Eine Jungfrau für Apophis - Antje Haugg - E-Book

Eine Jungfrau für Apophis E-Book

Antje Haugg

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Beschreibung

Wie ein böses Omen saß eine dicke, bläulichschwarz schillernde Schmeißfliege auf der Türklinke, träge hob sie ab und schwirrte davon, als Julia näherkam. Die Kommissarin schüttelte die Beklemmung ab, die urplötzlich von ihr Besitz ergriffen hatte. Kindisch, wie sie sich benahm. Das kam bestimmt von den Hormonen, die mit ihr eh oft genug machten, was sie wollten. Egal, sie legte die Hand auf die Klinke und zog entschlossen die Tür auf. Es dauerte einen Augenblick, bis Julias Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnten und Einzelheiten wahrnehmen konnten. KHK Julia Lehmann muss sich mit Grabschändung am Bayreuther Stadtfriedhof herumschlagen. Doch was mit Vandalismus beginnt, artet aus in eine Serie von Verbrechen ungeahnten Ausmaßes. Und bevor sie sich versieht, landet Julia anstatt in der Babypause in einem Strudel aus Entführung, Mord und Dämonenbeschwörung. Und wieder kreuzt ihr Weg bei den Ermittlungen den ihrer großen unglücklichen Liebe Jan Keller. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, um die Erweckung des finsteren Gottes Apophis zu verhindern.

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Seitenzahl: 225

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© 2023 Antje Haugg

Satz & Layout: Uwe Köhl

Lektorat: Sabrina Haugg

Verlagslabel: Elvea Verlag

ISBN Softcover: 978-3-347943-24-7

ISBN Hardcover: 978-3-347943-25-4

ISBN E-Book: 978-3-347943-26-1

Druck und Distribution im Auftrag:

tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich.

Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autorin und Elvea Verlag unzulässig.

Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag, zu erreichen unter:

tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice"

An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Antje Haugg

Eine Jungfrau für Apophis

für die Helden meiner Jugend:

John und Suko

Prolog

Wie an jedem Abend stand der Sonnengott Re aufrecht in seiner Sonnenbarke, die von Seth über den Rand der Erde gezogen wurde.

Wie an jedem Abend begab er sich mit seiner Gefolgschaft auf seine nächtliche Reise durch die Unterwelt.

Wie in jeder Nacht wurde Re von seinem Bruder Apophis angegriffen, der mächtigen Schlange, die versuchte, die Sonnenbarke zum Sinken zu bringen.

Wie in jeder Nacht schaffte es Apophis, Re und sein Gefolge zu hypnotisieren, sodass sie nicht mehr zurückkonnten auf die Erde. Und wie in jeder Nacht war Seth der Einzige, der den Blicken des Apophis widerstehen konnte.

Seth tötet Apophis, dessen Blut bei Sonnenaufgang den Himmel rot färbt, an jedem Morgen aufs Neue.

So siegt nach jeder Nacht das Gute über das Böse, aber des Abends ist das Böse doch wieder da und der alte Kampf beginnt von vorne.

Jeden Abend, jede Nacht, jeden Morgen dasselbe.

Und Anton saß stets auf seinem Felsen, um zuzusehen. Immer wieder und wieder sah er zu, er sah das alles und war zugleich dabei. Er sah es und war zugleich Apophis, der kämpfte, starb und wieder auferstand.

Immer wieder. Bis zu diesem Abend.

Wieder stellte sich die Schlange Apophis der Sonnenbarke entgegen, wieder fielen alle Insassen außer Seth in Trance. Aber in dieser Nacht geschah es, dass Seth nicht nur Apophis tötete, sondern ihn auch mit einem mächtigen Beschwörungszauber belegte, der Apophis für immer in die Welt der Dämonen verbannen sollte.

Laut schrie Apophis auf, vor Schmerz, Wut und Hass. Er spie Seth einen Fluch entgegen. Und so geschah es, dass es Seth war, der den Platz von Apophis einnehmen musste, damit das Gleichgewicht bestehen blieb zwischen Tag und Nacht, Licht und Dunkelheit, Gut und Böse.

Apophis aber wurde hinabgeschleudert in das Reich der Dämonen, wo er verharren musste.

