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Ein Fahrplan für alle Suchenden Christian Meyers frohe Botschaft für alle Suchenden lautet: Erleuchtung kann tatsächlich geschehen! Und wenn das richtige Wissen erlangt und die richtige innere Arbeit gemacht wird, geschieht sie auch. Sein umfassender Fahrplan zum Erwachen, den er in diesem Buch vorstellt, ist neu und einzigartig. Er zeigt alle notwendigen Schritte auf, die geistig, emotional und körperlich durchlaufen werden müssen. Dabei stellt der bekannte Psychologe und spirituelle Lehrer die Ergebnisse seiner Forschungen und Erfahrungen in einen größeren Zusammenhang: die vier Dimensionen der Persönlichkeit. Viele neue und weiterentwickelte Übungen und Innenreisen helfen außerdem, den Weg zur Befreiung vom Ego endlich zu beschreiten. Das erfährst du in diesem Buch: - Wie du deine Perspektive radikal änderst und dich neu ausrichtest - Wie du eine Spiritualität des Aufwachens in deinem Leben etablierst - Was du ganz praktisch und konkret tun kannst, um zu erwachenEin Buch, das dein Leben von Grund auf verändern kann!
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Seitenzahl: 398
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© eBook: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München
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Projektleitung: Anja Schmidt
Lektorat: Felicitas Holdau
Covergestaltung: ki36 Editorial Design, München
eBook-Herstellung: Chiara Knell
ISBN 978-3-8338-8955-4
1. Auflage 2023
Bildnachweis
Coverabbildung: Plainpicture
Syndication: www.seasons.agency
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Meinen Schülerinnen und Schülern gewidmet, die sich mit großem Mut und Vertrauen auf das innere Abenteuer einlassen, die einen, die Erleuchtung suchen, die anderen, die sie schon gefunden haben.
Vorwort
Vor 10 000 Jahren gab es eine Explosion des menschlichen Geistes. Die Menschen begannen, Städte zu bauen, zunächst Jericho, dann andere Städte in Vorderasien – Stück für Stück begannen sie mit der Eroberung der Welt. Vorher gab es nur ein Hordenbewusstsein, nun begannen sie, »Ich« zu sagen; es entwickelte sich das reflexive, persönliche Ich. Nicht nur die Eroberung der äußeren Welt begann, sondern auch die der inneren Welt. Die Menschen begannen zu fragen: »Was ist der Tod? Was ist das Leben? Wer sind wir? Wer oder was bin ich? Wohin kann ich wachsen, mich entwickeln, was ist mein Potenzial?«
Für einen kleinen Teil war diese innere Reise so wichtig, dass Menschen wahrscheinlich seit 10 000 Jahren Erleuchtung finden. Jedenfalls gehörte Erleuchtung oder Erwachen, wie es auch hieß, in den ältesten, 4000 Jahre alten spirituellen Texten Indiens zum festen und zweifelsfreien Wissen; möglich war dies nur, weil Menschen damals bereits seit Langem Erleuchtung fanden und ihre Erfahrungen weitergaben.1
Seitdem finden Menschen in allen Zeiten und in allen Kulturen der Welt Erleuchtung, und sie machen immer dieselbe Erfahrung, die überall in denselben oder ähnlichen Worten beschrieben wird – das ist erstaunlich genug.
Gerade jetzt ist eine Zeit, in der immer mehr Menschen auf der Suche nach tieferen Antworten sind.
Was ist der Mensch, wer bin ich?Wie kann ich mein tieferes Potenzial und meine Persönlichkeit entwickeln?Sind Glück und Erfüllung im Leben doch zu finden?Und vor allem: Wie?Erleuchtung ist die tiefste Möglichkeit, Glück und Erfüllung zu finden. Immer gab und gibt es Menschen, die sich nicht mit weniger zufriedengeben, nicht mit Kompromissen und Halbwahrheiten.
Unbemerkt vom größten Teil der Öffentlichkeit und der öffentlichen Diskussion in den Medien gibt es eine erstaunliche Entwicklung: Es wird leichter, Erleuchtung zu finden. Sie ist nicht nur für einzelne Menschen und zufällig möglich. Es zeigt sich: Erleuchtung kann jeder.
Deshalb wurde es Zeit, dieses Buch zu schreiben, um darzulegen, was Erleuchtung ist, worin diese innere Transformation besteht, und vor allem, um den Prozess, der zur Erleuchtung führt, vorzustellen. Möglich war mir das aus zwei Gründen: Erstens hatte ich großartige Lehrer und das Glück, sowohl die Psychologie in ihren verschiedenen Facetten als auch die verschiedenen spirituellen Wege gründlich kennenzulernen und zu erforschen. Die Arbeit und die Darstellung in diesem Buch haben deshalb viele Väter und Mütter. Und zweitens konnte ich bereits Hunderte Schüler und Schülerinnen darin unterstützen, Erleuchtung zu finden, und Hunderte auf ihrem Weg nach der Erleuchtung begleiten. Dadurch wurde der Weg zur und nach Erleuchtung immer klarer.
Das Buch ist verständlich und spannend für alle, die von Erleuchtung noch nie gehört haben, wie auch für diejenigen, die sich schon Jahrzehnte damit befassen; sie können hier womöglich erfahren, wie ihre jahrelange Suche endlich erfolgreich werden kann. Es ist auch für die interessant, die meine Arbeit und die »7 Schritte zum Aufwachen« beziehungsweise »7 Schritte des Loslassens« bereits kennen, denn ich stelle hier erstmalig deren Vertiefung und Weiterentwicklung durch die vier inneren »Bewegungen« vor. Viele Menschen haben durch die Arbeit mit den sieben Schritten Erleuchtung gefunden, und so fließt hier auch die Frage ein: Wie können noch mehr Menschen, ihrer Sehnsucht folgend, Erleuchtung finden?
Dieses Buch beinhaltet meine Arbeit als einen vollständigen spirituellen Weg, den »Weg der inneren Erfahrung«. Er ist absolut zeitgenössisch, zeitgemäß und basiert doch gleichzeitig auf jahrtausendealter Tradition. Außerdem werden die grundlegenden Prinzipien des erfolgreichen Wegs zur Erleuchtung dargestellt, die für alle spirituellen Wege relevant sind und auch von den verschiedenen spirituellen Wegen übernommen werden können – damit Erleuchtung nicht nur Traum und Vision bleibt, nicht nur Sehnsucht nach Erfüllung und Glück, sondern immer häufiger Realität wird. Der Mensch ist noch nicht am Ende seiner Entwicklung. Die Reise geht weiter.
In dieses Buch sind all mein Wissen und meine Erfahrungen der letzten Jahrzehnte eingeflossen. Es ist der Ausdruck meiner Vision, Menschen auf dem Weg zur Erleuchtung zu unterstützen. Für mich ist Spiritualität erst dann vollständig, wenn sie den Anspruch einlöst, zur Erleuchtung zu führen. Alles andere wäre mir zu wenig.
An dieser Stelle möchte ich nicht versäumen, allen zu danken, die zu diesem Buch beigetragen und es bereichert haben: Sarah Sewell, Corinna Vallant und Eva-Maria Kalcker. Ich danke der Lektorin Felicitas Holdau wie auch dem Verlag, der es überhaupt erst ermöglicht hat. Vor allem aber danke ich den vielen Schülerinnen und Schülern, die ich begleiten durfte und darf; sie alle haben dazu beigetragen, dass das Wissen über Erleuchtung und die Zeit danach sich immer weiterentwickeln konnte.
