Einführung in die Rangdynamik - Christina Spaller - E-Book

Einführung in die Rangdynamik E-Book

Christina Spaller

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Beschreibung

Was wir miteinander zu tun haben Wie finden Menschen zueinander? Was hält eine Gruppe zusammen, was gefährdet ihren Fortbestand? Raoul Schindlers Interaktionsmodell zur Rangdynamik gilt als wichtiger Grundstein der Gruppendynamik. Wer in oder mit Gruppen arbeitet, tut gut daran, es in seiner ursprünglichen Form kennenzulernen, anstatt sich auf die mehrfach verdünnte Wiedergabe in der gängigen Fachliteratur zu verlassen. Christina Spaller und Andrea Tippe haben Schindlers zum Teil sperrige und widersprüchliche Veröffentlichungen neu gelesen und in eine Einführung übersetzt, die den praktischen Nutzen des Modells sichtbar macht. Ausgehend von seiner Entstehungsgeschichte stellen sie zunächst die beiden Grundthesen der Rangdynamik vor. Die erste beschreibt verschiedene Phasen und Zustände der Beziehungen innerhalb einer Gruppe, die zweite nimmt die verschiedenen Positionen, Rollen und Funktionen in den Blick, die deren Mitglieder einnehmen. Der Praxisteil des Buches ist der Anwendung des Rangdynamikmodells gewidmet. Hier stehen die zentralen Themen von Beratung, Coaching und Organisationsentwicklung im Zentrum: Beobachtung, Diagnose, Planung und Intervention. Was man schon immer über die Dynamik in Gruppen geahnt hat: Hier findet man es beschrieben und erklärt. In einer Zeit, in der demokratische Prozesse in Frage gestellt werden, kommt dem Buch zusätzlich politische Bedeutung zu. Die Autorinnen: Christina Spaller, Dr.in; Studium der Theologie und Religionspädagogik; Gruppendynamiktrainerin und Group-Workerin (ÖAGG); Professorin an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich mit Schwerpunkten in den Bereichen Inklusive Bildung mit Fokus auf soziokulturelle Differenzen sowie Soziodynamik und Gruppendynamik. Mitglied der Aktionsforschung Linz – Verein für Gruppendynamik und partizipative Forschung; Veröfffentlichungen zu Aktionsforschung, Gruppendynamik und soziokulturellen Differenzen. Andrea Tippe, MSc; Lehramtsstudium an der Pädagogischen Akademie für Deutsch, Geschichte und Sozial-Wirtschaftskunde; Gruppendynamiktrainerin und Group-Workerin (ÖAGG), Lehrsupervisorin (ÖVS/ANSE), Personal- und Organisationsentwicklerin (Donau Universität Krems); Lektorin in universitären Management- und Beratungsausbildungen; Vorsitzende der Aktionsforschung Linz – Verein für Gruppendynamik und partizipative Forschung; Kuratoriumsmitglied des Diakoniewerks Gallneukirchen. Veröffentlichungen zu Aktionsforschung, Gruppendynamik, Supervision/Coaching und Organisationsentwicklung.

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Seitenzahl: 140

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Christina Spaller und Andrea Tippe

Einführung in die Rangdynamik

2024

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Dr. h. c. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Dresden)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer † (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin † (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Dallgow-Döberitz)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Umschlaggestaltung: Uwe Göbel

Redaktion: Veronika Licher

Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Erste Auflage, 2024

ISBN 978-3-8497-0549-7 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8502-4 (ePUB)

© 2024 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Carl-Auer Verlag GmbH

Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg

Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22

[email protected]

Inhalt

Einleitung

Wie dieses Buch entstand

Wie dieses Buch lesen?

