 1

Aurora

Das Zirpen der Singzikaden klingt in meinen Ohren fast schon höhnisch zu der seit Wochen anhaltenden Trockenheit, die nicht nur mich, sondern ebenso alle ansässigen Weinbauern der Toskana in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Soweit ich zurückdenken kann, gab es hier noch nie so eine katastrophale Dürre.

Mit dieser ernüchternden Erkenntnis steige ich in meinen Pick-up, starte ihn und fahre den holprigen, ausgefahrenen Weg durch den Olivenhain. Dieser führt mich direkt auf eine kleine Zufahrtsstraße zu dem alten Familienanwesen, welches nur wenige Kilometer entfernt von Florenz – eingebettet in einer hügeligen und teils wilden Landschaft – liegt.

Zu meinem Verdruss muss ich noch einige Dinge in der naheliegenden Kleinstadt erledigen und biege deshalb in die entgegengesetzte Richtung ab. Weit komme ich nicht, denn als ich um die nächste Kurve fahre, begegnet mir auf der falschen Straßenseite eine Radfahrerin. Lange brauche ich nicht, um zu erkennen, dass es sich um die Inhaberin einer der besten Pasticcerie in der Toskana handelt.

Was hat Isabella vor?

Sobald sie mich entdeckt, beginnt sie wild mit dem linken Arm zu fuchteln, was bei mir eine Art von Angst auslöst, denn sie könnte dabei vom Fahrrad fallen. Automatisch trete ich auf die Bremse und halte ruckartig an, während Isabella direkt auf mein Auto zufährt.

„Bist du lebensmüde?“, rufe ich ihr im strengen Ton zu, während ich aus dem Pick-up steige.

„Aurora! Du wirst nicht glauben, wer gerade in meiner Pasticceria war!“, keucht sie, springt vom Rad und lässt es im nächsten Augenblick los, woraufhin es scheppernd zu Boden fällt.

Ernsthaft?

Da Isabella mit einer beschmutzten weißen Schürze vor mir steht, war der Besucher anscheinend so bedeutend, dass sie keine Zeit mehr hatte, sich umzuziehen. Sogar auf dem Tuch um ihrem Kopf, womit sie ihre langen blonden Haare bändigt, entdecke ich Schokoladenspritzer.

„Wenn ich deine Aufregung richtig deute, dann kann es sich nur um den römischen Kaiser Julius Cäsar persönlich handeln“, antworte ich scherzhaft.

„Was laberst du denn da …?“, rügt mich Isabella und pustet sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Recht hat sie, wenn ich nicht wüsste, dass der Mann schon vor unserer Zeitrechnung ermordet wurde.

„Du hättest mich auch anrufen können“, werfe ich ein. „Es muss schon etwas wirklich Wichtiges passiert sein, wenn du fünf Kilometer in der Mittagshitze hierher radelst. Außerdem, was machst du hier in der Provinz?“, frage ich, denn meistens ist Isabella in ihrer Pasticceria in Florenz zu finden. Die kleine Konditorei im Nachbarort benutzt sie nur, um neue Kreationen auszuprobieren.

„Da siehst du mal, wie wichtig du mir bist, zumal man dich anrufen kann, wann man will, du nimmst das Gespräch fast nie an“, zetert sie.

„Ich telefoniere halt nicht so gerne“, maule ich.

„Hör auf zu lügen. Du hast bei jedem Anruf, der dich erreicht, mit Schnappatmung zu kämpfen, weil du Angst hast, dass es dieser Idiot aus Sizilien ist.“

„Stimmt doch gar nicht! Im Moment habe ich ganz andere Probleme“, rechtfertige ich mich.

Das ist tatsächlich nicht gelogen. Die angespannte finanzielle Situation, die momentan unser Familienunternehmen belastet, lässt mich nachts kaum schlafen. Aber darüber will ich jetzt nicht nachdenken. „Nun erzähle schon … wer war denn nun in deiner Pasticceria?“

Anstatt meine Neugier zu befriedigen, betrachtet mich Isabella argwöhnisch.

