Entwicklungspsychologie des Jugend- und jungen Erwachsenenalters - Peter Noack - E-Book

Entwicklungspsychologie des Jugend- und jungen Erwachsenenalters E-Book

Peter Noack

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Beschreibung

Welche Verläufe nimmt die Entwicklung im Jugend- und jungen Erwachsenenalter, was sind wesentliche Erklärungsansätze und wie lässt sich Entwicklung in dieser dynamischen Phase des Lebens fördern? Im Lehrbuch werden theoretische und empirische Perspektiven auf diese und weitere Fragen vorgestellt. Sie betreffen verschiedene Aspekte und Kontexte der Entwicklung, die teils dem traditionellen Themenkanon entstammen, wie auch solche, die bislang eher seltener Beachtung finden wie beispielsweise Entwicklung der Berufsorientierung oder der sexuellen Identität und Orientierung. Alle Kapitel verbindet ein biopsychosoziales Verständnis der Entwicklung junger Menschen als Prozess, den aktive Individuen in Interaktion mit ihren Alltagsumwelten vorantreiben. Die Kapitel wurden inhaltlich zudem mit lebendigen und lebensnahen Zitaten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen illustriert, die zeigen, wie diese zu den Herausforderungen dieser Lebensphase stehen.

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Seitenzahl: 670

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Kohlhammer Standards Psychologie

 

Begründet von

Weitergeführt von

Herausgegeben von

Theo W. Herrmann (†)

Marcus Hasselhorn

Marcus Hasselhorn

Werner H. Tack

Herbert Heuer

Wilfried Kunde

Franz E. Weinert (†)

Frank Rösler

Silvia Schneider

 

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

https://shop.kohlhammer.de/standards-psychologie

Die Autor:innen

V.l.n.r: Peter Noack, Bärbel Kracke, Karina Weichold

 

Professor Dr. Peter Noack, lehrt Pädagogische Psychologie am Institut für Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

 

Professorin Dr. Bärbel Kracke, hat den Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena inne.

 

Apl. Professorin Dr. Karina Weichold, leitet den Arbeitsbereich Jugendforschung am Institut für Psychologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Peter Noack Bärbel Kracke Karina Weichold

Entwicklungspsychologie des Jugend- und jungen Erwachsenenalters

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Pharmakologische Daten, d. h. u. a. Angaben von Medikamenten, ihren Dosierungen und Applikationen, verändern sich fortlaufend durch klinische Erfahrung, pharmakologische Forschung und Änderung von Produktionsverfahren. Verlag und Autoren haben große Sorgfalt darauf gelegt, dass alle in diesem Buch gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist, da menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen sind, können Verlag und Autoren hierfür jedoch keine Gewähr und Haftung übernehmen. Jeder Benutzer ist daher dringend angehalten, die gemachten Angaben, insbesondere in Hinsicht auf Arzneimittelnamen, enthaltene Wirkstoffe, spezifische Anwendungsbereiche und Dosierungen anhand des Medikamentenbeipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen und in eigener Verantwortung im Bereich der Patientenversorgung zu handeln. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

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1. Auflage 2024

 

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

 

Print:

ISBN 978-3-17-030143-6

 

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-030144-3

epub:     ISBN 978-3-17-030145-0

Inhaltsverzeichnis

Lesehinweise

Dank

Einleitung

I        Grundlegende Entwicklungsprozesse

1        Pubertät: Normative biologische Entwicklungsprozesse

Einführung

1.1        Sexuelle Reifung und körperliche Entwicklung

1.1.1      Geschlechtsspezifische reproduktive Systeme

1.1.2      Längenwachstum und Körperproportionen

1.1.3      Veränderung innerer Organsysteme

1.1.4      Gehirnentwicklung

1.2        Auslöser der körperlichen Veränderungen: Hormonelle Prozesse

1.3        Psychosoziale Konsequenzen fortschreitender körperlicher Entwicklung in der Pubertät

Fazit

Weiterführende Literatur

2        Pubertät: Interindividuelle Variationen

Einführung

2.1        Zeitpunkt, Geschwindigkeit und Synchronie der Pubertätsentwicklung

2.2        Ursachen für Unterschiede

2.2.1      Populationsweite Variationen

2.2.2      Interindividuelle Variationen: Fokus psychosoziale Faktoren

2.3        Konsequenzen von Unterschieden im Zeitpunkt der Pubertät

2.4        Konsequenzen von Unterschieden in der Geschwindigkeit und der Synchronie der körperlichen Entwicklung in der Pubertät

2.5        Ausgewählte Moderatoren der Beziehung zwischen Pubertät und Fehlanpassung

2.5.1      .Pubertät bei Jugendlichen in Gender- und sexuellen Minoritäten

2.5.2      Pubertät bei Jugendlichen aus verschiedenen Kulturen

2.6        Pubertätserziehung

Fazit

Weiterführende Literatur

3        Kognitive Entwicklung

Einführung

3.1        Über die Welt nachdenken – Kognitive Entwicklung als strukturelle Veränderung in Denkprozessen