Anton war Apophis, auch er wurde hinabgeschleudert.

Aber Anton war auch nicht Apophis, und so spuckte die Dämonenwelt ihn wieder aus ins Diesseits. Zugleich bekam Anton von Apophis den Auftrag, ihn zu befreien, damit dieser seinen rechtmäßigen Platz gegenüber der Sonnenbarke wieder einnehmen, Seth ein für alle Mal besiegen und für alle Ewigkeit das Chaos auf der Erde verbreiten konnte.

Inhalt

Cover

Urheberrechte

Titelblatt

Widmung

Prolog

Kapitel Eins – Freitag

Rückblick – Februar – Dana

Rückblick – Februar – Anton

Kapitel Zwei – Sonntag

Kapitel Drei – Montag

Kapitel Vier – Montag Abend

Kapitel Fünf – Dienstag Vormittag

Kapitel Sechs – Dienstag Nachmittag

Kapitel Sieben – Dienstag Abend

Kapitel Acht – Dienstag Nacht

Kapitel Neun – Mittwoch Vormittag

Kapitel Zehn – Mittwoch Nachmittag

Kapitel Elf – Mittwoch Abend

Kapitel Zwölf – Mittwoch Nacht

Kapitel dreizehn – Donnerstag

Kapitel Vierzehn – Donnerstag Nachmittag

Kapitel Fünfzehn – Freitag

Nachbemerkung:

Dankeschön

Eine Jungfrau für Apophis

Cover

Urheberrechte

Titelblatt

Widmung

Kapitel Eins – Freitag

Kapitel Fünfzehn – Freitag

Eine Jungfrau für Apophis

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Kapitel Eins – Freitag

Der Mond schien rund und voll auf den Bayreuther Stadtfriedhof herab. Längst waren alle Tore versperrt, die Wege zwischen den Gräbern menschenleer, nur die Grabsteine schimmerten im matten Mondlicht. Der laue Sommerwind trug die Glockenschläge der Schlosskirche herüber, Mitternacht. Alles schien still und friedlich. Plötzlich erschrecktes Hühnergegacker, das abrupt endete. Einige Schatten huschten zur Friedhofsmauer und verschwanden im Dunkel der Juninacht.

Dann herrschten wirklich Ruhe und Frieden.

Frau Sonnlechner ging wie an jedem Morgen noch vor dem Frühstück zum Friedhof, um das Grab ihres Mannes zu gießen. Ihr Tagesablauf war straff durchgeplant, und die frisch gesetzten Gottesaugen hatten Vorrang vor allem anderen. Sie tippelte zum Brunnen, mit den energischen Schritten einer Frau, deren Alter auf dem Papier nicht im Einklang mit ihrer tatsächlichen Vitalität stand, angelte sich eine Gießkanne von der Halterung herunter, tauchte sie ins Wasser, bis sie halbvoll war, und eilte weiter zum Grab. Dort verteilte sie den Inhalt der Kanne über den heuer mickrigen, kläglich dreinschauenden Gottesaugen, sprach ein kurzes Gebet und drehte sich um. Ihre Arbeit hier war für heute beendet. Plötzlich fiel ihr Blick auf das nahe gelegene Grab eines hohen Herrn des vergangenen Jahrhunderts, das größer war als das ihres Georg, geschmückt mit einem überlebensgroßen Sandsteinengel. Sie stutzte, irgendetwas war heute anders. Zögernd ging sie zwei, drei Schritte auf das Grab zu. Zu Füßen des Engels entdeckte sie einen unregelmäßig ausgebreiteten dunklen Fleck. Sie kam noch näher, dann schlug sie erschrocken die Hand vor den Mund. Es war Blut, angetrocknetes Blut. Garniert mit ein paar schwarzen Federn, dunkelrot gesprenkelten Primeln. Und mit einem toten Hahn.

Sie kreischte hysterisch auf und rannte regelrecht zum Büro der Friedhofsverwaltung. Um diese Uhrzeit war es allerdings noch verschlossen, kein Mitarbeiter ließ sich blicken. Verzweifelt schaute Frau Sonnlechner nach rechts und links, wieder kein Mensch zu sehen. Schließlich fiel ihr etwas ein, sie kramte in ihrer kleinen abgewetzten Handtasche und holte ihr Handy heraus. Zitternd wählte sie die Nummer der Polizei.