Das mag ich gar nicht.

„Was ist?“, blaffe ich sie deshalb an.

„Als deine beste Freundin muss ich es dir jetzt sagen … du siehst richtig fertig aus.“ Isabellas intensiver Blick durchbohrt mich förmlich. Jedenfalls fühle ich mich so.

„Das wird wieder …“, murmle ich, sehe vor Scham zur Seite und streiche mir die hellbraune Haarsträhne, die aus meinem Dutt gerutscht ist, zurück.

„Aurora! So kann es nicht weitergehen. Du bist nur noch Haut und Knochen …“, mahnt Isabella und sieht auf meine nackten Beine, an denen ein paar Schürfwunden von der Arbeit in den Weinbergen zu sehen sind.

„Das weiß ich selbst. Aber das sind im Moment meine geringsten Probleme. Wenn dieses Jahr die Weinernte wegen der anhaltenden Hitze eine schlechte Qualität aufweist und ich dadurch keinen hochwertigen Wein produzieren kann, dann muss ich das Anwesen spätestens nächstes Jahr verkaufen. Was das bedeutet, kannst du dir denken …“

„Natürlich! Das würde auch deine Mutter und Großmutter betreffen …“

„Wie stehe ich dann vor ihnen da? Meine Urgroßmutter hat das Weingut alleine durch den zweiten Weltkrieg gebracht, weil ihr Mann im Kampf gefallen ist. Der Ehemann meiner Großmutter ist verstorben, als sie noch jung war und mein Vater hat meine Mutter schon sitzen gelassen, da war ich noch nicht mal geboren. Von meiner gescheiterten Ehe muss ich dir nichts erzählen …“

„So richtig viel Glück mit Männern habt ihr Martinelli-Frauen nicht …“, sinniert Isabella laut und guckt mich dabei dümmlich an.

„Mach dich nur lustig …“, schelte ich sie, obwohl ich schmunzeln muss, denn auf diese Weise habe ich unser gemeinsames Schicksal noch nie betrachtet. Vielleicht ist es tatsächlich so und ich sollte zukünftig die Finger von Männern lassen. Immerhin ist der Versuch, nach meiner gescheiterten Ehe einen Neubeginn zu wagen, vor Monaten kläglich gescheitert.

„Aurora, ich will dir wirklich nicht zu nahe treten, aber ich frage mich schon lange, wo meine Freundin geblieben ist, die ich noch aus unserer gemeinsamen Zeit in Mailand kenne. Du hast vor zehn Jahren, als ich unerfahrenes Ding noch die Welt erobern wollte, immer an mich geglaubt und jetzt … wo wir Mitte dreißig sind, muss ich mir Sorgen um dich machen … „

„Musst du nicht“, lenke ich ein und füge hinzu, „na, die Welt ist es nicht geworden, aber die Toskana liegt dir schon zu Füßen …“

„Aurora, verdammt! Halt die Klappe und nimm einfach meine Hilfe an!“

Dafür bin ich einfach zu stolz.

***

So langsam glaube ich, dass ich der wahre Grund bin, warum Isabella hier plötzlich aufgetaucht ist. Aber so verzweifelt bin ich noch nicht, dass sie sich ernsthafte Sorgen um mich machen muss. Ich befinde mich nur momentan in einer verdammt schlechten Lebensphase.

Das wird auch wieder besser.

Es muss!

Themawechsel!

„Also, ich brauche noch ein paar Dinge aus der Stadt“, beginne ich, „doch zuvor will ich meinen Körper in einen Zuckerrausch versetzen. Lädst du mich in deine Pasticceria ein?“ Bei meiner rhetorischen Frage grinse ich Isabella schelmisch an.

„So gefällst du mir. Ich sorge dafür, dass du wieder mit weiblichen Rundungen durch die Gegend läufst.“

„Jetzt übertreibe nicht. So dürr bin ich nun auch nicht.“

„Warte ab, bis die nächsten Herbststürme kommen. Dann solltest du dich gut festhalten …“, frotzelt Isabella.

