Emil, der Lebensblicker - Markus Daumüller - E-Book

Emil, der Lebensblicker E-Book

Daumüller Markus

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Beschreibung

Emil war Finanzberater bei einer Bank, Autoverkäufer und Taxifahrer. Sein ganzes Leben ist er vor seinen Rollen geflohen. Jetzt sitzt er in einer Hütte und malt. Er muss sein Leben aufarbeiten, um erkennen zu können, wer er wirklich war.

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Seitenzahl: 46

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Emil, der Lebensblicker

Das Atelier von Emil lag am Rande eines kleinen Fischerdorfes. Eigentlich häufte sich hier das Gerümpel seiner verkorksten Anfänge: Leinwände, Farbeimer, Disharmonien. Es waren Erinnerungen an Gefühle wie Angst, Glück oder Trauer. Auch Liebe verzierte das Stillleben als exzentrische Farbkomposition. Volle Aschenbecher standen auf den Stapeln und gaben Auskunft über die anstrengenden kreativen Pausen, über das Ordnen des inneren Chaos. Die Intensität der Formen und Farben war eine Sprache der Sinne, der Ausdruck prägender Erinnerungen. Emils Atelier war Müllhaufen und Praxis für Psychotherapie in einem, der nutzloseste und wertvollste Ort seiner Seele. Er materialisierte seine Erfahrungen und verwandelte die Wirklichkeit in Poesie. Eigentlich war es ihre Bedeutung, die in den Farben sprach, Momente seines nach bürgerlichen Maßstäben gescheiterten Lebens. Hier hatte er eine zweite Chance, dass der Blick in den Spiegel Erinnerungen hervorbringt, die er verkraften kann, und das trostlose Leben sich als leuchtende Erfahrung zeigt. In all den Jahren war er Bankkaufmann, Autoverkäufer und Taxifahrer. Er verkaufte eine Vision von Reichtum, Besitz und Seelsorge. Die Lüge war Muster und Motor seines Erfolgs. Dann hatte er genug davon und fragte nach dem Sinn seines Daseins. Geld konnte es nicht sein. Er hatte genug, aber die Leere bohrte sich jede Nacht in seinen Kopf, und er malte in seinen Gedanken das Leben als todesgleichen, ewigen Stillstand, ein emotions- und teilnahmsloses, graues Nichts. Er verkaufte sein Haus, seinen Porsche und die antike Vasensammlung und verspürte das erste Mal Leichtigkeit und Freiheit. Die sogenannte bürgerliche Existenz war ein Realität gewordenes dadaistisches Bild, ein Höhlengleichnis-Schauspiel, Erfolg als Täuschungsversuch desselben Ich. Oder war er gefangen in einer posttraumatischen Belastungsstörung, die seine Urteilsfähigkeit verzerrte und auf die hässliche Lüge bloß eine schönere setzte? Konnte man der Lüge im Leben überhaupt entkommen? Seine Fluchten führten ihn in immer weitläufigere Welten: Vom Büro- und Zahlengefängnis in das Eldorado des Images und Angebens, von dort zu sich im Benz bewegenden Märchenstunden. Der Sprung ins Tor zur selbst komponierten Welt war nicht weit. Jetzt war er angelangt in einem surrealen Kartenhaus der Anschauungen seiner Erlebnisse. Nur die Farben sprachen, und nicht die Zahlen; das Leben entzog sich der Berechnung. Man konnte es nicht mehr vermessen, weil kein Maß dafür geeicht war, außer dem Seelenfrieden einer ausgewogenen inneren Balance.

Die Tage verbrachte er mit Sinnieren, Komponieren und Ausprobieren. Er war so etwas wie ein Getriebener, der seine biografischen Eruptionen in eine neue Ebene hob. Die Sublimierung seiner Erschütterungen war ein zähes Unterfangen, sie sollte die Emotionen in Bahnen lenken und diese im selben Moment zum Sprechen bringen, ihre Bedeutungen und philosophischen Implikationen. Ihre Verarbeitung auf der einen und ihr Erwecken zum Leben auf der anderen Seite führten zu einem mentalen Krieg um das passende Kolorit. Das machte die Sache so anstrengend und erklärte die vielen Zigarettenstummel. Emil malte ein rückblickendes Plateau seines Lebens. Manchmal war es auch nur Flachland, das seine Sehnsucht nach Sinn vernebelte. Farbtöne grenzten sich ab oder gingen ineinander über, je nach Erinnerungskonstruktion und Explosionen seiner Sentimentalität. Abends war er abgekämpft von dieser anderen Wertschöpfungskette. Es war das innere Testament eines Lebenden, der dem Eigentum abgeschworen hatte und der Existenz ganz nah kommen wollte. Es war eine Art gestaltende Abrechnung mit dem Irrlichtern im Leben. So wie ein Wortmaler malte er psychische Verwachsungen seiner biografischen Momente.

Zum Beispiel hatte er jahrelang Spaß mit seinem Porsche. Wenn er vor dem Restaurant oder der Oper in seinem Designeranzug ausstieg, kam er sich vor wie ein Szenekönig, der die Tricks verstand und dem man ansah, wie man es im Leben zu etwas bringt. Den seriösen Anstrich des Geldes beherrschte er wie ein Zen-Meister; die Aura des Selfmade-Millionärs umwehte seinen Bühnenauftritt. Schnell war er nie gefahren, es ging nicht um solche Niederungen, sondern um das Gefühl, erhaben zu sein, so etwas gar nicht nötig zu haben. Es ging um Gelassenheit als Zeichen, überlegen zu agieren. Der Porsche und sein Ich verkörperten dieselben Charaktermerkmale. Schwarz war das Marmor, in das die Claqueure ihre Kopfgeschichten gravierten, vom Aufsteigen, vom Richtiggemachthaben, von Zähheit. So entstanden Apologien, Fabeln und Legenden als Matrix einer konstruierten Identität.

Jetzt ist ihm ein Plastikstuhl geblieben, auf dem er rauchend die Aufarbeitung dieses Irrtums bewerkstelligte. Der war rot, wie ein Stoppschild; er betätigte eine geistige Bremse, tauschte Purismus gegen Image. Der Stuhl stand jenseits von sozialen Hierarchien oder Auswirkungen von Geld auf die Beziehungen der Menschen. Er war das Antigemälde zu Kult oder gesellschaftlichen Ritualen. Auch zu Freud`scher Überinterpretation. Er verkörperte die individuelle Freiheit, Werte des Lebens selbst zu definieren. Wenn Emil darauf saß und floh, befand er sich außerhalb der bürgerlichen Wirklichkeitsgefängnisse.

Er war zurückgeworfen auf das Mischen und Zusammenreimen der Farben und Formen. Die Unendlichkeit der Kombinationsmöglichkeiten bot ihm neue Interpretationen seiner Lebensabschnitte. Auf der Acrylleinwand gewannen sie markante Leuchtkraft und wurden Sequenzen eines ethisch belastenden Erfolgs. Zum Beispiel war Emil Bereichsleiter für Baufinanzierungen. Der Traum vom Eigenheim verdeckte vielen jungen Familien die Sicht auf das Machbare und sie versklavten ihr Leben für die Rate. Je stärker der Zukunftstraum, desto gewinnbringender war die Utopie für Emils Bank. All die vielen Lebensglücksucher wurden zu Sklaven ihrer Finanzverpflichtungen und lebten in ihren Häusern ein