Enders Kinder - Orson Scott Card - E-Book

Enders Kinder E-Book

Orson Scott Card

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Beschreibung

Enders letzte Schlacht

Einst hatte Ender Wiggin eine ganze Spezies ausgelöscht. Dann fand er einen Weg, seine Schuld zu begleichen: er brachte die „Krabbler“ nach Lusitania, wo sie seitdem mit den „Schweinchen“, den Eingeborenen, und den Menschen zusammenleben. Doch die Menschen fürchten sich vor einem Virus auf Lusitania und wollen den Planeten vernichten. Sie schicken die Waffe, die Ender einst gegen die „Krabbler“ eingesetzt hat. Enders älteste Freundin, die KI Jane, die sich mit ihm zusammen seit ihren Tagen auf der Kampfschule entwickelt hat, müssen die Flotte unbedingt aufhalten, wenn sie ihren Planeten retten wollen. Als die Menschen davon erfahren, schalten sie Janes Netzwerk ab. Um Lusitania zu retten, muss Ender erst Jane retten – doch der Preis dafür ist hoch …

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Orson Scott Card

 

 

 

Enders Kinder

 

Ender-Saga 4

 

 

Roman

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Das Buch

Einst hatte Ender Wiggin eine ganze Spezies ausgelöscht. Dann fand er einen Weg, seine Schuld zu begleichen: er brachte die »Krabbler« nach Lusitania, wo sie seitdem mit den »Schweinchen«, den Eingeborenen, und den Menschen zusammenleben. Doch die Menschen fürchten sich vor einem Virus auf Lusitania und wollen den Planeten vernichten. Sie schicken die Waffe, die Ender einst gegen die »Krabbler« eingesetzt hat. Enders älteste Freundin, die KI Jane, die sich mit ihm zusammen seit ihren Tagen auf der Kampfschule entwickelt hat, müssen die Flotte unbedingt aufhalten, wenn sie ihren Planeten retten wollen. Als die Menschen davon erfahren, schalten sie Janes Netzwerk ab. Um Lusitania zu retten, muss Ender erst Jane retten – doch der Preis dafür ist hoch …

 

 

 

 

Der Autor

Orson Scott Card, 1951 in Richland, Washington geboren, studierte englische Literatur und arbeitete als Theaterautor, bevor er sich ganz dem Schreiben von Romanen widmete. Mit »Enders Spiel« gelang ihm auf Anhieb ein internationaler Bestseller, der mit dem Hugo und dem Nebula Award ausgezeichnet wurde. Auch die Fortsetzung »Sprecher für die Toten« gewann diese beiden prestigeträchtigen Auszeichnungen, somit ist Orson Scott Card der bislang einzige SF-Schriftsteller, dem es gelang, beide Preise in zwei aufeinanderfolgenden Jahren zu gewinnen. Orson Scott Card kehrte immer wieder in Enders Welt zurück und schrieb mehrere Fortsetzungen. Mit »Enders Schatten« erschuf er einen zweiten Helden, dessen Geschichte parallel zu »Enders Krieg« erzählt wird. »Enders Game« wurde 2013 mit Asa Butterfield und Harrison Ford in den Hauptrollen verfilmt. Card lebt mit seiner Familie in Greensboro, North Carolina.

 

Im Heyne Verlag sind die Romane der Ender-Saga als E-Books lieferbar:

Enders Spiel

Sprecher für die Toten

Xenozid

Enders Kinder

 

 

 

 

 

www.diezukunft.de

Titel der Originalausgabe

 

CHILDREN OF THE MIND

 

Aus dem Amerikanischen von Karl Ulrich Burgdorf

 

 

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

 

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Copyright © 1996 by Orson Scott Card

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: Das Illustrat, München

Satz: Thomas Menne

 

ISBN 978-3-641-22149-2V002

Kapitel 1

 

›Ich bin nicht ich selbst‹

 

»Mutter. Vater. Habe ich es richtig gemacht?«

Die letzten Worte der Han Qing-jao, aus

Der Gott flüstert von Han Qing-jao

 

Si Wang-mu trat vor. Der junge Mann namens Peter nahm ihre Hand und führte sie ins Sternenschiff. Die Tür schloss sich hinter ihnen.

Wang-mu nahm auf einem der Drehsessel in der kleinen Kammer mit den Metallwänden Platz. Sie schaute sich um, in der Erwartung, dass sie etwas Fremdartiges und Neues sehen würde. Bis auf die Metallwände hätte es jedes beliebige Büro auf dem Planeten Weg sein können. Sauber, aber nicht übertrieben sauber. Praktisch eingerichtet. Sie hatte Holos von fliegenden Schiffen gesehen: die elegant stromlinienförmigen Kampfschiffe und die Shuttles, die in die Atmosphäre eintauchten oder aus ihr aufstiegen; die riesigen, abgerundeten Gebilde der Sternenschiffe, die sich so weit der Lichtgeschwindigkeit näherten, wie es Materie nur eben möglich war. Auf der einen Seite die zugespitzte Macht einer Nadel; auf der anderen Seite die geballte Macht eines Vorschlaghammers. Aber hier, in dieser Kammer, war überhaupt nichts von Macht zu spüren. Es war einfach nur ein Zimmer.

Wo war der Pilot? Es musste doch einen Piloten geben, denn der junge Mann, der ihr gegenübersaß und seinem Computer etwas zuflüsterte, war wohl kaum damit beschäftigt, ein Sternenschiff mit Überlichtgeschwindigkeit zu fliegen.

Und doch schien gerade das der Fall zu sein, denn es gab keine weiteren Türen, die in andere Kammern hätten führen können. Von außen hatte das Sternenschiff winzig gewirkt; diese Kammer nahm offensichtlich den gesamten vorhandenen Raum ein. Dort, in der Ecke, befanden sich die Batterien, die Energie von den Solarkollektoren auf der Oberseite des Schiffes speicherten. In jenem Kasten, der wie ein Kühlschrank isoliert zu sein schien, mochten sich Speisen und Getränke befinden. So viel zum Lebenserhaltungssystem … Wo war die Romantik des Sternenfluges geblieben, wenn das alles war, was man dazu brauchte? Ein einfaches Zimmer!

Da es nichts anderes gab, das sie sich hätte anschauen können, musterte sie den jungen Mann am Computerterminal. Sein Name sei Peter Wiggin, hatte er gesagt. Der Name des altberühmten Hegemons, derjenige, der die gesamte menschliche Rasse unter seiner Herrschaft vereinigt hatte, damals, als die Menschen auf nur einer Welt zusammenlebten, sämtliche Nationen und Rassen und Religionen und Philosophien dicht an dicht zusammengedrängt, ohne dass es eine Möglichkeit gegeben hätte, irgendwo anders hinzugehen als in die Länder der anderen. Denn damals war der Himmel die höchste Grenze und der Weltraum ein unermesslicher Abgrund gewesen, der sich nicht überbrücken ließ. Peter Wiggin, der Mann, der die menschliche Rasse regiert hatte. Das hier war natürlich nicht er, und das hatte er auch zugegeben. Andrew Wiggin schickte ihn; aufgrund der Dinge, die Meister Han ihr erzählt hatte, erinnerte Wang-mu sich, dass Andrew Wiggin ihn irgendwie hervorgebracht hatte. Machte das den berühmten Sprecher für die Toten zu Peters Vater? Oder war er irgendwie Enders Bruder, nicht nur nach diesem benannt, sondern eine tatsächliche Verkörperung des Hegemons, der vor dreitausend Jahren gestorben war?

Peter hörte auf zu murmeln, lehnte sich in seinem Sessel zurück und seufzte. Er rieb sich die Augen, dann reckte er sich und ächzte. Es war sehr ungehörig, so etwas in Gesellschaft zu tun. Die Art von Benehmen, die man vielleicht von einem ungehobelten Feldarbeiter erwartet hätte.

Er schien ihre Missbilligung zu spüren. Oder vielleicht hatte er sie auch vergessen und erinnerte sich nun plötzlich daran, dass er Gesellschaft hatte. Ohne sich gerade in seinem Sessel aufzusetzen, drehte er den Kopf und sah sie an.

»'tschuldigung«, sagte er. »Hatte ganz vergessen, dass ich nicht allein bin.«

Trotz eines lebenslangen sich zurückziehens vor kühnen Worten verlangte es Wang-mu danach, kühn zu ihm zu sprechen. Schließlich hatte er mit ungehöriger Kühnheit zu ihr gesprochen, als sein Sternenschiff wie ein frisch aus dem Boden geschossener Pilz auf der Flusswiese erschienen und er mit einem einzelnen Glasröhrchen mit einem Virus, der ihre Heimatwelt – Weg – von ihrer genetischen Krankheit heilen würde, herausgetreten war. Vor noch nicht einmal einer Viertelstunde hatte er ihr in die Augen geschaut und gesagt: »Komm mit mir, und du wirst die Geschichte verändern. Geschichte machen.« Und trotz ihrer Furcht hatte sie ja gesagt.

Hatte ja gesagt und saß jetzt in einem Drehsessel und beobachtete ihn dabei, wie er sich ungehobelt benahm, sich wie ein Tiger vor ihr rekelte. War das das Tier seines Herzens, der Tiger? Wang-mu hatte den Hegemon gelesen. Sie konnte glauben, dass in jenem großen und schrecklichen Mann ein Tiger gelauert hatte. Aber in diesem hier? Diesem Jungen? Älter als Wang-mu zwar, aber sie war nicht zu jung dazu, Unreife zu erkennen, wenn sie sie sah. Und er wollte den Lauf der Geschichte verändern! Die Korruption im Kongress ausmisten. Die Lusitania-Flotte aufhalten. Alle Kolonialplaneten zu gleichberechtigten Mitgliedern der Hundert Welten machen. Dieser Junge, der sich rekelte wie eine Dschungelkatze?

