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Warum verbindet man den Norden mit Fjorden und Elchen, mit Kälte, mit Modernität und hoher Bildung, mit Möbeln, Kunst und erfolgreicher Musik? Was hat es mit dem Germanentum und den nordischen Mythen auf sich? Waren die Wikinger wirklich plündernde Wilde? Spannend und geistreich führt Michael Engelbrecht durch 12.000 Jahre nordische Kulturgeschichte. Dabei deckt er Irrtümer auf und stellt Unbekanntes vor. Der Clou dabei: Typisch nordische Rezepte machen jede Epoche sinnlich erlebbar - serviert selbstverständlich mit kulturellem Hintergrund.
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Seitenzahl: 271
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Michael Engelbrecht
Eine kurze Geschichte der nordischen Welt
Vielen Dank an Helga, Katharina und Sabrina
Wichtiger Hinweis: Alle Seitenverweise in diesem Buch beziehen sich auf die Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe.
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Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2019
Lektorat/Bildredaktion: Christine Braun
Herstellung, Layout, Satz: Julia Franze
Bildbearbeitung/Umschlaggestaltung: Benjamin Arnold
unter Verwendung eines Fotos von: © ArtsyBee / pixabay.com
Kartendesign: Katrin Lahmer
Produktion: bookwise GmbH, München
Printed in Slovakia
ISBN 978-3-8392-6062-3
Widmung
Impressum
Inhalt
Vorwort
Einführung
Von Eis zu Eisen
Rentier nach Art der Jungsteinzeit
Jungsteinzeitlicher Getreidebrei
Bier nach Art der Steinzeitbauern
Der Norden wird flügge
Roggenmischbrot nach Art nordischer Bauern
Eingelegter Hering nach Art der Glasbläser – Lasimestarin silliä (finnisch) / Glasmästarsill (schwedisch)
Skandinavischer Weihnachtsschinken – Julskinka
Estnischer Heringssalat – Rossolje
Männer ohne Hörnerhelme
Wikingerfrühstück
Kaufleute und Könige
Mittelalterliches Festmahl
Evangelium und Erbsensuppe
Schwedische Erbsensuppe – Ärter med Fläsk
Pfannkuchen mit Sahne und Preiselbeeren
Graue Erbsen – Pelekie zirni
Möbelkönige, Popmusik und Romanzen
Schnapstafel/Schwedisches Buffet – Brännvinsbord/Smörgåsbord
Haggis
Das bürgerliche Wohnzimmer
Biff à la Lindström
Braune Bohnen – Bruna Bönor
Dansk Bøf
Op ewich ungedeelt
Grünkohl
Rote Grütze
Die Eismeerimperialisten
Labskaus
Rømme grøt
Schweden dürfen wir nicht, Russen wollen wir nicht – Lasst uns Finnen sein!
Vorschmack
Kalakukko
Der Norden und die großen Nachbarn
Gelbe Erbsenklopse – Gyla Ärtbiff
Grüne Erbsenfrikadellen – Grön Ärtbiff
Grießfisch – Mannagrynsfisk
Heile Welt im Kalten Krieg
Krebsessen an Kräftskiva
Estnischer Quarkkuchen – Kohupiimakook
Angekommen im 21. Jahrhundert?
Vegetarische Köttbullar
Waldpilzbeerenpfanne mit Kräutern
Ausgewählte Literatur
Bildverzeichnis
Rezeptliste
Zeitleiste
Während seiner Zeit als Mitarbeiter am Kieler Lehrstuhl für Nordische Geschichte wurde Michael Engelbrecht zum kompetenten Fachmann für politische und kulturelle Geschichte des Nordens. Dies, kombiniert mit seiner jahrzehntelangen Vorliebe für Kulinarisches in aller Welt, führte nun zu einer ausführlichen Darstellung der skandinavischen Historie vom Anfang bis heute, garniert mit kulturhistorischen Informationen und zeittypischen Rezepten. Es entstand eine einmalige, moderne und angenehme Mischung von politischer, kultureller und kulinarischer Geschichte.
Die Darstellung beginnt mit Definitionen von Zeit und Raum. Glücklicherweise entscheidet sich der Verfasser für ganz Nordeuropa als Thema, von den schottischen Inseln im Westen (mit dem landestypischen Rezept »Haggis«) über Lappland im Norden (»Rentier nach Art der Jungsteinzeit«) bis zu Finnland (»Kalakukko« und Mannerheims »Vorschmack«) und den baltischen Staaten im Osten. Vorgestellt wird also der gesamte Nord- wie Ostseeraum. Selbstverständlich fehlen auch die lebhaften skandinavischen Trinksitten und -lieder nicht.
Er beginnt seine kurzweilige Reise durch die Geschichte, Kultur und Kulinarik der nordischen Welt im Neolithikum (»Bier nach Art der Steinzeitbauern«) und endet bei der bewegten Sicherheitspolitik zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Internationalisierung oder Nationalisierung, dies scheinen die großen Fragen des 21. Jahrhunderts zu sein, man denke nur an den Brexit. Ein Sowohl-als-auch macht die nordische Küche schon seit den 1980er Jahren vor, indem sie, meist vor allen anderen, traditionelle Gerichte mit neuen Strömungen verbindet.
Michael Engelbrecht gelingt es hervorragend, das gemeinsame Nordeuropäische sowie die epochalen und regionalen Unterschiede darzustellen. Nebenbei freut man sich über seine Vorliebe für Film und Musik. So wird im Vorbeigehen einiges gelernt, sowohl über Ingmar Bergman wie auch über die »Schwedische Sünde« und die Erfolge beim Eurovision Song Contest.