Zur Einordnung

Was Sie in diesem Buch erwartet

Dank

1 Vom Anfang: Die Entwicklungsgeschichte des Rangdynamikmodells

1.1 Zum Hintergrund der Rangdynamik-Forschung

1.2 Die ersten Muster des Rangdynamikmodells werden entdeckt

1.3 Ein neues Behandlungsformat in Gruppen: bifokale Familientherapie

1.4 Entwicklung des Rangdynamikmodells

1.5 Weiterentwicklung und Diskurs

2 Essenz: Das Rangdynamikmodell in zwei Thesen

2.1 Ausgangspunkte des Modells

2.1.1 Die psychologische Gruppe

2.1.2 Die zwei Grundthesen des Rangdynamikmodells

2.2 These 1: Zustände der kollektiven Bezogenheit

2.2.1 Zustand der Menge: Im Wartezimmer

2.2.2 Prägruppaler Zustand: Versuche des gemeinsamen Tuns

2.2.3 Gruppaler Zustand: Dynamische Rangpositionen und gemeinsame Bewegungsrichtung

2.2.4 Zustand der Institution: Die fixierte Rangstruktur und permanente Position

2.2.5 Bemerkenswertes zur These 1 der kollektiven Bezogenheiten

2.3 These 2: Die Positionsformel

2.3.1 Eine Grundformel mit Ecken und Kanten

2.3.2 Die Positionen und ein interdependentes lebendiges Gefüge

2.3.3 Rangdynamikposition erleben und Wirkung erfahren

3 Begriffs-Entwicklungen für die Praxis

3.1 Stellung und Position

3.2 Rolle und Position

3.3 Haltungen, Positionen und Positionswechsel

3.4 Formale Rolle oder Funktion und Position

3.5 Status und Position

4 Interventionspraxis

4.1 Beobachtungsperspektiven

4.1.1 Die Beobachtung der Kontaktintensität

4.1.2 Die Beobachtung des Umgangs mit Aufgaben

4.1.3 Die Beobachtung des Ausschlusses

4.2 Leitfragen zur rangdynamischen Diagnose

4.3 Rangdynamische Interventionen

4.3.1 Definition der rangdynamischen Intervention

4.3.2 Interventionsplanung

Glossar

Literatur

Über die Autorinnen

Einleitung

Was haben wir miteinander zu tun? Entdecken wir etwas Verbindendes? Wie finden wir das Gemeinsame, obwohl vieles an anderen und letztlich in uns selbst fremd scheint und uns befremdet? Wie findet sich ein Wir, in dem das fremd Erscheinende einen wirkungsvollen Platz erhält? Als gruppendynamisch Forschende zur gesellschaftlichen Kraft von Gruppen begeben wir uns immer wieder auf die Suche nach möglichen Antworten, unter anderem mithilfe des Rangdynamikmodells. Es gibt eine Vielfalt an Fachliteratur, in der das Modell als Erklärung zur Dynamik von Gruppen vereinfacht dargestellt wird, als gäbe es etwas Magisches in Gruppen, das sich wie von selbst wiederholt und herstellt. Damit wird in einer Rezeption die dynamische Komplexität des Rangdynamikmodells verflacht und die Möglichkeiten, damit in Gruppen zu arbeiten, werden reduziert. Es scheint bei einer eingehenden Lektüre der Originaltexte zum Modell, als ob Rezeption und Interpretation nicht fertig würden. Vielleicht ist das Nie-enden-Wollende auch passend, weil das prozesshaft Unabgeschlossene aufmerksam und lebendiger werden lässt, zu grundlegenden Fragen eines neuen Wir-Verhältnisses in der Jetztzeit. Das wäre sicher im Sinn der Entwickler:innen des Rangdynamikmodells.

Durch das vorliegende Praxisbuch sollen Beratende, Lehrende, Begleitende, Mitarbeitende, Leitende, Betroffene und Beteiligte angeregt werden, sich mit dem Rangdynamikmodell und seiner praktischen Anwendung auseinanderzusetzen. Die Quintessenz des Modells beinhaltet, unserer Sichtweise nach, den Respekt gegenüber Unterschieden, wie sie sich in lebendigen kollektiven Prozessen strukturell entwickeln. Wir verstehen dieses Praxisbuch deshalb als aktiven Beitrag, den anderen oder die andere immer wieder zu finden, als Teil von uns, gerade in Zeiten, da Demokratieprozesse schmerzhaft infrage gestellt werden.

Wie dieses Buch entstand

Jedes Buch hat seine Geschichte, Umwege, Stolpersteine und Mitgestaltende. Gemeinsam mit Ursula Margreiter, Judith Lamatsch, Konrad Wirnschimmel, Ingrid Krafft-Ebing und Michael Ertl erarbeiteten wir von 2013 bis 2016 eine Sammlung aller Publikationen Raoul Schindlers, mit dem Ziel, ausgewählte Originaltexte zugänglich zu machen, um eine Re-Lektüre des Modells zu ermöglichen. 2016 erschien im Psychosozial-Verlag der Sammelband Raoul Schindler: Das lebendige Gefüge der Gruppe. Ausgewählte Schriften.

In einem kontinuierlich stattfindenden Lesekreis mit gruppendynamischen Kolleginnen und Kollegen aus dem Österreichischen Arbeitskreis für Gruppentherapie und Gruppendynamik (ÖAGG), namentlich Jutta Überacker, Dominik Pesendorfer und Katharina Warta, diskutierten wir gemeinsam die neu publizierten Originaltexte. Die Herausforderung war, die Sprache des vorigen Jahrhunderts zugänglich zu machen, auch um das Modell in unseren beruflichen Feldern verständlicher vermitteln zu können. Vorträge bei Tops München-Berlin e.V. sowie auf einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Gruppendynamik und Organisationsdynamik (DGGO) und der Österreichischen Gesellschaft für Gruppendynamik und Organisationsberatung (ÖGGO) folgten, zu denen Karl Schattenhofer uns eingeladen hatte, dem wir aus dem kollegialen diskursiven Interesse gern nachkamen. Bei gruppendynamischen Theorie-Werkstätten im ÖAGG diskutierten wir das bisher Erarbeitete mit Ausbildungskandidat:innen der Gruppendynamik und erstellten Fragen für die Praxis der Rangdynamik. Bei dieser vielfältigen diskursiven Re-Lektüre blieb immer wieder etwas am Verstehen des Modells offen.

Das Rangdynamikmodell selbst wurde von Raoul Schindler nie in einer finalen Fassung definiert. So enthält der Sammelband unterschiedlichste Varianten und Aspekte des Modells aus den Jahren 1952 bis 2008. Die Originaltexte sind durchaus sperrig und widersprüchlich, so manch interessierte Praktikerin bzw. interessierter Praktiker blieb nach der Re-Lektüre mit der Frage zurück, was nun mit diesen Erkenntnissen praktisch zu machen sei. Schindler selbst meinte immer wieder: Wie verstehst du das Modell? Wir nehmen nun diese Frage auf und zeigen unser praktisches Verständnis des Rangdynamikmodells, um es weiter ins Gespräch zu bringen.

Wie dieses Buch lesen?

Grundsätzlich beginnt die Einführung mit dem Entstehungskontext des Modells, führt über eine Darlegung bis hin zur aktuellen praktischen Anwendung. Wir haben uns entschieden, bei der Darstellung des Modells die Positionsformel – den vielfach bekannten Teil des Modells mit den Rangpositionen und der Position eines Gegners – in Anlehnung an Raoul Schindler als These 2 einzuführen (z. B. Schindler 1968a) und ihr die eher unbedachte, im Laufe der Zeit beiläufig entwickelte These 1 voranzustellen. Diese Vorgangsweise birgt eine Herausforderung bei der Lektüre dieser Einführung, denn Schindler verwendet bei der Darlegung von These 1 Begriffe, die er mit der zuvor entwickelten Positionsformel in die Diskussion eingeführt hat. Um diesbezüglich die Lektüre zu erleichtern, haben wir ein Glossar an das Ende des Buches gestellt und empfehlen jenen, für die das Modell neu ist, sich zu Beginn der Lektüre mit der Positionsformel (siehe Abschnitt 3.3) vertraut zu machen. Indem wir bei der Darlegung mit These 1 beginnen, setzen wir der oft verkürzten bzw. reduzierten Leseweise des Modells eine notwendige Differenzierung voran.

Zur Einordnung

Das Rangdynamikmodell wurde im psychiatrisch-therapeutischen Kontext entwickelt und in diversen Feldern angewendet und verfeinert. Wir lesen das Modell vorwiegend in seiner gruppendynamischen Bedeutung und seiner Anwendung in der Arbeit mit Gruppen. Unter Gruppendynamik verstehen wir

1)

das Kräftespiel zwischen Individuen, das entsteht, wenn Individuen sich in gruppalen Kontexten aufeinander beziehen und konkrete Bezogenheiten entwickeln. Es handelt sich um eine latente Ebene, die die Beteiligten wie nebenbei gemeinsam instand setzen und deren Wirkung sie spüren. Die Dynamiken, wie sie hier entwickelt werden, beeinflussen die manifeste Ebene, u. a. die Zusammenarbeit der Mitglieder, Arbeitsprozesse, Arbeitsleistung, Struktur sowie Zielerreichung.

2)

Diese dynamischen Prozesse werden wissenschaftlich erforscht und in gruppendynamischen Theorien und Modellen festgeschrieben. Als solche sind sie sozialwissenschaftlichen Disziplinen zugeordnet.

3)

Diese Kenntnisse werden für Lernprozesse in sogenannten gruppendynamischen Trainings angewendet mit dem Ziel, soziales Lernen und Verhaltensänderungen anzustoßen (König u. Schattenhofer 2022, S. 12 f.). Außerdem dienen sie beispielsweise Trainer:innen, Berater:innen, Pädagog:innen in ihrer Arbeit mit Gruppen.

Für das vorliegende Modell bedeuten diese drei Ebenen: Raoul Schindler hat in der konkreten Arbeit mit Gruppen ein sich wiederholendes Muster eines Kräftespiels, das er als »das bewegte Gefüge des lebendigen Hintergrunds« (Schindler 1999, S. 286) benennt, beobachtet und überprüft. In einem nächsten Schritt abstrahierte er Erlebtes, leitete eine Essenz ab, publizierte das Modell in zwei Thesen und beteiligte sich an der Theoriebildung. Dieses Theoriemodell wurde und wird wiederum in der Arbeit mit Gruppen praktisch genützt, um Dynamiken wahrzunehmen und zu verstehen. Es kann dazu verwendet werden, gezielt Verhaltensweisen anzustoßen und Interventionen einzusetzen. Es braucht jedoch eine Übersetzungsleistung jener, die auf das Modell in ihrer praktischen Arbeit zurückgreifen.

Was Sie in diesem Buch erwartet

Das Praxisbuch ist in vier größere Kapitel gegliedert. In Kapitel 2 finden Sie die Entwicklungsgeschichte des Rangdynamikmodells. Wir stellen den historischen Hintergrund, die Entstehungsbedingungen der Erforschung desselben vor. Jedes Theoriemodell wird zu einer bestimmten gesellschaftlichen Zeit entwickelt, diese Quersicht ermöglicht die Einordnung des Forschungsprozesses und der Fragestellung, wie sie sich nur zu diesem Zeitpunkt stellen konnte.

Es schließt im Kapitel 3 die Darlegung der Essenz des Rangdynamikmodells an. Die zwei aufeinander aufbauenden Grundthesen des Modells, die These der kollektiven Bezogenheiten und die These der Positionsformel, stehen im Mittelpunkt.

Darauf folgt im Kapitel 4 eine Differenzierung von grundlegenden Begriffen für die Praxis, damit gewinnt die Grenzziehung des Modells an Schärfe und Praktikabilität.

Im Kapitel 5 lesen Sie über die Möglichkeiten einer Interventionspraxis des Rangdynamikmodells: Welcher Beobachtungsfokus wird durch das Modell möglich? Wie wird eine rangdynamische Diagnose erstellt? Welche Möglichkeiten von Interventionen für die Praxis mit und in kollektiven Formationen ergeben sich daraus? Dabei stellen wir unsere bisher entwickelten Praxishilfen, wie wir sie anwenden, vor.

Das Buch schließt mit einem rangdynamischen Glossar, das während der Lektüre zur Orientierung verwendet werden kann. Zur besseren Lesbarkeit zählt auch unsere Entscheidung, die neue Rechtschreibung in den Originalzitaten anzuwenden.

In diesem Sinn laden wir Sie zu einer praktischen Anwendung des Buches ein.

Angereichert durch die Reflexion und verschiedene Interventionsmöglichkeiten in der konkreten Arbeit hoffen wir auf Praktikabilität im Umgang mit dem Rangdynamikmodell. Denn wenn die Begegnung mit den anderen gelingen soll, müssen die zahlreichen Interventionsmöglichkeiten ausgeschöpft werden können, um den Diskurs um das Gemeinsame nicht enden zu lassen. Das wäre unser Standpunkt zum Rangdynamikmodell. Es eröffnet eine praktische Seite des Umgangs mit strukturellen Mechanismen von Mehrheit und Minderheit. Und zeigt gleichzeitig auf, wie man in solchen Verhältnissen auf Augenhöhe in einem demokratisch orientierten Alltag intervenieren könnte. Insofern sind auch wir mit dem Omega noch lange nicht fertig.

Dank

Wir bedanken uns bei Ursula Margreiter für die wiederholte Bestärkung, diese Einführung zu schreiben. Das Manuskript gelesen und kritisch kommentiert haben Lilli Lehner, Julia Rappich und Reinhard Larcher, denen wir für ihre Anregungen danken. Veronika Licher hat uns als Lektorin begleitet, beraten und das Manuskript in ein Buch verwandelt – herzlichen Dank. Unser Dank gilt auch Fritz Simon, der dieses Projekt befürwortet hat, sowie dem Team des Carl-Auer Verlags, speziell Alexander Eckerlin und Ralf Holtzmann für die gute Zusammenarbeit, Motivation und Geduld.

Linz, im Februar 2024

Christina Spaller und Andrea Tippe

1 Vom Anfang: Die Entwicklungsgeschichte des Rangdynamikmodells

Das Rangdynamikmodell lenkt den Blick auf die Soziodynamik unterschiedlichster kollektiver Formationen. Es beinhaltet bestimmte Prinzipien für ein geordnetes Beobachten und Erklären einer Sicht auf Gruppen. Das Modell schafft dadurch Erkenntnisse, welche wiederum für die Entwicklung von Kollektiven eingesetzt werden können. Die Entwicklungsgeschichte des Modells ist in die 1950er- und 1960er-Jahre des vorigen Jahrhunderts in Wien eingebettet, eine Zeit, in der sich emanzipatorische Ansprüche in und an Institutionen abzeichnen, um eine Demokratisierung von Gesellschaft zu ermöglichen. Die historischen Grundlagen des Modells wurden im klinischen Feld der Psychiatrie entwickelt, die folgende Forschungsarbeit zum Rangdynamikmodell hat zu Weiterentwicklungen in anderen Feldern und Arbeitsbereichen geführt.

1.1 Zum Hintergrund der Rangdynamik-Forschung

Das Modell der Rangdynamik nimmt seinen Anfang in der Gruppenarbeit von Ärztinnen bzw. Ärzten mit Personen mit schizophrener Krankheit an der psychiatrischen Abteilung der Wiener Universitätsklinik in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts und dem steigenden Interesse an Gruppenprozessen in dieser Zeit. Die Ursachen schizophrener Erkrankungen waren international im Gespräch. Widerstreitende Positionen kennzeichneten die medizinische und interdisziplinäre Diskussion. Eine Position vertrat die Auffassung, dass die Ursachen der Erkrankung ausschließlich genetisch bedingt seien, und setzte demnach auf eine somatische Behandlung, beispielsweise Psychopharmaka, Elektro- oder Insulinschockbehandlung sowie Neurochirurgie (Schindler 1960a, S. 143). Ihr gegenüber erhoben jene Mediziner:innen ihre Stimme, die mit Blick auf psychotherapeutische und psychoanalytische Ansätze die Ursachen von Schizophrenie stärker in der Persönlichkeitsentwicklung wie auch dem sozialen Umfeld der Patientinnen und Patienten verorteten. Ihnen eröffnete sich neben einer somatischen Behandlung ein weiteres Feld möglicher Heil- oder Rehabilitationsverfahren mit den zu Behandelnden.

Auf diesem Hintergrund fanden an der psychiatrischen Abteilung der Wiener Universitätsklinik neue Therapieprozesse statt, in deren Zentrum die multifaktorielle Genese für schizophrene Erkrankungen entwickelt wurde (Gastager 1965, S. 25f.). Genetische Ursachen wurden dabei nicht mehr als alleinige Auslöser angesehen, sondern die Persönlichkeitsentwicklung unter Einbeziehung der sozial konflikthaften Situationen der Patientinnen und Patienten erhoben und bei der Entwicklung von konkreten Diagnosen berücksichtigt. Ein Zusammenspiel von drei Diagnoseebenen etablierte sich als »Wiener Position« (Gastager 1965, S. 73–77):

eine psychiatrische Diagnose, die sich auf den Krankheitsverlauf, also die Krankheitsfaktoren bezog;

eine psychodynamische Diagnose, die die Persönlichkeitsentwicklung von Menschen mit schizophrener Beeinträchtigung in den Blick nahm;

eine soziodynamische Diagnose, die den Fokus auf die soziale Eingebundenheit der zu Behandelnden richtete.

Entlang dieser Diagnosen wurden neben der somatischen Behandlung neue psycho- und soziotherapeutische Behandlungsformen entwickelt. Die psychiatrische sowie die psychodynamische Diagnose forderten eine Arbeit mit den Patientinnen und Patienten entlang präziser Beobachtungen, d. h. dem akuten Krankheitsverlauf und der konkreten Verfasstheit der betroffenen Menschen. Die soziodynamische Diagnose erweiterte den Blick auf das soziale Umfeld, das es aus Sicht der Mediziner:innen parallel zum stationären Aufenthalt zu behandeln galt, denn dieses musste für die Rückkehr und Aufnahme der Patientinnen und Patienten vorbereitet werden. Die Aufgabe des Umfeldes war, eine adäquate integrierende Konstellation und Atmosphäre herzustellen (vgl. Gastager 1965; Gastager u. Schindler 1963).

Damit kristallisierte sich ein zweifacher Fokus in der Behandlung für Menschen mit schizophrener Beeinträchtigung heraus: eine therapeutische Arbeit mit den betroffenen Menschen und zeitgleich dazu eine therapeutische Arbeit mit dem familiären Umfeld.

So wurde ab 1946/47 als klinisches Setting die sogenannte bifokale Familientherapie entwickelt und hinsichtlich ihrer Wirkung professionell vom Therapieteam beobachtet, reflektiert und evaluiert. Beteiligt daran waren Mediziner:innen der Abteilung, die namentlich in Ausführungen von Raoul Schindler genannt wurden: Dr. Gastager, Dr. Frühmann, Dr.in Bründlmayer, Dr.in Hift (Schindler 1957d, S. 385). Gemeinsam war ihnen die Ablehnung der explizit genetischen Verortung von psychischer Beeinträchtigung und die Einbeziehung psychodynamischer und sozialer Faktoren in die Pathogenese und Diagnose. 1952 publizierten aus der Mediziner:innengruppe zu ihren Therapieerfahrungen Otto H. Arnold und Raoul Schindler den Artikel Bifokale Gruppentherapie bei Schizophrenen. In diesem Text unterschieden sie verschiedene Formenkreise schizophrener Erkrankungen, von denen ihrer Meinung nach einige nicht ausschließlich genetisch bedingt waren, und stellten erstmals die Schritte der bifokalen Gruppentherapie vor. Fünf Jahre später relativierte Schindler in einer weiteren Publikation (1957c) einmal mehr die Bedeutung eines genetischen Erbfaktors, indem er diesen lediglich als eine Vorstufe der Erkrankung oder als eine mögliche Disposition benannte. Dieser Disposition schrieb er für den eigentlichen Krankheitsverlauf und damit die Manifestation der Erkrankung »in Relation zu einem Umwelteinfluss und dessen Verarbeitbarkeit durch das Individuum« (Schindler 1957c, S. 148) wenig Bedeutung zu. Die sozialen Einflüsse und deren individuelle Verarbeitung waren für ihn maßgeblich für eine Erkrankung.

Wenn nun eine schizophrene Beeinträchtigung nicht länger (nur) genetisch bedingt war, brauchte es eine neue Idee für das Behandlungsziel. In der Folge löste der Begriff Rehabilitation den Begriff Heilung ab. Gemeint war damit: Menschen mit schizophrenen Krankheitsverläufen sollten bestmöglich unterstützt und in die Lage versetzt werden, in sozialer Gemeinschaft größtmöglich eigenständig zu leben und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Das Kriterium erfolgreicher Behandlung war die Fähigkeit, sich in gesellschaftlichen Abläufen selbstständig verhalten zu können, sozial eingegliedert und aktiver Teil der Gesellschaft zu sein (Gastager u. Schindler 1961).

Damit war die (Wieder-)Erlangung einer sozialen Eingebundenheit, die Integration in die Gesellschaft unabhängig von möglichen Dispositionen das neue Behandlungsziel.