7,99 €
Der Geist der Weihnachtszeit
Ebenezer Scrooge ist ein stadtbekannter Geizhals. Für seine Mitmenschen hat er kein Herz und auch Weihnachten verbringt er lieber allein, als mit seinem Neffen und dessen Familie zu feiern. Doch in der Nacht erhält er Besuch von den drei Geistern der vergangenen, der gegenwärtigen und der zukünftigen Weihnacht. Sie führen Scrooge seine verlorene Kindheit, sein verfehltes Leben und seinen einsamen Tod vor Augen, und Scrooge muss erkennen, wozu seine Hartherzigkeit ihn getrieben hat …
Mit »Eine Weihnachtsgeschichte« schuf Charles Dickens ein Plädoyer für mehr Nächstenliebe und zeigt noch heute Kindern wie Erwachsenen gleichermaßen die Bedeutung des Weihnachtsfestes.
PENGUIN EDITION. Zeitlos, kultig, bunt. – Ausgezeichnet mit dem German Brand Award 2022
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 153
Große Emotionen, große Dramen, große Abenteuer – von Austen bis Fitzgerald, von Flaubert bis Zweig. Ein Bücherregal ohne Klassiker ist wie eine Welt ohne Farbe.
Charles Dickens (1812–1870) wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Portsmouth, England auf. Nach seiner Tätigkeit als Reporter folgten viele große Romane und Klassiker wie Oliver Twist, DavidCopperfield oder Große Erwartungen. Weltweit bekannt und bei Kindern wie Erwachsenen gleichermaßen beliebt ist Eine Weihnachtsgeschichte, die bereits in zahlreichen Varianten adaptiert wurde. Charles Dickens zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des 19. Jahrhunderts. Er starb im Alter von nur 58 Jahren an einem Schlaganfall.
«Ein ergreifendes, immer noch aktuelles Weihnachtsmärchen des berühmten englischen Dichters.» Treff
Charles Dickens
EINE WEIHNACHTSGESCHICHTE
Roman
Aus dem Englischen von Trude Fein
Mit einem Nachwort von Andreas Fischer
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel A Christmas Carol.
Copyright © 2022 der deutschsprachigen Ausgabe by Penguin Verlag
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: Regg Media in Adaption der traditionellen Penguin Classics Triband-Optik aus England
Umsetzung eBook: Greiner & Reichel GmbH
ISBN 978-3-641-29346-8V001
www.penguin-verlag.de
Zunächst einmal: Marley war tot. Darüber besteht kein Zweifel. Sein Begräbnisschein wurde vom Pfarrer, vom Küster, vom Leichenbestatter und vom Hauptleidtragenden unterschrieben. Scrooge unterschrieb ihn. Und Scrooges Name war auf der Börse gut für jeden Abschluss, den er zu tätigen gedachte.
Der alte Marley war so tot wie ein Türnagel.
Wohlgemerkt! Damit will ich nicht behaupten, dass ich aus eigener Kenntnis wüsste, was an einem Türnagel so besonders tot sein soll. Ich persönlich würde vielleicht dazu neigen, einen Sargnagel für den totesten Artikel der ganzen Eisenwarenbranche zu halten. Aber in Gleichnissen offenbart sich die Weisheit unserer Altvorderen, und meine profanen Hände sollen nicht daran rühren, sonst geht das Land vor die Hunde. Man wird mir daher gestatten, nachdrücklich zu wiederholen, dass Marley so tot wie ein Türnagel war.
Ob Scrooge wusste, dass er tot war? Natürlich wusste er das. Wie konnte es anders sein? Scrooge und er waren, ich weiß nicht genau wie viele Jahre lang, Kompagnons gewesen. Scrooge war sein alleiniger Testamentsvollstrecker, sein alleiniger Nachlassverwalter, sein alleiniger Rechtsnachfolger, sein alleiniger Nachvermächtnisnehmer, sein alleiniger Freund und der einzige Leidtragende. Und sogar Scrooge war von dem traurigen Ereignis nicht so fürchterlich mitgenommen, dass er sich nicht noch am Begräbnistag selbst als ausgezeichneter Geschäftsmann erwiesen und ihn mit einem unzweifelhaft günstigen Handel begangen hätte.