„Jetzt höre auf zu labern und schmeiße deinen Schrotthaufen auf die Ladefläche von meinem Pickup!“, sage ich und zeige auf das ramponierte Fahrrad.

Isabella fängt daraufhin an zu zetern und anstatt das defekte Rad vorsichtig zu verstauen, schmeißt sie es tatsächlich zu den anderen Sachen, die hinten auf der Ladefläche liegen.

Ich quittiere ihre gewöhnungsbedürftige Handlung zuerst mit einer fragwürdigen Miene und danach mit einem Kopfschütteln.

Diese Frau ist immer wieder für eine Überraschung gut.

„Hörst du das?“, ruft mir Isabella zu.

„Sí!“, antworte ich mit tiefer Stimme und lausche auf das knatternde Geräusch, welches wahrscheinlich von einem herannahenden Motorrad stammt.

„Erwartest du Besuch?“, fragt Isabella argwöhnisch, denn wir befinden uns immer noch auf der privaten, teils kurvenreichen Zufahrtsstraße zu meinem Familienanwesen.

„Definitiv nicht! Da hat sich bestimmt jemand verfahren“, sage ich. Zu meinem Verdruss kann ich die Straße nur wenige Meter bis zur nächsten Kurve einsehen und das entfacht in mir ein mulmiges Gefühl.

„Bestimmt wieder so ein dümmlicher Tourist …“, schimpft Isabella und hält abrupt inne, denn vor uns taucht plötzlich ein schwarzes Motorrad auf, dessen Fahrer die farblich passende Kleidung zu seinem Fahrzeug trägt. Sogar das Visier seines Helmes ist schwarz, sodass es unmöglich ist, sein Gesicht zu erkennen.

Jetzt bin auch ich perplex.

Sobald er sich auf unserer Höhe befindet, verlangsamt er seine Geschwindigkeit und sieht einen kurzen Augenblick zu uns herüber, um dann plötzlich weiter mit Vollgas in Richtung des Hauptgebäudes durchzustarten.

Heilige Maria!

„Der spinnt doch!“, rufe ich und gebe Isabella mit einem Handzeichen zu verstehen, dass sie in den Pick-up einsteigen soll.

Während ich versuche, auf der schmalen Zufahrtsstraße so zügig wie möglich zu wenden – was nicht so einfach ist, weil sich an den Straßenrändern viele Bäume befinden – echauffiert sich Isabella über die Dreistigkeit des Motorradfahrers. „Ihr habt doch heute gar nicht geöffnet für Weinverkostungen, oder?“

„Dieses Wochenende definitiv nicht“, knurre ich und manövriere den Pick-up in die entgegengesetzte Fahrtrichtung. Danach gebe ich Vollgas und presche die Straße zum dreistöckigen Hauptgebäude entlang, welches von hochgewachsenen Zypressen und Pinien umgeben ist.

„Siehst du ihn irgendwo?“, frage ich Isabella, die angestrengt aus dem geöffneten Autofenster sieht.

„No!“, schimpft sie. „Der Kerl ist nirgends zu sehen und auch nicht zu hören. Verfluchte Scheiße! Was soll das?“

„Ich kann ihn auch nicht ausmachen“, murmle ich. „Doch, warte! Da ist Matteo!“

„Fährt dein Weinküfer jetzt Motorrad?“, wirft Isabella zweifelnd ein.

„Natürlich nicht! Aber er hat ihn vielleicht gesehen!“

Nachdem ich das letzte Wort ausgesprochen habe, vollziehe ich vor Matteo eine Vollbremsung. Dieser erschreckt sich dabei so sehr, dass er die Kaffeetasse, die er in der Hand hält, fallen lässt.

„Hoho …“, ruft er erst und bückt sich danach, um die Scherben aufzuheben.

„Matteo! Es tut mir leid“, entschuldige ich mich, während ich die Zündung vom Pick-up ausschalte und sofort aussteige.

