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Wir lesen im 7. Band die Geschichten der Fünfhundertundvierte bis sechshundertundsechzehnte Nacht. Die Erzählungen aus Tausendundeine(r) Nacht sind eine Sammlung morgenländischer Texte und zugleich ein Klassiker der Weltliteratur. Typologisch handelt es sich um eine Rahmenerzählung mit Schachtelgeschichten. Aus Sicht der frühesten arabischen Leser hatte das Werk den Reiz der Exotik, es stammt für sie aus einem mythischen "Orient". Das Strukturprinzip der Rahmengeschichte sowie einige der enthaltenen Tierfabeln weisen auf einen indischen Ursprung hin und stammen vermutlich aus der Zeit um 250. So wird zwar ein indischer Ursprung vermutet, aber dass der Kern der Erzählungen aus Persien stammt, kann nicht ausgeschlossen werden. Hinzu kommt, dass zwischen dem indischen und persischen Kulturraum zu jener Zeit enge Beziehungen bestanden.
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Seitenzahl: 610
Anonym
Erzählungen aus 1001 Nacht
Texte: © Copyright by Anonym
Umschlag: © Copyright by Gunter Pirntke
Verlag:
Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag
Gunter Pirntke
Mühlsdorfer Weg 25
01257 Dresden
Inhalt
Impressum
Fünfhundertundvierte bis sechshundertundsechzehnte Nacht
Die Abenteuer Sindbads, des Seefahrers
Die erste Reise Sindbads, des Seefahrers
Die zweite Reise Sindbads, des Seefahrers
Die dritte Reise Sindbads, des Seefahrers
Die vierte Reise Sindbads, des Seefahrers
Die fünfte Reise Sindbads, des Seefahrers
Die sechste Reise Sindbads, des Seefahrers
Die siebente Reise Sindbads, des Seefahrers
Die siebente Reise Sindbads, des Seefahrers
Die Messingstadt
Die Geschichte von dem König und dem Weibe seines Veziers
Die Geschichte von dem Zuckerbäcker, seinem Weibe und dem Papageien
Die Geschichte von dem Walker und seinem Sohn
Die Geschichte von der List des Wüstlings wider das keusche Weib
Die Geschichte von dem Geizigen und den Laiben Brotes
Die Geschichte von der Dame und ihren beiden Liebhabern
Die Geschichte von dem Prinzen und der Ghula
Die Geschichte von dem Honigtropfen
Die Geschichte von dem Weibe, das seinen Gatten Staub sieben liess
Die Geschichte von der verzauberten Quelle
Die Geschichte von dem Sohne des Veziers und dem Weibe des Hammambesitzers
Des Weibes List, das ihren Gatten betrügen wollte
Die Geschichte von dem Goldschmied und der Sängerin aus Kaschmir
Die Geschichte von dem Mann, der während all seiner Tage nicht wieder lachte
Die Geschichte von dem Königssohn und dem Weibe des Kaufmanns
Die Geschichte von dem Pagen, der vorgab, die Sprache der Vögel zu verstehen
Die Geschichte von der Dame und ihren fünf Verehrern
Die Geschichte von den drei Wünschen oder von dem Mann, der sich danach sehnte, die Nacht der Allmacht zu schauen
Die Geschichte von dem gestohlenen Halsband
Die Geschichte von den beiden Tauben
Die Geschichte vom Prinzen Behram und der Prinzessin Al-Datma
Die Geschichte von dem Haus mit dem Belvedere
Die Geschichte von dem Königssohn und der Geliebten des Ifriten
Die Geschichte von dem Sandelholzhändler und den Halunken
Die Geschichte von dem Wüstling und dem drei Jahre alten Kinde
Die Geschichte von dem gestohlenen Geldbeutel
Die Geschichte vom Fuchs und den Leuten
Die Geschichte von dem einfältigen Gatten
Der Schneider und sein Weib
Dschudar und seine Brüder
Als nun die Fünfhundertundvierte Nacht da war, fuhr Schahrazad also fort: »Ich vernahm, o glücklicher König, daß Dschanschah die Tafel las, und am Schluß der Inschrift fand er diese Worte: ›So wirst du zu einem großen Fluß kommen, der so schnell strömt, daß er die Augen blendet. Nun trocknet dieser Fluß an jedem Sabbat aus, und am gegenüberliegenden Ufer steht eine Stadt, die ist ganz von Juden bewohnt, denen kein Mohammed thront; und kein Moslem lebt unter der Bande, noch steht eine andere Stadt als diese im Lande. Besser also, du bleibst Herrscher über die Affen, denn solange du bei ihnen bist, werden sie siegreich sein über die Ghuls. Und wisse auch, der diese Tafel schrieb, das war der Herr Salomo, Davids Sohn (mit beiden sei Friede!).‹ Als Dschanschah diese Worte las, da weinte er bitter, und er wiederholte sie seinen Leuten. Dann saßen sie wieder auf, und, umringt von dem Heere der Affen, die sich ihres Sieges freuten, kehrten sie in die Burg zurück. Hier blieb nun Dschanschah als ihr Sultan einundeinhalbes Jahr. Und am Schluß dieser Zeit befahl er eines Tages dem Affenheer, aufzusitzen und mit ihm auf die Jagd zu ziehen; und sie ritten aus in die Steppen und Wüsten und zogen dahin von Ort zu Ort, bis sie sich dem Tale der Ameisen näherten, das Dschanschah erkannte nach der Schilderung auf der Alabastertafel. Hier befahl er ihnen abzusitzen, und sie blieben alle dort und aßen und tranken, zehn Tage lang; dann nahm Dschanschah eines Nachts seine Leute beiseite und sprach: ›Ich schlage vor, daß wir durch das Tal der Ameisen entfliehen und die Stadt der Juden aufsuchen; vielleicht wird Allah uns von diesen Affen befreien, so wollen wir Gottes Wege wandeln.‹ Versetzten sie: ›Wir hören und gehorchen‹; da wartete er, bis ein kleiner Teil der Nacht verstrichen war, legte seine Rüstung an, gürtete sich mit Schwert und Dolch und anderen ähnlichen Waffen, und seine Leute taten desgleichen; dann brachen sie auf und zogen bis zum Morgen gen Westen dahin. Als nun die Affen erwachten und Dschanschah und seine Leute vermißten, wußten sie, daß sie geflohen waren. Sie saßen also auf und verfolgten sie, und einige schlugen den östlichen Paß ein, andere aber den, der zum Tale der Ameisen führte, und es dauerte nicht lange, so hatten die Affen die Flüchtlinge in Sicht, als sie eben in das Tal eindringen wollten; und sie eilten ihnen nach. Als Dschanschah und seine Leute sie erblickten, flohen sie in das Ameisental; aber die Affen holten sie bald ein und wollten sie erschlagen; doch siehe, aus der Erde erhoben sich, wimmelnden Heuschrecken gleich, zahllose Ameisen, wie Hunde so groß, und griffen die Affen an; sie verschlangen viele ihrer Feinde, und auch sie erschlugen viele der Ameisen. Doch die Ameisen erhielten Verstärkung; und wenn eine Ameise sich auf einen Affen stürzte, so traf sie ihn und schlug ihn in zwei Hälften; zehn Affen aber wurden nur mit Mühe einer Ameise Herr, so daß sie sie fortschleppen und zerreißen konnten. Bis zum Abend dauerte die Schlacht, da hatten die Ameisen den Sieg errungen. In der Dunkelheit nun ergriffen Dschanschah und seine Leute die Flucht, und sie flohen die Talsohle hin. – «
