Emil - Der historische Roman eines Hochstaplers - Artur Landsberger - E-Book

Emil - Der historische Roman eines Hochstaplers E-Book

Artur Landsberger

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Kurt Redlich war unbekümmert. Keine robuste Natur, die sich, auf ihren Geldsack pochend, über alles hinwegsetzte und mit starken Ellenbogen beiseiteschob, was ihm nicht paßte. So pfiffig er in seinen Geschäften war, so arglos stand er den gesellschaftlichen Dingen der Welt gegenüber. Er hatte das Gefühl, in einem großen Theater, das nur den oberen Hunderttausend erschlossen war, mitspielen zu dürfen. Daß auf diesem Parkett zu schreiten, ohne auszugleiten, eine Kunst war, die erlernt werden wollte – der Gedanke kam ihm nie.

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Emil

Der historische Roman eines Hochstaplers

von

Artur Landsberger

w

idb

ISBN 9783962241155

Die handelnden Personen dieses Romans sind:

Kurt Redlich, Kommissionsrat

Konstanze, seine Tochter

Emil Wohlgemuth, genannt Coeur-As

Paula, seine Freundin

Anton, sein Freund

Amalie Aufrichtig, eine nicht mehr ganz     junge Dame aus Frankfurt a. M.

Baron v. Koppen, ein sehr junger Diplomat

Assunta Lu, eine Filmdiva mit russischem Akzent

v. Pfeifenbach, Kriminalinspektor

Spicker, Oberstaatsanwalt a. D.

Heinrich Karz, ein sehr reicher Herr

Dr. med. Koch, Spezialist für Geisteskranke

Verbrecher – Kommissare – Polizisten

Ort der Handlung: Nicht etwa Berlin

Zeit der Handlung: Nach der Revolution

Auftakt, den ich euch leider nicht ersparen kann und in dem ich euch mit Kurt Redlich und seiner Tochter Konstanze bekannt mache

Haben Sie schon einmal einen Blick in die Wohnung von Neureichen getan? Wenn ja, ist Ihnen dann nicht aufgefallen, daß diese Herrschaften, die vor wenigen Jahren noch in Gartenhäusern wohnten und die Wände mit Reklamebildern von Kupferberg schmückten, in der Ausstattung ihrer Wohnräume plötzlich einen Geschmack entwickelten, den man ihnen gar nicht zugetraut hätte? Einen Geschmack, von dem man glaubte, daß Generationen dazu gehörten, um ihn zu erwerben.

Es kam ja auch früher hin und wieder einmal vor, daß solche Leute zu Geld kamen. Sie gewannen in der Lotterie oder ein Onkel aus Amerika starb. Dann kauften sie als erstes ein Klavier, und wenn der Onkel sehr reich gewesen war, so vertauschten sie den Öldruck im Wohnzimmer mit einem Gemälde von Anton von Werner. Nicht, weil sie es schöner fanden, sondern weil es teurer war. Sie nahmen sich eine größere Wohnung, kauften neue Plüschmöbel und deutsche Teppiche, behängten sich mit Brillanten und reisten im Sommer statt auf acht Tage nach Ahlbeck, auf vier Wochen nach Swinemünde. Innerhalb ihres Kreises, aus dem herauszukommen ihnen trotz der Erbschaft oder des Lotteriegewinnes selten gelang, waren sie damit als »die Reichen« gehandicapt. Das genügte ihnen.

Ganz anders heute. Menschen, die gestern noch sehr verbindlich hinter dem Ladentisch lächelten, wenn sie eine Pfunddose Gemüse verkauften, die dann plötzlich nur waggonweise lieferten, wuchsen in ihrer Vorstellung auch menschlich empor. Zudem war das Tempo, in dem sie reich wurden, so unerhört, daß es lächerlich gewesen wäre, den veränderten Verhältnissen durch Zulegung einer neuen Plüschgarnitur äußerlich Ausdruck zu geben. Sie gingen in die Geschäftsräume eines Möbellieferanten mit dem Bewußtsein: ich brauchte nur einen Scheck auszuschreiben und das ganze Lager gehörte mir.

Ihnen genügte es auch nicht, den Kreisen, in denen sie bisher verkehrten, durch warmes Abendbrot und eine Droschkenfahrt am Sonntag zu imponieren. Das Vorbild, dem sie nachstrebten, waren ihre Kunden. Und von den Kunden wieder diejenigen, die nicht selbst kamen, sondern ihren Diener oder ihre Mamsell schickten. Durch die wußten sie, wie wirklich feine Leute lebten. Swinemünde? Pah! Feine Leute gingen im Sommer nach Scheveningen oder Deauville, im Frühjahr nach Cannes und im Winter ins Engadin. In ihren Wohnungen hingen keine Anton von Werners, sondern Courbets, und auf dem Parkett lagen echte Seidenperser.

Sie besuchten nicht die Traberbahn und die Radrennen, ihr Sport war Golf und Polo, und sie ließen die Schneiderin nicht ins Haus kommen, sondern gingen in die Modesalons der Lennestraße.

Ja, das alles wußten sie. Auch daß die Gesellschaft von heute nicht mehr exklusiv war. Daß sie aus denen bestand, die sich früher vergebens bemüht hatten, in sie hineinzukommen. Und daß selbst der schlechteste Ruf kein Hindernis war, wenn man einen Rolls-Royce fuhr.

So! und nun werden Sie auch verstehen, wer der Kommissionsrat Kurt Redlich war. Einer von den vielen, die es in jenem beschleunigten Tempo zu etwas brachten, das keine Zeit für Übergänge ließ. An Stelle des Grammophons trat auch bei ihm nicht das Klavier, sondern der Steinway, und von der Elektrischen aus stieg auch er, ohne den Umweg über das Taxiauto, gleich in seinen Rolls-Royce.