„Du denkst auch, dass du es mit mir altem Mann machen kannst“, brummt er in seinen grauen Bart.

„So alt bist du nicht“, entgegne ich und gebe ihm als Entschuldigung einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

Verlegen zieht er an seiner schwarzen Baskenmütze, die er – egal zu welcher Jahreszeit – immer trägt. Dann schmunzelt er mich schelmisch an, bevor er sagt: „Seit ich damals dich und deine Mutter aus der Klinik abgeholt habe und zum ersten Mal in den Armen halten durfte, wusste ich, dass, was auch immer du anstellen würdest, ich dir nie böse sein kann. Deshalb sei dir auch jetzt verziehen. Allerdings hätte ich schon gern den Grund für deinen rasanten Fahrstil gewusst!“

„Hast du einen schwarz gekleideten Motorradfahrer gesehen?“, schreit Isabella Matteo zu, weil sie einige Meter von ihm weg steht.

Dieser scheint unser Auftreten als eine Art Scherz zu verstehen, denn er fragt mich leise: „Seid ihr nicht zu alt, um solche kindischen Dinge zu spielen?“

Bitte, was?

„Wir meinen das ernsthaft!“, rechtfertige ich mich. „Es ist tatsächlich ein Mann auf einem schwarzen Motorrad in unsere Zufahrtsstraße eingebogen. Wo ist der Rest meiner Familie?“

„Vielleicht ist das der neue Verehrer deiner Großmutter?“, witzelt Matteo.

„Donatella hat einen neuen …?“

„Sie hat doch immer welche …“, sagt Matteo und zwinkert mir verschmitzt zu. „Aber dies ist ein anderes Thema. Um deine Frage zu beantworten: Donatella ist mit deiner Mutter und eurem Hund zum Tierarzt gefahren …“

„Stimmt! Das hatte ich ganz vergessen. Bruno hat sich an der Pfote leicht verletzt und meine Mutter hat den Umstand zum Katastrophenfall erklärt.“

„Sie liebt halt diesen Hund“, entgegnet Matteo und grinst spitzbübisch dabei.

„Wir sind ihm doch alle verfallen und das weiß der kleine Racker.“

„Klein?“, wiederholt Matteo und lacht laut auf.

Ich kann mich noch gut an den Tag im Januar erinnern, als ich das winzige Bündel von Hund frierend am Straßenrand fand. Leider ist zu befürchten, dass Bruno ein zu anstrengend gewordenes Weihnachtsgeschenk ist. Jedenfalls habe ich, ohne lange zu überlegen, das kleine Wesen mitgenommen und seitdem ist er der sanftmütige Herrscher unseres Anwesens, was er mit seiner mittlerweile stattlichen Größe und einem momentanen Gewicht von zwanzig Kilogramm deutlich zum Ausdruck bringt. Leider wissen wir bis heute nicht, welcher Rasse er zuzuordnen ist. Für mich sieht er aus wie ein fünffach mutierter Rauhaardackel.

„Aurora …“, sagt Matteo mit tiefer Stimme, weil er wohl bemerkt, dass ich mit den Gedanken woanders bin, „was ist jetzt mit eurem mysteriösen Motorradfahrer? Ich habe ihn weder gehört und schon gar nicht gesehen.“ Sein eindringlicher Blick – gepaart mit dem verschmitzten Lächeln um die Mundwinkel – gibt mir das Gefühl, dass er mich nicht ernst nimmt.

Wie auch?

Außer dem lauten Zirpen der Singzikaden und einer schimpfenden Isabella, die jetzt neben mir steht, ist nichts weiter zu hören.

Doch! Moment!

„Hört ihr das?“, rufe ich und halte Ausschau nach dem Geräusch.

„Der Motorradfahrer!“, schreit Isabella. „Ich wusste, dass er sich hier noch irgendwo versteckt hat!“

Während ich überlege, ob ich ihm hinterherfahren soll, lässt Matteo die Scherben plötzlich fallen, rennt los und schwingt sich Sekunden später auf seine Vespa, die an einem nahestehenden Olivenbaum lehnt. „Ihr haltet euch zurück!“, herrscht er uns mit grimmigem Gesichtsausdruck an, bevor er mit lautem Geknatter losfährt.