3.1.1      Denkentwicklung als aktive individuelle Konstruktionsleistung in Auseinandersetzung mit der Umwelt

3.1.2      Das Denken über die soziale Welt

3.2        Der Welt Informationen entnehmen – Informationsverarbeitungsansätze

3.2.1      Informationsaufnahme

3.2.2      Arbeitsgedächtnis

3.2.3      Metakognition

3.3        Sich in der Welt verhalten – Entscheidungen treffen, Risiken eingehen

Fazit

Weiterführende Literatur

II        Lebenswelten

4        Familie

Einführung

4.1        Familienformen

4.1.1      Verbreitete Varianten familialer Beziehungen

4.1.2      Trennung der biologischen Eltern

4.1.3      Adoption und Pflege

4.2        Entwicklung der Beziehungen zu den Eltern im Jugendalter

4.2.1      Konflikte zwischen Eltern und Kindern im Jugendalter

4.2.2      Individuation der Eltern-Kind-Beziehungen im Jugendalter

4.3        Einflüsse der Eltern auf Jugendliche

4.3.1      Sozialisation Jugendlicher durch ihre Eltern

4.3.2      Elterlicher Erziehungsstil

4.3.3      Weitere Sozialisationsprozesse

4.3.4      Jugendliche zwischen Eltern und Gleichaltrigen

4.4        Jugendliche und andere Familienmitglieder

4.4.1      Jugendliche und Geschwister

4.4.2      Jugendliche und Großeltern

Fazit

Weiterführende Literatur

5        Peers

Einführung

5.1        Soziale Beziehungen zu Peers – Formen und Entwicklung

5.1.1      Freundschaften

5.1.2      Freundschaftsgruppen

5.1.3      Soziale Geflechte Jugendlicher

5.2        Peers als Sozialisationskontext

5.2.1      Peerbeziehungen als soziales Übungsfeld

5.2.2      Peers und Identitätsentwicklung

5.2.3      Peers als Ratgeber und soziale Unterstützung

5.3        Virtuelle Peerbeziehungen und Netzwerke

5.3.1      Die Rolle der digitalen Medien im Alltag Jugendlicher

5.3.2      Persönlich vs. virtuell

5.3.3      Risiken der digitalen Interaktion

Fazit

Weiterführende Literatur

6        Partnerschaft

Einführung

6.1        Entwicklung von und in romantischen Partnerschaften

6.1.1      Theoretische Modelle zur Funktion und Entwicklung von romantischen Partnerschaften

6.1.2      Die Bedeutung von Peers für romantische Beziehungen

6.1.3      Partnerschaftsstatus

6.1.4      Länge und Anzahl von Beziehungen

6.1.5      Qualität romantischer Beziehungen

6.1.6      Gestaltung jugendlicher Paarbeziehungen

6.1.7      Individuelle und soziale Einflüsse auf die Qualität von romantischen Beziehungen

6.1.8      Rolle der Eltern

6.1.9      Rolle der Peers

6.1.10    Beziehungen und Konsequenzen für die psychosoziale Entwicklung

6.2        Romantische Partnerschaften von LGBTQI+-Jugendlichen

6.2.1      Paarbeziehungen von homo- und bisexuellen Jugendlichen

6.2.2      Paarbeziehungen von trans- und genderdiversen Jugendlichen

6.3        Paarbeziehungen im späten Jugend- und frühen Erwachsenenalter

Fazit

Weiterführende Literatur

7        Schule

Einführung

7.1        Schule als Sozialisationskontext

7.1.1      Historische Perspektiven

7.1.2      Struktur und Organisation

7.1.3      Weitere Merkmale von Schule als Erfahrungsraum

7.2        Individuelle Einflussfaktoren von Lernen und psychosozialer Anpassung

7.2.1      Intelligenz und Vorwissen

7.2.2      Selbstkonzept

7.2.3      Motivationale Aspekte

7.3        Klima und soziale Beziehungen in Klasse und Schule

7.3.1      Schul- und Klassenklima

7.3.2      Peerbeziehungen

7.3.3      Beziehungen zwischen Lehrer:innen und Schüler:innen

7.4        Schule und außerschulische Kontexte

7.4.1      Familie

7.4.2      Vernetzung mit dem lokalen Umfeld

Fazit

Weiterführende Literatur

8        Berufsorientierung, Ausbildung und Studium

Einführung

8.1        Entwicklung von beruflichen Orientierungen

8.1.1      Einflussfaktoren im berufsbezogenen Entwicklungsprozess

8.1.2      Berufswahlkompetenz in Bildungsinstitutionen fördern

8.2        Übergang von Schule in Ausbildung

8.3        Persönlichkeitsentwicklung in Ausbildung und Studium

8.3.1      Berufliche Sozialisation in der Berufsausbildung

8.3.2      Sozialisation im Studium

Fazit

Weiterführende Literatur

9        Freizeit und Medien

Einführung

9.1        Freizeitaktivitäten Jugendlicher

9.2        Jugendfreizeit: Einflussfaktoren und Konsequenzen

9.3        Jugendliche und Medien

Fazit

Weiterführende Literatur

III       Psychosoziale Entwicklung

10      Selbstkonzept und Identität

Einführung

10.1      Selbstkonzept (Definition, Selbstkonzeptaspekte, Entwicklungsverläufe, Einflussfaktoren)

10.1.1    Theoretische Perspektiven

10.1.2    Entwicklung des Selbstkonzepts

10.1.3    Einflüsse auf das Selbstkonzept

10.2      Identität (Identitätstheorien – Status- vs. Prozesstheorien)

10.2.1    Identitätstheorien

10.2.2    Einflüsse auf die Identitätsentwicklung

10.3      Soziale Identität

10.4      Ethnische Identität

10.5      Sexuelle Identität

Fazit

Weiterführende Literatur

11     Entwicklung von Moral, Werten und politischen Orientierungen

Einführung

11.1      Moralentwicklung im Jugendalter

11.1.1    Kognitive moralische Urteilstheorien

11.1.2    Domänentheorie

11.1.3    Moralische Urteile

11.1.4    Moralische Motivation

11.2      Werte

11.2.1    Inhalte von Werten

11.2.2    Werte und Verhalten

11.2.3    Wie entstehen Werte?

11.3      Politische Orientierungen Jugendlicher

11.3.1    Politisches Engagement Jugendlicher – Befunde aus den Shell Jugendstudien

11.3.2    Familie als Kontext der politischen Sozialisation

11.3.3    Der Einfluss von Peers auf das politische Engagement im Jugendalter

11.3.4    Schule als politischer Sozialisationskontext

Fazit

Weiterführende Literatur

12      Sexualität

Einführung

12.1      Bevor »es« losgeht – Aufklärung und Wissen über Sexualität

12.2      Sexuelle Aktivität in Jugend- und jungem Erwachsenenalter

12.2.1    Schwärmen, Verliebtheit, Fantasien

12.2.2    Autosexualität

12.2.3    Intime Körperkontakte ohne Geschlechtsverkehr

12.2.4    Erster Geschlechtsverkehr, Abstinenz und Verhütung

12.2.5    Sexualleben nach dem »ersten Mal«

12.3      Prädiktoren sexueller Aktivität im Jugendalter

12.3.1    Individuelle Faktoren

12.3.2    Kontextuelle Faktoren

12.4      Entwicklungspfade bis ins Erwachsenenalter

12.5      Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität

12.6      Sexualerziehung und Prävention von riskantem sexuellem Verhalten bei Jugendlichen

Fazit

Weiterführende Literatur

13     Psychosoziale Anpassung: Problemverhalten und positive Entwicklung

Einführung

13.1      Problemverhalten

13.1.1    Allgemeine Prävalenzen

13.1.2    Allgemeine Entwicklungsmodelle

13.1.3    Drei spezifische Problemlagen

13.2      Positive Jugendentwicklung

Fazit

Weiterführende Literatur

Verzeichnisse

Literatur

Verzeichnis der Kästen

Lesehinweise

Wie geht man am besten daran, ein Lehrbuch zur Entwicklung im Jugend- und jungen Erwachsenenalter zu schreiben? Zunächst muss es inhaltlich Hand und Fuß haben und informationshaltig mit Blick auf einschlägige Theorien und empirische Befunde sein. In dieser Hinsicht waren wir recht zuversichtlich, da alle drei Autor:innen auf einen lange Jahre zurückreichenden Hintergrund in Forschungen zu Entwicklung und Sozialisation im Jugendalter verweisen können. Eine größere Herausforderung bestand jedoch darin, Texte zu erstellen, die für Leser:innen nachvollziehbar strukturiert und angenehm lesbar sowie didaktisch ansprechend aufbereitet und mit aktuellen Beispielen aus den Lebenswelten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen illustriert sind.

Mit diesem Ziel haben wir auf eigene Theorie- bzw. Methodenkapitel verzichtet und die entsprechenden Inhalte in die thematischen Kapitel an jeweils passenden Stellen eingebaut. Diese beginnen im ersten Teil des Lehrbuchs mit Darstellungen zu grundlegenden Entwicklungsprozessen im betrachteten Entwicklungsabschnitt, den normativen biologischen Veränderungen der Pubertät und den interindividuellen Unterschieden sowie der kognitiven Entwicklung. Im zweiten Teil wenden wir uns den aus unserer Sicht wichtigsten Lebenswelten Jugendlicher zu, von denen bedeutsame Einflüsse auf die Entwicklung ausgehen: Familie, Freund:innen und andere Gleichaltrige, Partnerschaften, Schule, Ausbildung und Beruf sowie Freizeit und Medien. Der dritte Teil des Lehrbuchs versammelt zur psychosozialen Entwicklung wichtige Entwicklungsbereiche wie Selbstkonzept und Identität, Werte und politische Orientierungen, Sexualität und Problemverhalten sowie positive Entwicklung.

Um einen lebendigen und lebensnahen Einstieg in die jeweiligen Themen zu finden, kommen am Anfang eines jeden Kapitels Jugendliche und junge Erwachsene im Altersbereich zwischen 11 und 27 Jahren zu Wort. Sie finden dazu Snapshot-Zitate aus Kurzinterviews mit Jugendlichen und einem zugehörigen Foto. Darüber hinaus haben wir versucht, weitere solcher Stellungnahmen im Originalton an passenden Stellen in die Kapitel einzufügen. Sämtliche Interviews wurden 2022 von Karina Weichold einzeln in einer vertrauensvollen Gesprächssituation durchgeführt und aufgezeichnet. Die Fotos entstanden in natürlichen Settings von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in und um Jena. Wir erhoffen uns davon, dass so nicht der Eindruck entsteht, dieses Lehrbuch vermittle blutleere Theorien und Untersuchungsergebnisse. Vielmehr soll es Ihnen leichter fallen, einen Bezug zum realen Leben junger Menschen, ihren Meinungen, Vorstellungen und Reflexionen über das Erwachsenwerden in der heutigen Zeit in Deutschland herzustellen.

Mit dem Ziel, das Durcharbeiten der Kapitel zu erleichtern, sind weiterhin jeweils zu Kapitelbeginn eine Reihe von Lernzielen formuliert, an denen man sich beim Lesen orientieren kann. Am Kapitelende sind weiterhin einige Fragen und Anregungen zur Reflexion aufgeführt. Für jene, die ein behandeltes Thema vertiefen möchten, sind über die Basisliteratur hinausreichende Hinweise auf weiterführende Literatur sowie passende Links im Internet angegeben. Schließlich werden aus unserer Sicht besonders wichtige Aussagen in den einzelnen Kapiteln durch graphische Hervorhebungen in der Art von Take-Home-Messages deutlich gemacht.

Es gibt in diesem Lehrbuch zwar kein eigenes Kapitel zu Methoden der Jugendforschung, aber Sie finden in jedem Kapitel mindestens einen, graphisch gesondert hervorgehobenen Kasten »Methoden«. Dort wird jeweils eine, vielleicht nicht allen Leser:innen bekannte, Untersuchungs- oder Auswertungsstrategie vorgestellt mit inhaltlichem Bezug zum behandelten Themenfeld, wie beispielsweise Mehrebenenanalyse, Netzwerkanalyse oder Metaanalyse. Darüber hinaus werden in den Methoden-Kästen auch umfassendere methodische Probleme themenspezifisch diskutiert, etwa kulturvergleichende Studien oder die Zuverlässigkeit von Selbstauskünften. Da wir der Überzeugung sind, dass die Methodendarstellungen auch für sich genommen mit Gewinn lesbar sind, gibt es für diese Textkästen auch ein eigenes Verzeichnis, sodass man sie direkt finden und gezielt aufsuchen kann. Ein weiteres festes Element in einem jeden Kapitel sind Textkästen zur »Prävention«. Dort werden passend zum Kapitelthema Interventionsmaßnahmen vorgestellt und bewertet. Die erfolgreichen und nachweislich effektiven Maßnahmen sollen instruktiv aufzeigen, wie Erkenntnisse zu Entwicklungsmechanismen möglichst hilfreich zur Förderung und Unterstützung Jugendlicher umgesetzt werden können sowie der Prävention von Anpassungsproblemen in der Praxis dienen.

Verteilt über die Kapitel finden sich systematisch auch noch andere Arten von hervorgehoben markierten Kästen. Unter der Überschrift »Definition« werden im Text und im Fach häufig anzutreffende Begriffe in kurzer Form erläutert. In den Kästen »Fokus« behandeln wir thematische Aspekte, die wir informativ finden und separat inhaltlich vertiefen und diskutieren möchten. In den Kästen »Studien« stellen wir im Kurzformat einschlägige empirische Studien als herausragende Beispiele für das jeweilige Thema vor. Beide Arten von Einschüben sind – wie auch die anderen Kästen zu Definitionen, Methoden und Prävention - als sinnvolle Ergänzungen zum laufenden Text des Lehrbuches gedacht, die nicht in den Lesefluss eingreifen. Abbildungen und Tabellen begleiten die Kapitel mit Übersichten und relevantem Zahlenmaterial. Wir hoffen, dass Sie mit diesem Lehrbuch gut arbeiten können und wünschen Ihnen eine interessante und spannende Lektüre zum Thema Entwicklung in Jugend und jungem Erwachsenenalter!