Und Schahrazad bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Doch als die Fünfhundertundfünfte Nacht da war, fuhr sie also fort: »Ich vernahm, o glücklicher König, daß Dschanschah und seine Leute in der Dunkelheit die Flucht ergriffen, und bis zum Morgen flohen sie auf der Talsohle hin. Mit Tagesanbruch aber waren die Affen wieder dicht hinter ihnen her, und als der Prinz das sah, rief er seinen Leuten zu: ›Trefft sie mit dem Schwert.‹ Sie zückten die Schwerter und hieben nach rechts und nach links, bis ein Affe mit Hauern gleich denen des Elefanten wider sie anrannte und einen der Mamelucken durchbohrte. Da stürmten die Affen in erneuter Wut auf Dschanschah ein, und er floh mit seinen Begleitern in den tieferen Teil des Tals, wo er einen breiten Fluß sah und an seinem Ufer eine gewaltige Ameisenschar. Als nun die Ameisen Dschanschah erblickten, fuhren sie daher und umringten ihn, und einer der Sklaven begann, mit dem Sehwert auf sie einzuhauen und sie zu durchbohren; da wandte sich die ganze Schar wider ihn und erschlug ihn. In diesem Augenblick, siehe, kamen die Affen über den Berg und fielen in Scharen über Dschanschah her; er aber riß sich die Kleider herab, sprang mit dem letzten seiner Sklaven in den Fluß und hielt in die Mitte des Stroms hinaus. Da sah er auf dem anderen Ufer einen Baum; zu dem schwamm er hin, ergriff einen seiner Zweige und schwang sich ans Land. Den letzten Mamelucken aber riß der Strom hinweg und zerschmetterte ihn an den Felsen. Dschanschah aber rang seine Kleider aus und breitete sie zum Trocknen in die Sonne. Zwischen den Ameisen und den Affen jedoch entspann sich ein wilder Kampf, bis die Affen die Verfolgung aufgaben und in ihr Land heimkehrten. Derweilen nun konnte Dschanschah, der auf dem andern Ufer allein blieb, nichts tun, als bis zum Einbruch der Nacht zu weinen; dann suchte er Zuflucht in einer Höhle, wo er die dunklen Stunden verbrachte, trostlos ob des Verlustes seiner Sklaven und in großer Angst. Als er mit Tagesanbruch aus seinem Schlafe erwachte, brach er von neuem auf und zog tage- und nächtelang dahin, indem er sich von den Kräutern der Erde nährte, bis er zu dem Berge kam, der wie Feuer brannte, und von dort aus kam er zu dem Fluß, der an jedem Sabbat austrocknete. Nun war es ein gewaltiger Strom, und auf dem Ufer gegenüber stand eine große Stadt, das war die Stadt der Juden, die auf der Tafel erwähnt war. Hier wartete er bis zum nächsten Sabbat; und als der Fluß austrocknete, ging er zum andern Ufer hinüber und betrat die Stadt der Juden, doch sah er niemanden auf den Straßen. Er wanderte also umher, bis er zu der Tür eines Hauses kam, die er öffnete; und als er eintrat, sah er drinnen schweigend und ohne ein Wort zu sprechen die Bewohner des Hauses sitzen. Sprach er: ›Ich bin ein Fremdling, und mich hungert.‹ Und sie winkten ihm, als wollten sie sagen: ›Iß und trink, doch sprich nicht.‹ Er aß und trank also und schlief in der Nacht, und als der Morgen dämmerte, begrüßte ihn der Herr des Hauses, hieß ihn willkommen und fragte: ›Woher kommst du, und wohin gehst du?‹ Da weinte Dschanschah bitterlich und erzählte ihm alles, was ihm widerfahren war, sowie, daß sein Vater als König Kabul beherrschte. Der Jude staunte und sprach: ›Nie haben wir von jener Stadt vernommen, doch wir haben von den Kaufleuten der Karawanen gehört, daß in jener Richtung ein Land liegt namens Al-Yaman.‹ ›Wie weit ist es von hier bis in jenes Land?‹ fragte Dschanschah, und der Jude erwiderte: ›Die Kaufleute der Kafilah behaupten, es sei ein Marsch von zwei Jahren und drei Monden von ihrem Lande bis hierher.‹ Sprach Dschanschah: ›Und wann kommt die Karawane?‹ Sprach der Jude: ›Nächstes Jahr wird sie kommen.‹ – –«
Und Schahrazad bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Doch als die Fünfhundertundsechste Nacht da war, fuhr sie also fort: »Ich vernahm, o glücklicher König, daß der Jude, als er nach der Ankunft der Karawane gefragt wurde, erwiderte: ›Nächstes Jahr wird sie kommen.‹ Da weinte der Prinz bitterlich, und er grämte sich um sich selber und seine Mamelucken; und er klagte ob der Trennung von seinem Vater und seiner Mutter und ob all dessen, was ihm widerfahren war auf seinen Wanderungen. Sprach der Jude: ›O Jüngling, weine nicht, sondern bleibe bei uns, bis die Karawane kommt, dann wollen wir dich mit ihr in deine Heimat senden.‹ Er blieb also zwei volle Monate bei dem Juden, und jeden Tag ging er in den Straßen einher, um sich zu ergötzen, und zu zerstreuen. Nun begab es sich eines Tages, als er wie immer in den Hauptstraßen einherschlenderte und seine Schritte bald nach rechts lenkte und bald nach links, daß er einen Ausrufer laut rufen hörte und sagen: ›Wer will sich tausend Goldstücke und eine Sklavin von unvergleichlicher Schönheit und Lieblichkeit verdienen, indem er für mich zwischen Morgen und Mittag arbeitet?‹ Doch niemand gab ihm Antwort, und Dschanschah sprach in seiner Seele: ›Wäre diese Arbeit nicht gefährlich und schwierig, so würde er nicht für das Werk eines halben Tages tausend Dinare und ein schönes Mädchen bieten.‹ Und er sprach den Ausrufer an und sagte: ›Ich will die Arbeit tun.‹ Da führte ihn der Mann in ein hohes Haus, wo sie einen fanden; der war ein Jude und ein Kaufmann und saß auf einem Stuhl aus Ebenholz; und der Ausrufer trat ehrerbietig vor ihn hin und sprach: ›O Kaufmann, ich habe es seit drei Monaten jeden Tag ausgerufen, und keiner hat sich gemeldet außer diesem Jüngling.‹ Als der Jude diese Worte vernahm, hieß er Dschanschah willkommen, führte ihn in einen prunkvollen Saal und gab ein Zeichen, Speisen zu bringen. Und die Diener breiteten den Tisch und trugen allerlei Gerichte auf, von denen der Kaufmann und Dschanschah aßen, worauf sie sich die Hände wuschen. Dann wurde der Wein aufgetragen, und sie tranken; und schließlich erhob sich der Jude, brachte Dschanschah einen Beutel mit tausend Dinaren und eine Sklavin von seltener Schönheit und sprach zu ihm: ›Nimm Mädchen und Geld zum Lohne.‹ Dschanschah nahm beides und setzte das Mädchen zu seiner Seite, worauf der Händler fortfuhr: ›Und morgen ans Werk!‹ Mit diesen Worten zog er sich zurück, und Dschanschah schlief in jener Nacht bei dem Mädchen. Als nun der Morgen kam, befahl der Kaufmann seinen Sklaven, ihn in ein kostbares Gewand aus Seide zu kleiden, wenn er aus dem Bade käme. Sie taten, wie er ihnen befahl, und führten ihn zum Hause zurück; dann rief der Kaufmann nach Harfe und Laute und Wein, und sie tranken und spielten und vergnügten sich, bis die halbe Nacht verstrichen war, und als der Jude sich in seinem Harim zurückzog, schlief Dschanschah bis zur Dämmerung mit seiner Sklavin. Dann ging er ins Bad, und als er wiederkam, trat der Kaufmann zu ihm ein und sprach: ›Jetzt wünsche ich, daß du die Arbeit für mich verrichtest.‹ ›Ich höre und gehorche,‹ erwiderte Dschanschah. Da befahl der Kaufmann seinen Sklaven, zwei Mauleselinnen zu bringen, und die eine bestieg er selber, während er Dschanschah die andere besteigen ließ. Und sie ritten zur Stadt hinaus und zogen dahin vom Morgen bis zum Mittag, um welche Zeit sie einen hohen Berg erreichten, dessen Höhe keine Grenzen kannte. Hier stieg der Jude ab und befahl Dschanschah, desgleichen zu tun; und als er gehorchte, gab ihm der Kaufmann ein Messer und einen Strick und sprach: ›Ich wünsche, daß du diese Eselin schlachtest.‹ Dschanschah also schob sich die Ärmel hoch und nahm die Säume auf, trat zu der Eselin, band ihr mit dem Strick die Beine, warf sie nieder und durchschnitt ihr die Kehle. Dann zog er ihr die Haut ab und kappte Kopf und Beine, so daß sie zu einem bloßen Haufen Fleisches wurde. Sprach der Jude: ›Schlitze ihr den Bauch auf und krieche hinein, so will ich dich einnähen. Du mußt eine Weile in ihrem Leibe bleiben, und was du darin siehst, das sage mir.‹ Dschanschah also schlitzte der Eselin den Bauch auf und kroch hinein, worauf der Kaufmann ihn zunähte und sich zurückzog. – –«