Indem ich noch Matteos irritierendes Verhalten zu verstehen versuche, regt sich Isabella über die wohl defekte Vespa auf. „Das Ding muss dringend in eine Werkstatt!“, zetert sie.

„Ist das jetzt ernsthaft deine einzige Sorge?“, blaffe ich sie an.

„Nein! Du weißt ja immer noch nicht, warum ich eigentlich hier bin.“

Stimmt und ich bin mir nicht sicher, ob ich es tatsächlich noch wissen will!

Capitolo 2

Je länger ich über Matteos plötzlichen Stimmungswechsel nachdenke, umso weniger finde ich eine plausible Erklärung dafür. Mit dieser Ungewissheit steige ich wieder in den Pick-up, um Isabella zurück in ihre Pasticceria zu fahren, die sich in der fünf Kilometer entfernten Kleinstadt befindet.

Das laute Zuknallen der Beifahrertür lässt mich kurz zusammenschrecken. „Das ist kein Panzer!“, herrsche ich sie an.

„Scusami! Ich hatte noch in Erinnerung, dass die Tür seit gefühlten zwei Jahren defekt ist!“ Isabellas ironischer Unterton ist nicht zu überhören.

„Da liegst du falsch. Ich war letzte Woche bei Alfredo in der Werkstatt“, rechtfertige ich mich und starte das Fahrzeug.

„Das hat den alten Charmeur bestimmt fröhlich gestimmt“, stichelt sie.

„Ich falle nicht wirklich in sein Beuteschema. Er hat es eher auf meine Mutter Cara abgesehen …“, sage ich, wende das Auto und fahre langsam los.

Isabella kommentiert meine Aussage mit einem undefinierbaren Ton und sieht dabei intensiv zum Fenster hinaus.

„Suchst du nach dem Motorradfahrer?“, frage ich und erwische mich, dass ich ein wenig zynisch klinge.

„Nein! Der Maler, der in den Getreidefeldern steht und die Mohnblumen zeichnet, hat es mir eher angetan …“, brummt sie und wirft mir einen kurzen, vernichtenden Blick zu, bevor sie wieder zum Autofenster hinaussieht.

„Hast du ihn wieder gesehen?“, will ich sofort wissen und biege schroff auf die Zufahrtsstraße ab, die in Richtung Stadt führt.

Isabella stößt sich dabei den Kopf an der Autoscheibe – zumindest deute ich das dumpfe Geräusch so und erwarte in der nächsten Sekunde, dass ich mir deshalb eine Schimpftirade anhören darf. Doch zu meiner Überraschung schweigt sie und reibt sich unauffällig an der Stirn.

„Was ist jetzt?“, dränge ich.

Plötzlich dreht sie sich zu mir und faucht mich an: „Was glaubst du, warum ich in dieser verfluchten Hitze mit dem Fahrrad zu dir gefahren bin? Bestimmt nicht, weil ich dich sehen wollte!“

„Echt nicht? Ich dachte, dass ich deine beste Freundin bin“, sage ich spielerisch kleinlaut.

„Wage es nicht noch einmal, meine Freundschaft zu dir in Frage zu stellen!“, droht mir Isabella. „Ich brauche nämlich deine Hilfe!“

„Es geht um diesen einsamen Maler?“, frage ich mit tiefer Stimme.

„Sí!“, trötet sie. „Er war vorhin in meiner Pasticceria.“

Auch das noch!

Innerlich schlage ich die Hände über dem Kopf zusammen und hoffe darauf, dass Amor sich wieder aus ihrem Umkreis entfernt.