»Ich finde nicht deinen Beifall«, sagte er. Er klang gelangweilt und belustigt – beides zugleich. Aber andererseits war sie vielleicht auch ganz einfach nicht geübt darin, die Gestik und Mimik eines solchen Menschen zu erfassen. Gewiss war es schwierig, die Grimassen eines solchen rundäugigen Menschen zu deuten. Sowohl sein Gesicht als auch seine Stimme enthielten verborgene Sprachen, die sie nicht verstehen konnte.

»Du musst es begreifen«, sagte er. »Ich bin nicht ich selbst.«

Wang-mu sprach die gemeinschaftliche Sprache gut genug, um wenigstens diesen idiomatischen Ausdruck zu verstehen. »Sie fühlen sich heute nicht recht wohl?« Aber schon als sie es sagte, wusste sie, dass er die Redewendung keineswegs idiomatisch gemeint hatte.

»Ich bin nicht ich selbst«, sagte er noch einmal. »Ich bin nicht wirklich Peter Wiggin.«

»Das will ich hoffen«, sagte Wang-mu. »Ich habe in der Schule über seine Beerdigung gelesen.«

»Ich sehe aber aus wie er, oder nicht?« Er rief in der Luft über seinem Computerterminal ein Hologramm auf. Das Hologramm drehte sich, bis es Wang-mu ansah; Peter richtete sich auf und nahm ihr gegenüber die gleiche Pose ein.

»Es besteht in der Tat eine gewisse Ähnlichkeit«, sagte sie.

»Natürlich bin ich jünger«, sagte Peter. »Weil Ender mich nicht mehr wiedergesehen hat, nachdem er die Erde verließ, als er – wie viel, fünf Jahre alt war? Ein lächerlicher kleiner Zwerg jedenfalls. Ich war damals noch ein Kind. Das war es, woran er sich erinnerte, als er mich aus der Luft heraufbeschwor.«

»Nicht aus der Luft«, sagte sie. »Aus dem Nichts.«

»Auch nicht aus dem Nichts«, sagte er. »Aber heraufbeschworen hat er mich jedenfalls.« Er lächelte böse. »Ich rufe Geister aus der wüsten Tiefe.«

Für ihn bedeuteten diese Worte etwas, aber für sie nicht. Auf der Welt Weg hatte sie eine Dienerin werden sollen, und deshalb war ihr nur sehr wenig Bildung zuteil geworden. Später, im Hause Han Fei-tzus, waren ihre Begabungen erkannt worden. Zuerst von ihrer früheren Herrin Han Qing-jao und später vom Meister selbst. Von beiden hatte sie wahllos ein paar Brocken an Bildung aufgeschnappt. Das wenige, das sie an Unterweisungen erhalten hatte, war meist technischer Natur gewesen, und die Literatur, die sie kennengelernt hatte, stammte aus dem Mittleren Königreich oder von Weg selbst. Sie hätte endlos aus der großen Dichterin Li Qing-jao zitieren können, nach der ihre einstige Herrin genannt worden war. Aber von dem Dichter, den er zitierte, wusste sie nichts.

»Ich rufe Geister aus der wüsten Tiefe«, sagte er noch einmal. Und dann, indem er seine Stimme und sein Verhalten ein wenig änderte, antwortete er sich selbst: »Ei ja, das kann ich auch, das kann ein jeder; doch kommen sie, wenn Ihr nach ihnen ruft?«

»Shakespeare?«, riet sie.

Er grinste sie an. Sie fühlte sich an die Art und Weise erinnert, in der eine Katze das Geschöpf angrinst, mit dem sie gerade spielt. »Das ist immer die naheliegendste Vermutung, wenn ein Europäer etwas zitiert«, sagte er.

»Das Zitat ist spaßig«, sagte sie. »Ein Mann prahlt damit, dass er die Toten herbeizitieren könne. Aber der andere Mann sagt, dass der Trick nicht darin besteht zu rufen, sondern vielmehr, sie dazu zu bringen, auch wirklich zu kommen.«

Er lachte. »Was für einen bemerkenswerten Sinn für Humor du hast.«

»Dieses Zitat bedeutet Ihnen etwas, weil Ender Sie von den Toten auferweckt hat.«

Er wirkte verblüfft. »Woher weißt du das?«

Sie spürte einen Schauer der Angst. War es denn wirklich möglich? »Ich wusste es nicht, ich habe nur einen Scherz gemacht.«

»Nun, es trifft auch nicht zu. Nicht im Wortsinne jedenfalls. Er hat die Toten nicht auferweckt. Auch wenn er zweifellos glaubt, er könne es, wenn die Notwendigkeit dazu bestünde.« Peter seufzte. »Jetzt bin ich gehässig. Die Worte kommen mir einfach so in den Sinn. Ich meine sie gar nicht so. Sie kommen einfach.«

»Es ist möglich, dass einem Worte in den Sinn kommen und man trotzdem darauf verzichtet, sie laut auszusprechen.«

Er verdrehte die Augen.

»Ich bin nicht auf sklavische Unterwürfigkeit hin abgerichtet, so wie du.«

So also sah das Verhalten von jemandem aus, der von einer Welt freier Menschen kam – die Nase über jemanden zu rümpfen, der ohne eigenes Verschulden Dienerin gewesen war. »Ich wurde dazu ausgebildet, unangenehme Worte aus Höflichkeit für mich zu behalten«, sagte sie. »Aber für Sie ist das vielleicht bloß eine andere Form von Unterwürfigkeit.«

»Wie ich sagte, Königliche Mutter des Westens, Gehässigkeiten finden ungebeten ihren Weg in meinen Mund.«

»Ich bin nicht die Königliche Mutter«, sagte Wang-mu. »Der Name war ein grausamer Scherz …«

»Und nur ein sehr gehässiger Mensch würde dich seinetwegen verspotten.« Peter grinste. »Aber ich bin nach dem Hegemon benannt. Ich dachte, das Führen lächerlich übertriebener Namen sei vielleicht eine Gemeinsamkeit zwischen uns.«

Sie saß schweigend da und erwog die Möglichkeit, dass er einen Versuch gemacht haben könnte, sich mit ihr anzufreunden.

»Der Beginn meiner Existenz«, sagte er, »liegt erst kurze Zeit zurück. Genauer gesagt erst ein paar Wochen. Ich dachte, das solltest du über mich wissen.«

Sie begriff nicht.

»Du weißt, wie dieses Sternenschiff funktioniert?«, fragte er.

Jetzt sprang er wahllos von Thema zu Thema. Um sie auf die Probe zu stellen? Nun, sie hatte genug davon, auf die Probe gestellt zu werden. »Anscheinend sitzt man darin und wird von unhöflichen Fremden ausgefragt«, sagte sie.

Er lächelte und nickte. »Immer mit gleicher Münze heimzahlen. Ender hat mir erzählt, dass du niemandes Dienerin seist.«

»Ich war die getreue und zuverlässige Dienerin Qing-jaos. Ich hoffe, Ender hat Sie in diesem Punkt nicht belogen.«

Er wischte ihre allzu wörtliche Auslegung beiseite. »Mit einem eigenen Kopf.« Wieder taxierten seine Augen sie; wieder fühlte sie sich von seinem lange auf ihr verweilenden Blick restlos erfasst, genauso, wie sie sich gefühlt hatte, als er sie zum ersten Mal am Flussufer ansah. »Wang-mu, ich spreche nicht in Metaphern, wenn ich dir sage, dass ich eben erst erschaffen worden bin. Erschaffen, verstehst du, nicht geboren. Und die Art und Weise, auf die ich erschaffen wurde, hat sehr viel damit zu tun, wie dieses Sternenschiff funktioniert. Ich will dich nicht langweilen, indem ich dir Dinge erkläre, die du bereits weißt, aber du musst wissen, was – nicht wer – ich bin, um zu verstehen, warum ich dich an meiner Seite brauche. Deshalb frage ich noch einmal – weißt du, wie dieses Sternenschiff funktioniert?«

Sie nickte. »Ich glaube ja. Jane, das Wesen, das in den Computern existiert, hält ein so perfektes Bild wie möglich vom Sternenschiff und allen, die sich darin befinden, in ihrem Bewusstsein fest. Auch die Menschen an Bord halten ihr eigenes Bild von sich selbst und von dem, was sie sind und so weiter fest. Dann verschiebt sie alles aus der realen Welt hinaus an einen Ort des Nichtseins. Dieser Vorgang erfordert keine Zeit, und dann bringt sie es zurück in die Realität, wo immer sie will. Was ebenfalls keine Zeit erfordert. So dass sich, im Gegensatz zu den Sternenschiffen, die dafür Jahre benötigen, um von Welt zu Welt zu gelangen, alles in einem einzigen Augenblick abspielt.«

Peter nickte. »Sehr gut. Nur, dass du außerdem verstehen musst, dass das Sternenschiff während der gesamten Zeit, die es sich im Außen befindet, nicht von Nichtsein umgeben ist. Stattdessen ist es von einer unendlichen Anzahl von Aiúas umgeben.«

Sie wandte ihr Gesicht von ihm ab.