Kurzum, Michael Engelbrechts Buch empfiehlt sich für alle weltoffenen deutschsprachigen Skandinavien- beziehungsweise Nordeuropaliebhaber, deren Herzen besonders für Geschichte und Kulinaria schlagen. Ein Geschichtsbuch, das alles andere als trocken ist, das Spaß macht und den Appetit anregt – Väl bekomme!
Prof. Dr. Hain Rebas
Wo der Norden liegt, ist immer eine Frage des Standpunkts. Für Sizilianer liegt Neapel im Norden, für Amerikaner ist der Norden in Kanada. In unserer traditionellen Vorstellung liegt der Norden irgendwo in Skandinavien. Und damit beginnen auch schon die Schwierigkeiten, denn wir verwenden für den Norden viele verschiedene Begriffe, die aber immer nur ein Teil des Ganzen sind. Je nach Standpunkt, sei er geografisch, historisch, politisch oder sprachlich bedingt, fällt die Definition des Nordens unterschiedlich aus.
Skandinavien ist streng genommen nur die große skandinavische Halbinsel mit Norwegen, Schweden und Finnland. Sprechen wir von Nordeuropa, können wir auch Dänemark, Island, die Åland-Inseln und die Färöer-Inseln dazuzählen. Doch fallen dann Grönland, das Baltikum, die Britischen Inseln und Schleswig-Holstein, die historisch gesehen zum Norden gehören, geografisch heraus.
Besonders spannend ist in diesem Zusammenhang das Baltikum, das in deutschen Augen immer einen Block darstellt. Bei genauerer Betrachtung aber sind die baltischen Länder sehr unterschiedlich. Unter Berücksichtigung der Sprachen, der Religionen und der Flora und Fauna ist Estland ein Teil Nordeuropas, Litauen gehört zu Osteuropa und Lettland bildet das eigentliche Baltikum.
Viele Versuche, eine Klammer für den Norden zu finden, scheitern. Die nordeuropäische Sprachfamilie lässt Estland, Finnland und auch Grönland, die Britischen Inseln und Schleswig-Holstein außen vor. Die gern verwendete Gemeinschaft der Ostseeanrainer bringt als neue geografische Region Polen ins Spiel, schließt aber die Gebiete in der Nordsee und im Nordatlantik aus.
Eine ungewöhnliche Einteilung, die das Gebiet von Island bis Finnland, von Irland bis Spitzbergen umfasst, ist eine biologische. 95 Prozent der hier ansässigen Bevölkerung besitzen eine Milchzuckerverträglichkeit, medizinisch als Laktasepersistenz bezeichnet. In allen anderen Teilen der Erde ist der Anteil Laktoseintoleranter höher. Im Norden hat sich vor rund 8.000 Jahren eine Mutation vor dem Hintergrund ausgedehnter Milchwirtschaft durchgesetzt. Diese hohe Laktasepersistenz wird übrigens ohne ausgedehnte Zuwanderung weiter zunehmen.
Doch auch diese Definition des Nordens bleibt unvollständig, weil in Grönland in der Inuitbevölkerung eine hohe Anzahl Laktoseintoleranter lebt.
Eine hydrologische Definition ist die der Wassereinzugsgebiete von Nord- und Ostsee, die wiederum weit nach Mitteleuropa hineingreift.
Wegen der Inkompatibilität dieser Definitionen hat sich in mehreren Ländern und Sprachen nach dem Zweiten Weltkrieg der Begriff des Nordens in seiner Unbestimmtheit durchgesetzt, der in diesem Buch Verwendung findet. So gibt es beispielsweise in ganz Nordeuropa eine gemeinsame politische und kulturelle Organisation mit dem Namen »Vereinigung Norden«, den Nordischen Rat und den Nordischen Ministerrat.
Einer umfassenden Definition sehr nahe kommt diejenige der Vereinten Nationen, die Nordeuropa wie folgt unter der Nummer 154 in ihrer Regionenliste führen: Åland (UN-Kennzahl 248), Kanal-Inseln (830), Dänemark (208), Estland (233), Färöer (234), Finnland (246), Guernsey (831), Island (352), Irland (372), Isle of Man (833), Jersey (832), Lettland (428), Litauen (440), Norwegen (578), Sark (680), Svalbard und Jan Mayen (744), Schweden (752), Großbritannien und Nordirland (826). Bei dieser Aufzählung fehlen nur Schleswig-Holstein und Grönland, weil sie geografisch zu Deutschland beziehungsweise Nordamerika gehören.
Die nordische Welt, wie sie im Folgenden vorgestellt wird, schließt alle Regionen der UN-Liste inklusive Schleswig-Holstein und Grönland ein. Der so definierte Norden umfasst die Anrainer des Nordatlantiks, der Nordsee und der Ostsee, soweit sie historisch oder kulturell mit den anderen Gebieten dieser Region in Verbindung standen oder sich selbst als Teil des Nordens sehen. In jüngster Zeit hat zum Beispiel das Bundesland Schleswig-Holstein den Werbespruch »Der echte Norden« zum Motto seiner Imagemaßnahmen auserkoren.
Der Norden umspannt also die gesamte Region von Grönland bis St. Petersburg und von Hamburg bis Spitzbergen. Wir wollen in diesem Buch ergründen, wie es überhaupt zu dieser regionalen Einheit gekommen ist und welche Bedeutung sie heute für uns hat. Wenn Menschen an den Norden denken, öffnen sich sofort viele verschiedene Welten, die oft mit Natur und Kälte verbunden sind, aber auch mit Kunst und Modernität. Möbel und Wohnkultur, erfolgreiche Musik und ein menschliches Miteinander kennzeichnen das heutige Bild vom Norden. Bei näherer Betrachtung werden wir feststellen, dass die Wurzeln dieser Bilder zum Teil sehr alt sind und eine lange Tradition haben. Diesen Wurzeln werden wir nachspüren.
