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Ärger mit den Drachen Die knapp zwölfjährige Babsi zieht nach der Trennung ihrer Eltern mit ihrer Mutter in die Stadt. Sie hofft, dort endlich richtige Freunde zu finden. Sollten das ausgerechnet der arrogante Marc und seine Teufelsbraten-Bande sein? Aber um ein echter Teufelsbraten zu werden, muss man erst einmal eine Mutprobe bestehen! Dann sorgt Marc auch noch für ziemlich viele Schmetterlinge in Babsis Magen - und umgekehrt. Alles könnte bestens sein, aber dummerweise gibt es auch noch die Drachen, die aktuell grade die besseren Karten haben im ständigen Bandenkrieg. Die Teufelsbraten bewähren sich Babsi und ihre Mutter Susanne laden kurzerhand Marc und seinen Vater Ingo über Weihnachten zu sich ein. Doch plötzlich fängt das Durcheinander erst richtig an: Babsis Vater will seine Tochter über die Feiertage zu sich holen – obwohl Babsi dazu überhaupt keine Lust hat! Die beiden Banden, Teufelsbraten und Drachen, wollen Babsi helfen und ihn mit allen Mitteln und vereinten Kräften daran hindern. Allerdings kommt ein Chaos selten allein.
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Antje Haugg, ist 1965 in Bayreuth geboren und lebt dort in einer Villa Kunterbunt, zusammen mit ihrem Mann, ihren drei Töchtern und allerhand Getier.
Die ursprüngliche Fassung für Band 1 der »Teufelsbraten« stammt bereits aus ihrer Jugendzeit, lag dann aber viele Jahre auf Eis.
1982 gewann sie den regionalen Lyrikpreis des »goldenen Liebri« und es kam 1988 zu einer ersten Veröffentlichung (»Meine Gefühle schlagen Purzelbäume«, ISBN 3-9802003-0-2).
Danach sorgte die Tätigkeit in der Finanzverwaltung und als Steuerberaterin für eine lange kreative Pause. Mittlerweile ist sie ausschließlich für Familie, Haus und Garten zuständig.
Und natürlich für Nachschub an Teufelsbraten-Abenteuern! Außerdem schrieb sie in der Zwischenzeit das Kinderbuch »Auf geht’s, Minitigers!« (erschienen 2009, ISBN 978-3-86805-485-9), den Jugendroman »Sternenstaub über Bayreuth« (erschienen 2012, ISBN 978-3861961833), und es kam zur Veröffentlichung ihres Bayreuth-Krimis »Blutige Kufen« (erschienen 2012, ISBN 978-3943160055) mit Kommissarin Julia Lehmann.
Im Jahr 2013 erschienen Kurzgeschichten in den Anthologien »Krimizimmerei 2«, »Es war einmal im Sommer«, »Verliebt, verlobt« (alle im Papierfresserchen Verlag), »Verliebte Jungs« (Wölfchen Verlag).
Besuchen Sie unsere Autorin auf ihrer Teufelsbraten-Webseite. www.die-teufelsbraten.de sowie auf Facebook.
Antje Haugg
Die Teufelsbraten
1. Ärger mit den Drachen
2 ... bewähren sich
***
Elvea Verlag
…für meine »wilden Weiber«
Sabrina, Jeannette und Kira
Kapitel 1
Schon an der Haustür hörte Babsi Hersfeld die lauten Stimmen.
»Mist! Nicht schon wieder!«, rutschte es ihr heraus und sie fühlte sich, als hätte ihr jemand einen Eiszapfen in den Bauch gerammt. Einen kurzen Moment lang kämpfte sie gegen den Wunsch an, einfach ganz weit wegzulaufen und für immer zu verschwinden. Dann siegte die Vernunft und sie öffnete ruckartig die Haustür. Jetzt konnte sie verstehen, was gesagt wurde, und sie wünschte, sie wäre doch davongerannt.
»...Was hat sie dir denn so Tolles zu bieten, was du hier nicht hast?«, rief ihre Mutter.
Und ihr Vater antwortete: »Vielleicht schreit sie nicht so rum wie du!«
Das reichte! Babsi warf ihren Schulranzen in den Hausflur, rief nach Coco, ihrer braunen Spanielhündin, und drehte auf dem Absatz um ins Freie. Coco sprang schwanzwedelnd um ihr Frauchen herum und sauste mit ihr in den Garten, bis unter die alte Trauerweide.
