Entscheidung in Cornwall - Nora Roberts - E-Book

Entscheidung in Cornwall E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

Mit jedem Ton, der verhallt, verliert die schöne Sängerin Ramona Williams ihr Herz ein bisschen mehr. Warum nur hat sie sich darauf eingelassen, mit dem charismatischen Songwriter Brian zusammenzuarbeiten? Einen Soundtrack zu schreiben, der ihre Stimme und seine Musik für immer vereint? Schon einmal hat Brian ihr das Herz gebrochen. Und jetzt soll in seinem Landhaus im romantischen Cornwall alles von vorne anfangen? Die Sehnsucht, das Verlangen, die unbezähmbare Leidenschaft – und Ramonas Angst, erneut enttäuscht zu werden.

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Seitenzahl: 330

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Nora Roberts

Entscheidung in Cornwall

Roman

Aus dem Amerikanischenvon Andrea Fleming

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

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Die Originalausgabe Once More With Feeling ist bei Silhouette Books, Toronto, erschienen.

Die deutsche Erstausgabe ist im MIRA Taschenbuch erschienen.

Wilhelm Heyne Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, 

Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Copyright © 1983 by Nora Roberts

Published by Arrangement with Eleanor Wilder

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2009 by MIRA Taschenbuchin der Cora Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

Covergestaltung: Nele Schütz Design, München,

unter Verwendung eines Fotos von Thinkstock

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-12118-1V003

www.randomhouse.de/nora-roberts

1. KAPITEL

Er achtete darauf, dass sie ihn nicht sah, während er sie beobachtete. Sie hatte sich in den fünf Jahren kaum verändert. Die Zeit schien weder im Sturmschritt gelaufen noch im Schneckentempo gekrochen zu sein. Sie hatte scheinbar stillgestanden.

Ramona Williams war eine kleine, schlanke Frau, deren schnelle Bewegungen eine unterschwellige Nervosität verrieten. Ihre Haut hatte die goldene Bräune, die man nur von der kalifornischen Sonne bekommt, und mit ihren fünfundzwanzig Jahren hatte sie die weiche, taufrische Haut eines Kindes. Sie hätschelte sie, wenn es ihr gerade einfiel, und vernachlässigte sie, wenn sie sie vergaß, ihre Haut war dennoch immer gleich bleibend weich. Ramonas langes Haar war dicht, glatt und schwarz von Natur. Sie trug es meistens offen. Es reichte ihr bis an die Hüften.

In ihrem zarten Gesicht fielen besonders die hohen Wangenknochen auf. Ramona lächelte oft und gern, doch ihre Augen verrieten ihre Gefühle. Sie waren rauchgrau. Was immer Ramona empfand, spiegelte sich in diesen Augen. Sie hatte ein überwältigendes Verlangen danach, zu lieben und geliebt zu werden. Und dieses Verlangen, diese Sehnsucht waren ein Geheimnis ihres unglaublichen Erfolges. Es gab aber noch ein zweites: ihre Stimme – die herrliche, dunkle und samtene Stimme, die sie über Nacht berühmt gemacht hatte.

Ramona fühlte sich in einem Aufnahmestudio nie ganz wohl. Es glich einer Insel, war durch die gläserne Trennwand und die übrigen schalldichten Wände und Türen von der übrigen Welt abgeschnitten. Vor mehr als sechs Jahren hatte sie ihre erste Platte aufgenommen, aber sie hatte nie Gefallen an der Arbeit im Studio gefunden. Sie war für die Bühne geboren, brauchte den Kontakt mit dem Publikum, denn die Zuhörer ihrer Konzerte gaben der Musik Leben.

Für Ramona war ein Studio zu steril, sie verabscheute seine Technik. Wenn sie in einem Studio arbeitete wie eben, dann war das für sie nur ein Job. Und sie arbeitete hart.

Alles ging gut, es gab keine Schwierigkeiten. Ramona hörte so konzentriert einem Playback zu, dass die Umgebung um sie herum versank. Für sie gab es nur noch die Musik. Ich war gut, sagte sie sich, aber ich kann noch besser sein.

Etwas fehlte im letzten Lied, sie hatte etwas ausgelassen. Ohne genau zu wissen, was es war, war sie überzeugt, dass sie es finden könnte. Sie signalisierte dem Toningenieur, das Band zu stoppen.

»Marc?«

Ein blonder Mann mit der Figur eines Leichtgewichtringers kam zu Ramona in die Kabine. »Gibt’s ein Problem?«, fragte er und legte ihr leicht die Hand auf die Schulter.

»Die letzte Nummer, sie ist ein bisschen …« Ramona suchte nach dem richtigen Wort. »Sie klingt irgendwie leer«, sagte sie schließlich. »Was meinst du?«

Sie hielt viel von Marc Ridgely als Musiker, und er war ein Freund, auf den sie sich verlassen konnte. Er war ein wortkarger Mann mit einer Leidenschaft für alte Western und Salzmandeln. Viele hielten ihn für einen der besten Gitarristen des Landes.

Jetzt strich er sich nachdenklich den Bart, Ramonas Ansicht nach eine Geste, die ihm mehrere Sätze ersparte. »Mach’s noch einmal«, sagte er dann. »Der Instrumentalteil ist in Ordnung.«

Ramona lachte, und dieses Lachen klang so voll und warm wie ihre Singstimme. »Ein zwar grausames, aber gerechtes Urteil«, sagte sie, setzte den Kopfhörer wieder auf und trat vor das Mikrofon. »Noch einmal die Singstimme von ›Lieb und verlier‹«, wies sie die Tontechniker an. »Die für mich höchste Autorität hat erklärt, dass es an der Sängerin liegt, nicht an den Musikern.«

Sie sah Marc noch schmunzeln, ehe sie sich auf das Mikrofon konzentrierte, und alles andere außer der Musik wurde unwichtig.

Ramona schloss die Augen und gab sich ganz ihrem Gesang hin. Sie interpretierte eine langsame, wehmütige Ballade, ihrer rauchig tiefen Stimme angepasst. Den Text hatte sie vor langer Zeit selbst geschrieben. Erst vor Kurzem hatte sie die Kraft gehabt, ihn öffentlich zu singen. Jetzt war nur Musik in ihrem Kopf, eine Notenfolge, die sie selbst arrangiert hatte. Und als ihre Stimme dazukam, wusste sie, dass das, was vorher gefehlt hatte, ihre Gefühle gewesen waren. Sie hatte Angst gehabt, sich preiszugeben, und hatte sich zurückgehalten. Jetzt gab sie sich rückhaltlos, und ihre Stimme verlieh ihren Gefühlen Ausdruck.