Wenn wir uns die nordische Welt anschauen, müssen wir zurückreisen bis in die eisigen Anfänge vor etwa 12.000 Jahren. Wir werden erleben, wie die Menschen sich organisierten und ihren Lebensraum prägten. Anschließend werden wir sie bei ihren militärischen und wirtschaftlichen Abenteuern auf dem Weg in die Neuzeit begleiten und schließlich die Entstehung des Nordens, wie wir ihn heute kennen, eingehend beobachten. Damit dies nicht zu trocken wird, werden wir uns neben Politik und Geschichte auch kulturellen und kulinarischen Genüssen der nordischen Welt hingeben, die Region sozusagen nicht nur intellektuell, sondern auch sinnlich erkunden.
Der Polarkreis, Sinnbild des Nordens
Dies ist nicht der erste Versuch, den Norden historisch und kulturell zu betrachten. Seit der Antike gab es immer wieder Beschreibungen der Geografie, der Geschichte und der Menschen und Tiere des Nordens. Dabei hielten sich Sinn und Unsinn die Waage. So schrieb bereits Gaius Julius Cäsar (100–44 v. Chr.) über das bekannteste Tier des Nordens, den Elch. Er behauptete, der Elch habe keine Kniegelenke und schlafe deshalb im Stehen an Bäume gelehnt. Bei der Elchjagd, so beteuerte er, sägen die Jäger einfach die Bäume an. Lehnen sich die Elche dann dagegen, fallen sie um und müssen nur noch eingesammelt werden.
Auch in der späteren Literatur wurden Irrtümer und Vorurteile schriftlich verewigt und prägten das Bild des Nordens bis heute entscheidend mit. Durch den dänischen Geschichtsschreiber Saxo Grammaticus (ca. 1160–nach 1208) beispielsweise kennen wir den berühmten dänischen Prinzen Hamlet, dessen Existenz fraglich ist, der aber dank Saxo und Shakespeare (1564–1616) so manches Theater füllt und uns glauben lässt, es sei etwas faul im Staate Dänemark.
Der deutsch-schwedische Schriftsteller Peter Weiss (1916–1982) platzierte in seinem dreibändigen Roman »Die Ästhetik des Widerstands« einen umfassenden, sinnhaften Abriss der schwedischen Geschichte mit klassenkämpferischen Elementen und legte damit den Grundstein für den verklärten Blick der deutschen Linken auf den Norden.
Auch die deutsche Rechte ist vielen literarischen Irrtümern aufgesessen, die sie den Norden und seine Bewohner falsch einschätzen ließen. So musste sie erstaunt zur Kenntnis nehmen, dass sich die germanischen »Brudervölker« im Norden 1940 erbittert wehrten, als sie ins großgermanische Reich aufgenommen werden sollten. Das konnte die Rechten in Deutschland aber nicht beirren – noch heute sind nordische Elemente Teil ihrer Ideologie.
Die Wikinger als Teil einer deutsch-germanischen Geschichte haben wir Johann Gottfried Herder (1744–1803) und seiner Rezeption des französischen Nordeuropahistorikers Paul Henri Mallet (1730–1807) zu verdanken. Ihm gefiel Mallets Vorstellung von den heroischen Nordmännern so sehr, dass er sie kurzerhand seinem Deutschlandbild einverleibte.
Unser heutiges Wissen über den Norden speist sich aus vielen weiteren Quellen. Eine nicht unwesentliche Rolle dabei spielen die Kochbücher eines großen skandinavischen Möbelherstellers oder die zahlreichen Krimis, Kinderbücher und auch Hollywoodfilme. Wir werden im jeweiligen Zusammenhang darauf zurückkommen.
Zu guter Letzt noch einige Hinweise: Das Literaturverzeichnis im Anhang bezeugt einerseits die Quellen, die diesem Buch zugrunde liegen, und ermöglicht andererseits das konkrete Weiter- oder Nachlesen von hier überblickhaft Dargestelltem.
Alle Rezepte sind ebenfalls im Anhang aufgelistet, versehen mit der Seitenangabe.
Die Zeitleiste ermöglicht eine schnelle Einordnung der historischen Ereignisse.
Die skandinavischen Sprachen kennen keine Geschlechtstrennung wie beispielsweise das Deutsche. Im Text werden deshalb Begriffe immer für alle Geschlechter verwendet, auch wenn sie herkömmlich nur eins bezeichnen.
10.000 bis 500 v. Chr.
Rational betrachtet verbinden wir den Norden häufig mit verschiedenen Eigenschaftsmerkmalen wie modern, solidarisch und innovativ. Gefühlt jedoch ist der Norden für viele nass, bewaldet und kalt. Die Menschen des Nordens machen die Region aus, aber die Region – die Landschaft, das Klima – prägt die subjektive Wahrnehmung. Auch wenn es nicht nachzuweisen ist, stammen die noch heute dem Norden zugeschriebenen Eigenschaften vermutlich schon aus der Zeit der ersten Begegnung zwischen Region und Mensch.
Bis vor 13.000 Jahren war der Norden von einer durchgehenden Gletscherschicht bedeckt. Im allgemeinen Sprachgebrauch nennt sich das Eiszeit. Fachleute jedoch bezeichnen als Eiszeit die gesamte klimatische Periode der letzten 30 Millionen Jahre. Die letzte Kaltzeit dieses langen Eiszeitalters, die gekennzeichnet war von einer Vergletscherung des nördlichen Europas, heißt im Fachjargon Weichsel-Kaltzeit. Da der Name mit dem Fluss zusammenhängt, der das Eis entweder aus dem Norden oder aus der Alpenregion brachte, werden verschiedene Namen benutzt. Die Weichsel-Kaltzeit wird beispielsweise im alpinen Raum, nach einem Fluss in Bayern, Würm-Kaltzeit genannt.