»Du weißt nicht, was Aiúas sind?«

»Zu behaupten, dass alle Menschen immer existiert haben. Dass wir älter sind als die ältesten Götter …«

»Na ja, gewissermaßen«, sagte Peter. »Nur kann man von Aiúas im Außen nicht sagen, dass sie existieren, oder wenn, dann führen sie jedenfalls keine Art von bedeutungsvoller Existenz. Sie sind einfach bloß … da. Nicht einmal das, weil es keine räumliche Orientierung gibt, kein Da, wo sie sein könnten. Sie sind einfach. Bis irgendeine Intelligenz sie ruft, sie benennt, sie in irgendeine Art von Ordnung bringt, ihnen Gestalt und Form gibt.«

»Der Lehm kann zu einem Bären werden«, sagte sie, »aber nicht, solange er kalt und feucht am Flussufer ruht.«

»Genau. Dann waren da also Ender Wiggin und mehrere andere Personen, die du mit etwas Glück nie wirst kennenlernen müssen, die die erste Reise ins Außen unternahmen. Eigentlich reisten sie nirgendwo hin. Das Ziel dieser ersten Reise war es, sich lange genug ins Außen zu begeben, damit eine von ihnen, eine sehr begabte Genetikerin, ein neues, extrem komplexes Molekül erschaffen konnte, und zwar anhand der Vorstellung von ihm, die sie in ihrem Bewusstsein festhielt. Oder vielmehr anhand ihres Bildes der Veränderungen, die sie an einem bereits existierenden vornehmen musste … aber dafür verstehst du zu wenig von Biologie. Jedenfalls tat sie, was man von ihr erwartete, sie erschuf das neue Molekül. ›O blumer Tag, o schlusse Fron!‹ Nur, dass sie nicht die einzige war, die sich an diesem Tag als Schöpfer betätigte.«

»Enders Geist erschuf Sie?«, fragte Wang-mu.

»Nicht absichtlich. Ich war, sagen wir mal, ein bedauerlicher Unfall. Ein unglücklicher Nebeneffekt. Sagen wir einfach, dass jeder, dass alles dort draußen wie verrückt schöpferisch tätig wurde. Die Aiúas im Außen sind rasend begierig danach, zu etwas gemacht zu werden, verstehst du? Überall rings um uns herum wurden Schatten-Sternenschiffe erschaffen. Alle Arten von schwachen, vergänglichen, fragmentarischen, zerbrechlichen, ephemeren Gebilden, die mit jedem Augenblick entstanden und wieder vergingen. Nur vier davon hatten Beständigkeit. Eines war das genetische Molekül, das Elanora Ribeira erschaffen hatte.«

»Eines waren Sie?«

»Das am wenigsten interessante, befürchte ich. Das am wenigsten geliebte und geschätzte. Einer der Menschen auf dem Schiff war ein Bursche namens Miro, der vor ein paar Jahren durch einen tragischen Unfall verkrüppelt worden war. Neurologisch geschädigt. Mit undeutlicher Sprache, ungeschickt mit den Händen, lahm beim Gehen. Er hielt in seinem Geist die machtvolle Vorstellung von sich selbst fest, so wie er einmal gewesen war. Angesichts dieses perfekten Selbstbildes setzte sich eine riesige Anzahl von Aiúas zu einer exakten Kopie zusammen. Nicht davon, wie er jetzt war, sondern, wie er früher einmal gewesen war und gerne wieder sein wollte. Komplett mit all seinen Erinnerungen – eine perfekte Kopie seiner selbst. So perfekt, dass sie die gleiche tiefe Verachtung seinem verkrüppelten Körper gegenüber empfand wie er selbst. Und darum … stand der neue, verbesserte Miro – oder vielmehr die Kopie des alten, unversehrten Miro – was auch immer – wie die absolute Negierung des verkrüppelten da. Und vor ihren Augen zerfiel dieser alte, abgelehnte Körper zu nichts.«

Bei dieser Vorstellung keuchte Wang-mu auf. »Er starb?«

»Nein, das ist doch der springende Punkt, begreifst du das denn nicht? Er lebte weiter. Er war Miro. Sein eigenes Aiúa – nicht die Billiarden von Aiúas, aus denen sich die Atome und Moleküle seines Körpers zusammensetzten, sondern das eine, das sie alle kontrollierte, das eine, das er selbst war, sein Wille – sein Aiúa ging einfach auf diesen neuen, perfekten Körper über. Das war sein wirkliches Selbst. Und das alte …«

»Wurde nicht mehr gebraucht.«

»Hatte nichts mehr, was ihm Gestalt hätte verleihen können. Verstehst du? Ich denke, unsere Körper werden von Liebe zusammengehalten. Der Liebe des Meister-Aiúa für den glorreichen, machtvollen Körper, der ihm gehorcht, der dem Ich all seine Welterfahrung vermittelt. Sogar Miro, mit all seinem Abscheu vor sich selbst, während er verkrüppelt war, sogar er muss diesen mitleiderregenden Überrest, der ihm geblieben war, geliebt haben. Bis zu dem Augenblick, als er einen neuen hatte.«

»Und dann zog er um.«

»Ohne auch nur zu wissen, dass er es getan hatte«, sagte Peter. »Er folgte seiner Liebe.«

Wang-mu hörte diese phantastische Geschichte und wusste, dass sie wahr sein musste, denn sie hatte viele Erwähnungen von Aiúas in den Gesprächen zwischen Han Fei-tzu und Jane belauscht, und nun, angesichts von Peter Wiggins Geschichte, ergaben sie einen Sinn. Sie musste wahr sein, und sei es nur, weil dieses Sternenschiff tatsächlich wie aus dem Nichts am Flussufer hinter Han Fei-tzus Haus aufgetaucht war.

»Aber jetzt musst du dich fragen«, sagte Peter, »wie ich, so ungeliebt und unliebenswert, wie ich es eingestandenermaßen bin, zu existieren begonnen habe.«

»Sie haben es bereits gesagt. Durch Enders Geist.«

»Miros intensivstes Vorstellungsbild war das seines jüngeren, gesünderen, stärkeren Selbst. Aber bei Ender … die Bilder, die in seinem Geist am wichtigsten waren, waren die seiner älteren Schwester Valentine und seines älteren Bruders Peter. Aber nicht so, wie sie später wurden, denn sein wirklicher älterer Bruder Peter war lange tot, und Valentine – sie hat Ender auf allen seinen Reisen durchs All begleitet oder ist ihm gefolgt, also lebt sie noch, ist aber so gealtert, wie auch er gealtert ist. Erwachsen. Eine reale Person. Auf jenem Sternenschiff, während jener Zeit im Außen, beschwor er indessen eine Kopie ihres jugendlichen Selbst herauf. Die junge Valentine. Arme alte Valentine! Bis sie dieses jüngere Selbst, dieses perfekte Geschöpf, diesen Engel, der von Kindheit an in Enders verkorkstem kleinen Kopf gehaust hatte, sah, hatte sie nicht gewusst, dass sie so alt geworden war. In diesem ganzen kleinen Drama, muss ich sagen, ist sie das missbrauchteste Opfer. Zu wissen, dass dein Bruder ein solches Bild von dir mit sich herumträgt, statt dich so zu lieben, wie du wirklich bist – nun, man kann sehen, dass es der alten Valentine nicht gefällt. Aber so denken jetzt alle von ihr, sie selbst, das arme Ding, eingeschlossen – man kann sehen, wie die Geduld der alten Valentine auf eine wirkliche Probe gestellt wird.«

»Aber wenn die ursprüngliche Valentine noch am Leben ist«, sagte Wang-mu verblüfft, »wer ist dann die junge Valentine? Wer ist sie wirklich? Sie können Peter sein, weil er tot ist und kein anderer seinen Namen benutzt, aber …«

»Ziemlich verwirrend, was?«, sagte Peter. »Aber ich will dir ja gerade klarmachen, dass, egal ob er nun tot ist oder nicht, ich nicht Peter Wiggin bin. Wie ich vorhin schon sagte, ich bin nicht ich selbst.«

Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und sah zur Decke hinauf. Das Hologramm über dem Terminal drehte sich, bis es ihn anblickte. Er hatte die Kontrollen nicht berührt.

»Jane ist bei uns«, sagte Wang-mu.

»Jane ist immer bei uns«, sagte Peter. »Enders Spionin.«

Das Hologramm sprach. »Ender braucht keine Spione. Er braucht Freunde, wenn er welche finden kann. Zumindest Verbündete.«

Peter streckte träge die Hand nach dem Terminal aus und schaltete es ab. Das Hologramm verschwand.

Das erschreckte Wang-mu zutiefst. Es war fast so, als hätte er einem Kind einen Klaps gegeben. Oder einen Diener geschlagen. »Jane ist ein sehr edles Geschöpf, mit dem man nicht so respektlos umgehen sollte.«

»Jane ist ein Computerprogramm mit einem Defekt, was die Identitätsroutinen anbelangt.«

Er war in einer düsteren Stimmung, dieser Junge, der gekommen war, um sie in seinem Sternenschiff mitzunehmen und sie von der Welt Weg fortzuzaubern. Aber so düster seine Stimmung auch sein mochte, jetzt, da das Hologramm vom Terminal verschwunden war, verstand sie, was sie gesehen hatte. »Es liegt nicht nur daran, dass Sie so jung sind und die Hologramme Peter Wiggins, des Hegemons, einen erwachsenen Mann zeigen«, sagte Wang-mu.