Dank

Sie können sich sicher vorstellen, dass die Fertigstellung eines solchen Lehrbuchs ein ausgesprochen aufwändiges Unterfangen ist. Der dafür in Anspruch genommene Zeitraum hat sich länger hingezogen, als wir dafür zunächst geplant hatten. Umso mehr sind wir dankbar für die Geduld und stets freundliche und aufbauende Unterstützung, die wir seitens der Mitarbeiter:innen des Kohlhammer-Verlags, insbesondere Frau Kathrin Kastl und Frau Manuela Pervanidis, erfahren haben. Bevor das Manuskript an den Verlag ging, gab es natürlich endlose Runden, in denen die Entwürfe zur Kontrolle und Rückmeldung zirkulierten. Den Bärenanteil der Arbeit hat allerdings Falk Burkhardt übernommen, sozusagen als ›hauseigener‹ Lektor, der mit strengem Auge und großer Sachkenntnis die diversen Buchteile geprüft und organisiert hat. Ihm gebührt ein besonderes Dankeschön. Dankbar sind wir auch den Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die bereit waren, ihre Sicht auf unsere Themen beizusteuern und damit das Lehrbuch lebendig erscheinen lassen. Es ist alles andere als selbstverständlich, dass sie sich für das Buch auch fotografisch verewigen ließen. Ein herzlicher Dank geht daher an Alexander, Cevin, Clemens S., Clemens W., Eddie, Elias, Ganymed, Hannah, Hannes, Helene, Hermine, Immanuel, Kilian, Konstantin, Laura, Lea, Leonard, Lili, Lilly, Louisa, Lucy, Lukas, Marie, Nhat Tien, Oskar, Philip, Tobias, Valentina, Victoria, Zoe und Zoey.

Abschließend möchten wir noch einem Kollegen danken, ohne den es dieses Lehrbuch sicher nicht gäbe. Eingangs wurde bereits erwähnt, dass wir seit Langem in der Jugendforschung tätig sind. Angeregt wurde das bei uns allen von Prof. Dr. Rainer Silbereisen, der uns das Forschungsfeld nahegebracht, uns in seine Denkweisen eingeführt und unsere Promotionen in diesem Feld angeleitet hat.

Einleitung

Man soll Verantwortung übernehmen, Pflichten, andere Aufgaben, die man als Kind nicht übernehmen musste. Man muss den Gesamteindruck vermitteln, alles unter Kontrolle zu haben, dann ist man erwachsen. Für meine Zukunft wünsche ich mir, einen Abschluss zu haben und ein glückliches, erfülltes Leben zu führen, mit allen Facetten, die man sich vorstellen kann. Victoria, 19

Victoria

Am Anfang eines Lehrbuchs zum Jugend- und jungen Erwachsenenalter steht praktisch immer eine Definition des Gegenstands, insbesondere der zeitlichen Zuordnung bzw. Abgrenzung des Jugendalters zu anderen Lebenszeitabschnitten. Traditionell bezieht sich das Jugendalter ungefähr auf die zweite Lebensdekade des Menschen. Oft wird das Einsetzen des pubertären Reifungsschubs als Beginn dieser Entwicklungsphase angesetzt. Auch wenn dahingehend eine weitgehende Übereinstimmung im Feld herrscht, erweist sich selbst diese Festlegung als nicht vollkommen eindeutig. Angesprochen sind in dem Fall vor allem die äußerlich wahrnehmbaren Anzeichen körperlicher Reifung. Im historischen Trend verlagerten sich diese körperlichen Veränderungen immer weiter nach vorn und erste hormonelle Umstellungen sind schon ein paar Jahre früher festzustellen, können also bereits vor dem Teenageralter beginnen (Kap. 1, Pubertät: Normative biologische Entwicklungsprozesse).

Schwieriger noch ist die Bestimmung der oberen Grenze der Phase. Als Marker wurde früher die Elternschaft angesehen, die jedoch heute für die große Mehrheit junger Menschen erst Thema in den Dreißigern wird. Ebenso ist mit dem Erreichen der Volljährigkeit, also bei uns mit dem Abschluss des 18. Lebensjahres, ein letztlich willkürlicher Schnitt gesetzt. Dem stehen starke interindividuelle Unterschiede in Timing und Dauer biopsychosozialer Reifeprozesse und insbesondere eine fortgesetzte Umstrukturierung des Gehirns bis mindestens Mitte Zwanzig gegenüber. So markiert die Volljährigkeit höchstens gesetzlich definierte, gesellschaftliche Erwartungen, steht aber kaum für einen abgeschlossenen Entwicklungsschritt. In diesem Zusammenhang wird die Jugend auch als »longest decade« bezeichnet, was impliziert, dass eine Altersbegrenzung der Jugend auf die zweite Lebensdekade heute nicht mehr angemessen ist (Steinberg, 2016). Entsprechend beschäftigen wir uns in diesem Lehrbuch auch mit dem jungen Erwachsenenalter, das allerdings noch schlechter zeitlich zu definieren ist (früher grob bis Mitte/Ende der dritten Lebensdekade verortet).

Zutreffender ist vielmehr davon auszugehen, dass es sich bei der offensichtlich immer längeren, über die zweite Lebensdekade hinausgehende Jugendphase nicht um ein klar von der Erwachsenenphase abgrenzbares Entwicklungsfenster handelt, sondern, zumindest an der oberen Altersgrenze, um einen eher graduellen Übergang. Daher hat es sich eingebürgert, bei Definitionen mehr auf die Bewältigung von sog. »Entwicklungsaufgaben« zu fokussieren als auf Altersgrenzen.

Das der Pädagogik entlehnte Entwicklungsaufgabenkonzept (Havighurst, 1948; Hurrelmann & Quenzel, 2018) bezeichnet Anforderungen, die sich aus dem Zusammenspiel von Prozessen der biologischen Reifung, sozialen Erwartungen sowie individuellen Zielsetzungen ergeben. Beispiele hierfür sind die Auseinandersetzung junger Menschen mit der eigenen biologischen Entwicklung sowie eine Haltung zum veränderten eigenen Körper zu entwickeln, die persönliche Positionierung in der Welt der Gleichaltrigen zu finden oder eine Orientierung mit Blick auf das Feld von (Aus-)Bildung und Beruf zu erlangen. Allein diese Beispiele machen deutlich, dass die diversen Aufgaben nicht mit dem 18. Geburtstag als abgeschlossen gelten können, sondern sich die Auseinandersetzung mit ihnen bis ins junge Erwachsenenalter hineinzieht. Hinzu kommt, dass das Erreichen eher gesellschaftlich definierter Entwicklungsaufgaben im Spiegel persönlicher Ziele und Pläne für das eigene Leben zu sehen ist. So muss z. B. im Jugendalter nicht notwendigerweise Partnerschaft initiiert werden, wenn dies nicht den Wünschen für das eigene Leben der einzelnen Person entspricht.

Die Verlängerung der Jugendphase über das zweite Lebensjahrzehnt hinaus gilt umso mehr in Zeiten zunehmend langer Ausbildungsgänge, zunehmend späterer fester Partnerschaften und ebenfalls späterer Erstelternschaft. Entsprechend wurde in der jüngeren Vergangenheit das Konzept der »emerging adulthood« (Arnett, 2007) eingeführt, das sich entwickelnde Erwachsenwerden und -sein, das sich auf jugendartige Entwicklungsphänomene im Alter zwischen 20 und 30 Jahren bezieht und das frühe Erwachsenenalter als eine Phase der Selbstfindung, der fehlenden Festlegungen sowie des subjektiven »Dazwischen« versteht. Dieses Konzept scheint jedoch vor allem die Situation junger Erwachsener eines bestimmten, privilegierten sozioökonomischen Hintergrunds angemessen zu beschreiben (Hendry & Kloep, 2007).

Das Konzept der Entwicklungsaufgaben ist häufig als zu stark normativ kritisiert worden. Zutreffend ist sicherlich, dass formulierte Listen von Entwicklungsaufgaben die gesellschaftliche Realität für normative Übergänge an einem gegebenen Ort zu einer gegebenen Zeit spiegeln. Entsprechend wurden in der Folgezeit »neue« Entwicklungsaufgaben postuliert, die die Lebensrealität Jugendlicher in einem veränderten Umfeld einfangen sollen (z. B. Konsum, Partizipation, vgl. Hurrelmann & Quenzel, 2018). Eine deutlich wahrnehmbare gesellschaftliche Veränderung besteht mit Blick auf Entwicklungsaufgaben auch darin, dass ihre Bewältigung unter heutigen Bedingungen in gewissem Maße ergebnisoffen ist. Während noch vor etwa zwei, drei Generationen die Ausgestaltung der Entwicklungsaufgaben hinsichtlich akzeptabler und möglicher Lösungen weniger Spielräume zuließ, etwa in der Auseinandersetzung mit der Orientierung auf Partnerschaft oder auf eine spätere berufliche Tätigkeit, ist nunmehr zu konstatieren, dass sich Jugendliche heute zwar fast ausnahmslos ebenfalls mit diesen Fragen auseinandersetzen müssen, zugleich aber auch wenig verbreitete, individuelle Ergebnisse dieser Prozesse denkbar sind, was zudem bedeuten würde, dass anstehende Entwicklungsaufgaben bewältigt sind und als weitgehend abgeschlossen gelten können.

Wenig Zweifel besteht indessen daran, dass eine fehlende oder schwierige Auseinandersetzung mit solchen Entwicklungsfragen zu eher ungünstigen Prognosen Anlass gibt. Tragen junge Menschen solche Anforderungen in ihrem weiteren Leben mit sich, kommen neue hinzu, die unter Umständen auch nicht gelöst werden. Eine zeitliche Häufung von ungelösten Entwicklungsaufgaben kann sich dann leicht zu einer Überforderung entwickeln. Das gilt nicht zuletzt in einer Lebensphase, in der sich junge Menschen ohnehin vergleichsweise vielen Aufgaben und Veränderungen zu stellen haben, wie z. B. zu Beginn des Jugendalters (Simmons, Burgeson, Carlton-Ford & Blyth, 1987; Silbereisen & Eyferth, 1986), und damit das Risiko für die Entwicklung vielfältiger Anpassungsprobleme an sich schon hoch ist (Weichold & Blumenthal, 2018b).