„Und hat er mehr hinbekommen, als dich nur anzustarren?“ Irgendwie schaffe ich es nicht, meine Ironie bei diesem Thema zu unterdrücken, denn Isabella schwärmt mir seit genau drei Wochen von ihm vor. Kennengelernt, nein, entdeckt haben sich beide in einem der zahlreichen Felder, die es hier in der Gegend gibt und die zu dieser Jahreszeit mit Mohnblumen übersät sind. Während er schweigend zwischen den roten Blumen sitzt und irgendwelche Skizzen malt, radelt Isabella – natürlich rein zufällig – durchs Feld, um genau diese Gewächse zu pflücken, die bereits verwelkt sind, sobald sie zu Hause angekommen ist. Mehr Klischee geht fast nicht.

„Nein! Aber er hat meine Pralinen probiert. Genauso wie in den Film mit Juliette Binoche und Johnny Depp“, schwärmt sie.

Oh nein!

„Seit wann quietscht die Eingangstür von deiner Pasticceria?“, frage ich dümmlich.

„Gar nicht! Wie kommst du darauf?“, blafft mich Isabella an.

„Na, in dem Film kommt der Typ doch nur wegen der quietschenden Tür wieder zurück und nicht wegen der Schokolade …“

„Aurora! Echt jetzt? Du bist die unromantischste Frau, die ich in meinem Leben getroffen habe.“

„Sí, sí“, stöhne ich.

Das hat seine berechtigten Gründe.

„Jetzt erzähle schon. Hast du seinen Geschmack getroffen?“

Neugierig bin ich schon.

„No! Es war wie in dem Film und du weißt, wie dieser endet …“

„Sí. Der gutaussehende Typ kommt zurück, um die kaputte Tür zu reparieren. Dann weißt du, was du noch zu tun hast …“

„Aurorrrrraaaa!“, ruft Isabella, wohl eher aus Verzweiflung wegen meiner unromantischen Aussage.

Ich sollte bei dem Thema Liebe besser schweigen.

Zu meiner großen Freude verläuft die restliche Autofahrt ohne weitere Komplikationen – abgesehen von Isabellas nicht enden wollender Schwärmerei für ihren Maler. Als ihre beste Freundin gehört es sich, dass sie meine volle Aufmerksamkeit hat, doch heimlich halte ich Ausschau nach dem schwarz gekleideten Motorradfahrer, der natürlich nirgendwo zu sehen ist.

„Hörst du mir eigentlich zu?“, blafft sie mich von der Seite an.

„Natürlich! Du hast mir gerade alle Outfits des Malers aufgezählt, die er in der letzten Woche getragen hat“, antworte ich und klinge dabei etwas genervt.

Isabella stößt darauf ein versöhnlich klingendes Grunzen aus, was hoffentlich bedeutet, dass wir das Thema bald beenden können.

„Aber heute hatte er eine hellblaue Jeans und ein weißes Leinenhemd an …“

„Und was schlussfolgerst du daraus?“

„Er hat sich extra für den Besuch in meiner Pasticceria umgezogen …“

Auf diese pubertäre Aussage fällt mir tatsächlich keine Antwort ein.

Isabella hingegen redet sich weiter in Rage und überlegt lautstark: „Vielleicht sollte ich nur für ihn eine Pralinensorte kreieren …“

„Spinnst du?“, blaffe ich. „Das meinst du hoffentlich nicht ernsthaft!“

„Denkst du, dass es zu übertrieben ist?“

Sie meint es ernsthaft!

„Kommt darauf an, was du damit bezwecken willst!“, schnarre ich. „Solltest du vorhaben, dich vor ihm als liebeshungriges Dummchen zu outen, dann ist das eine Option.“

„Boah … Aurora! Du bist mir heute zu anstrengend“, stöhnt sie.

„Ich möchte doch nur, dass du auf dich aufpasst und nicht so eine Liebespleite erlebst wie ich“, rechtfertige ich mich.

„Nicht jeder Mann ist ein Idiot“, brummt Isabella. Ich hoffe, dass sie tatsächlich recht hat.

***

Das vor uns erscheinende Ortseingangsschild prophezeit mir, dass ich wahrscheinlich in der nächsten halben Stunde eine von Isabella kreierte Köstlichkeit probieren darf.