Die Erwähnung von Marleys Begräbnis bringt mich zu meinem Ausgangspunkt zurück. Es besteht kein Zweifel, dass Marley tot war. Davon ist auszugehen, sonst kann bei der Geschichte, die ich hier berichten will, nichts Wunderbares herauskommen. Wenn wir nicht vollkommen überzeugt wären, dass Hamlets Vater vor Beginn des Stückes verstarb, wäre an der Tatsache, dass er nachts bei Ostwind über seine eigenen Schlosswälle spazierte, nichts Bemerkenswerteres, als wenn sonst ein beliebiger älterer Herr sich nach Anbruch der Dunkelheit leichtsinnigerweise an einem zugigen Ort – zum Beispiel dem St.-Paul’s-Friedhof – aufhielte; und nichts, um den im wahren Sinn des Wortes schwachen Geist seines Sohnes zu befremden.
Scrooge hatte Marleys Namen nicht ausgestrichen. Er stand noch viele Jahre nachher über der Tür des Kontors: «Scrooge & Marley». Die Firma war unter dem Namen Scrooge & Marley bekannt. Manchmal nannten neue Kunden Scrooge Scrooge und manchmal Marley, aber er hörte auf beide Namen. Das war ihm ganz egal.
Oh, aber er war ein knausriger Kerl und Leuteschinder, ja, das war Scrooge! Ein habgieriger alter Sünder, der gar nie genug herauspressen, herausquetschen, an sich raffen, zusammenkratzen, eisern festhalten konnte! Hart und kantig wie ein Feuerstein, aus dem aber kein Stahl je einen großmütigen Funken geschlagen hatte; einsiedlerisch und schweigsam und verschlossen wie eine Auster. Die Kälte in seinem Inneren ließ seine alten Züge in Frost erstarren, kniff seine spitze Nase ein, runzelte seine Wange, machte seinen Gang steif und seine Lippen blau, rötete seine Augen und knirschte beißend in seiner rauen Stimme. Er trug seine persönliche tiefe Temperatur ständig mit sich herum; er vereiste sein Kontor in den Hundstagen und taute es zu Weihnachten auch nicht um ein Grad auf.
Äußere Hitze und Kälte hatten wenig Einfluss auf Scrooge. Kein warmer Tag vermochte ihn zu erwärmen, kein winterlicher Frost ließ ihn erschauern. Kein Wind war schneidender als er, kein Schneefall hartnäckiger, kein Platzregen unerbittlicher. Doch Schnee und Regen, Hagel und Graupel konnten sich ihm gegenüber eines Vorzugs rühmen: Sie traten oft freigebig auf – das tat Scrooge nie.
Niemand hielt ihn je auf der Straße an, um mit freudigem Blick auszurufen: «Wie geht’s, mein lieber Scrooge? Wann kommen Sie mich einmal besuchen?» Kein Bettler bat ihn um ein Scherflein, kein Kind fragte ihn, wie viel Uhr es sei, und in seinem ganzen Leben hatte ihn noch kein Mensch um Auskunft ersucht, wie man an diesen oder jenen Ort gelangte. Sogar die Blindenhunde schienen ihn zu kennen; wenn sie ihn kommen sahen, zerrten sie ihre Besitzer in Hauseingänge oder Nebengässchen, und dann pflegten sie mit dem Schweif zu wedeln, als wollten sie sagen: «Keine Augen haben ist besser, als ein übles Auge haben, Herrchen!»
Doch was kümmerte das Scrooge! Gerade so war es ihm lieb. Neben den wimmelnden Pfaden des Lebens einherzuschleichen und sich jede menschliche Beziehung vom Leibe zu halten, das war sein Fall.