»Was«, sagte er ungeduldig. »Was liegt nicht nur woran?«

»Der Unterschied in der Erscheinung zwischen Ihnen und dem Hegemon.«

»Und worin besteht er dann?«

»Der alte Peter Wiggin wirkt – zufrieden.«

»Er hat die Welt erobert«, sagte Peter.

»Also werden Sie, wenn Sie das gleiche getan haben, auch den gleichen Ausdruck von Zufriedenheit erlangen?«

»Vermutlich«, sagte Peter. »Es ist das, was man als meinen Lebenszweck bezeichnen könnte. Es ist die Mission, auf die Ender mich ausgeschickt hat.«

»Lügen Sie mich nicht an«, sagte Wang-mu. »Am Flussufer haben Sie von den schrecklichen Dingen gesprochen, die ich getan habe, um meinen Ehrgeiz zu befriedigen. Ich gebe es zu – ich war ehrgeizig, weil ich das verzweifelte Bedürfnis hatte, mich über den furchtbaren Status meiner niedrigen Geburt zu erheben. Ich kenne seinen Geschmack und seinen Geruch, und ich rieche, dass auch Sie ihn ausdünsten, wie den Geruch von Teer an einem heißen Tag. Sie stinken danach.«

»Hat Ehrgeiz einen Geruch?«

»Ich bin ganz benommen davon.«

Er grinste. Dann berührte er das Juwel in seinem Ohr. »Denk daran, Jane hört zu, und sie erzählt Ender alles.«

Wang-mu verstummte, aber nicht, weil sie verlegen gewesen wäre. Sie wusste einfach nichts zu sagen und sagte deshalb nichts.

»Also bin ich ehrgeizig. Weil ich dies auch in Enders Vorstellung bin. Ehrgeizig und gehässig und grausam.«

»Aber ich dachte, Sie wären nicht Sie selbst«, sagte sie.

Seine Augen flammten vor Trotz auf. »Richtig, das bin ich nicht.« Er sah weg. »Tut mir leid, Gepetto, aber ich kann kein richtiger Junge sein. Ich habe keine Seele.«

Den Namen, den er nannte, verstand sie nicht, aber das Wort Seele verstand sie. »Während meiner gesamten Kindheit dachte man, ich sei von Natur aus eine Dienerin und dass ich keine Seele besäße. Dann entdeckte man eines Tages, dass ich eine habe. Bisher hat sie mir keine große Glückseligkeit gebracht.«

»Ich spreche nicht von irgendeinem religiösen Konzept. Ich spreche vom Aiúa. Ich habe keines. Vergiss nicht, was mit Miros gebrochenem Körper geschah, als sein Aiúa ihn verließ.«

»Aber Sie zerfallen nicht, also müssen Sie letztlich doch ein Aiúa haben.«

»Ich habe es nicht, es hat mich. Ich existiere weiter, weil das Aiúa, dessen unwiderstehlicher Wille mich ins Leben gerufen hat, fortfährt, mich zu imaginieren. Fortfährt, mich zu brauchen, mich zu kontrollieren, mein Wille zu sein.«

»Ender Wiggin?«, fragte sie.

»Mein Bruder, mein Schöpfer, mein Peiniger, mein Gott, mein eigentliches Selbst.«

»Und die junge Valentine? Die auch?«

»Ah, aber sie liebt er. Er ist stolz auf sie. Er ist froh, dass er sie erschaffen hat. Mich verabscheut er. Verabscheut mich, und dennoch ist es sein Wille, dass ich all die hässlichen Dinge tue und sage. Gerade dann, wenn ich am allerverächtlichsten bin. Vergiss nicht, dass ich nur das tue, was mein Bruder mich tun heißt.«

»Oh, ihm einen Vorwurf daraus zu machen …«

»Ich mache niemandem einen Vorwurf, Wang-mu. Ich spreche nur eine einfache Wahrheit aus. Sein Wille kontrolliert jetzt drei Körper. Meinen, den meiner unmöglich engelsgleichen Schwester und natürlich seinen eigenen, sehr müden Körper mittleren Alters. Jedes Aiúa in meinem Körper empfängt seinen Platz und seine Ordnung von seinem. Ich bin in jeder Hinsicht, auf die es ankommt, Ender Wiggin. Nur, dass er mich dazu geschaffen hat, das Gefäß aller Triebkräfte in ihm selbst zu sein, die er hasst und fürchtet. Seinen Ehrgeiz, ja, du riechst seinen Ehrgeiz, wenn du meinen riechst. Seine Aggressionen. Seinen Zorn. Seine Gemeinheit. Seine Grausamkeit. Seine, nicht meine, weil ich tot bin, und außerdem war ich niemals so, niemals so, wie er mich sah. Diese Person vor dir ist eine Travestie, eine Farce! Ich bin eine verzerrte Erinnerung. Ein verabscheuungswürdiger Traum. Ein Albtraum. Ich bin das Ding, das sich unter dem Bett versteckt. Er hat mich aus dem Chaos hervorgeholt, damit ich das Schreckgespenst seiner Kindheit verkörpere.«

»Dann tun Sie es doch einfach nicht«, sagte Wang-mu. »Wenn Sie all diese Dinge nicht sein wollen, dann tun Sie sie einfach nicht.«

Er seufzte und schloss die Augen. »Wenn du so klug bist, warum hast du dann nicht ein Wort von dem verstanden, was ich gesagt habe?«

Aber sie hatte verstanden. »Was ist denn überhaupt Ihr Wille? Niemand kann ihn sehen. Sie hören ihn nicht denken. Was Ihr Wille ist, wissen Sie erst hinterher, wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken und sehen, was Sie getan haben.«

»Das ist der gemeinste Streich, den er mir gespielt hat«, sagte Peter sanft, die Augen immer noch geschlossen. »Ich blicke auf mein Leben zurück und sehe nur die Erinnerungen, die er sich für mich vorgestellt hat. Er wurde aus unserer Familie weggeholt, als er gerade erst fünf Jahre alt war. Was weiß er von mir oder meinem Leben?«

»Er hat den Hegemon geschrieben.«

»Dieses Buch. Ja, es basiert auf Valentines Erinnerungen, so wie sie sie ihm mitgeteilt hat. Und den öffentlich zugänglichen Dokumenten meiner brillanten Karriere. Und natürlich den wenigen Verkürzerbotschaften zwischen Ender und meinem eigenen früheren Selbst, bevor er – ich – starb. Ich bin nur ein paar Wochen alt, und doch kenne ich ein Zitat aus Heinrich IV, Teil I. Owen Glendower, der sich Hotspur gegenüber brüstet. Henry Percy. Wie kann ich das kennen? Wann bin ich zur Schule gegangen? Wie lange habe ich nachts wach gelegen und alte Theaterstücke gelesen, bis sich meinem Gedächtnis tausend Lieblingszeilen eingeprägt hatten? Hat Ender irgendwie die gesamte Erziehung seines toten Bruders hervorgezaubert? All seine heimlichen Gedanken? Ender kannte den echten Peter Wiggin gerade einmal fünf Jahre lang. Es sind nicht die Erinnerungen einer realen Person, von denen ich zehre. Es sind die Erinnerungen, die ich nach Enders Ansicht haben sollte.«

»Er denkt, Sie sollten Shakespeare kennen, und darum tun Sie es?«, fragte sie zweifelnd.

»Wenn Shakespeare doch nur alles gewesen wäre, was er mir mitgegeben hat. Die großen Schriftsteller, die großen Philosophen. Wenn das bloß die einzigen Erinnerungen wären, die ich habe!«

Sie wartete darauf, dass er die unangenehmen Erinnerungen auflistete. Aber er schauderte nur und verfiel in Schweigen.

»Wenn Sie demnach tatsächlich von Ender kontrolliert werden, dann … sind Sie er. Dann ist das Ihr Selbst. Sie sind Andrew Wiggin. Sie haben ein Aiúa.«

»Ich bin Andrew Wiggins Albtraum«, sagte Peter. »Ich bin das, was Andrew Wiggin an sich selbst verabscheut. Ich bin alles, was er an sich selbst hasst und fürchtet. Das ist das Rollenbuch, das mir zugewiesen wurde. Das ist es, wonach ich handeln muss.«

Er spannte seine Hand zu einer Faust an, streckte sie dann ein Stück weit aus, die Finger immer noch gekrümmt. Eine Klaue. Wieder der Tiger. Und einen Augenblick lang hatte Wang-mu Angst vor ihm. Aber nur einen Augenblick lang. Er entspannte die Hände. Der Augenblick ging vorüber. »Was für eine Rolle sieht Ihr Drehbuch für mich vor?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Peter. »Du bist sehr klug. Klüger als ich, hoffe ich. Obwohl ich natürlich so unglaublich eitel bin, dass ich in Wirklichkeit nicht daran glauben kann, dass jemand tatsächlich klüger ist als ich. Was wiederum bedeutet, dass ich guten Rat um so nötiger habe, da ich mir tatsächlich nicht vorstellen kann, welchen zu brauchen.«

»Sie reden im Kreis.«

»Das ist nur ein Teil meiner Grausamkeit. Dich mit Gerede zu quälen. Aber vielleicht soll es ja darüber hinausgehen. Vielleicht soll ich dich auf die Art und Weise foltern und töten, wie ich mich so deutlich erinnere, es mit Eichhörnchen gemacht zu haben. Vielleicht soll ich dich bei lebendigem Leibe in den Wäldern anpflocken, deine Gliedmaßen an Baumwurzeln nageln und dich dann Schicht um Schicht aufbrechen, um festzustellen, an welchem Punkt die Fliegen kommen und Eier in dein ungeschütztes Fleisch legen.«

Sie schrak angesichts der Vorstellung zurück. »Ich habe das Buch gelesen. Ich weiß, dass der Hegemon kein Ungeheuer war!«

»Es war nicht der Sprecher für die Toten, der mich im Außen geschaffen hat. Es war Ender, der verängstigte kleine Junge. Ich bin nicht der Peter Wiggin, den er in jenem Buch so weise verstanden hat. Ich bin der Peter Wiggin, dessentwegen er Albträume hatte. Der, der den Eichhörnchen das Fell abgezogen hat.«

»Er hat Sie dabei beobachtet?«, fragte sie.