Umso mehr interessiert sich die Jugendforschung seit langem dafür, Faktoren zu finden, die die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung von Problemen im Jugend- und jungen Erwachsenenalter erhöhen, mit dem Ziel, diese im Rahmen von Präventionsbemühungen anzuvisieren. Daneben sind aber auch solche Faktoren relevant, die mit einer gelungenen, positiven Entwicklung in diesem Lebensabschnitt einhergehen. Dies wird beispielsweise im Konzept der »Positiven Jugendentwicklung« expliziert, das eine positive Sicht auf Jugendliche und ihr Potential für eine gelungene Anpassung unterstreicht – und damit dem oft negativen, problembehafteten Stereotyp von Jugend in unserer Gesellschaft und auch der Forschung entgegenwirkt. Grundlegend für eine positive Entwicklung sind Stärken und Kompetenzen in der Person, aber zugleich auch Optionen für positive Erfahrungen, Partizipation und Unterstützungen aus den verschiedenen Lebensumwelten junger Menschen. Person und Kontext beeinflussen sich hierbei explizit wechselseitig und bedingen in Interaktion ein gelungenes, erfolgreiches und glückliches Erwachsenwerden (Lerner et al., 2021).

Ich bin erwachsen, weil ich meinen eigenen Haushalt führen kann, ich erledige Behördengänge allein und organisiere meine Arztbesuche allein und ich kann alleine leben, fühle mich abgekapselt von Zuhause. Ich fühle mich gut in der Stellung, in der ich jetzt bin. Trotzdem verstehe ich mich mit meinen Eltern gut, fahre regelmäßig heim, bleibe aber dort nicht zu lange, weil ich es sehr genieße, ein eigenes Leben zu führen. Meine Freunde sind mir dabei wichtig, meine Stütze, mein soziales Netz. Ohne die würde es mir sehr viel schlechter gehen. Lucy, 21

Clemens S., Lucy, Nhat Tien, Ganymed

Auch das Entwicklungsaufgabenkonzept weist auf eine aktive Rolle junger Menschen im Laufe ihrer eigenen Entwicklung hin. Sie sind nicht einfach Spielbälle äußerer Einflüsse, sondern setzen sich Ziele und gestalten Wege zu diesen proaktiv mit. Silbereisen (1986) brachte dies mit der Formel »Entwicklung als Handlung im Kontext« gut greifbar auf den Punkt. Mit dieser Formulierung machte er zudem noch eines deutlich: Entwicklung (nicht nur im Jugendalter) ist ohne Kontext nicht denkbar. Sie ist stets Ergebnis einer Interaktion zwischen dem aktiven Individuum und seinem sozialen und physischen Umfeld. Damit sind nicht nur die sozialen Erwartungen gemeint, die schon in das Entwicklungsaufgabenkonzept eingehen. Eltern, Schule, Peers, Medien und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stellen Möglichkeiten bereit, stellen jungen Menschen Barrieren in den Weg, geben Informationen und dienen als Modelle für die Gestaltung von Entwicklung (vgl. auch Lerner et al., 2021). Das Zusammenspiel dieser Komponenten macht eine biopsychosoziale Perspektive (vgl. Kracke, 2003) auf Entwicklung aus, wie sie inzwischen in der Disziplin eine weite Verbreitung gefunden hat und die auch das vorliegende Buch prägt. Vor diesem Hintergrund werden auf der Ebene der Person biologische Prozesse stärker in den Fokus genommen, beispielsweise mit Blick auf Genetik oder neuronale und hormonelle Systeme sowie in Interaktion mit psychologischen und sozialen Geschehnissen in Jugend und jungem Erwachsenenalter.

Richtungsweisend sind hierbei Modellvorstellungen und die empirische Forschung von Laurence Steinberg und Kolleg:innen. Steinberg sieht die erhöhte Risikobereitschaft, die typisch für Jugend- und junges Erwachsenenalter ist (was jedoch nicht nur negative Folgen haben muss), als Resultat zeitlich versetzter biologischer Reifeprozesse (körperliche Reife vs. cerebral gesteuerte Kompetenzen zur Selbstkontrolle). Letztere bilden sich erst viel später nach der körperlichen Reife, zu einem Zeitpunkt, an dem in der Regel die Umwelt (bes. Familie und Schule) jungen Menschen schon höhere kognitive Funktionen zuschreibt und ihre Unterstützung reduziert (Dual Systems Theory, vgl. Steinberg et al., 2021; Duell & Steinberg, 2019).

Auch wenn es sich bei den kurz angerissenen Theorien (Entwicklungsaufgaben, Positive Jugendentwicklung, Biopsychosoziales Modell und Dual Systems Theory) eher um einen konzeptuellen Rahmen handelt, der unserem Blick auf Jugend und Entwicklung eine Richtung gibt und eine Terminologie bereitstellt, um Phänomene begrifflich zu fassen, kann Bronfenbrenners Theorie der ökologischen Systeme (Bronfenbrenner, 2009; auch Kap. 7, dort Fokus: Bronfenbrenners Theorie der ökologischen Systeme) als eine Art »theoretischer Überbau« gelten. Basierend darauf lässt sich die Rolle kontextueller Bedingungen im Prozess der Entwicklung Jugendlicher besser verstehen – direkte Einflüsse im unmittelbaren Umfeld, die Bedeutung der Wechselwirkung verschiedener Kontexte, also die indirekten Effekte wirksamer Faktoren und die in all diese Prozesse hineinwirkende Rolle des gesellschaftlichen Rahmens. Die folgende Darstellung fängt dieses Zusammenspiel jeweils beispielhaft ein und vermeidet so eine unterkomplexe Darstellung.

Etwas weniger erfolgreich gestaltete sich das Bemühen, der Bedeutung des größeren sozialen Umfelds in der Diskussion von Entwicklungsphänomenen umfassend gerecht zu werden. Es ist einzuräumen, dass die Darstellung stärker geprägt ist von der Befundlage zur Jugend des sog. »globalen Nordens« als durch eine wirklich globale Perspektive. Auch wenn dies leicht mit Verweis auf die ungleichgewichtige Literaturlage zu erklären ist, da weiterhin das Gros der empirischen Forschung wie auch der Theoriebildung in Westeuropa und Nordamerika stattfindet, bleibt ein gewisses wissenschaftliches Unbehagen. Obwohl wir versucht haben, Erkenntnisse einzubeziehen, die auf Studien mit Jugendlichen aus anderen Weltregionen beruhen, ist eine bedauerliche Lücke einzuräumen, nicht nur mit Blick auf das Lehrbuch, sondern auch im gesamten Forschungsfeld. Dies gilt auch, wenn manche der beschriebenen Phänomene universeller Natur sein mögen. Auch dies ließe sich schließlich nur tragfähig durch entsprechende kulturvergleichende Untersuchungen belegen. Etwas weniger problematisch hingegen ist der im Folgenden zumeist eher anekdotisch aufgeführte Bezug zum Entwicklungsgeschehen während anderer historischer Zeiten. Leser:innen dürften vorrangig an der aktuellen Situation interessiert sein. Daher ist das Handbuch auch nicht genuin in historisch vergleichender Perspektive angelegt. Allerdings schärfen Vergleichsinformationen aus anderen Epochen das Gefühl dafür, dass auch die heutige Realität des Aufwachsens junger Menschen in der Zukunft Geschichte sein wird.

Wichtig ist uns, mit diesem Lehrbuch nicht auf der Ebene einer abstrakten theoretischen Perspektive auf das Jugendalter zu verharren. Vielmehr ist es uns ein Anliegen, dass bei der Lektüre der Bezug zum konkreten Leben nicht verlorengeht. Das wäre gelungen, wenn Leser:innen die beschriebenen Phänomene auch mit plastischen Beispielen aus ihrem Umfeld verbinden sowie ergänzen könnten und Teile der dargestellten Prozesse wiedererkennen. Zugleich soll die Darstellung dazu anregen, darüber nachzudenken, wie Jugendliche dabei unterstützt werden könnten, die Herausforderungen der Lebensphase Jugend erfolgreich zu meistern.

I         Grundlegende Entwicklungsprozesse

1          Pubertät: Normative biologische Entwicklungsprozesse

Karina Weichold

Pubertät? Die Hormone spielen verrückt, der Körper hat sich verändert, das Umfeld verändert sich. Es ist alles anstrengend! Hannah, 15

Hannah und Helene

Einführung

Definition:Pubertät

Pubertät (lat. pubertas: Mannbarkeit, Geschlechtsreife) ist ein universelles Ereignis in der Entwicklung des Menschen, verbunden mit dem Erlangen der reproduktiven Reife. Parallel zur Geschlechtsreifung verändern sich Körperkomposition, Organsysteme und das Gehirn. Die Pubertät wird durch ein komplexes Zusammenspiel genetischer, endokriner und psychosozialer Faktoren ausgelöst und verfügt über Implikationen für eine gelungene Entwicklung über die gesamte weitere Lebensspanne.

Das Forschungsfeld zum Thema Pubertät ist gerade über die letzten 30 Jahre expandiert und basiert mittlerweile häufig auf der Arbeit interdisziplinärer Forschungsverbünde aus Psychologie, Biologie, Medizin, Anthropologie, Soziologie und weiteren, um normative Entwicklungsverläufe, deren Antezedenzien und auch Konsequenzen zu erforschen. Immer häufiger stehen neuronale Veränderungsprozesse und deren Interaktion mit endokrinen oder umweltbezogenen Faktoren im Zentrum der Forschung.

Insgesamt wird der Blick auf Pubertierende immer differenzierter: Die Pubertät wird heute nicht nur als reproduktiver Reifeprozess angesehen, sondern als komplexes, interagierendes Muster an Veränderungen in der sozialen, biologischen, neuralen, kulturellen, sexuellen und identitätsbezogenen Entwicklung des Menschen.

Pubertät wird zunehmend positiver gesehen und die Wissenschaft rückt von der früheren übersimplifizierenden und problemfokussierten Sicht auf die Pubertät als Zeit des »Sturm und Drangs« ab, in der Jungen und Mädchen zum »Opfer überschäumender Hormone« werden oder der »Baustelle Gehirn« ausgeliefert sind (Dorn & Susman, 2019). Solche Erkenntnisse haben auch eine direkte Relevanz für den Umgang mit Pubertierenden in Gesellschaft, Familie und Schule.

Im Folgenden stehen normative körperliche Entwicklungsprozesse bei Jugendlichen im Mittelpunkt, die biologisch dem Geschlecht (sex) männlich bzw. weiblich nach der Geburt zugeordnet wurden – Störungen der Geschlechtsentwicklung und -identität werden nicht berücksichtigt (vgl. Sigusch, 2007). Bei einer sehr kleinen Minderheit liegt aufgrund verschiedener Ursachen (z. B. genetisch bedingte hormonelle Entwicklungsstörungen) eine Intersexualität vor, d. h. geschlechtsdeterminierende Merkmale des Körpers (Chromosomen, Gene, Hormone, Keimdrüsen, primäre Geschlechtsmerkmale) sind bei der Geburt oder erst später, wie in der Pubertät, nicht eindeutig einem Geschlecht zuordenbar. Beispiele dafür sind eine übergroße Klitoris, das Fehlen der Scheide oder gleichzeitiges Auftreten von äußeren weiblichen Genitalien und männlichen Keimdrüsen. Intersexuelle Personen durchlaufen spezifische Entwicklungsprozesse mit damit zumeist einhergehenden medizinischen und psychosexuellen Problemen. Ebenso nicht berücksichtigt wird die Pubertät bei Transsexuellen, die sich einem anderen psychosozialen Geschlecht (gender) zugehörig fühlen, als ihnen aufgrund des biologischen Geschlechts bei der Geburt zugeordnet wurde. In der großen Mehrheit (wenn nicht vorher hormonell behandelt) erleben Transsexuelle zwar eine dem biologischen Geschlecht entsprechende körperliche Entwicklung (danach ggf. operative Geschlechtsangleichung) – besonders die psychosozialen Konsequenzen sind jedoch verschieden zur Mehrheit der Cisgender-Jungen und -Mädchen, also den Jugendlichen, deren biologisches Geschlecht (sex) und das psychosoziale Geschlecht (gender) übereinstimmen.

Im vorliegenden Kapitel wird zuerst ein Überblick über die normative sexuelle Reife und körperliche Entwicklung in der Pubertät gegeben, wobei nicht nur auf reproduktive Systeme, sondern auch auf den Körperbau, die Körperhöhe sowie innere Organsysteme bei Jungen und Mädchen eingegangen wird. Darüber hinaus wird dargestellt, welche strukturellen und funktionalen Veränderungen das Gehirn in der Pubertät (bis ins frühe Erwachsenenalter) durchläuft und welche Folgen diese für die psychosoziale Anpassung haben. An dieser Stelle werden auch Hinweise für Prävention gegeben. Danach richtet sich der Blick auf die auslösenden endokrinen Prozesse, die den körperlichen Veränderungen zugrunde liegen und es wird diskutiert, welche Einflussfaktoren deren Aktivität auslösen. Schließlich werden die Folgen der fortschreitenden Reife für persönliche und soziale Aspekte zusammengefasst. Die Forschung dazu basiert auf der Messung des sog. Pubertätsstatus, dessen vielfältige Messmethoden beschrieben und deren Praktikabilität abgewogen werden.

Lernziele

•  Sie erlangen ein grundlegendes Verständnis über körperliche (inklusive zerebraler) Veränderungen, die für die Pubertät typisch sind.

•  Sie können die Stadien der normativen Entwicklung des reproduktiven Systems unterscheiden.

•  Sie wissen, wie der Status der Pubertät valide bestimmt wird.

•  Sie kennen die Auslöser körperlicher Veränderungen.

•  Sie wissen, dass die biologische Entwicklung in der Pubertät mit psychosozialen Faktoren (als Auslöser und Konsequenzen) in Beziehung steht, und damit ein biopsychosoziales Geschehen ist.

•  Sie erkennen, warum Pubertätsforschung im optimalen Fall interdisziplinär angelegt ist.

1.1        Sexuelle Reifung und körperliche Entwicklung

1.1.1      Geschlechtsspezifische reproduktive Systeme

In der Pubertät kommt es zur Entwicklung des geschlechtsspezifischen reproduktiven Systems.

Bei Mädchen umfassen die Veränderungen der sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmale die Entwicklung der Brüste (Thelarche) sowie der Schamhaare (Pubarche). Gegen Ende der Pubertät setzt bei den Mädchen die erste Menstruation ein (Menarche). Sowohl die Entwicklung der weiblichen Brust als auch der Schambehaarung ist entsprechend der Stadien der Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale nach Tanner (1962) nachzuvollziehen (Tabelle 1.1).

Die weiblichen primären Geschlechtsorgane durchlaufen ebenfalls einen Wachstumsschub: In der Regel kommt es zwischen dem 12. und 13. Lebensjahr zu einer Vergrößerung des Uterus, wobei sich die Muskulatur verstärkt und das Endometrium (Gebärmutterschleimhaut) ausbildet. Analog dazu vergrößert sich die Vagina. Die Ovarien wachsen demgegenüber weniger, bedingt durch die präpubertäre Anlage dieses Organs (s. u.) – die gesamte Anzahl der Eizellen ist bereits früh angelegt, deren Ausreifung beginnt vor dem Eintreten der Menstruation. Infolge der Menarche laufen die ersten Menstruationszyklen anovulatorisch ab (ohne Eisprung), etwa fünf Jahre später hat sich bei 90 % der Mädchen ein ovulatorischer Ablauf eingepegelt. Für Deutschland wird das mediane Menarchealter auf 12,8 Jahre geschätzt (Kahl, Rosario & Schlaud, 2007).

Bei den Jungen sind Veränderungen der sekundären Geschlechtsmerkmale bei den männlichen Genitalien (Penis und Hoden) und der Schambehaarung zu beobachten. Auch hier gelten als Orientierung zum Ablauf die Stadien der Entwicklung nach Tanner (1962). Etwa zwei Jahre nach Beginn des Wachstums der Schamhaare beginnen sich darüber hinaus die Barthaare bei Jungen auszubilden – zuerst an den Außenseiten der Oberlippe, im weiteren Verlauf über der Lippe, an den oberen und unteren Wangen sowie dem Kinn. Relativ späte Ereignisse bei Jungen sind die Spermarche (Beginn der Samenproduktion im Hoden) und die darauffolgende Ejakularche (erster Samenerguss). Letztere wird von Jungen meist willkürlich durch Masturbation hervorgerufen oder findet während des Schlafes statt (Pollution). Schließlich ereignet sich der Stimmbruch, der auf die Zunahme der Zelldichte in der Schilddrüse sowie einer Vergrößerung des Kehlkopfes zurückzuführen ist.

Tab. 1.1:    Stadien der Entwicklung sekundärer Geschlechtsmerkmale bei Mädchen und Jungen in der Pubertät (vgl. Koskenniemi, Virtanen & Toppari, 2017; Tanner, 1962)

1.1.2      Längenwachstum und Körperproportionen

Zu Beginn der Pubertät findet ein Zuwachs in der Wachstumsgeschwindigkeit der Körperhöhe statt. Dieser Wachstumsspurt ereignet sich kurz vor dem Zeitpunkt, an dem die maximale Körperhöhe erreicht ist. Weibliche Jugendliche wachsen dabei 20 bis 25 cm bzw. männliche Jugendliche 25 bis 30 cm in der Körperhöhe, wobei der Wachstumsspurt bei Jungen ca. zwei Jahre später als bei Mädchen stattfindet. Parallel zu diesem Wandel verändert sich auch das Körpergewicht, was eine Folge der hohen Zuwachsraten des Skeletts, der inneren Organen, des Fettgewebes sowie der Muskelanteile darstellt. Diese verlaufen in geschlechtstypischer Weise: Bei den Jungen ist ein Abfall des subkutanen Fettgewebes sowie ein Anstieg des Anteils der Muskelmasse zu beobachten. Bei Mädchen kommt es demgegenüber zur Kumulation von Körperfett, insbesondere zu Beginn der Pubertät, was in einem anderen Verhältnis von Muskeln zu Fettgewebe bei Mädchen im Vergleich zu Jungen resultiert. Diese Veränderungen werden auch in der Umstrukturierung der Körperproportionen entsprechend des geschlechtstypischen Ablaufes (Gestaltwandel) deutlich. Die Körpersilhouette verändert sich bei prä- zu postpubertären Mädchen dahingehend, dass Fett an Hüfte, Oberschenkel und Bauch angelagert wird. Demgegenüber vergrößert sich der Brustumfang im Vergleich zur Hüfte bei den Jungen. Begleitet werden diese durch Veränderungen im Muskelgewebe sowie daraus resultierend in der Motorik (Grob- und Feinmotorik sowie Koordination). Wie groß und wie schwer Jugendliche am Ende der Pubertät sind, wird zum großen Teil durch genetische Faktoren bestimmt. Darüber hinaus spielen sozioökonomische Faktoren, Ernährungsverhalten und Gesundheitsvorsorge während der intrauterinen Zeit, der Kindheit und der Pubertät eine Rolle (vgl. Wood, Lane & Cheetham, 2019).

1.1.3      Veränderung innerer Organsysteme

Zeitgleich zur Umstrukturierung des Körperbaus verändern sich die Struktur und die Funktionsweise verschiedener innerer Organsysteme, um die Leistungsfähigkeit des größeren und schwereren Körpers abzusichern. Das Herz-Kreislauf-System unterliegt einem Wachstumsschub. Als Folge sinkt die Frequenz des Herzschlags und der systolische Blutdruck steigt an. Darüber hinaus ändert sich die Zusammensetzung des Blutes insbesondere bei Jungen. Die Lunge vergrößert sich und ihre Vitalkapazität nimmt zu, damit effizienter Sauerstoff ausgetauscht werden kann. Schließlich sinken die Körpertemperatur und die Stoffwechselintensität (zusammenfassend vgl. Weichold & Silbereisen, 2008).

1.1.4      Gehirnentwicklung

Mit der Pubertät beginnend und bis ins frühe Erwachsenenalter anhaltend vollziehen sich umfassende neuronale Veränderungen beim Menschen. Eine genauere Erforschung, wie sich das jugendliche Gehirn normativ entwickelt, ist insbesondere in den letzten Dekaden der Jugendforschung durch die Weiterentwicklung und Verbreitung von Methoden zur Untersuchung der Struktur und Funktionsweise des Gehirns möglich geworden. Zu den am meisten genutzten bildgebenden Verfahren zählen hier die strukturelle Magnetresonanztomografie (MRT) und das funktionelle MRT (fMRT), die beide besonders gut für Kinder und Jugendliche (weil nicht invasiv) geeignet sind. Darüber hinaus basieren auch heute noch viele Studien zur Gehirnentwicklung im Jugendalter auf Tiermodellen.

Die neuronalen Veränderungen in der Pubertät bis ins junge Erwachsenenalter betreffen nicht nur die Struktur, sondern auch die Funktionsweise des Gehirns – teilweise mit erheblicher Relevanz für das Verhalten und Erleben junger Menschen.

Über die Kindheit und aufgrund der vielfältigen Umwelteinflüsse und Erfahrungen werden im Gehirn des Menschen in der Überzahl Nervenzellen (Neuronen) und Verbindungen (Synapsen) zwischen ihnen angelegt. Damit vergrößert sich der Anteil der grauen Substanz und das Hirnvolumen über die erste Lebensdekade. Mit dem Beginn der Pubertät setzen dann hirnstrukturelle Veränderungen ein, die zur Reduktion der bisher nicht oder nur wenig genutzten Neuronen und Synapsen führt: Nervenzellen und Verbindungen zwischen ihnen werden zu einem sehr großen Anteil eliminiert (Synaptic Pruning). Neugeborene verfügen ca. über 100 Milliarden Nervenzellen im Gehirn – bei Erwachsenen und nach Abschluss der Synapseneliminierung sind es 15 % weniger – der Verlust scheint also auf den ersten Blick dramatisch. Umwelteinflüsse, Erfahrungen und Lernprozesse bedingen, welche Nervenzellen bestehen bleiben oder eliminiert werden. Was bleibt, sind die Neuronen und Synapsen, die individuell gebahnt sind. Diese können nun effizienter und leistungsfähiger arbeiten, was an einem enormen kognitiven Leistungsschub nach Abschluss des Synaptic Prunings zu beobachten ist.

Dafür ist aber auch eine zunehmende Myelinisierung (Isolierung) der verbliebenen Nervenfasern verantwortlich, die zur effizienteren Informationsverarbeitung im Gehirn und insbesondere zur stark beschleunigten Weitergabe der Informationen von Neuron zu Neuron beiträgt. Mit dem Anstieg der Myelinisierung bzw. der weißen Masse im Gehirn nimmt das Großhirnvolumen zwar insgesamt ab, aber die einzelnen bestehenden Neuronen arbeiten effizienter und organisierter miteinander zusammen.

Die Prozesse Synaptic Pruning und Myelinisierung sind im Durchschnitt etwa Mitte des dritten Lebensjahrzehnts für alle Hirnareale abgeschlossen, finden aber nicht zeitgleich in allen Hirnregionen statt (Heterochronizität). Zuerst reifen phylogenetisch ältere Regionen, wie z. B. primäre sensorische Areale einschließlich des limbischen und des Belohnungssystems. Verglichen damit reifen die vorderen oberen Bereiche des Gehirns relativ spät, was z. B. dazu führt, dass das kortikale Kontrollsystem des präfrontalen Kortexes (PFC) als letztes bis Mitte der zwanziger Lebensjahre reift (Gogtay et al., 2004).

Mit den strukturellen Hirnveränderungen über das Jugendalter ändert sich auch die Funktionsweise verschiedener hemmender und erregender Transmittersysteme. Dies betrifft besonders eine verringerte Ausschüttung der Transmitter Glutamat, GABA (Gamma-Aminobuttersäure) und Dopamin, aufgrund der Reduktion entsprechender Rezeptoren durch untergehende Neuronen und Synapsen. Beispielsweise wird für den Neurotransmitter Dopamin (assoziiert mit positiven Emotionen, Belohnung, positiver Stimulation) beschrieben, dass er im frühen Jugendalter nicht nur weniger ausgeschüttet wird, sondern es auch zu einer verringerten Hemmung der bestehenden Ausschüttung kommt, besonders im limbischen bzw. im Belohnungssystem (inkl. Nucleus Accumbens). Dies führt dazu, dass Jugendliche ihre Handlungen stark auf emotionale, motivationale und belohnungsorientierte Aspekte ausrichten. Hirnareale des Belohnungssystems sind im Jugendalter stärker aktiviert, was zu einem gesteigerten Interesse führt, neue Erfahrungen zu machen oder soziale Belohnung zu erfahren (besonders durch Peers, diese Prozesse korrelieren auch mit einer ansteigenden Synthese von GABA im Vorderhirn). In spezifischen Situationen überlegt zu entscheiden, ob man tatsächlich ein Risiko eingeht, wie beispielsweise Drogenkonsum zum Erlangen von Wertschätzung seitens anderer Jugendlicher, ist demgegenüber schwächer ausgeprägt. Dies liegt daran, dass sich der präfrontale Kortex, das zentrale Kontrollzentrum über die emotional und motivational gesteuerten Handlungen, zum gleichen Zeitpunkt noch in der Umstrukturierung befindet und damit ineffizienter arbeitet. Eine weitere Besonderheit des jugendlichen Gehirns ist eine geringere Aktivierung durch Psychostimulanzien wie Kokain. Dies ist z. B. auf einen veränderten Einfluss von Glutamat auf die Interneuronen im präfrontalen Kortex zurückzuführen (Sturman & Moghaddam, 2011).

Reviews zeigen, dass die normative Gehirnentwicklung beim Menschen im Jugendalter durch eine Reihe von Variablen beeinflusst wird, wie dem sozioökonomischen Status, aber auch der kulturellen Herkunft und dem Peerumfeld (Foulkes & Blakemore, 2018). Darüber hinaus ist sie mit dem Lebensalter und Reifemerkmalen der Pubertät assoziiert. Erste Befunde deuten darauf hin, dass diese Beziehung jedoch eher nichtlinear ist und mit dem Geschlecht interagiert (Goddings, Beltz, Peper, Crone & Braams, 2019; Vijayakumare, Macks, Shirtcliff & Pfeifer, 2018).

Prävention:Wie kann man Jugendliche während der Reifung des Gehirns unterstützen?

Aufgrund der Umstrukturierung des Gehirns ist es schwierig für Jugendliche, sich zu regulieren und beispielsweise nicht dem Bedürfnis nach einer sehr hohen emotionalen Erregung oder sozialen Belohnungen sofort nachzugeben. Besonders die sog. Kontrollinstanz des Gehirns, der präfrontale Kortex, reift bis Mitte der 20er Lebensjahre. Demgegenüber sehen Jugendliche schon ca. 10 Jahre früher wie Erwachsene aus und sind körperlich reif. Deswegen werden von ihrem Umfeld häufig auch die entsprechenden kognitiven Kompetenzen erwartet, obwohl diese eigentlich noch nicht vorhanden sind. Jugendforscher wie Laurence Steinberg betonen daher, wie wichtig es ist, Jungen und Mädchen weit über die Pubertät hinaus extern zu unterstützen, um die fehlende persönliche Kompetenz zur Kontrolle von außen abzufedern bzw. generell eine positive Entwicklung des Gehirns zu unterstützen (vgl. Rudolph et al., 2017). Soziale Unterstützung, Ermutigung und Lob sind hierfür konkrete Beispiele. Jugendlichen sollten darüber hinaus einfache Anweisungen gegeben sowie Multitasking und Überstimulation verhindert werden. Stimulationen (auch für einen extremeren Kick) sollten Jugendlichen in Bildung und Freizeit ermöglicht werden (z. B. Wandern, Sport) und ein strukturierter Tagesplan mit ausreichend Schlaf ist zu unterstützen. Generell sollten Erwachsene Verständnis dafür entwickeln, dass das Timing der körperlichen Reife nicht der zerebralen gleichzusetzen ist und dass das jugendliche Gehirn in seiner Umstrukturierung nicht nur ein Risiko für die Entwicklung von Problemen bietet, sondern langfristig die Basis für die Entfaltung noch effizienterer kognitiver Kompetenzen und einer differenzierteren Persönlichkeit darstellt, die übergangsweise allerdings noch der Unterstützung bedarf.

1.2        Auslöser der körperlichen Veränderungen: Hormonelle Prozesse

Hormonelle Prozesse sind die unmittelbaren Auslöser derjenigen körperlichen Veränderungen, die in der Pubertät zu beobachten sind. Diese stehen in enger Wechselwirkung mit zentralnervösen Strukturen und deren Funktionen.

Besonders die Gonadenhormone (Geschlechtshormone, insbesondere Testosteron und Östrogen) sind dafür verantwortlich, dass sich das reproduktive System bei Menschen in geschlechtstypischer Weise in der Pubertät entwickelt.

Im Hypothalamus wird durch eine vermehrte Ausschüttung des Gonadotropin-Releasing-Hormons (GnRH) im Hypophysenvorderlappen die Produktion von Gonadotropinen (luteinisierendes Hormon, LH; follikelstimulierendes Hormon, FSH) angestoßen. Als Folge werden in den Gonaden (Eierstöcke und Hoden) Östrogen und Testosteron freigesetzt, die an verschiedenen Orten des Körpergewebes die geschlechtsspezifische Entwicklung vorantreiben. Positive und negative Rückkopplungsprozesse regulieren die nachfolgende Aktivität der Hypothalamus-Hypophyse-Gonaden-Achse (HPG-Achse zur Produktion der Geschlechtshormone). Eine vermeherte Ausschüttung von Gonadenhormonen wirkt sich darüber hinaus auf das Gehirn und schließlich auf das Verhalten von Menschen aus (Weichold & Silbereisen, 2018).

Prinzipiell können die wichtigsten hormonellen Veränderungen mit Bezug auf die Ausschüttung von Gonadenhormonen, die zur menschlichen Geschlechtsreife führen, in drei sog. endokrine Pubertäten aufgeteilt werden. Schon in der intrauterinen Phase kommt es zum ersten großen kurzzeitigen Konzentrationsanstieg der Geschlechtshormone (besonders Testosteron betreffend, für Jungen ausgeprägter als Mädchen, Organisationsphase). In der Folge werden die inneren und äußeren Geschlechtsmerkmale angelegt und entwickelt. Dieser frühe Anstieg der Geschlechtshormone hat auch Effekte auf die geschlechtstypische Hirnentwicklung, die Feminisierung und Maskulinisierung des späteren Verhaltens sowie das fetale Wachstum generell. Der zweite Schub findet kurz nach der Geburt (2. bis 3. Lebensmonat, Minipubertät) statt. Die jetzt kurzzeitig ansteigenden Konzentrationen der Gonadenhormone bedingen bei Jungen die Absenkung der Hoden bzw. bei Mädchen die Reifung der Eizellen, beeinflussen aber auch die Organisation des Gehirns und haben z. T. Folgen für die geschlechtstypische kognitive, sprachliche und verhaltensbezogene Entwicklung. Die dritte umfassende endokrine Veränderung, verbunden mit erneuter Aktivierung der Produktion von Geschlechtshormonen (Aktivierungsphase), die klassische oder zentrale Pubertät, erfolgt bei Jungen im Schnitt zwischen 9 und 14 Jahren bzw. bei Mädchen zwischen 8 und 13 Jahren. Im Rahmen der klassischen Pubertät wird das Wachstum der Eizellen und der Hoden weiter durch die vermehrte Ausschüttung von Testosteron und Östrogen gefördert (Tab. 1.2).

Tab. 1.2:    Normativer Ablauf geschlechtstypischer körperlicher Veränderungen, Zeitpunkt und involvierte hormonelle Faktoren (nach Wood, Lane & Cheetham, 2019, S. 10)

Neben dem Anstieg der Produktion von Gonadenhormonen bewirkt eine vermehrte Ausschüttung weiterer Hormone Veränderungen im Körpergewebe während der Pubertät. So führt die gesteigerte Produktion von Androgenen (Adrenarche) in den Nebennieren ab einem Alter zwischen sechs bis acht Jahren dazu, dass Jungen und Mädchen wachsen, stärker riechen sowie ihre Haut und Haare fettiger werden bzw. sich die Schambehaarung dann in typischer Art ausbildet. Die Adrenarche wird vom Wachstumsspurt begleitet. Die Aktivität des neuroendokrinen Kreislaufs zur Regulation der Ausschüttung adrenaler Hormone (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse, HPA-Achse) sowie die der HPG-Achsen sind beide unabhängig voneinander und auch in Interaktion miteinander für jugendliches Verhalten relevant, z. B. im Hinblick auf die Entwicklung despressiver Gefühle (Marceau, Ruttle, Shirtcliff, Essex & Susman, 2015).

Neben den Geschlechtshormonen und den Androgenen werden in der Pubertät auch verstärkt Wachstums- und Schilddrüsenhormone sowie Prolaktin produziert. Wachstumshormone beeinflussen den Anstieg der Körperhöhe und die Stoffwechselfunktionen. Konzentrationenveränderungen von Schilddrüsenhormonen wirken auf den Energieumsatz sowie das Hunger- und Sättiungsgefühl. Prolaktin schließlich beeinflusst die Brustentwicklung und die Entwicklung der Gonaden (vgl. Weichold & Silbereisen, 2008).

Über diese direkt mit körperlichen Veränderungen verbundenen endokrinen Veränderungen hinaus verändert sich bei Jugendlichen auch der Melantoninspiegel. Dies bedingt, dass während der Pubertät besondere zirkadiane Schlafregulationen zu beobachten sind. Dazu zählt z. B., dass Pubertierende später einschlafen und erst später in die Tiefschlafphase eintreten. Die resultierende kürzere Schlafdauer kann negative Folgen haben, wie ein ungünstigeres Immunprofil, eine zusätzlich erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Stressoren oder Anpassungsprobleme wie Depressionen und Aggressionen. Darüber hinaus kann eine geringe Schlafdauer den Prozess zunehmender Myelinisierung im Gehirn behindern und eine eingschränkte kognitive Leistung zur Folge haben (Perkinson-Gloor, Lemola & Grob, 2013; Telzer, Goldenberg, Fuligni, Lieberman & Gálvan, 2015).

Fokus:Was kontrolliert den Beginn der endokrinen Veränderungen?

Die Initiation der klassischen Pubertät durch Aktivierung der HPG-Achse liegt nicht an einem einzelnen genetischen Mechanismus, sondern wird vielmehr durch das Zusammenspiel mehrerer genetischer Signale ausgelöst. Gesicherte Forschungsbefunde liegen für den Einfluss der KiSS-Gene (KiSS1, KiSS1R) vor, die eine Sequenz weiterer Prozesse in Gang setzen (wie die Kodierung und Produktion des Hormons Kisspeptin). Das Peptidhormon Kisspeptin interagiert mit dem Neuropeptid Neurokinin B und dem Botenstoff Dynorphin. Zusammen regulieren diese drei die Ausschüttung des Gonatropin-Releasing-Hormons und damit die Aktivierung der HPG-Achse – sie modulieren den Beginn, das Fortschreiten und den Abschluss der körperlichen Reife in der Pubertät (Leka-Emiri, Chrousos & Kanaka-Gantenbein, 2017; Wood, Lane & Cheetham, 2019). Die Aktivität der KiSS-Gene ist bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Entwicklung durch einen epigenetischen sog. Silencing-Menanismus gewissermaßen stillgelegt. Entfällt dies, startet das Programm der Pubertätsentwicklung und die vermehrte Ausschüttung der HPG-Achse wird angestoßen. Wann dieser Zeitpunkt ist, unterliegt jedoch großen interindividuellen Schwankungen (Kap. 2, Pubertät: Interindividuelle Variationen). Wohl ist es so, dass auch hier die Genetik bedeutsam ist (Menarchealter bei Mutter und Tochter korrelieren hoch) und ein bestimmter Anteil an Körperfett vorhanden sein muss (bei Mädchen ca. 17 %), damit die Pubertät beginnen kann, aber auch Umweltfaktoren spielen eine große Rolle. Epigenetische Studien, die die Interaktion genetischer Aktivität mit Umwelterfahrungen hauptsächlich anhand des Tiermodells erforschen, zeigen, dass der Zeitpunkt des Auslesens der genetischen Informationen, die den Pubertätsbeginn initiieren, durch Faktoren wie sozioökonomischer und ernährungsbezogener Status bzw. akuter Stress moduliert werden (Aylwin, Toro, Shirtcliff & Lomniczi, 2019). Forschungsbefunde legen außerdem nahe, dass Umwelteinflüsse nicht nur während der Kindheit bzw. frühen Pubertät ihre Wirkung entfalten, sondern dass auch pränatale, sehr frühe Lebenserfahrungen mit der reproduktiven Reifung in Beziehung stehen. Zu den bedeutendsten Faktoren zählen hier physischer und psychischer Stress, Deprivation, Variationen in der Ernährung (Menge, Zusammensetzung, Nährstoffgehalt; auch der Mutter in der Schwangerschaft), verbunden mit typischen Veränderungen in den Konzentrationen der korrespondierenden Hormone (Leptin, Cortisol und Wachstumshormone), die ebenfalls Einfluss auf den Zeitpunkt und das Fortschreiten der körperlichen Reife nehmen (Livadas & Chrousos, 2019).

1.3        Psychosoziale Konsequenzen fortschreitender körperlicher Entwicklung in der Pubertät

Angesichts der massiven körperlichen Umstrukturierungen, die sich in relativ kurzer Zeit während der Pubertät vollziehen, stellt sich die Frage, inwieweit die Pubertät bzw. das Fortschreiten der körperlichen Entwicklung, zur Entstehung von psychosozialen Anpassungsstörungen beiträgt. In der Pubertätsforschung wird der fortschreitende körperliche Entwicklungsstand gewöhnlich als Pubertätsstatus operationalisiert, der in der Forschung mit einer Reihe an Indikatoren für gelungene oder problematische Anpassung in Beziehung gesetzt wird.

Definition:Pubertätsstatus

Der genaue Punkt, an dem sich ein Kind bzw. ein Jugendlicher gerade im Prozess der Pubertätsentwicklung befindet, wird als Pubertätsstatus bezeichnet (Mendle, Beltz, Carter & Dorn, 2019).

Generell kann man davon ausgehen, dass die Mehrheit der Jugendlichen (hier wird von 80 % gesprochen, vgl. Offer & Boxer, 1991) die Pubertät und das gesamte Jugendalter gut und ohne weiterreichende Anpassungsprobleme übersteht.

Ich finde es toll, dass ich schon gewachsen bin, auch die Stimmentwicklung finde ich sehr o. k. … ja, an sich habe ich keine Probleme damit, jetzt zum Mann zu werden und damit ins Erwachsenenleben einzusteigen. Immanuel, 14

Immanuel

Probleme im Zusammenhang mit der Pubertät können sich allerdings zumindest zeitweise zeigen, auch und besonders, wenn biologische Veränderungsprozesse mit bildungstypischen Veränderungen zusammenfallen (Stressful Change Hypothesis, Simmons & Blyth, 2017). Dies trifft vorrangig auf Mädchen zu, deren pubertäre Entwicklung früher beginnt als bei den meisten altersgleichen Mädchen und den normativ um ca. zwei Jahre später reifenden Jungen, und bei denen die körperlichen Veränderungen mit dem Schulübergang zeitlich zusammenfallen. Generell haben Mädchen größere Schwierigkeiten beim Umgang mit den Veränderungsprozessen der Pubertät. Einen positiven Einfluss auf Selbstwert und wahrgenommenes Prestige im Freundeskreis haben zwar die Entwicklung der Brüste und auch die erste Menstruationsblutung, die Veränderungen der Körperproportionen, Gewichtszunahme und Fetteinlagerungen jedoch sind eher mit Unzufriedenheit und negativen Gefühlen assoziiert. Das kann zu restriktivem Essen sowie exzessiven sportlichen Betätigungen führen. In der Folge können sich auch ein negatives Selbstbild und weitere internalisierte Störungen, wie Depressionen ausbilden. Bedeutsam sind hier soziale Aspekte, wie die Rückmeldungen zur eigenen Körperform aus dem Freundeskreis, auf deren positives Feedback besonderer Wert gelegt wird – und damit besteht auch eine große Anfälligkeit gegenüber Hänseleien und Ausgrenzung. Dazu kommt, dass auch die steigenden Konzentrationen der Geschlechtshormone gerade in Bezug auf Östrogen (direkt und interagierend mit sozialen Geschehnissen) nachgewiesenermaßen verhaltenswirksam sind und z. B. mit problematischem Essverhalten, Rückzug oder depressiver Verstimmung in Beziehung stehen. Testosteron korreliert demgegenüber mit sozial-dominantem, aggressivem Verhalten, besonders bei Jungen. Diese scheinen auch insgesamt positiver auf die physischen Veränderungen zu reagieren, insbesondere die männlicheren Proportionen, der Zuwachs an Körperkraft und Muskelmasse entsprechend des westlich verbreiteten Schönheitsideals erweckt – verbunden mit Vorteilen im Sport und in sozialen Beziehungen – eher positive Reaktionen. Bei Jungen wie Mädchen kommt es über die Pubertät und die gesamte Adoleszenz vermehrt zu externalisierten Problemverhaltensweisen, wie dem Konsum von Alkohol und Drogen oder anderes deviantes, risikoreiches, erlebnisorientiertes Verhalten. Angetrieben werden diese Prozesse durch die Veränderung der zentralnervösen und hormonellen Strukturen, indem Jugendliche mehr Reize benötigen, um in einer spezifischen Situation einen Kick zu erleben, oder die generell ansteigende Suche nach Bestätigung durch die Peers, was riskantes Verhalten fördert. Darüber hinaus demonstrieren Jugendliche mit delinquentem Verhalten oder frühzeitigem Alkohol- bzw. illegalen Drogenkonsum, dass sie einen erwachsenentypischen Lebensstil übernehmen (Moffitt, 1993).

Verhaltensprobleme im Jugendalter, sofern nicht längerfristige Weichen gelegt werden, z. B. durch Teenagerschwangerschaften oder Bildungsabbrüche, wachsen sich in der Regel mit dem frühen Erwachsenenalter aus.

Studien:Sensitivität für Belohnung und riskantes Verhalten in der Pubertät

Harden und Kollegen (2018) untersuchten bei Jugendlichen und junge Erwachsenen im Alter von 13 bis 20 Jahren die Mechanismen, die zum Anstieg im Sensation Seeking (Suche nach neuen, riskanten, abwechselnden Reizen, auch unter der Voraussetzung, dafür physische und soziale Risiken in Kauf zu nehmen) über das Jugendalter führen. Dabei nutzten sie einen biopsychosozialen, multi-methodalen Forschungsansatz, der neben der Erhebung hormoneller Daten und Selbstberichten zum Sensation Seeking auch die Balloon Analogue Risk Task (BART) umfasste, die zur Operationalisierung der Sensitivität gegenüber Belohnung diente. Bei BART, einem Entscheidungsfindungsexperiment zur Bestimmung von Risikoverhalten, müssen die Studienteilnehmer:innen entscheiden, ob sie einen Ballon immer weiter aufpumpen, um einen monetären Gegenwert als Belohnung zu erhalten, zugleich dabei aber das Risiko eingehen, dass dieser platzt und der gesamte mögliche Geldgewinn verlorengeht. Die Befunde der Studie zeigten, dass Jungen und Mädchen mit fortschreitendem Pubertätsstatus in ihren Entscheidungen immer mehr von einer möglichen (monetären oder auch sozialen) Belohnung beeinflusst werden. Für Jungen stand dies direkt mit gesteigertem riskantem Verhalten in Beziehung. Bei Mädchen hingegen gab es diese Verbindung nicht, eine hohe Empfindlichkeit gegenüber Belohnungen wird bei ihnen nicht verhaltenswirksam. Dabei scheinen auch hormonelle Prozesse involviert zu sein: Die auf hormonellen Daten basierenden Studienergebnisse zeigen nämlich, dass hohes Testosteron mit Sensation Seeking in Beziehung steht, nicht jedoch geringe Konzentrationen von Östrogen. Damit wird deutlich, dass komplexe Mechanismen riskantes Verhalten bei Jugendlichen erklären und diese geschlechtsspezifisch sind.

Wenn Jugendliche körperlich reifen, verändern sich auch die Familienbeziehungen, begleitet durch die immensen Fortschritte im kognitiven Bereich. Jugendliche zeigen zwar ein selbstständigeres Handeln und übernehmen Verantwortung, doch in den Familien kommt es vermehrt auch zu intensiven Konflikten. Begleitend dazu grenzen sich Jugendliche deutlicher von den Eltern ab, bei gleichbleibender emotionaler Nähe (Individuation, Youniss & Smollar, 1987). Auch die Peerbeziehungen verändern sich im Zuge des fortschreitenden biologischen Prozesses während der Pubertät. Freund:innen werden zunehmend zu einem Referenzrahmen, mit dem auch Themen bezüglich Pubertät und körperlicher Entwicklung diskutiert werden (vgl. z. B. zum Thema Menarche unter Freundinnen Brooks-Gunn & Ruble, 1982). Schließlich zeigen Jungen und Mädchen mit der Geschlechtsreife mehr Interesse an romantischen und intimen Beziehungen (zusammenfassend vgl. Weichold & Silbereisen, 2008).

Abschließend ist zu berücksichtigen, dass die Mehrheit der bisherigen Studien auf Stichproben von überproportional vielen Mädchen mit vornehmlich europäischer Abstammung aus der westlichen, industrialisierten Welt stammt.

Die psychosozialen Folgen der normativen körperlichen Veränderungsprozesse der Pubertät können jedoch nicht nur zwischen Mädchen und Jungen, sondern auch nach ethnischer Herkunft bzw. kulturellem Umfeld oder auch nach persönlichen Merkmalen wie z. B. der Geschlechtsorientierung variieren.

Beispielsweise zeigen Befunde, dass Mädchen mit afroamerikanischer Herkunft die Gewichtszunahme in der Pubertät deutlich positiver reflektieren oder Mädchen asiatischer Herkunft negativer auf den Zuwachs in der Körperhöhe reagieren – was auch durch kulturelle Unterschiede im Schönheitsideal bedingt ist. Zusätzlich wird angenommen, dass gerade für Jugendliche in den Minderheiten des Spektrums der Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierung (z. B. mit schwuler oder lesbischer Orientierung) das gesteigerte sexuelle Interesse infolge der körperlichen Reife ein erhöhtes Risiko für selbstverletzendes Verhalten (Ritzen) oder Suizid darstellt, weil große Angst vor Stigmatisierung bzw. tatsächliche soziale Ausgrenzung oder Mobbing vorliegen (Deardorff, Hoyt, Carter & Shirtcliff, 2019). Weitere Pubertätsforschung anhand bisher vernachlässigter Personengruppen ist demnach auch mit Blick auf Prävention und Intervention dringend notwendig (mehr Informationen dazu Kap. 2, Pubertät: Interindividuelle Variationen).

Fazit

Die Pubertät ist ein normativer, universeller Entwicklungsprozess im Leben eines jeden Menschen mit dem Ziel der reproduktiven Reife. Die klassische Pubertät findet bei Mädchen zwischen dem 8. und 13. Lebensjahr statt, bei Jungen zwischen dem 9. und 14. Lebensjahr. Sie umfasst in geschlechtstypischer Weise Veränderungen des reproduktiven Systems, der Körperkomposition und der inneren Organe. Darüber hinaus verändern sich Struktur und Funktionsweise des Gehirns ab der Pubertät bis ins frühe Erwachsenenalter. Während dieser Zeit haben Jugendliche einen besonderen Unterstützungsbedarf. Die Pubertät wird durch hormonelle Prozesse ausgelöst, insbesondere aufgrund der Aktivierung der HPG-Achse. Der Zeitpunkt dafür wird durch genetische, epigenetische und umweltbezogene Einflüsse in der intrauterinen und infantilen Zeit bestimmt. Der Pubertätsfortschritt wird als Pubertätsstatus angegeben, der über verschiedene psychologische, medizinische, biologische oder anthropologische Methoden bestimmt werden kann. Forschungsergebnisse zeigen, dass die Pubertät Konsequenzen für die psychosoziale Entwicklung hat, die jedoch durch Geschlecht sowie weitere kontextuelle und persönliche Merkmale moderiert werden.

Weiterführende Literatur

Goddings, A. L., Beltz, A., Peper, J. S., Crone, E. A. & Braams, B. R. (2019). Understanding the role of puberty in structural and functional development of the adolescent brain. Journal of Research on Adolescence, 29(1), 32–53.

Weichold, K. & Silbereisen, R. K. (2008). Pubertät und psychosoziale Anpassung. In R. K. Silbereisen & M. Hasselhorn (Hrsg.), Enzyklopädie Psychologie, Serie V (Entwicklung) Band 5 Entwicklungspsychologie des Jugendalters (S. 3–53). Göttingen: Hogrefe.

Wood, C. L., Lane, L. C. & Cheetham, T. (2019). Puberty: Normal physiology (brief overview). Best Practice & Research Clinical Endocrinology & Metabolism, 33(3), 101265.

https://www.profamilia.de/fuer-jugendliche/pubertaet [10.03.2022].

Fragen und Anregungen zur Reflexion

1.  Sammeln Sie Argumente, weshalb das Thema Pubertät in einem interdisziplinären Forschungsverbund erforscht werden sollte.

2.  Planen Sie eine empirische Studie zu den Folgen der fortschreitenden körperlichen Entwicklung für die Entwicklung eines negativen Selbstbildes!

3.  Welche Personengruppen würden sie einbeziehen und warum?

4.  Wie würden Sie den Pubertätsstatus messen? Begründen Sie Ihre Entscheidung!