Dabei wurde Kurt Redlich von keiner ehrgeizigen Frau nach oben getrieben. Die hatte im Geschäft ihres Mannes hinter dem Ladentisch gestanden, bis ein Herzschlag sie mitten aus der Arbeit herausriß. Das war lange, bevor der Aufstieg begann. Ihr einziges Kind trug damals noch kurze Kleidchen – nicht der Mode und der seidenen Strümpfe wegen, sondern weil es erst acht Jahre alt war. Sie besuchte zwar eine höhere Schule, wuchs aber in kleinbürgerlichem Milieu auf, und ihr ganzer Luxus bestand eigentlich darin, daß sie Konstanze hieß. Als einzige in der ganzen Schule, während es eine Unzahl von Mädchen gab, die Else, Grete, Ida und Frieda hießen. Aber dann, als sie zehn Jahre alt war und Redlich plötzlich emporschnellte, bekam sie eine Gouvernante, die mit Vorliebe englisch sprach. Es war das einzige, was ihr die Inflation nicht hatte rauben können. Sie dokumentierte damit ihre Distanz zu den Neureichen, obschon Konstanze, ein gewecktes Mädchen, meinte: »Sprechen Sie richtig deutsch – und die Distanz ist die gleiche.«

Die Gouvernante, die aus sehr gutem Hause war, holte bei Konstanze nach, was die Kinderstube versäumt hatte. Das war fast alles. – Auf die Entwicklung ihres Charakters übte sie keinen Einfluß. Einmal, weil sie selbst nicht damit beschwert war, dann aber, weil Konstanze so sehr der Mutter glich, daß auch andere an ihr nichts hätten ändern können. Die Gradheit der Mutter, die keine Verstellung kannte, und die Erziehung der Gouvernante für den gesellschaftlichen Verkehr, dessen wesentliches Merkmal ja die Kunst der Verstellung ist – diese beiden Faktoren, die auf keinen gemeinsamen Nenner zu bringen waren, machten aus Konstanze einen Menschen, der sich weder in die Kreise fügte, aus denen sie kam, noch in die Kreise, in die gesellschaftlicher Ehrgeiz des Vaters sie trieb.

Kurt Redlich war unbekümmert. Keine robuste Natur, die sich, auf ihren Geldsack pochend, über alles hinwegsetzte und mit starken Ellenbogen beiseiteschob, was ihm nicht paßte. So pfiffig er in seinen Geschäften war, so arglos stand er den gesellschaftlichen Dingen der Welt gegenüber. Er hatte das Gefühl, in einem großen Theater, das nur den oberen Hunderttausend erschlossen war, mitspielen zu dürfen. Daß auf diesem Parkett zu schreiten, ohne auszugleiten, eine Kunst war, die erlernt werden wollte – der Gedanke kam ihm nie.

Nun wollt ihr gewiß noch erfahren, wie Kurt Redlich und seine Tochter Konstanze sich äußerlich präsentierten. – Der Dame den Vorrang, den sie neben diesem Vater aber auch in rein menschlicher Beziehung verdient. Gut gewachsen, mittelgroß, schlank. Eine Sportfigur. Ein schmales Gesicht, blondes Haar, große blaue Augen, frische Gesichtsfarbe. Gewandt, beinahe forsch in ihren Bewegungen. Es gibt Frauen, bei deren Anblick man denkt: die möchtest du mal im Abenddreß oder beim Tennis oder des Morgens im Kimono sehen. Bei Konstanze hatte man unwillkürlich die Vorstellung: wie gut muß die Frau zu Pferde aussehen. – Papa Redlich hingegen erinnerte trotz des teuren Schneiders noch immer an die Kegelbahn. Klein, untersetzt, mit einem spitzen Bäuchlein und ein paar flinken und lustigen Augen. Nach Pfunden gemessen gewiß ein Schwergewicht, aber behende auf den Beinen, die viel zu kurz waren. Auf dem Sportplatz würde man denken: ein Grotesktänzer; an der Börse: ein Mann, der gern Witze erzählt und doch nicht ganz ungefährlich ist. Im Verkehr mit Frauen der Mann, der zahlt und selten genießt. Der nach dreijährigem Golftraining jedesmal, wenn er die Kugel schlägt, noch an die Kegelbahn zurückdenkt. Ein Mann, den man ein dutzendmal drehen und wenden, sogar auf den Kopf stellen kann, und der im Frack doch immer wirkt, als wäre er auf einem Kostümfest. Der nach zehn Jahren gesellschaftlichen Glanzes noch jeden Abend, wenn er das Frackhemd abstreift, das Gefühl hat, für ein paar Nachtstunden einem Käfig entwichen zu sein, in den er sich trotzdem mit Beginn jedes neuen Tages von neuem hineinzwängt. – Kein eigentlich glücklicher Mensch also. Aber einer von den vielen, die sich selbst belügen. Denn sie glauben, daß es wider die Natur sei, soviel Geld zu besitzen, von Millionen Menschen beneidet zu werden und doch kein glücklicher Mensch zu sein. Einer aus dem Heer der armen Reichen.

Und nun beginnt's!

Erster Teil, in dem gezeigt wird, daß auch ein Einbrecher ein sympathischer Mensch sein kann

Ich sagte schon, daß die Neureichen unserer Tage im Gegensatz zu den früheren, die zeitlebens kleine Leute blieben, viel Geschmack in der Ausstattung ihrer Wohnräume, in der Wahl ihrer Kleider und auch in anderen Dingen zeigen, somit eine Kultur vortäuschen, die sie sich unmöglich von gestern zu heute aneignen konnten. Denn die Assimilationsfähigkeit der Menschen hat sich nicht geändert. Die Gründe liegen tiefer und sind durchaus unerfreulich. Ich glaube, sie in dem Verschwinden jeder Persönlichkeitsmerkmale bei den Menschen unserer Zeit erblicken zu müssen. Die Menschen hatten früher einen Typ, der nicht nur im Äußeren lag, und der sich nicht verwischen ließ wie eine Kreidezeichnung von einer Schiefertafel. Gleichgültig, ob das, was sie schön fanden, geschmackvoll oder geschmacklos war – sie hatten ihr Urteil und dachten nicht daran, es der Mode zu opfern, sofern die ihnen nicht zusagte. Heute aber ist es eine Herde, und begeistert sagt der Innenarchitekt unserer Tage: »Die Neureichen sind so klug, uns vollständig selbst wählen zu lassen. Sie fragen, wenn sie die fertige Wohnung beziehen, wohl hin und wieder etwas erstaunt: ›Ist das schön?‹ – Und wenn man ihnen erwidert: ›Es ist das Allermodernste,‹ so bescheiden sie sich. Es gibt keinen Kitsch mehr! Es ist eine Lust, heutzutage Innenarchitekt zu sein.«

Sie vergessen dabei, daß Wohnung und Bewohner eins sein sollen. Und daß es lächerlich wirkt, eine Schlächtermeistersfrau von zwei Zentnern sich zwischen Louis-XVI.-Möbeln bewegen zu sehen.

***

So! und nun können wir uns auch vorstellen, daß Kurt Redlich nicht recht in die von einem ersten Architekten eingerichtete Villa im Grunewald hineinpaßte.