Als KHKin Julia Lehmann an ihrem Arbeitsplatz erschien, lag eine kurze Notiz auf ihrem Schreibtisch. Vandalismus im Stadtfriedhof. Sie seufzte. Damit durfte sie sich also herumschlagen. Immerhin etwas, denn Morde waren derzeit für sie gestrichen. Seit ihr Chef Wind von ihrer Schwangerschaft bekommen hatte, wurde sie betüttelt wie ein kleines Kind. Ade, Außendienst. Ade, Mordermittlungen. Schreibtischarbeit, ab und zu ein paar harmlose Straftaten wie diese hier, das war jetzt ihr täglich Brot geworden. Sie ahnte nicht, dass es dieses Mal anders laufen würde als in den letzten Wochen …

»Stefan, hast du das gelesen? Schon wieder eine Grabschändung. Nur ist es diesmal gleich ein ganzer Hahn, der geopfert wurde.« Julias Stimme klang leicht genervt, und das nicht ohne Grund. Seit etwa vier Wochen durfte sie sich mit dieser Friedhofsgeschichte herumschlagen, ohne dass bisher etwas dabei herausgekommen wäre. In unregelmäßigen Abständen, alle paar Tage respektive Nächte wurden auf immer anderen Gräbern Tieropfer dargebracht. Bisher waren es tote Küken gewesen, die von verstörten Friedhofsbesuchern entdeckt worden waren, stets auf der Mitte eines Grabes drapiert, stets umgeben von 13 kümmerlichen Kerzenstummeln, die bis zur bitteren Neige herabgebrannt waren, stets garniert mit seltsamen mystischen Symbolen, die mit Kreide auf die Grabsteine gezeichnet waren. Obwohl das Gebiet um den Stadtfriedhof nachts verstärkt durch Polizeistreifen kontrolliert wurde, konnte bislang kein Urheber der gruseligen Opferrituale gefunden werden. Und Julias Ansinnen, sich nachts höchstpersönlich auf die Lauer zu legen, hatte Staatsanwalt Strasser empört abgelehnt.

»Frau Lehmann, sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen? Ihnen ist schon klar, dass Sie werdendes Leben unterm Herzen tragen, oder? Sie erwarten nicht ernsthaft, dass ich mein Einverständnis gebe? Bleiben Sie mal schön hinter der Schusslinie, überlassen Sie den riskanten Außendienst den Kollegen von der Streife. Oder legen Sie es darauf an, dass ich einen Plausch mit der Betriebsärztin halte, damit Sie für den Rest Ihrer Schwangerschaft komplett vom Dienst freigestellt werden?«, schnarrte Strasser die Kommissarin an.

Der schmächtige Mann, der aufgrund seiner Körpergröße hinter vorgehaltener Hand von allen Bonsai genannt wurde, verschwand fast hinter seinem überdimensionalen Schreibtisch aus wunderschön gedrechseltem Nussbaumholz, aber seine Persönlichkeit füllte den kompletten Raum. Julia, die sich nur allzu gern mit ihm anlegte, musste zähneknirschend eingestehen, dass Strasser diesmal recht hatte – auch wenn seine Fürsorge sie nervte. Aber immerhin hatte sie in Strasser wie auch in ihrem Kollegen Stefan Siems zumindest zwei fürsorgliche Menschen, auch wenn das nur ein schwacher Trost für sie war. Es war ihre eigene Entscheidung gewesen, sich im Januar von ihrer großen Liebe Jan Keller zu trennen, ohne ihm von ihrer Schwangerschaft zu erzählen. Sie hatte sich immer Kinder gewünscht, aber keine bekommen können. Und Jan hatte ihr erklärt, wie viel Verantwortung und Einschränkung eigene Kinder bedeuteten, dass er sich gut mit ihrer Kinderlosigkeit arrangieren konnte und dass sie aufhören solle mit ihrem Schicksal zu hadern. Kurzum: Jan hatte keine Kinder gewollt, und Julia hatte sich unter vorgeschobenen Gründen von ihm getrennt, in der festen Überzeugung, dass alles andere in einem Fiasko geendet hätte. Aber ihr Herz hatte einen kurzen Moment lang aufgehört zu schlagen, als Jan gegangen war. Und als es wieder zu seinem normalen Rhythmus fand, da war es gebrochen. Theatralische Worte, aber so sehr sich Julia auch auf ihr Baby freute: Etwas in ihr war kaputt gegangen an diesem Sonntag im Januar, und der dumpfe Schmerz in ihr hatte sich bis heute nicht gelegt. So sehr sie auch tagsüber jeden Gedanken an Jan beiseiteschob, abends schlich er sich immer wieder in Julias Kopf, dann fragte sie sich, was er wohl gerade machte, wie es seinen Eishockeyjungs wohl ging, ob er immer noch Trainer der Knaben war oder ein jüngeres Team übernommen hatte. Abends, im Übergang zwischen Wachsein und Traum, da huschten ihre Gedanken zu dem blonden Hünen, da glaubte sie, sein Rasierwasser zu riechen, seine Küsse zu spüren. Abends, da erlaubte sie sich die Tränen, die sie tagsüber stets hinunterschluckte.