Hier war Babsis Geheimversteck, hier war sie völlig ungestört. Wütend schleuderte sie die Sandalen von ihren Füßen und setzte sich auf die sandige Erde. Die harte Rinde der Weide drückte an ihren Rücken, als sie sich an den Stamm anlehnte. »Coco, warum müssen die nur ständig streiten? Das nervt so! Früher waren sie doch auch nicht so...«
Früher, das war bevor Babsis Vater die Großbaustelle bei Leipzig übernommen hatte, vor ein paar Monaten. Seitdem kam er nur noch selten heim, in das kleine Dorf, in dem sie wohnten. Und wenn er da war, gab es Streit. Oft wachte Babsi sogar nachts auf, weil ihre Eltern laut wurden. Sie lag dann im Dunkeln wach, drückte Coco fest an sich und hörte entsetzt zu, wie ihre Eltern sich böse Dinge an den Kopf warfen. Anfangs hatte sie viel geweint deswegen - natürlich nur heimlich - , weil ihr die schlimmsten Sachen einfielen: dass ihr Vater für immer weggehen könnte und sie dann in ein Heim müsste oder in ein Internat. Dass ihre Mutter vor Trauer nicht mehr arbeiten könnte und sie dann bettelarm würden. Und, und, und...
Einmal hatte sie am Nachmittag nach einem solchen Streit ihre Mutter in deren kleinen Arbeitszimmer besucht, tief Luft geholt und dann gefragt: »Warum habt ihr euch nicht mehr lieb, Papa und du? Wollt ihr nicht mehr zusammen bleiben?«
Ihre Mutter, die als Möbeldesignerin zuhause arbeitete, hatte den Stift aus der Hand gelegt und Babsi angeschaut. Sie sah aus, als wollte sie etwas sagen, dann aber schüttelte sie nur den Kopf, nahm den Bleistift in die Hand und begann wieder zu zeichnen. Babsi wusste es noch ganz genau: Es war ein warmer, sonniger Nachmittag im Mai gewesen, das Fenster war weit geöffnet, die Vögel sangen draußen, und es roch intensiv nach Flieder. Ihre Mutter machte einige Striche auf dem weißen Papier, dann brach der Bleistift ab. Sie nahm einen anderen Stift und malte mit schnellen, fahrigen Bewegungen weiter, bis ein ziemlich missglückter Stuhl fertig war.
Babsi hatte noch lange auf eine Antwort gewartet, dann war sie hinaus gegangen unter die Trauerweide. Sicher hatte das Kopfschütteln bedeutet, dass ihre Mutter nicht darüber reden wollte. Und dass eine Träne über die Backe von Frau Hersfeld gelaufen war, wollte Babsi lieber gar nicht glauben, denn sonst hätte sie laut losgeheult. Sie hatte die Zähne zusammengebissen, die Luft angehalten und bis 10 gezählt. Dann hatte sie Coco erklärt:
»Sie bleiben sicher zusammen, ich brauche doch alle zwei! Und Papa zieht hier nicht aus, denn die Großmama ist seine Mama und die lässt er nicht im Stich! Ich würde Mama und Papa ja auch nicht verlassen, und deswegen bleibt Papa hier!«
So war das neulich gewesen, sie erinnerte sich noch genau daran. Jetzt kraulte Babsi Coco hinter den Ohren und beschloss, an etwas anderes zu denken, an etwas Schönes. Während Coco sie mit ihrer feuchten schwarzen Nase anstupste, überlegte Babsi sich, wie gut sie es hatte - wenn ihre Eltern nicht gerade stritten...
Hier im Dorf kannte jeder jeden, wie in einer großen Familie. Ringsherum waren Wiesen, Wald und Felder, wo sie stundenlang mit Coco herumtollen konnte und dabei nie eine Hundeleine mitnehmen musste. Heute war der letzte Schultag vor den Sommerferien gewesen, so dass auch die lästige Fahrerei mit dem Schulbus wegfiel. Das war einer der beiden Nachteile, seit sie in der Stadt ins Gymnasium ging: Das tägliche Busfahren ging ihr manchmal schon gewaltig auf die Nerven.