Begeben wir uns in seinen Salon. Er stößt direkt an die große, mit Gobelins behängte Halle, die wiederum zur Flurtür und Treppe führt. Man kann zwar noch nicht recht erkennen, wie es in diesem Salon aussieht, ob es Empire, Louis XV. oder XVI. ist, da es kurz vor Mitternacht und der Raum nicht beleuchtet ist. Aber stoßen wir uns nicht daran, finden wir uns vielmehr damit ab, daß der Herr der Villa noch heute, nach acht Jahren, die Stilarten seiner zehn Zimmer durcheinanderwirft. Wir wollen uns überhaupt vornehmen, uns über die nächsten Vorgänge möglichst nicht zu wundern. Wir werden dann viel eher den Schlüssel zu einer Begebenheit finden, die gewiß nicht alltäglich ist – mit welchem Recht dürfte ich sonst eure kostbare Zeit in Anspruch nehmen? – aber durchaus möglich und im Vergleich zu manchem, was heut geschieht, alles andere denn grotesk ist.

Wenn wir also trotz der herrschenden Dunkelheit unsere Augen jetzt auf den Salon in der Villa Redlich richten, so fällt uns auf, daß bald hier, bald da ein Licht gespensterhaft aufleuchtet und wieder verschwindet. Und wenn wir ganz scharfe Augen oder gar ein Glas zur Hand haben, so erkennen wir deutlich, daß sich von der dunklen Wand die Konturen eines Menschen abheben, der behende von einer Stelle zur anderen huscht. Jetzt, wo vom Fenster aus ein mattes Mondlicht auf die Gestalt fällt, erkennen wir deutlich: es ist eine junge Apachin – so etwas gibt es noch? – blaß, schmal, schlank, mit weißer Haut und großen, schwarzen Augen. Schnittig, gazellenhaft, grazil. Eine Taschenlaterne in der Hand, die sie behende nach allen Richtungen hin bewegt, um – nun erkennt man auch die Absicht – den Raum abzuleuchten.

Jetzt fährt sie auf, wirft den Kopf zur Seite, horcht. Ein Geräusch im Schloß der Tür, die von der Halle nach draußen führt. Sie macht einen Ansatz zum Fenster hin – zu spät! – die Tür wird geöffnet, man hört Stimmen. Schnell huscht sie hinter einen japanischen Schirm – einen sehr schönen echten, dessen Wert der Herr der Villa jeden erraten läßt, der nicht gerade, wie diese junge Apachin, mitten in der Nacht ihm einen Besuch abstattet.

Mit der Ruhe ist es nun aus. Auch mit der Dunkelheit. Zuerst erstrahlt die Halle in einem Meer von Licht, das von Decken und Wänden in den Raum fällt. In der Mitte des Raumes steht Konstanze. In großer Abendtoilette, hinter ihr Kurt Redlich in Frackmantel und stumpfem Zylinder. – Ich muß schon sagen: dies Bild erinnert an eine Operettenszene, und man erwartet, daß dies ungleiche Paar nach vorn tritt, die Mäntel abwirft und ein Duett singt.

Schlechtes Theater also, denkt man – merkt aber sehr bald, daß man sich auf dem Holzwege befindet. Diesen beiden Menschen ist gar nicht nach einem Duett zumute. Sie hauen, noch bevor sie im Salon sind, in dem es nun auch hell wird, mit Worten aufeinander ein.

»Und ich wiederhole dir . . .,« erklärt Konstanze nicht gerade leise und wirft den Abendmantel auf die Chaiselongue. Aber Kurt Redlich läßt sie nicht zu Ende reden.

»Und ich behaupte . . .,« fällt er ihr ins Wort.

»Schon in der zweiten Runde hätte . . .«

»Wills . . .«

»Nein! Samson!«

»Knock out gehen müssen.«

Konstanze zittert vor Erregung:

»Aber Papa, hast du denn nicht gesehen?«

»Ich bin nicht blind.«

»Als Samson den Haken links landete . . .«

»Ein harter Schlag!«

». . . wenn Wills die Blöße genützt . . .«

»Wenn! wenn!«

». . . und einen Appercount gelandet hätte.«

»Er hat ihn aber nicht gelandet.«

»Eben!«

»Weil er ein Stümper ist!«

»Ein Held ist er!«

»Eine Schlafmütze!«

» Ich liebe ihn!«

»Du bist verrückt!«

»Papa! beherrsch' dich!«

»Du bekommst es fertig und bringst mir als Schwiegersohn einen Boxer ins Haus.«

»Ein guter Boxer verdient zwanzigtausend Pfund im Jahr.«

»Das nützt uns nichts. Wir brauchen einen Stammbaum.«

»Ich brauche in erster Linie einen Mann!«

»Der Träger eines alten und guten Namens kann auch ein Mann sein.«

»Auf Experimente lasse ich mich nicht ein. Bei einem Boxer weiß ich, er ist ein Mann.«

»Damit du's weißt: wir waren heute zum letzten Male zu einem Boxkampf.«

»Auf dem Concours hippique machst du keine Figur, Papa.«

»Man ist da aber in guter Gesellschaft.«

»Darauf pfeif ich.«

»Ich wünschte, wir könnten uns das leisten.«

»Ich leiste es mir eben.«

»Dazu ist unser Reichtum zu jung.«

»Red' was du willst, Papa! Mein Mann muß ein Held sein.«

»Am Ende ein Tierbändiger!«

»Den könnte ich lieben.«

»Du bist toll!«

»Möglich, daß ich das bin.«

»Ich stecke dich in ein Kloster!«

»Papa, die Witze an der Börse überlebst du nicht.«

». . . in . . . in ein Sanatorium kommst du!«

»Da könnte man auf erbliche Veranlagung schließen, Papa!«

»Jöhre!«

». . . oder auf schlechte Kinderstube!«

Das prasselte wie ein Feuerwerk. In einem Tempo, daß die schlanke Apachin hinter dem japanischen Schirm – welch herrlicher Filmtitel! die schlanke Apachin hinter dem japanischen Schirm! – kaum hatte folgen können. – Die beiden Gegner waren sich gleich – bis zu dem Moment, in dem Konstanze dem Vater ihre schlechte Kinderstube vorwarf. Der Schlag streckte Redlich nieder. Er gab auf.

Siegerin Konstanze brachte vor dem Spiegel ihr Haar in Ordnung, während Redlich atemschöpfend in der Halle auf und ab ging. Dann trat er ans Fenster und sagte in gereiztem Ton:

»Johann hat schon wieder mal die Jalousien nicht heruntergelassen.«

»Johann behauptet, das wäre keine Arbeit für den persönlichen Diener.«

»Dann soll es der Portier machen!«

»Johann behauptet, ein Portier dürfe die Wohnzimmer der Herrschaft nicht betreten.«

Redlich wurde wütend:

»Dann muß ich es eben selber machen,« rief er und ließ die Jalousie herunter.