Energisch rief sie sich ins Hier und Jetzt, als ihr Kollege zerstreut antwortete.

»Ja, hab‘s schon gehört. Julia, stress dich doch nicht rein wegen dem Schmarrn. Lass das den Außendienst erledigen.«

»Und was soll ich in der Zwischenzeit machen? Mein Bäuchlein streicheln und am Schreibtisch versauern? Das könnte euch so passen!«

Stefan lächelte gutmütig – er konnte sich noch gut an die Schwangerschaft seiner Frau erinnern und reagierte daher gelassen auf Julias Ausbrüche. »Wir haben doch eh grad nichts Dramatisches zu tun. Kein Mord, keine sonstigen Kapitalverbrechen. Auch wenn du nicht schwanger wärst, würdest du am Schreibtisch sitzen. Genau wie ich. Und komm, diese Opfergeschichte fällt eigentlich überhaupt nicht in unser Ressort. Lass es gut sein.«

Die Kommissarin schüttelte energisch den Kopf, die dunkelbraunen Locken tanzten um Kopf und Schultern. »Kennst du mich so schlecht? Das kommt ja gar nicht infrage. Wer weiß, wie lange ich noch fit genug bin – am Schreibtisch werde ich in ein paar Wochen noch genügend Zeit verbringen dürfen. Wie sieht es aus – bist du dabei? Schauen wir uns die Sache mal vor Ort an?«

»Okay, okay. Wenn du unbedingt willst, dann machen wir das«, gab Stefan klein bei. Auf gar keinen Fall würde er Julia alleine losziehen lassen, denn er hatte sich fest vorgenommen ein Auge auf sie zu haben, damit sie sich im Überschwang ihrer kriminalistischen Spürarbeit nicht zu viel zumutete.

Während der kurzen Fahrt zum Stadtfriedhof fasste Julia noch einmal zusammen, was über den Fall bisher bekannt war.

»Also, es liegen insgesamt 13 Fälle von Grabschändung vor. Zwölf Mal waren es wohl schwarze Küken, die offensichtlich auf den Gräbern umgebracht wurden – Kopf ab. Ihr Blut floss auf die jeweiligen Grabsteine oder Grabplatten. Ein paar der Küken wurden nicht gefunden, da waren Marder oder Katzen wohl schneller. Aber die Blutflecke waren da. Immer waren Kerzenstummel auf den Gräbern, und immer waren es dreizehn an der Zahl. Außerdem waren die Grabsteine mit Kreidezeichen bedeckt, Rechtecke und Drudenfüße. Dann etwas, das sieht aus wie eine Mischung aus einer liegenden Acht und einem Baseballschläger« – sie lachte kurz und leicht ratlos – »und zu guter Letzt noch ein Mäandersymbol. Oder vielleicht auch ein Schlangensymbol? Was ist das denn bitte für ein Irrer?«

Stefan seufzte leise. »Manchmal hab ich das Gefühl, wir haben es nur mit Irren zu tun. Denk nur mal an den Mörder vom Jensen mit seiner Schlittschuhkufe.«