Ein Hauch von Schmerz erfüllte sie. Es war ein Schmerz, der seit Jahren tief in ihr begraben gewesen war. Sie sang, als könnten die Worte sie davon befreien. Aber der Schmerz war noch da, als das Lied zu Ende war.

Sekundenlang herrschte Stille, doch Ramona war zu benommen, um zu merken, dass die Kollegen vor Bewunderung und Ergriffenheit schwiegen. Sie riss sich den Kopfhörer herunter, der ihr plötzlich unerträglich schwer vorkam.

»Bist du okay?« Marc kam wieder zu ihr in die Kabine und legte ihr den Arm um die Schultern. Er fühlte, dass sie leicht zitterte.

»Ja.« Ramona presste kurz die Finger an die Schläfen und lachte dann überrascht auf. »Ja, natürlich. Ich habe mich ziemlich hineingesteigert.«

Er küsste sie auf beide Wangen – bei einem so zurückhaltenden Mann ein seltener Beweis von Zuneigung in der Öffentlichkeit. »Du warst fantastisch.«

»Das habe ich gebraucht.«

»Den Kuss oder das Lob?«

»Beides.« Sie lachte und warf das lange Haar zurück. »Du weißt doch, dass Stars ununterbrochen bewundert werden wollen.«

»Wo ist hier ein Star?«, erkundigte sich ein Chorsänger.

Ramona bemühte sich, arrogant auszusehen, als sie zu ihm hinüberblickte. »Du«, sagte sie unheilvoll, »bist leicht austauschbar.« Der Sänger lachte nur. Er wusste, dass Ramona weder eingebildet war noch andere Starallüren hatte, und war daher nicht eingeschüchtert.

»Und auf wen wolltest du dich dann wohl bei den Aufnahmen stützen?«

Ramona wandte sich an Marc. »Nimm den Kerl mit raus, und erschieß ihn«, sagte sie sanft, dann sah sie zur Tonkabine hinauf. »Das war’s!«, rief sie.

Ihr Blick blieb an dem Mann haften, der jetzt hinter der Glasscheibe deutlich zu sehen war.

Sie wurde schneeweiß im Gesicht. Das Gefühl, das sich während des Singens wie eine halb vergessene Erinnerung in ihr geregt hatte, drohte sie nun zu überwältigen. Fast schwankte sie, so heftig war ihr innerer Aufruhr.

»Brian!«

Ihr war, als habe sie den Namen herausgeschrien, und doch hatte sie ihn nur geflüstert. Sie glaubte zu träumen. Dann begegneten sich ihre Blicke, und Ramona wusste, dass es kein Traum war. Brian war zurückgekommen.

Jahrelange Bühnenerfahrung hatte sie gelehrt, sich zu verstellen. Es fiel ihr immer schwer, anderen etwas vorzuspielen, aber als Brian Carstairs aus der Tonkabine zu ihr herunterkam, setzte Ramona ein verbindliches Lächeln auf. Um den Sturm in ihrem Innern wollte sie sich später kümmern.

»Brian, wie schön, dich wiederzusehen.« Sie streckte ihm beide Hände entgegen und hob das Gesicht, um den erwarteten bedeutungslosen Kuss eines Fremden zu empfangen, der zufällig in derselben Branche war.

Er war über ihre Gelassenheit bestürzt, denn er hatte sie blass werden, hatte den Schreck in ihren Augen gesehen. Jetzt hatte sie sich hinter einer Fassade versteckt, die er an ihr nicht kannte, und zeigte ihm eine gleichgültige Miene. Brian stellte fest, dass er sich geirrt hatte: Ramona hatte sich verändert.

»Ramona.« Er küsste sie leicht und nahm ihre Hände in die seinen. »Eine Schönheit wie die deine müsste eigentlich verboten werden.« Der leichte irische Akzent war unverkennbar. Ramona erlaubte es sich, ihn anzusehen – wirklich anzusehen.

Er war groß und fast ein bisschen zu dünn – wie früher auch. Brian hatte leicht gewelltes und ebenso dunkles Haar wie sie. Über den Ohren war es voll und dicht und reichte bis zum Hemdkragen. Sein Gesicht hatte sich nicht verändert. Es war noch immer das Gesicht, das Mädchen und Frauen dazu trieb, bei seinen Konzerten zu kreischen und ohnmächtig zu werden.

Es war knochig und von der Sonne gebräunt, nicht besonders hübsch, aber reizvoll und fesselnd, die Züge nicht sehr regelmäßig. Von seiner Mutter, die Irin war, hatte er etwas Träumerisches geerbt. Vielleicht war er deshalb für Frauen so anziehend, obwohl seine gelegentlich britische Zurückhaltung sie nicht minder faszinierte. Und die Augen!

Sogar jetzt fühlte Ramona die Anziehungskraft der großen aquamarinblauen Augen mit den schweren Lidern. Es waren beunruhigende Augen für einen Mann von solcher Ungezwungenheit. Sie schienen ständig von Blau zu Grün und wieder zu Blau zu wechseln. Doch es war sein leichtherziger Charme, der am meisten für ihn sprach. Charme und offenkundiger Sex Appeal waren eine Kombination, der niemand widerstehen konnte.

»Du hast dich nicht verändert, nicht wahr, Brian?«, fragte Ramona ruhig, und doch war diese Frage das erste und einzige Anzeichen dafür, wie tief sie innerlich aufgewühlt war.

»Komisch.« Er lächelte. Es war nicht das schnell aufblitzende Lächeln, das sie so gut kannte, sondern ein bedächtiges und nachdenkliches. »Das Gleiche habe ich gedacht, als ich dich vorhin sah. Aber ich glaube, es trifft auf uns beide nicht zu.«

»Nein.« Wie sehr wünschte sie sich, dass er ihre Hände losließe. »Was führt dich nach Los Angeles, Brian?«

»Geschäfte, mein Schatz«, antwortete er wegwerfend und tastete mit den Blicken jeden Zentimeter ihres Gesichts ab. »Und natürlich die Möglichkeit, dich wiederzusehen.«

»Natürlich.« Ihre Stimme klang kalt und höflich, und ihr Lächeln reichte nicht bis in ihre Augen.