Es begab sich einmal – von allen guten Tagen des Jahres just am Heiligen Abend –, dass der alte Scrooge emsig arbeitend in seinem Kontor saß. Es herrschte trübes, düsteres, beißend kaltes Wetter, und obendrein war es neblig. Er hörte, wie die Leute, die draußen vorbeikeuchten, sich mit den Fäusten auf die Brust schlugen und mit den Füßen aufstampften, um sich zu erwärmen. Die Uhren in der City hatten eben erst drei geschlagen, aber es war schon ganz dunkel – es war den ganzen Tag lang nicht hell gewesen –, und hinter den Fenstern der benachbarten Büros flammten die Kerzen wie rötlich verschmierte Flecken auf der zum Greifen dicken, braunen Luft. Der Nebel drang durch jede Ritze und jedes Schlüsselloch ein, und draußen lag er so dicht, dass die Häuser auf der gegenüberliegenden Seite des Gässchens bloße Phantome zu sein schienen, obwohl es zu den allerschmälsten gehörte. Wenn man so die schmuddligen Wolken herabwallen und alles verdunkeln sah, hätte man meinen können, die Natur wohne gerade um die Ecke und braue Bier in großen Mengen.
Die Tür von Scrooges Kontor stand offen, damit er seinen Kommis im Auge behalten konnte, der nebenan in einem trübseligen Kämmerchen, einer Art Wandschrank, Briefe kopierte. Scrooge hatte ein sehr kleines Feuer, aber das Feuer des Kommis war um so viel kleiner, dass es wie eine einzelne Kohle aussah. Der Kommis konnte nicht nachlegen, denn die Kohlenkiste hielt Scrooge in seinem eigenen Zimmer, und sowie der Angestellte mit der Kohlenschaufel in der Hand eintrat, prophezeite der Chef unfehlbar, ihre Wege würden sich wohl bald trennen; weshalb der Kommis seinen langen weißen Wollschal umband und sich an der Kerze zu wärmen versuchte, doch weil er nicht viel Fantasie besaß, gelang es ihm nicht.
«Fröhliche Weihnachten, Onkel! Grüß Gott!», rief eine muntere Stimme. Sie gehörte dem Neffen von Scrooge, der so rasch eingetreten war, dass Scrooge seiner erst bei diesem Anruf gewahr wurde.
«Pah!», sagte Scrooge. «Unsinn!»
Er war bei seinem raschen Gang durch Frost und Nebel so warm geworden, dieser Neffe von Scrooge, dass er förmlich glühte. Sein hübsches Gesicht war gerötet, seine Augen funkelten, und sein Atem dampfte.
«Weihnachten ein Unsinn, Onkel!», rief der Neffe. «Das meinst du doch nicht im Ernst?»
«Doch», sagte Scrooge. «Fröhliche Weihnachten! Mit welchem Recht willst du fröhlich sein? Aus welchem Grund willst du fröhlich sein? Du bist arm genug.»
«Na also», erwiderte der Neffe lustig. «Mit welchem Recht willst du verdrießlich sein? Aus welchem Grund willst du mürrisch sein? Du bist reich genug.»
Da Scrooge im Augenblick keine bessere Antwort einfiel, sagte er wieder: «Pah!», und fügte hinzu: «Unsinn!»
«Sei nicht ärgerlich, Onkel», bat der Neffe.
«Was soll ich denn sonst sein, in einer solchen Narrenwelt!», versetzte der Onkel. «Fröhliche Weihnachten! Du mit deinen fröhlichen Weihnachten! Was bedeutet denn Weihnachten für dich? Eine Zeit, in der du Rechnungen zahlen musst, ohne Geld zu haben; eine Zeit, in der du plötzlich um ein Jahr älter, aber um keine Stunde reicher bist; eine Zeit, in der du Bilanz machst und jeder Posten in deinen Büchern dir zur Zahlung präsentiert wird, auf rund ein Dutzend Monate zurück. Wenn es nach mir ginge», rief Scrooge ungehalten, «müsste jeder Trottel, der mit einem ‹Fröhliche Weihnachten› auf den Lippen herumgeht, mit seinem eigenen Pudding gekocht und mit einem Stechpalmenspieß im Herzen begraben werden. Wahrhaftig!»
«Onkel!», bat der Neffe.
«Neffe!», erwiderte der Onkel hart. «Feiere Weihnachten auf deine Art, und lass es mich auf die meine feiern.»
«Feiern!», wiederholte der Neffe. «Du feierst es ja eben nicht!»