Diese Kaltzeit war vor 12.000 Jahren weitgehend abgeschlossen. Zum Ende hin zogen sich ihre Gletscher in den Norden zurück, um mehrfach noch einmal kurz nach Süden auszugreifen. Wo die Gletscher verschwunden waren, blieb eine baumlose Tundra mit Sümpfen und Schmelzseen zurück. Den zurückweichenden Gletschern folgten die Menschen. Ihr erster Eindruck vom Norden war: nass und kalt. Mit dem Anstieg der Temperaturen kam die Bewaldung hinzu und Flora und Fauna erhielten den Charakter, der noch heute typisch ist – man denke an Elche, Vielfraße, Molte- und Preiselbeeren.
Die ersten Menschen in der Region hinterließen zwar nichts Schriftliches, aber ihr Müll spricht Bände. Funde von steinzeitlichen Werkzeugen und Essensabfällen in Nordschweden belegen, dass es sich um Jäger, Sammler und Fischer handelte. Reste von Nussschalen, Fischgräten und Tierknochen zeigen, wie sie gelebt haben.
Die ersten Bewohner des Nordens jagten Rentiere, die ebenfalls dem Eis folgten. Das indigene Volk der Samen in den nördlichen Regionen des Nordens domestizierte Rentiere vor rund 3.000 Jahren. Seither wurden die Tiere in Herden gehalten, die sich einen Großteil des Jahres frei bewegten und jahreszeitliche Wanderungen unternahmen. Noch heute sind Rentiere für die Samen ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor.
Die Felszeichnungen von Alta in Nordnorwegen zeigen die Bedeutung von Elch und Ren für die ersten Nordeuropäer.
Die Landschaft, in der diese Menschen lebten, veränderte sich sowohl geologisch als auch biologisch mehrfach. Die vom Eisdruck befreite skandinavische Halbinsel hob sich (und hebt sich in geringem Maße heute noch), das nördliche Mitteleuropa dagegen senkte sich und die große »Pfütze«, die wir heute Ostsee nennen, wurde durch diese geografischen Verschiebungen vorübergehend zu einem Süßwassersee. Durch das Abschmelzen der großen Gletschermassen stieg der Meerwasserspiegel. Teile der heutigen Nordsee waren zu dieser Zeit besiedelt und versanken im Meer. Letztlich fand auch die Ostsee wieder Anschluss an die Ozeane.
Die ungefähre geografische Situation, wie sie heute noch besteht, trat vor rund 8.000 Jahren ein. In dieser Zeit wurden die Menschen des Nordens zum Teil sesshaft. Sie hinterließen Speiseabfälle, vor allem Muschelhaufen, die zeigen, dass bis vor 6.000 Jahren der Verzehr von Fischen und Meeresgetier ein wichtiger Teil der Nahrung war. In den Abfallhaufen fand man auch erste Keramikreste. In der Fachwelt erhielten diese Funde übrigens international den dänischen Namen køkkenmøddinge, deutsch: »Küchenabfallhaufen«.
Einfaches Hünengrab bei Lübeck
Vor 6.000 Jahren dann wurden die Bewohner des Nordens endgültig sesshaft. Davon zeugt die zunehmende Zahl an Funden von Keramik, Werkzeugen, Hausgrundrissen und Überresten monumentaler Bauten ab dieser Zeit. Neben Begräbnisstätten, den sogenannten Hünengräbern, wurden auch Anlagen gebaut, die noch heute als Kalender und astronomische Anlagen zu erkennen sind. Das Phänomen des Sesshaftwerdens, der Veränderung der gesamten Lebensweise der Menschen hin zu Vorratshaltung und Viehzucht, wird als neolithische Revolution bezeichnet. Diese Zeit, die nach der typischen Gefäßform der Keramikfunde den Namen »Trichterbecherkultur« trägt, dauerte bis etwa 2.800 vor Christus.
Was war passiert? Vor der neolithischen Revolution folgten die Menschen den Tieren und jagten sie. Zusätzlich standen auf dem Speisezettel Fische, Beeren und alles, was wild in der Gegend wuchs. Die Gruppen dieser Zeit waren wahrscheinlich anders strukturiert als alle späteren Gesellschaften. Seit Jahrzehnten gibt es die Diskussion, dass die bis zur Emanzipation unserer Tage geltende Vorherrschaft des Mannes, das Patriarchat, erst nach der Steinzeit entstand. Diese Meinung bildete sich durch die Beobachtung noch heute steinzeitlich lebender Völker und durch die Funde steinzeitlicher Frauenfiguren, die in der Forschung teilweise als Abbildungen von Göttinnen angesehen werden. Wahrheit oder typischer Fall der »Archäologenkrankheit«, bei der alles, was nicht anders erklärt werden kann, kultisch oder religiös interpretiert wird?
Für die Annahme eines Matriarchats gibt es dennoch gute Gründe. Betrachtet man die damalige Lebenswirklichkeit, stellt man fest, dass die Jäger und Sammler die Zeit nach dem Mond berechneten, der ihnen das Licht für die nächtliche Jagd gab und alle 28 Tage in voller Pracht am Himmel stand. Der Mond hatte als notwendiges Jagdlicht sicherlich derartig große Bedeutung für das Überleben, dass er göttliches Ansehen genoss. Durch die Parallelität von weiblichem Zyklus und Mondphasen lag es für die Menschen damals auf der Hand, dass Frauen den besseren Draht zu dem leuchtenden Gott am nächtlichen Himmel hatten.
Mit der Sesshaftigkeit und dem damit verbundenen Ackerbau verlor der Mond an Bedeutung. Plötzlich waren die Vegetationsphasen der Jahreszeiten für das Überleben viel wichtiger als die Mondphasen. Nun stand die Sonne im Mittelpunkt des kalendarischen Interesses und Sommer- und Wintersonnenwende wurden zu den überlebenswichtigen Daten. Nicht nur Stonehenge in Südengland, sondern auch Begräbnisstätten wie das irische Newgrange haben kalendarische Bedeutung. In Newgrange beispielsweise dringt nur zur Zeit der Wintersonnenwende ein Lichtstrahl durch den gesamten Gang bis in die Grabkammer.