Ihr Sarkasmus überraschte ihn. Die Ramona, die er früher gekannt hatte, hatte nicht einmal die Bedeutung dieses Wortes gekannt. Sie sah, dass er nachdenklich die Brauen in die Höhe zog. »Ich möchte dich aber sehen, Ramona«, sagte er mit unerwarteter und entwaffnender Aufrichtigkeit. »Sehr gern sogar. Können wir zusammen zu Abend essen?«

Ihr Pulsschlag hatte sich beschleunigt, als sein Tonfall sich veränderte. Nur ein Reflex, sagte sie sich, nur eine alte Gewohnheit. »Es tut mir leid, Brian«, antwortete sie sehr gelassen. »Ich habe eine Verabredung.« Sie schaute an ihm vorbei zu Marc hinüber, der sich tief über seine Gitarre neigte und mit einem zweiten Musiker frei improvisierte. Ramona hätte am liebsten laut geflucht, so frustriert war sie.

Brian folgte der Richtung, die ihr Blick nahm, und kniff kurz die Augen zusammen. »Dann eben morgen«, sagte er noch immer leichthin und ungezwungen. »Ich möchte mit dir reden.« Er lächelte ihr zu wie einem alten Freund. »Ich komme einfach bei dir vorbei.«

»Brian«, begann Ramona und wollte ihm die Hände entziehen.

»Julie ist doch noch bei dir, nicht wahr?« Brian hielt ihre Hände fest, als merke er ihren Widerstand nicht.

»Ja, ich …«

»Ich freue mich darauf, sie wiederzusehen. Erwarte mich gegen vier. Den Weg kenne ich ja.« Er lachte unbekümmert, streifte ihre Wange wieder flüchtig mit den Lippen, ließ ihre Hände los und ging davon.

»Ja«, sagte sie leise vor sich hin, »den Weg kennst du.«

Eine Stunde später fuhr Ramona durch das elektrisch betriebene Einfahrtstor, durch das man auf die Zufahrt zu ihrem Haus gelangte. Das Einzige, dem sie sich bisher bei Julie und ihrem Agenten erfolgreich widersetzt hatte, war ein Chauffeur. Ramona fuhr gern, es machte ihr Freude, den schnittigen ausländischen Wagen zu lenken und sich ab und zu dem Rausch der Geschwindigkeit hinzugeben. Sie behauptete, davon bekomme sie einen klaren Kopf.

Diesmal scheint es allerdings nicht funktioniert zu haben, dachte sie, als sie vor dem Haus hielt. Zerstreut ließ sie ihre Handtasche auf dem Beifahrersitz liegen, sprang aus dem Wagen und lief die drei Stufen zur Haustür hinauf. Sie war abgesperrt, und Ramona lief ungeduldig zum Wagen zurück und zog den Schlüssel aus dem Zündschloss, denn Auto- und Hausschlüssel hingen am selben Ring.

Die Haustür hinter sich zuknallend, ging Ramona direkt ins Musikzimmer. Sie warf sich auf das mit Seide bezogene viktorianische Sofa und starrte vor sich hin, ohne etwas zu sehen. Ein polierter Flügel beherrschte den Raum. Er wurde häufig und zu den merkwürdigsten Stunden gespielt. Tiffany-Lampen und Perserbrücken wollten nicht so recht zu dem Blumentopf mit dem Usambaraveilchen passen, das aus einem Supermarkt stammte.

Ein alter zerschrammter Musikschrank war mit Noten vollgestopft, und Noten lagen auch auf dem Fußboden. Neben dem Einhorn aus Messing, das Ramona in einem Geschenkladen entdeckt hatte, stand ein unbezahlbares Fabergé-Döschen. An einer Wand hingen Auszeichnungen: Platin- und goldene Schallplatten, Plaketten und Statuen. An der anderen Wand hingen das gerahmte Notenblatt des ersten Liedes, das sie geschrieben hatte, und ein atemberaubend schöner Picasso. Das Sofa, auf dem sie saß, hatte eine kaputte Sprungfeder.

Das ganze Zimmer war ein sonderbarer Mischmasch aus verschiedenen Stilen, aus Geschmack und Geschmacklosigkeit und für Ramona ganz typisch. Sie hatte Julie erlaubt, im ganzen Haus streng auf Stilreinheit zu achten, doch in diesem Zimmer hatte sie sich selbst verwirklicht. Sie brauchte es ebenso wie die Möglichkeit, ihren Wagen selbst zu fahren. Es half ihr, den Verstand nicht zu verlieren und nie zu vergessen, wer Ramona Williams war. Aber genauso wenig wie die Autofahrt konnte die Einrichtung heute ihre Nerven beruhigen.

Sie setzte sich ans Klavier und drosch auf die Tasten ein, dass Mozart seine eigene Musik nicht erkannt hätte. In der Art, wie sie spielte, spiegelte sich ihre Stimmung, genauso wie in ihren Augen. Auch als sie geendet hatte, schien die Luft noch von Zorn erfüllt.

»Du bist zu Hause, wie ich sehe«, sagte Julie sanft und gelassen von der Tür her. Sie betrat das Zimmer, wie sie in Ramonas Leben getreten war – ruhig, selbstsicher und selbstverständlich. Als Ramona sie vor nunmehr fast sechs Jahren kennengelernt hatte, war Julie reich und gelangweilt gewesen, eine Party-Löwin, hineingeboren in eine alte Familie, die schon immer Geld gehabt hatte. Ihre Beziehung hatte beiden etwas Wichtiges gegeben: Freundschaft und gegenseitige Abhängigkeit. Julie erledigte die unzähligen Details, die mit Ramonas Karriere zusammenhingen, und Ramona gab Julies Leben einen Sinn, der ihr in der glitzernden Welt des Reichtums gefehlt hatte.

»Hat es bei der Aufnahme Schwierigkeiten gegeben?« Julie war groß, blond, hatte eine beneidenswerte Figur und den berühmten lässigen kalifornischen Schick.

Ramona hob den Kopf, und aus Julies Gesicht wich das Lächeln. Diesen Ausdruck völliger Hilflosigkeit hatte sie schon sehr lange nicht mehr in Ramonas Augen gesehen.