»Nicht mich«, sagte er unwirsch. »Und, nein, er hat nie auch nur gesehen, wie er es tat. Valentine hat ihm später davon erzählt. Sie fand den Kadaver des Eichhörnchens in den Wäldern in der Nähe ihres Kindheitsdomizils in Greensboro, North Carolina, auf dem Kontinent Nordamerika daheim auf der Erde. Aber dieses Bild passte so perfekt in seine Albträume, dass er es sich ausgeborgt und mit mir geteilt hat. Das ist die Erinnerung, mit der ich lebe. Verstandesmäßig kann ich mir vorstellen, dass der wirkliche Peter Wiggin wahrscheinlich gar nicht grausam war. Er lernte und studierte bloß. Er hatte kein Mitleid mit dem Eichhörnchen, weil er es nicht vermenschlichte. Es war einfach nur ein Tier. Nicht bedeutender als ein Salatkopf. Es aufzuschneiden, war vermutlich eine ebenso wenig unmoralische Handlung wie das Zubereiten eines Salats. Aber so hat Ender es nicht gesehen, und deshalb erinnere ich mich auch nicht auf diese Weise daran.«

»Wie erinnern Sie sich dann daran?«

»So, wie ich mich an alle meine vorgeblichen Erinnerungen erinnere. Von außen. Indem ich mich selbst mit abscheuerfüllter Faszination betrachte, während ich eine teuflische Freude an Grausamkeit empfinde. In all meinen Erinnerungen vor dem Augenblick, als ich während Enders kleiner Reise ins Außen ins Leben trat, sehe ich mich durch die Augen von jemand anders. Ein sehr merkwürdiges Gefühl, das versichere ich dir.«

»Aber jetzt?«

»Jetzt sehe ich mich überhaupt nicht«, sagte er. »Weil ich kein Ich habe. Ich bin nicht ich selbst.«

»Aber Sie erinnern sich. Sie haben Erinnerungen. An dieses Gespräch; schon jetzt erinnern Sie sich daran. Dass Sie mich anschauen. Das tun Sie doch sicherlich.«

»Ja«, sagte er. »Ich erinnere mich an dich. Und ich erinnere mich daran, hier zu sein und dich zu sehen. Aber hinter meinen Augen ist keinerlei Persönlichkeit. Ich fühle mich müde und dumm, selbst wenn ich gerade ganz besonders clever und brillant bin.«

Er lächelte ein bezauberndes Lächeln, und nun konnte Wang-mu wieder den wahren Unterschied zwischen Peter und dem Hologramm des Hegemons sehen. Es war genauso, wie er sagte: Selbst, wenn er gerade ganz besonders selbstmissbilligend war, hatte dieser Peter Wiggin Augen, die vor innerer Wut blitzten. Er war gefährlich. Man konnte es sehen, wenn man ihn nur anschaute. Wenn er einem in die Augen sah, konnte man sich vorstellen, dass er Pläne schmiedete, wie und wann man sterben würde.

»Ich bin nicht ich selbst«, sagte Peter.

»Sie sagen das, um sich selbst Zügel anzulegen«, sagte Wang-mu. Es war ein Schuss ins Blaue, aber zugleich war sie sich sicher, dass sie recht hatte. »Das ist Ihre Zauberformel, um sich davon abzuhalten, das zu tun, was Sie wirklich wollen.«

Peter seufzte und beugte sich vor, legte den Kopf auf das Terminal, das Ohr gegen die kalte Plastikoberfläche gepresst.

»Was wollen Sie wirklich?«, fragte sie, obwohl sie sich vor der Antwort fürchtete.

»Geh weg«, sagte er.

»Wo kann ich hingehen? Dieses große Sternenschiff hat nur eine Kammer.«

»Mach die Tür auf und geh nach draußen«, sagte er.

»Sie wollen mich töten? Mich ins All hinausstoßen, wo ich erfrieren werde, bevor ich genug Zeit habe zu ersticken?«

Er setzte sich auf und blickte sie erstaunt an. »Ins All?«

Seine Verwirrung verwirrte auch sie. Wo sonst sollten sie sein als im All? Das war es doch, wo die Sternenschiffe hinflogen: ins All.

Außer diesem hier natürlich.

Als er sah, wie das Begreifen sie überfiel, lachte er laut. »O ja, du bist die Allerklügste, sie haben die gesamte Welt Weg von Grund auf neu gestaltet, um deinen genialen Geist hervorzubringen!«

Sie war nicht bereit, sich provozieren zu lassen.

»Ich dachte, man würde irgendeinen Eindruck von Bewegung haben. Oder sonst etwas. Sind wir demnach schon gereist? Sind wir da?«

»Im Handumdrehen. Wir waren im Außen und sind dann an einem anderen Ort wieder ins Innen zurückgekehrt, alles so rasch, dass nur ein Computer wahrnehmen konnte, dass unsere Reise überhaupt eine Dauer hatte. Jane hat das erledigt, bevor ich das Gespräch mit ihr beendete. Bevor ich auch nur ein Wort zu dir sagte.«

»Aber wo sind wir dann? Was ist draußen vor der Tür?«

»Wir befinden uns in den Wäldern irgendwo auf dem Planeten Götterwind. Die Luft ist atembar. Du wirst nicht erfrieren. Draußen vor der Tür ist Sommer.«

Sie ging zur Tür und zog den Hebel, um die luftdichte Verriegelung zu entsperren. Die Tür öffnete sich langsam. Sonnenlicht fiel in den Raum.

»Götterwind«, sagte sie. »Ich habe davon gelesen – es wurde als shintoistische Welt gegründet, sowie Weg taoistisch sein sollte. Die Reinheit der alten japanischen Kultur. Aber ich glaube, heutzutage ist sie nicht mehr ganz so rein.«

»Was noch wichtiger ist, es ist die Welt, von der Andrew und Jane und ich das Gefühl hatten – falls man davon sprechen kann, dass ich Gefühle habe, von Enders eigenen einmal abgesehen – also jedenfalls die Welt, wo wir das Machtzentrum der vom Kongress regierten Welten finden könnten. Die wahren Entscheidungsträger. Die Macht hinter dem Thron.«

»Damit Sie sie stürzen und die Herrschaft über die menschliche Rasse übernehmen können?«

»Damit ich die Lusitania-Flotte aufhalten kann. Die Herrschaft über die menschliche Rasse zu übernehmen folgt ein bisschen später auf der Tagesordnung. Die Lusitania-Flotte ist so etwas wie ein Dringlichkeitsfall. Wir haben nur ein paar Wochen Zeit, um sie aufzuhalten, bevor die Flotte dort eintrifft und den Kleinen Doktor, das M.D.-Gerät, einsetzt, um Lusitania in seine Grundbestandteile auseinanderzupusten. Weil Ender und alle anderen damit rechnen, dass ich scheitere, bauen sie in der Zwischenzeit so schnell wie möglich diese kleinen Konservendosen-Sternenschiffe und befördern damit so viele Lusitanier, wie sie können – Menschen, Schweinchen und Krabbler – auf andere bewohnbare, aber bisher noch unbesiedelte Planeten. Meine liebe Schwester Valentine – die junge – ist mit Miro – in seinem schönen neuen Körper, der liebe Junge – losgeflogen, um neue Welten zu suchen, so schnell ihr kleines Sternenschiff sie tragen kann. Ein ziemliches Unterfangen. Und sie alle wetten auf mein – auf unser – Scheitern. Lass uns sie enttäuschen, ja?«

»Sie enttäuschen?«

»Indem wir Erfolg haben. Lass uns Erfolg haben. Lass uns das Machtzentrum der Menschheit finden, und lass uns sie davon überzeugen, die Flotte aufzuhalten, bevor sie unnötigerweise eine Welt vernichtet.«

Wang-mu blickte ihn zweifelnd an. Sie überzeugen, die Flotte aufzuhalten? Dieser gehässige Junge mit dem gefühllosen Herzen? Wie konnte er irgendjemanden von irgendetwas überzeugen?

Als könne er ihre Gedanken hören, antwortete er auf ihre stummen Zweifel. »Du siehst, warum ich dich eingeladen habe, mich zu begleiten. Als Ender mich erfand, vergaß er, dass er mich nie während jener Zeit meines Lebens gekannt hat, als ich Menschen überzeugte und sie in wechselnden Allianzen um mich scharte und diesen ganzen Unsinn. Deshalb ist der von ihm erschaffene Peter Wiggin viel zu gemein, offen ehrgeizig und unverhüllt grausam, um einen Mann mit Hämorrhoidaljucken dazu zu überreden, sich seinen eigenen Arsch zu kratzen.«

Erneut wandte sie den Blick von ihm ab.