Und Schahrazad bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Doch als die Fünfhundertundsiebente Nacht da war, fuhr sie also fort: »Ich vernahm, o glücklicher König, daß der Kaufmann Dschanschah in dem Bauche der Eselin einnähte, sich zurückzog und sich verbarg am Saume des Berges. Nach einer Weile schoß ein riesenhafter Vogel herab auf das Aas, packte es und flog damit empor auf den Bergesgipfel, wo er seinen Raub niederlegte und davon fressen wollte; doch als Dschanschah fühlte, wie der Vogel zu fressen begann, schlitzte er den Bauch der Eselin auf und kroch heraus. Der Vogel erschrak ob seines Anblicks und flog davon; und als Dschanschah sich aufrichtete und nach rechts und links blickte, sah er nichts als die Leichen von Menschen, die von der Sonne zu Mumien vertrocknet waren, und er rief aus: ›Es gibt keine Majestät, und es gibt keine Macht, außer bei Allah, dem Glorreichen, Großen!‹ Dann spähte er den Abgrund hinab und sah den Kaufmann am Fuß des Berges stehen, wie er nach ihm Ausschau hielt. Sowie aber der Jude ihn erblickte, rief er ihm zu: ›Wirf mir von den Steinen herab, die rings um dich liegen, damit ich dich zu einem Pfade weisen kann, auf dem du herab kannst.‹ Dschanschah warf ihm an die zweihundert von den Steinen herab, und es waren lauter Rubine, Chrysolithen und andere Edelsteine; dann rief er ihm zu und sprach: ›Zeig mir den Pfad nach unten, und ich will dir noch einmal so viele herabwerfen.‹ Aber der Jude sammelte die Steine zusammen, band sie der Eselin auf den Rücken und ging seiner Wege, ohne ein Wort zu erwidern; Dschanschah jedoch ließ er allein auf dem Bergesgipfel. Als nun der Prinz sich dort verlassen sah, begann er zu weinen und den Himmel um Hilfe anzuflehen, und so blieb er drei Tage lang; dann stand er auf und schritt zwei Monate hindurch über den gebirgigen Boden dahin, indem er sich von den Höhenkräutern nährte; und er ließ zu wandern nicht ab, bis er den Rand des Berges erreichte und in der Ferne ein Tal erspähte voll fruchttragender Bäume, darin Vögel harmonisch das Lob Allahs, des Einen, des Siegreichen, sangen. Bei diesem Anblick freute er sich in höchster Freude, und er machte in seinen Schritten nicht eher Halt, als bis er nach einer Stunde zu einer Schlucht in den Felsen kam, durch die die Regenbäche zu Tal stürzten. Durch diese Spalte stieg er hinab, bis er das Wadi erreichte, das er von dem Bergesgipfel gesehen hatte; und indem er nach rechts und nach links ausschaute, schritt er in ihm dahin, und er machte nicht eher Halt, als bis er zu einer großen Burg kam, die sich hoch in die Luft emportürmte. Als er sich nun den Toren näherte, sah er einen alten Mann von schöner Erscheinung, dessen Antlitz leuchtete vom Licht, davor stehen, und in der Hand hielt er einen Stab aus Karneol. Er trat zu ihm und grüßte ihn, und der Schaykh gab seinen Gruß zurück, hieß ihn willkommen und sprach: ›Setze dich, o mein Sohn.‹ Er setzte sich an die Tür der Burg, und der Alte sprach zu ihm: ›Wie kommst du in dies Land, das vor dir noch kein Sohn Adams betreten hat, und wohin gehst du?‹ Als Dschanschah diese Worte hörte, da weinte er bitterlich, denn er dachte all der Mühsal, die er erduldet hatte, und die Tränen erstickten ihm die Stimme. Sprach der Schaykh: ›O mein Sohn, laß das Weinen; denn wahrlich, mir schmerzt das Herz.‹ Mit diesen Worten stand er auf, setzte ihm ein wenig Speise vor und sprach zu ihm: ›Iß.‹ Er aß und pries den allmächtigen Allah. Da bat ihn der Alte und sprach: ›O mein Sohn, ich wollte, du erzähltest mir deine Geschichte und machtest mich bekannt mit deinen Abenteuern.‹ Und Dschanschah erzählte ihm von Anfang bis zu Ende alles, was ihm widerfahren war, und der Schaykh staunte in höchstem Staunen. Dann sprach der Prinz: ›Ich bitte dich, sage mir, wer ist der Herr dieses Tals, und wem gehört diese große Burg?‹ Versetzte der Alte: ›Wisse, o mein Sohn, dieses Tal samt allem, was darin ist, und diese Burg mit allem, was zu ihr gehört, ist der Besitz des Herrn Salomo, des Sohnes Davids (mit beiden sei Friede!). Mein Name aber ist Schaykh Nasr, der König der Vögel; denn du mußt wissen, daß der Herr Salomo das Schloß meiner Obhut übergab.‹ – –«
Und Schahrazad bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Doch als die Fünfhundertundachte Nacht da war, fuhr sie also fort: »Ich vernahm, o glücklicher König, daß Schaykh Nasr also sprach: ›Du mußt wissen, daß der Herr Salomo diese Burg meiner Obhut übergab, und daß er mich die Sprache der Vögel lehrte und mich zum Herrscher machte über alle Vögel der Welt; deshalb kommen sie sämtlich einmal im Jahre hierher, und ich halte Musterung ab über sie; dann brechen sie wieder auf, und deshalb wohne ich hier.‹ Als nun Dschanschah das hörte, da weinte er bitterlich und sprach zu dem Alten: ›O mein Vater, was soll ich tun, um in meine Heimat zurückzukommen?‹ Versetzte der Alte: ›Wisse, o mein Sohn, du bist dicht bei dem Berge Kaf, und du kannst von hier nicht eher fort, als bis die Vögel kommen; dann will ich dich einem von ihnen übergeben, der wird dich in deine Heimat tragen. Derweilen bleibe bei mir und iß und trink und sieh dir zur Unterhaltung die Gemächer dieses Schlosses an.‹ Dschanschah also blieb bei Schaykh Nasr, erging sich in dem Tal, aß von seinen Früchten, lachte und vergnügte sich mit dem Alten und führte ein herrliches Leben bis zu dem Tage, da die Vögel ihrem Statthalter ihren jährlichen Besuch zu machen hatten. Da sprach der Schaykh zu ihm: ›O Dschanschah, hier hast du die Schlüssel der Burg, ergötze dich damit, daß du all ihre Gemächer durchforschest, nur den und den Raum, hüte dich, und wiederum, hüte dich, ihn zu öffnen; wenn du mir zuwider handelst und ihn öffnest und eintrittst, so wirst du das Glück nie wieder kennen lernen.‹ Eindringlich wiederholte er seine Mahnung immer wieder; dann ging er hinaus, um die Vögel zu empfangen; und sie kamen, Gattung für Gattung, und küßten ihm die Hände. Dschanschah aber ging in der Burg umher und öffnete all die Türen und sah sich die Gemächer an, in die sie führten, bis er zu dem Zimmer kam, das zu öffnen und zu betreten Schaykh Nasr ihm verboten hatte. Er sah sich die Tür an, und ihre Art gefiel ihm, denn sie hatte ein goldenes Schloß; und er sprach bei sich selber: ›Dieser Raum muß noch herrlicher sein als all die andern; wüßte ich nur, was darin ist, daß Schaykh Nasr mir verboten hat, die Tür zu öffnen! Es hilft nichts, ich muß eintreten und sehen, was in diesem Gemach ist; denn was dem Geschöpf bestimmt ward, das muß es erfüllen.