»Was ist passiert?«

Ramona atmete tief ein und aus. »Er ist wieder da.«

»Wo hast du ihn gesehen?«

Julie brauchte nicht zu fragen, von wem die Rede war. Nur zweimal hatte Ramona in all den Jahren ihrer Freundschaft so trostlos ausgesehen. Einmal war ein Mann schuld daran gewesen.

»Im Studio.« Ramona fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. »Er war in der Tonkabine. Wie lange er schon da war, bevor ich ihn sah, weiß ich nicht.«

Julie schob die Unterlippe vor. »Was kann Brian Carstairs in Kalifornien wollen?«

»Keine Ahnung. Er sagte, er sei beruflich hier. Vielleicht geht er wieder auf Tournee.« Um sich ein wenig zu entspannen, rieb sie sich mit der Hand den Nacken. »Er kommt morgen zu uns.«

Julie zog die Brauen hoch. »Ach ja? Ich werde den Termin vormerken.«

»Spiel jetzt nicht die sachliche Sekretärin, Julie«, bat Ramona. »Hilf mir.«

»Willst du ihn sehen?« Es war eine praktische Frage. Julie war ein praktischer Mensch, das wusste Ramona. Sie war logisch, ordnungsliebend und verlor nie den Überblick. All das war Ramona nicht. Sie brauchten einander.

»Nein«, antwortete Ramona leidenschaftlich. Sie stieß einen Fluch aus und presste beide Hände an die Schläfen. »Ich weiß nicht«, setzte sie müde hinzu. »Du weißt, wie er ist, Julie. Oh Gott, ich dachte, es sei vorbei! Ich dachte, es sei zu Ende!«

Mit einem Laut, der wie ein Stöhnen klang, sprang sie vom Klavierhocker auf und begann im Zimmer auf und ab zu laufen. In den Jeans und der einfachen Leinenbluse sah sie nicht wie ein Star aus. In ihrem Schrank hing einfach alles – vom Overall bis zum Zobelmantel. Der Zobel war für die Künstlerin, der Overall für das Mädchen Ramona.

»Ich hatte den Schmerz begraben. Ich war so fest davon überzeugt.« Ihre Stimme klang ein wenig verzweifelt. Sie konnte es einfach noch nicht glauben, dass sie auch noch nach fünf Jahren so verletzlich war. Sie brauchte ihn nur wiederzusehen, und alles brach wieder in ihr auf. »Ich wusste ja, dass ich ihm früher oder später irgendwo begegnen würde.«

Wieder fuhr sie sich mit den Fingern durch das Haar und hörte nicht auf, hin und her zu gehen wie ein gefangenes Tier. »Ich glaube, ich habe mir immer vorgestellt, es würde irgendwo in Europa passieren … in London zum Beispiel, auf einer Party oder bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung. Ihn dort zu sehen hätte mich nicht so überrascht, dort hätte ich ihn erwartet. Vielleicht wäre es leichter gewesen. Aber heute blickte ich einfach auf, und da war er. Und ich sang ausgerechnet das verdammte Lied, das ich schrieb, nachdem er mich verlassen hatte.« Sie lachte und schüttelte den Kopf. »Ist das nicht verrückt?«

Es blieb lange still zwischen ihnen, dann fragte Julie: »Was wirst du tun?«

»Tun?« Ramona wirbelte herum und sah sie an. »Ich werde gar nichts tun. Ich bin kein Teenager, der noch an das große Glück glaubt.« Ihre Augen blickten noch düsterer, doch ihre Stimme war allmählich fester geworden. »Ich war kaum zwanzig Jahre alt, als ich Brian kennenlernte, und ich war blind verliebt in sein Talent. Er war in einer Zeit nett zu mir, in der ich verzweifelt einen Menschen brauchte, der nett zu mir war. Ich war von ihm und von meinem Erfolg überwältigt.«

Sie strich das schwere lange Haar über die Schulter zurück. »Ich war zu dem, was er von mir wollte, noch nicht bereit. Nicht bereit für eine körperliche Beziehung.« Sie ging zu dem Einhorn aus Messing und strich mit der Fingerspitze über seinen Widerrist. »Da verließ er mich eben«, fuhr sie leise fort, »und ich war tief verletzt. Alles, was ich sah und vielleicht auch sehen wollte, war, dass er mich nicht verstand, mich nicht genug liebte, um wissen zu wollen, warum ich Nein sagte. Aber das war unrealistisch.« Enttäuscht aufseufzend wandte sie sich zu Julie um. »Warum sagst du nichts?«

»Du kommst allein sehr gut zurecht.«

»Na schön.« Ramona schob die Hände tief in die Taschen und marschierte zum Fenster. »Eins habe ich damals daraus gelernt: Wenn man nicht verletzt werden will, darf man niemanden nahe an sich heranlassen. Du bist der einzige Mensch, bei dem ich diese Regel nie angewandt habe, und du bist die Einzige, die mich nie enttäuscht, nie im Stich gelassen hat … Ich war vor Jahren irrsinnig in Brian verliebt. Vielleicht war es auch eine Art Liebe, aber die Liebe eines jungen Mädchens, die man leicht beiseiteschiebt. Es war ein Schock, ihn heute wiederzusehen, besonders nachdem ich eben dieses Lied gesungen hatte …« Ramona unterdrückte alle Gefühle und wandte sich vom Fenster ab. »Wenn Brian morgen kommt, soll er sagen, was er zu sagen hat, dann kann er wieder gehen. Es ist zu Ende.«

Julie musterte Ramona forschend. »Ist es wirklich zu Ende?«

»Oh ja.« Ramona lächelte. Sie war nach dem Gefühlsausbruch ein bisschen müde, aber zuversichtlicher. Sie hatte sich wieder gefasst. »Ich mag mein Leben genau so, wie es ist, Julie. Er wird es nicht aus den Fugen bringen. Das soll ihm diesmal nicht gelingen. Ihm nicht und keinem anderen Menschen.«

2. KAPITEL

Ramona hatte sich sehr sorgfältig angezogen, sich jedoch damit beschwichtigt, dass sie es nicht Brians wegen tat, sondern weil sie später zur Kostümprobe musste und sich hinterher mit ihrem Agenten zum Essen traf. Sie wusste, dass sie sich selbst belog, doch die schicken Sachen gaben ihr Selbstvertrauen.