Und der zweite Nachteil war, dass aus ihrer früheren Klasse nur sie aufs Gymnasium ging. Anfangs hatte sie sich nichts dabei gedacht, aber bald merkte sie, dass sie jetzt mehr lernen musste als früher. Und mit der Fahrt ging ja auch viel Zeit verloren... Jedenfalls hatten ihre alten Freunde irgendwann im letzten Schuljahr angefangen, ohne Babsi loszuziehen, weil sie eh immer auf sie warten mussten. Das hatte zuerst verflixt wehgetan und Babsi hatte oft geweint, wenn sie hörte: »Du hast ja nie mehr Zeit für uns. Du denkst wohl, du bist jetzt was Besseres?« Der Gemeinste von allen war Manuel, ein früherer Klassenkamerad, dem jetzt fast jeden Tag neue blöde Sprüche einfielen...
Das Schlimmste aber war, wenn ihre Eltern sagten: »Du wirst bestimmt bald andere Freunde finden in deiner neuen Klasse.«
Wie sollte sie denn Freunde finden, wenn sie jeden Mittag nach der Schule rennen musste, um den Bus nicht zu verpassen? Bloß gut, dass sie Coco hatte. Das war immerhin eine Freundin, wenn sie auch nur zuhörte, ohne zu antworten. Trotzdem hatte Babsi das Gefühl, ihr Hund könne jedes Wort verstehen, das sie sagte. Und das machte doch fast alles wieder wett.
Jedes Mal, wenn Babsi mittags heimkam, war sie so richtig erleichtert, weil sie einfach gerne hier wohnte: in dem roten Backsteinhaus, an dem der Wein hochrankte, während im Hof die Hühner herumliefen und die Hasen in ihren Ställen saßen, die Nasen durchs Gitter steckten und auf ihr Futter warteten. Wenn sie dann von der stürmisch wedelnden Coco begrüßt wurde, dachte sie des öfteren, dass sie froh war, nicht in der Stadt zu wohnen, wo es nach Autos roch und nach Teer. Hier roch es nach Heu und Erde - und mittags nach dem leckeren Essen, das ihre Großmutter gekocht hatte. Großmama war einfach klasse, Babsi liebte sie heiß und innig und war froh, dass sie noch so rüstig und gesund war für ihr Alter. Pfeif doch auf Freunde – in diesem Moment war das völlig egal! Aber Großmama kochte nicht nur gut, sie strickte auch leidenschaftlich gern und sorgte dafür, dass Babsi immer kuschelweiche Rollkragenpullis im Schrank hatte - zwei Nummern zu groß, genau wie Babsi es liebte. Schade nur, dass der Großvater vor einigen Jahren gestorben war...
Auch Babsis Mutter war meistens daheim. Sie arbeitete zwar für eine große Möbelfirma - sie entwarf Sofas, Schreibtische, Betten und Stühle - aber Gott sei Dank konnte sie die Zeichnungen alle zuhause machen und musste nur ab und zu in die Firma fahren, um ihre Pläne mit den Leuten durchzusprechen, die ihre Möbel später bauen sollten. Babsi fand das in Ordnung, denn dadurch hatte sie ihre Mutter den ganzen Tag über ein klein wenig für sich. Wenn es Probleme gab, konnte sie immer in das kleine, aber helle Arbeitszimmer gehen und ihrer Mutter alles sagen, was sie auf dem Herzen hatte - von schwierigen Rechenaufgaben bis zum Ärger mit den Dorfkindern. Ihre Mutter hörte immer genau zu, ohne jedoch auch nur einmal den Stift aus der Hand zu legen. Sie sagte oft lange Zeit kein Wort und überlegte, während sie zeichnete. Was sie dann jedoch antwortete, hatte immer Hand und Fuß - bis auf die Sache mit den neuen Freunden...
Eigentlich hätte Babsi an diesem letzten Schultag also mit sich und der Welt zufrieden sein müssen. Ihr Zeugnis war gut ausgefallen, das Wetter war toll, zu Mittag sollte es Pfannkuchen mit Apfelkompott geben, und sogar die Dorfkinder hatten vorgeschlagen, miteinander schwimmen zu gehen. »Jetzt musst du ja nicht Bus fahren und auch nichts lernen. Komm doch mal wieder mit!« Jedenfalls dachte Babsi jetzt bei sich, dass die Ferien vielleicht gar nicht so schlecht würden. Und vielleicht würde ja sogar Mano aufhören herumzuspinnen!