Als ob Julia das jemals vergessen könnte. Durch ihre Ermittlungen im Mordfall des Eishockeytorwarts Jensen hatte sie Jan kennengelernt. Jan, dessen Knabenteam die Leiche gefunden hatte. Jan, dessen tiefer Bass ihr vom ersten Augenblick an weiche Knie beschert hatte, dessen Lachen Magenkribbeln ausgelöst hatte. Jan, dessen Küsse – energisch wischte sie diese Erinnerungen fort. Stattdessen ging sie auf Stefans Überlegung ein. »Ja, das stimmt schon. Irgendwie sind unsere Mörder immer alle ziemlich gestört. Eigentlich fällt mir keiner ein, der normal gewesen wäre. Vermutlich kann man gar nicht normal sein, wenn man mordet. Oder die Normalität ist ganz nah am Irrsinn dran.«

»Diese Symbole – hat schon mal jemand versucht rauszufinden, was es damit auf sich hat?«, wollte Stefan wissen. Julia schüttelte den Kopf. »Nein, aus der Akte geht da nichts hervor. Aber die tauchen wohl auf jedem dieser Gräber auf.«

»Und diesmal ist es kein Küken, sondern ein ausgewachsener Gockel?«

»Genau. Und der Rest ist wie gehabt. Dreizehn Kerzenstummel, Kreidezeichen, Blut. Wie kann man nur so verrückt sein und auf Gräbern Tiere schlachten? Meinst du, das sind einfach nur Spinner, die sich einen Spaß daraus machen, die Besucher zu schocken? Oder steckt da mehr dahinter? Eine Art Totenkult vielleicht? Eine Sekte?«

Stefan fuhr auf den kleinen Parkplatz vor dem Friedhofseingang. Sie hatten Glück: Parkplätze waren dort Mangelware, aber einer wurde gerade frei.

»Totenkult, Sekte – ich tippe eher auf ein paar durchgeknallte Jugendliche, die sich dadurch einen Kick geben wollen. Wer weiß schon, was die sich alles so reinziehen, da kommt man schnell auf verrückte Ideen.«

Julia gab ihrem Kollegen einen spielerischen Knuff mit dem Ellbogen. »Du hast wohl nie John Sinclair gelesen in deiner Jugend, oder?«, grinste sie.

Stefan musste ebenfalls lächeln. »Der Geisterjäger – wer hat den nicht verschlungen. Aber du hast ja wohl offensichtlich zu viele Horrorromane gelesen. Was vermutest du als Nächstes? Dass Dämonen beschworen werden auf dem Bayreuther Stadtfriedhof? Ist das nicht der falsche Ort für so etwas? Wirtschaftsforen wären da ja wohl geeigneter, oder?«

Julia seufzte tief. »Da hast du nicht ganz unrecht. Schade. Ich hätte den attraktiven Geisterjäger und seinen Freund Suko gerne engagiert, damit sie sich hier mal umsehen.«

Die beiden Beamten liefen einen der geteerten Hauptwege des Friedhofs entlang. Die hohen Bäume spendeten viel Schatten, was gerade bei Beerdigungen im Hochsommer ein großer Vorteil war: Auf dem relativ sonnigen Südfriedhof kam es immer mal wieder vor, dass Trauergäste umkippten. Am Stadtfriedhof dagegen war dieses Phänomen eher unbekannt. Still und friedlich war es hier, die Sandsteinmauern hielten den Verkehrslärm draußen. Nur ein leises stetiges Rauschen unterlegte den Gesang der Vögel in den alten Bäumen. Als Julia und Stefan nach links auf einen Seitenweg abschwenkten, knirschte Kies unter ihren Sohlen. Drei Reihen schritten sie ab, dann waren sie am letzten Tatort angekommen. Offizielles Absperrband war um das Grab gespannt, der tote Hahn war bereits entsorgt worden, aber Blut wie Kreidestriche waren noch deutlich zu sehen. Obwohl bereits alles fotografiert worden war, machte Julia noch ein paar Bilder mit ihrem Handy. Dann sahen sie sich das Grab und die nähere Umgebung genau an, ohne jedoch noch etwas zu entdecken. Schließlich schnaufte Julia tief durch und lief entschlossen zu einem nahen Brunnen, wo sie eine Gießkanne mit Wasser füllte und damit zum Grab lief. Stefan unterdrückte den Impuls, ihr die Gießkanne aus der Hand zu nehmen. Er wusste, sie hätte das Ding eh nicht hergegeben. Wortlos tat er es ihr nach. Eine Kanne Wasser würde nicht reichen, um das Blut wegzuspülen. Während Julia das Absperrband entfernte, klaubte Stefan die Kerzenreste zusammen. Es führte zu nichts, das geschändete Grab noch länger in diesem Zustand zu lassen.