In einem Kleid von Yves Saint Laurent konnte man sich einfach nicht verletzlich und hilflos fühlen.

Zu einer wollweißen Seidenhose und einer orchideenfarbenen Bluse trug sie einen breiten Gürtel und sorgfältig ausgewählten Schmuck. So angezogen kam sie sich unverwundbar vor. Du hast einen weiten Weg zurückgelegt, hatte sie gedacht, während sie sich im Schlafzimmerspiegel betrachtete.

Als sie jetzt in Wayne Metcalfs elegantem Probierraum stand, dachte sie es wieder – doch diesmal betraf es auch Wayne. Sie und er hatten zusammen angefangen: Ramona, indem sie sich ihren Lebensunterhalt in drittklassigen Clubs und verrauchten Piano-Bars »ersang«, er als Kellner, der Modeentwürfe zeichnete, die niemand sehen wollte. Aber Ramona hatte sie gesehen, sie hatten ihr gefallen, und sie hatte sie nie vergessen.

Zu der Zeit, da Wayne eben anfing, sich kümmerlich mit Modeentwürfen durchzuschlagen, war Ramonas erste Konzerttournee in der Planung. Die erste berufliche Entscheidung, die sie traf, ohne sich von anderen beraten zu lassen, war die Wahl ihres Designers. Sie hatte es nie bedauert. Wie Julie war Wayne mit Ramona eng genug befreundet, um einiges über ihr Privatleben zu wissen. Und wie Julie war er unerschütterlich loyal.

Ziellos schlenderte Ramona durch den mit wirklich erlesenem Geschmack ausgestatteten Raum. In den ersten Räumen von »Metcalf Designs« hat es ganz anders ausgesehen, dachte sie. Auf dem Boden hatte kein Teppich gelegen, an den gelackten Wänden keine signierten Stiche gehangen, und vor dem Panoramafenster hatte sich nicht ganz Beverly Hills ausgebreitet, dieser Spielplatz der Reichen und Schönen. Es war ein kleines, schlecht belüftetes Zimmer über einem griechischen Restaurant gewesen.

Ramona erinnerte sich noch deutlich der fremdartigen Düfte, die durch die Wände zu sickern schienen, und sie hörte die seltsam faszinierende Musik, die durch die abgetretenen Fußbodendielen drang.

Ramonas Stern war mit dieser ersten Konzerttournee nicht allmählich aufgegangen, er war wie ein Komet emporgeschossen. Der Ruhm war so schnell gekommen, dass sie kaum Zeit gehabt hatte, ihn zu begreifen, geschweige denn zu genießen – Tourneen, Proben, Hotelzimmer, Reporter, Menschenmassen, Fans, unglaubliche Geldsummen und unmögliche Forderungen. Sie hatte dieses Leben geliebt, obwohl sie von den vielen Reisen oft zum Umfallen müde war und manchmal nicht genau wusste, wo sie sich eigentlich befand. Und obwohl die Fans einem manchmal Angst machen konnten mit ihrer hemmungslosen Begeisterung. Trotz allem hatte sie dieses Leben geliebt.

Wayne, der nach der ersten Tournee, die er für Ramona ausgestattet hatte, mit Aufträgen überschüttet wurde, war bald aus dem Zimmer über den Moussaka- und Souflaki-Düften ausgezogen. Seit sechs Jahren entwarf er fast jedes Kleidungsstück, das Ramona trug, und obwohl er jetzt eine Menge Personal und eine Unmenge Arbeit hatte, kümmerte er sich noch um jedes Detail ihrer Garderobe.

Während sie auf ihn wartete, ging Ramona an die Bar und schenkte sich ein Ginger Ale ein. Trotz der zahllosen Verabredungen zum Essen in den elegantesten Restaurants, trotz stundenlang dauernder Plattenaufnahmen trank Ramona nur sehr selten Alkohol. In dieser Beziehung hatte sie sich fest in der Hand.

Die Vergangenheit, dachte sie, ist nie sehr weit weg, zumindest solange nicht, wie ich mir um Mutter Sorgen machen muss. Sie schloss die Augen und wünschte, die Gedanken genauso leicht verdrängen zu können.

Wie lange schon lebte sie in dieser ständigen Angst? Sie wusste es nicht mehr, sie schien immer da gewesen zu sein, ein Leben ohne sie war für Ramona unvorstellbar. Sie war noch sehr klein gewesen, als sie entdeckte, dass ihre Mutter nicht so war wie andere Mütter. Und schon als kleines Mädchen hatte sie den süßlichen Alkoholatem verabscheut, gegen den bei ihrer Mutter die stärksten Pfefferminzdrops nicht mehr halfen. Sie hatte sich vor dem geröteten Gesicht gefürchtet, dem zuerst weinerlich liebevollen und dann bösartigen Ton. Und am schlimmsten hatte sie die spöttischen oder mitleidigen Blicke der Freunde und Nachbarn gefunden.

Ramona drückte die Fingerspitzen gegen die Stirn. So viele Jahre. So viel vergeudete Zeit. Und jetzt war ihre Mutter wieder verschwunden. Wo war sie? In welchem heruntergekommenen Hotel hatte sie sich verkrochen, um zu trinken und das, was noch von ihrem Leben übrig war, durch Alkohol zu zerstören? Ramona gab sich größte Mühe, die Gedanken an ihre Mutter beiseitezuschieben, aber die schrecklichen Bilder, die furchtbaren Szenen ließen sich nicht vergessen.

Als die Tür aufflog und Wayne hereinkam, zuckte Ramona zusammen.

Er lehnte sich an die Klinke. »Sehr schön«, sagte er bewundernd. »Hast du dich für mich so schick gemacht?«

Mit einem Laut, der halb wie ein Schluchzen, halb wie ein Lachen klang, ging sie auf ihn zu und umarmte ihn. »Natürlich für dich«, antwortete sie. »Wer außer dir würde es noch so zu schätzen wissen?«

»Wenn du dich für mich herausgeputzt hast, hättest du ruhig eines von meinen Modellen anziehen können«, beklagte er sich, erwiderte aber ihre Umarmung. Er war sehr groß und sehr schmal, und er musste sich ziemlich tief bücken, um ihr den obligaten flüchtigen Kuss zu geben. Noch nicht dreißig, hatte er ein anziehendes Gesicht, braunes Haar und tiefbraune Augen. Durch die linke Augenbraue zog sich eine kleine weiße Narbe, die ihm, wie er hoffte, ein verwegenes Aussehen verlieh.

»Eifersüchtig?«, fragte Ramona lachend und trat einen Schritt zurück. »Ich dachte, darüber seist du erhaben.«

»So groß, dass man darüber erhaben ist, kann man gar nicht werden.« Er gab sie frei und ging zur Bar. »Zieh wenigstens den Mantel aus.«

Ramona tat ihm den Gefallen und warf den Mantel so achtlos auf einen Stuhl, dass Wayne zusammenzuckte. Er musterte sie mit einem langen Blick, während er sich ein Glas Champagner einschenkte.

Ramona drehte sich langsam wie ein Mannequin um die eigene Achse. »Nun, wie habe ich mich gehalten?«, fragte sie.

»Ich hätte dich verführen sollen, als du achtzehn warst.« Er seufzte und trank einen Schluck Champagner. »Dann müsste ich es nämlich nicht ununterbrochen bereuen, dass du mir durch die Finger geschlüpft bist.«

Sie griff nach ihrem Ginger Ale. »Du hast deine Chance gehabt, Freund.«

»Damals war ich zu stark im Stress und viel zu erschöpft.« Er zog die Braue auf unnachahmlich gekonnte Art hoch. »Jetzt bin ich besser ausgeruht.«

»Zu spät«, antwortete sie und stieß mit ihrem Glas leicht an das seine. »Und du hast ja auch viel zu viel mit dem Wettbewerb ›Das Modell der Woche‹ zu tun.«

»Mit diesen Mädchen, die nur aus Haut und Knochen bestehen, gehe ich doch nur wegen der Publicity aus.« Er nahm sich eine Zigarette und zündete sie mit einer eleganten Bewegung an. »Im Grunde bin ich ein Mensch, der die Zurückgezogenheit liebt.«

»Dazu wäre einiges zu sagen, aber ich passe«, meinte Ramona spitzbübisch lächelnd.

»Das ist sehr klug von dir«, erwiderte er. »Wie ich höre, ist Brian Carstairs in der Stadt.«

Ramonas Lächeln schwand. »Das hat sich aber schnell herumgesprochen.«

»Bist du okay?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Vor ein paar Minuten hast du mich sehr schön gefunden, und jetzt musst du fragen, ob ich okay bin?«

»Ramona«, er legte die Hand auf die ihre, »du warst fix und fertig, als er ging. Ich habe es miterlebt, vergiss das nicht.«

»Wie könnte ich das vergessen?« Ihre Stimme verlor den neckenden Unterton. »Du warst damals sehr gut zu mir, Wayne. Ich glaube nicht, dass ich es ohne dich und Julie geschafft hätte.«

»Das ist es nicht, was ich meine, Ramona. Ich möchte wissen, wie du dich jetzt fühlst.« Er drehte ihre Hand um und verflocht seine Finger mit den ihren. »Ich könnte mein Angebot erneuern, ihm alle Knochen im Leib zu brechen, wenn du willst.«

Sie lachte gerührt und belustigt. »Ich bin überzeugt, dass du ein echter Killer bist, Wayne, aber es ist nicht nötig.« Unbewusst straffte sie die Schultern. Es war eine Geste des Stolzes, die Wayne heimlich lächeln ließ. »Diesmal breche ich nicht zusammen.«

»Liebst du ihn noch?«

Auf eine so direkte Frage war sie nicht vorbereitet gewesen. Sie senkte den Blick, und es dauerte eine Weile, ehe sie antwortete. »Die bessere Frage wäre, ob ich ihn je geliebt habe.«

»Das wissen wir doch beide«, erwiderte Wayne und hielt ihre Hand fest, als sie sich abwenden wollte. »Wir sind schon so lange Freunde. Mir ist nicht gleichgültig, was dir passiert.«

»Mir wird nichts passieren.« Sie sah ihn wieder an. »Absolut nichts. Brian ist Vergangenheit. Und wer wüsste besser als ich, dass man vor der Vergangenheit nicht weglaufen kann? Wer aber wüsste auch besser damit fertigzuwerden?« Sie drückte ihm die Hand. »Komm, und zeig mir jetzt die Modelle, in denen ich, wie du behauptet hast, sensationell aussehen werde.«

Nach einem letzten forschenden Blick in ihr Gesicht ging Wayne zu einem polierten Chippendale-Tisch und drückte auf den Knopf eines Wechselsprechgeräts. »Bringen Sie mir die Sachen von Miss Williams.«

Ramona hatte seinerzeit die Entwürfe und die dafür vorgesehenen Stoffe natürlich gutgeheißen, dennoch war sie überrascht, als sie die extravaganten fertigen Modelle sah, die alle für ihre Bühnenauftritte bestimmt waren. Sie fand, dass sie in Waynes hell erleuchtetem, elegantem Probierraum mit den unzähligen Spiegeln, die ihr Bild zurückwarfen, in Feuerrot mit Silber recht merkwürdig aussah.

Aber sie hatte ja auch einen merkwürdigen Beruf in einer merkwürdigen Branche.

Ramona betrachtete die Frau in den Spiegeln und hörte nur mit halbem Ohr zu, was Wayne vor sich hin murmelte, während er hier etwas enger steckte, dort etwas ausließ und an ihr herumzupfte. Ihre Gedanken begannen in die Vergangenheit zu wandern …

Vor sechs Jahren war sie ein verängstigtes junges Mädchen gewesen, das ein Album aufgenommen hatte und damit an die Spitze der Hitparaden vorgestoßen war. Eine hastig vorbereitete Tournee lag vor ihr, mit der ihr Manager und die Plattenfirma ihre Beliebtheit fördern wollten. Alles war so schnell geschehen – der typische Erfolg, der über Nacht kommt. Wenn man die Zeit nicht zählte, in der sie in verrauchten und stickigen Kneipen darum gerungen hatte, wenigstens ein bisschen bekannt zu werden. Ramona war fest entschlossen, allen zu beweisen, dass sie keine Eintagsfliege war.

Ihre Romanze mit Brian Carstairs hatte ihrer noch jungen, nicht gefestigten Karriere nicht geschadet. Für kurze Zeit hatte sie sie zur Kronprinzessin der Popmusik gemacht. Über ein halbes Jahr lang waren ihre Gesichter auf dem Titelblatt jeder Illustrierten erschienen. Sie hatten darüber gelacht, besonders über alberne Schlagzeilen wie: »Ramona und Brian planen ein Liebesnest«.

Der Schwarm von Reportern, der ihnen überallhin folgte, die ständigen Blitzlichter und das Klicken der Kameras hatten sie jedoch ignoriert, weil sie glücklich waren und nur Augen füreinander hatten. Nachdem Brian Ramona verlassen hatte, war es mit Fotos und Schlagzeilen noch lange nicht zu Ende gewesen. Im Gegenteil, die Medien hatten mit kalten, grausamen Worten Ramonas Schmerz ans Licht gezerrt.

Im Lauf von Monaten und Jahren war sie zur ernsthaften Künstlerin gereift und selbst zu einer Berühmtheit geworden. Das ist das Entscheidende, sagte sie sich. Nur das ist wichtig. Meine Karriere, mein Leben. Sie war durch eine harte Schule gegangen und hatte gelernt, die Dinge in der richtigen Reihenfolge zu sehen.

Ramona schlüpfte in den schwarzen Anzug, der dem Overall eines Fallschirmspringers nachempfunden war. Er saß wie eine zweite Haut. Pailletten blitzten bei jeder Bewegung. Der Anzug war, wie Ramona feststellte, als sie sich im Spiegel betrachtete, unglaublich sexy.

»Ich darf vor der Tournee kein Gramm zunehmen«, sagte sie, drehte sich um und musterte sich von der Seite. Nachdenklich raffte sie ihr Haar zusammen. »Wayne …« Er kniete vor ihr und steckte den Saum an den Hosenbeinen fest. Seine Antwort bestand aus einem kurzen Brummen. »Wayne, ich weiß wirklich nicht, ob ich den Mut habe, dieses Ding zu tragen.«

»Dieses Ding«, sagte er, stand auf und zupfte ein bisschen am Ärmel herum, »ist fantastisch.«

»Ich wollte deine künstlerischen Fähigkeiten nicht infrage stellen«, sagte sie und lächelte, als er zurücktrat, um sie konzentriert und sachlich von Kopf bis Fuß zu betrachten. »Aber es ist ein bisschen …« Sie sah sich wieder im Spiegel an. »Es ist ein bisschen zu eindeutig.«

»Du hast einen sehr hübschen Körper, Ramona.« Wayne begutachtete die Rückenansicht seiner Schöpfung. »Nicht alle meine Kundinnen könnten das tragen, ohne dass man da oder dort ein bisschen nachhelfen müsste. Okay, du kannst es ausziehen. Es ist perfekt.«

Als sie die weiße Hose und die orchideenfarbene Bluse wieder anzog, sagte Ramona: »Wer weiß mehr über die Geheimnisse unserer Körper als der Mann, der uns anzieht?«

»Wer weiß mehr über deine Geheimnisse, Schätzchen?«, fragte Wayne zerstreut, während er sich zu jedem einzelnen Kleidungsstück Notizen machte. »Frauen neigen dazu, schwatzhaft zu werden, wenn sie nur halb bekleidet sind.«

»Oh, was hast du für hübschen aufregenden Klatsch gehört?« Ramona ging zu ihm und lehnte sich, während sie sich den Gürtel zuschnallte, freundschaftlich an seine Schulter.

»Babs Curtain hat einen neuen Liebhaber«, murmelte er wie beiläufig, noch immer über seine Notizen gebeugt.

»Wen?«, fragte sie wie elektrisiert und blickte ihn an.

»Tut mir leid, das darf ich nicht verraten.«

»Scheusal! Wie kannst du mir das antun? Machst mich zuerst neugierig und dann …«

»Ich habe drei heilige Eide geschworen, dass ich schweige, und sie mit Schneiderkreide besiegelt.«

»Ich bin sehr enttäuscht von dir.« Ramona holte ihren Mantel.

»Lauren Chase hat eben den Vertrag für die Hauptrolle in dem Musical ›Fantasie‹ unterschrieben.«

Ramona blieb auf dem Weg zur Tür stehen und fuhr herum. »Was!« Sie stürzte zu Wayne zurück und riss ihm das Notizbuch aus der Hand.

»Fast habe ich mir gedacht, dass das deine besondere Aufmerksamkeit erregen wird«, erklärte er trocken.

»Oh Wayne!«, stieß sie hervor. »Ich gäbe mehrere Jahre meines jungen Lebens dafür, die Musik schreiben zu dürfen. Lauren Chase … ja, sie ist genau die Richtige für die Rolle. Wer schreibt die Lieder, Wayne, wer instrumentiert das Stück?« Sie packte ihn bei den Schultern und machte die Augen zu. »Los, sag es mir! Ich kann’s verkraften.«

»Ich weiß es nicht. Du tust mir verdammt weh, Ramona«, fügte er hinzu und löste ihre Finger aus der dünnen Seide seines Hemdes.

»Er weiß es nicht!«, stöhnte Ramona und misshandelte ihren Hut so unbarmherzig, dass Wayne zusammenzuckte und eine Verwünschung ausstieß. »Das ist schrecklich, das ist geradezu entsetzlich! Irgendein unbekannter Liedermacher, der keine Ahnung hat, was für dieses großartige Drehbuch richtig ist, sitzt jetzt schon irgendwo am Klavier und macht unentschuldbare Fehler.«

»Es besteht immerhin die ganze schwache Möglichkeit, dass derjenige Talent hat«, meinte er und erntete einen tödlichen Blick.

»Auf wessen Seite bist du?«, fragte sie und warf sich schwungvoll den Mantel um die Schultern.

Er lachte, griff nach ihr und küsste sie auf die Wange. »Geh nach Hause, und stampf mit dem Fuß auf, dann fühlst du dich wohler.«

Sie gab sich große Mühe, nicht zu lächeln. »Ich gehe zu deiner Konkurrenz und kaufe mir dort eine Kreation«, drohte sie ihm.

»Ich verzeihe dir, dass du das gesagt hast«, erwiderte er mit einem theatralischen Seufzer. »Denn ich habe ein Herz aus purem Gold.«

Sie lachte, winkte ihm lächelnd zu und ließ ihn dann mit den schönen Kostümen und seinem Notizbuch allein.

Im Haus war es sehr still, als Ramona zurückkam. Der leichte Geruch nach Zitronenöl und Fichtennadeln sagte ihr, dass bis vor Kurzem die Reinmachefrau am Werk gewesen war. Wie gewohnt warf sie einen Blick ins Musikzimmer und stellte zufrieden fest, dass nichts verändert worden war. Sie liebte die »künstlerische Unordnung«, die dort herrschte.

Ramona hatte das Haus gekauft, weil es so groß war und man praktisch von jedem Raum in den Garten gelangen konnte. Nichts erinnerte sie hier an die Räume, in denen sie aufgewachsen war und in denen man Angst bekommen konnte, so eng waren sie gewesen. Und es roch sauber. Nicht antiseptisch, das hätte sie abscheulich gefunden. Doch in der Luft hing weder kalter Zigarettenrauch noch der abstoßend süßliche Geruch von billigem Alkohol. Es war ihr Haus, genauso wie es ihr Leben war.

Noch einmal umfasste ihr Blick das Zimmer, und sie freute sich, ohne einen besonderen Grund dafür zu haben. Ich bin glücklich, dachte sie, einfach glücklich, dass ich lebe.

Sie nahm eine Rose aus einer Porzellanvase und begann zu singen, als sie durch die Diele ging.

Beim Anblick von Julies schmalen, bloßen Füßen, die in der Bibliothek auf der Kante der Schreibtischplatte lagen, blieb Ramona stehen, zögerte aber hineinzugehen. Julie telefonierte, winkte Ramona jedoch rasch herein.

»Tut mir leid, Mr Cummings, Miss Williams lehnt Werbeverträge strikt ab. Ja, ich bin überzeugt, dass es sich um ein erstklassiges Produkt handelt.« Julie blickte von ihren rot lackierten Fußnägeln auf und bemerkte Ramonas belustigtes Lächeln. Sie verdrehte die Augen, und Ramona ließ sich im Schneidersitz in einem riesigen Clubsessel nieder. Die Bibliothek mit der warmen Mahagonitäfelung und den antiken Möbeln war Julies Reich. Und es passt zu ihr, dachte Ramona, sich noch tiefer in den Sessel kuschelnd.

»Selbstverständlich werde ich dafür sorgen, dass sie von Ihrem Angebot erfährt, aber ich muss Sie noch einmal darauf aufmerksam machen, dass Miss Williams hier feste Grundsätze hat.« Mit einem letzten gereizten Blick zur Decke legte Julie auf. »Wenn du nicht darauf bestündest, dass ich zu allen Leuten nett bin, die dich anrufen, hätte ich diesem Kerl ganz schön den Marsch geblasen«, fauchte sie.

»Gibt es Probleme?«, fragte Ramona lächelnd und schnupperte an ihrer Rose.

»Wenn du frech bist, ruf ich zurück und sage ihm, du wirst mit großem Entzücken für sein Heilschlammschaumbad werben«, drohte Julie und verschränkte die Hände am Hinterkopf.

»Gnade!«, flehte Ramona und schüttelte die hochhackigen Schuhe von den Füßen. »Du siehst müde aus«, fügte sie hinzu, als sie sah, wie Julie sich streckte. »Hattest du viel zu tun?«

»Lauter blödsinnige Nichtigkeiten, wie sie vor einer Tournee immer im letzten Moment noch auftauchen.« Mit einem Achselzucken ging sie über die Schwierigkeiten hinweg, mit denen sie zu tun gehabt hatte. »Ich habe dich noch gar nicht gefragt, wie die Plattenaufnahmen ausgefallen sind. Ihr seid fertig, nicht wahr?«

»Ja.« Ramona holte tief Atem und drehte den Rosenstiel zwischen den Fingern. »Es ging großartig. Seit meiner ersten Aufnahme war ich nie wieder so zufrieden mit mir. Es war ein Glücksfall.«

»Ein Glücksfall? Du hast hart daran gearbeitet.« Julie musste an die unzähligen Nächte denken, in denen Ramona Lieder und Arrangements geschrieben hatte und nicht vor Morgengrauen ins Bett gekommen war.

»Manchmal kann ich’s einfach nicht glauben«, fuhr Ramona leise und sehr nachdenklich fort. »Ich höre mir einfach ein Playback an, und es ist alles da … die Streicher, die Bläser, die Rhythmusgruppe, der Hintergrundchor, und ich kann einfach nicht glauben, dass ich das bin. Ich habe unvorstellbares Glück gehabt.«

»Du hast Talent«, korrigierte Julie.

»Talent haben viele«, gab Ramona ihr zu bedenken. »Aber sie schaffen es nicht. Sie hocken immer noch in einer tristen Bar herum und warten. Und wenn sie kein Glück haben, kommen sie dort nie heraus.«

»Es gibt auch noch Eigenschaften wie Energie, Beharrlichkeit und Mut.« Ramonas Mangel an Selbstsicherheit machte Julie wütend. Sie war fast von Anfang an mit ihr zusammen, und das waren immerhin sechs Jahre. Viele Kämpfe und Enttäuschungen hatte sie miterlebt, wusste um die Ängste, die Unsicherheit und harte Arbeit, die hinter dem äußeren Glanz steckten. Julie kannte Ramona Williams in- und auswendig.

Das Läuten des Telefons unterbrach Julies Gedanken über eine Lektion in Selbstvertrauen. »Das Gespräch kommt über deine Privatleitung«, sagte sie zu Ramona und drückte auf den Knopf. »Hallo?« Ramona schien zu erstarren, entspannte sich aber wieder, als sie Julie lächeln sah. »Hi, Henderson. Ja, sie ist hier. Bleib dran. Dein fleißiger Agent will dich sprechen, Ramona.«

Julie legte den Hörer auf den Schreibtisch, stand auf und schlüpfte in ihre Sandalen. Als Ramona sich eben aus dem tiefen Sessel erhob, klingelte es an der Haustür.

»Ich schätze, das ist Brian«, sagte Ramona und ließ sich mit bewundernswerter Leichtigkeit in den Sessel fallen, den Julie eben geräumt hatte. »Sagst du ihm bitte, dass ich gleich komme?«

»Aber selbstverständlich.« Julie verließ das Zimmer, doch Ramonas Stimme folgte ihr in die Diele hinaus.

»Wo habe ich sie liegen lassen? In deinem Büro? Also ich weiß wirklich nicht, warum ich überhaupt eine Handtasche trage, Henderson.«