Dass sie zwei der besten Pasticcerie in der Toskana besitzt, ist ihrer Zielstrebigkeit und ihrer unendlichen Kreativität zuzuschreiben. Auch wenn sie in Bezug auf die Liebe ein wenig naiv ist, so ist sie als Geschäftsfrau grandios. Ihre mittlerweile zwanzig Angestellten himmeln sie als Chefin förmlich an und sie tut alles dafür, dass sie sich in ihrem Unternehmen wohlfühlen. Dies ist, glaube ich, eines ihrer Geheimnisse, warum sie in kurzer Zeit so erfolgreich geworden ist. Besonders vor der Pasticceria in Florenz parken täglich hochpreisige Limousinen, deren Chauffeure die Bestellungen ihrer superreichen Arbeitgeber abholen und es ist nicht erst einmal passiert, dass sogenannte Prominente persönlich in Isabellas Konditorei speisen.

„Hast du eigentlich dein Parkplatzproblem lösen können?“, frage ich aus meinen Gedanken heraus, denn es ist jedes Mal ein Glücksfall, wenn man nicht mehrere Runden durch die anliegenden Straßen der Kleinstadt fahren muss, um eine freie Parklücke zu finden.

„Ich bin dabei!“, schnauft sie. „Sollte das Problem nicht zu meiner Zufriedenheit gelöst werden, dann kann sich dieser wohlbeleibte alte Mann eine neue Pasticceria suchen, wo er seinen Bauch füttert!“

„Du meinst den Bürgermeister?“

„Bürgermeister! Der ist eine glatte Witzfigur. Aber der denkt, weil ich eine Frau bin, braucht er mein Anliegen nicht ernst nehmen …“

„Er macht einen großen Fehler, wenn er dich zu seiner Feindin macht“, sage ich und biege in die schmale Zufahrtsstraße ein, die zur Stadtmitte führt.

Zu meiner Erleichterung tummeln sich heute nicht – wie sonst – viele Touristen in den engen Gassen und es ist ein leichteres Durchkommen.

Isabella lotst mich in den verwinkelten Hinterhof ihrer Pasticceria und es ist schon ein kleines Wunder, dass ich einparke, ohne großen Schaden an Gebäuden oder Autos anzurichten. Sonst stelle ich meinen Pick-up meistens auf irgendeiner Nebenstraße ab, doch heute ist Markttag und deshalb sind einige Straßen gesperrt oder von den Händlern mit deren Ständen zugestellt.

„Ich suche dir jetzt einen schönen Tisch im Schatten aus und dann bringe ich dir ein paar neue Kreationen, die du unbedingt ausprobieren musst“, sagt sie und klingt wenig kompromissbereit.

„Warum darf ich nicht wie sonst in deiner Küche essen?“, will ich wissen.

„Vielleicht kommt der Maler nochmal vorbei und dann musst du mich sofort informieren“, frohlockt meine Freundin.

„Ich weiß doch gar nicht, wie er genau aussieht“, wende ich ein, denn ich habe ihn immer nur von Weitem gesehen.

„Du wirst ihn erkennen“, sagt sie mit fester Stimme, packt nach meiner Hand und zieht mich mit sich hinein ins Haus.

Isabella hat das zweistöckige alte Gebäude vor zwei Jahren – nach zähen Verhandlungen mit dem Vorbesitzer – käuflich erworben und bewohnt selbst die obere Etage. Im gesamten Erdgeschoss befindet sich ihre Pasticceria.

Mittlerweile sind wir in der Küche angekommen und ich würde gerne ihre Angestellten persönlich begrüßen, da wir uns nach den vielen Jahren gut kennen. Doch Isabella zieht mich einfach weiter und so bleibt mir nur, ihnen mit trauriger Miene zuzuwinken. Da ihnen die Gepflogenheiten ihrer Chefin vertraut sind, fliegen mir die Luftküsse der männlichen Protagonisten nur so um die Ohren und die weiblichen Hauptdarsteller quietschen vor Freude, mich zu sehen.