»Papa!« sagte Konstanze entsetzt, »wenn das Johann sieht!«

Und Redlich, noch immer mit der Jalousie beschäftigt, erwiderte:

»Vorgestern nacht hat man in Nummer elf die Teppiche gestohlen, gestern in Nummer neun das Silber, wenn die Bande also nicht abergläubisch ist und sich an der Nummer sieben stößt, so sind heute wir dran.«

»Was macht das schon aus? – bei deinem Reichtum.«

»Gewiß! leisten kann man's sich.«

»Siehst du, Papa!«

Redlich hatte inzwischen die Jalousie ganz heruntergelassen und entgegnete ärgerlich:

»Ich will aber keine Einbrecher im Hause haben.«

»Aber ich!«

Redlich wandte sich entsetzt zu Konstanze:

»Was soll das heißen?«

»Daß ich irgend etwas erleben möchte, was nicht alltäglich und mit Gefahr verbunden ist.«

»Du läufst doch Schlittschuh, tanzt und reitest . . .«

»Dabei ist noch niemand gestorben.«

»Du solltest froh sein, daß du dir jeden Wunsch erfüllen und ruhig leben kannst.«

»Mich langweilt das.«

Redlich trat vor seine Tochter, schüttelte den Kopf und sagte:

»Du wirst alle Tage überspannter.« Dann gab er ihr die Hand, sagte: »Schlaf dich aus,« und ging hinaus.

Als Redlich draußen war, stand Konstanze noch eine Zeitlang in Gedanken. – »Bei meinem Pech«, sagte sie zu sich, »werden sie sich natürlich an der Nummer sieben stoßen. Aber es gibt auch Menschen, für die es eine Glückszahl ist – und dann: nur ängstliche Menschen sind abergläubisch. Und Angst kennt so ein Einbrecher bestimmt nicht.«

Während dieser Gedanken war sie zu einem kleinen Wandschrank getreten und hatte eine Art Mausefalle herausgenommen. Sie stellte sie in den Schreibtisch, in dessen Fach sie genau hineinpaßte, schloß das Fach zu und ging zur Tür. Sie hatte die Hand schon auf der Klinke – da stutzte sie, lief zum Fenster und zog behutsam die Jalousie in die Höhe. – »Ob ich auch das Fenster öffne?« überlegte sie und entschied sich: »Ich werde es anlehnen.« – Sie hatte es kaum geöffnet, da kamen ihr auch schon Bedenken. – »Heißt das nicht, mit dem Feuer spielen?« fragte sie sich und war im Begriff, das Fenster wieder zu schließen. Aber im letzten Augenblick entschied sie sich, es offen zu lassen und beruhigte ihr Gewissen, indem sie sich sagte: »Es wird ja nicht gleich jemand einsteigen.« – Dann knipste sie das Licht aus und ging hinaus.

Ein paar Augenblicke lang herrschte Totenstille. Dann kam hinter dem japanischen Schirm der Kopf der Apachin zum Vorschein. Langsam folgte der Arm mit der Laterne nach. So – nur Arm und Kopf sichtbar – leuchtete sie den Raum nach allen Seiten ab, trat hinter dem Schirm hervor, eilte auf den Zehen zur Tür, horchte und knipste, nachdem sie sich überzeugt hatte, daß alles ruhig war, eine Lampe an, die auf dem Tisch stand. Das Zimmer war jetzt halb erleuchtet. Dann schwebte sie zum Fenster, das angelehnt war, öffnete es und gab mit der Taschenlampe Zeichen, auf die hin nach wenigen Augenblicken auf dem Sims des Fensters zwei Hände sichtbar wurden, die im Schein der Laterne einen gespensterhaften Eindruck machten. Gleich darauf folgte der Kopf eines Mannes. Er trug eine Ballonmütze und einen Schal um den Hals. Aber der Ausdruck seines Gesichtes war alles andere als gemein. Ein feines Profil, gute Nase, hohe Stirn, kluge Augen – nur um den sonst hübschen Mund war ein scharfer Zug, der aber mehr auf Tatkraft schließen ließ als auf Verbrechen.

Noch von draußen fragte er:

»Ist die Luft rein?«

»Hätte ich sonst das Zeichen gegeben?«

Der Mann stieg ein. Er übersah mit einem Blick den Raum und sagte:

»Die Annonce ist richtig. Das sind bessere Leute.«

»Du verkehrst doch nachts überhaupt nur in ersten Häusern,« erwiderte das Mädchen.

Der – wie ich schon sagte – nicht unsympathische Mensch saß bereits auf der Erde und rollte die seidenen Perser zusammen. Neben sich hatte er ein paar moderne Einbruchswerkzeuge und einen Revolver gelegt.

»Hilf!« sagte er.

Sie kniete sich neben ihm nieder und war ihm behilflich:

»'n feiner Sumak!« sagte sie.

»Wie hoch taxierst du ihn?«

Das Mädchen sah den jungen Mann kokett an und meinte:

»Für den Fuchspelz langt's.«

»Für so was geb' ich kein Geld aus. Den hol' ich dir aus dem Fenster.« – Und da der Teppich inzwischen zusammengerollt war, so sagte er: »Heb!«

Das Mädchen mühte sich, ließ den Teppich fallen und stöhnte:

»Zu schwer!« – Sie besah ihre Hände. »Das tut weh!«

»Ruf Anton!«

Das Mädchen erhob sich, ging zum Fenster und gab abermals Zeichen mit der Laterne. Es dauerte auch gar nicht lange und auf dem Sims lagen abermals zwei Hände. Diesmal waren es Tatzen. Und gleich darauf erschien ein Kopf, schwer und massig. Ein breites Gesicht, eine flache Stirn. Kleine Augen, starke Nase und ein Mund, der zu alledem nicht paßte. Er hatte etwas Weiches und wirkte in diesem sonst brutalen Gesicht wie eine Entschuldigung. Man hatte das Gefühl, als wollte er sagen: Ich kann ja nichts dafür, daß ich so aussehe.

Diesem Kopf folgte ein massiger Körper, der sich plump wie der Leib eines Seehundes – dem er auch sonst glich – durchs Fenster schob.

»Leise!« mahnte das Mädchen, als Anton die Hintertatzen auf das Parkett setzte und fragte:

»Schaffst du's nicht, Emil?«

Der junge Mann, von dem wir nun endlich wissen, daß er Emil heißt, kratzte gerade mit einem Messer auf ein paar Silberschalen herum.