Das Buch ist eine Einladung, sich lesend und übend auf ein inneres Abenteuer einzulassen und sich auf den Weg zu machen in ein erfülltes, erleuchtetes Leben und Sein.
Berlin, im Sommer 2023
Christian Meyer
Es war im Juni 1999 gegen Mittag. Ein zehntägiges Retreat mit dem amerikanischen spirituellen Lehrer Eli Jaxon-Bear am wunderschönen Lago Maggiore in Norditalien war zu Ende gegangen. Ich setzte mich auf die Veranda, schloss die Augen, und wieder setzte die innere Erfahrung ein, in die Tiefe zu sinken, etwas, das ich am vorherigen Tag zum ersten Mal erlebt hatte, und zwar innerhalb meiner ersten Bewusstheitsübung, die hier später noch vorgestellt und erläutert wird. Das Sinken hielt an, ich sank immer tiefer. Kein Bild, kaum noch Körperempfindungen, ein endloses Sinken durch einen Raum, der nicht beengend, aber auch nicht weit war. Ich wusste, in einem solchen Prozess kommt es darauf an, nichts zu tun, alles geschehen zu lassen, den Prozess das machen zu lassen, was er mit mir macht.
Ich spürte, wie der Atem langsamer wurde, sanfter und sich in einer ganz bestimmten Weise eindeutig veränderte: Das Ausatmen wurde immer tiefer, immer vollständiger und gleichzeitig das Einatmen immer zarter, einfach durch das Loslassen.
Wahrscheinlich war es gut, dass mir die Feueratmung vom Yoga gut bekannt war; ich dachte, wahrscheinlich haben die Yogis schon in sehr frühen Zeiten verstanden, dass sich der Atem auf dem Wege zur Erleuchtung in genau dieser Weise verändert, und deswegen so viel Gewicht auf diese Atemtechnik gelegt: Dabei atmet man nämlich sehr tief aus und lässt das Einatmen nur durch das Loslassen der eingezogenen Bauchdecke von allein geschehen. Im Nachhinein jedenfalls habe ich manchmal gedacht, dass mir diese Analogie geholfen hat, dieses Atmen geschehen zu lassen; ich weiß ja inzwischen, dass sehr viele Menschen an dieser Stelle Angst haben zu ersticken, weil es sich so anfühlt, als würde der Körper nur ausatmen wollen und keine Luft mehr nehmen. Vielleicht hätte ich auch ohne dieses Yogawissen den Körper machen lassen, vielleicht hätte es mich auch irritiert, denn es hatte mir vorher niemand etwas darüber gesagt – wer weiß.
Ich fiel und fiel, ich sank und sank, immer tiefer. Bis es nicht abrupt, aber doch ziemlich plötzlich zur Ruhe kam und, nicht von einem Boden gestoppt, sondern fließend in einen Zustand des Schwebens überging; im selben Augenblick verschwand die Enge, durch die ich hindurch gesunken war; ich war in eine unendliche Weite, unendliche Tiefe hineingekommen und vor allem war ich in einer unendlichen, völlig friedlichen, angenehmen, glückseligen, lebendigen, aber unendlich ruhigen Stille angekommen. Nichts existierte mehr, keine Form, stattdessen Unendlichkeit, da war nichts mehr und doch floss alles über, da war Leere und doch alles in ihr enthalten, der Verstand war zwar vollständig still und dennoch vollständig lebendig; es war so neu und unberührt und gleichzeitig ganz selbstverständlich, wie ein Zuhause, in dem man schon immer gewesen ist, es war nichts und zugleich die vollständigste Erfüllung … Jetzt, da ich dies diktiere, gibt es ein Innehalten, ein In-die-Stille-gezogen-Werden mit einem klaren Wissen, es gibt nichts zu tun, es ist nichts nötig, noch nicht einmal dieses Buch, das zum jetzigen Zeitpunkt nahezu fertig ist; was soll dieses Buch angesichts der Stille? Da ist Unbeweglichkeit, vollständige, ewige Tiefe, tiefe Ewigkeit in endloser Ausdehnung und Grenzenlosigkeit, ganz neu und zugleich mit dem niemals bezweifelten tiefen Wissen: DASISTES. Und DASIST.
Ich erfuhr die tiefste spirituelle Erfahrung, die möglich ist, ich fand Erleuchtung, und das änderte alles.
Ja, diese Welt existiert. Ja, das, was Menschen erleben, ist wichtig. Die Freude und das Leid. Die Liebe und die Wut. Das Lachen und die Tränen. Das Leben und der Tod. All das ist wichtig, es hat Bedeutung; und gleichzeitig – das erfuhr ich jetzt so fundamental und so, dass es nie wieder vergessen werden und nie wieder verschwinden konnte – gibt es eine tiefere, die eigentliche Wirklichkeit. Unendlicher Frieden, Glückseligkeit, Liebe. Grenzenlosigkeit, Weite und Zeitlosigkeit. Diamantene Klarheit, unendliche Stille, Ewigkeit. Erfüllung und Glücklichsein.
Diese tiefere Wirklichkeit, diese tiefere Dimension den Menschen nahezubringen, Menschen darin zu unterstützen, Erleuchtung zu finden, das wurde mir seitdem der wichtigste Lebensinhalt. Meine Arbeit mit Menschen wurde immer klarer und wirkungsvoller. Ich erlebte in meiner Arbeit zuerst Dutzende, dann Hunderte Menschen, die Erleuchtung fanden. Viele von ihnen durfte und darf ich über Jahre auch noch nach dem Aufwachen begleiten; dabei wird offensichtlich, dass Erleuchtung das ganze Leben dauerhaft bestimmen kann, dass es also nichts Kurzfristiges ist, das dann wieder verschwindet.
Auf diese Weise konnte ich so viel über Erleuchtung, den Weg davor und auch den Prozess danach lernen, wie ich es nicht für möglich gehalten hatte. Immer deutlicher und präziser wird dabei die notwendige innere Arbeit, die es ermöglicht, dass Erleuchtung sich vertieft und immer stabiler wird. Ohne diese innere Arbeit ist die Gefahr groß, dass Erleuchtung wieder versandet und verschwindet; die Ichstruktur kann wieder die Regie übernehmen – wie in dem Beispiel eines Amerikaners, der nach seinem Aufwachen als spiritueller Lehrer wirkte und ein interessantes und gutes Buch über das Aufwachen schrieb, aber dann, nach zwei Jahren, war auf seiner Webseite zu lesen: »Sorry, closed. Ego returned.« So schön, diese Ehrlichkeit, aber auch traurig, dass die Chance vertan wurde.
Der Erfolg hängt nämlich von der inneren Arbeit vor dem Aufwachen genauso wie nach dem Aufwachen ab. Ich kenne mehrere Menschen, die einige Zeit nach dem Aufwachen den Eindruck hatten, die Stille, der Frieden, die endlose Weite seien wieder verschwunden, und die dann nach einer gewissen inneren Arbeit wieder zurückfanden in die Stille, die nunmehr tiefer und stabiler war als zu Anfang. Das erleuchtete Sein kann das Leben dauerhaft und grundlegend bestimmen, mit vielen positiven Veränderungen, die das Leben lebenswerter machen.
Der Erfolg der inneren Arbeit hängt außerdem davon ab, wie viel Wissen es über den Prozess des Aufwachens gibt.