Der Steintanz von Boitin in Mecklenburg-Vorpommern – ein frühes Kalendarium?
Was aber hat das mit dem heutigen Norden zu tun? Die steinzeitlichen Jäger und Sammler und die jungsteinzeitlichen Bauern prägen noch heute viele Nahrungs- und Feiergewohnheiten. In Schweden haben das Jagen von Elchen und die Jagd überhaupt Kultstatus.
Fisch und anderes Meeresgetier prägen als Nahrungsmittel in vielerlei Form alle nordischen Speisezettel und bilden den ersten Gang eines jeden skandinavischen Buffets.
Das Sammeln von Pilzen und Beeren ist ein weit verbreitetes Hobby. Im Schwedischen ist smultronställe ein Platz, an dem wilde Erdbeeren wachsen, gleichzeitig aber ein Synonym für einen Lieblingsort, ein idyllisches Plätzchen. Sogar ein Film von Ingmar Bergman aus dem Jahr 1957 trägt diesen Titel. Die deutsche Fassung heißt »Wilde Erdbeeren«, was die Bedeutung des Originaltitels nur teilweise wiedergibt.
Walderdbeeren, wegen der Farbe Scharlacherdbeeren genannt, sind auf den britischen Inseln vor Weihnachten der begehrte Inhalt sehr teurer Konfitüre. Besonderen Kultstatus trägt die nördlichste zum Verzehr geeignete Beere, die Moltebeere, wegen ihrer Fähigkeit, im subpolaren Gebiet zu existieren. In den verschiedenen Sprachen des Nordens existieren spezifische Namen für diese Beere. Im Deutschen heißt sie Torfbeere oder Sumpfbrombeere, im Schwedischen hjortron, wörtlich übersetzt so viel wie Hirschbeere. Die Engländer nennen sie cloudberry, also Wolkenbeere, und die Finnen lakka, woraus sie einen bekannten Likör herstellen.
Große Verbreitung im ganzen Norden hat auch die säuerlich schmeckende Schwarze Krähenbeere, die in vielen nördlichen Regionen mit saurer Milch gegessen wird und besonders viel Vitamin C enthält.
Krähenbeeren sind im ganzen Norden verbreitet und wegen ihres Vitamin-C-Gehalts zwar ein wertvolles, doch kein kulinarisches Kleinod.
Warum die Menschen ihr Nomadentum aufgaben und zu siedelnden Bauern wurden, haben sie uns nicht unmittelbar verraten. Wie ihre Siedlungen aussahen, wissen wir aber genau. 1850 gab eine wandernde Sanddüne in Skara Brae auf den schottischen Orkney-Inseln eine jungsteinzeitliche Siedlung frei, die in die Zeit 3.100 bis 2.500 vor Christus datiert wird. Hier sind neun Häuser zu finden, die eng aneinandergeschmiegt ein Dorf bilden. Die Enge der Gänge zwischen den Häusern zeigt übrigens, dass die Nahrung auch nach der Sesshaftwerdung nicht allzu üppig gewesen sein kann. Mit Adipositas wären die Bewohner zwischen den Häusern stecken geblieben. Wahrscheinlich wurde diese Anlage wegen der Sanddüne verlassen und ist deshalb so gut erhalten.
Auch auf der Hauptinsel der Shetlands ist ein solches Dorf ausgegraben worden, das heute als Jarlshof besichtigt werden kann. Dort gibt es nicht nur steinzeitliche Funde, sondern auch Siedlungsreste bis ins 17. Jahrhundert, so dass von einer Besiedlungskontinuität gesprochen werden kann.
Der Grund für das Sesshaftwerden, das in anderen Teilen der Welt schon lange vorher einsetzte, im Nahen Osten 5.000 Jahre früher, bleibt aber ein Rätsel. Das Jäger- und Sammlerdasein bedeutete zwar, ständig wandern zu müssen. So konnte man jedoch winters wie sommers immer irgendwo Nahrung suchen und finden. Siedler hingegen waren auf gute Ernten angewiesen. Wenn die Ernte zum Beispiel durch zu viel Regen buchstäblich ins Wasser fiel oder die gezüchteten Tiere durch eine Krankheit starben, war das Überleben im Winter ungewiss.
Eine der neueren Theorien besagt, dass der Anbau von Getreide und damit die Sesshaftigkeit Voraussetzungen dafür waren, in größeren Mengen anständiges Bier zu brauen. Dafür spricht in mehreren nordischen Ländern der geradezu kultische Verbrauch von Bier, das zu bestimmten Jahreszeiten und Festen extra stark produziert wird, vor allem zu Ostern und Weihnachten. Beim Starkbier geht es nicht nur um den Rausch; ebenso wichtig ist die Abtötung von Keimen durch die alkoholische Gärung. Wahrscheinlich wurde in einem kleinen mitgeführten Getreidevorrat, der durch Zufall nass geworden und vergoren war, die angenehme Eigenschaft des Alkohols entdeckt. Mit dem Sesshaftwerden wurden genügend große Mengen Getreide produziert. Die Kunst des häuslichen Bierbrauens wird noch heute in vielen ländlichen Gebieten gepflegt, besonders auf der Insel Gotland. Hier trägt das Selbstgebraute schlicht den Namen drikku, also Getränk.