»Albert Zweistein, Komponist. Das ist der mit der Zweistein-Sonate, oder?«, sinnierte Julia. Dieses Stück, vor etwa 100 Jahren geschrieben, war der einzige Erfolg des Bayreuther Komponisten gewesen, wurde aber oft in einem Atemzug mit Wagner genannt. Fast jeder Klavierschüler der Gegend hatte irgendwann diese Sonate gelernt. Und ausgerechnet das Grab Zweisteins hatte sich der Irre für seine Tat ausgesucht.

»Die anderen Gräber, waren die auch von berühmten Persönlichkeiten?« Stefan versuchte, den roten Faden zu finden, der die einzelnen Taten verband. Aber Julia verneinte.

»Das ist offenbar völlig willkürlich. Weder sind das alles Berühmtheiten noch derselbe Geburts- oder Sterbejahrgang. Und die Gräber sind über den gesamten Friedhof verteilt. Ich will mir gar nicht vorstellen, dass jetzt vielleicht noch elf Gockel folgen. Und was kommt dann?« Sie schüttelte sich angewidert.

Rückblick – Februar – Dana

»Anton, wo bleibst du denn? Jetzt komm doch endlich!«

Dana Großmann war mehr als genervt von ihrem Verlobten. Wie sehr hatte sie sich auf diese Reise nach Ägypten gefreut, ihre Verlobungsreise, das hatte er ihr ins Ohr geflüstert, damals, als er sie beim Abendessen mit einem wunderschönen Ring und den Flugtickets überrascht hatte. Schon immer hatte Dana sich gewünscht, die Pyramiden zu besuchen, die Sphinx zu sehen, durch heißen Wüstensand zu laufen. Und eine Kreuzfahrt auf dem Nil zu machen. All das hatte Anton ihr zur Verlobung geschenkt. Als wäre sie nicht eh schon die glücklichste Frau von ganz Bayreuth gewesen, allein durch seinen Antrag.

Aber seit sie hier waren, verhielt sich Toni anders als zuvor. Er wirkte unkonzentriert, abwesend, zerfahren. Das war nicht der Mann, der vor wenigen Wochen um ihre Hand angehalten hatte. Er war ein Mann geworden, in dessen Leben Dana aktuell nur eine untergeordnete Rolle spielte. Was ihr überhaupt nicht gefiel.

Anton Altner schreckte hoch, als Dana ihn unwirsch anblaffte. Verwirrt sah er auf seine Armbanduhr. Sie hatte ja recht– er hatte wohl die Zeit vergessen, das Abendessen auf dem Vorderdeck wartete. Ein Highlight der Reise, das romantische Essen unterm Sternenzelt. So stand es zumindest im Prospekt des Reisebüros. Anton allerdings hatte keinen Hunger, er hatte auch keine Lust auf Danas Gesellschaft. Etwas in ihm zog und zerrte an seinem Unterbewusstsein, seit sie in Kairo gelandet waren. Quälende Unruhe hatte ihn erfasst. Tagsüber lief er in jeder freien Minute rastlos hin und her. Und nachts … Nachts träumte er von mächtigen, bedrohlichen Wesen, das waren wohl die alten ägyptischen Götter. Nie zuvor hatte Anton sich mit den Mythologien von Re, Seth, Anubis und wie sie alle hießen, befasst. Und doch waren sie plötzlich präsent in seinen Träumen, als wären sie ein Teil von ihm. All das machte ihm Angst, trotzdem konnte er mit niemandem darüber reden. Es war, als wäre Anton mit einem Bann belegt, einem Schweigezauber, der ihn kein Wort über die Lippen bringen ließ.