‹ Und er reckte die Hand aus, öffnete die Tür und trat ein; und er stand vor einem großen Becken, und dicht neben ihm sah er einen kleinen Pavillon, der ganz aus Gold und Silber und Kristall gebaut war und Fenster hatte aus Hyazinth. Der Boden war gepflastert mit grünen Beryllen und Ballasrubinen und Smaragden und anderen Edelsteinen, die mosaikartig eingelegt waren, und zumitten des Pavillons stand ein Speibrunnen in einem goldenen Becken voll Wasser, umgeben von Tier- und Vogelfiguren, die kunstvoll aus Gold und Silber gearbeitet waren und Wasser aus den Mäulern spien. Wenn der Zephir sie traf, so drang er ein in ihre Ohren, und dann sangen die Figuren Lieder wie Vögel, eine jede in ihrer eigenen Sprache. Neben dem Brunnen aber war ein großer, offener Saal mit einer erhöhten Estrade, auf der ein ungeheurer Thron aus Karneol stand, eingelegt mit Perlen und Juwelen; und darüber war ein Zelt aus grüner Seide ausgespannt, das war fünfzig Ellen weit und ganz bestickt mit Edelsteinen, wie sie für Siegelringe taugten, und durchwirkt mit edlen Metallen. In diesem Zelte aber stand eine Kammer, die den Teppich des Herrn Salomo enthielt (mit ihm sei Friede!); und der Pavillon war rings umgeben von einem ungeheuren Garten voller Obstbäume und Bäche; dicht am Palast aber zogen sich Beete hin mit Rosen und Basilien, Eglantinen und allerlei süßduftenden Kräutern und Blumen. Und die Bäume trugen auf denselben Zweigen frische und trockene Früchte, und die Äste wiegten sich anmutig hin und her im Kosen des Windes. All das war in dem einen Gemach, und Dschanschah staunte, bis er des Staunens müde war; und er machte sich auf, sich im Palast und Garten zu ergehen und sich zu zerstreuen mit den seltsamen und wunderlichen Dingen, die sie enthielten. Und als er das Becken betrachtete, sah er, daß der Kies seines Bodens aus Edelsteinen und Juwelen und edlen Metallen bestand; und noch viele andere wunderbare Dinge waren in jenem Gemach. – –«
Und Schahrazad bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Doch als die Fünfhundertundneunte Nacht da war, fuhr sie also fort: »Ich vernahm, o glücklicher König, daß Dschanschah viele wunderbare und seltsame Dinge sah in jenem Gemach. Dann trat er in den Pavillon, stieg auf den Thron und schlief unter dem Zelte ein. Er schlummerte eine Weile, und als er erwachte, ging er hinaus und setzte sich auf einen Schemel vor der Tür. Als er nun dasaß und staunte ob der Herrlichkeit des Ortes, kamen mitten aus dem Himmel drei Vögel geflogen, die waren geformt wie Tauben, aber so groß wie Adler; und sie setzten sich auf den Rand des Beckens, wo sie eine Weile spielten. Dann legten sie ihre Federn ab und wurden zu drei Mädchen, Monden gleich, die in der ganzen Welt nicht ihresgleichen hatten. Sie tauchten ins Becken hinab und schwammen umher und spielten und lachten, und Dschan schah staunte ob ihrer Schönheit und Lieblichkeit, ob der Anmut und des Ebenmaßes ihrer Gestalten. Dann kamen sie aus dem Wasser hervor und begannen einherzugehen und sich im Garten zu vergnügen; und als Dschanschah sie auf dem Lande sah, da war ihm, als müsse er den Verstand verlieren. Er erhob sich und folgte ihnen, und als er sie einholte, grüßte er sie, und sie gaben ihm den Gruß zurück. Sprach er: ›Wer seid ihr, erlauchte Prinzessinnen, und woher kommt ihr?‹ Versetzte die jüngste: ›Wir sind aus der unsichtbaren Welt des allmächtigen Allah, und wir kommen hierher, um uns zu vergnügen.‹ Er staunte ob ihrer Schönheit und sprach zu der jüngsten: ›Erbarme dich meiner, sei gut zu mir und habe Mitleid mit meiner Not und mit allem, was mir widerfahren ist.‹ Versetzte sie: ›Laß dies Geschwätz und geh deiner Wege.‹ Da strömten ihm die Tränen aus den Augen, er seufzte schwer und sprach diese Verse:
Sie leuchtet im Garten in lauter grünen Gewändern – Mit offenem Mieder und niederwallendem Haar;
Wie heißest du? frag ich sie, die erwidert: – Ich röste die Herzen auf Kohlen der Liebe gar.
Ich stöhne in Leidenschaft vor ihr und Qualen – Auf Felsen, spricht sie, vergeudest du deiner Seufzer Schar.
Ist denn, sag ich, in Wahrheit dein Herz ein Felsen – Ich weiß, aus den Felsen auch springen noch Wasser klar.
Als nun die Mädchen seine Verse vernahmen, da lachten sie, spielten und sangen und vergnügten sich. Er aber brachte ihnen Früchte, und sie aßen und tranken und schliefen bei ihm bis zum Morgen; dann legten sie ihre Federkleider an, wurden zu Tauben und flogen davon. Doch als er sie verschwinden sah, entfloh ihm fast der Verstand mit ihnen, und er stieß einen lauten Schrei aus, fiel in Ohnmacht nieder und blieb den ganzen Tag hindurch so liegen. Während es ihm nun also erging, kehrte Schaykh Nasr von der Versammlung der Vögel zurück und suchte nach Dschanschah, um ihn mit ihnen in seine Heimat zu entsenden; doch er fand ihn nicht und wußte sogleich, daß er den verbotenen Raum betreten hatte. Nun hatte er schon zu den Vögeln gesagt: ›Bei mir ist ein Jüngling, den das Schicksal aus einem fernen Lande hierher verschlagen hat; und ich wünsche, daß ihr ihn mitnehmt und ihn in seine Heimat tragt.‹ Versetzten alle: ›Wir hören und gehorchen.‹ Und er ließ nicht ab, nach Dschanschah zu suchen, bis er zu der verbotenen Tür kam, und da er sie offen fand, trat er ein und sah den Prinzen ohnmächtig unter einem Baume liegen. Er holte duftendes Wasser und besprengte ihm das Gesicht, so daß Dschanschah erwachte und sich umwandte. – –«
Und Schahrazad bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Doch als die Fünfhundertundzehnte Nacht da war, fuhr sie also fort: »Ich vernahm, o glücklicher König, daß Schaykh Nasr, als er Dschanschah ohnmächtig unter dem Baume liegen sah, ein wenig duftenden Wassers holte und ihm das Gesicht besprengte. Da erwachte er und wandte sich nach rechts und links, doch da er niemanden sah als den Schaykh, seufzte er schwer und sprach:
Dem vollen Mond gleich scheint sie in glücklicher Nacht – Mit weichem Leib und in schlanker Glieder Pracht.
Die Kinder der Augen berücken die Welt mit Zaubern – Rubinen und Rosen gleicht ihre Lippe, die lacht.
Ihre schwarzen Locken sind Nacht bis über die Hüften –Ihr Liebenden, hütet euch vor dieser Locken Schlacht!
Ja, weich ist ihr Leib, doch ihr Herz ist härter als Flintstein – Und weich im Vergleich ist Granit in der Berge Schacht;
Die Bogen der Brauen entschütten die Pfeile der Blicke – Und trotz aller Ferne treffen sie immer mit Macht.
Ja ihre Schönheit verdunkelt alle die Schönen – Ihr gleich kommt keine, die jemals ein Weib hat zur Welt gebracht.
Und als Schaykh Nasr diese Verse hörte, sprach er: ›O mein Sohn, warnte ich dich nicht davor, diese Tür zu öffnen und diesen Raum zu betreten? Doch jetzt, o mein Sohn, sage mir, was du darinnen sähest, und mache mich bekannt mit dem, was dir widerfahren ist.‹ Da erzählte ihm Dschanschah alles, was zwischen ihm und den drei Mädchen geschehen war, und Schaykh Nasr, der schweigend zugehört hatte, sprach: ›Wisse, o mein Sohn, diese drei Mädchen gehören zu den Töchtern der Dschann, und sie kommen jedes Jahr auf einen Tag hierher, um sich bis zum Nachmittag zu ergötzen und zu vergnügen, und dann kehren sie zurück in ihre Heimat.‹ Fragte Dschanschah: ›Und wo ist ihre Heimat?‹ Und der Alte versetzte: ›Bei Allah, o mein Sohn, ich weiß es nicht.‹ Und er fügte hinzu: ›Doch jetzt fasse dir ein Herz und tu diese Liebe von dir ab und komm mit mir, damit ich dich durch die Vögel heimsenden kann in deine Heimat.‹ Als Dschanschah das hörte, da stieß er einen lauten Schrei aus, und er fiel in einem Starrkrampf nieder; und als er wieder zu sich kam, sprach er: ›O mein Vater, wahrlich, ich trage kein Verlangen danach, in meine Heimat zurückzukehren; ich wünsche einzig zu diesen Mädchen zu kommen, und wisse, o mein Vater, ich will die Meinen nie wieder nennen, und müßte ich vor dir sterben.‹ Und er weinte und rief: ›Mir genügt es, wenn ich das Angesicht derer schauen kann, die ich liebe, wenn es auch nur einmal im Jahr sein darf.‹ Und er seufzte tief auf und sprach diese Verse:
Verschonte das Phantom den Freund doch nur zur Nacht – Wär diese Liebe nie im Menschen angefacht!