Coco fiepte leise und wedelte mit dem Schwanz: Sie wollte noch mehr geknuddelt werden. Babsi streichelte sie gedankenverloren und grübelte wieder über ihre Eltern nach. Okay, sie redete sich ein, dass alles über kurz oder lang wieder in Ordnung käme – aber was, wenn nicht? Irgendwie war das genauso, als würde sie im neuen Schuljahr wieder die Dorfschule besuchen: Es wäre nicht wie vorher, denn irgendjemand würde bestimmt lästern, dass sie was Besseres sein wollte und jetzt das Gymnasium nicht geschafft hätte. Und ihre Eltern würden sich sicher auch gegenseitig an den vielen Ärger erinnern. Nein, wenn einmal etwas passiert war, was die Dinge so total veränderte, dann konnte man das nicht ausradieren wie eine falsche Rechenaufgabe. Irgendjemand würde sich immer wieder daran erinnern und dafür sorgen, dass man nicht so tun konnte, als wäre nie etwas passiert.
Als Babsi diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, war sie erschrocken und verwirrt und war sich nicht sicher, ob sie da wirklich richtig gedacht hatte. Sie überlegte das alles noch einmal und kam wieder zu dem Schluss: Es konnte nicht mehr so werden wie früher, weil zuviel passiert war, was man nicht ausradieren konnte! Nur - dann blieb eine Frage: Wie sollte es dann werden?
Nein, Babsi wusste einfach nicht weiter. Sie seufzte laut und begann, Coco die verzwickte Lage zu schildern.
»... und Mama brauche ich eh nicht mehr fragen.
Sie will ja nicht darüber reden.«
Coco fiepte leise. Natürlich! Babsi fuhr hoch.
»Ich werde Papa mal fragen, was eigentlich los ist. Oder - noch besser: alle beide zusammen. Dann kann Mama sich nicht vor einer Antwort drücken.«
Sie setzte sich wieder und begann, sich das alles genau auszumalen. Aber es war wie verhext: Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass ihre Eltern sie beruhigen würden, sich küssen und versöhnen würden und dass alles wieder gut wäre. Sie hatte immerzu das ungute Gefühl, ihr Vater würde bald gar nicht mehr kommen. Und das Schlimmste war: Es kam ihr schon fast normal vor! Wenn sie nur noch Streit hatten, dann hatten sie sich doch wohl nicht mehr richtig lieb. Und warum sollten sie sich dann noch küssen wollen, so wie früher?
Tief in trübsinnige Gedanken versunken blieb Babsi noch lange unter der alten Trauerweide sitzen, bis ein kühler Windstoß sie aufschreckte und gleichzeitig ihr knurrender Magen lautstark etwas Vernünftiges zu essen forderte. Babsi stand auf, dehnte und reckte sich ein wenig und schnalzte dann mit der Zunge:
»Komm, Coco! Ab in die Küche! Mal sehen, was es zu essen gibt. Nach Pfannkuchen hat es jedenfalls vorhin nicht gerochen. Und ob sich wohl irgendwer außer Großmama für mein Zeugnis interessiert?«
Gerade als Babsi die Küchentür öffnete, sagte ihre Mutter: »Auf alle Fälle muss das in den Ferien über die Bühne gehen, damit Babsi in der neuen Klasse vom ersten Schultag an dabei ist.«
Babsi hatte das Gefühl, plötzlich keine Luft mehr zu bekommen. Sie quietschte leise auf, worauf sich ihre Eltern erschrocken umdrehten und dabei aussahen, als hätte man sie beim
Kirschenklauen erwischt.
