Lehrerpersönlichkeiten - Markus Daumüller - E-Book

Lehrerpersönlichkeiten E-Book

Daumüller Markus

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Beschreibung

Elf Lehrerpersönlichkeiten. Portraits jenseits der Lehrerausbildung.

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Seitenzahl: 44

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Inhaltsverzeichnis

Herr Anton

Frau Grünkern

Herr Blaubart

Herr Rotfuchs

Herr Gelbfuß

Frau Braunbär

Frau Lilifee

Herr Weißschnitt

Frau Holle

Herr Kern

Herr Graukohl

1. Herr Anton

Herr Anton kam in die Klasse. Mit den Schülern hatte er einen Umgang wie mit Freunden, die sich necken, aber auch durchschauen. Niemand wäre auf die Idee gekommen, respektlos zu sein und seine Fachexpertise auszublenden. Er brauchte diese Rituale nicht, Schweigefuchs, Fingerheben, Klatschen, Methodenkram. Er fing an zu unterrichten, und alle hörten zu. Weil er etwas zu sagen hatte – oder besser: zu fragen. Er fragte nach Dingen, die ihn selbst interessierten. Was gegen Klimaerwärmung hilft, wie Trolle im Netz Wahlen beeinflussen, und welche Gesellschaftsform die gerechteste ist. Seine Fragen waren echt, er teilte sein Interesse und nahm die Schüler mit auf eine Reise durch die Fachlichkeit. Zusammen suchten sie nach Antworten, Verstehensmodellen, sie begaben sich auf die Spur des Wissens. Herr Anton hatte keine Angst, verspottet zu werden, weil er vermeintlich Dinge nicht wusste. Er machte sein Interesse klassenöffentlich und inszenierte das Lernen als Suche. Er fragte permanent: Was ist Wissen, was ist es mehr als Information? Er lehrte die Schüler den Umgang mit Wissen, das andererseits durch sie und ihre Suche entstand. Dadurch wurden die Schüler ein Teil des Wissens. Sie produzierten gemeinsam Wissen.

Manche erwarteten Aufzählungen, oder Jahreszahlen. Doch sie bekamen nur Argumente. Auf eine gewisse Art brachte er sie zum Nachdenken über die Welt: Kein Stundenklingeln beendete das Problem, und keine Antwort galt als letztgültige Erklärung. Die Suche umtrieb sie im Kopf weiter. Es verfolgte sie.

Herr Anton hatte eine philosophische Ader. Unterrichten war für ihn eine Bühne des Denkens, eine Show der Dialogkultur. Er war Sokrates, der die Schüler zum Denken verführte. Ihre Gedanken wurden das Elixier seiner Show. Keine Fremdbestimmung. Schaffenskraft. Eigenes. Er vermittelte nicht, wie die mittelalterliche Stadt funktionierte, sondern fragte nach den Ideen dahinter, das Recht, das Wirtschaftsinteresse, eine Revolution des Standesdenkens? Herr Anton gefiel sich darin, lebendige Diskurse am Laufen zu halten, wie man etwas verschieden denken könnte. Sein Kopf war schnell, und seine Zunge auch. Er machte denkfaule Schüler zu seinen Gefährten.

Methoden, Motivationstechniken, Menetekel der Unterrichtswerkzeuge, das gab es hier nicht. Ihm ging es ja nicht darum, Informationen besser in die Köpfe zu bringen, sondern Dinge verstehen zu wollen. Das war anstrengend. Herr Anton konnte das so gestalten, als sei man ein Teil des Problems, als würden sich die Geschehnisse vor unseren Augen ereignen. Diese Form des Erlebens, wie sich ein Problem darstellt und wie man über es denken könnte, machte seinen Unterricht einzigartig. Herr Anton breitete nicht nur das Erklärungsbedürftige aus, sondern ließ Sinnfiguren über sein Verstehen lebendig werden. Wir brauchen mehr verrückte Philosophen und Professoren als Lehrer, Sucher statt Vermittler.

Herr Anton war sehr klug. Er trank viel Kaffee und war zügellos. Doch die Disziplin seiner Denkführung war bewundernswert. Keine Verwaltungsgeschäfte und keine Organisationsorgien fraßen seine Show. Die Bühne war die Bühne, und das Theater verträgt keine Tristesse. Seine Obsession war Ausdruck seiner Leidenschaft, mit Schülern über Fragen nachzudenken. Andere Geschäfte verrichtete er im Stillen, leise, Listen. Das wichtige hielt er präsent, und das unwichtige nicht. Das war sein ganzer Trick.

Herr Anton war eine leidenschaftliche Person. Fachliche Fragen, flapsige Gespräche mit Schülern, er war immer mittendrin. Klassenbücher, Konferenzdiskussionen und Zettelrückläufe verdrängte er aus seinem Kopf. Schule musste schön sein und lebendig, und kein Verwaltungsbüro. Sein Motto stand an der Heidelberger Uni: Dem lebendigen Geist. Ihm war es ein Anliegen, auch die rüpelhaftesten Subjekte zu Philosophen werden zu lassen. Dabei guckte er zu und empfand Freude, auch wenn die Manieren häufig von einer grobschlächtigen Natur waren. Herr Anton war davon überzeugt, dass es Bildung nur in der abstrakten Dimension gibt. Die Schulkultur der Aufzählungs- oder Kausalerklärungen verbannte er aus seinem Repertoire. Er wollte den lebendigen, nicht den nachvollziehenden Geist. Er stellte eine Frage allem Denken voran: Was ist die Wahrheit?

Herr Anton vermittelte jedem das Gefühl, als seien seine gestellten Fragen wichtig. Er stellte sie mit großer Ernsthaftigkeit. Niemand zeigte komplettes Desinteresse oder verhöhnte ihre Wichtigkeit. Das lag daran, dass Herr Anton aus allen fachlichen Problemen Lebensfragen machen konnte. Er diskutierte gar kein Fachwissen, sondern Wertmaßstäbe für das menschliche Handeln und den Aufbau von Systemen. Diese sind heute virulent. Die Fragen von Herrn Anton betrafen unsere Lebenswirklichkeit. Sie gingen uns etwas an. Herr Anton verstand, aus seinem Interesse ihre Fragen zu machen. Sein Humor und seine geistige Lebendigkeit ließen die Schüler zu Sehnsüchtigen werden. Sie wollten ihre Fragen klären. Herr Anton war ein großer Künstler der Pädagogik. Er baute keinen Zaun um eine Wiese und ließ die Schafe kontrolliert weiden. Er wusste: Kinder sind keine Schafe. Sie sollen