Stand nicht mein Herz um dich in Flammen ganz aus Liebe – Die Tränen hätten nicht mich nagend blind gemacht.
Bei Tag und Nacht heiß ich mein Herz den Kummer tragen – Das Feuer hat den Leib um sein Gedeihn gebracht.
Und er fiel Schaykh Nasr zu Füßen und küßte sie und weinte bitterlich und rief: ›Erbarme dich meiner, auf daß Allah sich deiner erbarme, und hilf mir in meiner Not, auf daß Allah dir helfe!‹ Versetzte der Alte: ›Bei Allah, o mein Sohn, ich weiß nichts von diesen Mädchen, noch kenne ich ihre Heimat; aber, o mein Sohn, wenn dein Herz wirklich an ihnen hängt, so bleibe bei mir bis zum nächsten Jahre, denn sie werden sicherlich wiederkommen; und wenn der Tag ihrer Ankunft naht, so verbirg dich unter einem Baum im Garten.‹ Wenn sie dann kommen und ihre Federkleider ablegen und in den See hinabtauchen und fern von ihren Kleidern schwimmen, so nimm der, die deine Seele begehrt, ihr Gewand fort. Und wenn sie dich sehen, so werden sie landen, und die, deren Kleid du genommen hast, wird dich anreden und mit den süßesten Worten und dem bezauberndsten Lächeln zu dir sprechen: ›O mein Bruder, gib mir mein Kleid, damit ich meine Blöße bedecken kann.‹ Wenn du dann ihre Bitte erfüllst und ihr das Kleid zurückgibst, so wirst du nie ans Ziel gelangen: nein, sondern sie wird es anlegen und davonfliegen zu den Ihren, und du wirst sie niemals wiedersehen. Wenn du also das Kleid hast, so nimm es unter die Armhöhle und halte es fest, bis ich zurückkehre von der Versammlung der Vögel; dann will ich Eintracht stiften zwischen dir und ihr, und ich will dich samt dem Mädchen zurücksenden in deine Heimat. Das, o mein Sohn, ist alles, was ich für dich tun kann. – –«
Und Schahrazad bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Doch als die Fünfhundertundelfte Nacht da war, fuhr sie also fort: »Ich vernahm, o glücklicher König, daß Schaykh Nasr zu Dschanschah sprach: ›Halte das Federkleid derer fest, nach der deine Seele begehrt, bis ich zurückkehre von der Versammlung der Vögel. Und dies, o mein Sohn, ist alles, was ich für dich tun kann.‹ Als Dschanschah das hörte, war sein Herz getröstet, und er blieb ein weiteres Jahr bei Schaykh Nasr, und er zählte die Tage, wie sie verstrichen, bis zu dem Tage, da die Vögel kommen sollten. Und als endlich die Zeit gekommen war, sprach der Alte zu ihm: ›Tu, wie ich dich ermahnte, an dem Mädchen und ihrem Federkleid, denn ich gehe jetzt zu den Vögeln.‹ Und Dschanschah versetzte: ›Ich höre und gehorche.‹ Und der Schaykh brach auf, während der Prinz in den Garten ging und sich unter einem Baum verbarg, wo ihn niemand sehen konnte. Dort blieb er einen ersten Tag, einen zweiten und einen dritten, aber die Jungfrauen kamen nicht; da war er in arger Not, und er weinte und seufzte vor Schmerzen aus schwer geprüftem Herzen; und er ließ zu weinen und zu klagen nicht ab, bis er in Ohnmacht sank. Und als er wieder zu sich kam, begann er bald nach dem Becken zu schauen, bald nach den Wolken und bald auf den Boden und bald ins offene Land hinaus, und sein Herz grämte sich vor Liebessehnsucht. Doch als er in diesem Zustand war, siehe, da erschienen an der Himmelsfeste die drei Tauben, adlergroß wie das erstemal, und sie flogen, bis sie den Garten erreichten, und landeten neben dem Becken. Sie wandten sich nach rechts und nach links, aber sie sahen niemanden, keinen Mann und keine Dschann; und also legten sie die Federkleider ab und wurden zu drei Jungfrauen. Dann tauchten sie hinab in das Becken und schwammen umher, lachend und spielend; und alle waren ganz nackt und schön wie Barren jungfräulichen Silbers. Sprach die älteste: ›O meine Schwester, ich fürchte, es liegt jemand im Pavillon versteckt.‹ Sprach die zweite: ›O Schwester, seit den Tagen König Salomos hat niemand mehr den Pavillon betreten, sei es ein Mann oder ein Dschinni.‹ Und die jüngste fügte lachend hinzu: ›Bei Allah, o meine Schwestern, wenn dort jemand verborgen ist, so wird er gewißlich niemanden fangen als mich.‹ Und sie spielten und lachten weiter, und Dschanschah pochte das Herz vor dem Übermaß der Leidenschaft; aber er hielt sich versteckt hinter dem Baum, so daß er sah, ohne gesehen zu werden. Bald darauf nun schwammen sie hinaus zur Mitte des Beckens, während ihre Kleider am Ufer lagen. Da sprang er auf, lief wie der stürzende Blitz zum Rande des Wassers und ergriff das Federkleid des jüngsten Mädchens, an dem sein Herz hing, und das da hieß Schamsah, die Sonnenmaid. Da wandten die Mädchen sich um, und als sie ihn sahen, erschraken sie und verhüllten ihre Scham vor ihm im Wasser. Dann schwammen sie ans Land und betrachteten ihn; und da sie sahen, daß sein Gesicht licht war wie der Mond in der Nacht seiner Fülle, fragten sie ihn: ›Wer bist du und wie kamest du hierher, und weshalb hast du der Herrin Schamsah die Kleider genommen?‹ Versetzte er: ›Kommt her zu mir, so will ich euch meine Geschichte erzählen.‹ Sprach Schamsah: ›Was für eine Tat ist dies, und weshalb hast du gerade meine Kleider genommen statt der meiner Schwestern?‹ Sprach er: ›O Licht meiner Augen, komm aus dem Wasser hervor, so will ich dir meine Geschichte erzählen und dir erklären, weshalb ich dich erwählte.‹ Sprach sie: ›O mein Herr und Kühle meiner Augen und Frucht meines Herzens, gib mir meine Kleider, damit ich sie anlegen und meine Blöße verbergen kann; dann will ich herauskommen zu dir.‹ Doch er versetzte: ›O Fürstin der Schönen, wie kann ich dir deine Kleider zurückgeben und mich erschlagen durch meine Liebessehnsucht? Wahrlich, nicht eher werde ich sie dir geben, als bis Schaykh Nasr, der König der Vögel, kommt.‹ Sprach sie: ›Wenn du mir meine Kleider nicht geben willst, so tritt ein wenig zurück, damit meine Schwestern landen und sich anziehen können, um mir ein wenig zu leihen, womit ich meine Scham bedecken kann.‹ ›Ich höre und gehorche‹, erwiderte er und ging von ihnen fort in den Pavillon. Da kamen die drei Prinzessinnen hervor, und die beiden älteren zogen ihre Kleider an und gaben Schamsah davon ab, doch nicht genug, um damit zu fliegen; und sie legte es an, verließ das Wasser und trat vor ihn hin, als wäre sie der volle Mond, wenn er aufgeht, oder eine äsende Gazelle. Und sie kam in den Pavillon, wo Dschanschah noch auf dem Throne saß; und sie grüßte ihn, setzte sich neben ihn und sprach: ›O schöner Jüngling, du hast dich und mich vernichtet; doch erzähle uns deine Abenteuer, damit wir erkennen, wie es mit dir steht.‹ Da weinte er, bis seine Kleider naß waren vor Tränen; und als sie sah, daß er verstört war vor Liebe zu ihr, nahm sie ihn bei der Hand, zog ihn neben sich und wischte ihm mit dem Ärmel die Tränen. Sprach sie: ›O Schöngesicht, laß dies Weinen und erzähle uns deine Geschichte.‹ Da erzählte er ihr alles, was ihm widerfahren war, und schilderte ihr alles, was er gesehen hatte. – –«