Leider nimmt Isabella darauf keine Rücksicht und zerrt mich weiter durch die klimatisierte und vollbesetzte Pasticceria hinaus auf die schmale Straße, wo man in den typischen Bistromöbeln das sagenumwobene La Dolce Vita genießen kann. Besonders heute nehmen die Gäste die Plätze im Schatten ein, der von den großen weißen Markisen gespendet wird.

Genau unter eine von ihnen platziert mich Isabella und gibt mir mit einem eindeutigen Handzeichen zu verstehen, dass ich mich setzen und nicht bewegen soll.

Ohne Widerstand folge ich ihrer Anweisung und während sie sich mit schnellen Schritten vom Tisch entfernt, um mir bestimmt eine ihrer neuen Kreationen zu servieren, sehe ich mich verstohlen um und entdecke auf der rechten Seite neben mir ein wohl schwerverliebtes junges Pärchen, welches mit seinen Zungen schon fast eine Orgie vollführt.

Ob die in zehn Jahren auch noch so fasziniert voneinander sind? Auf diese rhetorische Frage werde ich wohl kaum eine Antwort erhalten.

Etwas irritiert sehe ich deshalb weg und wende meinen Kopf nach links und da lächelt mich ein mit dunkler Sonnenbrille, kurzen schwarzen Haaren, gepflegtem Drei-Tage-Bart und in einem schicken Anzug gekleideter Mann an.

Was will der denn?

Pikiert von seiner scheinbaren Freundlichkeit sehe ich wieder weg und plötzlich kommt mir dieser Mann irgendwie bekannt vor.

Während ich angestrengt überlege, wer er ist, erscheint plötzlich Isabella wieder und hat mindestens fünf verschiedene Köstlichkeiten auf ihrem Tablett.

Sehe ich echt so unterernährt aus?

„Du musst alles probieren und mir dann deine ehrliche Meinung dazu sagen“, fordert sie im strengen Ton.

„Aber aufessen muss ich nicht, oder?“, frage ich, denn so rigoros war nicht einmal meine Mutter zu mir, als ich noch klein war.

„Schaden würde es dir jedenfalls nicht“, schnarrt mich Isabella an und setzt sich neben mich.

„Guckst du mir jetzt etwa zu?“, frage ich weinerlich.

„Besser ist es“, antwortet sie und gibt mir mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass ich anfangen soll zu essen.

Da ich keine Ahnung habe, was sie wieder an neuen Kreationen gezaubert hat, fällt meine Wahl auf eine Art von Törtchen, welches mit dunkler Schokolade überzogen ist.

„Eine gute Entscheidung“, raunt sie mir zu.

„Bei dir schmeckt doch fast alles“, sage ich und schiebe mir ein kleines Stück von der Süßigkeit in den Mund.

Isabella starrt mich dabei so intensiv an, dass ich dabei das Kauen vergesse. Zusätzlich fühle ich mich von dem Mann, der links von mir sitzt, beobachtet. „Guckt der Typ immer noch?“, grolle ich leise.

„Du meinst diesen gut aussehenden Schönling?“, gluckst sie.

„Schönling?“, wiederhole ich und in meiner Stimme schwingt eine Menge Unverständnis mit.

Isabella holt bei meiner Frage tief Luft, tätschelt meine Hand und guckt provokant zum Nachbartisch, bevor sie flötet: „Der hat doch mal eine charismatische Ausstrahlung …“

„Das war klar, dass du wieder auf diese Sorte Mann abfährst …“, murmle ich mit vollem Mund.

„Der Typ hat das gewisse Etwas …“, schmachtet Isabella. „Aber gut …“, fährt sie fort, „du bist eh ein hoffnungsloser Fall, denn du bevorzugst eher den Typ Arschloch. Aurora! Vergiss diesen Idioten aus Sizilien endlich! Er ist es nicht wert!“

Das weiß ich selbst.