Mit der Bauernkultur rückte die Kraft der Männer beim landwirtschaftlichen Arbeiten in den Mittelpunkt, gleichzeitig gewann die Sonne als Wärme- und Lichtquelle für den Ackerbau an Bedeutung. Dies bedeutete das Ende der Mondzeitrechnung und wahrscheinlich auch des Matriarchats. Die siedelnden Menschen nutzten das Verweilen an einer Stelle für ausgiebige Bautätigkeiten. Diese umfassten nicht nur Häuser und Ställe, sondern ebenfalls Gräber und Kultstätten. Diese Anlagen wurden häufig mit dem Sonnenkalender verknüpft und zeigen noch heute die besondere Bedeutung unseres Fixsterns in allen bäuerlichen Regionen. Die Sonnenwenden und die Tagundnachtgleichen wurden zu den wichtigsten Daten im Jahresverlauf. Die Sommersonnenwende ist in vielen nordischen Kulturen bis heute ein den gesamten Sommer prägendes Fest, das ausschweifend gefeiert wird. Auf den Speisezetteln zu diesem Fest sind neben Angebautem einige der Speisen aus der Zeit der Jäger und Sammler fester Bestandteil, in Schweden zum Beispiel Erdbeeren und Fisch. Dies zeigt den fließenden Übergang, denn die Bauern nutzten neben ihrer Agrikultur weiterhin die Jagd, den Fischfang sowie das Sammeln von Pilzen und Beeren zur Komplettierung ihrer Mahlzeiten.
Zwischen Jägern und Sammlern und den sesshaften Bauern gab es als Zwischenstufe die nomadisierenden Hirten. Sie jagten das Vieh nicht mehr, sondern züchteten es, ließen ihm aber seine natürliche Bewegungsfreiheit. Sowohl die Jäger und Sammler als auch die Hirten beanspruchten für ihre Lebensweise einen großen Radius. Dies führte dazu, dass in einem großen Territorium nur Platz für wenige Menschen war. Mit dem Sesshaftwerden wurde das gleiche Territorium intensiver genutzt und konnte mehr Menschen ernähren. Dieser Bevölkerungszuwachs machte die Arbeitskraft möglich, die neben der Landwirtschaft vor allem für den Bau der großen Steinkultstätten benötigt wurde. Außerdem gewannen die Feste an Bedeutung, da sie zu größeren Veranstaltungen wurden.
Die Wurzeln vieler traditioneller Speisen sowie die zentrale Rolle des Alkohols bei Feiern reichen also bis in die Jungsteinzeit zurück, in der die Menschen der nordischen Welt sesshaft wurden.
In diese Bauernkultur brach um 2.500 vor Christus eine größere Einwanderungswelle aus dem Osten herein. Dies belegen verschiedene Funde: Zum einen brachten die Einwanderer große Streitäxte mit, deren Form teilweise an Boote erinnert, zum anderen unterschied sich ihre Keramik von derjenigen der bisherigen Nordenbewohner. Die Gefäße wurden mithilfe von Schnüren verziert, die in den Ton eingedrückt wurden und verschiedenste Muster hinterließen. Man spricht deshalb von der »schnurkeramischen Kultur«, die sich am Übergang von der Jungsteinzeit zur Bronzezeit von Mitteleuropa bis nach Zentralrussland erstreckte. Auch die Bestattungskultur änderte sich. Statt in den bisherigen mehrfach genutzten Hünengräbern wurden die Toten jetzt einzeln beerdigt, mit angewinkelten Beinen in Seitenlage. Genetische Untersuchungen und sprachwissenschaftliche Studien zeigten, dass diese Einwanderungswelle wahrscheinlich aus Mitgliedern der indoeuropäischen Sprachengruppe bestand. Die Streitäxte deuten auf das aggressive Einfallen dieser Einwanderer in den Norden hin und auf ihre Dominanz gegenüber den dort lebenden Bauern. Die Streitaxt war ihnen als Machtsymbol sehr wichtig, denn die männlichen Toten erhielten diese Waffe als Grabbeigabe.
Wie sich die Besiedlung durch die Einwanderer im Einzelnen vollzog, ist nirgendwo festgehalten. Durch Funde in ganz Nordeuropa ist sie aber sicher belegt.
Der Nachhall dieser Einwanderungswelle ist schwarz auf weiß als Sage in den Eddas, den beiden auf Island im 13. Jahrhundert niedergeschriebenen Werken zur nordischen Mythologie, zu finden. Sie berichten beide, wenn auch unterschiedlich, von einem Krieg zwischen zwei Göttergeschlechtern. Die Vanen, die ältere der beiden Sippen, sind typische Bauerngötter, zuständig für Fruchtbarkeit, Reifung und Ernte. Die Asen, eher dem »Rockermilieu« zugehörig, sind aggressiv und kriegslüstern. Sie gewinnen den Krieg, aber alles endet positiv. Nach dem Austausch von Geiseln leben Asen und Vanen arbeitsteilig zusammen. Die Asen übernehmen als Gewinner allerdings die Führung im nordischen Götterhimmel.
Ein Deutungsansatz der Eddas sieht im Krieg zwischen Vanen und Asen die Auseinandersetzung zwischen zwei Kulturen: der alt eingesessenen Bauernkultur einerseits und einem neu eindringenden Kriegervolk andererseits. Das Beachtliche dabei: Die Krieger schlachteten die Bauern nicht einfach ab. Vielmehr erkannten die Einwanderer wahrscheinlich, dass die Anpassung an das Vorhandene ein gutes Lebensmilieu ermöglichte. Im Fachjargon heißt das »Assimilierung«. Neben Heirat und Arbeitsgemeinschaft darf aber die Kehrseite nicht vergessen werden. Die Bauernkultur musste sich trotz allem den Kriegern unterwerfen, um sich Vorteile zu sichern, denn die Axt im eigenen Hause verhindert die nächste Invasion.