Und Schahrazad bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Doch als die Fünfhundertundzwölfte Nacht da war, fuhr sie also fort: »Ich vernahm, o glücklicher König, daß die Herrin Schamsah zu Dschanschah sprach: ›Erzähle uns deine Geschichte‹; und er erzählte ihr alles, was ihm widerfahren war; und als sie ihm aufmerksam ihr Ohr geliehen hatte, seufzte sie und sprach: ›O mein Herz, da du mich zärtlich liebst, gib mir mein Kleid, auf daß ich mit meinen Schwestern zu den Meinen fliegen kann und ihnen berichten, welche Liebe dich zu mir erfaßt hat; dann will ich zu dir zurückkehren und dich in deine Heimat tragen.‹ Als er aber das hörte, weinte er bitterlich und erwiderte: ›Ist es recht von Allah, daß du mich ungerecht erschlägst?‹ Fragte sie: ›O mein Herr, weshalb sollte ich eine so ungerechte Tat tun?‹ Und er versetzte: ›Wenn ich dir deine Kleider gebe, so wirst du davonfliegen, und ich werde auf der Stelle sterben.‹ Da lachte Prinzessin Schamsah, und ebenso taten ihre Schwestern; dann sprach sie zu ihm: ›Sei der Sorge bar und halte die Augen kühl und klar, denn ich muß mich dir vermählen.‹ Mit diesen Worten neigte sie sich herab zu ihm, umarmte ihn und küßte ihn zwischen den Augen und auf die Wangen. Sie hielten sich eine Weile umschlungen und gefaßt, und dann rückten sie auseinander und setzten sich auf den Thron. Da ging die älteste Prinzessin hinaus in den Garten, pflückte ein paar Früchte und Kräuter und brachte sie in den Pavillon; und sie aßen und tranken und lachten und spielten und vergnügten sich. Nun war Dschanschah einzig an Schönheit und Lieblichkeit, an schlankem Wuchs und Ebenmaß und Anmut, und die Prinzessin Schamsah sprach zu ihm: ›O mein Geliebter, bei Allah, ich liebe dich mit höchster Liebe, und ich will dich nimmer verlassen!‹ Als er das hörte, da wurde die Brust ihm weit, und er lachte vor Freuden, bis er die Zähne zeigte; und sie saßen so eine Weile da in Freude und Heiterkeit, Lust und Scherz. Und als ihre Freude und ihr Vergnügen den Gipfel erreichte, siehe, da kehrte Schaykh Nasr zurück aus der Versammlung der Vögel, und er trat zu ihnen ein; und alle standen sie auf vor ihm, grüßten ihn und küßten ihm die Hände. Er hieß sie willkommen und befahl ihnen, sich zu setzen. Und als sie sich setzten, sprach er zur Prinzessin Schamsah: ›Wahrlich, dieser Jüngling liebt dich mit höchster Liebe; Allah sei mit dir, handle freundlich an ihm, denn er gehört zu den Großen der Menschheit und zu den Söhnen der Könige, denn sein Vater herrscht über das Land Kabul, und seine Herrschaft umfaßt ein gewaltiges Reich.‹ Sprach sie: ›Ich höre, und ich gehorche deinem Geheiß.‹ Und sie küßte dem Alten die Hände und blieb in Ehrfurcht vor ihm stehen. Sprach er: ›Wenn du die Wahrheit sprichst, so schwöre mir bei Allah, daß du ihn nie verraten willst, solange du in den Banden des Lebens weilst.‹ Und sie schwor ihm einen feierlichen Eid, daß sie Dschanschah nie verlassen, sondern sich ihm gewißlich vermählen wolle; und sie fügte hinzu: ›Wisse, o Schaykh Nasr, ich will ihn nie verlassen.‹ Der Schaykh glaubte ihrem Eid und sprach zu Dschanschah: ›Dank sei Allah, der euch zu dieser Einigung gebracht hat!‹ Da freute der Prinz sich in höchster Freude, und er und Schamsah lebten drei Monate bei Schaykh Nasr; und sie schmausten und spielten und vergnügten sich. – –«
Und Schahrazad bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Doch als die Fünfhundertunddreizehnte Nacht da war, fuhr sie also fort: »Ich vernahm, o glücklicher König, daß Dschanschah und die Herrin Schamsah drei Monate bei Schaykh Nasr blieben; und sie schmausten und spielten und vergnügten sich. Und als die Zeit verstrichen war, sprach sie zu Dschanschah: ›Ich wünsche mit dir in dein Mutterland zu gehen; dort sollst du dich mir vermählen, und wir wollen dann dort leben.‹ ›Hören ist gehorchen,‹ erwiderte er, und er beriet sich mit Schaykh Nasr, der zu ihm sprach: ›Zieh heim, und ich empfehle sie deiner Sorge.‹ Sprach sie: ›O Schaykh Nasr, sag ihm, daß er mir mein Federkleid zurückgibt.‹ Und der Schaykh hieß Dschanschah, es ihr zu geben; und er ging stracks in den Pavillon und holte es. Sie legte es an und sprach zu ihm: ›Steig mir auf den Rücken und schließe die Augen und verstopfe dir die Ohren, damit du nicht das Brüllen der kreisenden Sphären hörst; und dann halte dich an meinen Federn fest, damit du nicht hinabfällst.‹ Er tat, wie sie ihm befahl, und als sie die Flügel ausbreiten wollte, um zu fliegen, sprach Schaykh Nasr: ›Warte eine Weile, damit ich dir das Land Kabul beschreibe, so daß ihr den Weg nicht verfehlt!‹ Und sie wartete, bis er gesagt hatte, was er zu sagen hatte; und indem er Abschied nahm von ihnen, empfahl er den Prinzen ihrer Obhut. Sie aber nahm Abschied von ihren Schwestern, denen sie befahl, zu den Ihren zurückzukehren und ihnen zu erzählen, was ihr mit Dschanschah begegnet war; dann erhob sie sich unverweilt in die Luft und flog davon wie der Hauch des Windes oder der zuckende Blitz. Und auch ihre Schwestern erhoben sich, kehrten heim und brachten den Ihren ihre Botschaft. Und vom Morgen bis zu der Stunde des Nachmittaggebetes hielt sie in ihrem Fluge nicht inne (und Dschanschah saß ihr auf dem Rücken); doch da erspähte sie in der Ferne ein Tal, reich an Bäumen und Bächen, und sie sprach zu Dschanschah: ›Ich denke in diesem Tal zu landen, damit wir uns unter den Bäumen und Kräutern ergehen und die Nacht hindurch ruhen können.‹ Sprach er: ›Tu, was dir gut scheint.‹ Und sie ließ sich herab aus der Höhe und landete im Tal; und Dschanschah stieg ab, küßte sie zwischen den Augen und saß eine Weile am Ufer eines Flusses neben ihr; dann standen sie auf und gingen im Tal umher, indem sie sich ergötzten und von den Früchten aßen, bis die Nacht kam und sie sich niederlegten unter einem Baume und bis zum Morgen schliefen. Als es nun Tag war, stand die Prinzessin auf, hieß Dschanschah auf ihren Rücken steigen und flog bis zum Mittag mit ihm dahin; da aber merkte sie an dem Erscheinen der Bauten, die Schaykh Nasr ihr geschildert hatte, daß sie sich der Stadt Kabul näherten. Und sie stieß nieder aus den Wolken und landete auf einer weiten Ebene, einem blühenden Felde, darauf Gazellen sprangen und Quellen sangen und Flüsse gingen und reife Früchte hingen. Dschanschah aber stieg ab und küßte sie zwischen den Augen; und sie fragte ihn: ›O mein Geliebter und Kühle meiner Augen, weißt du, wie viele Tagereisen wir seit gestern zurückgelegt haben?