»Echt?« fragte das Mädchen, das jetzt neben ihm stand.

»Ja!«

»Aber diese verfluchten Monogramme.«

»Solange die Mode bleiben, werden wir auf keinen grünen Zweig kommen.«

»Also einschmelzen?«

»Heute nacht noch.«

»Schade um die schöne Fasson!« bedauerte das Mädchen.

»Das hätte ein schönes Stück Geld gegeben.«

»Unsereins soll eben nichts verdienen,« sagte Anton, der mit einer bei seiner Schwere bewundernswerten Behendigkeit alle Teppiche und Decken zusammengepackt hatte.

Das Mädchen leuchtete gerade die Halle ab und meinte:

»Der hat sie sicher leichter verdient als wir.«

Und Emil fügte hinzu:

»Ohne Kopf und Kragen dabei zu riskieren.«

Er nahm aus dem Sack, in den er das Silber gesteckt hatte, einige Messer und Gabeln wieder heraus.

»So!« sagte er. »Ein viertel Dutzend von jeder Sorte kann man ihm lassen.«

Das Mädchen, das inzwischen die Nase in die Bibliothek gesteckt hatte, sagte:

»Schöne Sachen hat er!«

»Zeig« her!« erwiderte Emil und nahm ihr ein paar kostbar gebundene Bücher aus der Hand. Dann sagte er mit einem Gesicht und einer Stimme, in denen grenzenlose Verachtung lag: »Ein Neureicher!«

»Wieso?« fragte das Mädchen.

»Die Klassiker in echt Saffian unberührt. Aber sieh hier!« – er hielt ihr ein paar dünne, völlig zerlesene Bände unter die Nase – »das Strafgesetzbuch und die Konkursordnung, jede Seite mit Fettflecken und Eselsohren. – Ein Schieber also!« – Er ging zurück an den Silberschrank, nahm die Messer und Gabeln, die er eben zurückgelegt hatte, wieder heraus und steckte sie in den Sack. »Auf so einen nehm' ich keine Rücksicht!« – Er sah sich im Zimmer um: »So! das wäre für heute denn wohl genug. Und nun vorsichtig hinaus!«

Anton schob den Sack und die Teppiche zum Fenster und stieg mit Hilfe des Mädchens hinaus. Dann nahm er mit einer Leichtigkeit, die seine Kraft verriet, die Sachen hoch und verschwand damit.

Das Mädchen wandte sich wieder zu Emil, der dabei war, den Schreibtisch auszuräumen. Er hielt gerade ein paar Aktienpakete in der Hand.

»Deutsche Reichsanleihe!« las er und schob die Papiere mit einer Bewegung, die mehr als verächtlich war, in den Schreibtisch zurück. Er nahm einen anderen Stoß Papiere heraus und las:

»Diamond Shares!« – Schmunzelnd steckte er sie in die Tasche. Dann stand er auf und rüttelte behutsam an dem Fach, das Konstanze zuvor verschlossen hatte. Er öffnete es mit einem der Werkzeuge, die er mitgebracht hatte, faßte hinein und schrie laut:

»Au!«

Seine Hand saß fest.

»Großer Gott!« rief das Mädchen entsetzt. »Eine Falle! Eine Menschenfalle! So ein Pack!« – und sie zog und zerrte und bemühte sich, ihn zu befreien.

»Hol' Anton!« befahl Emil.

»Der schafft es auch nicht,« erwiderte sie unter Tränen.

»Versuch' den Schub herauszuziehen.«

Sie zogen beide. Aber er wurde durch irgendeinen Mechanismus festgehalten.

Vom Nebenzimmer kam ein Geräusch. Sie horchten auf. Eine vor Schreck zitternde Männerstimme rief halblaut:

»Überfall! Zu Hilfe! – Villenstraße sieben!«

Emil wies auf die Einbruchswerkzeuge und flüsterte dem Mädchen zu:

»Das Beil!«

»Was – soll ich – tun?« fragte sie ängstlich.

»Schlag die Hand ab!«

»Eher bring' ich mich um!«

»Das macht mich nicht frei!«

Das Mädchen stand da, mit dem Beil in der Hand, und wußte nicht, was es tun sollte.

Emil wand sich vor Schmerz.

»Schlag zu!« trieb er sie.

Sie hob das Beil, schlug aber nicht zu, sondern ließ es aus der Hand gleiten und sagte schluchzend:

»Emil, ich kann nicht«

»So rette dich!«

Sie erwiderte bestimmt:

»Ich bleibe bei dir!«

»Du kannst mir mehr helfen, wenn du draußen bist.« – Er leerte mit der freien Hand seine Taschen und reichte dem Mädchen die Papiere: »Gut aufbewahren!« sagte er. »Und die Teppiche nicht verschleudern!«

Das Mädchen bat schluchzend:

»Versuch' es noch einmal!«

Emil biß die Zähne aufeinander:

»Es klemmt nur fester,« sagte er und schrie laut auf: »Au! – au! geh!«

Sie umschlang seinen Hals. Sie küßten sich.

»Geh!« befahl er, und sie ging schluchzend zum Fenster und verschwand.

Während Emil, jeden Nerv gespannt, zur Tür sah, hinter der man soeben die Polizei alarmiert hatte, schob sich, ohne daß er es merkte, die gegenüberliegende Tür geräuschlos ins Zimmer. – Hinter ihm stand Konstanze. Im Nachtgewand, über das sie lässig eine Seidenmatinee geworfen hatte. Furchtlos und gespannt betrachtete sie ihr Opfer. Nach einer ganzen Weile sagte sie:

»Endlich!«

Emil wandte sich um. Sie sahen sich an. Er wies auf seine Hand und sagte verächtlich:

»So fängt man Tiere.«

»Ich liebe Tiere,« erwiderte sie und trat näher heran. »Ich hoffe, Sie sind eins.« – Er wandte sich ab. Konstanze betrachtete ihn genau. Dann sagte sie breit: »So also sieht ein Verbrecher aus?«

»Das Zeug ruiniert mir die Hand!« sagte er.

Aber Konstanze war ganz in die Betrachtung versunken.

»Herrlich!« rief sie. »Ganz so, wie ich Sie mir vorgestellt habe.«

»Was soll das bedeuten?« fragte er erstaunt; und sie erwiderte:

»Daß ich diesen Augenblick herbeigesehnt habe.«

»Sie mich?«

»Sie oder einen andern.«

»Machen Sie mich los!« forderte er und verbiß sich den Schmerz.