Genetische und sprachwissenschaftliche Untersuchungen ergaben inzwischen, dass die Schnurkeramiker, im Norden aufgrund ihrer Streitäxte »Bootaxtleute« genannt, wohl die ersten Indoeuropäer waren, die in den Norden einwanderten. Hier wurde also der Grundstein für den Genpool der modernen Nordeuropäer gelegt.
Spätestens vor 4.000 Jahren war dieser Einwanderungsprozess abgeschlossen und die Menschen lebten friedlich zusammen. Allerdings war diese Immigration nicht die letzte. Vor 3.000 bis 4.000 Jahren kamen uralische Völker in den Norden, brachten ihre Sprachen aus der finno-ugrischen Sprachfamilie mit und bescherten Linguisten vieler Generationen Arbeit durch Rätsel über Herkunft und Verwandtschaften, für die inzwischen, sogar mit genetischen Untersuchungen, immer neue und umstrittene Antworten gefunden werden.
Während sich die Nordeuropäer noch zusammenrauften, hatte man in anderen Teilen der Welt rund 2.000 Jahre vor Christus angefangen, aus 90 Prozent Kupfer und 10 Prozent Zinn Bronze herzustellen. Die Menschen im Norden lernten diese Fähigkeit erst rund 500 Jahre nach den Südeuropäern kennen und zwar über den Handelsweg. Spätestens mit der Bronzezeit war der Norden an den Rest Europas angeschlossen.
Dadurch wurde bald eine besondere Kostbarkeit des Nordens in ganz Europa und darüber hinaus bekannt und brachte neuen Wohlstand: der baltische Bernstein aus dem Ost- und Nordseeraum, der auch als Succinit bezeichnet wird und als Schmuck noch heute begehrt ist. Für lange Handelswege war er prädestiniert, da mit wenig Gepäck hoher Gewinn erzielt werden konnte und Bernstein keine Haltbarkeitsbegrenzung besaß. Seither ist Bernstein das nordische Gegengewicht zu Gold, Silber und Jade. Dank vieler Geschichten, wie beispielsweise zum Bernsteinzimmer oder zur angeblichen genetischen Verwertbarkeit von eingeschlossenen Urinsekten, hat er einen eigenen Mythos bekommen.
Ein weiteres Indiz für die enge Vernetzung des Nordens mit dem Rest Europas ist die Leiche einer jungen Frau, die in der Nähe von Egtved auf Jütland um 1.400 vor Christus starb und beerdigt wurde. Anhand ihrer Haare, Zähne und Nägel konnte aufgrund bestimmter Strontiumablagerungen nachgewiesen werden, dass sie wahrscheinlich in der Region des Schwarzwaldes geboren worden war und im Laufe ihres maximal 18 Jahre dauernden Lebens weite Reisen unternommen hatte. Die Analysen ergaben auch, dass sie erst kurz vor ihrem Tod ins heutige Dänemark kam. Unklar ist allerdings, warum sie so weit reiste. Zahlreiche Theorien entstanden, von einer reisenden Priesterin oder in die Fremde vermählten Prinzessin. Was die junge Frau aber beweist, ist die Vernetzung und Mobilität in dieser Zeit.
Bronze wurde im Norden für Werkzeuge, Waffen sowie für Schmuck verwendet und war Stein und auch Kupfer weit überlegen. Bronze splittert nicht, lässt sich besser reparieren und umschmelzen sowie in verschiedene Formen gießen. Außerdem ist sie leichter und nicht so empfindlich wie Stein. Nicht zu unterschätzen ist der metallische Glanz, besonders herausgearbeitet bei Schmuck, der Reichtum anzeigt und dem Besitzer ein Dagobert-Duck-Gefühl vermittelt. Da die benötigten Metalle im Norden fast gar nicht vorkamen, wurde der überregionale Handel viel wichtiger als in der Jungsteinzeit. Bronze hatte ihren Preis und musste bezahlt werden, weshalb nun auch der Handel mit Bernstein intensiviert wurde. Die Bernsteinfunde im Süden aus dieser Zeit gelten als Beleg dafür.
Mit der Bronzezeit veränderte sich die gesamte Gesellschaft. Es entstanden soziale Schichten und besondere Berufe. Wahrscheinlich wurden größere soziale Verbände und regionale Gemeinschaften gebildet. Wie das Leben in der Bronzezeit aussah, können wir am Beispiel von Griechenland sehen und nachlesen: zum einen an den Funden von der minoischen bis zur mykenischen Kultur, zum anderen in der Ilias und der Odyssee von Homer.
Im Norden ermöglichten die größeren Gemeinschaften, die Zeit und Arbeitskraft neben dem normalen Leben in besondere Projekte zu stecken. Aus großen Steinen schufen sie Bootsgrundrisse. In manchen dieser Anlagen wurden menschliche Überreste gefunden, weshalb man oft davon ausgeht, dass es sich bei den Schiffssetzungen um Grabstätten handelt. Andere Thesen stellen die kalendarische Bedeutung in den Vordergrund, die sie an der Ausrichtung der Steine festmachen. Beide Erklärungen sind aber wissenschaftlich nicht zweifelsfrei bewiesen. Einige der am besten erhaltenen finden sich auf der Insel Gotland, so die Schiffssetzungen bei Tofta, von denen die größte 47 Meter, die zweitgrößte immerhin noch 36 Meter lang ist.
Schiffssetzung in Südschweden
Solche Großbauprojekte konnten nur dann verwirklicht werden, wenn die Menschen einen Teil ihrer Arbeitszeit dafür investierten, ohne ihren Lebensunterhalt dabei zu gefährden. Es mussten Steine von immenser Größe transportiert und aufgestellt werden. Das Schiff als bevorzugtes Motiv der Großprojekte belegt dabei auch die Bedeutung der Seefahrt in der nordischen Bronzezeit, aus der die ältesten Schiffssetzungen stammen. Jedoch fand man Anlagen, deren Ursprung bis in die Wikingerzeit hinein reicht.