Erleuchtung wird oft auch das Erwachen oder Aufwachen genannt – gemeint ist damit dasselbe. Der Begriff des »Aufwachens« stellt in den Vordergrund, dass einem ab diesem Moment der Transformation das bisherige Leben wie ein Traum vorkommt. »Erwachen« ist der Begriff der östlichen Spiritualität, der Buddha war der »Erwachte«. Der Begriff Erleuchtung ist der abendländische, der westliche Begriff.
Das Wort Erleuchtung kann den falschen Gedanken nahelegen, dass zu dem Vorhandenen das Licht hinzugekommen wäre und der Mensch dadurch erleuchtet würde. Aber es kommt nichts hinzu. Es fällt etwas weg: die Illusion, ein getrenntes Ich zu sein, die Ichbezogenheit. Es fällt weder die Persönlichkeit noch die Person weg. Das alles wird später zu klären sein.
Ein Prozess vor der Erleuchtung und danach
Erleuchtung ist ein Ereignis zu einem klaren, bestimmten Zeitpunkt, an einem bestimmten Tag, zu einer bestimmten Stunde. Aber danach steht das Leben nicht still, danach ist es nötig, dass sich diese Erleuchtung in das gesamte Leben und die gesamte Persönlichkeit ausbreitet und integriert; sie kann sich Stück für Stück vertiefen, und so durchdringt das erleuchtete Sein immer mehr das ganze Leben, das ganze Dasein.
Wir haben also drei Schritte:
Die Suche die Erleuchtung die Realisation
Die Realisation dauert das ganze Leben an; noch nie hat jemand davon berichtet, am Ende angekommen zu sein. Mit der Erleuchtung fühlt man, dass erst jetzt das wirkliche, das eigentliche Leben beginnt, und es ist ein noch aufregenderes Abenteuer. Wenn jemand die innere Arbeit ernst nimmt, kann sich Erleuchtung immer weiter vertiefen. Und umgekehrt: Sie kann auch wieder versanden, man kann auch wieder einschlafen. Natürlich hat man dann eine zweite Chance und kann an sein erstes Aufwachen anknüpfen.
Weil in meiner Arbeit so viele Menschen Erleuchtung finden und die Vertiefung der Erleuchtung durch innere Arbeit konsequent unterstützt werden kann, führe ich seit Jahren ein spezielles Training mit Menschen durch, die Erleuchtung erfahren haben. Es geht über 18 Monate und besteht aus wöchentlichen Onlinetreffen und zwei Präsenzseminaren. Die meisten Teilnehmenden waren schon vorher Schülerin oder Schüler von mir, immer häufiger kommen aber auch Menschen, die in anderen Kontexten Erleuchtung erfahren haben.2
Nachdem also der Prozess des Aufwachens in meiner Arbeit immer klarer wurde, sammelte ich nun immer mehr Erfahrung über den Prozess nach der Erleuchtung: Wie kann es geschehen, dass sich das aufgewachte Sein immer mehr vertieft, dass Erfüllung, Liebe, Glückseligkeit und die Stille immer tiefer werden? Das ist ein Prozess der Entfaltung der Persönlichkeit und der Verwandlung, der nach der Erleuchtung beginnt und immer weitergeht, der in den ersten Jahren intensive innere Arbeit erfordert und sich danach immer weiter entfaltet und ausdehnt. Es ist das größte Abenteuer, das möglich ist.
Auch der Weg zum Aufwachen hin ist ein Abenteuer. Er hat nichts damit zu tun, sich aus der Welt und dem Leben zurückzuziehen, so als wäre er ein Training, mit dessen Hilfe man sich immer weniger vom Leben berühren ließe. Nein, in Wirklichkeit bedeutet es, immer vollständiger lebendig zu werden, immer vollständiger authentisch zu sein; du selbst zu werden, der oder die du in deiner inneren Tiefe bist.
Du brauchst nicht großartig oder gut zu sein, du darfst alle möglichen Fehler haben, Macken und Unvollkommenheiten. Das Einzige, was nötig ist: einverstanden zu sein mit dem, was ist, ganz und gar einverstanden zu sein. Das ist der Boden der Liebe und der Hingabe. Die Liebe überschreitet das Persönliche, und deine Hingabe öffnet dich für das Größere und schließlich für die Unendlichkeit. Zusammen mit der Liebe zur Wahrheit und der Sehnsucht nach Freiheit sind das die vier Bewegungen, um Erleuchtung zu finden, die ich dir in diesem Buch näherbringen werde.
Das Thema Erleuchtung ist ein weites Feld, und bisherige Darstellungen reichen von »Das ist alles ganz und gar unbeschreiblich, nicht in Worte zu fassen und ein einziges großes Geheimnis« bis hin zu klaren Beweisen, dass es Erleuchtung gar nicht geben könne. Verbreitet ist auf jeden Fall nach wie vor die Sichtweise, dass Erleuchtung etwas außerordentlich Seltenes ist, so selten, dass man die Erleuchtung des Buddhas noch nach zweieinhalbtausend Jahren jedes Jahr feiert.
Wie es tatsächlich ist, lässt sich anhand der folgenden Fragen klären:
Die erste lautet natürlich: Was ist denn eigentlich Erleuchtung, was können wir darunter verstehen?Dann vor allem: Wie komme ich dahin? Wie finde ich sie, oder wie findet sie mich, oder wie lasse ich mich von ihr finden? Oft ist es ja so wie in diesem schönen Bild: Der Erleuchtete sitzt wie auf einem höheren Gebäude und beschreibt von dort die wunderschöne Aussicht, während die anderen am Boden stehen, sehnsüchtig zu ihm hinaufschauen und denken: »Wenn er uns doch bloß sagen würde, wo die Leiter steht!«Weiterhin: Was gibt es für Fallstricke, was muss auf der Reise beachtet werden, wie viel Zeit muss ich aufbringen? Muss ich Proviant mitnehmen? Auch »Regenkleidung«?Dann aber auch: Wie ist es nach der Erleuchtung? Bleibt die Erleuchtung dauerhaft? Muss dann noch etwas getan werden?Die Struktur der Erleuchtung und die Struktur des Prozesses, der zur Erleuchtung führt, sind in meiner Arbeit tatsächlich so klar geworden, so deutlich, dass man mit Gewissheit sagen kann: Erleuchtung kann jede und jeder!
Oft wird Erleuchtung zum Geheimnis erklärt, es heißt, »sie komme wie ein Blitz aus heiterem Himmel«, oder auch, dass in einem einzigen Moment, wie mit einem Blitzschlag, alles anders geworden sei; dass das Geschehen aber an sich nicht beschreibbar sei und man keine Worte dafür finden könne. Dabei ist Erleuchtung selbst und auch die Struktur des Prozesses überaus klar, wenn man erst einmal begonnen hat, den Prozess zu verstehen.
Es hat im Leben des Menschen schon zu einem früheren Zeitpunkt eine wichtige Transformation gegeben, nämlich als er fast drei Jahre alt war und zum ersten Mal »ich« sagte, wenn er von sich sprach. Dann hieß es nicht mehr, »Benny hat Hunger«, sondern »Ich habe Hunger«. Von jetzt ab wurden alle Wahrnehmungen von Erfahrungen und Objekten und anderen Menschen immer auf das Ich, immer auf sich selbst bezogen. Das ist ein Hilfsmittel, um die wachsende Wahrnehmung von sich und der Welt einigermaßen in den Griff zu bekommen. Diese Transformation ist so tiefgreifend, dass wir uns an fast nichts aus der Zeit davor erinnern, weil es nicht in der Ichbezogenheit abgespeichert ist.