»Sind Sie gewalttätig?«

Emil hielt es für Hohn, fuhr auf und rief drohend:

»Ich kann Ihnen sagen!«

»Herrlich! herrlich!« – Sie trat noch näher an ihn heran. »Haben Sie schon viele Menschen umgebracht?«

»Ich glaube, Sie werden der erste sein!« fauchte er wütend.

»Himmlisch!« rief Konstanze voller Begeisterung, und Emil schrie:

»Machen Sie mich los!«

Konstanze nickte freundlich und versprach:

»Später!«

»Sie ernähren mich nicht, wenn die Hand zum Teufel geht und ich nicht mehr arbeiten kann.«

»Sie arbeiten?« fragte sie enttäuscht.

Er wies auf das ausgeraubte Zimmer und erwiderte spöttisch:

»Vielleicht sehen Sie sich hier einmal um.«

»Alle Achtung! Sie verstehen Ihr Fach!« – Und indem sie ganz dicht an ihn herantrat fragte sie: »Sind Sie sehr kräftig?«

»Ich rate Ihnen nicht,« erwiderte er, packte sie mit dem linken Arm, warf sie auf den Schreibtisch und hielt sie fest.

»Sie tun mir weh!« rief sie.

Er beugte sich über sie und drohte:

»Ich bringe Sie um, oder Sie verraten mir auf der Stelle den Trick, durch den ich hier loskomme.«

In diesem Augenblick stürzte durch die Tür links, bebend vor Angst, nur mit einem Pyjama bekleidet, Redlich ins Zimmer. Erst machte es den Eindruck, als wenn er sich auf Emil stürzen wollte. Aber er blieb in respektvoller Entfernung stehen und beschwor ihn händeringend:

»Laden Sie keinen Mord auf Ihr Gewissen.«

Emil gab Konstanze frei und sagte:

»Was geht Sie mein Gewissen an? Ich will hier los.«

Während Konstanze aufsprang, bettelte Redlich, der in seiner Todesangst die Situation nicht übersah und noch immer nicht merkte, daß Emil festsaß:

»Nehmen Sie, was Sie wollen! Aber mein Kind und mich rühren Sie nicht an! Gehen Sie! gehen Sie! wer hält Sie denn?«

»Lump!« erwiderte Emil. »Fangeisen in dem Schreibtisch befestigen und dann dumm fragen, wer mich hält.«

»Davon weiß Papa nichts,« rief Konstanze. »Die habe ich gelegt. Aus Neugier und Interesse. Nicht, um Ihnen weh zu tun.«

Und Redlich, der endlich sah und verstand, gewann seine Sicherheit wieder, wuchs förmlich empor, schmunzelte und sagte:

»Wie gescheit, mein Kind! wie gescheit!«

Konstanze wandte sich an Emil und fragte:

»Wenn ich Sie nun befreie?«

Redlich, der eben ein paar Schritte nach dem Schreibtisch hin gemacht hatte, taumelte zurück und rief:

»Bist du toll? Er bringt uns um.«

»Ich schwöre Ihnen, ich würde Ihnen wieder zu Ihren Sachen verhelfen.«

Jetzt erst sah sich Redlich im Zimmer um und erkannte, daß er bestohlen und beraubt war.

»Sie Strolch!« fuhr er auf Emil los. »Sie gemeiner Mensch!«

»Aber Papa!« sagte Konstanze vorwurfsvoll. »Du kennst ihn doch noch gar nicht.«

»Die teuren Teppiche!« jammerte Redlich. »Ich könnte Ihnen die Fäuste ins Gesicht schlagen!«

Und als er eine drohende Bewegung auf Emil hin machte, sagte der in vollkommener Ruhe:

»Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß meine linke Hand noch frei ist,« woraufhin Redlich den erhobenen Arm fallen ließ, einen Schritt zurücktrat und erwiderte:

»Nicht mehr lange. Verlassen Sie sich drauf.«

»Immerhin noch sieben bis acht Minuten,« erklärte Emil.

»Wie kommen Sie darauf?« fragte Redlich.

»Die nächste Polizeiwache ist zwölf Minuten von hier entfernt. Vor fünf Minuten haben Sie an das Überfallkommando telephoniert.«

»Schäm' dich, Papa!« rief Konstanze empört. Und als der erwiderte:

»Ich verstehe dich nicht,« fuhr sie fort:

»Wir hätten uns auch ohne die Polizei mit dem Herrn verständigt.«

»Vermutlich sogar schneller und besser,« stimmte Emil zu, worauf Konstanze sich wieder an ihren Vater wandte und sagte:

»Siehst du, Papa!«

Aber Redlich erklärte:

»Was gibt es da noch für eine Verständigung, wo wir ausgeplündert sind?«

Emil hielt ihm mit der freien Hand die Konkursordnung hin und erwiderte auf Redlichs Frage:

»Was soll das?«

»Haben Sie nicht auch schon ausgeraubt – und sich hinterher verständigt?«

»Da hat er recht,« sagte Konstanze.

»Du nimmst seine Partei?«

»Ich suche zu vermitteln.«

»Zwischen einem Einbrecher und mir?«

»Sie stoßen sich an dem Wort. Ich bin großzügiger.« – Er wies wieder auf die Konkursordnung, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag. – »Ich mache Geschäfte auch mit Betrügern, wenn sie mir Vorteil bieten.«

»Soll das etwa heißen, daß ich ein . . .?«

»I Gott bewahre! Sie sind für mich ein Geschäftsmann wie jeder andere. Ihnen hat man die Sachen gestohlen. Zufällig weiß ich, wer der Dieb ist.«

»Sie sind der Dieb!«

»Dann wäre mit den Sachen vermutlich auch ich verschwunden.«

»Die haben Ihre Helfershelfer in Sicherheit gebracht.«

»Möglich. Jedenfalls: nur ich kenne sie; nur ich weiß, wo sie sich im nächsten Augenblick und in den nächsten Stunden befinden.«

»Halunke!«

»Einen Menschen, mit dem man in wenigen Minuten in intimer Geschäftsverbindung stehen wird, sollte man nicht beschimpfen.«

»Da hat er recht, Papa!«

»Ich wüßte wirklich nicht, wie ich mit Ihnen . . .«

»So lassen Sie mich doch ausreden.«

»Die Polizei muß jeden Augenblick hier sein.«

»Papa, du wirst ihn doch nicht der Polizei ausliefern?«

»Seien Sie unbesorgt, Fräulein! Ihr Papa ist viel zu sehr Kaufmann, um auch nur eine Minute lang zu überlegen, worin für ihn der größere Vorteil liegt: mich an den Galgen zu bringen oder wieder in den Besitz seiner Sachen zu gelangen.«