‹ Und er erwiderte: ›Nein‹; sprach sie: ›Wir haben eine Reise von dreißig Monden gemacht.‹ Sprach er: ›Preis sei Allah für die Rettung.‹ Und sie setzten sich Seite an Seite und aßen und tranken und spielten und lachten. Doch als sie so heiter beschäftigt waren, siehe, da kamen zwei von des Königs Mamelucken herbei, von denen, die zu des Prinzen Gefährten gehört hatten. Einer von ihnen war der, den er bei den Pferden gelassen hatte, als er sich einschiffte in dem Fischerboot, und der andere hatte zu seinem Geleit auf der Jagd gehört. Als nun diese Dschanschah erblickten, erkannten sie ihn und grüßten ihn; dann sprachen sie: ›Mit deiner Erlaubnis wollen wir zu deinem Vater gehen und ihm die frohe Botschaft deiner Heimkehr bringen.‹ Versetzte der Prinz: ›Geht zu meinem Vater und macht ihn bekannt mit meinem Aufenthalt, und holt uns Zelte, denn wir wollen hier sieben Tage bleiben, um uns auszuruhen, bis er sein Gefolge bereit gemacht hat, uns entgegenzuziehen, so daß wir in stattlichem Aufzug einziehen können.‹ – –«
Und Schahrazad bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Doch als die Fünfhundertundvierzehnte Nacht da war, fuhr sie also fort: »Ich vernahm, o glücklicher König, daß Dschanschah zu den beiden Mamelucken sprach: ›Geht zu meinem Vater und macht ihn bekannt mit meinem Aufenthalt und holt uns Zelte, denn wir wollen hier sieben Tage bleiben, um uns auszuruhen, bis er sein Gefolge bereit gemacht hat, damit es uns entgegenkomme und wir einziehen können in prunkvollem Aufzug.‹ Und die Sklaven eilten zurück zum König Teghmus und sprachen zu ihm: ›Gute Nachricht, o König der Zeit!‹ Fragte er: ›Welche gute Nachricht bringt ihr? Ist mein Sohn Dschanschah zurückgekehrt?‹ Versetzten sie: ›Ja, dein Sohn Dschanschah ist heimgekehrt von seiner Wanderschaft, und er ist jetzt nahe und lagert auf der Kirani-Wiese.‹ Als nun der König das hörte, da freute er sich in höchster Freude und fiel im Übermaß der Freudigkeit ohnmächtig nieder. Und als er wieder zu sich kam, befahl er seinem Vezier, einem jeden der Mamelucken ein prunkvolles Ehrengewand und eine Summe Geldes zu geben. Der Minister erwiderte: ›Ich höre und gehorche,‹ und er tat alsbald nach seinem Geheiß und sprach zu ihnen: ›Nehmt dies für die frohe Botschaft, die ihr bringt, ob ihr nun lügt oder die Wahrheit redet.‹ Versetzten sie: ›Wahrlich, wir lügen nicht, denn noch eben saßen wir bei ihm und grüßten ihn und küßten ihm die Hände; er aber befahl uns, ihm Zelte zu holen, denn er wollte sieben Tage auf der Ebene bleiben, bis die Veziere und Emire und Großen herauskämen, ihn zu empfangen.‹ Sprach der König: ›Wie steht es um meinen Sohn?‹ Und sie erwiderten: ›Er hat bei sich eine Huri, als hätte er sie aus dem Paradiese geholt.‹ Da befahl König Teghmus, die Kesseltrommeln zu schlagen und die Trompeten zu blasen ob solcher Freude, und er entsandte Boten, um Dschanschahs Mutter die frohe Botschaft zu bringen und all den Weibern der Emire und Veziere und der Herren des Reiches. Und die Ausrufer zerstreuten sich durch die Stadt und machten das Volk bekannt mit der Heimkehr des Prinzen Dschanschah. Dann machte der König sich bereit und brach auf nach der Kirani-Wiese mit seinen Reitern und den Kriegern zu Fuß; und er kam zu Dschanschah, der ruhig dasaß, mit der Herrin Schamsah zur Seite, und siehe, plötzlich tauchten sie alle auf. Der Prinz sprang auf die Füße und ging seinem Vater entgegen; und die Truppen erkannten ihn und saßen ab, um ihn zu begrüßen und ihm die Hände zu küssen; und dann brach er auf, geführt von den Leuten in einzelner Reihe, bis er zu seinem Vater kam; und als der seinen Sohn erblickte, warf er sich von seines Rosses Rücken herab, schloß ihn an die Brust und weinte flutende Tränen der Freude. Dann saß er mitsamt dem Gefolge wieder auf, das ihm zur Rechten und zur Linken ritt, und sie zogen dahin, bis sie zum Ufer des Flusses kamen. Dort saßen die Truppen ab und schlugen die Zelte und Pavillons und Standarten auf unter dem Schmettern der Trompeten und dem Pfeifen der Pfeifen und dem Dröhnen der Trommeln und Pauken. Ferner befahl der König den Zimmerleuten, für die Prinzessin Schamsah einen Pavillon aus roter Seide aufzuschlagen, und sie vertauschte ihr spärliches Federgewand mit reichen Kleidern, trat ein in den Pavillon und setzte sich dort. Und als sie in ihrer Schönheit dasaß, siehe, da traten der König und sein Sohn Dschanschah zu ihr ein, und als sie Teghmus erblickte, stand sie auf und küßte vor ihm den Boden. Der König setzte sich, nahm Dschanschah an seine rechte und die Prinzessin an seine linke Seite, hieß sie willkommen und sprach zu seinem Sohn: ›Erzähle mir alles, was dir widerfahren ist auf deiner langen Wanderschaft.‹ Dschanschah erzählte ihm also von Anfang bis zu Ende die ganze Fülle seiner Abenteuer, so daß der König staunte in höchstem Staunen; und indem er sich zu der Prinzessin wandte, sprach er: ›Preis sei Allah, daß er mich durch dich wieder vereinigt hat mit meinem Sohne! Wahrlich, dies kommt von seiner übergroßen Güte!‹ – –«
Und Schahrazad bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Doch als die Fünfhundertundfünfzehnte Nacht da war, fuhr sie also fort: »Ich vernahm, o glücklicher König, daß König Teghmus zu der Herrin Schamsah sprach: ›Preis sei Allah, dieweil er mich durch dich wieder mit meinem Sohne vereinigt hat! Dies kommt aus seiner übergroßen Güte. Jetzt aber möchte ich, daß du dir von mir erbittest, was du willst, damit ich es dir zu Ehren tun kann.‹ Sprach sie: ›Ich bitte dich, daß du mir mitten in einem Blumengarten einen Palast erbaust, unter dem das Wasser dahinrinnt.‹ Versetzte der König: ›Ich höre und gehorche‹; und siehe, herbei kam Dschanschahs Mutter, begleitet von all den Frauen der Veziere und Emire, der Edlen und Vornehmen der Stadt. Und als ihr Sohn sie erblickte, da stand er auf, verließ das Zelt und ging ihr entgegen; lange lagen sie sich in den Armen, und die Königin weinte vor dem Übermaß der Freude, und während ihr die Tränen niederrannen aus den Augen, sprach sie diese Verse:
Die Freude übermannt mich so, daß ich vor Freuden – Ob dessen, was mich freut, Tränen vergieße;
Die Träne ward Natur dir, o mein Auge – Drum heut vor Lust, wie sonst vor Schmerzen, fließe.