»Was. . . worüber redet ihr? Wollt ihr mich in ein Heim stecken? Was soll das alles? Warum seid ihr ständig so schrecklich drauf? Sagt mir endlich, was hier los ist! Sagt es mir!!!«
Ihr war speiübel, und ihre Beine zitterten so sehr, dass sie sich an der Türklinke festhalten musste. Ihr Vater sah sie nicht an, als er verlegen brummte: »Also... ich fahr´ lieber wieder. Du weißt ja, wo du mich erreichen kannst. Aber ruf nicht an, wenn´ s nicht dringend ist. Erster September klingt gut...« Damit ging er hinaus. Babsi begann zu zittern und schluchzte plötzlich laut auf, weil sie spürte, dass etwas Schlimmes los sein musste, und gleichzeitig nicht ein einziges Wort verstand. Ihre Mutter sah so aus, als wollte sie hinterherlaufen, aber dann blieb sie doch stehen und nahm Babsi in die Arme. »Komm, mein Mädchen, wir setzen uns aufs Sofa.«
Und sie fing langsam und leise an zu erzählen: »Babsi, die Sache ist die: Du weißt ja, dass Papa viel unterwegs ist. Und vor ein paar Monaten hat er jemanden kennengelernt, eine Frau. Die hat er öfter mal getroffen und irgendwann hat er gemerkt, dass er die Frau lieb hat, so wie er uns immer liebgehabt hat. Und dann hat er gemerkt, dass er gern in Zukunft mit ihr zusammen-wohnen will, wie mit uns. Aber weil er nicht mit uns und mit ihr zusammenwohnen kann, musste er sich entscheiden.«
»Und?«
Babsi fragte nach, obwohl sie eigentlich wusste, was jetzt kam.
»Na ja, er will jetzt erst mal ausprobieren, wie es ist, mit ihr zusammen zu wohnen. Sonst weiß er ja nicht, was besser ist.«
Babsi atmete auf. »Na, ich dachte schon, es wäre schlimmer. Aber wenn er es erst mal ausprobieren will, kommt er bestimmt bald wieder zu uns. Er hält es bestimmt nicht lange aus ohne uns, ohne Großmama und ohne das Haus hier. Er ist doch so stolz drauf, dass er immer nur hier gewohnt hat. Mach dir keine Sorgen, Mama: Papa ist bald wieder hier!«
Mit einem Mal ging es Babsi gleich besser. Bestimmt würde bald alles wieder gut werden. Nur ihre Mutter sah nicht so überzeugt aus. Warum denn nur? Man konnte doch nicht alles hier verlassen, nur um bei einer fremden Frau zu wohnen...
»Babsi, ganz so einfach ist das nicht. Papa wird nicht von hier weggehen, sondern die Frau zieht hier mit ein. Wir zwei sind es, die ausziehen müssen.«
»Was???«
Babsi brach in lautes, verzweifeltes Schluchzen aus und konnte sich gar nicht mehr beruhigen. Von hier weg? Von Großmama, vom Dorf mit den Wiesen und Feldern, von der Trauerweide und den Hühnern - oh weh!
Ihre Mutter redete beruhigend auf sie ein: »Warte doch erst mal ab: Wir werden in die Stadt ziehen, wo mein Elternhaus steht. Das ist ein ganz kleines Häuschen am Stadtrand, fast schon auf dem Land. Es gehört immer noch meinen Eltern und die Mieter sind gerade ausgezogen, das trifft sich gut, dort können wir einziehen. Wir haben bis zum ersten September Zeit für unseren Umzug, und nach den Ferien kannst du jeden Tag mit dem Rad in die neue Schule fahren. Und alle deine Klassenkameraden wohnen in unserer Nähe. Es wird dir bestimmt gefallen.«
Babsi schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ich - will - aber - nicht - von - hier - weg!!!«
Jetzt wurde ihre Mutter etwas unfreundlich.
»Barbara, glaubst du denn, ich will gerne weg? Ich muss eben, weil das Haus hier Großmama und Papa gehört und weil Papa schon viel länger hier wohnt als ich. Und für dich ist es besser mitzukommen, weil ich ja meistens daheim bin - im Gegensatz zu Papa. Außerdem ist es von dort aus viel näher nach Nürnberg zu meinem Chef, da bin ich dann nicht so lange unterwegs, wenn ich hinfahren muss.«
Das leuchtete Babsi ein. Papa hatte wirklich nur selten Zeit für sie. Sie schniefte noch ein wenig vor sich hin, bevor sie trotzig rief:
»Aber bis zum ersten September will ich hier bleiben und Ferien haben. Ich will das neue Haus vorher gar nicht sehen. Es interessiert mich nicht. Wenn ihr euch streitet, dann macht das. Aber ihr habt mich zum Streiten nicht gebraucht - also helfe ich auch nicht beim Umzug!«
Und damit rauschte Babsi hinaus. Sie war fest entschlossen, so zu tun, als ob nichts wäre. Sie wollte Ferien machen, mit Coco spazieren gehen, mit den Kindern aus dem Dorf schwimmen, Frösche fangen und Blaubeeren und Pilze suchen. Sie wollte bei Regen Tagebuch schreiben und Dutzende von Büchern lesen. Und: Sie wollte nichts mit dem Umzug zu tun haben. Es würden ihre letzten Ferien hier werden, und sie wollte, dass es schöne Ferien würden...