«Dann lass mich damit in Frieden», entgegnete Scrooge. «Möge es dir wohl bekommen! Was es dir schon Gutes gebracht hat!»
«Es gibt gewiss viele Dinge, die mir zum Guten hätten gereichen können und die ich nicht richtig genutzt habe», versetzte der Neffe, «und Weihnachten mag dazugehören. Aber jedes Mal, wenn das Christfest wiederkehrt, habe ich es – ganz abgesehen von der Verehrung, die seinem heiligen Namen und Ursprung gebührt, falls man davon überhaupt absehen kann – als eine gesegnete Zeit betrachtet, als eine freundliche, versöhnliche, barmherzige, fröhliche Zeit. Meines Wissens die einzige Zeit im langen Jahreskalender, zu der die Menschen einmütig ihr Herz aufzutun und an Tieferstehende zu denken scheinen, als wären sie tatsächlich Wandergefährten auf dem Weg zum Grabe und nicht eine andere Art von Geschöpfen, die andere Ziele verfolgen. Und darum glaube ich, Onkel, dass es mir wirklich Gutes gebracht hat, wenn es auch nie ein Bröcklein Gold oder Silber in meine Taschen zauberte, und dass es mir noch viel Gutes bringen wird, und darum sage ich: ‹Gott segne es!›»
Der Kommis in seinem Kasten klatschte unwillkürlich Beifall. Doch er wurde sich augenblicklich der Unziemlichkeit dieses Tuns bewusst und schürte aus Verlegenheit das Feuer, womit er den letzten schwachen Funken endgültig auslöschte.
«Lassen Sie mich noch einen Laut hören, und Sie werden zur Feier des Christfests Ihre Stellung verlieren», sagte Scrooge. «Du bist ja ein gewaltiger Redner, mein Freund», fügte er, zu seinem Neffen gewandt, hinzu. «Ich staune, dass du noch nicht im Parlament sitzt.»
«Sei nicht ärgerlich, Onkel! Komm morgen zum Essen zu uns!»
Scrooge antwortete, eher würde er ihn – ja, das sagte er tatsächlich! Er ließ kein Wort der Redensart aus und sagte, eher würde er ihn – nun ja, an jenem Ort sehen.
«Aber warum?», rief der Neffe. «Warum?»
«Warum hast du geheiratet?», fragte Scrooge.
«Weil ich mich verliebt habe.»
«Weil du dich verliebt hast!», knurrte Scrooge, als sei dies das eine und einzige Ding auf der Welt, das noch lächerlicher wäre als fröhliche Weihnachten. «Guten Abend!»
«Aber, Onkel, du hast mich ja auch vorher nie besucht. Warum soll das jetzt plötzlich der Grund sein?»
«Guten Abend», sagte Scrooge.
«Ich verlange nichts von dir. Ich habe dich nie um etwas gebeten. Warum können wir nicht gute Freunde sein?»
«Guten Abend!», sagte Scrooge.
«Es tut mir von Herzen leid, dass du so abweisend bist. Wir hatten nie einen Streit, bei dem ich mitgetan hätte. Aber ich habe Weihnachten zu Ehren mein Möglichstes versucht und will meine weihnachtliche Stimmung bis zuletzt bewahren. Fröhliche Weihnachten, Onkel!»
«Guten Abend!», sagte Scrooge.
«Und ein glückliches neues Jahr!»
«Guten Abend!», sagte Scrooge.
Trotzdem verließ der Neffe das Zimmer ohne ein zorniges Wort. In der Tür blieb er stehen, um seine guten Wünsche zum Fest auch dem Kommis zu übermitteln, der, sosehr ihn auch fror, doch wärmer war als Scrooge, denn er erwiderte sie herzlich.
«Das ist auch so einer!», murmelte Scrooge, der es hörte. «Mein Schreiber mit fünfzehn Shilling pro Woche und Frau und Kindern redet von fröhlichen Weihnachten! Ich muss mich wohl ins Irrenhaus zurückziehen.»
Dieser Irre hatte, als er den Neffen von Scrooge hinausgeleitete, gleichzeitig zwei weitere Besucher eingelassen: stattliche, würdige Herren, die jetzt mit gezogenem Hut im Kontor standen. Sie hielten Bücher und Papiere in der Hand und verbeugten sich vor Scrooge.