»Siehst du?«, sagte er. »Ich verletze dich immer wieder. Sieh mich an. Verstehst du mein Dilemma? Der echte Peter, das Original, der hätte die Arbeit tun können, die zu tun ich ausgesandt worden bin. Er hätte sie im Schlaf tun können. Er würde längst über einen Plan verfügen. Er wäre fähig, Leute auf seine Seite zu ziehen, sie zu beschwichtigen, sich in ihre Ratsversammlungen einzuschmeicheln. Der Peter Wiggin konnte sogar Bienen ihren Stachel abschwatzen. Aber kann ich es? Ich zweifle daran. Denn, siehst du, ich bin nicht ich selbst.«

Er erhob sich aus seinem Sessel, schob sich grob an ihr vorbei und trat hinaus auf die Wiese, die die kleine Metallkabine umgab, die sie von Welt zu Welt getragen hatte. Wang-mu stand im Eingang und beobachtete ihn dabei, wie er sich vom Schiff entfernte; ein Stückchen, aber nicht zu weit.

Ich weiß etwas davon, wie er sich fühlt, dachte sie. Ich weiß etwas davon, wie es ist, wenn man seinen Willen in dem eines anderen aufgehen lassen muss. Für andere zu leben, als seien sie die Stars in der Geschichte deines Lebens und du nur der Darsteller einer Nebenrolle. Ich bin eine Sklavin gewesen. Aber wenigstens habe ich während jener ganzen Zeit mein eigenes Herz gekannt. Ich habe gewusst, was ich wirklich dachte, auch wenn ich tat, was sie wollten, alles, was erforderlich war, um das zu bekommen, was ich von ihnen haben wollte. Peter Wiggin aber hat keine Vorstellung davon, was er wirklich will, weil sogar sein Groll über seinen Mangel an Freiheit nicht sein eigener ist, sondern von Andrew Wiggin kommt. Sogar seine Selbstverachtung ist Andrews Selbstverachtung, und …

Und immer so weiter zurück, in Kreisen, wie die zufällige Bahn, die er durch die Wiese verfolgte.

Wang-mu dachte an ihre Herrin – nein, ihre frühere Herrin – Qing-jao. Auch sie verfolgte seltsame Muster. Das war es, wozu die Götter sie zwangen. Nein, das ist die alte Denkweise. Das war es, was ihre Zwangsneurose sie zu tun veranlasste. Sich auf den Boden zu knien und die Maserung des Holzes in jeder Diele zu verfolgen, eine einzelne Linie darin so weit zu verfolgen, wie sie über den Fußboden verlief, Linie um Linie. Es hatte nie etwas bedeutet, und doch musste sie es tun, weil sie nur durch einen derart sinnlosen, den Geist abstumpfenden Gehorsam ein Stückchen Freiheit von den Impulsen erringen konnte, die sie beherrschten. Es ist Qing-jao, die immer die Sklavin war, und nicht ich. Denn der Meister, der sie beherrschte, kontrollierte sie aus dem Innern ihres eigenen Kopfes heraus. Wohingegen ich immer meinen Meister außerhalb von mir sehen konnte, so dass mein innerstes Selbst nie davon berührt wurde.

Peter Wiggin weiß, dass er von den unbewussten Ängsten und Wünschen eines viele Lichtjahre entfernten, komplizierten Mannes regiert wird. Aber andererseits dachte auch Qing-jao, ihre Besessenheit käme von den Göttern. Was macht es für einen Unterschied, sich zu sagen, dass das Ding, das dich kontrolliert, von außen kommt, wenn du es tatsächlich nur im Innern deines eigenen Herzens erfährst? Wohin kannst du dich davor flüchten? Wie kannst du dich verstecken? Inzwischen musste Qing-jao befreit sein, befreit durch den Trägervirus, den Peter mit nach Weg gebracht und in die Hände von Han Fei-tzu gelegt hatte. Aber Peter – was für eine Freiheit kann es für ihn geben?

Und doch muss er trotzdem so leben, als ob er frei wäre. Er muss trotzdem um seine Freiheit kämpfen, selbst wenn dieser Kampf selbst bloß ein weiteres Symptom seiner Sklaverei ist. Es existiert ein Teil von ihm, der sich danach sehnt, er selbst zu sein. Nein, nicht er selbst. Ein Selbst.

Was aber ist meine Rolle bei all dem? Erwartet man von mir, ein Wunder zu bewirken und ihm ein Aiúa zu geben? Das liegt nicht in meiner Macht.

Und doch habe ich Macht, dachte sie.

Sie musste Macht haben, oder warum hätte er sonst so offen zu ihr gesprochen? Eine völlig Fremde, und er hatte ihr sofort sein Herz ausgeschüttet. Warum? Weil sie in die Geheimnisse eingeweiht war, ja, aber es spielte auch noch etwas anderes mit.

Ach ja, natürlich. Er konnte offen und ohne Hemmungen mit ihr sprechen, weil sie Andrew Wiggin nie kennengelernt hatte. Vielleicht war Peter nichts als ein Aspekt von Enders Persönlichkeit, alles, was Ender an sich selbst fürchtete und verachtete. Aber sie konnte die beiden niemals miteinander vergleichen. Was immer Peter war, wer immer ihn kontrollierte, sie war seine Vertraute.

Was sie einmal mehr zu jemandes Dienerin machte. Sie war auch Qing-jaos Vertraute gewesen.

Sie erschauerte, wie um den bedrückenden Vergleich von sich abzuschütteln. Nein, sagte sie sich. Es ist nicht dasselbe. Weil nämlich dieser junge Mann, der so ziellos zwischen den Wildblumen umherwandert, keine Macht über mich hat, es sei denn die, mir von seinem Schmerz zu erzählen und auf mein Verständnis zu hoffen. Was immer ich ihm gebe, werde ich freiwillig geben.

Sie schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen den Türrahmen. Ich werde es freiwillig geben, ja, dachte sie. Aber was beabsichtige ich ihm denn zu geben? Wieso, genau das, was er haben will – meine Loyalität, meine Hingabe, meine Hilfe bei all seinem Beginnen. Ich werde in ihm aufgehen. Und warum beabsichtige ich schon jetzt, all das zu tun? Weil er, wie sehr er auch immer an sich zweifeln mag, die Macht hat, Menschen für seine Sache zu gewinnen.

Sie öffnete die Augen wieder und schritt hinaus in das hüfthohe Gras, auf ihn zu. Er sah sie und wartete wortlos, während sie näherkam. Bienen umsummten sie; Schmetterlinge torkelten trunken durch die Luft, wobei sie ihr in ihrem scheinbar ziellosen Flug irgendwie auswichen. Im letzten Augenblick griff sie zu und nahm eine Biene von einer Blüte in die Hand, in die Faust, doch dann, bevor sie sie stechen konnte, warf sie sie Peter ins Gesicht.

Verwirrt und überrascht schlug er die wütende Biene beiseite, duckte sich unter ihr weg, wich ihr aus und lief schließlich ein paar Schritte, bis sie seine Spur verlor und wieder zwischen den Blumen davonsummte. Erst dann konnte er sich wütend zu ihr umdrehen.

»Wofür war denn das?«

Sie kicherte über ihn – sie konnte nicht anders. Es hatte so komisch ausgesehen.

»Oh, gut, lach nur. Ich sehe schon, du wirst eine nette Gesellschaft sein.«

»Seien Sie nur zornig, mir macht es nichts aus«, sagte Wang-mu. »Ich will Ihnen bloß dies eine sagen. Glauben Sie, dass weit weg auf Lusitania Enders Aiúa plötzlich ›He, eine Biene!‹ gedacht und Sie dazu veranlasst hat, sie wegzuwischen und ihr wie ein Clown auszuweichen?«

Er verdrehte die Augen. »O, was bist du clever. O Mann, Fräulein Königliche-Mutter-des-Westens, klar, jetzt hast du alle meine Probleme gelöst! Jetzt endlich kapiere ich, warum ich immer ein richtiger Junge gewesen sein muss! Und diese roten Schuhe, he, die haben schon die ganze Zeit über die Macht gehabt, mich nach Kansas zurückzubringen!«

»Was ist Kansas?«, fragte sie, wobei sie einen Blick auf seine Schuhe warf, die nicht rot waren.

»Bloß noch so eine Erinnerung Enders, die er freundlicherweise mit mir geteilt hat«, sagte Peter Wiggin.

Er stand da, die Hände in den Taschen, und blickte sie an.

Sie stand genauso stumm da, die Hände vor sich verschränkt, und erwiderte seinen Blick.

»Also bist du auf meiner Seite?«, fragte er endlich.

»Sie müssen versuchen, nicht gemein zu mir zu sein«, sagte sie.

»Mach das mit Ender aus.«

»Es ist mir egal, wessen Aiúa Sie kontrolliert«, sagte sie. »Sie haben trotzdem noch eigene Gedanken, die von seinen verschieden sind – Sie hatten Angst vor der Biene, und in jenem Augenblick hat er nicht einmal an eine Biene gedacht, und das wissen Sie. Welcher Teil von Ihnen demnach auch immer die Kontrolle hat oder wer auch immer zufällig gerade der wirkliche ›Sie‹ ist, direkt da vorn an Ihrem Kopf ist der Mund, der zu mir sprechen wird, und wenn ich mit Ihnen zusammenarbeiten soll, dann sollten Sie besser nett zu mir sein, das sage ich Ihnen ein für alle Mal.«

»Heißt das, keine Bienenkämpfe mehr?«, fragte er.