Kapitel 2
Es hatte angefangen zu regnen - genau passend zu der traurigen Fahrt ins neue Haus... Die Scheibenwischer des alten rostigen VW-Passat schrammten unermüdlich, von quietschenden Geräuschen begleitet, von links nach rechts und etwas ruckelnd zurück. Unter dem rechten Wischer hing eine Fichtennadel und malte sanft geschwungene Bögen auf die Windschutzscheibe. Babsi saß auf dem Rücksitz und versuchte, ihre zitternden Knie fest zusammen zu pressen, um sich zu beruhigen. Sie beobachtete die Fichtennadel und dachte traurig an den Abschied von daheim. Es war fürchterlich gewesen: Großmama hatte geweint, ihre Mutter auch, und sie selbst am allermeisten. Nur ihr Vater war wieder einmal nicht da gewesen. Wahrscheinlich würde er sich auch in Zukunft nicht mehr blicken lassen. Babsi spürte einen Stich in der Magengegend, und einen Moment lang war sie rasend eifersüchtig auf die fremde Frau, die ihnen den »Mann im Clan« (wie ihre Mutter oft lachend gesagt hatte) weggenommen hatte und jetzt mit ihm und Großmama im alten Bauernhaus wohnen durfte...
Dann wurde Babsis Aufmerksamkeit jedoch wieder in die Gegenwart gelenkt, weil ihre Mutter das Autoradio leiser stellte (Gott sei Dank - Babsi hasste Volksmusik!) und zu reden begann:
»Schau, das rote Haus mit Flachdach ist deine neue Schule. Jetzt dauert es gar nicht mehr lange, und wir sind da.«
Babsi war auf einmal ziemlich mulmig zumute. Sie war ja noch nie hier gewesen und hatte sich auch bis zum Schluss geweigert, wenigstens mit dem Möbelwagen mitzufahren. So hatte ihre Mutter das Haus ganz alleine eingerichtet, und nur die allerpersönlichsten Sachen hatte Babsi selbst eingepackt und im Kofferraum des VW verstaut.
Coco stupste ihr Frauchen mit der feuchten Hundenase an und fiepte leise. Sie wusste überhaupt nicht, was eigentlich los war.
»Nimm Coco dann lieber an die Leine, es könnte hier andere Hunde geben, die Coco vielleicht nicht mögen.«
»Na, hoffentlich keine Bernhardiner!«, seufzte Babsi.
Bernhardiner waren die einzigen Tiere, die ihr Angst einjagen konnten. Im Dorf hatte es keinen Einzigen gegeben, was Babsi immer wahnsinnig beruhigt hatte. Diese zotteligen, geifernden Ungeheuer schienen ja nur darauf zu warten, sie erschrecken zu können! Hoffentlich gab es keine derartigen Viecher in ihrer Straße...
»So, jetzt sind wir fast da. Da vorne links einbiegen - und dort siehst du schon unser Haus!«
Es war wirklich hübsch! Natürlich lange nicht so schön wie das alte Bauernhaus, aber immerhin wuchs auch wilder Wein an den roten
Backsteinmauern hoch, und es hatte sogar einen kleinen Garten. Ein Apfelbaum stand mitten im Rasen und gleich daneben ein Birnbaum, der über und über voll hing mit großen, fast reifen Birnen. Regentropfen tropften von den Ästen herunter ins Gras, das schon länger nicht mehr gemäht worden war und jetzt vom Dauerregen auf den Boden gelegt wurde. Am Zaun entlang wuchsen Ringelblumen, deren gelbe und orangefarbene Blüten sogar bei diesem Mistwetter wie kleine Sonnenlichtflecken leuchteten.
Neben der Haustür hing ein blaues Schild mit der Aufschrift »Kornweg 37«, und darunter ein ganz neues mit einer großen und einer kleinen Katze, darunter stand »Susanne und Barbara Hersfeld«.
Babsis Laune besserte sich schlagartig. Sie hatte es sich viel schlimmer vorgestellt. Aber hier war eine sehr ruhige Wohngegend, wo fast keine Autos fuhren. Und das Haus sah niedlich aus, fast wie ein Puppenhaus, so winzig und mit vielen kleinen Fenstern!