«Scrooge und Marley, wenn ich recht bin», sagte einer der Herren nach einem Blick auf seine Liste. «Habe ich das Vergnügen mit Mr Scrooge oder Mr Marley?»
«Mr Marley ist vor sieben Jahren verstorben», erwiderte Scrooge. «Heute ist es auf den Tag sieben Jahre her.»
«Wir bezweifeln nicht, dass seine Freigebigkeit von seinem Kompagnon würdig fortgesetzt wird», sagte der Herr, indem er sein Beglaubigungsschreiben vorwies.
Das traf zu, denn die beiden waren verwandte Seelen gewesen. Bei dem ominösen Wort «Freigebigkeit» runzelte Scrooge die Stirn und reichte das Papier kopfschüttelnd zurück.
«Zu dieser festlichen Jahreszeit, Mr Scrooge», sagte der Herr, nach einer Feder greifend, «ist es noch wünschenswerter als sonst, dass wir der Armen und Hilflosen gedenken, die gerade jetzt besondere Not leiden. Vielen Tausenden mangelt es am Allernotwendigsten, Sir, Hunderttausenden mangelt es an den bescheidensten Bequemlichkeiten.»
«Gibt es denn keine Gefängnisse mehr?», fragte Scrooge.
«Leider nur allzu viele», sagte der Herr und legte die Feder wieder nieder.
«Und die Armenhäuser der Kirchenpflege? Sind die nicht mehr in Betrieb?», fragte Scrooge.
«Das sind sie noch immer», versetzte der Herr. «Ich wollte, ich könnte die Frage verneinen.»
«Die Tretmühle und die Armenfürsorge bestehen also noch?», fragte Scrooge.
«Und beide stark in Anspruch genommen, Sir.»
«Oh! Nach dem, was Sie sagten, hatte ich schon gefürchtet, dass etwas sie in ihrer nützlichen Tätigkeit behindert hätte», sagte Scrooge. «Es freut mich, dass dem nicht so ist.»
«Unter dem Eindruck, dass diese Einrichtungen kaum dazu angetan sind, den Menschen christliche Labung für Leib und Seele zu spenden», versetzte der Herr, «haben sich einige von uns zusammengetan. Wir bemühen uns, die Mittel aufzubringen, um den Allerärmsten Speise und Trank und Heizmaterial zu beschaffen, und wir haben bewusst diese Jahreszeit gewählt, weil gerade in dieser Zeit die Not am schmerzlichsten empfunden wird, während die Wohlhabenden im Überfluss schwelgen. Wie viel darf ich in Ihrem Namen eintragen?»
«Nichts!», erwiderte Scrooge.
«Sie wünschen, ungenannt zu bleiben?»
«Ich wünsche, in Ruhe gelassen zu werden», sagte Scrooge. «Da Sie mich nach meinen Wünschen fragen, Gentlemen, ist dies meine Antwort. Ich selber gebe mich zu Weihnachten keinen Lustbarkeiten hin und kann es mir nicht leisten, Müßiggänger zu Lustbarkeiten einzuladen. Ich unterstütze die von mir erwähnten Institutionen – das kostet mich Geld genug. Wem es schlecht geht, der muss sich eben an diese Stellen wenden.»
«Viele können es nicht, und viele würden lieber sterben.»
«Wenn sie zu sterben vorziehen», sagte Scrooge, «sollten sie es tun und so den Bevölkerungsüberschuss verringern. Im Übrigen müssen Sie mich entschuldigen – ich weiß nichts davon.»
«Sie könnten es aber wissen», bemerkte der Herr.
«Das geht mich nichts an», sagte Scrooge. «Es ist genug, wenn ein Mensch sein eigenes Geschäft versteht und sich nicht in anderer Leute Angelegenheiten mischt. Die meinen nehmen mich ständig in Anspruch. Guten Abend, Gentlemen.»
Die Herren sahen, dass es nutzlos wäre, ihr Anliegen weiter zu verfolgen, und entfernten sich. Scrooge wandte sich mit erhöhtem Selbstgefühl und besser aufgelegt als sonst wieder seiner Arbeit zu.