Und sie klagten einander alles, was ihre Herzen erduldet hatten unter der langen Trennung. Dann ging der König davon in seinen Pavillon, und Dschanschah führte seine Mutter in sein eigenes Zelt, wo sie plaudernd saßen, bis zu ihnen einige von den Dienerinnen der Herrin Schamsah kamen, die zu ihnen sprachen: ›Die Prinzessin kommt jetzt hierher, um dich zu begrüßen.‹ Als nun die Königin das hörte, da stand sie auf, ging Schamsah entgegen, begrüßte sie und ließ sie neben sich sitzen. Und schließlich kehrte die Königin mit ihrem Gefolge vornehmer Frauen, der Gattinnen der Veziere und Emire, und der Prinzessin Schamsah zurück in das Zelt, das ihre Schwiegertochter inne hatte, und setzte sich dort. Derweilen nun spendete König Teghmus seinen Truppen und Untertanen reichlich, und er freute sich seines Sohnes in höchster Freude, und sie blieben dort zehn Tage lang, indem sie Feste feierten und sich vergnügten und das freudigste Leben führten. Nach Ablauf dieser Zeit befahl der König den Aufbruch, und sie alle kehrten in die Stadt zurück; und er saß auf, umgeben von all den Truppen, die Veziere und Kämmerlinge zu seiner Rechten und Linken; und sie ließen zu reiten nicht ab, bis sie einzogen in die Stadt, die aufs schönste geschmückt war; denn das Volk hatte die Häuser mit kostbaren Stoffen verziert und mit Juwelen, und man hatte den Rossen wunderbare Brokate unter die Hufe gebreitet. Die Trommeln dröhnten ob der frohen Botschaft, und die Großen des Reiches freuten sich und brachten reiche Geschenke, und alle, die zuschauten, waren von Staunen erfüllt. Ferner speisten sie die Bettler und Fakire und hielten zehn Tage lang Feste ab, und die Herrin Schamsah freute sich in höchster Freude, als sie das sah. Dann berief König Teghmus Baumeister und Künstler und befahl ihnen, in jenem Garten einen Palast zu erbauen. Sie machten sich sofort ans Werk, und als Dschanschah erfuhr von dem Auftrag seines Vaters, befahl er den Handwerkern, einen Block weißen Marmors zu bringen und ihn zu meißeln und auszuhöhlen zu einer Truhe; und als es geschehen war, nahm er das Federkleid der Prinzessin Schamsah, mit dem sie durch die Luft geflogen war; und nachdem er den Deckel mit geschmolzenem Blei darüber gesiegelt hatte, ließ er die Truhe einbauen in die Fundamente, und darauf ließ er die Bögen errichten, auf denen der Palast ruhen sollte. Sie taten, wie er befahl, und es dauerte nicht lange, so war das Schloß gefügt; dann richteten sie es ein, und es war ein prunkvoller Bau, der mitten im Garten stand, und unter seinen Mauern hin rannen die Bäche. Jetzt endlich ließ der König die Vermählung Dschanschahs feiern im größten Prunk, und man brachte die Braut im Prachtzug in die Burg, und dann gingen alle ihrer Wege. Als nun die Herrin Schamsah eintrat, roch sie den Geruch ihres Federkleides. – –«
Und Schahrazad bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Doch als die Fünfhundertundsechzehnte Nacht da war, fuhr sie also fort: »Ich vernahm, o glücklicher König, daß die Herrin Schamsah, als sie den neuen Palast betrat, den Duft ihres Federkleides roch; und sie erkannte, wo es sich befand, und beschloß, es sich zu holen. Sie wartete also bis Mitternacht; und als Dschanschah im Schlafe ertrunken lag, stand sie auf, ging stracks hinab zu der Stelle, wo die Marmortruhe begraben stand unter den Bögen, höhlte an ihrer Längsseite den Boden fort und fand sie; dann nahm sie das Blei fort, mit dem sie verlötet war, griff nach dem Federkleid und legte es an. Und sie flog hoch in die Luft, setzte sich auf die Zinnen des Palastes, rief die, so darin waren, und sprach: ›Ich bitte euch, holt mir Dschanschah, damit ich Abschied nehmen kann von ihm.‹ Sie riefen ihn, und er kam heraus, und da er sie in ihrem Federkleid auf der Dachterrasse des Palastes erblickte, fragte er: ›Weshalb hast du solches getan?‹ Versetzte sie: ›O mein Geliebter und Kühle meiner Augen und Frucht meines Herzens, bei Allah, ich liebe dich über die Maßen, und ich freue mich in höchster Freude, daß ich dich deinen Freunden und deinem Lande zurückgegeben habe und daß du deinen Vater und deine Mutter gesehen hast; jetzt aber, wenn du mich liebst, wie ich dich liebe, so komm zu mir nach Takni, dem Schloß der Juwelen.‹ Mit diesen Worten flog sie davon, um die Ihren und ihre Freunde aufzusuchen, und Dschanschah fiel ohnmächtig zu Boden, denn er war fast tot vor Verzweiflung. Man brachte dem König Teghmus die Nachricht, und er saß auf der Stelle auf und ritt zu dem Palast, wo er seinen Sohn bewußtlos am Boden liegen sah; und er weinte, denn er wußte, daß die Ohnmacht die Folge des Verlustes seiner Liebe war; und er sprengte ihm Rosenwasser ins Gesicht. Doch als der Prinz wieder zu sich kam und seinen Vater zu seinen Häupten sitzen sah, da weinte er bei dem Gedanken, sein Weib zu verlieren, und der König fragte ihn, was ihm widerfahren sei. Versetzte er: ›Wisse, o mein Vater, die Herrin Schamsah gehört zu den Töchtern der Dschann, und sie hat soundso gehandelt.‹ Und er erzählte ihm, was geschehen war. Sprach der König: ›O mein Sohn, sei nicht in solcher Sorge und Not, denn ich will alle Kaufleute und Wanderer im Lande versammeln und sie nach jenem Schloß fragen. Wenn wir entdecken können, wo es liegt, so wollen wir dorthin reisen und bei den Ihren um die Prinzessin Schamsah bitten; und wir hoffen zum Allmächtigen, daß er sie dir wiedergeben werde, damit du die Ehe vollziehst.‹ Dann ging er hinaus, berief unverzüglich und unverweilt seine vier Veziere, hieß sie alle Kaufleute und Reisenden in der Stadt versammeln und sie nach Takni fragen, dem Schlosse der Juwelen, und er fügte hinzu: ›Wer es kennt und uns hinführen kann, dem wollen wir wahrlich fünfzigtausend Dinare geben.‹ Die Veziere verließen ihn auf der Stelle und taten, wie der König befohlen hatte, doch kein Händler und kein Wanderer konnte ihnen Auskunft geben über Takni, das Schloß der Juwelen; und sie kehrten zurück und sagten es dem König. Da befahl er, schöne Sklavinnen und Beischläferinnen zu bringen, und Sängerinnen und Lautenspielerinnen, derengleichen nur bei Königen zu finden sind. Die schickte er nun Dschanschah, ob sie ihn vielleicht ablenken würden von seiner Liebe zur Herrin Schamsah. Und ferner entsandte er Läufer und Späher in alle Länder, zu allen Inseln und Klimen, um zu fragen nach Takni, dem Schlosse der Juwelen; und sie suchten danach zwei Monate lang, doch niemand konnte ihnen Auskunft geben. Da kehrten sie zu dem König zurück und sagten es ihm, und er weinte bittere Tränen und ging zu seinem Sohn; und er fand ihn, wie er mitten zwischen den Beischläferinnen und Sängerinnen und Lautenspielerinnen saß, deren doch keine ihn trösten konnte über den Verlust der Herrin Schamsah. Sprach Teghmus: ›O mein Sohn, ich kann niemanden finden, der dieses Schloß der Juwelen kennt; doch ich will dir eine bringen, die schöner ist als sie.‹ Als Dschanschah das hörte, da liefen ihm die Augen über vor Tränen, und er sprach diese Verse:
Geduld entfloh, doch Leidenschaft flieht nicht – Mein ganzer Leib vom Schmerz ist fieberheiß;
Wann wird die Zeit mein Los mit Schamsah binden? – Sieh, meine Knochen glühn im Feuer weiß!
Nun herrschte zwischen dem König Teghmus und einem gewissen König von Hind, namens Kafid, der große Scharen von Truppen und Kriegern und Helden hatte, Todfeindschaft; unter Kafids Hand aber standen auch tausend gewaltige Häuptlinge, deren jeder tausend Stämme beherrschte, von denen ein jeder viertausend Reiter aufzubringen vermochte. Er regierte über tausend Städte, deren jede geschützt wurde durch tausend Festungen; und er hatte vier Veziere, und unter ihm herrschten Emire, Fürsten und freie Herrscher; und wahrlich, er war ein König von großer Macht und Tapferkeit, und seine Heere füllten die ganze Erde. Nun hatte König Teghmus ihn mit Krieg überzogen, sein Reich verwüstet, seine Leute erschlagen und viele seiner Schätze davongetragen. Doch als es König Kafid zu Ohren kam, daß König Teghmus von der Liebe zu seinem Sohne in Anspruch genommen war, so daß er die Geschäfte des Staates vernachlässigte, und daß seine Truppen geschwächt waren infolge seiner Not und Sorge um den Zustand seines Sohnes, da berief er seine Veziere und Emire und sprach zu ihnen: ›Ihr alle wißt, daß einst König Teghmus in unser Land einfiel und unsere Besitzungen plünderte und meinen Vater und meine Brüder erschlug; ja, es ist keiner unter euch, dessen Ländereien er nicht verwüstet, dessen Habe er nicht davongeschleppt, dessen Weiber er nicht geraubt und dem er nicht ein paar der Seinen erschlagen hätte. Nun habe ich heute vernommen, daß er ganz in Anspruch genommen ist von seiner Liebe zu seinem Sohn Dschanschah und daß seine Truppen schwach und spärlich geworden sind; dies also ist der Augenblick, Blutrache zu nehmen an ihm. Also macht euch bereit für den Marsch und legt die Schlachtrüstung an, und laßt euch durch nichts verweilen; so wollen wir zu ihm gehen und über ihn herfallen und ihn samt seinem Sohn erschlagen und Besitz ergreifen von seinem Reiche.‹ – –«