»Die Sachen wird mir die Polizei . . .«

»Sie wissen ganz genau: die Polizei wird nicht! Sie kann gar nicht, wenn ich nicht will! Und ich schwöre Ihnen, ich halte dicht!«

»Man wird Sie mürbe machen!«

»Vielleicht!«

»Und dann werden Sie reden.«

»Möglich! Nur, daß es dann zu spät sein wird. Denn dann ist das Silber eingeschmolzen und die Teppiche sind im Auslande.«

Nach kurzer Überlegung fragte Redlich:

»Was fordern Sie?«

Emil lächelte und wies auf seine rechte Hand:

»Es wäre Ihrer unwürdig, mit einem Menschen in dieser Zwangslage ein Geschäft abzuschließen.«

»Da hat er recht, Papa!«

»Wenn Sie frei sind, werden Sie uns niederschlagen und davonlaufen.«

»Da ich mich nicht gerade wie ein Gentleman eingeführt habe, so muß ich Ihnen Konzessionen machen.«

»Findest du nicht, Papa, er spricht genau wie deine Geschäftsfreunde.«

»Er wird mich hineinlegen.«

»Papa, dich legt doch niemand hinein.«

»Also, welche Sicherheiten können Sie geben?«

»In meiner Hosentasche hinten rechts befindet sich ein Revolver.«

Redlich, der über den ersten Schreck gerade hinweg war, rief:

»Entsetzlich!«

»Sechsfach geladen!«

»Furchtbar ist das!«

»Aber, Papa, dafür ist er doch ein Verbrecher.«

»Bedauerlicherweise komme ich mit der linken Hand nicht heran.«

»Gott sei Dank!« rief Redlich und atmete auf.

»Käme ich heran, so würde sich das Geschäft hier für mich sehr viel glatter abwickeln.«

»Sie müssen ihn herausgeben!« forderte Redlich.

»Das eben will ich,« erwiderte Emil, wandte ihm den Rücken und sagte: »Bitte, nehmen Sie ihn heraus.«

»Du siehst, Papa, er meint es ehrlich.«

Redlich, der sich nicht heranwagte, fragte zögernd:

»Und Sie werden mich nicht mit der linken Hand erwürgen?«

»Das wäre Wahnsinn, da ich gefesselt bin und die Polizei jeden Augenblick eintreffen kann.«

»Wenn du dich fürchtest, Papa, so werde ich es tun. Wo, sagten Sie, befindet sich die Waffe?«

»Hinten rechts, wenn ich bitten darf.«

»Dann schickt es sich wohl nicht für mich,« meinte Konstanze.

»Ich bitt' Sie, das ist doch rein geschäftlich.«

»Wenn Sie meinen,« erwiderte Konstanze und trat etwas beschämt an ihn heran.

»Vorsichtig, mein Kind!« sagte Redlich, während Konstanze den Revolver aus der hinteren Tasche von Emils Beinkleid zog.

Redlich nahm ihn ihr ab, betrachtete ihn und sagte:

»Das scheint ja ein ganz gefährliches Ding zu sein.«

»Hand weg vom Hahn!« rief Emil. »Drehen Sie den Lauf um! Sie schießen sich ja in den Bauch!«

»Wie besorgt er um dich ist, Papa.«

»Sehen Sie sich vor, daß Sie kein Unglück anrichten.«

»Ich habe so etwas noch nie in der Hand gehabt.«

»Dafür wissen Sie in der Konkurs- und Wechselordnung um so besser Bescheid! Jeder in seiner Branche.«

Jetzt nahm Konstanze eine Art Schlüssel, schob ihn in ein Schloß am Schreibtisch – und die Falltür schnellte in die Höhe. – Emil zog die Hand heraus.

»Ganz rot geschwollen,« sagte Konstanze. »Sie Ärmster!«

»Für die nächsten Stunden kann ich die Hand nicht gebrauchen,« erwiderte Emil.

»Gott sei Dank!« rief Redlich und atmete auf. Und bei jeder Bewegung, die Emil machte, änderte er die Richtung des Revolvers. – Emil sah es wohl, maß ihm aber keine Bedeutung bei, sondern sagte, als wäre er bei einem alten Bekannten zu Besuch:

»Ich denke, wir setzen uns nun erst einmal.«

»Die Stühle sind ja so ziemlich das einzige, was Sie uns gelassen haben,« erwiderte Redlich.

»Sagen Sie das nicht,« erwiderte Emil und wies auf ein paar kostbare Vasen, Bilder und Bücher. »Ich finde, daß wir ziemlich mangelhaft gearbeitet haben.«

»Ich hoffe, um so mehr Eifer werden Sie bei der Wiederbeschaffung der Sachen zeigen.«

»Verlassen Sie sich darauf. Ganz oder gar nicht. Halbe Sachen sind mir zuwider.« – Dann rückte er mit Hilfe Konstanzes drei Sessel an den Tisch, auf dem vor einer Stunde noch eine Decke gelegen und eine Vase mit Blumen gestanden hatte.

»Wie kahl!« sagte Konstanze.

»Ich schwöre Ihnen, Fräulein, wenn ich das geahnt hätte, wäre die Decke nicht mitgewandert.«

»Ich hole schnell eine andere,« erwiderte sie und ging eilig hinaus.

Im Gegensatz zu der Unbefangenheit Konstanzes hatte Redlich die ganze Zeit über – verzeihen Sie, man kann es nicht anders bezeichnen – Angst geschwitzt. Der Revolver, den er noch immer in der Hand hielt, beängstigte ihn weit mehr als Emil, auf den der Lauf ständig gerichtet war. Und als Konstanze jetzt hinausgehen und ihn mit Emil allein lassen wollte, rief er ängstlich:

»Nicht doch, Konstanze! bleib!«

Aber sie war schon draußen und kam gerade zurück, als Emil sein Zigarettenetui hervorzog und es Redlich mit den Worten reichte:

»Da Sie mir keine anbieten, so erlauben Sie wohl, daß ich . . .«

»Wie unhöflich,« schalt Konstanze, legte eine Decke auf, stellte Blumen auf den Tisch und sagte: »Aber vielleicht rauchen Sie lieber eine Zigarre?«

»Offen gesagt, ja!«

»So hol' doch, Papa!«

Man sah, daß Redlich nicht recht wußte, wie er sich verhalten sollte. Schließlich stand er auf, gab Konstanze den Revolver, die ihn gleichgültig auf den Tisch legte, und ging hinaus.