Widerwillig folgte er Dana nach draußen, wo sie von einem gutaussehenden Kellner an ihren Tisch geführt wurden. Unter normalen Umständen hätte Anton die Augenbrauen gerunzelt über die offensichtlichen Flirtversuche des jungen Mannes. Heute hatte er keinen Blick dafür. Das wiederum fiel seiner Verlobten auf, wieder ein winziges Detail, das nicht passte. Provokant schüttelte sie ihr blondes Haar zurecht, schenkte dem Kellner ein mehr als freundliches Lächeln und überkreuzte die Beine, wodurch ihr Kleid ein Stückchen nach oben rutschte und dem Kellner einen ausgiebigen Blick auf ihre langen Beine gewährte. Während der arme Kerl bei der Frage nach den Getränken schon ins Stottern kam, warf Dana ihrem Toni einen kurzen, prüfenden Blick zu. Was sie sah, fand sie alles andere als erfreulich. Anstatt zu bemerken, was sie gerade getan hatte, starrte Anton unbeteiligt aufs Wasser, so als wäre der sacht gegen die Bordwand plätschernde Nil das Wichtigste auf der Welt. Dana spürte, dass ihr in Kürze der Kragen platzen würde. Wollte er ihr tatsächlich diesen einmaligen Abend verderben? Na, wenn er es unbedingt so haben wollte, konnte sie nach dem Essen ja auch mit dem Kellner ins Bett hüpfen anstatt mit Anton. Und noch bevor sie richtig darüber nachgedacht hatte, waren ihr ebendiese Worte schon aus dem Mund gerutscht.

»Toni, also wenn du das Nilwasser so viel spannender findest als das Abendessen mit mir, kannst du gerne den Rest der Nacht dem Geplätscher zuhören. Und ich werde mich in der Zwischenzeit mit Achmed amüsieren.«

Anton schüttelte leicht den Kopf, so als wolle er sich von etwas Unsichtbarem lösen. Endlich wendete er sich seiner Verlobten zu.

»Dana, wenn du das machen willst, okay. Aber wer ist Achmed?«

Dana stockte der Atem bei dieser Antwort.

»Anton, ist das dein Ernst? Das ist dir egal? Ich fasse es nicht, was ist denn nur los mit dir? Und übrigens: Achmed ist unser Kellner, er hat ein großes Namensschild am Revers.«

Wütend warf sie ihre Serviette auf den Tisch, wollte schon aufspringen, überlegte es sich jedoch plötzlich anders. Schließlich saß sie dem Mann gegenüber, den sie liebte, der um ihre Hand angehalten hatte. Und nebenbei: Sie hatte Hunger.

Der nächste Morgen brachte Katzenjammer für Dana mit sich. »Hätte ich mich doch nur mit Achmed getroffen, anstatt allein die Flasche Sekt zu leeren«, fuhr es ihr durch den schmerzenden Kopf. Mechanisch angelte sie in ihrer Handtasche nach einem Aspirin. Erst dann fiel ihr Blick auf das zerwühlte Bett – es war leer. Anton war nicht in der Kabine, auch nicht im Bad. Verwirrt zog sich Dana etwas über und lief hinauf aufs Deck. Die grelle Sonne blendete sie und ließ ihren Schädel noch mehr dröhnen – hoffentlich wirkte das Aspirin schnell! Eine Viertelstunde lang suchte sie das Schiff nach Toni ab, endlich entdeckte sie ihn. Er stand schon bereit für den Landgang, ungeduldig von einem Fuß auf den anderen tretend. Wieder spürte Dana, wie eine wütende Welle in ihr hochschwappte, aber sie versuchte, sich zu beherrschen. Eilig lief sie auf ihren Verlobten zu.