Das kleine Kind glaubt wirklich, dass der Mond scheint, um ihm den Heimweg auszuleuchten. Es findet auch naheliegend, dass am nächsten Tag die Sonne scheint, wenn der Teller leer gegessen wird. Indem es alle Ereignisse und Erfahrungen auf sich selbst bezieht, kann es diese sortieren und bewältigen.
Im Alter von elf, zwölf Jahren macht der kindliche Geist, der Verstand dann einen wesentlichen Sprung; das Kind kann sich jetzt vollständig von außen wahrnehmen, es kann über das Denken nachdenken; es wird fähig zu ichloser Wahrnehmung, fähig, Objekte und Erfahrungen zu sehen, wie sie sind, ohne sie auf sich beziehen zu müssen. Jetzt könnte auch diese wichtige Transformation geschehen, die Erleuchtung genannt wird. Es gibt authentische Berichte von Erleuchtungen, die einem 14- oder 16-jährigen Kind geschehen sind.
Die Struktur der menschlichen Entwicklung bis ins Erwachsenenalter und die Struktur der Transformation als ein möglicher und wesentlicher Teil davon werden sich in diesem Buch mehr und mehr zeigen, denn sie sind außerordentlich klar. Und doch bleibt manches letztlich ein Geheimnis.
Die eigentlichen Fragen, welche die tatsächlichen Geheimnisse berühren, lauten:
Wie kann die Liebe wachsen, in der das »für mich« ersetzt wird durch das »für andere«?Was ist das Absolute, die Unendlichkeit, die durch die Erleuchtung so tief erfahren wird und dennoch unbegreiflich bleibt? Es gibt viele Namen dafür: »das Absolute«, »das Höchste«, »Gott« oder »das Göttliche«, vielleicht »das Kosmische« oder »das Eine«.Vor allem: Was ist der Mensch? Wodurch gelingt es ihm, den Mut zu fassen, sich für die eigene innere Tiefe zu öffnen, auch wenn verschiedene Ängste – wie die Angst vor der Bodenlosigkeit und davor, sich in der Leere aufzulösen – ihn aufs Furchtbarste erschrecken?Wieso, und ich habe noch niemanden getroffen, der diese Frage beantworten konnte, ist der menschliche Organismus so vollständig auf die Erleuchtung vorbereitet, obwohl die Erleuchtung selbst keinerlei evolutionären Vorteil bietet und somit einfach nicht in die Evolutionstheorie hineinpasst?Niemand kann Erleuchtung machen, sie ist immer ein Geschenk, etwas, das einem gegeben wird. Ohne Verdienst, ohne Kontrolle, einfach so. Das heißt nicht, dass der Einzelne nichts tun könnte: Er kann und er muss sich dafür öffnen, er kann und er muss alles loslassen, das hinderlich ist. Wie diese Transformation möglich wird, ist natürlich Gegenstand dieses Buches. Die Antwort wird mit manchem Liebgewonnenen und auf den spirituellen Wegen als selbstverständlich Tradierten Schluss machen. Und vielleicht wird es dir dann so vorkommen, als wärest du nicht mehr der- oder dieselbe. Aber sicher ist: Du bist dann sehr viel mehr du selbst als jetzt im Augenblick.
Nun lade ich dich zu einer Reise ein, die für dich vielleicht in unbekanntes Neuland führt oder aber, wenn du erfahren im Reisen bist, in ein Land, das du schon kennst, aber das immer wieder neue Farben, neue unbekannte Wege und sogar neue Horizonte zeigt.
Dieses Buch ist in zweifacher Hinsicht einzigartig. Nirgendwo sonst sind der Prozess und die Struktur von Erleuchtung so klar analysiert wie hier. Obwohl Erleuchtung, wie bereits erwähnt, wahrscheinlich seit 10 000 Jahren geschieht und seit wohl 4000 Jahren darüber geschrieben wird, habe ich nirgends Vergleichbares gefunden.
Und es ist mehr als nur eine Analyse, denn es ist eine umfangreiche und vollständige praktische Anleitung, Erleuchtung zu finden. Erleuchtung ist nicht machbar, aber der Mensch kann auf vielerlei Weise an sich arbeiten, um die Fähigkeit des vollständigen Loslassens zu entwickeln, und das ist nötig, damit Erleuchtung geschehen kann.
Du wirst in diesem Buch eine Reihe von Übungen kennenlernen, die den Prozess der Erleuchtung unterstützen: kurze innere Besinnungen und geführte Meditationen bis hin zu komplexen psychischen und spirituellen Experimenten. Du kannst ganz individuell herangehen: Vielleicht möchtest du das Buch zuerst nur lesen und dir dabei offenhalten, ob du hinterher in einem zweiten Durchgang die Übungen ausprobierst. Oder du möchtest von Fall zu Fall eine Übung machen, wenn dir der Sinn danach steht. Du solltest die Übungen aber auf jeden Fall immer lesen, weil in den Anleitungen manche Erklärungen enthalten sind, die für den Fortgang der Gedanken dringend nötig sind.
Es ist empfehlenswert, dir ein Arbeitsbuch anzulegen, in dem du die Ergebnisse und Essenzen der Übungen festhalten kannst. Manche Übungen bestehen auch daraus, einen Brief zu schreiben, zum Beispiel an sich selbst – im Arbeitsbuch kannst du ihn nachlesen oder eventuell in späteren Übungen daran anknüpfen.
Die meisten Übungen findest du im zweiten Teil des Buchs, in dem es um die Praxis des spirituellen Weges geht, um die Prinzipien, die inneren Haltungen und die »7 Schritte zur Erleuchtung«, die ursprünglich die »7 Schritte zum Aufwachen« beziehungsweise »7 Schritte des Loslassens« hießen. Sie umfassen die Grundprinzipien menschlichen Wachstums, sowohl die der allgemeinen Persönlichkeitsentfaltung als auch der Erleuchtung, zwei Prozesse, die in dieselbe Richtung gehen – nur unterschiedlich weit.
Im ersten Teil des Buchs werden Fragestellungen entwickelt und verschiedene spirituelle Wege voneinander abgegrenzt, alles mit dem Ziel, dass du auch durch das Gegenüberstellen immer mehr Klarheit gewinnst. Es dient dem zentralen Grundsatz: In der spirituellen Praxis ist es noch wichtiger als auf anderen Gebieten, nicht nur zu wissen, was man tut, sondern auch, warum es genau so und nicht anders zu tun ist. Allzu leicht kann man durch eine marginal erscheinende Veränderung einer kraftvollen Übung einen großen Teil ihrer Wirkung nehmen!
Meine Aufgabe besteht darin, Menschen, die sich zur Erleuchtung hingezogen fühlen, immer kompetenter darin werden zu lassen, sich selbst wirkungsvoll und systematisch zu begleiten. Ich leite dich an, die spirituelle Lehrerin, den spirituellen Lehrer in dir selbst zu entdecken und immer kraftvoller werden zu lassen. Dies ist also ein Weg zur Selbstermächtigung. Retreats mit dem spirituellen Lehrer zu besuchen ist durch nichts zu ersetzen. Aber dass du dann auch in der Zeit, in der du allein bist, weißt, wie du mit deinen inneren Erfahrungen, den Körperempfindungen, den Gefühlen und den Gedanken heilsam umgehen kannst, das macht den Weg erfolgreich und führt dazu, dass Erleuchtung so oft geschieht.
»Ich kann mir also denken, dass in unserer Zeit diese Erfahrungen [der Erleuchtung] mehr Menschen zugänglich werden als vielleicht in früheren Zeiten und dass damit auch eine Veränderung in der Gesellschaft und vielleicht noch darüber hinaus im ganzen Habitus des Menschen verbunden sein könnte.«3
Carl Friedrich von Weizsäcker,
1979 Physiker und Philosoph
(1912–2007)
Ich beginne damit, zu beschreiben, was Erleuchtung ist und wie es sich anfühlt – mit dem Risiko, dass die Leserin oder der Leser es noch nicht wirklich verstehen kann; aber es gibt schon mal eine Orientierung, und die einzelnen Punkte werden im Laufe des Buches klarer und verständlicher. Aber es gibt auch ein zweites Risiko, dass nämlich jemand sagt: »Ja, die Erfahrung kenne ich, das habe ich auch erlebt.« Das wäre dann so, als würde man einem Bergdorfbewohner zum ersten Mal vom Ozean erzählen, und er antwortet: »Ja, das kenne ich, wir haben beim Dorf auch so ein Wasser, wir nennen es den Dorfteich.«
Seit Jahrtausenden und in den verschiedensten Kulturen wird Erleuchtung mit denselben Erfahrungen beschrieben. In der Vergangenheit war es für die Menschen selbstverständlich, sich als religiös zu verstehen und das Leben und das Erleben immer auch als Teil eines Gottesbezuges wahrzunehmen; so wurde Erleuchtung dann als Gotteserfahrung gedeutet, als Erfahrung des göttlichen Grundes. Heute wissen wir: Erleuchtung kann innerhalb eines religiösen oder eines nichtatheistischen Verständnisses erfahren und gedeutet werden. Viele Theologen und Theologinnen wie Paul Tillich oder Karl Rahner sagen – und das ergibt sehr viel Sinn –, dass am Beginn jeder Religionsgründung eine Erleuchtungserfahrung stand, die den Religionsgründer erfasste, für die dann Worte zur Verbreitung der Lehre gefunden wurden. Jede Religion hat ihre Mystiker, Menschen, die Erleuchtung suchen oder Erleuchtung fanden, die dann aber oft von den religiösen Institutionen kritisch betrachtet und immer wieder auch bekämpft wurden. Seit über 100 Jahren gibt es zunehmend erleuchtete Menschen und Menschen, die ohne einen religiösen Hintergrund Erleuchtung suchen.
Erleuchtung ist ein plötzliches Ereignis, eine plötzliche Veränderung, die aber von da an das ganze Leben verändert. Manche Menschen erleben eine solche Veränderung für einige Stunden oder auch für einige Wochen, dann kann man das eine Erleuchtungserfahrung nennen; sie ist zeitgebunden, und danach ist es wieder wie vorher. Ganz selten scheint Erleuchtung auch nicht ein plötzlicher Durchbruch, sondern ein Prozess in mehreren Stufen zu sei. Erleuchtung geschieht, und dann kann sie sich in das ganze Leben integrieren und immer mehr vertiefen; das ist ein lebenslanger Prozess, der »Realisation« genannt wird oder die Vertiefung der Erleuchtung oder des Aufwachens. Ebenso, wie vor der Erleuchtung ein bestimmter Weg erforderlich war, eine innere Arbeit, ist dies nach der Erleuchtung ebenfalls nötig. Ohne eine solche innere Arbeit ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass jemand, der erwacht war, wieder »einschläft«, dass also die Ichstruktur und die Kontinuität des Denkens wiederkehren.
Der Verstand ist ganz still. Das ist die großartigste Erfahrung deines Lebens. Die Erfahrung von Stille, Frieden und Glückseligkeit stellt alles Dagewesene in den Schatten. Jetzt könnte man Worte suchen wie: überwältigend, atemberaubend, ekstatisch. Aber diese Worte treffen es nicht. Niemand und nichts wird überwältigt, stattdessen ist da eine tiefe Erfahrung von absoluter Sicherheit und Gewissheit. Nichts ist atemberaubend, denn der Atem ist so frei und gelöst, wie er seit Langem, vielleicht seit der Geburt nicht mehr war. Es ist die großartigste Erfahrung in deinem Leben, aber es gibt keine Aufregung, eben weil der Verstand ganz still ist und für eine Aufregung Gedanken, Bilder oder eine Geschichte nötig wären. Stattdessen fühlt es sich so an: So ist es. Das ist das wirkliche, das eigentliche Leben. Das ist die Wahrheit. Das ist das, das ich wirklich bin.
Dass der Verstand ganz still ist, bedeutet nicht, dass der Mensch nicht mehr fähig wäre zu denken. Man kann es erst mal so sagen: Weil das ganze überflüssige Denken wegfällt, das lästige, manchmal auch quälende, das, was 80 bis 90 Prozent des Denkens ausmacht, bekommt das wichtige Denken Raum. Der Verstand wird also angeschaltet, wenn er gebraucht wird, und sonst bleibt er im Stand-by-Modus.
Dass der Verstand still ist, kann sich der Mensch, der diese Erfahrung nicht kennt, nicht vorstellen. Manchmal gibt es eine Ahnung: Vielleicht sind beim Musikhören, in der Sexualität oder beim Spaziergang im Wald solche beglückenden Erfahrungen möglich, in denen der Verstand für einen Moment still ist, anhält. In der Regel, aber nicht immer, erlebt man eine enorme Intensivierung und Deutlichkeit sensorischer Empfindungen und Wahrnehmungen, Farben, Geräusche etc.
Manch einer denkt, der Mensch könne dann nicht mehr funktionieren. Doch so ist es nicht. Gedanken sind da, wenn sie gebraucht werden, alle überflüssigen Gedanken werden still. Wie viele Gedanken, die du heute gehabt hast, hätten auch still bleiben können, ohne dass du irgendetwas verloren hättest? Dadurch haben die wichtigen Gedanken Raum und können zu Ende gedacht werden. Man muss sich das so vorstellen: Wenn jemand mit einer Aufgabe, einem Problem oder einem intensiven Gespräch befasst ist, tritt die Stille in den Hintergrund; sie ist noch da, aber im Vordergrund sind die notwendigen Gedanken. Ist die Aufgabe vorbei oder das Gespräch beendet, ist die Stille wieder ganz da.
Die Wahrnehmung als Ich ist verschwunden. Nicht Ich tue, denke, mache, fühle, sondern Es tut, denkt, macht und fühlt. Natürlich verschwindet nicht die Wahrnehmung eines abgrenzbaren Organismus, aber diese Wahrnehmung ist in die Wahrnehmung der Unendlichkeit eingebettet. Dieses Phänomen führt zu den größten Missverständnissen.
Das Ich stirbt nicht, wird auch nicht »getötet«, es wird vielmehr wahrgenommen als etwas, das immer schon eine Illusion gewesen ist. Dadurch verschwinden weder die Persönlichkeit noch das Personenhafte noch das Individuelle. Im Gegenteil: Persönlichkeit und Person werden prägnanter, farbiger und vielseitiger.
Es fehlt auch nicht die integrierende und organisierende seelische Instanz des Organismus. All das verschwindet nicht. Im Gegenteil, die Person wird handlungsfähiger.
Eine Analogie kann zum Verstehen helfen: Als die Griechen und dann auch die Römer in der frühen Antike die Meeresstürme betrachteten, konnten sie es sich nicht anders vorstellen, als dass so ein plötzlicher Sturm von jemandem heraufbeschworen wurde, von einer Person – nicht von einem Menschen, sondern von einem Gott. Sie wussten nichts von Tiefdruckgebieten, Kaltfronten, Temperaturunterschieden und konnten sich daher den Sturm nicht durch solche physikalischen Ereignisse erklären, sondern nur so, dass ein »Jemand« sie macht.
Um besser zu verstehen, was Gedanken und Stürme gemeinsam haben, lade ich dich ein, folgendes Experiment zu machen:
Wahrnehmen – drei Schritte zurücktreten
Schau einmal wie von außen auf dich und auf deine Gedanken, die dem Wort »Einfall« gemäß ja tatsächlich »einfallen«. Nimm wahr, wie diese Gedanken von anderen Gedanken verursacht worden sind.
Dann schau auf Bedürfnisse, die du in diesem Organismus wahrnimmst, Bedürfnisse, die gerade aufgetaucht sind, die gegenwärtig diesen Menschen bewegen.
Schau auf die Gefühle, die mit den Bedürfnissen zusammenhängen und auch von Gedanken verursacht werden.
Nimm die Impulse wahr, die ein inneres und äußeres Handeln anstoßen (möchten).
Das alles sind Prozesse wie die meteorologischen Prozesse, die zu Winden und Stürmen führen. Wenn du dir dann noch vergegenwärtigst, dass 99,9 Prozent der Gedanken, Gefühle und Impulse unbewusst sind und einen großen Teil der 0,1 Prozent bewussten Gedanken verursachen – wo ist da noch Platz für ein »Ich«?
Jetzt nimm wahr, als was du dich in der Position derjenigen oder desjenigen fühlst, die/der auf die Gedanken, Gefühle und Impulse schaut: Du wirst entdecken, dass du wie die Zuschauerin, wie der Beobachter bist, der oder die alles wahrnimmt und sich selbst auf eine positive Weise leer fühlt.
Gegenwärtigkeit in der ganzen Tiefe: grenzenlos und ewig
Weil die Gedanken verschwinden, wenn wir die tiefere Wirklichkeit erfahren, ist diese ein Zustand, die Erfahrung vollständiger Gegenwärtigkeit. Nur die Gedanken können die Illusion von Vergangenheit oder Zukunft erzeugen. Erfahrung kann nur gegenwärtig sein. Gegenwärtigkeit, die auch Präsenz genannt wird, wird oft missverstanden; es wird geglaubt, gegenwärtig zu sein, präsent zu sein würde bedeuten, mit den Sinneswahrnehmungen gegenwärtig zu sein, indem man sich etwa auf den Atem fokussiert oder auf die Bewegungen des Gehens. Dies ist aber nur die Oberfläche, denn die wirkliche Gegenwärtigkeit ist tiefer und beginnt erst da, wo man sich von den Sinneswahrnehmungen gelöst hat. Sie ist reine Erfahrung und reines Bewusstsein.
Diese Gegenwärtigkeit, dieser gegenwärtige Augenblick hört nicht auf, das ist die Erfahrung von Ewigkeit. Ewigkeit ist nicht eine immer weiter ausgedehnte Zeit, sozusagen eine konstante Aufeinanderfolge von Tagen, Monaten und Jahren. Vielmehr ist es eine Erfahrung jenseits der Zeit, eben die Gegenwärtigkeit, ohne dass Gedanken eine Vergangenheit oder Zukunft erzeugen würden. Die Gegenwärtigkeit ist jenseits der Zeit, aber so, dass die Zeit aus dieser Gegenwärtigkeit entsteht, und zwar durch Gedanken, vor allem durch Handlungsentwürfe.
Natürlich kann diese Gegenwärtigkeit nur als ein tiefer Frieden erfahren werden; ohne Gedanken gibt es keine Befürchtungen und Sorgen, ohne Gedanken gibt es keine Vergleiche und Bewertungen, ohne Gedanken gibt es keine Trennung.
Mit der Zeitlosigkeit wird Grenzenlosigkeit erfahren, eine endlose Ausdehnung im Raum, endlose Weite.
Das erleuchtete Sein ist durch vier Erfahrungsqualitäten gekennzeichnet. Von diesen Qualitäten muss zuerst gesagt werden, was sie nicht sind: Es sind keine Gefühle. Gefühle gehen immer einher mit einer Aktivierung und Energetisierung des Körpers, mal stärker, mal weniger: Atemfrequenz, Atemtiefe, Herzschlag, der Puls und die Muskelspannung (Muskeltonus) nehmen zu. Gefühle wollen zu etwas bewegen, darum heißen sie auch Emotionen; auch die Trauer will uns zum Abschied von einem Verlust bewegen und auf diese Weise für etwas Neues öffnen. Deshalb gehen Gefühle mehr oder weniger mit einer Energetisierung einher. Gefühle nehmen immer einen typischen Verlauf: Sie haben einen inneren oder äußeren Anlass, nehmen dann zu, werden intensiver, verbleiben eine gewisse Zeit auf dem hohen Plateau und klingen dann wieder ab, sie verbrennen, sie lösen sich wieder auf. Gefühle, vor allem das »Fühlen, ohne etwas zu tun«, werden im zweiten Teil des Buches ausführlicher dargestellt.
Die tieferen Erfahrungen sind ganz anders: Sie sind umso intensiver, je niedriger Atemfrequenz, Herzschlag und Muskeltonus sind. Sie haben keinen Anlass, sie sind einfach da. Sie haben keinen Verlauf von Zunahme und Abnahme, sie bleiben. Ein Bild, das dies verständlicher macht: Wenn die Gefühle wie eine Welle sind, sind die tieferen Erfahrungen wie der Ozean. Weil es noch keinen besseren Begriff gibt, nenne ich sie tiefere Erfahrungen oder auch Erfahrungen, die tiefer sind als Gefühle. Sie sind nicht nur anders als Gefühle, sie sind eine tiefere Dimension, und »nicht erleuchtete« Menschen bekommen höchstens in kurzen Momenten eine Ahnung davon. Die tieferen Erfahrungen können erst wahrgenommen werden, wenn der Verstand still ist.
Leere
Die bestimmende Erfahrung des erleuchteten Seins ist die Leere. Die Leere ist nicht einfach ein Vakuum, also ein bestimmter Raum, in dem alles entfernt ist. Vielmehr ist die Leere vibrierend, lebendig, ohne irgendeine Form – und doch so reich in unbeschreiblicher Fülle, weil alles aus und in dieser Leere entsteht und die Leere deshalb alles enthält, gleichzeitig Nichts ist und Alles.
Und so hat diese Leere nichts mit einer betäubten Leere zu tun, die man vielleicht aus depressiven Phasen kennt. Sie hat auch nichts mit einem Gefühl von Leersein zu tun als Folge davon, dass man so gut wie nichts fühlt und nicht weiß, was man möchte, sondern den Tag mit nichtssagenden Gewohnheiten verstreichen lässt.
Die Stille ist die Erfahrung der Leere. Manchmal nüchtern, einfach leer, grenzenlos; dann majestätisch, Ehrfurcht gebietend und Andacht erzeugend; dann wiederum leicht und heiter, perlend; dann voller Glück und Glückseligkeit.
Frieden
Die zweite Erfahrung ist ein unendlicher Frieden. Unveränderbar, unverrückbar und berührbar. Wenn jetzt jemand, ohne fundamental aufgewacht zu sein, sagt: »Ja, den Frieden kenne ich, der ist viel, viel größer als der Frieden, den man normalerweise erfährt, ich erlebe das manchmal in der Meditation«, dann kann ich nur antworten: »Nein, der Frieden ist noch unendlich tiefer, nicht nur friedvoller, sondern voller Glück, voller Glückseligkeit.« Ich möchte hier einen Schüler von mir zitieren, der durch meine Arbeit Erleuchtung fand und vorher schon jahrelang andere spirituelle Wege beschritten hatte. Er sagte: »Jetzt weiß ich, was Frieden, Stille und Tiefe ist. Ich hatte so viele spirituelle Erfahrungen und hatte sie schon für die Unendlichkeit gehalten. Jetzt weiß ich: Das alles waren nur Peanuts.«
Liebe
Die dritte Erfahrung ist die Liebe. Nicht die Liebe, die sich auf etwas richtet, sondern einfach Liebe. Nicht die Liebe, die man empfinden kann, sondern eine Liebe, die man ist. Nicht die Liebe, die eine Empfindung neben anderen ist, nein, sondern die Liebe, die alles ist, alles ausfüllt, alles bestimmt, die der Stoff ist, aus dem alles ist. Nicht die Liebe, die Sehnsucht nach etwas oder jemandem hat, nein, die Liebe, die alles ist, vollkommen, vollständig, alles umfassend, größer als das Universum, größer als der Kosmos.
Glückseligkeit
Die vierte Erfahrung ist die Glückseligkeit. Nicht wie eine Euphorie, noch nicht einmal wie Ekstase, nichts Übersprudelndes, kein Feuerwerk, sondern viel, viel mehr, unendlich viel tiefer. Auch das Wort »überwältigend« ist wie gesagt völlig fehl am Platz, denn da ist nichts, das überwältigt würde, weil du selbst diese Glückseligkeit bist. Alle bekannten Begriffe artikulieren nur eine Freude oder ein Glück über etwas und wegen etwas. Doch hier ist Glück, Glückseligkeit ohne Anlass, ohne ein Etwas, Glückseligkeit als die Qualität des Seins und des Daseins, Glückseligkeit als unsere Natur, als die Eigenschaft des Lebens. Diese Glückseligkeit ist die Erfahrung von Erfüllung.
Während die erfüllende Leere und auch der Frieden mehr oder weniger konstant erfahrbar sind, erfasst einen die Glückseligkeit von Zeit zu Zeit. Und auch das ist unterschiedlich: Es gibt Menschen, die sind aufgewacht – ein anderes Wort für erleuchtet – und erleben Leere und Frieden und Liebe, aber selten oder so gut wie gar nicht die Glückseligkeit. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es daran liegt, dass der Körper noch verhältnismäßig angespannt ist, dass das Loslassen nicht tief genug gegangen ist. So jemand profitiert dann besonders von der emotionalen Körperarbeit (siehe ab >).
»Tradition ist die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche.« (Jean Jaurès)
Bis vor 10 000 Jahren hatten wir eine Art Hordenbewusstsein, wir konnten noch nicht Ich sagen oder Ich denken. Wir waren in unserem frühen Paradies. In der Bibel heißt es, dass wir sterblich wurden, als wir das Paradies verlassen mussten. Menschen sind natürlich vorher auch gestorben in den vier Millionen Jahren ihrer Existenz, Vorformen des Menschseins einbezogen. Aber wir waren uns der Sterblichkeit nicht bewusst. Gab es in diesem Paradies Säbelzahntiger? Die uns gefressen haben? Tatsächlich muss man sagen: ja und nein. Ja, »objektiv« gab es Säbelzahntiger. Aber wir konnten nicht denken, hatten keine Vorstellungen von etwas, das nicht unmittelbar präsent war, und deswegen »gab es« für uns keine Säbelzahntiger.
Wir waren präsent und eins mit der sinnlichen Erfahrung und nicht in der Lage, zu denken, sodass wir auch nicht in der Lage waren, uns zu sorgen und Schlimmes zu befürchten. So waren wir glücklich im Augenblick, präsent, gegenwärtig. Aber dies war begrenzt auf die Lebenslust und die Zufriedenheit des sinnlichen Daseins, mit allen akuten Schrecken dieses sinnlichen, körperlichen Lebens. Von Erleuchtung, Glückseligkeit und Grenzenlosigkeit keine Spur. Wirkliche Glückseligkeit hängt nicht von äußeren Umständen ab.
Wahrnehmen, Denken und Sprechen entwickelten sich über rund 150 000 Jahre, und auch für die Erfassung der Sterblichkeit haben wir uns sicher 100 000 Jahre Zeit genommen; das Paradies ging damit langsam zu Ende.
Zunächst war es eine Hypothese, inzwischen sind sich die Wissenschaftler einig: Das Kind vollzieht in den Anfangsjahren seiner Entwicklung (Ontogenese) die Entwicklung der Menschheit (Phylogenese) nach. In den ersten drei Jahren entwickeln sich Denken und Sprechen, aber erst mit gut zweieinhalb Jahren sagt das Kind »ich«. Vorher spricht es von sich in der dritten Person; es gibt ein Gefühl von Individualität, aber noch kein Ich.
Auch im Tierreich gibt es intellektuelle Entwicklung und Individualität. Höher entwickelte Affen erkennen sich selbst im Spiegel. Schimpansen können mehr als 200 verschiedene Gesten mit verschiedenen Bedeutungen erlernen und so mit Menschen kommunizieren. Ständig erweitert sich unser Wissen über diese hoch entwickelten Tiere. Orang-Utans heißen in der Sprache der Ureinwohner »Waldmenschen«. Bis vor Kurzem glaubte man, Schimpansen könnten zwar Werkzeuge benutzen, aber nicht herstellen. Das galt sogar als Unterscheidungskriterium zu Menschen, doch inzwischen weiß man: Sie stellen auch Werkzeuge her. Und sie entwickeln sich geistig, intellektuell etwa so weit wie ein zweieinhalbjähriges Kind. Aber sie kennen kein Ich, keinen Ichgedanken. Es tut wirklich gut, sich der Fähigkeiten der Menschenaffen bewusst zu sein, denn wir bilden uns dann weniger auf das eigentlich Selbstverständliche ein und erkennen: Der wirkliche Unterschied, der einzig wesentliche, der den Menschen heraushebt, ist der, dass wir die tiefere Wirklichkeit erfassen können, dass unsere Natur eine doppelte ist, die menschliche, also die biologische, auf der einen Seite und auf der anderen Seite die göttliche Natur, also die Teilhabe am Sein, an der Unendlichkeit, die Erfahrung des Einsseins.
Wenn sich der Geist des Kindes jetzt weiterentwickelt, werden die erfassten Objekte und Erfahrungen zahlreicher, und das Kind braucht eine Strukturierungshilfe: Das ist das Ich, auf das in den nächsten Jahren die Wahrnehmungen und Erfahrungen bezogen werden.
Im Alter von elf bis zwölf Jahren macht der menschliche Geist noch einmal einen radikalen Sprung: Jetzt erst kann das Kind sich selbst wirklich von außen anschauen, es kann Dinge konstruieren, die nicht existieren, es kann einzelne Erfahrungen und Objekte aus vielen Perspektiven (multiperspektivisch) wahrnehmen und ohne Perspektive (a-perspektivisch). Eine 14-Jährige kann beispielsweise wahrnehmen, wie sie selbst als Kind alle Gegenstände und Erfahrungen auf sich bezogen hat, und nicht nur sie selbst, sondern Kinder insgesamt. Sie kann die Wahrnehmung der kleineren Kinder einordnen und ihre Begrenztheit verstehen. Jetzt erst kann sie Dinge so sehen, wie sie sind, ohne sie auf sich zu beziehen. Jetzt kann das Kind, die mittlerweile Jugendliche, Erleuchtung realisieren.
Im erleuchteten Sein ist die Ichvorstellung verschwunden, und Objekte und Erfahrungen können so wahrgenommen werden, wie sie sind. Auch dafür gibt es eine Parallele: Vom Wissenschaftler wird ja genau das gefordert, und wenn es gut läuft, ist er in der Lage, die Ichbezogenheit komplett beiseitezuschieben. Für das erleuchtete Sein ist das die normale Art der Wahrnehmung.
Vor fast 4000 Jahren entstanden die ältesten Schriften Indiens, die Veden. Sie berichten von der menschlichen Befreiung durch das Erwachen. Dann verstrichen wiederum 3000 Jahre, in denen, wie wir wissen, in Indien, mit großer Sicherheit aber auch in anderen Ländern, einzelne Menschen Erleuchtung fanden; in dieser Zeit entwickelte sich das Yoga als Weg zur Erleuchtung, das ja immer schon weit mehr als das bei uns bekannte körperbezogene Hatha-Yoga war. Bis schließlich im ersten Jahrtausend v. Chr., genauer von 800 bis 200 v. Chr., etwas Erstaunliches geschah: In vier verschiedenen Kulturräumen der Welt, die nicht miteinander in Kontakt standen, und zwar in Indien, China, Vorderasien und Europa, vor allem in Griechenland, entwickelte sich das philosophische, spirituelle und technische Wissen wie eine geistige Revolution. Karl Jaspers4 war nicht der Erste, der dieses bemerkenswerte Phänomen untersuchte, aber er gab dieser Phase den Namen »Achsenzeit«, weil diese Zeit die Achse der Weltgeschichte darstelle und – nach dem archaischen, mythisch-magischen Denken – den Beginn des philosophischen und wissenschaftlichen Denkens markiere.
In dieser Zeit verbreitete sich das Erwachen, die Erleuchtung. Am bekanntesten wurde Siddharta Gautama, ein indischer Prinz, der von 563 bis 483 v. Chr. lebte und als der Buddha, der »Erwachte«, die ganze Welt beeinflusst hat. Patanjali schrieb das Yogasutra, den ersten systematischen und vollständigen Text über das bis dahin mündlich tradierte und noch nicht in der heutigen Form entwickelte Yoga – wann genau, ist unbekannt. In Indien wurden auch die Upanischaden verfasst (zwischen 700 und 200 v. Chr.), hinduistische Texte, in denen Erleuchtung im Mittelpunkt stand: Die letzte Wirklichkeit, Brahman, und die innere Natur des Menschen, Atman, sind identisch; indem diese letzte Wirklichkeit realisiert wird, indem Brahman realisiert wird und damit das Erwachen geschieht, findet der Mensch Befreiung vom Leid.
Zur selben Zeit lebte in Griechenland Heraklit (520–460), der die tiefere Einheit unter der Oberflächlichkeit der Gegensätze suchte; von Osho gibt es ein wundervolles Buch über Heraklit mit dem Titel Die verborgene Harmonie. Parmenides (520–460) und Platon (428–348) beschrieben die tiefere Wirklichkeit, deren Erkenntnis die Wahrheit genannt wurde. Zu der Zeit waren Spiritualität und Philosophie noch eins, und der Weg zur Erleuchtung wurde die Suche nach Wahrheit genannt, mit dem Hauptmotto »Erkenne dich selbst«. Sokrates wurde genau dafür zum Tode verurteilt, dass er sagte: »Wenn du die Götter oder Gott finden willst, dann darfst du nicht auf den Olymp hochschauen, sondern musst in dir selbst suchen.«
In China schrieb Laozi um 400 das Daodejing (in früherer Schreibweise Lao-Tse und Tao-Te-King), das Grundwerk des Daoismus, der wichtigsten spirituellen Philosophie Chinas. In ihm beschreibt er die Geisteshaltung des erleuchteten Meisters und lehrt ein Denken, das nicht von Gegenständen und Schubladen bestimmt ist, sondern von Prozessen, von lebendigem Fließen und der Einheit von Tun und Nichttun: »Der Meister tut nichts, und dennoch bleibt nichts ungetan.«
Im Iran wirkte Zarathustra und gründete eine Religion, in der die Auseinandersetzung von Gut und Böse im Zentrum stand. In Israel wirkten die großen Propheten Elias, Jeremias und andere.
In dieser Zeit wurde philosophisch und technisch, vor allem aber auch spirituell, der Grundstein für unsere heutige Welt gelegt. Die Suche nach Erleuchtung hatte zwei Namen: Vor allem in Indien und China hieß sie die Suche nach Befreiung, nach der Befreiung vom Leid; und im Abendland nannte man sie die Suche nach Wahrheit. Einige Jahrhunderte später kam ein dritter Aspekt hinzu: die Suche nach der Liebe in der christlichen Mystik und in der Sufi-Mystik, die sich aus dem Islam entwickelt hat. Freiheit, Wahrheit und Liebe – diese drei Facetten des erleuchteten Seins werden uns noch häufiger begegnen. Im Buddhismus heißt es Erwachen, im Zenbuddhismus Satori, im Hinduismus und Yoga heißt es Samadhi oder Moksha, im Abendland Erleuchtung – und immer ist es dieselbe Erfahrung des Menschen, dieselbe Transformation über all die Jahrtausende.
Wegen der großen Bedeutung des Buddhas und des Buddhismus für die Spiritualität soll etwas näher darauf eingegangen werden. In den Neunzigerjahren habe ich den Buddhismus einige Jahre lang studiert, indem ich an einer ganzen Reihe von Seminaren bedeutender buddhistischer Lamas teilnahm, die in einer großen Stadt wie Berlin alle von Zeit zu Zeit auftauchten.
Gautama Siddhartha wuchs in der Abgeschiedenheit des königlichen Palastes auf und war dann ziemlich plötzlich mit dem Leid der Menschen konfrontiert, mit Krankheit und Tod und wie all das zum allgemeinen Leiden des Menschen führte. Und er konnte sich nicht vorstellen, dass dieses unermessliche Leid die Bestimmung des Menschen sein sollte; es musste einen Ausweg geben. Über Jahre praktizierte er alle damals bekannten Übungen, das Yoga, das Fasten als Bettelmönch, asketische Übungen, körperliche wie geistige, und so kam er eines Tages zu der Einsicht: All die Übungen, jahrelang praktiziert, hatten ihm keine Erleuchtung gebracht. Was blieb ihm übrig? Er beschloss, sich unter einen Baum zu setzen, nichts mehr zu tun und zu warten, ob er Erleuchtung finden würde oder nicht. Er saß dort und tat nichts.