Inzwischen verdichteten sich der Nebel und die Finsternis dermaßen, dass draußen Leute mit brennenden Fackeln herumliefen und den Kutschern ihre Dienste anboten, nämlich vor den Pferden herzugehen und ihnen den Weg zu weisen. Ein uralter Kirchturm, dessen mürrische alte Glocke durch ihr gotisches Fenster hinterhältig auf Scrooge hinabzuschielen pflegte, wurde unsichtbar und schlug die Stunden und die Viertel mitten in den Wolken und mit so zittrigem Nachhall, als klapperten ihm dort oben die Zähne in seinem erfrorenen Kopf. Die Kälte wurde immer durchdringender. An dem Eck, wo das Gässchen in die Hauptstraße mündete, wurde gerade die Gasleitung repariert. Die Arbeiter hatten ein mächtiges Feuer in einer Kohlenpfanne angezündet, und jetzt drängte sich eine Schar von zerlumpten Männern und Jungen darum herum, die sich mit wohligem Blinzeln die Hände über der Glut wärmten. Der Hydrant lag verlassen da, und das überquellende Wasser erstarrte in seiner Verdrossenheit zu misanthropischem Eis. Die strahlende Helligkeit der Kaufläden, wo die Stechpalmenzweige mit ihren roten Beeren in den von Lampen überhitzten Schaufenstern knisterten, ließ die bleichen Gesichter der Vorbeihastenden rosig erglühen. Der Handel mit Geflügel und Delikatessen wurde zu einem brillanten Scherz, einem prächtigen Schaugepränge, das unmöglich etwas mit so langweiligen Dingen wie Kauf und Verkauf zu tun haben konnte. In der mächtigen Feste von Mansion House, seinem Amtssitz, gab der Lord Mayor seinen fünfzig Köchen und Dienern Befehl, Weihnachten so zu feiern, wie es sich für den Haushalt eines Lord Mayors gehörte; und sogar das kleine Schneiderlein, das er am vergangenen Montag wegen Trunkenheit und blutdürstigen Äußerungen auf offener Straße mit fünf Shilling gebüßt hatte, rührte in seiner Dachkammer eifrig den Teig zu dem morgigen Weihnachtspudding an, während seine magere Frau mit dem Baby loszog, um den Rindsbraten zu kaufen.
Immer noch mehr Nebel und Kälte, eine durchdringende, schneidende und beißende Kälte. Hätte der gute St. Dunstan anstatt seine herkömmlichen Waffen anzuwenden, die Nase des Bösen nur mit einem Hauch von diesem Wetter gezwickt, hätte der wahrhaftig Grund zum Brüllen gehabt. Der Eigentümer einer dürftigen jungen Nase, an der die Kälte biss und nagte wie Hunde an einem Knochen, neigte sich zu Scrooges Schlüsselloch hinab, um ihn mit einem Weihnachtslied zu ergötzen. Doch bei den ersten Tönen griff Scrooge mit einer so energischen Bewegung nach dem Lineal, dass der Sänger entsetzt floh und das Schlüsselloch dem Nebel und einem noch geistesverwandteren Frost überließ.
Endlich kam die Stunde, zu der das Kontor geschlossen wurde. Scrooge stieg widerwillig von seinem hohen Stuhl herab und gab damit die Tatsache schweigend dem erwartungsvollen Kommis in seinem Kasten bekannt, der augenblicklich seine Kerze auslöschte und seinen Hut aufsetzte.
«Morgen werden Sie wohl den ganzen Tag freinehmen wollen?», sagte Scrooge.
«Wenn es konveniert, Sir …»
«Es konveniert mir nicht», sagte Scrooge, «und es ist ungehörig. Wenn ich Ihnen dafür eine halbe Krone vom Lohn abziehen wollte, würden Sie bestimmt finden, dass Ihnen Unrecht geschieht.»
Der Kommis lächelte matt.
«Aber Sie finden nicht, dass mir Unrecht geschieht, wenn ich einen Tageslohn für keine Arbeit zahle», sagte Scrooge.
Der Kommis bemerkte, dass es ja nur einmal im Jahr wäre …