»Ja«, sagte sie.

»Das ist auch besser so. Bei meinem Glück hat Ender mir bestimmt einen Körper gegeben, der in einen Schockzustand verfällt, wenn er von einer Biene gestochen wird.«

»Es könnte auch für die Biene ziemlich unangenehm werden«, sagte sie.

Er grinste sie an. »Ich stelle fest, dass ich dich mag«, sagte er. »Ein schrecklicher Gedanke.«

Er setzte sich mit langen Schritten in Richtung Sternenschiff in Bewegung. »Los, komm!«, rief er ihr zu. »Wollen doch mal sehen, welche Informationen Jane uns über diese Welt geben kann, die wir im Sturm nehmen sollen.«

Kapitel 2

 

›Du glaubst nicht an Gott‹

 

Wenn ich dem Pfad der Götter durch das Holz folge,

Erfassen meine Augen jede verschlungene Windung der Maserung,

Aber mein Körper bewegt sich in gerader Linie entlang der Dielen,

Damit jene, die mich beobachten, sehen, dass der Pfad der Götter gerade ist,

Auch wenn ich in einer Welt ohne Geradheit lebe.

aus Der Gott flüstert von Han Qing-jao

 

Novinha wollte nicht zu ihm kommen. Die gütige alte Lehrerin wirkte aufrichtig bekümmert, als sie es Ender mitteilte. »Sie war nicht zornig«, erläuterte die alte Lehrerin. »Das hat sie mir selbst gesagt …«

Ender nickte, da er verstand, wie die Lehrerin zwischen Mitgefühl und Ehrlichkeit hin- und hergerissen wurde. »Sie können ihr meine Worte mitteilen«, sagte er. »Immerhin ist sie meine Ehefrau, also kann ich es ertragen.«

Die alte Lehrerin verdrehte die Augen. »Auch ich bin verheiratet, wissen Sie.«

Natürlich wusste er es. Alle Mitglieder des Ordens der Kinder des Geistes Christi – Os Filhos da Mente de Cristo – waren verheiratet. So lautete ihre Ordensregel.

»Ich bin verheiratet, darum weiß ich ganz genau, dass der Ehepartner der eine Mensch ist, der all die Worte kennt, die zu hören man nicht ertragen kann.«

»Dann gestatten Sie mir, mich zu korrigieren«, sagte Ender freundlich. »Sie ist meine Frau, darum bin ich entschlossen, es zu hören, ob ich es nun ertragen kann oder nicht.«

»Sie sagt, dass sie zuerst zu Ende jäten müsse, darum habe sie keine Zeit für unwichtigere Auseinandersetzungen.«

Ja, das klang ganz nach Novinha. Sie mochte sich sagen, dass sie den Mantel Christi angelegt hatte, aber wenn, dann war es jener Christus, der die Pharisäer angeprangert hatte, jener Christus, der all diese grausamen und sarkastischen Dinge gesagt hatte, zu seinen Feinden wie zu seinen Freunden, nicht der sanftmütige mit der unendlichen Geduld.

Trotzdem war Ender niemand, der einfach wegging, weil seine Gefühle verletzt worden waren. »Worauf warten wir dann noch?«, fragte Ender. »Zeigen Sie mir, wo ich eine Hacke finden kann.«

Die alte Lehrerin starrte ihn für einen langen Augenblick an, dann lächelte sie und führte ihn hinaus in den Garten. Alsbald stand er, Arbeitshandschuhe tragend und mit einer Hacke in der Hand, am Ende der Reihe, wo Novinha arbeitete, vornübergebeugt im Sonnenlicht, die Augen auf den Boden vor sich gerichtet, während sie Pflanze für Pflanze das Unkraut mitsamt der Wurzeln aushackte und es dabei wendete, um es in der glühenden Sonne verdorren zu lassen. Sie bewegte sich auf ihn zu.

Ender trat in die noch ungejätete Reihe neben der, an der Novinha arbeitete, und begann auf sie zuzuhacken. Sie würden sich nicht begegnen, aber sie würden dicht aneinander vorbeikommen. Sie würde ihn bemerken oder auch nicht. Sie würde mit ihm sprechen oder auch nicht. Sie liebte und brauchte ihn immer noch. Oder auch nicht. Aber egal was, am Ende dieses Tages würde er im selben Feld wie seine Frau gejätet haben, und ihre Arbeit würde leichter gewesen sein, weil er da gewesen war, und auf diese Weise würde er immer noch ihr Ehemann sein, wie wenig sie ihn jetzt auch immer in dieser Rolle sehen wollte.

Beim ersten Mal, als sie aneinander vorüberkamen, blickte sie nicht einmal auf. Aber andererseits war das auch gar nicht nötig. Ohne hinzusehen würde sie wissen, dass derjenige, der sich so kurz, nachdem sie sich geweigert hatte, mit ihrem Ehemann zu sprechen, beim Hacken zu ihr gesellt hatte, ihr Ehemann sein musste. Er wusste, dass sie das wissen würde, und er wusste auch, dass sie zu stolz war, ihn anzublicken und ihm zu zeigen, dass sie das Bedürfnis hatte, ihn wiederzusehen. Sie würde sich auf die Unkräuter konzentrieren, bis sie halb blind war, denn Novinha war niemand, der sich dem Willen eines anderen beugte.

Außer natürlich dem Willen Jesu. Das war die Botschaft, die sie ihm gesandt hatte, die Botschaft, derentwegen er hierhergekommen war, entschlossen, mit ihr zu sprechen. Eine kurze Notiz, abgefasst in der Sprache der Kirche. Sie trenne sich von ihm, um Christus unter den Filhos zu dienen. Sie fühle sich zu dieser Arbeit berufen. Er solle sich als jemand betrachten, der keine weitere Verantwortlichkeit ihr gegenüber habe, und nicht mehr von ihr erwarten als das, was sie allen Kindern Gottes freudig geben würde. Bei aller Liebenswürdigkeit der Formulierung war es eine kalte Botschaft.

Auch Ender war niemand, der sich leicht dem Willen eines anderen beugte. Statt der Botschaft zu gehorchen, war er hierhergekommen, fest entschlossen, das Gegenteil von dem zu tun, was sie verlangte. Und weshalb auch nicht? Was Entscheidungen betraf, hatte Novinha eine schreckliche Vergangenheit hinter sich. Wann immer sie beschlossen hatte, anderen etwas Gutes zu tun, hatte es unweigerlich damit geendet, dass sie sie zerstörte. So wie Libo, ihren Jugendfreund und heimlichen Geliebten, den Vater all ihrer Kinder während der Ehe mit dem gewalttätigen, aber sterilen Mann, der bis zu seinem Tode ihr Gatte gewesen war. Weil sie befürchtete, dass er genau wie sein Vater von der Hand der Pequeninos sterben würde, hatte Novinha ihm ihre lebenswichtigen Entdeckungen bezüglich der Biologie des Planeten Lusitania verheimlicht, da sie Angst hatte, dass dieses Wissen ihn umbringen würde.

Stattdessen war es die Unkenntnis eben jener Information gewesen, die ihm den Tod gebracht hatte. Was sie ohne sein Wissen zu seinem eigenen Besten getan hatte, hatte ihn umgebracht.

Eigentlich sollte man denken, sie hätte etwas daraus gelernt, dachte Ender. Aber sie macht immer noch das gleiche. Trifft Entscheidungen, die das Leben anderer Menschen verderben, ohne Rücksprache mit ihnen zu nehmen, ohne auch nur für einen Augenblick auf die Idee zu kommen, dass sie vielleicht gar nicht von ihr, aus welcher vermuteten Not auch immer, gerettet werden wollen.

Andererseits … wenn sie Libo ganz einfach geheiratet und ihm alles gesagt hätte, was sie wusste, wäre er vielleicht immer noch am Leben gewesen, und Ender hätte niemals seine Witwe geheiratet und ihr dabei geholfen, ihre jüngeren Kinder großzuziehen. Es war die einzige Familie, die Ender jemals gehabt hatte oder vermutlich jemals haben würde. So falsch Novinhas Entscheidungen meist auch waren, die glücklichste Zeit seines Lebens hatte er nur einem ihrer tödlichsten Fehler zu verdanken.

Bei ihrer zweiten Begegnung sah Ender ein, dass sie, dickköpfig wie sie war, nach wie vor nicht mit ihm sprechen würde, und darum gab er wie immer als erster nach und brach das Schweigen zwischen ihnen.

»Die Filhos sind verheiratet, das weißt du. Es ist ein Orden für Eheleute. Ohne mich kannst du kein volles Mitglied werden.«

Sie hielt in ihrer Arbeit inne. Das Blatt der Hacke ruhte auf unbearbeitetem Boden, der Stiel locker in ihren behandschuhten Fingern. »Ich kann die Beete auch ohne dich jäten«, sagte sie endlich.

Sein Herz machte einen Satz der Erleichterung, weil es ihm gelungen war, den Schleier aus Schweigen zu durchdringen. »Nein, das kannst du nicht«, sagte er. »Weil ich nun einmal hier bin.«

»Das hier sind die Kartoffeln«, sagte sie. »Ich kann dich nicht daran hindern, mir bei den Kartoffeln zu helfen.« Unwillkürlich lachten sie beide, und mit einem Ächzen entspannte sie ihren Rücken, richtete sich auf, ließ den Hakenstiel zu Boden fallen und nahm Enders Hand in ihre, eine Berührung, die ihm trotz zweier Lagen dicken Arbeitshandschuhstoffes zwischen ihren Handflächen und Fingern einen Schauer über den Rücken jagte.