Sie rutschte ungeduldig auf dem Rücksitz hin und her, während ihre Mutter (die das Haus ja kannte und deshalb ganz ruhig blieb) erst mal das Auto in die Garage fuhr und den Motor ausmachte.
Dann stiegen sie aus, und nachdem ihre Mutter das Gartentor geschlossen hatte, konnte Babsi endlich Coco von der Leine lassen. Die sprang aufgeregt an ihr hoch und kläffte laut.
»Bist du still, Coco! Babsi, trag doch bitte gleich einen Karton zur Haustür. Kommt mit, ihr zwei!«
Endlich wurde die Haustür aufgesperrt und Babsi konnte jetzt die Zimmer anschauen. Ihre Mutter hatte viele neue Möbel gekauft, nur einige Stücke, an denen sie besonders hing, waren mit umgezogen.
Babsi war hin und weg: Alle Zimmer waren mit hellen Möbeln eingerichtet und sahen richtig freundlich aus. Aber am schönsten war ihr Mädchenzimmer! Die Wände waren tapeziert, nicht einfach nur gestrichen. Und was für eine Tapete! Unzählige hellrosa Blumensträuße waren über die Wände verstreut. Das Zimmer war unter der Dachschräge und hatte nur drei gerade Wände. An der vierten Wand, direkt unter einem großen Dachfenster, stand das Bett, das man tagsüber zum Sofa umbauen konnte. Wenn Babsi darin lag, konnte sie abends die Sterne zählen. Neben der Tür stand ein Schrank mit einem großen Spiegel!
Babsi war begeistert. Coco nicht so sehr, sie betrachtete ihr Spiegelbild und knurrte leise, was Babsi zum Lachen brachte. An der anderen Wand hing ein riesengroßes Bücherregal für Leseratte Babsi - mit vier Etagen. Außerdem war hier ein kleines Waschbecken mit einem Spiegel darüber und einem Korbregal für Zahnputzzeug und Haarbürste daneben.
Das Tollste aber war die letzte Seite: Da war ein großes Fenster, unter dem Babsis neuer Schreibtisch stand, der noch nach frischem Fichtenholz roch. Daneben war ein neuer Hundekorb für Coco aufgestellt, die sich schweren Herzens von ihrem Spiegelbild trennte und nach einem letzten Blick über die Schulter gleich den Korb ausprobierte. An der linken Seite des Schreibtisches war neben dem Fenster noch eine Glastür, die wirklich und wahrhaftig auf einen kleinen Balkon führte!
Babsi war total verblüfft und lief über den flauschig-weichen grauen Teppichboden sofort in Richtung Balkon. Jetzt entdeckte sie auch, dass die Vorhänge gegengleich zur Tapete rosa mit weißen Blumensträußen waren. Auf dem Balkon stand ein kleiner runder Tisch mit zwei Klappstühlen.
»Für den Feierabendtee zu zweit.«, sagte ihre Mutter, die hinterher gekommen war. »Und hier kannst du eine Hängematte quer über den Balkon spannen.«
Babsi fiel ihrer Mutter vor Freude um den Hals.
»Du bist spitze, Mami! Das ist sagenhaft hier. Vielleicht wird es nicht einmal so übel in der Stadt...«
»Na komm, wir trinken erst mal Kaffee. Ich habe vorne am Eck eine Bäckerei gesehen - du kannst uns Kuchen holen.«
»Au ja - aber nur, wenn wir auf dem Balkon Kaffee trink- oh weh, es regnet ja immer noch!«
Babsi brummelte vor sich hin, aber eigentlich meinte sie es gar nicht so, denn sie fand es hier auf Anhieb so schön, dass sie sich nicht einmal über den Regen ärgern konnte.
Kurz darauf saßen sie im Wohnzimmer und futterten einträchtig Butterkuchen. In solchen Momenten dachte Babsi immer, dass ihre Mutter eigentlich eine richtige Freundin war. Leider dachte sie meistens bald wieder anders: nämlich dann, wenn ihre Mutter mit irgendwelchen dummen Erwachsenenregeln anfing. Zum Beispiel, wenn man abends zusammensaß und Monopoly spielte oder ein spannender Film kam, musste Babsi immer mittendrin ins Bett, nur weil es gerade neun Uhr war.