»Zieh dir den Schlafrock an!« rief sie ihm nach und wandte sich dann wieder an Emil. »Sie müssen schon entschuldigen, aber Papa hat so seine Vorurteile.«

»Ich nehme ihm das nicht übel,« erwiderte Emil höflich. »Geschäfte dieser Art sind nicht alltäglich.«

»Mich reizt nur, was nicht alltäglich ist. – Großer Gott! Ihre Hand ist ja noch immer geschwollen. Ich hole Wasser und kühle sie.«

»Aber machen Sie sich doch keine Umstände! Das gibt sich ja.«

Konstanze war schon in der Halle.

»Ich habe alles bei der Hand,« erwiderte sie und kehrte gleich darauf mit einem Napf Wasser und einem sauberen Handtuch zurück. – Sie rückte ihren Stuhl neben Emil, setzte sich und begann die Hand zu kühlen.

»Wirklich, das ist nett von Ihnen, daß Sie den Schaden wieder gutmachen.«

Als Redlich, der im Schlafrock eben wieder ins Zimmer trat, das sah, hätte er vor Staunen beinahe die Zigarrenkisten fallen lassen. – So grotesk es an sich war, daß Redlich dem Mann, der bei ihm eingebrochen war, Zigarren anbot – so bezeichnend für den Typ des Neureichen war es, daß er selbst in dieser Situation, um seinen Reichtum zu zeigen, gleich einen ganzen Berg von Kisten heranschleppte.

Er stellte sie auf den Tisch, nahm den Revolver auf, öffnete eine Kiste und sagte kurz:

»Bitte!«

»Aber du siehst doch, Papa, daß der Herr seine Hände nicht frei hat« – woraufhin Redlich selbst eine Zigarre herausnahm, abschnitt, sie Emil reichte und ihm Feuer gab.

»Sehr liebenswürdig!« sagte Emil, tat mit Wohlbehagen ein paar Züge und meinte: »Ich finde immer, es plaudert sich besser bei einer Zigarre.«

»Wir wollten ja wohl geschäftlich miteinander reden,« erwiderte Redlich in einem Ton, der nicht gerade höflich war.

»Aber gern! Nun, wo die Gefahr vorüber ist.«

»Sie meinen, wir waren in Gefahr?« fragte Konstanze. Und da Emil auf den Revolver in Redlichs Hand wies, so fragte sie weiter: »Sie hätten geschossen?«

»Auf Sie kaum!«

»Aber auf Papa?«

»Unter Umständen.«

Redlich fiel vor Schreck der Revolver aus der Hand. Aber Konstanze sagte freudig:

»Endlich einmal ein Erlebnis, das wir Ihnen verdanken. Sie glauben ja gar nicht, wie blöd das Leben ist.«

»O doch! wenigstens zuzeiten.«

»Ihr Beruf ist doch nicht langweilig?«

»Der Beruf nicht. Aber die Unterbrechungen.«

»Warum unterbrechen Sie?«

»Das tue ich nicht. Das besorgen die andern, deren Beruf das wieder ist.«

»Wir wollten doch geschäftlich reden,« warf Redlich wieder ein.

»Richtig! Also, mein Geschäft liegt sehr einfach: ich schaffe die Teppiche, Silber, Schmuck, kurz alles, was wertbeständig ist, heran.«

»Wie Beispiel lehrt!«

»Papa, unterbrich doch nicht.«

»Damit ist meine Tätigkeit eigentlich beendet. Denn nun treten die Abnehmer an uns heran – oder wir an sie . . .«

»Das sind die Hehler!«

»Du hörst doch, Papa, Abnehmer.«

»Und nach ein paar Stunden sind wir den ganzen Krempel los und frei zu neuen Taten.«

»Ein aufregendes Leben muß das sein,« sagte Konstanze.

»Gewiß! So wie hier findet man's selten.«

Jetzt schien auch Redlichs Interesse erwacht.

»Sie veräußern es an den Meistbietenden?« fragte er.

»Dazu ist die Zore zu heiß.«

»Wie, bitte?«

»Ach so! Verzeihung! Das ist so unser Jargon. Zore, das ist Ware.«

»Ich verstehe: Sie verschleudern die Ware, weil sie Ihnen sozusagen in den Händen brennt.«

»Ich staune, wie schnell Sie sich in das Wesen unseres Geschäfts hineinfinden.«

»Sind es denn immer dieselben Hehler?«

»Man kennt sie alle.«

»Der eine ist vermutlich mehr Spezialist für Teppiche, der andere für Silber . . .«

»Nein, das Verständnis, Herr . . . ja, ich kenne ja noch gar nicht Ihren Namen.« – Er stand auf und stellte sich vor: »Emil Wohlgemuth, genannt Coeur-As.«

»Ein schöner Name,« sagte Konstanze und drang durch Zeichen auf ihren Vater so lange ein, bis der sich herbeiließ, den Körper ein wenig nach vorn zu beugen und zu erwidern:

»Sie wissen vermutlich, wie ich heiße.«

»Leider nicht! – Ich bin nämlich nicht über die Vordertreppe – sondern« – und er wies auf das Fenster, das noch immer offen stand.

»Konstanze, schließe das Fenster!« befahl Redlich.

»Solange ich hier bin, haben Sie nichts zu fürchten –- aber nun weiß ich noch immer nicht, mit wem ich das Vergnügen habe.«

Und da Redlich schwieg, so sagte Konstanze:

»Wir heißen Redlich, Herr Wohlgemuth.«

Emil verbeugte sich und nahm wieder Platz. Dann begann er:

»Also, Herr Redlich, Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Es gibt Spezialisten für Silber, für Schmuck, für Teppiche, für Kleidungsstücke.«

»Wird vorher bestimmt, wer die Sachen bekommt?«

»Nach Möglichkeit. Weil das die Abwicklung erleichtert.«

»Das heißt, Sie müßten die Sachen sonst erst wo anders unterstellen.

»Erraten, lieber Redlich!«

»Das würde unnütze Kosten verursachen und die Gefahr erhöhen.«

»Als ob Sie zehn Jahre in der Branche tätig wären!« erwiderte Emil.

»Erlauben Sie mal!« wehrte Redlich ab.

»Papa ist doch Kaufmann, Herr Wohlgemuth!«

»Wie zahlen die Hehler?«

»Abnehmer, Papa!«

»Hundsmiserabel.

»Sie nützen vermutlich Ihre schwache Position aus?«

»Bravo!« rief Emil und klopfte Redlich auf die Schulter.