»Entweihet meine Hand verwegen dich …«, begann Ender.

»Kein Shakespeare«, sagte sie. »Kein ›Zwei Pilger, neigen meine Lippen sich‹.«

»Ich vermisse dich«, sagte er.

»Du wirst darüber hinwegkommen«, sagte sie.

»Das muss ich gar nicht. Wenn du dich den Filhos anschließt, dann tue ich das auch.«

Sie lachte.

Ender gefiel ihre Geringschätzung nicht. »Wenn eine Xenobiologin sich von einer Welt sinnlosen Leidens zurückziehen kann, warum nicht auch ein alter, in Pension gegangener Sprecher für die Toten?«

»Andrew«, sagte sie, »ich bin nicht hier, weil ich dem Leben entsagt habe. Ich bin hier, weil ich mein Herz wahrhaftig dem Erlöser zugewendet habe. Das könntest du nie. Du gehörst nicht hierher.«

»Ich gehöre hierher, wenn du hierher gehörst. Wir haben einen Schwur getan. Einen geheiligten Schwur, den zu annullieren die Heilige Kirche uns nicht gestatten wird. Falls du das vergessen haben solltest.«

Sie seufzte und blickte über die Klostermauer hinweg in den Himmel. Jenseits der Mauer, durch Wiesen, über einen Zaun, einen Hügel hinauf, in die Wälder … das war es, wohin Libo, die große Liebe ihres Lebens, gegangen und wo er gestorben war. Wohin Pipo, sein Vater, der auch für sie wie ein Vater gewesen war, vor ihm gegangen und ebenfalls gestorben war. Ihr Sohn Estevão war in einen anderen Wald gegangen und gestorben, aber als Ender sie betrachtete, wusste er, dass es all jene Tode waren, die sie sah, wenn sie die Welt außerhalb dieser Mauern betrachtete. Zwei davon hatten sich ereignet, bevor Ender nach Lusitania kam. Aber der Tod Estevãos – sie hatte Ender angefleht, ihn daran zu hindern, an jenen gefährlichen Ort zu gehen, wo Pequeninos vom Krieg sprachen und davon, Menschen zu töten. Sie wusste genauso gut wie Ender, dass Estevão aufzuhalten gleichbedeutend damit gewesen wäre, ihn zu zerstören, denn er war nicht Priester geworden, um ein sicheres Leben zu führen, sondern vielmehr, um zu versuchen, die Botschaft Christi zu diesen Baumleuten zu tragen. Was immer an Freude die frühchristlichen Märtyrer empfunden hatten, das hatte sicherlich auch Estevão empfunden, während er langsam in der Umklammerung eines mordlüsternen Baumes starb. Was immer an Trost Gott ihnen in der Stunde ihres größten Opfers zuteilwerden ließ. Aber Novinha hatte keine solche Freude empfunden. Anscheinend dehnte Gott den Lohn für seine Dienste nicht auf die nächsten Angehörigen aus. Und in ihrer Trauer und ihrem Zorn gab sie Ender die Schuld. Warum hatte sie ihn geheiratet, wenn nicht, um sich vor derartigen Katastrophen zu schützen?

Er hatte niemals das Naheliegendste zu ihr gesagt: dass, wenn es jemanden gab, dem man die Schuld geben konnte, es Gott war, nicht er. Schließlich war es Gott, der ihre Eltern zu Heiligen – nun ja, Beinahe-Heiligen – gemacht hatte, die gestorben waren, während sie das Gegenmittel für die Descolada entdeckten, als Novinha noch ein Kind war. Gewiss war es Gott, der Estevão ausgesandt hatte, um den Gefährlichsten unter den Pequeninos zu predigen. Dennoch war es eben dieser Gott, dem sie sich in ihrer Trauer zu-, und Ender, von dem sie sich abwandte, Ender, der nichts als Gutes für sie hatte tun wollen.

Er hatte das nie ausgesprochen, da er wusste, dass sie nicht zuhören würde. Und er scheute auch davor zurück, es auszusprechen, da er wusste, dass sie die Dinge unter einem anderen Blickwinkel sah. Wenn Gott ihr den Vater und die Mutter, Pipo, Libo und schließlich auch noch Estevão genommen hatte, dann deswegen, weil Gott gerecht war und sie für ihre Sünden bestrafte. Aber wenn Ender es nicht schaffte, Estevão von seiner selbstmörderischen Mission bei den Pequeninos abzuhalten, dann deswegen, weil er blind, eigensinnig, halsstarrig und rebellisch war – und weil er sie nicht genug liebte.

Aber er liebte sie doch! Mit ganzem Herzen liebte er sie.

Mit ganzem Herzen?

Mit allem, was er davon kannte. Und doch, als bei jener ersten Reise ins Außen seine tiefsten Geheimnisse enthüllt worden waren, war es nicht Novinha gewesen, die sein Herz dort heraufbeschwor. Also gab es offensichtlich jemanden, der ihm noch mehr bedeutete.

Nun, gegen das, was in seinem Unterbewusstsein vorging, konnte er nichts machen, genauso wenig wie Novinha. Er konnte nur das kontrollieren, was er tatsächlich tat, und was er jetzt tat, war, Novinha zu zeigen, dass er sich ungeachtet der Tatsache, wie sehr sie ihn zu verscheuchen versuchte, nicht verscheuchen lassen würde. Dass, gleichgültig, wie sehr sie glaubte, dass er Jane und seine Beteiligung an den großen Fragen der menschlichen Rasse mehr liebte als sie, es nicht der Wahrheit entsprach, sie ihm wichtiger war als alles übrige. Das alles würde er für sie aufgeben. Für sie würde er hinter Klostermauern verschwinden. Er würde Reihen unbekannten pflanzlichen Lebens in der glühend heißen Sonne jäten. Für sie.

Aber selbst das reichte nicht aus. Sie bestand darauf, dass er es nicht für sie, sondern für Christus tat. Tja, zu dumm. Er war nicht mit Christus verheiratet, genauso wenig wie sie. Trotzdem konnte es Gott nicht unangenehm sein, wenn ein Mann und eine Frau einander alles gaben. Sicherlich war das ein Teil dessen, was Gott von den menschlichen Wesen erwartete.

»Du weißt, dass ich dir nicht die Schuld an Quims Tod gebe«, sagte sie, wobei sie den alten Familienspitznamen für Estevão benutzte.

»Das wusste ich nicht«, sagte er, »aber ich bin froh, es zu erfahren.«

»Zuerst tat ich es, aber ich wusste die ganze Zeit, dass es unvernünftig war«, sagte sie. »Er ging, weil er es so wollte, und er war viel zu alt, als dass ihn ein lästiger Elternteil hätte aufhalten können. Wenn ich es nicht konnte, wie hättest du es dann können sollen?«

»Ich wollte es nicht einmal«, sagte Ender. »Ich wollte, dass er ging. Es war die Erfüllung seines Lebensziels.«

»Selbst das weiß ich jetzt. Es ist richtig. Es war richtig für ihn zu gehen, und es war sogar richtig für ihn zu sterben, weil sein Tod etwas bedeutete. Nicht wahr?«

»Er hat Lusitania vor einem Völkermord bewahrt.«

»Und viele zu Christus gebracht.« Sie lachte, das alte Lachen, das volle, ironische Lachen, das er zu schätzen begonnen hatte, und sei es nur, weil es so selten war. »Bäume für Jesus«, sagte sie. »Wer hätte das voraussehen können?«

»Sie nennen ihn schon den Heiligen Stephanus der Bäume.«

»Das ist arg verfrüht. So etwas braucht Zeit. Er muss erst seliggesprochen werden. An seinem Grab müssen sich Wunderheilungen ereignen. Glaub mir, ich kenne den Ablauf.«

»Märtyrer sind heutzutage dünn gesät«, sagte Ender. »Er wird seliggesprochen werden. Er wird heiliggesprochen werden. Die Leute werden zu ihm beten, auf dass er Fürsprache bei Christus für sie einlege, und es wird funktionieren, denn wenn irgendjemand das Recht verdient hat, bei Christus Gehör zu finden, dann ist es dein Sohn Estevão.«

Sogar als sie wieder lachte, rannen ihr Tränen über die Wangen. »Meine Eltern waren Märtyrer und werden Heilige sein; mein Sohn auch. Die Frömmigkeit hat eine Generation übersprungen.«

»O ja. In deiner Generation gab es nichts als selbstsüchtigen Hedonismus.«

Endlich drehte sie sich um und blickte ihn an, mit tränenverschmierten, schmutzigen Wangen, lächelndem Gesicht, zwinkernden Augen, die bis in sein Herz hineinschauten. Die Frau, die er liebte.

»Ich bedauere meinen Ehebruch nicht«, sagte sie. »Wie kann Christus mir vergeben, wenn ich nicht einmal bereue? Wenn ich nicht mit Libo geschlafen hätte, würden meine Kinder nicht existieren. Sicherlich missbilligt Gott das nicht?«

»Ich glaube, das, was Jesus sagte, war: ›Ich, der Herr, vergebe, wem immer ich vergeben will. Aber von euch verlange ich, dass ihr allen Menschen vergebt.‹«