In der Bronzezeit wurden neben den Schiffssetzungen auch andere Steinprojekte verwirklicht. Große Grabanlagen, wie das sogenannte Königsgrab von Kivik in Schweden, und Felsritzungen in ganz Nordeuropa sind weitere Beispiele. Sie belegen unter anderem die Benutzung von Skiern, beispielsweise in Rødøy in Mittelnorwegen. Archäologische Funde wie der 4.500 Jahre alte Ski von Hoting in Schweden, aber auch das Hjortspringboot von 350 vor Christus (das zwar in der frühen Eisenzeit gebaut wurde, dessen Bootstyp jedoch aus der späten Bronzezeit stammt) zeigen die ausgeprägte Mobilität dieser Zeit. Die Beweglichkeit und die Vernetzung durch den Handel mit Bronze und Bernstein sorgten dafür, dass das nächstbessere Metall, das Eisen, sich rund 500 Jahre vor Christus sehr schnell im ganzen Norden verbreitete. Plötzlich war man in der Eisenzeit angekommen.
Schon waren 9.500 Jahre seit der Eiszeit vergangen. Anders als in Mitteleuropa, wo Völker kamen und gingen, Krankheiten und Kriege die Menschen dahinrafften oder Tausende Kilometer hin und her trugen, blieb der Norden von solch großen Umwälzungen bis heute weitgehend verschont. Mobilität bedeutete reisen, aber nicht migrieren. Vielleicht ist das der Grund, dass selbst die ältesten Tage der nordischen Welt noch immer in den Traditionen lebendig sind.
Zum Beispiel in der Kulinarik: Ein Stück damaliger Lebenswirklichkeit können wir nachkochen und auf unseren Tellern entdecken und schmecken. Die folgenden Rezepte basieren auf Zutaten, die auch den Jägern und Sammlern schon zur Verfügung standen, und werden ergänzt durch Produkte der sesshaften Bauern. Viel Spaß beim Zubereiten und guten Appetit!
Bis heute gibt es Züchter, die ihre Rentiere im Winter schlachten und die Einzelstücke im Freien durch Einfrieren haltbar machen. Wenn Fleisch gebraucht wird, werden von den gefrorenen Stücken mit dem Messer hauchdünne Schichten abgeschabt, die beim Braten wie Hackfleisch krümelig zerfallen. Diese Methode sorgte für den Namen Schabefleisch für Hack, in den skandinavischen Sprachen skav. Im Supermarkt ist tiefgefrorenes vorgeschnittenes Elch- oder Rentierfleisch aus der Schulter unter der Bezeichnung älgskav oder renskav erhältlich. Der Ziegenkäse im Rezept ist eine moderne Variante, die es sämig und pikant macht.
Zutaten für vier Personen:
500 g gehacktes Rentierfleisch (funktioniert auch mit Elch oder Hirsch)
500 g Pfifferlinge oder andere Pilze
250 ml Sahne
1 Zwiebel
100 g Ziegenkäse (karamellisierter norwegischer Geitost)
250 g Preiselbeeren
50 g Butter
1 EL Senf
zum Würzen: Senf und eine Prise Salz
zum Ablöschen: ein Schuss Rotwein oder Brühe
Zubereitung:
Das Fleisch mit der gehackten Zwiebel in der Butter scharf anbraten. Die geputzten Pilze hinzugeben und einen Augenblick mitbraten. Mit Rotwein oder Brühe ablöschen. Die Sahne und den Senf hinzufügen und den braunen Ziegenkäse hineinrühren, so dass die Soße eindickt. Mit Salz abschmecken. Preiselbeeren mit etwas Wasser und Honig kochen, bis die Hälfte der Preiselbeeren platzt und sich eine dickflüssige Masse bildet. Einen Esslöffel davon zum Fleisch geben, den Rest als Beilage zum Gericht reichen. Dazu frisches Brot oder jungsteinzeitlichen Getreidebrei servieren.
Vor einigen Jahren rekonstruierten Experimentalarchäologen Getreidespeisen aus den Mägen von Moorleichen. Noch heute ist Getreidebrei in verschiedenen nordischen Regionen Teil der Ernährung. Auf den britischen Inseln ist es porridge (Haferschleim), in Schweden välling (Mehlbrei) und in Finnland ruispuuro (Roggenbrei). Dieses Essen kann aus den verschiedensten Getreideprodukten wie Graupen, Grütze, Grieß oder Flocken zubereitet werden. Graupen sind geschälte und polierte Gersten- und Weizenkörner ohne Keim. Grütze wird aus Hafer, Gerste, Roggen, Weizen oder Buchweizen hergestellt, indem die Körner geschält und zerteilt werden. Beim Grieß handelt es sich eigentlich um ein sehr grobes Getreidemehl. Werden die Körner durch Dampf und trockene Hitze behandelt und anschließend zerkleinert und gepresst, erhält man Flocken. Je nach Getreideprodukt muss bei der Zubereitung mehr oder weniger Hitze und Flüssigkeit zugeführt werden, um das jeweilige Gericht genießbar zu machen.
Zutaten für vier Personen:
250 g grob gemahlenes Getreide
500 ml Wasser
250 ml Milch
1 Handvoll gehackte Nüsse
1 Handvoll Beeren (Waldbeeren, Blaubeeren, Moltebeeren)
1 EL Honig
frische Kräuter und Salz
Zubereitung:
Das Getreide eine halbe Stunde im Wasser quellen lassen, dann aufkochen. Die Milch hinzugeben und weiterköcheln lassen, bis ein dicker Brei entsteht, dabei ständig umrühren. Vom Herd nehmen und Nüsse, Beeren und Honig unterrühren. Mit Salz und frischen Kräutern abschmecken.
Als Getränk zum Rentier-Getreidebrei-Menü empfiehlt sich: