Erwartungsangst überwinden - Sally M. Winston - E-Book

Erwartungsangst überwinden E-Book

Sally M. Winston

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Beschreibung

Frei und flexibel im Hier und Jetzt leben Gehen Sie automatisch immer vom Schlimmsten aus? Stressen Sie Situationen, die noch nicht eingetreten sind, oder lauert für Sie hinter jeder Ecke eine Katastrophe? Fühlen Sie sich bei Entscheidungen überfordert und wie gelähmt? Von subtilem Vermeidungsverhalten bis hin zu alptraumhaften Ängsten: Immer ist Erwartungsangst der Motor, der all das antreibt. Erwartungsangst ist laut Sally Winston und Martin Seif die dritte Schicht der Angst bzw. die Angst vor der Angst vor der Angst: Man fürchtet, dass einen etwas, vor dem man Angst hat, tatsächlich ängstigen könnte. Das Ergebnis: Man tut überhaupt nichts mehr. Betroffene lernen in diesem Buch, wie und warum sie derart ausgebremst werden und wie sie den Weg in ein flexibleres und glücklicheres Leben finden.

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Seitenzahl: 251

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Sally M. Winston & Martin N. SeifErwartungsangst überwindenWege aus chronischer Unentschiedenheit, Vermeidung und Katastrophendenken

Über dieses Buch

Frei und flexibel im Hier und Jetzt leben 

Gehen Sie automatisch immer vom Schlimmsten aus? Stressen Sie Situationen, die noch nicht eingetreten sind, oder lauert für Sie hinter jeder Ecke eine Katastrophe? Fühlen Sie sich bei Entscheidungen überfordert und wie gelähmt? Von subtilem Vermeidungsverhalten bis hin zu alptraumhaften Ängsten: Immer ist Erwartungsangst der Motor, der all das antreibt. 

Erwartungsangst ist laut Sally Winston und Martin Seif die dritte Schicht der Angst bzw. die Angst vor der Angst vor der Angst: Man fürchtet, dass einen etwas, vor dem man Angst hat, tatsächlich ängstigen könnte. Das Ergebnis: Man tut überhaupt nichts mehr. Betroffene lernen in diesem Buch, wie und warum sie derart ausgebremst werden und wie sie den Weg in ein flexibleres und glücklicheres Leben finden.

Sally M. Winston, ist ist Gründerin des Anxiety and Stress Disorders Institute of Maryland. Sie war Vorsitzende des Clinical Advisory Board of the Anxiety and Depression Association of America (ADAA) und hat langjährige Erfahrung als Klinikerin und in der Weiterbildung von Therapeut:innen.

Martin N. Seif, PhD, ist Mitbegründer der Anxiety and Depression Association of America und langjähriges Vorstandsmitglied. Er ist stellvertretender Direktor des Anxiety and Phobia Treatment Center in New York und arbeitet in eigener Praxis.

Copyright: © der deutschen Ausgabe Junfermann Verlag, Paderborn 2024

Copyright: © der Originalausgabe 2022 by Martin N. Seif and Sally M. Winston

Translated from the English language: Overcoming Anticipatory Anxiety. A CBT Guide for Moving past Chronic Indecisiveness, Avoidance, and Catastrophic Thinking

First published by: New Harbinger Publications, Inc.

Coverbild: © NLshop (iStock)

Übersetzung: Claudia Campisi

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsjahr dieser E-Book-Ausgabe: 2024

ISBN der Printausgabe: 978-3-7495-0495-4

ISBN dieses E-Books: 978-3-7495-0496-1 (EPUB), 978-3-7495-0497-8 (PDF).

Einleitung

Passiert es Ihnen häufig, dass Sie etwas vorhaben und dem schon Tage oder sogar Wochen vorher mit Bangen entgegensehen, dass Sie in Erwartung des Schlimmsten hin und her überlegen, ob Sie tatsächlich hingehen, und dass Sie überaus vorsorglich Fluchtwege, Ausreden oder Erklärungen für Ihr Nichterscheinen planen? Es könnte eine Veranstaltung, eine Rede oder ein Arzttermin sein. Oder etwas, auf das andere sich freuen würden: die eigene Hochzeit, ein Treffen mit einem alten Freund oder die Aussicht auf eine Reise. Vielleicht ist es etwas, dem Sie sich im Vorfeld nicht gewachsen fühlen, obwohl Sie es schon viele Male getan haben: Auto fahren, Ihr Enkelkind hüten oder Ihre Steuererklärung machen. Lassen Sie sich in diesen Situationen von anderen begleiten oder helfen, wenigstens „für alle Fälle“? Haben Sie sich damit abgefunden, dass Ihnen vor großen und kleinen Dingen immer wieder mulmig wird und Sie statt angenehmer Vorfreude unangenehme Vorangst verspüren? Ärgern Sie sich über sich selbst, weil Sie vor lauter Zaghaftigkeit nicht das machen, was Sie eigentlich wollen? Oder kritisieren Sie sich dafür, dass Sie auf Sicherheitsvorkehrungen angewiesen sind oder kein Selbstbewusstsein haben?

Falls Ihnen diese Beschreibungen bekannt vorkommen, dann leiden Sie unter „Erwartungsangst“, was bedeutet: Sie erwarten, in bestimmten Ereignissen oder Situationen Angst zu haben oder sich unwohl zu fühlen und fürchten sich schon im Vorfeld. Weil es Ihnen schon ganz oft genau so ergangen ist. Das Grauen eines Klaustrophobikers schon Stunden vor der Fahrt mit dem Aufzug ist Erwartungsangst. Die Sorge, man könnte sich eine Infektion einfangen, weil man sich am nächsten Tag vielleicht auf einen schmuddeligen Platz setzen muss, ist Erwartungsangst. Und wer unter Lampenfieber leidet und befürchtet, sich damit den eine Woche später anstehenden Vortrag zu ruinieren, hat ebenfalls Erwartungsangst.

Sie brauchen den Begriff „Erwartungsangst“ nicht zu kennen, um sie zu haben. Wenn Sie sie aber haben, dann vergeht wahrscheinlich kein Tag Ihres Lebens ohne sie. Von der subtilsten Aversion oder Vermeidung bis zum größten Horror – der Motor ist immer Erwartungsangst. Wie sie sich auf Ihr Leben und das Ihrer Lieben auswirkt, ist leicht zu erkennen: Sie verpassen Gelegenheiten, frustrieren andere mit Ihrer Zauderei und Vagheit und auch sich selbst, wenn Sie sich vor Herausforderungen drücken und deswegen Enttäuschungen erleben. Sie machen sich Sorgen, Sie schrecken vor etwas zurück, Sie planen Ausweichmanöver und Alternativen – und immer ist die Erwartungsangst mit im Spiel. Zwar ist das keine eigenständige formale Diagnose, aber Teil fast aller Arten von Ängsten. Und ihre Folgen sind beileibe nicht ohne: weniger Flexibilität, weniger Freiheit, weniger Freude.

Und das ist noch nicht alles. Häufig geht Erwartungsangst Hand in Hand mit einem weiteren Problem, nämlich der chronischen Unentschlossenheit: der lähmenden Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen, sowohl kleine als auch große. Gibt es etwas, das Sie schon seit Jahren kaufen wollten? Doch immer, wenn Sie daran denken, recherchieren Sie endlos und entscheiden sich am Ende für gar nichts? Finden Sie tausend Gründe, die für und gegen den Kauf sprechen? Wächst Ihnen das Ganze über den Kopf oder verkompliziert es sich derart, dass Sie die Entscheidung eins ums andre Mal verschieben? Geht es Ihnen bei bevorstehenden Entscheidungen in Ihrer Beziehung, im Beruf, in der Ausbildung oder im Studium wie dem Kaninchen vor der Schlange, und Sie erstarren förmlich? Wollen Sie schon seit Jahren in eine andere Wohnung oder in eine andere Stadt ziehen und bringen es einfach nicht über sich? Haben Sie Angst, eine getroffene Entscheidung zu bereuen oder etwas zu verpassen, weil Sie mit dem eingeschlagenen Weg einen anderen ausschließen würden? Schreiben Sie Für-und-Wider-Listen und tun dann aber nichts? „Wissen“ Sie eigentlich, was Sie wollen, tun es dann aber nicht? Oder rühren Sie sich nicht von der Stelle, weil Ihnen jede Veränderung, einfach alles, was Ihnen unbekannt ist oder eine feste Zusage von Ihnen fordert, so gar nicht geheuer ist?

Falls diese Beschreibungen auf Sie zutreffen, dann können die von aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen gestützten Informationen und Vorschläge in unserem Buch Ihnen helfen, sich zu befreien und ein erfüllteres, flexibleres und schöneres Leben zu führen. Angsterwartungen zu überwinden kann ziemlich viel Mühe kosten – doch es lohnt sich. Als Erstes werden Sie erkennen, wann Sie Situationen oder Erfahrungen vor sich hinschieben oder meiden und anschließend werden Sie verstehen, auf welche Weise Erinnerungen, Vorstellungen und Wünsche nach Sicherheit, Geborgenheit und Gewissheit zu Trugschlüssen über die Zukunft führen. Sie werden erfahren, welche Rolle Gedanken und Gefühle beim Vermeiden des Befürchteten spielen, wie sie das Entscheidungsvermögen lähmen und es Ihnen schwer machen, zwischen einem realistischen Szenario und einem Fehlalarm zu unterscheiden. Sie werden lernen, die Signale der Vorangst nicht als rote Gefahrenflagge einzuordnen, sondern als Aufruf zum Handeln. Und vor allem werden Sie lernen, wie Sie sich dieser Angst stellen, wie Sie große und kleine Entscheidungen treffen und ein vitales, engagiertes Leben führen können.

Warum ist dieses Buch anders?

Vielleicht haben Sie bereits andere Selbsthilfebücher gelesen und verschiedene Techniken und Übungen ausprobiert, zur Entspannung, um sich keine Sorgen mehr zu machen, um zuversichtlich entscheiden zu können oder um irrationale Gedanken durch rationale zu ersetzen und sich Ihren Ängsten zu stellen. Was Sie jetzt in Händen halten, ist jedoch kein Arbeitsbuch mit Techniken. Es baut keine „Skills“ auf, gibt keine Anleitungen. Es ist vielmehr eine Landkarte, die Ihnen den Weg weist, wie Sie Ihr Verhältnis zu Ihrem Denken fundamental ändern können. Mithilfe dieser Karte werden Sie sich nicht mehr von Ihrer Angst drangsalieren lassen und langsam, aber sicher in den Genuss erwünschter Erfahrungen kommen. Wir geben Ihnen alle notwendigen Informationen, damit Sie zuversichtlich über Ihren „Angstschatten“ springen und das tun, was Ihnen am Herzen liegt, damit Sie in der Lage sind, sich in kleinen wie in großen Dingen freier zu entscheiden.

Sie müssen wissen, wie Sie von Ihrer Fantasie in die Mangel genommen werden, wie Ihr Gehirn und Ihr Körper darauf reagieren und in die Vermeidung gezwungen werden. Diese Prozesse erkennen zu lernen ist anstrengend. Neue Verhaltensweisen auszuprobieren erfordert Mut. Da die alten jedoch nicht erfolgreich waren und Sie andere Resultate zu sehen wünschen, werden Sie nicht darum herumkommen. Wahrscheinlich hat es Sie schon viel Energie gekostet, die Erwartungsangst vor bestimmten Dingen abzublocken und sie trotzdem zu machen. Wir werden Ihnen zeigen, weshalb das nichts bringt und was weitaus besser funktioniert. Wenn Sie unsere Vorschläge befolgen, wird es aller Voraussicht nach leichter als Sie erwarten!

Wir sind auf die Behandlung von Ängsten spezialisiert und haben in den vergangenen 40 Jahren Tausende Betroffene unterstützt, ihre lähmende Angst überwinden zu lernen. Neue Techniken? Die bekommen Sie nicht von uns – und wahrscheinlich haben Sie sowieso schon genug ausprobiert und benötigen keine weiteren. Stattdessen wollen wir Ihnen zu einem allmählichen Haltungswandel verhelfen: Stutzen Sie nicht länger Ihr Leben zurück, sondern Ihr Unheil verheißendes Vorstellungsvermögen. Sobald Sie verstehen, was passiert, werden Sie den Weg hinaus erkennen. Der besteht darin, die Kontrolle zu lockern und Ihre beunruhigenden Gedanken weniger ernstzunehmen. Sie hissen die weiße Fahne und kommen frei.

Wie Sie für sich das meiste aus diesem Buch herausholen

Lesen Sie das Buch chronologisch durch, von der Einleitung bis zum Schluss – obwohl ja immer die Versuchung da ist, vorzublättern und direkt die Kapitel aufzuschlagen, die erklären, was zu tun ist, erst recht, wenn Sie mit Angst zu kämpfen haben. Bitte nicht! Ohne den Grundlagenteil, in dem wir unseren Ansatz erklären und warum es nichts bringt, wenn man sich stärker gegen die Ängste zur Wehr setzt und Entscheidungen mit Willenskraft zu erzwingen sucht, ergibt das Folgende keinen Sinn.

Nach der theoretischen Einführung in die Themen Erwartungsangst und chronische Unentschlossenheit stellen wir in Kapitel 3 die biologischen Eckpfeiler von Angst vor und auf welche Weise sie mit Umweltstressoren zusammenwirken. Kapitel 4 befasst sich mit Vermeidungsstrategien – den subtilen und offensichtlichen, den großen und kleinen, den bewussten und unbewussten – sowie mit der Frage, warum sie Angst und Unentschlossenheit schüren. In Kapitel 5 erfahren Sie, wie Ihre Vorstellungskraft Ihren gesunden Menschenverstand „hackt“, sodass Ihre Prognosen immer düsterer ausfallen und Sie Probleme bekommen, sich zu entscheiden und sich festzulegen. Kapitel 6 handelt von den drei Hauptfaktoren der chronischen Unentschlossenheit: Perfektionismus, das Verlangen nach Gewissheit und Angst vor Reue. Kapitel 7 erläutert die metakognitive Perspektive, durch die Sie über Ihre Schreckensvorstellungen und Katastrophengedanken hinwegkommen, und veranschaulicht die fundamentale Haltungsänderung, die zur Besserung führt. In Kapitel 8 lernen Sie nicht nur, wie Sie die Haltungs- und Einstellungsänderungen konkret umsetzen können, sondern auch die fünf Schritte der therapeutischen Kapitulation namens TANZE. Kapitel 9 beantwortet häufig auftretende Fragen, und Kapitel 10 beschreibt den Weg zur Genesung und was man tun kann, damit sie nachhaltig ist.

1. Erwartungsangst: Wenn man schon vor dem Schnitt blutet

Angst gestaltet sich vielfältig. Sie zeigt sich in Form einer Phobie, Sozialangst oder Panik, als Zwanghaftigkeit oder als quälende Intrusion. Sie tritt als körperliches Symptom auf oder als endlose, hartnäckige und nie zur Ruhe kommen lassende Sorgenparade. Und fast immer ist Erwartung mit im Spiel. In der Regel wird sie von unguten Zukunftsahnungen und Zweifeln an der eigenen Leistung, Sicherheit oder Gesundheit begleitet und hat Einfluss auf Lebensentscheidungen. Und natürlich schränkt sie die Freiheit ein, so zu leben, wie man will.

Falls Sie unter einer dieser Ängste leiden, dann kennen Sie also auch Erwartungsangst. Mit einfachen Worten: Erwartete Angst ist erwartetes Leid, das schon vor seinem Eintreffen in die Vermeidung treibt.

1.1 Was ist Erwartungsangst?

Antizipatorische Angst, also vorwegnehmende, verfrühte Angst beziehungsweise Erwartungsangst – gewissermaßen „Vorangst“ – ist Besorgnis um die Zukunft, die Befürchtung einer Katastrophe oder Niederlage. Sie stehen vor einer schwierigen Entscheidung, Situation oder Handlung und es graut Ihnen davor. Es ist das mulmige Gefühl, das Sie beschleicht, wenn Sie Ihrer einfallsreichen Vorahnung auf den Leim gehen und sich von ihr all das Böse aufschwatzen lassen, das Ihnen zustoßen könnte. Sie scheint überall Gefahren zu wittern und klingt wie eine Warnung, stehenzubleiben oder zumindest nur ganz vorsichtig weiterzugehen.

Stellen Sie sich Angst zwiebelartig aus drei Schichten bestehend vor:

Zuerst fürchtet man sich vor etwas, zum Beispiel: Ich fürchte mich vor Wespen.

Dann hat man davor Angst, dass man sich fürchtet. Diese „Angst vor der Angst“ kennen wir auch als Panik. Beispiel: Beim Anblick einer Wespe habe ich panische Angst, dass ich die Beherrschung verlieren oder einen Herzinfarkt bekommen könnte.

Und schließlich gelangen wir zur Angst vor der Angst vor der Angst. Das ist weniger kompliziert, als es klingt. Greifen wir noch einmal das Beispiel mit der Wespe auf: Nächste Woche will ich zelten gehen, aber schon beim Gedanken daran geht es mir schlecht, weil ich eine Wespe sehen, in Panik geraten, die Beherrschung verlieren und durchdrehen könnte. Am besten lasse ich den Ausflug bleiben und sage ab.

Diese dritte Schicht ist die Erwartungsangst. Sie ist ein starker Motor der Vermeidung, weil sie die Aufmerksamkeit auf die negativen Dinge richtet, die eintreten könnten. Fallen diese Vorhersagen nur leicht negativ aus – etwa, dass Sie bei Ihrer Projektpräsentation in Schweiß ausbrechen –, dann glauben Sie, dass Sie es vielleicht trotzdem schaffen und ziehen es durch. Katastrophenvorhersagen jedoch – etwa die, dass Sie eine Panikattacke bekommen, sich total blamieren und es sich bei allen in der Firma für immer gründlich verscherzen – lösen eine Angst aus, die so lähmend ist, dass Sie Ihr Vorhaben nicht ausführen. Erwartungsangst sieht nur einen einzigen Ausweg: die Vermeidung.

Fakt ist: Erwartungsangst ist die dritte Schicht der Angst und der hauptsächliche Motor der Vermeidung.

Befürchtete Niederlagen, Verluste oder Katastrophen erzeugen jedoch nicht nur die Erwartung von Angst und Panik, sondern auch die anderer unangenehmer Gefühle wie beispielsweise Ekel, Wut, Scham, Reue, Demütigung oder Überforderung, die genauso um jeden Preis abgewehrt werden müssen.

Fakt ist: Erwartungsangst umfasst alle möglichen Arten unerwünschter Gefühle oder Erfahrungen.

1.2 Erkennen Sie Erwartungsangst als Teil Ihrer Angststörung

Die meisten Menschen mit Angststörungen erkennen nicht sofort, dass Erwartungsangst aus zwei separaten Komponenten besteht: Da ist zum einen die Angst selbst (eine Phobie, Sozialangst, Panik, Sorge, zwanghafte Gedanken oder Verhaltensweisen) und zum anderen die Beklemmung schon im Vorfeld der erwarteten Begegnung mit dem Befürchteten. Erwartungsangst ist, wenn Sie eine Panikattacke erwarten und bereits Stunden, Tage oder sogar Wochen vorher Angst bekommen. Erwartungsangst ist, wenn Sie möglicherweise gefährliche Situationen gedanklich durchspielen (wie beispielsweise jemand Neues kennenzulernen, eine öffentliche Toilette zu benutzen oder eine spontane Idee oder Empfindung nicht wichtig zu nehmen), Ihnen dabei lauter Schreckensbilder durch den Kopf gehen, was dann alles schiefgehen könnte, und Sie sich selbst Angst einjagen.

Wie können Sie aber klar auseinanderhalten, was die befürchtete Situation, Entscheidung oder Konfrontation ist und was die Vorangst? Bedenken Sie, dass Letztere in diversen Verkleidungen auftritt, je nachdem etwa als Unvermögen, allein zu sein, als phobische Vermeidung, Lampenfieber oder Schlaflosigkeit. Sie kann aber auch als ausgetüftelter Plan zum Schutz vor Ansteckung daherkommen oder als qualvolles hypochondrisches Warten auf den ärztlichen Befund, als bedrohliche Wiederkehr eines unerwünschten aufdringlichen Gedankens oder als chronisches Hyperventilieren. All diese typischen zwanghaften Verhaltensweisen, Gedanken und Rituale beruhen auf Erwartungsangst. Sie ist es, die dazu antreibt, das von der Zwangsstörung verursachte Unbehagen („Ich halte es nicht aus, wenn …“) unmittelbar zu lindern.

Erwartungsangst kann der Horror vor Partys, Restaurantbesuchen oder Reisen sein, vor allem, wo etwas Unvorhergesehenes geschehen könnte, mit dem man nicht fertig wird. Die Nacht auf keinen Fall allein verbringen zu wollen, weil man plötzlich krank werden oder sich fürchten könnte, ist möglicherweise Erwartungsangst. Vielleicht lassen Sie ihretwegen die Finger von Liebesbeziehungen oder Ihnen wird jeden Morgen vor dem Weg zur Arbeit „plötzlich übel“, weil Sie Ihre Kündigung befürchten.

Manche sprechen von „frei flottierender“ oder „diffuser“ Angst. Der Körper befindet sich in ständiger Anspannung, für alle Eventualitäten bereit, doch ohne zu wissen wofür genau. Körperverspannungen können zu Kopfweh, Brustschmerzen und Muskelkrämpfen führen und sind ungesund. Tatsächlich ist Erwartungsangst der verstärkende Hauptfaktor für chronisches Hyperventilieren (Fried & Grimaldi 1993; Tavel 2017), die Vorstufe der Panikattacke. Auch chronische Magen-Darm-Probleme wie Durchfall, Übelkeit und Erbrechen lassen sich auf Erwartungsangst zurückführen (Singh et al. 2016). Diese ist auch verantwortlich für Verhaltensweisen (z. B. was man sagt und tut, wohin man geht etc.), mit denen man sich die Symptome vom Leib zu halten sucht. In ihrer leichten Form kann sie sich wie normale Besorgnis anfühlen, sich aber auch so steigern, dass man geradezu von „Erwartungspanik“ sprechen kann.

Antizipatorische Angst spielt eine Hauptrolle bei der Generalisierten Angststörung (GAS), und zwar in Form von unproduktiver, exzessiver Sorge, die im Wesentlichen aus zwei Gedankenkomponenten besteht: Die erste dreht sich um die Angst auslösende Frage „Was ist, wenn (etwas Schlimmes) passiert?“ und die zweite um die Beseitigung dieser Angst. Komponente Nummer zwei tut, als wolle sie helfen, doch das ist reine Illusion. In Wirklichkeit hält sie den Angstkreislauf am Laufen. Ihre Vermeidungsstrategien nennen sich „Planen“, „Analysieren“, „Sinnieren“ oder „Probleme bewältigen“. Wie das in allen Einzelheiten aussieht, können Sie in unserem Buch Ist das Bügeleisen auch wirklich aus? nachlesen (Seif & Winston 2021).

Fakt ist: Die fantasievollen „Was-wenn“-Gedanken, die zur quälenden Sorge der Generalisierten Angststörung (GAS) gehören, sind nichts anderes als Erwartungsangst.

Vorsicht: Erwartungsangst kann ein verdecktes Symptom bei Sozialangst sowie bei Substanzmissbrauch sein, etwa wenn man sich mit Alkohol oder Drogen schon vor der Party oder dem Kneipenabend „in Stimmung bringt“. Beide Störungen treten häufig Hand in Hand auf, mit der Erwartungsangst als verbindendem Hauptfaktor. Es ist extrem wichtig, das Augenmerk darauf zu richten, denn die Angst vor den Qualen des Entzugs kann die Sucht aufrechterhalten. Und: Bis zu einem bestimmten Grad kann Erwartungsangst auch ohne die Erfüllung der offiziellen medizinischen Störungskriterien eine Rolle spielen.

Erwartungsangst ist ein Produkt Ihrer Fantasie. Sie tut so, als sei sie ein Vorbote für das, was die Zukunft für Sie bereithält, das ist aber nur einer ihren vielen Tricks, mit denen sie Sie in die Irre führt. Und obwohl sie mit ihren Vorhersagen so oft völlig danebenliegt, ist sie erstaunlich veränderungsresistent. Diese Erkenntnis ist der erste Schritt auf dem Weg in ein Leben frei von Erwartungsangst.

Auch die Erkenntnis, dass Angst aus zwei separaten Komponenten besteht – der eigentlichen sowie der erwarteten – bringt, wie wir von vielen Patient:innen gehört haben, die Wende. Lesen Sie also dieses Buch von Anfang bis Ende durch und Sie werden lernen, den Finger präzise auf diese zweite Komponente zu legen, die mit der Erwartung.

Sehen wir uns nun ein Beispiel für Erwartungsangst an – die Flugangst.

   Beispiel:

Molly war nie sehr gerne geflogen und weil sie sich vor den erwarteten Flugangstattacken so sehr fürchtete, hatte sie zwangsweise acht Jahre lang komplett darauf verzichtet. Doch sie wollte ihre Phobie unbedingt überwinden. Deshalb nahm sie allen Mut zusammen und bestieg ein Flugzeug. Und dann noch einmal. Und noch einmal. So lange, bis sie sich heute, drei Jahre und viele Flüge später, zu einer recht sattelfesten Flugpassagierin entwickelt hat – das heißt, sobald sie in der Maschine sitzt. Vorher zittert sie noch immer. Sie macht sich Sorgen um das Wetter, die Gesundheit des Piloten oder die Windstärke und mögliche Turbulenzen. Der beunruhigende Gedanke, dass die Angst ihr das Fliegen für alle Zeiten unmöglich machen könnte, lässt sie nie so ganz los.

Sie sehen – und das ist der springende Punkt – Erwartungsangst überdauert das Ende der Phobie. Nachdem sich Molly dessen klar geworden ist, hat sie gelernt, die Erwartungsangst als Fehlprognose zu entlarven, sich von ihr zu keiner Vermeidungsreaktion provozieren zu lassen und unabhängig von ihrem Gefühl einfach zu fliegen. Und seit sie die Erwartungsangst nicht mehr bei ihren Entscheidungen berücksichtigt, sondern sie als Schall und Rauch einstuft, leidet sie immer seltener darunter.

Fakt ist: Erwartungsangst ist während der Genesung von Angst- und Zwangsstörungen meist die letzte, die von Bord geht.

Auch wenn Sie keine Flugangst haben – worauf es hier ankommt, ist, dass die Erwartung von Angst häufig hinderlicher ist als das Befürchtete selbst. Und das ist, wie Sie im Folgenden sehen werden, extrem verbreitet.

1.3 Wie häufig ist Erwartungsangst?

Es gibt viele Studien – um genauer zu sein: Bevölkerungsumfragen, auch „epidemiologische Studien“ genannt –, die sich damit befassen, wie viele Menschen bestimmte psychische Störungen haben. Wie wir jedoch bereits sagten, ist Erwartungsangst für sich genommen keine Diagnose, sondern vielmehr ein „transdiagnostisches“ Phänomen, ein weit verbreitetes Merkmal beinahe aller Angststörungen, das auch häufig bei affektiven Störungen, besonders aber der Depression, vorkommt. Es zeigt sich auch bei Posttraumatischen Belastungsstörungen, hauptsächlich in Bezug auf die Erwartung, mit Erinnerungen an das Trauma konfrontiert zu werden. Aus diesem Grund können wir zur Anzahl der von Erwartungsangst Betroffenen keine genauen Angaben machen.

Werfen wir also stattdessen einen Blick auf die allgemeinen Zahlen. Die meisten Studien legen nahe, dass ca. 10 Prozent der Bevölkerung im Lauf ihres Lebens eine Angststörung, etwa ebenso viele eine Depression und 5–7 Prozent eine Posttraumatische Belastungsstörung bekommen. Eine extrem konservative Schätzung geht von 15 Prozent aus, die im Lauf ihres Lebens von Erwartungsangst betroffen sind (Eaton et al. 1981). Allein für die USA bedeutet das schon über 50 Millionen Menschen.

Sollten Sie also mit Erwartungsangst zu kämpfen haben, seien Sie versichert: Sie sind nicht allein. Es handelt sich um ein sehr verbreitetes Phänomen, vor dem keine Altersgruppe verschont bleibt.

1.4 Im Lauf des Lebens

Erwartungsangst ist nicht selten erblich bedingt. Fallen Ihnen etwa beim Lesen immer mehr Verwandte ein, die davon betroffen sind? Sowohl junge als auch alte? Erwartungsangst tritt nämlich altersunabhängig auf, aber auch altersgerecht. Sie treibt ihre Blüten schon in der Kindheit, man braucht nur alt genug zu sein, um sich die Zukunft vorzustellen. Ein Beispiel: Ihr Kind soll geimpft werden und hat schon Wochen Angst davor, will immer wieder wissen, wie es sich anfühlen wird, weigert sich, nervt oder kann nicht schlafen. In der Arztpraxis sträubt es sich vor der Spritze, weint und schlägt um sich. Und dann ist es so schnell vorüber, dass alle sagen: „Siehst du? So viel Lärm um nichts.“ Trotzdem ist es beim nächsten Mal keinen Deut besser. Das liegt an der Erwartungsangst. Weil sie viel lebhafter in Erinnerung bleibt als die Sache selbst, ist sie schlimmer als diese.

Weitere Beispiele: Ihr Sohn will nicht auf die Geburtstagsparty seines Freundes. Am Ende besinnt er sich und geht doch hin, zwar nur zögerlich und zunächst schüchtern, doch dann amüsiert er sich. Oder er steht vor einer Prüfung und ist Tage und Stunden vorher ein reines Nervenbündel, nichts kann man ihm rechtmachen, er zieht Grimassen oder sucht Streit. Oder Ihre Tochter bekommt in der Nacht vor ihrem Konzert oder vor dem anstehenden Treffen mit dem von der Familie getrennt lebenden Vater Bauchschmerzen und muss sich übergeben. Oder ihr vergeht jedes Mal der Appetit, wenn das Ferienlager beim Essen zur Sprache kommt. Häufig haben die Sorgen von Kindern mit Themen zu tun wie Gesundheit oder Sicherheit, mit dem Tod eines Elternteils, dem Beginn von etwas Neuen, bevorstehenden Schul- und Freizeitaktivitäten und der Aussicht, allein einschlafen zu müssen. Bei Teenagern stehen die Schule und ihre Beziehungen zu Gleichaltrigen im Vordergrund, sie machen sich Sorgen um ihre berufliche Zukunft, ihr Liebesleben oder die globalen Folgen des Klimawandels.

Am anderen Ende des Altersspektrums wird der Mensch sich immer stärker seiner physischen Schwachpunkte bewusst, seines unzuverlässigen Gedächtnisses, seines veralteten technologischen Know-hows, häufig auch seiner Verluste und anderer unliebsamen Veränderungen.

Mit der zunehmenden Wachsamkeit im Alter wächst auch die Erwartungsangst. Als Auslöser reicht ein Sturz oder die Tatsache, dass man einmal etwas Wichtiges vergessen hat. So verlieren viele Senior:innen, obwohl sie fit sind, selbstständig leben und Neues lernen können, an Selbstbewusstsein und trauen sich wegen ihrer Angsterwartung nicht mehr an Ungewohntes heran. Was ihnen Sorgen bereitet, ist meist das Gehen, das Alleinsein (besonders nachts), ihre Gesundheit, ihre finanzielle Situation, neue Technologien, beunruhigende Nachrichten in den Medien sowie die Möglichkeit von Behinderung und Demenz.

Was bei jedem Alter und bei jedem Thema immer gleich ist: Erwartungsangst drängt zu Vermeidung, sie macht verzagt und verdirbt den Spaß. Und, wie Sie sehen werden, können Sie sich nur mit exakt denselben altersunabhängigen Prinzipien aus dem Griff dieser Angst lösen. Werfen wir jedoch erst einmal einen Blick auf die Rolle der Unentschlossenheit.

1.5 Unentschlossenheit verschlimmert Erwartungsangst

Wenn Sie genau hinschauen, erkennen Sie: Ihre Erwartungsangst steigt bei Unentschlossenheit und sinkt mit jeder getroffenen Entscheidung – ob für oder gegen etwas, spielt interessanterweise keine Rolle.

Nehmen wir einmal an, Sie sind morgen in der Teambesprechung mit einer Präsentation dran und nun graust Ihnen davor, weil Sie sie sicher verhauen werden. Wenn Sie beschließen, sich krank zu melden und jemanden zu bitten, für Sie einzuspringen, dann fällt Ihre Angst auf null und schon sind Sie wesentlich entspannter. Vielleicht ärgern Sie sich über sich selbst, beschimpfen sich vielleicht als inkompetente Versagerin – aber Ihr Horror vor dem morgigen Tag löst sich in Luft auf. Entscheiden Sie, sich der vorgestellten Zerreißprobe nicht auszusetzen, setzt sofort Erleichterung ein. Sobald die Erwartungsangst Sie in die Vermeidung zwingt, ist sie verflogen.

Fakt ist: Erwartungsangst verfliegt, wenn auch nur zeitweise, sobald Sie sich für die Vermeidung entscheiden.

Wenn Sie andererseits ständig weiter schwanken zwischen Hingehen und Nicht-Hingehen, wenn Sie immer weiter mit sich hadern und sich wieder und wieder umentscheiden, dann werden Sie feststellen, dass Ihre Erwartungsangst steigt. Und je mehr die Entscheidung drängt, desto schwieriger wird sie. Erleichterung? Fehlanzeige.

Wenn Sie entscheiden, das Ganze auf Gedeih und Verderb durchzuziehen und dazu stehen, passiert etwas weniger Dramatisches: Ihre Erwartungsangst lässt langsam nach. Haben Sie sich erst mal festgelegt, hört der innere Zwist auf. Sobald Sie Ihre Aufmerksamkeit nicht unentwegt auf die Entscheidungsfindung richten müssen – dito die Risikoabwägung, die Planung potenzieller Fluchtwege, die Sorge über das Kommende –, legt sich Ihre Angst allmählich und zieht sich in den Hintergrund zurück. Sich definitiv festzulegen und es konsequent durchzuziehen, bringt Erleichterung.

Genau das meinen wir, wenn wir sagen: Erwartungsangst sinkt mit der Entscheidung – egal wie sie ausfällt.

Fakt ist: Erwartungsangst steigt durch Unentschlossenheit.

Wie Erwartungsangst langfristig durch Vermeidung ge- und verstärkt wird, zeigen wir Ihnen später. Nehmen Sie einstweilen den Zusammenhang zwischen beidem einfach zur Kenntnis. Vorangst ist nur so lange da, wie Sie etwas vorhaben, irgendwo hinwollen; wenn Sie anvisieren, sich dem Grund Ihrer Furcht zu stellen, vor ein Publikum zu treten, zu verreisen oder sich wie auch immer der Ursache Ihrer Qualen zu nähern.

Da Sie nun etwas besser verstehen, wie Unentschlossenheit und Vermeidung zu Erwartungsangst beitragen, wollen wir genauer schauen, wie diese sich bemerkbar macht.

1.6 Die fünf Erscheinungsformen der Erwartungsangst

Es folgen nun einige Beispiele, wie sich Erwartungsangst am häufigsten bemerkbar macht. Egal, ob es sich um kontraproduktive Einstellungen handelt, um Katastrophenfantasien, vermeidende Verhaltens- und Erlebensweisen, innere Dialoge, bei denen gefeilscht, gestritten und geplant wird, oder um Angstbewältigungsmethoden, die jedoch nach hinten losgehen und Unruhe schüren: Immer und unwillkürlich entfaltet Erwartungsangst eine Eigendynamik. Deswegen ist sie so weit verbreitet und so hartnäckig, obwohl man sich solche Mühe gibt, sie abzuschütteln. Jede einzelne Erscheinungsform entwickelt ihre eigene individuelle, selbstverstärkende Spirale. Wie diese jeweils aussieht und wie man sie zurückschraubt, werden wir in späteren Kapiteln detaillierter erläutern.

Mit geballten Fäusten. Nehmen wir an, Sie haben sich eine Verantwortung aufgehalst oder fühlen sich dazu verpflichtet und automatisch wallt Angst bei Ihnen auf. Sie erinnern sich an Ihre letzte Begegnung mit der Angst und wie schlimm das damals war. Aber Sie sagen sich: „Ich kann nicht mehr zurückrudern. Ich MUSS es einfach tun. Das wird bestimmt ganz furchtbar, aber es geht nicht anders – ich muss da jetzt durch. Wie schrecklich!“ Nur leider ist das meist die Garantie, dass die Erwartungsangst mit Näherrücken des Termins durch die Decke und als Siegerin vom Schlachtfeld geht. Und zwar auf zweierlei Wegen: Entweder indem Sie den Termin absagen oder aber indem Sie sich hinzwingen, im Vorfeld aber Höllenqualen erleiden, die sich unabhängig davon, wie es tatsächlich für Sie ausgeht, aufs Lebhafteste in Ihr Gedächtnis einbrennen. Und da Erwartungsangst die Erinnerung an die Realität überschreibt, wird es Ihnen beim nächsten Mal nicht besser ergehen. Sich durchzukämpfen wird immer wehtun.

Diese Hauruckmethode ist die häufigste Erscheinungsform der Erwartungsangst. Die entgegengesetzte Haltung ist die der Bereitwilligkeit. Diese ermöglicht eine allmähliche Besserung, weil sie auf Angsterfahrungen aufbaut, statt sich von jeder weiteren immer mehr zermürben zu lassen. Wir kommen in Kapitel 8 darauf zurück.

Innerer Zwist. Stellen Sie sich vor, Sie haben Flugangst. Ein Familienausflug nach Disneyland steht bevor und Sie werden schon bei der Planung nervös. Aber man kann sich ja jederzeit umentscheiden, denken Sie, und teilen den anderen mit, dass sie vielleicht ohne Sie auskommen müssen. Nach dem Kauf der Tickets haben Sie erst recht das Gefühl, in der Falle zu sitzen und bekommen wieder Muffensausen. Sie sind sich immer noch nicht sicher, ob Sie tatsächlich mitreisen oder nicht. Jeden Tag werden Sie mehr von Angst überflutet und stellen sich alle Katastrophen vor, die während des Flugs auftreten könnten. Sie hadern mit sich selbst: „Fliege ich oder bleibe ich besser zu Hause?“ Sie beschließen, die Entscheidung erst am Flughafen zu fällen. Jetzt läuft Ihre Erwartungsangst auf Hochtouren. Ihre Gedanken spielen Pingpong und schnellen hin und her zwischen „Fliegen oder Nicht-Fliegen???“ Dieser beinahe pausenlose innere Zwist steigert Ihre Erwartungsangst und erschwert Ihnen, sich wirklich auf die Reise einzulassen. Im Extremfall hadern Sie noch beim Einstieg oder sogar beim Schließen des Gurts mit sich selbst. Um dann, kurz bevor die Türen schließen, aus dem Flugzeug zu stürmen, total erleichtert, weil Sie die Angst los sind, aber auch niedergeschlagen, weil sie die Oberhand gewonnen hat.

Flucht- und Bewältigungspläne. Jemand Nettes, den oder die Sie nicht näher kennen, möchte mit Ihnen essen gehen. Eigentlich würden Sie gerne zusagen, Sie finden die Sache spannend, gleichzeitig ist es Ihnen nicht ganz geheuer. Also durchforsten Sie Google, Facebook und Instagram, kontaktieren alle, die mehr über die Person wissen könnten, holen sich bei Familienangehörigen und Freund:innen Rat. Weil Sie so lange zum Nachdenken brauchen, zögern Sie Ihre Antwort auf die Anfrage immer weiter heraus. „Vielleicht will der oder die andere etwas von mir“, überlegen Sie, „dafür hätte ich ja gar keine Zeit.“ Sie entwerfen acht verschiedene Versionen der Unterhaltung, je nachdem, was das Gegenüber sagen könnte. Sie sind völlig aus dem Häuschen. Als Sie schließlich zusagen, lassen Sie sich die Option offen, zum Restaurant zu fahren und sich gleich wieder mit einer Ausrede zu verabschieden. Dann rufen Sie eine Freundin an und bitten Sie, Ihnen eine Stunde nach Beginn der Verabredung eine Nachricht zu schicken und Sie anzurufen, um eine Geschichte parat zu haben für den Fall, dass Sie gehen wollen. Sie fahren etwas früher zum Restaurant, damit Sie sich allein noch schnell Mut antrinken können. Lag es an den Fluchtplänen oder am Wodka-Martini vorher? Jedenfalls verläuft der Abend ohne weitere Zwischenfälle. Wäre er das vielleicht auch ohne die Vorsichtsmaßnahmen? Weil Sie diese mit dem Erfolgserlebnis verbinden, glauben Sie, sie auch in Zukunft zu brauchen, wenn Sie wieder Erwartungsangst haben, und werden nicht lernen, ohne sie zurechtzukommen.

Fluktuierende Vermeidung.