»Toni, was ist denn los? Ich hab mir Sorgen gemacht, weil ich dich nicht gefunden habe. Warum hast du mich nicht geweckt? Und was ist mit frühstücken?«

Er sah sie kaum an, schaute wie hypnotisiert ans Ufer. Schließlich antwortete er mit abwesender, brüchiger Stimme:

»Der Landausflug. Heute besuchen wir die Pyramiden. Die Stätten der Götter.«

»Toni, hast du Fieber? Geht es dir nicht gut? Du bist so seltsam. Der Ausflug ist erst gegen Mittag, wir haben noch viel Zeit fürs Frühstück. Komm doch mit.«

Dana packte ihn am Arm, aber er schüttelte sie unwillig ab.

»Lass mich! Ich muss zu den Göttern. Ich muss der Erste sein. Ich spüre es.«

Jetzt hatte Dana endgültig die Nase voll. Wütend fauchte sie:

»Dann mach, was’d magst – aber ohne mich! Wenn du wieder normal bist, kannst ja gern zum Frühstück kommen. Falls ich dann noch da bin.«

In ihre Wut mischte sich ein leiser hysterischer Triumph. Sphinxhaft war der letzte Satz gewesen. Nur dumm, dass Anton das offenbar nicht bemerkt hatte. Und reagiert hatte er auch nicht auf ihren Ausbruch. Nun gut, sie würde den Kellner fragen, wann er Feierabend hatte …

Während die frustrierte Dana ausgiebig frühstückte und dabei ebenso ausgiebig mit dem jungen Ägypter flirtete, wartete Anton ungeduldig darauf, dass das Schiff endlich anlegte. Tatsächlich ging er als einer der Ersten von Bord und gebrauchte rücksichtslos seine Ellbogen, um schnell in den bereits wartenden Bus zu gelangen. An Dana hatte er keinen Gedanken mehr verschwendet, alles in ihm war auf die Pyramiden und die Sphinx fokussiert. Als Dana endlich auch den Bus bestiegen hatte, war der Platz neben Anton bereits besetzt, ohne dass er überhaupt bemerkt hatte, wer sich neben ihn gesetzt hatte. Dana dagegen musterte die gutaussehende, offenbar allein reisende Frau mit bitterbösen Blicken.

»Entschuldigung, aber Sie sitzen auf meinem Platz«, zischte sie schließlich, was der Fremden nur ein amüsiert-gelangweiltes Lächeln entlockte.

»Das glaube ich nicht. Ich habe den netten jungen Mann hier neben mir gefragt, ob ich mich setzen darf, und er hat genickt. Suchen Sie sich also einen anderen Platz«, säuselte die Fremde gut gelaunt.

»Ich glaub, es geht los! Schleich dich und lass mich neba mein Verlobten, du dabberte Henna!« Dana konnte durchaus auch anders als höflich, und das war so ein Moment.

Aber wieder hatte sie keinen Erfolg, die Fremde lachte jetzt herzhaft los und schüttelte den Kopf, dass die roten Haare nur so flogen – unter anderem auch in Tonis Gesicht. Immerhin brachte ihn das dazu, aus seiner Versunkenheit zu schrecken und wieder im Hier und jetzt anzukommen. Gerade rechtzeitig, um mitzukriegen, wie Dana nach den roten Locken fasste und energisch daran zog, um die andere vom Sitz zu bringen. Erschrocken mischte er sich ein:

»Dana, was soll denn das? Hast du denn gar keine Manieren? Lass sofort diese Frau in Ruhe!«, fuhr er seine Verlobte an.

Dana starrte zuerst Toni an, dann die Fremde. Sie fühlte sich wie versteinert.

»Sie soll meinen Platz freigeben«, versuchte sie es nochmals, diesmal jedoch wesentlich zaghafter als vorhin.

»Sie war zuerst da. Ihr sind die Götter wohl wichtiger als dir«, antwortete Anton lakonisch. Damit war für ihn der Fall erledigt, er schaute wieder zum Fenster hinaus in die flirrende Hitze, ohne sich um Dana zu kümmern. Die Fremde begann wieder zu lachen und rief:

»Na, Ihr Verlobter scheint ja viel von Ihnen zu halten!«

Dana wurde feuerrot und drehte auf dem Absatz um, nichts wie raus aus dem Bus, weg vom Ort ihrer Demütigung. Schluchzend stolperte sie zurück aufs Schiff und lief dem Kellner Achmed direkt in die Arme. Er hielt sie fest und fragte in gebrochenem Deutsch: