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Ein Mutmach-Buch für Trennungseltern von einer erfahrenen Familienpsychologin. Kompetenter Rat, verständnisvoll und persönlich im Ton. Wie können Eltern und Kinder gestärkt aus einer Trennung hervorgehen? Wie gelingt es, gemeinsam die richtigen Weichen für die ganze Familie zu stellen, wenn man noch mit den eigenen verletzten Gefühlen zu kämpfen hat? Die erfahrene Familienpsychologin Marianne Nolde hat mit vielen Trennungsfamilien gearbeitet und selbst eine Scheidung erlebt. Sie weiß, worauf es ankommt, damit Eltern und Kinder diese einschneidende Zeit gut verkraften. So zeigt sie Wege auf, wie man einfühlsam mit den Reaktionen des Kindes auf die Trennung umgeht und einen fairen Umgang mit dem Ex-Partner findet. Sie gibt praktische Tipps, wie Trennungseltern weiterhin gut miteinander kommunizieren, wie man aus der Opfer-Falle herausfindet und wie man trotz Trennung als Eltern ein Team bleibt. Dieses Buch bietet umfassenden und kompetenten Rat, wie Scheidungseltern für sich selbst und für ihr Kind den bestmöglichen Weg für die Zukunft finden.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 216
Marianne Nolde
Eltern bleiben nach der Trennung
Was Ex-Partner für sich und ihre Kinder wissen sollten
Knaur e-books
Wenn der Traum vom Familienglück scheitert, stehen Eltern vor vielen Fragen: Wohnen die Kinder künftig bei der Mutter, beim Vater oder entscheidet man sich fürs Wechselmodell? Wie bleibt man als Eltern ein Team, auch wenn man kein Paar mehr ist? Und wie können die Kinder die neue Situation verarbeiten? Familienpsychologin Marianne Nolde hat viele Trennungsfamilien begleitet. Sie weiß, worauf es ankommt, damit Eltern und Kinder diese einschneidende Zeit gut verkraften. In ihrem Buch gibt sie Antworten auf die drängendsten Fragen und macht Betroffenen
Mut, die Zukunft neu zu gestalten.
»Am Ende ist alles gut. Und wenn nicht alles gut ist, ist es auch nicht das Ende.«
(Dev Patel in »Best Exotic Marigold Hotel«)
Als Gutachterin für Familiengerichte habe ich sechsunddreißig Jahre lang Eltern und Kinder in Trennungs- und Scheidungssituationen erlebt und so gut ich konnte versucht, an sinnvollen Lösungen für die Kinder mitzuwirken. Gute Lösungen für die Kinder waren oft gleichzeitig gute Lösungen für die Eltern und umgekehrt.
Ich habe mich über jede einzelne Familie gefreut, die es geschafft hat, am Ende des Gerichtsverfahrens einen einvernehmlichen Weg zu finden, und ich habe mitgelitten, wenn ich bei eskalierten Rosenkriegen so gar nicht mehr helfen konnte. Je verhärteter die Fronten waren, umso schwieriger wurde das.
Je frühzeitiger Eltern verstehen, was Kinder in einer Trennungssituation brauchen und wie man für alle zufriedenstellende Lösungen findet, desto besser sind die Aussichten. Darum habe ich gern im privaten Umfeld Eltern in Trennungsprozessen beraten und erlebt, dass sich dadurch mitunter Gerichtsverfahren erübrigten. Eines Tages sagte mir eine Mutter, die frisch getrennt war, das müsse doch in einem Buch nachzulesen sein, was ich ihr gerade erklärt hätte. Das sei doch wichtig zu wissen. So entstand die Idee zu diesem Buch. Ich hoffe, damit einen Beitrag zur Prävention von eskalierenden Trennungskonflikten leisten zu können. Schließlich kennt nicht jeder zufällig eine Gerichtspsychologin, die er kurzfristig fragen könnte, wenn ihm oder ihr Hintergrundwissen zur Bewältigung der Trennungssituation fehlt.
Hinzu kommt, dass ich mich nicht nur beruflich mit der Thematik befasst habe, sondern auch privat. Meine erste Ehe mit Kindern wurde geschieden, ich lebe in einer Patchworkfamilie. Ich bin also sowohl »Fachfrau« als auch »Betroffene«. Als Betroffene weiß ich, wie schwierig die Empfehlungen der Fachleute umzusetzen sind, wenn man emotional vom Trennungserleben noch so richtig durchgeschüttelt wird. Ich weiß aber auch, wie sehr es sich lohnt, ungeachtet eigener Gekränktheit zu versuchen, der Kinder wegen weiter als Eltern zusammenzuwirken.
Und weil ich selbst durch einige Irrungen und Wirrungen hindurch erlebt habe, was für ein Segen das für unsere Kinder war, möchte ich Sie mit diesem Buch wirklich gern dazu motivieren, es ebenfalls zu versuchen.
Wie sehr es sich gelohnt hat, wurde mir durch einen ganz besonderen Blumenstrauß in Warschau in aller Deutlichkeit vor Augen geführt.
Aber dazu später.
Ich wende mich mit dem Buch vor allem an Sie als Eltern in Trennungssituationen, aber auch an all diejenigen, die solche Familien beruflich oder privat begleiten.
Bitte beachten Sie die Gebrauchsanweisung: Das hier ist kein Ratgeber, den Sie abarbeiten, und dann wird alles gut. Ich lade Sie ausdrücklich ein zu prüfen, was Sie auf den folgenden Seiten lesen, und selbst einzuschätzen, was für Sie brauchbar ist, was Sie vielleicht für Ihre Situation abwandeln können oder was einfach gar nicht auf Ihre Lage passt. Wenn ich Sie am Ende mit meinen Erfahrungen und Geschichten inspirieren konnte, Ihren ganz persönlichen Weg zu finden, dann hat dieses Buch seinen Zweck erfüllt. Letztlich sind Sie der Experte für Ihre Familiensituation, aber es schadet nicht, Erfahrungswissen hinzuzuziehen. Es muss ja nicht jeder jeden Fehler erst selbst machen.
Wenn Sie es im Moment ganz eilig haben und die Frage nach konkreten Regelungen Ihnen unter den Nägeln brennt, dann können Sie gleich mit Kapitel 14 beginnen, in dem es um praktische Betreuungsmodelle geht. In den Erste-Hilfe-Koffer gehört aber auf jeden Fall auch Kapitel 3, in dem ich auf die psychische Verfassung des Trennungskindes eingehe, und Kapitel 4, in dem das an einem Beispiel anschaulich gemacht wird.
Vorausschicken möchte ich, dass die hier geschilderten Beispielfälle von mir fiktionalisiert wurden zum Schutz der Persönlichkeitsrechte. Über meine eigenen Erfahrungen mit der Trennung und ihren Folgen darf ich Ihnen mit Erlaubnis meiner Familie dagegen ohne Verfremdung berichten. Was nicht heißt, dass ich Ihnen hier die objektive Wahrheit garantieren kann, sondern lediglich meine Wahrnehmung der Geschehnisse.
Wenn ich im Folgenden von »Ex-Partnern« spreche, sind damit grundsätzlich beide Geschlechter gemeint. Manchmal erwähne ich beide, habe das aus Gründen der Lesbarkeit aber nicht durchgängig so gehandhabt. Dass in den Beispielen mehr Kinder bei ihren Müttern leben, entspricht den bisherigen Gegebenheiten und soll nicht ausdrücken, dass ich Männern weniger zutraue, dass sie Kinder betreuen und erziehen können. Ich möchte Ihnen ja von meinen Erfahrungen berichten, und die stammen teilweise aus Zeiten, in denen traditionelle Familienmodelle noch eine größere Rolle gespielt haben.
Sie müssen sich aber jetzt keine Sorgen machen, dass ich neue Entwicklungen nicht im Blick habe. Gerade das Thema Wechselmodell hat mich interessiert, und ich habe mich 2013 konkret dafür eingesetzt, dass es dazu einen Arbeitskreis beim Familiengerichtstag gab. Ich wollte gern in einem größeren Rahmen diskutieren, ob und wann es eine gute Option für Familien ist. Auslöser war für mich ein Vortrag, in dem ich erfuhr, dass schon Aufteilungen der Betreuungszeit ab 30:70 unter bestimmten Umständen als Wechselmodell gelten können. Mir wurde klar, dass dieses Modell mehr Gestaltungsspielraum lässt als die geläufige Variante des wochenweisen Wechsels. Und dass darin ein Potenzial liegt für einvernehmliche Regelungen.
Nachdem wir diese Punkte nun so weit geklärt haben, begeben wir uns gemeinsam auf die Reise in die Turbulenzen einer Trennungssituation und schauen wir uns an, wie die Neugestaltung der Familie nach einer Trennung gelingen kann.
Als Gutachterin für Familiengerichte war eine Elterntrennung so ziemlich das Letzte, was ich meinen Kindern gewünscht hätte. Zu oft hatte ich die Streitigkeiten der Eltern miterlebt und die Verunsicherung der Kinder, deren Traurigkeit spürbar war, selbst wenn sie sie den Eltern zuliebe so gut es ging unterdrückten.
Aber es gab etwas, das ich noch weniger wollte. Dass unsere Kinder in einer Atmosphäre von Spannung, Unzufriedenheit und Streit aufwachsen würden.
Die Möglichkeiten, Kinder über die Disharmonie zwischen ihren Eltern hinwegzutäuschen, werden arg überschätzt. Kinder nehmen in der Regel sehr wohl wahr, wenn sich die Stimmung zwischen ihren Eltern anhaltend verschlechtert. Selbst wenn Sie es schaffen, Ehestreitigkeiten ausschließlich in ihrer Abwesenheit zu führen und nicht schlecht über den anderen reden, wird die veränderte Atmosphäre spürbar sein. Und womöglich sprechen die Blicke, die Sie sich zuwerfen, bereits Bände, und Ihre Kinder sind sehr wohl in der Lage, die zu lesen.
Ich selbst wurde hellhörig, als mein damals fünfjähriger Sohn mich beim Zubettbringen darum bat, dass ich, wenn wir uns trennen würden, nur so weit wegziehen möge, dass er mich mit dem Fahrrad erreichen könne. Ich war erschrocken, denn zu dem Zeitpunkt dachte ich noch gar nicht an Trennung. Gerade dieses Kind hatte immer ein besonderes Verhältnis zu seinem Vater. Ich war entsetzt, als mir klar wurde, dass er ganz selbstverständlich von einem Leben bei ihm ausging, obwohl das in unserem Fall unrealistisch war. Ich dachte damals, ich stehe vor einer unlösbaren Situation, für die es gar keinen guten Ausgang geben kann, ein regelrechter Albtraum. Nicht dass Sie denken, bei uns ging es nur so glimpflich aus, weil die Bedingungen idealer waren als Ihre.
Leider spitzte sich die Situation weiter zu. Als schließlich eines unserer Kinder Zeuge eines heftigen Streits wurde und wir den Schrecken auf seinem Gesicht sahen, kamen wir zur Besinnung und zu der Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen konnte. Wir regelten die Trennung einvernehmlich, über den Aufenthalt der Kinder und die Zeiten beim anderen Elternteil waren wir uns glücklicherweise einig. Die Kinder würden bei mir leben und ihren Vater an Wochenenden und in den Ferien besuchen.
Trotz meiner Sorge, was vor allem aus dem vaterbezogenen älteren Sohn werden sollte, stellte sich heraus, dass er ziemlich bald die entspanntere Situation genoss. Wir mussten zwar umziehen, das war aber für ihn mit einigen Verbesserungen verbunden. Die immer schon an der Betreuung beteiligten Großeltern waren nun in der Nähe, und im ländlichen Umfeld konnte er anders als vorher in der Stadt als Erstklässler schon viel selbstständig unternehmen, was ihm wichtig war. Er hatte glücklicherweise die Begabung, Situationen anzunehmen, wenn sie unvermeidlich waren. Trotzdem war er immer mal wieder traurig, zum Beispiel wenn er nach schönen Tagen mit seinem Papa wieder von ihm Abschied nehmen musste.
Wir konnten ihm und seinem jüngeren Bruder jetzt nur noch »die zweitbeste Lösung« anbieten, aber die sollte es dann möglichst doch sein. Das heißt, ein einigermaßen entspanntes Leben mit beiden Eltern zu unterschiedlichen Zeiten und nicht den Super-GAU, einen Elternteil mehr oder weniger ganz zu verlieren.
Darüber waren wir uns einig. Ich war damals seit acht Jahren als Gutachterin für Familiengerichte tätig und hatte in der Zeit schon so viele abschreckende Beispiele erlebt, dass ich hoch motiviert war, mich um eine Kooperation mit dem Vater meiner Kinder zu bemühen.
Wenn Sie gerade besorgt oder gar verzweifelt darüber sind, dass Sie Ihren Kindern eine Trennung antun müssen oder schon angetan haben: Sie haben jetzt immer noch die Chance auf die zweitbeste Lösung – nach der besten, dass Sie als Familie glücklich zusammenleben können. Kreuzunglücklich und zerstritten ist für niemanden eine Lösung.
Und die zweitbeste Lösung, das habe ich häufig beobachten können, kann doch noch eine sehr gute sein. Noch ist nichts verloren.
Zwar wünschten sich praktisch alle Kinder, die ich bei Begutachtungen gesprochen habe, dass ihre Eltern wieder zusammenkämen – das war bei den meisten aber nur ein Wunschtraum unter der Voraussetzung, dass die Eltern sich dann plötzlich auf wundersame Weise wieder verstehen würden und alle miteinander gut auskämen. Den alten Zustand mit Streit und Angst wünschten sich die wenigsten wirklich zurück.
Und auch nicht jedes Trennungskind ist von dem Wunsch durchdrungen, seine Eltern wieder zu vereinen. Mein jüngerer Sohn hat keine bewusste Erinnerung an ein Zusammenleben seiner Eltern, weil er bei der Trennung erst knapp zwei Jahre alt war. Als dem Vorschulkind irgendwann klar wurde, dass die »normale« Situation eigentlich wäre, dass seine Eltern zusammenleben, wollte er davon nichts wissen. Das wolle er nicht, das würde doch gar nicht passen! Er kannte seine Mutter in einer Paarsituation nur mit seinem späteren Stiefvater, den er mochte. Für ihn ergab das einfach keinen Sinn, sich seine Eltern als Paar vorzustellen. Seine »heile Familienwelt« bestand aus zwei getrennt lebenden Eltern mit neuen Partnern. Er findet daran bis heute nichts auszusetzen. Erschrocken hatte ihn nur die Vorstellung, seine gewohnte Familie womöglich aufgeben zu müssen, wenn seine Eltern auf die Idee kämen, wieder ein Paar zu werden. Er war wirklich erleichtert, dass das nicht zur Diskussion stand.
Idealerweise, so stelle ich es mir vor, fällt Ihnen dieses Buch in die Hände, wenn Sie noch in einem frühen Stadium der Trennung sind und noch nicht allzu viele Scherben von zerbrochenem Porzellan um sich herum angehäuft haben. Aber auch wenn das leider schon passiert ist, müssen Sie das Buch nicht enttäuscht beiseitelegen. Es ist keineswegs gesagt, dass es bei Ihnen schon zu spät ist. Umkehren und eine andere Abzweigung nehmen geht immer. Ziehen Sie das vorerst einfach als Möglichkeit in Betracht.
Erst mal – da möchte ich gar nicht drum herumreden – bedeutet die Trennung der Eltern für die Kinder eine große Verunsicherung. Je jünger das Kind ist, umso mehr ist es auf seine Eltern angewiesen und ohne sie gar nicht überlebensfähig. Wenn eine Bindungsperson auf einmal nicht mehr präsent ist, fühlt sich das für Ihr Kind bedrohlich an. Es braucht die Zuwendung und Versorgung durch seine Eltern. Und wenn ein Elternteil plötzlich geht, woher soll Ihr Kind wissen, dass der andere das nicht auch noch tut und es dann ganz allein ist?
Da nützt es auch nichts, wenn Sie ihm versichern, dass Sie bei ihm bleiben und sich gut kümmern werden. Bis vor Kurzem ist Ihr Kind ja noch davon ausgegangen, dass der andere Elternteil immer für es da sein wird. Plötzlich ist alles ganz ungewiss geworden. Nachvollziehbar, dass Ihr Schatz Sie vorsichtshalber nicht mehr aus den Augen lassen will.
Die Veränderungen durch die Trennung befeuern das sogenannte Bindungssystem. Fühlt sich Ihr Kind sicher und geborgen in seiner Umgebung, wird es altersgemäß immer mehr Zeit und Energie darauf verwenden, seine Umwelt zu erkunden. Das kommt seiner Entwicklung zugute. Tritt jedoch eine Verunsicherung ein, wird das Bindungssystem aktiviert. Das Kind sichert erst einmal den Kontakt zu seiner anwesenden Bindungsperson, klammert sich womöglich an sie und verliert das Interesse am Spielen und Erkunden. Je jünger das Kind ist, umso wahrscheinlicher ist das. Wenn Sie das gerade bei Ihrem Kind erleben, sollten Sie wissen: Es ist in einer Übergangsphase gar nichts Schlimmes, sondern eine ganz normale Reaktion.
Ein bis dahin normal selbstständiges Kind klebt nun an Ihnen und lässt Sie nicht mal mehr allein ins Bad. Es signalisiert, dass es um jeden Preis in Ihrer Nähe bleiben will.
Hier liegt eine der ersten Fallen auf dem Weg, in die manche Eltern hineinstolpern. Das Kind klammert so, dass Zweifel aufkommen, ob es überhaupt die Wohnung verlassen kann und soll, um Zeit mit dem anderen Elternteil zu verbringen. Sein Klammern scheint ja zu bedeuten: Ich will nicht von dir weg! Hat es dennoch Zeit beim anderen verbracht, klammert es womöglich anschließend noch mehr oder nässt ein, obwohl es schon längere Zeit zuverlässig trocken war. Vielleicht reagiert es stattdessen auch ungewohnt rebellisch oder aggressiv. Sorge kommt auf, ob der Kontakt zum anderen Elternteil überhaupt gut ist für Ihr Kind.
Hinzu kommt, dass Sie in dieser Phase meistens nicht die beste Meinung von Ihrem Ex-Partner haben. Eine Trennung erfolgt ja üblicherweise nicht ohne vorherige Differenzen. Die rosarote Brille aus der Zeit der ersten Verliebtheit hatten Sie zwar schon vor längerer Zeit verlegt, aber nun haben Sie auch noch die schwarz verspiegelte auf. Und da liegt plötzlich der Gedanke nahe, dass der andere Elternteil »seine« Zeit mit dem Kind auf eine Weise verbringt, die für Ihr Kind schädlich ist.
Der Trennung geht meistens eine längere Zeit der Ambivalenz voraus, in der man hin- und hergerissen ist zwischen dem Wunsch, die Beziehung zu retten, und dem Gedanken an eine Befreiung von den vorhandenen Belastungen durch die Trennung. In dem Moment, in dem die Entscheidung für eine Trennung fällt, sei es durch Ihren Partner oder Sie selbst, ist es wahrscheinlich, dass Ihnen immer mehr Kritisches an Ihrem Ex-Partner auffällt.
Wie das zustande kommt, erklärt sehr schön die Theorie der kognitiven Dissonanz. Der Mensch kann es einfach nicht besonders leiden, wenn die einzelnen Bestandteile seines Denkgebäudes nicht gut zusammenpassen (»kognitive Dissonanz«). Wenn eine Person, die Sie gerade aus Ihrem engeren Kreis entfernt sehen wollen oder die sich selbst daraus entfernt hat, in Ihrer Vorstellung noch liebenswerte Züge trägt, dann laufen Sie Gefahr, Ihre Trennungsentscheidung weitere Male zu hinterfragen oder unter der Ihnen aufgezwungenen Trennung noch intensiver zu leiden. Am einfachsten ist es, Sie kommen zu dem Schluss, dass Ihr Ex-Partner immer schon ein schwieriger Mensch war, denn dann können Sie eindeutig froh sein, nicht mehr mit ihm zusammenzuleben. Dann passt alles wieder gut ins Bild. Sie sehen ihn oder sie jetzt vorerst durch die schwarz verspiegelte Brille.
Wenn Sie dann noch von einer Familie oder Freunden umgeben sind, die Ihre Partnerwahl schon früher nicht nachvollziehen konnten, werden Sie womöglich aus dem Umfeld darin bestärkt, Ihr Kind besser keinen möglichen Gefahren auszusetzen und lieber abzuwarten, bevor Sie das Risiko eingehen, dass es im Rahmen von Aufenthalten beim anderen Elternteil geschädigt wird. Das Risiko, dass eine Elternbeziehung beschädigt werden könnte, wird in dieser Lage oft nicht mehr gesehen.
Bitte unterschätzen Sie aber dieses Risiko nicht. Ich habe bei der Arbeit immer wieder erlebt, dass das, was sich in der ersten Zeit nach der Trennung einspielt und den Kindern eine gewisse Sicherheit in prekären Zeiten vermittelt – sozusagen die »neue Normalität« –, später nicht so leicht wieder zu durchbrechen ist. Sie erzeugen möglicherweise, während Sie eigentlich nur Ihr Kind beschützen wollen, ein paar zusätzliche Probleme für sich und Ihr Kind.
Die meisten Kinder, die verstört auf die Trennung reagieren, haben schlicht Angst, dass sie eine wichtige Bindungsperson verlieren. Was in diesem Fall das bestmögliche Heilmittel ist, liegt auf der Hand: Es muss wieder Sicherheit in seinen Bindungen erlangen dürfen, und das funktioniert am besten, wenn das von Trennung betroffene Kind in seinem Alltag erfährt, dass es gar keinen Elternteil verlieren wird, sondern sich »nur« das Zusammensein mit den Eltern anders gestalten wird. Es bleibt ein Verlust, der aber weniger dramatisch ist, als wenn das Kind nur noch ein Elternteil an seiner Seite wüsste.
Die Erfahrung, dass ein Elternteil nicht einfach verschwunden ist, sollte Ihr Kind möglichst von Anfang an machen können und nicht in irgendeiner fernen Zukunft, wenn es sich nach dem Schrecken der Trennung beruhigt hat. Denn wie soll es sich beruhigen, wenn der Schrecken gar nicht aufhört? Das Kind fügt sich zwar womöglich der Situation, und es kann ein Scheinfrieden einkehren. Es zahlt aber einen Preis dafür, dessen Höhe wir noch gar nicht einschätzen können.
Nicht selten passt ein Trennungskind sich erstmal den Wünschen desjenigen an, bei dem es nach der Trennung hauptsächlich lebt, und zeigt ihm seine Trauer und seine Wünsche nach mehr Kontakt zum anderen Elternteil nicht. Weil es sich nun besonders auf Sie angewiesen fühlt, möchte es Sie nicht traurig stimmen und erst recht nicht verärgern, indem es einer Person nachweint, die Ihnen zuletzt ziemlich wehgetan hat. Während beim Tod eines Elternteils die Trauer zumindest den verbleibenden Elternteil nicht kränkt, sieht es schon anders aus, wenn Ihr Kind mitbekommen hat, dass Sie todtraurig sind über das, was Ihnen der andere tatsächlich oder vermeintlich angetan hat.
Was unser Trennungskind nun dringend braucht, ist Ihr Einverständnis, dass es weiterhin beide Eltern lieben darf, und dass es dabei nicht befürchten muss, womöglich am Ende die Zuneigung beider Eltern zu verlieren.
Das klingt einfacher, als es ist. Kommen wir zur nächsten Falle.
Hannah ist acht, als ihre Eltern sich trennen. Der Vater ist Grundschullehrer, die Mutter freiberufliche Übersetzerin. Hannah war daran gewöhnt, beide regelmäßig nachmittags zu Hause zu erleben, und auch wenn die Eltern in ihren Arbeitszimmern beschäftigt waren, fand sich doch immer ein Ansprechpartner. Hannah hatte zu beiden Eltern ein gutes Verhältnis.
Plötzlich ist alles anders. Ihr Vater ist ausgezogen, während die Mutter, Frau Esser, mit Hannah in der ehelichen Wohnung zurückgeblieben ist. Herr Esser hatte sich Hals über Kopf verliebt, als seine Jugendliebe als neue Kollegin an seine Schule kam. Er hatte eine Affäre mit ihr zwar wieder beendet, kam jedoch bald zu der Erkenntnis, dass er gegen seine Gefühle nicht ankomme, und zog die Konsequenzen. Frau Esser hat schon vor einiger Zeit von der neuen Beziehung ihres Mannes erfahren und ist am Boden zerstört. Hannah sieht ihre Mutter öfter weinen. Sie tut ihr so leid, und sie begreift, dass der Kummer ihrer Mutter mit ihrem Vater zu tun hat.
Hannahs Gefühle sind in einem großen Durcheinander. Sie ist traurig, auch wütend auf ihren Vater und sehr verletzt, dass er sie im Stich gelassen hat. Würde er sie wirklich lieben, wäre er ja wohl kaum ausgezogen, so stellt sich das für Hannah dar. Mit einem Schlag ist ihr Vertrauensverhältnis zu ihm fragwürdig geworden.
Nichts liegt für sie näher, als jetzt Partei für die Mutter zu ergreifen, die ihr leidtut und die immerhin, anders als der treulose Vater, bei ihr geblieben ist. Dass Hannah ihren Vater heftig vermisst, mag sie kaum vor sich selbst zugeben und schon gar nicht vor ihrer Mutter, die traurig genug ist. Was soll ihre Mutter auch denken, wenn Hannah vor ihr weint und Sehnsucht nach Papa zu erkennen gibt, wenn der Mama so wehgetan hat. Hannah weint – wenn überhaupt – heimlich nachts im Bett. Und sie zeigt Papa entschlossen die kalte Schulter. Nein, sie möchte jetzt gerade nicht mit ihm telefonieren, wenn er anruft, und am Wochenende ist sie mit ihrer Freundin verabredet, da hat sie leider keine Zeit, ihn zu treffen. Und ganz sicher möchte sie niemals die Frau kennenlernen, die alles kaputt gemacht hat, so sieht das für Hannah schließlich aus.
Frau Esser ist hin- und hergerissen. Hannah hatte immer einen so guten Draht zu ihrem Mann, daher hat sie kein gutes Gefühl dabei, wenn Hannah sich jetzt von ihm zurückzieht. Andererseits tut es ihr auch gut, dass ihre Tochter so zu ihr hält, wo schon der Mann gegangen ist. Trotz ihrer Ambivalenz redet sie Hannah zu, dass sie demnächst mal einen Termin mit ihrem Vater ausmachen soll. Er sei schließlich ihr Vater, und sie hätten sich doch immer gut verstanden.
Je mehr Frau Esser entsprechend auf Hannah einwirkt, umso weniger will Hannah davon hören und verschanzt sich hinter ihrer Ablehnung. Am Ende weiß Hannah selbst nicht mehr, was sie will, und ihre Eltern sind auch ratlos. Die Jugendamtsvertreterin empfiehlt eine Abklärung im Rahmen eines familienpsychologischen Gutachtens, dem stimmen beide Eltern zu.
Vergleichbare Konstellationen habe ich immer wieder erlebt. Manche Kinder benötigen nach einer Elterntrennung Unterstützung und Ermutigung, um auf den Elternteil zuzugehen, der ausgezogen ist. Der Grund ist nicht, dass diese Kinder ohnehin kein gutes Verhältnis zum gegangenen Elternteil hatten. Es betrifft ebenso Kinder, die aufgrund einer bis dahin guten Beziehung entsetzt und verstört sind über die Trennung und das sehr persönlich nehmen. Auch wenn es den Eltern um die Paartrennung geht – das Kind fühlt sich ebenfalls betroffen und »verlassen«.
Je länger es dauert, bis nach einer Trennung der Kontakt zu beiden Eltern wieder normalisiert ist, umso schwieriger kann es werden. Manchmal haben sich alle Beteiligten nach einiger Zeit hoffnungslos verheddert. Das Kind verweigert Kontakt. Der mit ihm in der Wohnung verbliebene oder gemeinsam umgezogene Elternteil redet zwar zu; das Kind nimmt dies aber nur zum Anlass, noch nachdrücklicher seine Loyalität zu versichern und den anderen Elternteil immer noch fürchterlicher zu finden und zu einem Schreckgespenst aufzubauen. Der zum Monster mutierende Elternteil ist ebenfalls entsetzt und kann sich das nur als Folge einer Beeinflussung des anderen Elternteils vorstellen. Wenn dieser wiederum im Anwaltsschreiben liest, dass alles seine Schuld ist, gelangen wir auf die nächste Stufe der Eskalationsspirale.
Zu meinen beruflichen Lieblingsbeschäftigungen gehörte es, Elternteil und Kind wieder zusammenzubringen, wenn es noch irgendwie möglich war. Das setzt auf Elternseite – und zwar bei beiden Eltern – guten Willen voraus. Dann ist es auch für das Kind nicht so schwierig.
Ein klassischer Ablauf, wenn noch nicht zu viel Zeit vergangen und die Situation noch nicht verhärtet war, sah in etwa so aus, wie ich es hier am Beispiel Hannahs schildere:
Als Hannah aus der Schule kommt, schaut sie mich ziemlich reserviert an. Frau Esser hatte von ihr schon vorab ausgerichtet, dass sie mich sowieso nicht sprechen und mit dem ganzen Thema nichts zu tun haben wolle. Hannah entspannt sich trotzdem einigermaßen, als sie den Eindruck gewinnt, dass die Stimmung zwischen ihrer Mutter, mit der ich am Vormittag ausgiebig gesprochen hatte, und mir jedenfalls nicht schlecht ist. Sie findet sich daraufhin doch zu einem Gespräch unter vier Augen in ihrem Zimmer bereit.
Hier erklärt sie mir ohne Umschweife, dass sie ihren Vater jetzt erst mal nicht treffen will, weil sie das alles so schlimm findet, wie er ihre Mama und sie behandelt hat. Früher habe sie ihn zwar gemocht, aber zuletzt seien sie ihm ja überhaupt nicht mehr wichtig gewesen, und jetzt habe er sowieso eine andere Frau. Sie wolle sich überhaupt nicht vorstellen, die auch noch treffen zu müssen, und mögen würde sie die dann sowieso nicht.
Ich spreche mit Hannah darüber, dass ich häufig mit Kindern in ihrer Lage zu tun habe. Ich wolle und könne sie zu nichts zwingen, aber ich hätte schon sehr oft erlebt, dass Kinder es sich anders überlegen, wenn sie Vater oder Mutter erst einmal wiedergetroffen haben. Daher sei es mir wichtig, wenn sie einmal mit mir für eine Stunde zu ihm gehen würde. Wir könnten danach ja besprechen, ob und wie sie sich einen Kontakt für die Zukunft wünsche, und ich würde ihre Meinung anschließend an das Gericht weitergeben. So ein Probebesuch verpflichte sie zu nichts, und ihre Mutter finde das auch eine gute Idee. Wir hätten das schon besprochen.
Unverkennbar scheint ein Funken Freude in ihren Augen auf. Hannah erkennt blitzschnell die Möglichkeit, auf das Angebot einzugehen, weil es ja ein wichtiger Teil der Begutachtung wäre. Damit würde sie ihrer Mutter schon mal nicht in den Rücken fallen.